1 Einleitende Worte
1.1 Kontextualisierung und gegenwartsgesellschaftliche Krisenlagen
Die 2020er-Jahre sind geprägt von tiefgreifenden gesellschaftlichen Herausforderungen und Umbrüchen. Soziale und ethische Werte sowie bestehende Strukturen werden kritisch hinterfragt, was bisherige Sicherheiten grundlegend in Frage stellt. Der Wandel in globalen Machtstrukturen und sozialen Dynamiken erfordert Anpassungen an eine zunehmende gesellschaftliche Komplexität und zwingt zu einer Neuausrichtung des etablierten Status quo. Themen wie „Zeitenwende“ und „Dauerkrise“ beeinflussen nicht nur die politische Landschaft, sondern auch das tägliche Erleben und die individuelle Weltwahrnehmung (Fastenroth & Jochmann, 2023). In dieser Phase ergeben sich nicht nur krisenhafte Herausforderungen, sondern auch neue Perspektiven (Domsel, 2022, S. 72–90). Klimaaktivist*innen bezeichnen sich als die „Letzte Generation“ und betonen die apokalyptische Dimension der Klimakrise mit unmittelbarer Handlungsnotwendigkeit. Die COVID-19-Pandemie deckt Schwachstellen in globalen Systemen auf und hat tiefgreifende psychologische Auswirkungen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und Konflikte im Nahen Osten verschärfen geopolitische und soziale Spannungen, werfen Sorgen bezüglich von Menschenrechten und internationalen Beziehungen auf (Nagel, 2021).
1.2 Ziel der Untersuchung
Vor dem Hintergrund der skizzierten Gemengelage sollen im vorliegenden Beitrag zentrale Themen im Kontext krisenhafter Zeitzeichen herausgearbeitet werden. Im Zuge dieser Literatursichtung werden relevante Diskussionen in bildungswissenschaftlichen, psychologischen und soziologischen Fachzeitschriften für den Zeitraum von 2020 bis 2023 beleuchtet. Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, eine Analyse aktueller gesellschaftlicher Trends durchzuführen und dabei Ansätze für eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld aufzuzeigen. Insbesondere soll mit einem „religionspädagogischen Auge“, d.h. aus theologischer bzw. religionspädagogischer Perspektive, analysiert werden, wie der Gegenstandsbereich in benachbarten Fachdisziplinen wahrgenommen und konzeptualisiert wird. Dabei sollen die folgenden Forschungsfragen den Untersuchungsprozess leiten: Welche zentralen Themen lassen sich im Zeitraum von 2020 bis 2023 anhand der Literatursichtung in den Bereichen Bildungswissenschaften, Psychologie und Soziologie im Kontext krisenhafter Zeitzeichen identifizieren? Welche Krisen werden in dieser Literatur angesprochen und welches Krisenverständnis kristallisiert sich heraus? Wie äußert sich die apokalyptische Dimension in den Forderungen nach unmittelbarem Handeln? Welche konzeptionellen Strömungen prägen die Auffassungen hinsichtlich einer anhaltenden Krise im Vergleich zu einer grundlegenden Transformation?
2 Methodologie
Für diese Untersuchung erfolgte eine umfassende Literatursichtung in renommierten deutschsprachigen1 Fachzeitschriften der genannten geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Dabei wurden zwischen drei und maximal acht für jede Disziplin relevante Zeitschriften konsultiert. Zur Identifikation dieser wurden verschiedene Datenbanken genutzt, darunter der Index Theologicus, die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (insbesondere das Suchportal bonnus), sowie Fachbibliotheken der entsprechenden Disziplinen. Die Auswahl der relevanten Literatur erfolgte durch eine eingehende Prüfung der Titel und Abstracts der einschlägigen Publikationen: Bei thematischer Passung wurden die Volltexte der entsprechenden Artikel für die weitere Analyse herangezogen. Die Literaturrecherche wurde durch einen (interdisziplinären) Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen ergänzt, um die Relevanz der ausgewählten Literatur zu überprüfen, Forschungsergebnisse zu diskutieren und zu validieren.
Vor der Darlegung der aus der Literatursichtung gewonnenen Erkenntnisse ist es erforderlich, zunächst auf die im Zielhorizont angesprochene theologische bzw. religionspädagogische Perspektive einzugehen, um diese näher zu spezifizieren.
3 Identifizierte Themenbereiche
3.1 Bildungswissenschaftliche Krisendiskurse
In bildungswissenschaftlichen Krisendiskursen werden vor allem die psychosozialen Auswirkungen von Krisen sowie hieraus resultierende pädagogische Herausforderungen im Kontext von Pandemie und Klimakrise beleuchtet.
Das Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik bietet eine Plattform für die Integration und Diskussion aktueller Forschungsergebnisse. Besonders hervorzuheben sind die Publikationen der Jahre 2020 und 2023, die vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Krisen veröffentlicht wurden. Der Band von 2020 trägt den Titel „Migration, Flucht und Wandel: Herausforderungen für psychosoziale und pädagogische Arbeitsfelder“ (Finger-Trescher, Zimmermann & Wininger, 2020) und analysiert die tiefgreifenden Auswirkungen von Flucht und Migration auf verschiedene Lebensbereiche. Hierbei liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Umgang von Lehrkräften und Erzieher*innen mit traumatisierten Kindern, inklusive der Thematisierung personeller Ressourcenknappheiten. Bemerkenswert sind die beleuchteten intergenerationellen Dimensionen von Flucht und Migration, insbesondere die Hoffnungen, die Geflüchtete an künftige Generationen knüpfen. Das Jahrbuch betont vor allem die Verbindung zwischen Flucht, Migration und dem Phänomen der Globalisierung.
Die 2023er Ausgabe trägt den Titel „Aufwachsen zwischen Pandemie und Klimakrise. Pädagogische Arbeit in Zeiten großer Verunsicherung“ (Göppel, Gstach & Wininger, 2023). Der Herausgeberartikel „Neue Krisen – neue Generationskonflikte“ (Göppel 2023, S. 9–17) reflektiert die historische Dimension von Krisen und betont, dass die aktuelle Wahrnehmung krisenhafter Ereignisse aufgrund ihrer Verdichtung intensiver geworden ist bzw. sich Krisenszenarien universeller und bedrohlicher präsentieren (Göppel, 2023, S. 10).
Das Jahrbuch behandelt verschiedene Aspekte von Krisensituationen, einschließlich externer Krisen wie der Covid-19-Pandemie und innerer Krisenräume bei Jugendlichen. Die Beiträge reichen von psychoanalytisch-pädagogischen Überlegungen zum Computerspielverhalten bis zu den psychologischen Auswirkungen der Klimakrise auf Kinder und Jugendliche. Dabei wird der soziale Kontext von Ängsten, der Umgang mit Verzicht und Gier in Krisenzeiten sowie die psychoanalytisch-pädagogische Arbeit mit verschwörungsgläubigen Jugendlichen beleuchtet. Die Autor*innen bieten tiefenhermeneutische Erkundungen zu den Erfahrungen Betroffener, die von literarischem Erleben bis zu rezensionellen Betrachtungen von relevanten Werken im Kontext von Psychoanalyse und Pädagogik reichen.
Die Zeitschrift für Sozialpädagogik (ZfSp) dient als Plattform für die Veröffentlichung von Essays, Berichten, Aufsätzen und bedeutsamen Forschungsnotizen. Ihr Fokus liegt auf historischen, empirischen, theoretischen sowie kasuistischen und praxisbezogenen Themen auf diesem Fachgebiet. Ein exemplarisches Beispiel stellt der Artikel „Familiäre Gewalt in der Corona-Zeit – Entwurf eines empirisch fundierten Modells dynamischer Risiko- und Ressourcenfaktoren“ (Baumann, 2020, S. 233–250) dar. Der Beitrag „Ein kulturepistemologischer Bruch in der Moderne“ von Sohre (2020, S. 289–308) untersucht die Thematik kulturepistemologischer Brüche und ihre Auswirkungen auf den Bereich der Sozialen Arbeit im Kontext nachhaltiger Lebensweisen. Zusätzlich wird in dem Artikel „Die Covid-19-Krise aus psychoanalytischer Sicht“ (Hildebrandt, 2022, S. 206–209) beleuchtet.
Die bildungswissenschaftlichen Krisendiskurse behandeln Flucht, Migration und pädagogische Auswirkungen. Psychoanalytische Betrachtungen der Covid-19-Krise werden als alternative Ansätze vorgestellt. Es werden Einblicke in psychosoziale Auswirkungen von Krisen gegeben und Aspekte wie familiäre Gewalt, kulturepistemologische Brüche und Herausforderungen der Covid-19-Krise aus psychoanalytischer Sicht reflektiert.
3.2 Psychologische Krisendiskurse
Psychologische Krisendiskurse fokussieren auf intensive Forschung zu zentralen Themen während herausfordernder Zeitperioden, insbesondere in den Jahren 2021 und 2023. Die Analyse konzentriert sich auf die Auswirkungen von Covid-19, erlebten Stress, mentale Gesundheit und damit verbundene Ängste. Besondere Betonung liegt auf der kollektiven Resilienz, der Fähigkeit von Gemeinschaften, nicht nur Krisen zu bewältigen, sondern sich auch davon zu erholen.
Der Band 71/2 (2022) der Fachzeitschrift „Pastoral Psychology“ widmet sich insbesondere der Erforschung der Spiritualität als Bewältigungsstrategie im Umgang mit dem Trauma des Verlusts von geliebten Menschen während der COVID-19-Pandemie (Biancalani, Azzola, Sassu & Marogna, 2022, S. 173–185; Bormolini, Ghinassi, Pagni, Milanese & Martin den Ponzuelo, 2022, S. 187–200). Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Kollapsologie, welche sich mit möglichen Zusammenbrüchen bisheriger Strukturen und Systeme auseinandersetzt.
Ebenfalls beschäftigt sich die „Zeitschrift für Medienpsychologie“ (Bowman, 2021, 3–4) mit der Navigation durch turbulente Zeiten und dem Wachsen an den Herausforderungen, die aus Krisen resultieren.
Die Beiträge des Spezialhefts, Band 80, Ausgabe 3 (2021) des European Journal of Psychology behandeln eine breite Palette von Themen und konzentrieren sich hauptsächlich auf verschiedene Aspekte der psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (Solomou, Constantinidou, Karekla, Psaltis & Chatzittofis, 2021, S. 99–110). In ihnen rücken Themen im Spannungsfeld von Herausforderung und Neubeginn, die psychische Gesundheit und das Phänomen der Einsamkeit sowie die Rolle von Psycholog*innen während der Corona-Krise in den Fokus. Im selben Band wird das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit von Studierenden während der Pandemie thematisiert, insbesondere von jenen mit Behinderungen (Kourea, Christodoulidou & Fella, 2021, S. 11–124).
Die Studie „The Role of Emotion Regulation During the Covid-19 Pandemic and Beyond“ (Panayiotou, 2022) untersucht die psychologischen Aspekte der Covid-19-Pandemie und identifiziert Interventionsbereiche für eine effektivere Bewältigung zukünftiger Krisen. Der Fokus liegt auf der globalen Situation, geprägt durch Konflikte, politische Unruhen und humanitäre Krisen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Emotionsregulation als entscheidendem Faktor im Umgang mit den psychologischen Auswirkungen von Krisen. Der Beitrag betont die schrittweise Überwindung der Pandemie als Gelegenheit zur Identifizierung präventiver Maßnahmen für kommende Krisen. Insgesamt unterstreicht der Artikel die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Herangehensweise, um die psychologischen Dimensionen von Krisen umfassend zu verstehen und effektive Interventionsstrategien zu entwickeln.
Die erste Ausgabe des Jahres 2023 des „Forum Gemeindepsychologie“ (Jg. 28) widmet sich in einem Schwerpunktthema der Gemeinschaftlichen Resilienz in Pandemiezeiten. Hierbei werden Aspekte wie die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie aus der Perspektive der Gemeindepsychologie, Resilienz in Institutionen und die gemeinschaftliche Bewältigung von Krisen vertieft beleuchtet (Stark, 2023).
Die Untersuchung von Korlat et al. im „Journal of Individual Differences“ (Korlat, Reiter, Kollmayer, Holzer, Pelikan, Schober, Spiel & Lüftenegger, 2022, S. 18–35)trägt dazu bei, das Verständnis von Grundbedürfnissen und Handlungsfähigkeit in der Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter während der COVID-19-Pandemie zu erweitern, wobei auch geschlechtsspezifische Unterschiede eingehend betrachtet werden.
Zwei Beiträge in „Pastoral Psychology“ von Park et al. (Park & Lee, 2022, S. 141–152) sowie Biancalani et al. (Biancalani, Azzola, Sassu & Trstoni, 2022, S. 173–185) setzen ihren Fokus auf die Bedeutung spiritueller Ansätze bei der Bewältigung von Trauer und dem pastoralen Umgang mit der COVID-19-Krise.
Hoskins betont in seinem Beitrag „From the Earth We Came“ in „Pastoral Psychology“ (Hoskins, 2023, S. 205–224) den ökologischen Selbstbegriff in der Diskussion über Dislokation und Pastoraltheologie (S. 205–224). Der Artikel beleuchtet psychologische Auswirkungen von Krisen und präsentiert präventive Maßnahmen sowie Interventionsstrategien.
Die psychologische Krisenforschung untersucht Pandemie, Stress, mentale Gesundheit und Ängste mit Fokus auf kollektiver Resilienz, Spiritualität, Anpassungen an aktuelle Entwicklungen, Navigation durch turbulente Zeiten und Emotionsregulation. Besondere Aufmerksamkeit gilt der schrittweisen Überwindung der Pandemie als Chance zur Identifizierung präventiver Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf gemeinschaftliche Resilienz, Grundbedürfnisse in der Adoleszenz, spirituelle Ansätze in der Trauerbewältigung und ökologische Selbstbegriffe.
3.3 Soziologische Krisendiskurse
Im soziologischen Kontext werden verschiedene Schlüsselthemen im Zusammenhang mit krisenhaften Zeiterscheinungen analysiert.
Benjamin Seyd (2020) trägt in seinem Artikel „Corona – Krise – Kritik: Eine Kontroverse im Berliner Journal für Soziologie“ zur Diskussion über die Auswirkungen der Corona-Pandemie bei. Dabei reflektiert er intensiv über die Folgen der Pandemie für soziologische Diskurse im Allgemeinen und für das genannte Journal im Besonderen (Seyd, 2020, S. 157–163). Klaus Dörres (2020) Artikel „Die Corona-Pandemie – eine Katastrophe mit Sprengkraft“ im Berliner Journal für Soziologie bietet eine eingehende Analyse der Pandemie als tiefgreifende Katastrophe. Der Autor beleuchtet umfassende gesellschaftliche Implikationen und betont die potenzielle Sprengkraft dieser Krise. Dörre argumentiert, dass die Corona-Pandemie nicht nur eine medizinische Katastrophe darstellt, sondern einzigartig mit einer epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise verbunden ist. Die Kernthese lautet, dass COVID-19 als äußerer Stoß zu definieren ist, dem eine tiefe Rezession folge. Die Pandemie, die Rezession und die Zangenkrise werden als unterscheidbare Auswirkungen einer Hyperglobalisierung interpretiert, die sukzessive ihre eigenen Grundlagen untergräbt (Dörre, 2020, S. 165–190). Dörre hebt hervor, dass die Corona-Krise nicht zwangsläufig zu nachhaltiger Entwicklung führen müsse. Stattdessen bestehe die Gefahr, dass Verteilungskämpfe, Ungleichheit und Entsolidarisierung eine ökologische Wende behindern könnten. Die schwere Rezession dürfte für die vulnerabelsten Teile der Weltbevölkerung existenzielle Krisen auslösen, da massive Entsolidarisierung zu erwarten sei. Die Zangenkrise, als ökonomisch-ökologische Herausforderung, bleibt ungelöst und werde aufgrund ihrer Komplexität voraussichtlich länger andauern (Dörre, 2020, S. 167–168). Dörre betont, dass die Bewältigung der Zangenkrise entscheidend ist, um einen unbewohnbaren Zustand großer Teile des Planeten zu verhindern. In diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) der UNESCO (Dörre, 2020, S. 169). Insbesondere aus theologischer bzw. religionspädagogischer Sicht erweist sich seine Forderung nach einer Abkehr von einer „quasi-religiösen Krisensemantik“ (Dörre, 2020, S. 167), welche als Chance für eine verbesserte soziale Existenz in der Corona-Pandemie betrachtet wird, als diskussionswürdig.
Ein weiterer Beitrag mit dem Titel „Die Coronakrise trifft Frauen doppelt – Die Folge der Re-Traditionalisierung für den Gender Care Gap und Gender Pay Gap“ in den Feministischen Studien (Kohlrausch & Zucco, 2020, S. 322–336) präsentiert eine differenzierte Analyse der verschärfenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Geschlechterungleichheiten.
Zölch und Böhnke (2020) beleuchten in ihrem Beitrag „Die Wechselwirkung zwischen Migrations- und Armutserfahrungen: Ein Erklärungsansatz für die intergenerationale Transmission von Armut in Familien mit Migrationshintergrund“ (Zölch & Böhnke, 2020, S. 369–391) die komplexen Verbindungen zwischen Migrationsgeschichten und wirtschaftlicher Benachteiligung in Familien mit Migrationshintergrund.
In dem Artikel „Das Berliner Journal für Soziologie in der gesellschaftlichen Transformation und Refiguration“ (Dörre, Ettrich, Lohr & Löw, 2021) wird die Rolle des Journals im Zusammenhang mit globalen Krisenprozessen wie der Corona-Pandemie und der Klimakrise beleuchtet. Die Autor*innen reflektieren, wie die Soziologie und ihre Fachzeitschriften, darunter das Berliner Journal, von diesen Veränderungen beeinflusst werden. Der Beitrag hinterfragt die traditionelle Rolle von Zeitschriften als Qualitätsnachweis für Forschung und erkundet, ob die Soziologie aktiv am gesellschaftlichen Diskurs über zukünftige Entwicklungspfade teilnehmen kann (Dörre et al., 2021, S. 145–157).
In dem Beitrag „Das schwarze Loch der ‚Nicht-Nachhaltigkeit‘: Eine kritische Auseinandersetzung mit Ingolfur Blühdorns Forschungsansatz“ von Brand im Berliner Journal für Soziologie 31 (Brand, 2021, S. 279–307) erfolgt eine detaillierte Analyse des Forschungsansatzes des Politikwissenschaftlers Blühdorn im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung. In seinen Schriften kritisiert der zuletzt Genannte die optimistischen Erzählungen oder, genauer gesagt, die als „naive Hoffnungserzählungen“ (Brand, 2021, S. 279) bezeichneten Darstellungen der transformativen Nachhaltigkeitsforschung. Blühdorn argumentiert, dass die Gesellschaft sich in einem geschlossenen System der „nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit“ befinde (Blühdorn, 2018, S. 151–180). Die Hauptforschungsfrage von Brand zielt darauf ab zu verstehen, warum dieses System trotz eines gestiegenen Umweltbewusstseins und verstärkter Nachhaltigkeitsbemühungen erstaunlich stabil bleibt (Brand, 2021, S. 279–307). Diesbezüglich identifiziert Blühdorn die Radikalisierung von Selbstverwirklichungsansprüchen als einen entscheidenden Faktor. Dieser führe dazu, dass konsumtive, nicht-nachhaltige Identitäten und Lebensstile als unverhandelbare Voraussetzungen demokratischer Politik betrachtet würden (Blühdorn, 2018, S. 151–180).
Zudem beleuchtet das Berliner Journal für Soziologie die Neuordnung von Zeitlichkeit, Kapitalismus und Staat im Zuge der Pandemie (Suckert, 2022, S. 123–152). Ebenfalls im Fokus stehen Fragen der sozialen Ungleichheit sowie die Wechselwirkung zwischen der Corona-Krise und dem Phänomen der Globalisierung, die eingehend diskutiert wird. Ein weiterer Aspekt betrifft die soziologische Analyse des Krieges in der Ukraine, wie in den Feministischen Studien 20/2 behandelt (Liebsch & Ruppert, 2022, S. 321–325).
Der Artikel von van Dyk, Boemke und Haubner (2021, S. 445–473) „Solidarität mit Geflüchteten und Fallstricke des Helfens“ im Berlin Journal für Soziologie 31, 2021 analysiert die Dynamiken von Solidarität im Kontext der Flüchtlingshilfe sowie diesbezügliche Herausforderungen.
Häckermann, Benroider, Puder und Seyd (2022, S. 1–6) untersuchen in ihrem Beitrag „Was bedeutet schon ‚systemrelevant‘?“ im Berliner Journal für Soziologie 32, 2022, ebenso eingehend wie kritisch die Frage nach der besonderen Relevanz bestimmter Berufsgruppen im Kontext der Pandemie. Kaldewey widmet sich ebenfalls diesem Thema in seinem Artikel „Systemrelevanz in Zeiten der Pandemie“ im selben Journal und Jahrgang (Kaldewey, 2022, S. 7–33).
In ihrem Beitrag „Eine Neuordnung der Zeit? Zum Verhältnis von Zeitlichkeit, Kapitalismus und Staat im Zeichen der Pandemie“ (Suckert, 2022, S. 123–152) untersucht Suckert die Möglichkeit einer Abkehr vom kapitalistischen Zeitregime im Kontext der COVID-19-Pandemie. Sie analysiert staatliche Maßnahmen hinsichtlich Zeit- und Wirtschaftssoziologie und fragt, ob die Krise eine nachhaltige Neuordnung der Zeit ermöglichen könnte. Dabei bezieht sie sich auf Hartmut Rosa, der die staatlich verordnete „Zwangsentschleunigung“ in der ersten Welle als historischen Bruch mit dem Beschleunigungsimperativ des Kapitalismus beschreibt. Die Erkenntnis, dass der Staat in der Lage ist, kapitalistische Beschleunigungsimpulse zu unterbinden, wird als politische Selbstwirksamkeitserfahrung betrachtet, die eine Chance für einen nachhaltigen Pfadwechsel bieten könnte.
In ihrem Artikel „Solidaritätsorientierungen und soziale Positionen. Klassenhabituelle Haltungen zu Sozialstaat und Geflüchteten in Österreich“ im Berliner Journal für Soziologie (Altreiter, Flecker & Papouschek, 2022, S. 317–348) beleuchten Altreiter et al. die sozialen Positionen und Solidaritätsorientierungen im Kontext von Klassen und deren Haltungen zu Sozialstaat und Geflüchteten in Österreich.
Ein weiterer Beitrag mit dem Titel „Corona und die gefesselte Globalisierung“ im Berliner Journal für Soziologie (Menzel, 2022, S. 363–392) setzt sich mit den Auswirkungen von COVID-19 auf Das Phänomen der Globalisierung auseinander.
Der Beitrag von Brülle und Gangl in der Kölner Zeitschrift für Soziologie (Brülle & Gangl, 2023, S. 1–35) wirft einen genaueren Blick auf die Themen der Armutspersistenz und des wachsenden Einflusses von Lebensverläufen. Insbesondere setzt er sich mit der festen Verankerung von Armut und der zunehmenden Bedeutung von individuellen Lebenspfaden auseinander.
In seinem Artikel „Am Ende der Expansionsgesellschaft? Die Coronakrise als Menetekel für Grenzen der kolonialen Landnahme des Netzes des Lebens“ (Jochum, 2020, S. 21–34) postuliert Jochum, dass Epidemien wie die Coronapandemie unbeabsichtigte Folgen des expansiven Vordringens der technisch-kapitalistischen Zivilisation in Naturräume sind. Die Umgestaltung des ökologischen Netzes des Lebens und die Verringerung der Biodiversität durch die kolonisierende Landnahme erhöhten das Risiko von Virusübertragungen von Tieren auf Menschen. Der Artikel betont die Nicht-Nachhaltigkeit der modernen Expansionsgesellschaft und plädiert für eine umfassende sozial-ökologische Transformation, die ein postkoloniales Naturverhältnis entwickelt und den Übergang zu einer nachhaltigen Integrationsgesellschaft ermöglicht.
Gills Beitrag „Angst ohne Vision. Gesellschaftsbilder und Naturvorstellungen in der Corona-Krise“ (2020, S. 48–70) analysiert während der Pandemie aufkommende Gesellschaftsbilder und Naturvorstellungen. Inspiriert von Mary Douglas‘ Cultural Theory untersucht er, wie verschiedene Weltbilder die Risikowahrnehmung beeinflussen, insbesondere die Group-Dimension (kollektive vs. individuelle Kontrolle) und die Grid-Dimension (Vertrauen in Technik vs. Natur). Gill kritisiert die mediale Pandemiedarstellung, beleuchtet Präferenzen für kollektive Kontrolle und Technikvertrauen. Er betont, dass die politische Zustimmung aus einer unerwarteten Konvergenz entstehe. Traditionelle links-grüne Standpunkte würden aufgegeben, und die Allianz sei von regressiver Angst geprägt, ohne eine konstruktive Vision anzubieten.
Kropps Artikel „Pandemien, globaler Umweltwandel und smarte Risikopolitik: Chancen für Wandel?“ (Kropp, 2020, S. 113–129) analysiert die Risikopolitik während der Corona-Krise und untersucht, ob sie positive Impulse für transformative gesellschaftliche Lernprozesse bieten kann. Unter Verweis auf Donna Haraways Theorien über das „Plantagozän“ wird der modernistische Glaube an Fortschritt und Kontrolle beleuchtet. Kropp kritisiert die bisherige Krisenkommunikation zu Covid-19 als expansiv, reduktionistisch und von Vertrauen in Algorithmen geprägt. Es wird bemängelt, dass dabei zu wenig Wert auf solidarische Zusammenarbeit und transdisziplinäre Kontexte gelegt werde.
Die soziologischen Krisendiskurse behandeln eine Vielzahl von Themen wie die Corona-Pandemie, Neuordnungen von Zeitlichkeit, Kapitalismus, soziale Ungleichheit, Krisen-Globalisierung-Wechselwirkungen, den Ukraine-Krieg, Gewalt, Angst, Armut, sozioökologische Transformationen, Nachhaltigkeit, Migration, wohlfahrtsstaatliche Solidarität und die Auswirkungen der Coronakrise auf das Bildungssystem. Perspektiven reichen von Selbstkritik über Disziplinfolgen der Pandemie bis zur Analyse der Corona-Krise als einschneidende Katastrophe.
4 Religionspädagogische Bezüge
Im vorliegenden Beitrag wurde eine Literatursichtung bezüglich krisenhafter Situationen und einer von Krisen geprägten Lebensrealität aus verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Blickwinkeln, konkret bildungswissenschaftlich, psychologisch und soziologisch, vorgenommen.
Im bildungswissenschaftlichen Kontext konzentriert sich die Forschung auf die psychosozialen Auswirkungen von Krisensituationen, insbesondere in Bezug auf Flüchtlingskrise und Migration. Eine zentrale Frage betrifft den einfühlsamen Umgang und die optimale Unterstützung von Schüler*innen, die möglicherweise traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit Flucht gemacht haben. Hinsichtlich möglicher Anknüpfungspunkte zu religionspädagogischen Ansätzen ist zu betonen, dass der Religionsunterricht in schwierigen Situationen Orientierungspunkte bieten kann, etwa indem er einen geschützten Raum bereitstellt, um einfühlsam auf erlittenes Leid einzugehen und eine mitfühlende bzw. mitleidenschaftliche Haltung mit anderen (Compassion) zu etablieren (Metz, 2000). Indes zeichnen sich gerade mit Blick auf den Umgang mit Traumata disziplinäre Grenzen ab, vor allem wenn eine psychologische Intervention erforderlich ist und die religionspädagogische Expertise an ihre Grenzen stößt (Domsel, 2023, S. 65–79).2 In herausfordernden Situationen wird deutlich, dass eine angemessene Begleitung von Schüler*innen durch die harmonische Abstimmung pädagogischer, religionspädagogischer und psychologischer Konzepte begünstigt wird. Der Religionsunterricht fungiert dabei als „safe space“, der die Gelegenheit bietet, sich vertieft mit existenziellen Sinnfragen auseinanderzusetzen (vgl. Stockinger, 2016, S. 79–87; Kisfalvi & Oliver, 2015, S. 713–740; Domsel, 2023, S. 215–217). In diesem Raum wird auch die menschliche Vulnerabilität und Begrenztheit thematisiert, die in Krisenzeiten besonders hervortritt. Zusätzlich kann eine heilsame Gegenfolie zu den Mechanismen der Leistungsgesellschaft entstehen.
Gerade hier bietet sich die Möglichkeit, einfühlsam Hoffnungsperspektiven zu integrieren. Diese gehen über rein innerweltliche Betrachtungsweisen hinaus und eröffnen neue Sichtweisen, die eine Einbettung in ein größeres Ganzes oder eine transzendente Wirklichkeit ermöglichen (Domsel, 2019; Legrand, 2023). Damit bietet der Religionsunterricht nicht nur einen Raum für kognitive Reflexionen, sondern auch für eine ganzheitliche Entwicklung der Schüler*innen in schwierigen Zeiten. Bei all dem sollte jedoch nicht übersehen werden, dass für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen eine religiöse Haltung alles andere als selbstverständlich ist. Für viele spielt der transzendentale Bezug zu einer göttlichen Realität keinerlei Rolle (vgl. Wissner, Nowack, Schweitzer, Boschki & Gronover, 2020). Dies gilt es auch im Kontext des Religionsunterrichtes zu berücksichtigen.
Die Jugendstudie von Wissner et al. (2020) zeigt, dass der christliche Glaube für ukrainestämmige Flüchtende, besonders Jugendliche unter den Christlich-Orthodoxen, eine bedeutende Quelle von Trost und Zuversicht sowie einen Orientierungskompass im Leben darstellen kann. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Religionsunterricht, obwohl er zur Stärkung der Resilienz beitragen kann, nicht als Therapieunterricht missverstanden werden sollte. Seine Hauptfunktion liegt in der Wissensvermittlung, auch wenn er durchaus als Schutzraum dienen kann.
Insbesondere in Krisenzeiten erweist sich religiöse Bildung als ein wichtiger Faktor zur Förderung von Lebenskompetenz, womit sie einen essenziellen Beitrag zur allgemeinen Bildung leistet. Die durchgeführten Analysen legen nahe, dass religiöse Bildung allgemeinpädagogische Konzepte sinnvoll ergänzen kann. Ihr besonderer Beitrag liegt in der Verbindung zum Transzendenten bzw. Göttlichen sowie in der Förderung der Einsicht, dass es das Unverfügbare gibt, dass sich der menschlichen Kontrolle entzieht. Hierdurch kann eine Sensibilisierung einerseits für die Verletzlichkeit des Lebens stattfinden, andererseits Vorstellungen von einer Einbettung in ein größeres Ganzes evoziert werden, die durch eine eigenständige religiöse Ausdruckskultur geprägt sind.
Die psychologischen Krisendiskurse vertiefen die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die mentale Gesundheit und betonen die Resilienz. Der Religionsunterricht bietet Raum, existenzielle Bedrohungen in Krisenzeiten anzusprechen und gemeinsam zu bearbeiten, was die existenzielle Resilienz fördert (Domsel, 2023, S. 65–79). Religiöse Bildung kann die Gemeinschaftskompetenz stärken und zur solidarischen Bewältigung von Krisen ermutigen, was den Erhalt einer gemeinsamen Schulkultur unterstützt.
Spiritualität wird in den psychologischen Diskursen als lebensrelevante Ressource für die Bewältigung krisenhafter Ereignisse, insbesondere in der Trauerbewältigung und der Auseinandersetzung mit der Furcht vor dem Tod, herausgestellt. Der Einbezug von Spiritualität wird als Mehrwert für das Verständnis und die praktische Anwendung psychologischer Konzepte betont, besonders im Kontext eschatologischer Hoffnungsperspektiven.
Die soziologischen Diskurse umfassen ein breites Themenspektrum, das über Flucht, Vertreibung und die globalen Auswirkungen der Corona-Krise hinausgeht. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Nachhaltigkeit, wobei Gerechtigkeit, Armut und postkoloniale Strukturen im Mittelpunkt stehen. Diese Themen bieten gezielte Anknüpfungspunkte für den Religionsunterricht, vor allem im Kontext kritischer Reflexionen zur sozialen Gerechtigkeit.3 So ermöglicht dieser eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen von Gleichheit und Ungleichheit, insbesondere im Kontext von ethischen Grundfragen. In Krisenzeiten rücken ethische Probleme verstärkt in den öffentlichen Fokus, und der Religionsunterricht bietet einen Raum zur Formulierung solcher Fragen sowie zur (kritischen) Positionierung. Es ist jedoch wichtig, die religiöse Perspektive im Dialog mit anderen Weltanschauungen zu betrachten, um der Komplexität der Wirklichkeit gerecht zu werden. Zudem sollte eine selbstkritische Auseinandersetzung mit Fragen von (Un)gerechtigkeit erfolgen, um theologische Glaubwürdigkeit zu erhöhen und Schuldverstrickungen bewusst zu machen.
Im Religionsunterricht wird das Bewusstsein für grenzüberschreitende Herausforderungen betont und die Entwicklung von Vorstellungen eines erfüllten Lebens im internationalen Kontext gefördert. Dies geschieht durch die Auseinandersetzung mit universellen Risiken und der Entfaltung von Ideen eines gelungenen Lebens in einer vernetzten Welt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Perspektiven für ein gelingendes Leben im Religionsunterricht nicht normativ, sondern eher als Referenz- oder Orientierungspunkte präsentiert werden sollten. Der Fokus liegt dabei auf inhaltlich-theologischer Füllung und der Förderung der freiheitlich-kritischen Positionierungsfähigkeit der Schüler*innen.
Im Zuge der durchgeführten Literatursichtung wurde mitunter auch Kritik am theologischen Diskurs ersichtlich. Als ein Beispiel hierfür lässt sich die Beschreibung einer „quasi-religiösen Krisensemantik“ (Dörre, 2020, S. 165–190) anführen, welche als eine verklärende oder romantisierende Hoffnungsrede interpretiert wurde. Stattdessen wird zur Besinnung auf den Boden der Realität aufgerufen. Dörres Perspektive verdeutlicht, dass religiöse Deutungsangebote nicht zwingend geschätzt bzw. nicht als grundsätzlich weiterführend wahrgenommen werden (Dörre, 2020, S. 167). Idealiter könnte diese kritische Aussage dazu ermutigen, theologische und religionspädagogische Impulse daraufhin zu prüfen, inwiefern sie konkrete und adressat*innengerechte Antworten auf aktuelle Herausforderungen bieten können.
Wendungen wie „Neuordnung der Zeit“ (Suckert, 2022, S. 123–152) in soziologischen Diskursen transportieren eine apokalyptische Dimension. Dabei ist zu beachten, dass die apokalyptische Bedeutung im christlich-biblischen Kontext sich von einer allgemein gesellschaftlichen Konnotation unterscheidet. Die biblisch-christliche Apokalypse bezieht sich vorwiegend auf die Offenbarung des Johannes und beschreibt göttliche Enthüllungen sowie Endzeiterwartungen (Böttrich, 2014). In einem allgemeinen gesellschaftlichen Sinne wird der Begriff oft für katastrophale Ereignisse oder das Ende der Welt verwendet (Eckert, 2022; Buchholz, 2018). Eine dialogische Auseinandersetzung hierüber wäre besonders gewinnbringend, da sie eine vertiefte interdisziplinäre Verständigung ermöglicht und zu einer ganzheitlicheren Betrachtung der apokalyptischen Metaphern in verschiedenen Kontexten führen könnte. Sie vermag zudem als Gegenfolie zu einseitigen, engen und pessimistischen Verständnissen von Begriffen wie Apokalypse dienen und eine neue Füllung sowie Perspektiverweiterung ermöglichen. Eine solch kritische Interrelation wirkt verklarend und kann zu vertiefenden Einsicht im Dialog mit der (säkularen) Lebenswelt führen, wobei auch die prophetische Botschaft des Christentums als „inspirierende kritische Unterbrechung“ (Metz, 1999, S. 166) betrachtet werden kann.
5 Fazit und Ausblick
Die gesellschaftswissenschaftlichen Diskurse behandeln lebensrelevante Themen und zeigen die Ernsthaftigkeit der aktuellen Lage sowie ihr transformatives Potenzial auf. Die präsentierten Perspektiven und Einsichten sollen einen Beitrag zum Umgang mit der krisenhaften Wirklichkeit leisten. Auffallend ist, dass die Diskurse überwiegend ohne transzendenten Bezug bleiben, und Spiritualität eher als Ressource denn als Selbstzweck betrachtet wird – primär zur Förderung der Resilienz.
Indes ist bemerkenswert, dass spirituelle und religiöse Perspektiven, neben kritischen Äußerungen, in anderen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen Beachtung finden, was in einer von Säkularität geprägten Lebenswelt nicht selbstverständlich ist. Das dialogische Element, das unterschiedliche Sichtweisen einbezieht, könnte sich als entscheidend für die gemeinschaftliche Bewältigung von Krisen erweisen sowie zum gegenseitigen Verständnis und Friedensbildung beitragen.
Literaturverzeichnis
Altreiter, C., Flecker, J. & Papouschek, U. (2022). Solidaritätsorientierungen und soziale Positionen. Klassenhabituelle Haltungen zu Sozialstaat und Geflüchteten in Österreich. Ber J Soziol, 32(3), S. 317–348.
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Es ist gängige Praxis, dass Fachzeitschriften, insbesondere im Bereich der Soziologie, meist in englischer Sprache veröffentlicht werden.
Aus religionspädagogischer Sicht wurde ausschließlich Bezug auf jene Thesen genommen, die sich als relevant für die durchgeführten Analysen in diesem Beitrag erwiesen haben. So erfolgte keine Berücksichtigung aller zehn Thesen.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es nicht allein die Aufgabe des Religionsunterrichts darstellt, die Fähigkeit der Schüler*innen zur kritischen Positionierung zu stärken. Somit handelt es sich nicht um ein Alleinstellungsmerkmal des Religionsunterrichts (vgl. These 4). Ähnliches gilt in Bezug auf These 5: Religiöse Bildung als Impuls zur kritischen Reflexion sozialer Gerechtigkeit.