Das in dieser Ausgabe dargestellte Forschungsprojekt [1]gibt Einblicke in die universitäre Lehrkultur der christlichen Religionslehrer*innenbildung zu den anderen Religionen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie sich Präkonzepte also die vorreflexiven, gleichwohl aktiven Konzepte der Lehrenden – zur religiösen Pluralität und zur Lehre auf diese Lehrkultur auswirken. Anders als im Vorgängerprojekt (vgl. Mauritz, Hillebrand, Reis & Kamcili-Yildiz, 2020) ist schon im frühen Auswertungsstadium deutlich geworden, dass die Lehrenden in diesem Projekt ihre Äußerungen zu den anderen Religionen in einem viel stärkeren Maße disziplinieren und in expliziten Modellen des interreligiösen Dialogs formulieren. Genauso binden sie ihre Vorstellungen zu guter Lehre deutlich an die Fachdiskurse zum interreligiösen Lernen zurück. Die Beiträge von Kamcili-Yildiz und Dobras (2022) sowie Reis, Saß und Borchert (2022) können diese strategischen Muster beschreiben und sie als Ressource für die konkrete Lehre identifizieren, die zugleich von dem Kontext der Hochschullehre, den dort üblichen Verfahrensweisen und Fachkulturen geprägt sind. Bei diesen Untersuchungen wurde der Diskurs des interreligiösen Lernens selbst aber nicht weiterverfolgt. Worauf wird Bezug genommen? Welche Positionen werden in der Hochschullehre in Geltung gesetzt und welche werden nicht weiter aufgegriffen? Welche Konsequenzen hat eine bestimmte dominante Diskursposition dann auch für die Lehre? Der folgende Beitrag benennt in einer Queranalyse aller Interviews und der Lehrvideos die Diskursbezüge hinter den Äußerungen und Handlungen. Kommentierend werden dabei blinde Flecken in Relation des Lehrer*innenhandelns zu den theoretischen Bezügen der Lehrenden deutlich, die auf bestimmte Probleme der Theoriekonzeptionen selbst oder deren Implementation in konkrete Lehrsettings verweisen.
1 Die konkreten Religionen des interreligiösen Lernens und der Spezialfall Judentum
Schaut man zunächst darauf, von welchen Religionen eigentlich konkret die Rede ist, so wird schnell deutlich, dass Islam und Judentum quantitativ deutlich dominieren. Daneben finden sich nur vereinzelte Bezüge auf weitere Religionen, namentlich den Buddhismus, den Hinduismus und das Ezidentum.[2] Dieser Befund dürfte sich mit der derzeitigen Diskussionslage decken: Ältere Werke zum Thema gingen häufig die so genannten Weltreligionen kursorisch durch (vgl. Lähnemann, 1986; Leimgruber, 2007), während heute die Bezüge auf Islam und Judentum dominieren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die sich auch im hiesigen Material widerspiegeln: Der Islam kommt deshalb vor, weil er die zahlenmäßig stärkste Minderheitenreligion in Deutschland bildet und deshalb in der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler am häufigsten anzutreffen ist. Das Judentum hingegen wird vor allem aufgrund der aus der deutschen Geschichte erwachsenden Verantwortung einerseits, aus der besonderen theologischen Bedeutung für das Christentum andererseits verhandelt.
Die weitaus meisten Ausführungen finden sich im Material zum Judentum. Zunächst wird auf das fehlende Wissen von Studierenden zum historischen und sachlichen Zusammenhang von Judentum und Christentum rekurriert:
„Ja, sie staunen ganz oft über simple Zusammenhänge zwischen Judentum und Christentum.“ (D5, Pos. 12)
Die Bedeutung des Judentums für das Christentum geht nach dieser Auffassung aber über den historischen Zusammenhang hinaus und kann mit der paulinischen Metapher der „Wurzel“ (vgl. Röm 11,18) gefasst werden:
„ich halte es für absolut notwendig, dass Christen, die dann auch doch eben das Christentum unterrichten oder als Pfarrer vermitteln und leben sollen und dass sie über die Wurzeln orientiert sind, ja, das sind das Judentum ist die Wurzel des Christentums“ (D5, Pos. 20)
Darauf erwächst für das christliche Theologiestudium – auch das Lehramtsstudium – die als konstitutiv angesehene Aufgabe, das Judentum in historischer und gegenwartsorientierter Perspektive zu behandeln:
„also das Christentum ist aus dem Judentum hervorgegangen, und man muss glaube ich gerade als Religionslehrkraft in der Schule auch zwingend das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum klären.“ (D1, Pos. 9)
In einer gegenläufigen Tendenz dazu finden sich Stimmen, welche vor einer Überbetonung der Nähen bzw. einer eher gut gemeinten christlichen Anempfindung jüdischer Riten und Bräuche warnen:
„natürlich erkenne ich ganz klar den Unterschied und auch das Trennende und Auseinandergehende zwischen Christentum und Judentum. Und ich bin auch der Ansicht, dass man auf keinen Fall die Gemeinsamkeiten überbetonen sollte. Ja also im Sinne eines reenacting, wir spielen jetzt mal Pessach nach und dann haben wir Ostern verstanden oder sowas ja das sind ja pädagogische Methoden, die häufig angewandt werden.“ (D5, Pos. 17)
Die nach Wahrnehmung von dieser Lehrperson relativ verbreitete Methode, jüdische Bräuche in christlichen Bildungsveranstaltungen gleichsam nachzuspielen, um damit die besondere Nähe zum Judentum zu demonstrieren, lehnt sie ab: nicht etwa aus mangelndem Respekt, sondern wegen der sachlichen Unangemessenheit: Diese Methode überspielt nach ihrer Meinung „das Trennende und Auseinandergehende“ und nimmt somit die Selbstauslegung des Judentums nicht ernst.
Speziell in Bezug auf das Judentum erwächst damit aus dem Material eine Frage, die sich auch in religionstheologischer Betrachtung stellt: Ist das Judentum lediglich ein ‚Fall‘ des interreligiösen Lernens wie andere Religionen auch, oder ist das Lernen über und mit dem Judentum für das Christentum letztlich etwas ganz Eigenes? Diese Frage scheint mir in Bezug auf das interreligiöse Lernen noch nicht hinreichend durchdiskutiert. Man kann grundsätzlich drei Positionen dazu einnehmen:
Die erste geht im Sinne Schleiermachers davon aus, dass das Christentum zum Judentum zwar einmal in einem „besonderen geschichtlichen Zusammenhang“ steht und mit diesem ferner auch den ethischen Monotheismus teilt, aber sich in Bezug auf seine religiöse Zentralfigur, also den Glauben an Christus als Erlöser, „zu Judentum und Heidentum gleich“ verhält (Schleiermacher, 1830/2008, S. 102)[3] Eine solche Position muss keineswegs aus-, sondern kann und sollte einschließen, dass die Kenntnis über das Judentum wegen der christlichen Antijudaismus-Geschichte Gegenstand besonderer christlicher Bildungsverantwortung ist.
Die zweite lässt das Judentum – und zwar auch das gegenwärtige Judentum – von einer konstitutiven Bedeutung für die Entfaltung des Christentums als Religion sein. Diese Position entspricht weitgehend der neueren Israeltheologie (vgl. Klappert, 2019) und bestimmt dann auch das Nachdenken über den Unterricht über das Judentum: Hier läge dann eigentlich streng genommen kein Fall von interreligiösem Lernen vor, sondern wenigstens eine besondere, von allen anderen unterschiedene Familienzusammengehörigkeit.
Die dritte unterläuft die Alternative und bezieht in das Verhältnis von Judentum und Christentum von vornherein auch den Islam mit ein. Das interreligiöse Lernen wäre von daher ein viel zu unspezifischer Begriff; er konkretisiert sich folglich als „trialogisches Lernen“ (Sajak, 2018, S. 74–81). Die dahinterstehende Vorstellung ist eher – religionsgeschichtlich vermutlich nicht völlig unplausibel – die einer Art großen monotheistischen Kontinuums, innerhalb dessen die drei Religionen lediglich Verdichtungen eines fortlaufenden Gesprächszusammenhangs sind, sodass Abstand und Nähe innerhalb der Religionen genauso bestehen können wie zwischen den Religionen.
Die oben angesprochene mangelnde Kenntnis von Studierenden über das Judentum mag daher auch damit zu tun haben, dass in der christlichen Theologie noch lange keine Einigkeit darüber herrscht, was es genau bedeutet, „das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum [zu] klären.“ (D1, Pos. 9), geschweige denn, dass das Problem der Bedeutung dieses Klärungsprozesses für die Theorie des interreligiösen Lernens bereits offen am Tage läge.
2 Die Ziele des interreligiösen Lernens
Während es über die grundsätzliche Bedeutung von interreligiösem Lernen eigentlich keinen Dissens gibt, können die konkreten Ziele durchaus unterschiedlich gefasst werden, ohne dass sie deshalb miteinander in Konkurrenz geraten müssten. Betrachten wir, wie sie sich in dem Interview-Material spiegeln.
2.1 Grundwissen vermitteln
Vermutlich werden die meisten, die bereits in diesem Bereich unterrichtet haben, mit dem Wunsch der Studierenden nach Grundwissen konfrontiert worden sein. Deshalb verwundert es nicht, dass sich dieser Wunsch auch hier mehrfach wiederfinden lässt:
„Und dann ist es noch so, dass zum Beispiel unter Corona ich dazu übergegangen bin sehr stark die Themen auch von den Studierenden mitbestimmen zu lassen, und ich habe aber immer gewisse Basics, also um bestimmte Basics kommt man einfach nicht drum herum.“ (D3, Pos. 18)
Über Grundwissen, also die „bestimmte[n] Basics“, zu verfügen, ist nach dieser Ansicht unumgänglich, wenn auch nicht näher ausgeführt wird, warum. Dazu finden sich unterschiedliche Positionen. Nach einer älteren, von Bernhard Dressler referierten Auffassung (vgl. Dressler, 2003, S. 114), war Grundwissen über Weltreligionen früher kein Erfordernis der Lebenswelt, sondern gehörte einfach zu dem dazu, was man unter Allgemeinbildung verstand. Heute hingegen erwächst die Anforderung interreligiösen Lernens aus den Begegnungen des Alltags, aus der präsenten religiösen Pluralität unserer Gesellschaft. In diesem Horizont scheinen „Basics“ als unumgänglich – aber möglicherweise andere als früher.
Daher schließt sich sogleich die Frage an: Was genau sind eigentlich die „Basics“ einer anderen Religion?[4] Wie ließen sie sich bestimmen? Geht es um die Lehren? Die Praktiken? Um Feste? Um ethische Regeln? Soll man auf Kurzversionen zurückgreifen, welche Angehörige der anderen Religion selbst erstellt haben? Oder soll man auf religionskundlich orientiertes Basiswissen zurückgreifen? Und wo wäre eigentlich genau der Punkt, an dem das Grundwissen in weiterführendes Wissen übergeht?
Im Lichte dieser Rückfragen fällt auf, dass in einem der Interviews die oben angesprochene Unverzichtbarkeit von „Basics“ eher funktional bestimmt wird:
„Also ich hatte als ich angefangen hatte, habe ich viel stärker interreligiöses Lernen und Methoden und hab dann gemerkt, ich kann das ja gar nicht machen, weil keine Grundkenntnisse da sind. Also das, der religionskundliche Teil ist im Laufe der Jahre größer geworden.“ (D4, B15)
Das Grundwissen ist nach dieser Auffassung deshalb unumgänglich, weil ohne einen Rekurs auf basale Wissensbestände anspruchsvollere Lernvorgänge gar nicht möglich zu sein scheinen. In dieser Hinsicht wären das Grundwissen diejenigen Elementaria, ohne welche die eigentlich angestrebten Lernziele nicht zu erreichen sind. Die „Basics“ würden in diesem Sinne nicht einfach feststehen, sondern würden von übergreifenden Überlegungen abhängen, über die man sich dann zunächst verständigen müsste. Trotz der gewachsenen Bedeutung des Themas in den letzten Jahren scheint der Bedarf nach Grundwissen im Studium „im Laufe der Jahre größer geworden“ zu sein.
Einen ganz anderen Weg, das Grundwissen zu bestimmen oder aufzufassen, nimmt eine andere Lehrperson vor:
„Es besteht ein riesen Bedarf an Grundlagen, also wir kommen immer wieder vom Seminarthema ab, weil die Studierenden so grundsätzliche Sachen wissen wollen. Da kommt immer ‚Wie ist denn das?‘ ‚Wie ist denn das mit dem Ramadan?‘, ‚Wie ist denn das (…) mit ähm …‘ (I: …mit dem Kopftuch.) Genau, mit dem Kopftuch, ‚Wie ist das mit dem Händeschütteln?‘ und so. Also so diese grundsätzlichen Sachen können wir gar nicht aussparen, die kommen immer wieder mit rein und die müssen wir ja mit einplanen und es ist zum Teil aber tatsächlich auch immer in so einer Problemschiene, also: Kopftuch, Radikalisierung, Händeschütteln“ (D1, Pos. 13)
Hier ist der Ausgangspunkt das, was von den Studierenden – und wohl auch von der Lehrperson – als gesellschaftliche „Problemschiene“ wahrgenommen wird. Grundwissen ist in diesem Zusammenhang dasjenige Wissen, was als hilfreich in der Konfrontation mit dieser Art von Problemen gilt. Nicht das, was nach Auffassung der Religion selbst die Grundlage bildet, sondern das, was im alltäglichen Zusammenleben als problematisch erscheint, gehört zu den „grundsätzlichen Sachen“. Diejenigen sind „Grundlagen“, die scheinbar erklären, warum es mit ‚dem‘ Islam diese Probleme gibt.
So finden sich ganz verschiedene Ansätze, das als unumgänglich empfundene Basiswissen zu bestimmen, die zum Teil nicht miteinander kompatibel sein dürften. Das ist an sich bereits ein problematischer Befund. Darüber hinaus dürfte es aber ein noch grundsätzlicheres Problem geben: Beinahe jede Fokussierung auf „Basics“ bringt die didaktische Gefahr mit sich, dass Schüler*innen – ebenso wie Studierende – an irgendeinem Punkt das Gefühl haben, dass es nun ungefähr reicht und sie nun ein gewisses Bild der anderen Religion haben. Das heißt, die Forderung nach Grundwissen – und die vermeintliche Pflicht, diese Forderung als Lehrperson zu bedienen – hat stets die Tendenz, einer gewissen Essenzialisierung der anderen Religion Vorschub zu leisten. So klar es auf der einen Seite ist, dass interreligiöses Lernen ohne Rekurs auf bestimmte Überzeugungen und Praktiken nicht möglich ist, so unklar ist es auf der anderen Seite, wie mit diesen Wissensbeständen so zu verfahren ist, dass die Gefahr der Festlegung der anderen von außen auf dieses Wissen eingedämmt werden kann.[5]
So ist es nicht verwunderlich, dass die Theorien des interreligiösen Lernens inzwischen der Forderung nach Vermittlung von Grundwissen eher skeptisch gegenüberstehen. Während etwa das viel gelesene Standardwerk von Leimgruber (2007) das Hauptaugenmerk auf die inhaltliche Begegnung vom Christentum mit den anderen Weltreligionen legt und folglich der Vermittlung von Basiswissen breiten Raum gibt (vgl. auch Lachmann, Rothgangel & Schröder, 2010), verzichten etwa Sajak (2018) weitgehend und Meyer (2019) vollkommen auf inhaltliche Skizzen der jeweils anderen Religionen. Meyer schlägt vor, konsequent überhaupt nur noch von „muslimischen Traditionen“ (Meyer, 2019, S. 25) usw. zu sprechen, statt von ‚dem‘ Islam oder ‚dem‘ Buddhismus. Davon zeigen sich auch im hiesigen Interview-Material Spuren:
„Ich kann gar nicht anfangen mit einer Religion irgendwelche Inhalte zu vermitteln, also da müsste man dann eine eigene Lehrveranstaltun- also sprich ich habe völlig darauf verzichtet hier irgendwelche Wissensbestände, so Feste oder Glau- Gottesvorstellungen oder geschichtliche Dinge einzubauen.“ (D2, Pos. 24)
Im Fortgang des Interviews bezieht sich die Lehrperson für ihre Skepsis ausdrücklich auf das genannte Buch von Karlo Meyer sowie ferner auf Auseinandersetzungen mit der in dieser Hinsicht ähnlich gelagerten Position von Joachim Willems (vgl. Willems, 2011).
2.2 Reflexion des eigenen Blicks
Das zuletzt wiedergegebene Zitat lässt offen, worin denn dann das primäre Ziel interreligiösen Lernens liegen könnte, wenn es nicht in der Vermittlung von Grundwissen besteht. Hierzu findet sich einige Zeilen weiter unten folgende Ausführung:
„sondern es geht um die Rahmenbedingungen, didaktischen Konzepte“ (D2, Pos. 24)
Die Erarbeitung didaktischer Konzepte versteht sich in gewisser Weise von selbst; was hingegen unter „Rahmenbedingungen“ zu verstehen ist, bleibt an dieser Stelle offen. Ein anderes Interview spricht sich dazu etwas umfangreicher aus. Ziel interreligiösen Lernens sei,
„dass die Studierenden erkennen, dass Menschen nie nur Träger ihrer Religion sind, sondern natürlich multiple Identitäten besetzen und Relig- also was Religion für jemanden bedeutet ganz unterschiedlich sein kann in verschiedenen Kontexten und jemand eben nicht nur Moslem ist, sondern auch großer Bruder, kleine Schwester, Fußballfan usw. und so fort, um eben diesem Othering und der Essenzialisierung so vorzubeugen.“ (D1, Pos. 12)
Die oben bereits angesprochene Festlegung von außen auf ganz bestimmte Lehrsätze oder Gebote ist eine Strategie des Othering (vgl. zu diesem Begriff Riegel, 2016, S. 51–75), also derjenigen Praxis, welche andere Menschen zu ‚Anderen‘ macht, und bei welcher ausgeblendet wird, dass das, „was Religion für jemanden bedeutet, ganz unterschiedlich sein kann in verschiedenen Kontexten“. In dieser Passage findet sich aber auch noch die Abgrenzung zu einer zweiten, vermutlich ebenso häufigen Strategie, nämlich das Festlegen der Totalidentität des anderen auf seine bzw. ihre Religion. Der an sich gut bekannte Umstand, dass das Religiöse in modernen Gesellschaften nicht die alles bestimmende Wirklichkeit der Identität sein kann (vgl. Zarnow, 2010, S. 185–241) wird häufig für Angehörige anderer Religionen nicht zur Geltung gebracht, sondern hier wird vermutet, dass jeder Aspekt der Identität des Gegenübers unmittelbar mit der Religion zu tun habe. Infolgedessen ist die Reflexion dieser Othering-Prozesse nach dieser Auskunft das primäre Ziel des interreligiösen Lernens. Nicht dies oder jenes inhaltlich zu wissen, sondern die fatale Dynamik der Essenzialisierung gehört dann zu den „Rahmenbedingungen“ interreligiöser Lernprozesse.
Angesichts dessen, dass dieses Ziel in der neueren religionspädagogischen Literatur zum Thema – zu Recht – als sehr zentral angesehen wird, muss man konstatieren, dass sich diese Zentralität im Interview-Material noch nicht in gleicher Weise widerspiegelt. Ob dies direkt mit dem beinahe als diskursivem Zwang erlebtem Zug zum Grundwissen (die Studierenden wollen es, die Gesellschaft fordert es, die Dozierenden sehen sich in der Pflicht) zusammenhängt, kann auf der vorliegenden Datenbasis nicht entschieden werden.
Als verwandt, wenn auch in etwas alltäglicherer Form formuliert, kann das Ziel verstanden werden, man wolle durch interreligiöse Lernprozesse Vorurteile überwinden:
„Dann glaube ich, dass es […] eben wichtig ist, die eigenen Vorurteile zu überwinden, indem man sich damit auseinander setzt.“ (D2, Pos. 21)
Das Vor-Urteil, das als zu überwindendes ja zumindest partiell ein Fehl-Urteil darstellt, kann sich einerseits aus mangelnder Information speisen:
„Wobei ich natürlich auch nicht frei bin von Vorurteilen. Das, das ist mir auch klar. Ähm, das ist dann an Mangel- An Mangel von, von Wissen liegt das natürlich dann meistens.“ (D2, Pos. 19)
Oder bündiger:
„Je weniger man weiß, umso größer sind die Vorurteile.“ (D2, Pos. 21)
In diesem Sinne ließen sich Vorurteile im Unterricht relativ schnell beheben. Insofern bräuchte es allerdings keine wirkliche „Auseinandersetzung“, welche diese Lehrperson ja gerade anstreben möchte. Der gewichtigere Fall liegt dann vor, wenn sich Vorurteile nicht einfach durch eine sachgerechte(re) Information überwinden lassen. Diese Lehrperson macht für die Entstehung der Vorurteile etwa die Sozialisation verantwortlich. Hier scheint es sich also um grundlegendere Probleme zu handeln, welche nicht bloß durch vermehrtes Wissen behoben werden können. Damit kommt man der Sache nach auf die Reflexion des eigenen Blicks zurück: Die Vorurteilsstruktur kommt durch die Unangemessenheit der eigenen hermeneutischen Brille zustande, mit welcher man sich der anderen Religion nähert. Ihre Überwindung kommt im pädagogischen Prozess durch die Mechanismen zustande, welche die diversity-Pädagogik inzwischen herausgearbeitet hat: dadurch, dass die oder der Einzelne nie als Repräsentant der größeren Gruppe angesehen werden darf, dass die andere Religion stets als in sich plurale Größe verstanden werden muss, dass die Identität des Gegenübers nie als von seiner Religion totalbestimmt angesehen werden darf usw. (vgl. Kermani, 2016; Röther, 2019, S. 63–66).
Insofern die Vorurteilsstruktur auch bei Menschen konkret vorkommt, denen in anderer Hinsicht durchaus ein großes Wissen über andere Religionen bescheinigt werden muss, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass dieses Lernziel der Reflexion des eigenen Blicks das weitaus wichtigere ist und dass ein unreflektiertes Bedienen des Impulses nach Grundwissen immer in der Gefahr steht, einer Essenzialisierung des Gegenübers gerade Vorschub zu leisten.
„Aber ansonsten versuche ich mehr dekonstruierend zu arbeiten erstmal und erstmal Vorannahmen hinterfragen, erstmal auch Selbstreflexion und ich bin vielmehr dahin gekommen eigentlich zu versuchen – also ich glaube im Religionsunterricht geht es vielmehr darum, Haltung zu entwickeln und weniger darum, jetzt irgendwie die fünf Säulen des Islams auswendig zu lernen. Und da versuche ich eigentlich mehr hinzukommen. Also auch- theologisches Wissen ist auch wichtig, weil es sind Theologen aber eher um halt auch einen Prozess anzuregen, um Selbstreflexion anzuregen, und nicht um irgendwie, genau ja, um irgendwas über den Islam auswendig zu lernen“ (D1, Pos. 18; mit Verweis auf Kaddor, Karabulut & Pfaff, 2019).
Die Vermutung, dass hier ein echter Zielkonflikt vorliegen könnte (und zwar aufgrund der Anmutungen der Studierenden, welche meinen, vor allem Grundwissen für die spätere Berufspraxis nötig zu haben), legt auch noch ein anderes Interview nahe:
„Also mir ist es sehr wichtig, dass man eben, also diese Differenziertheit erreicht. […] Das ist mir ganz wichtig aber die Studierenden sind davon sehr genervt, weil sie wollen ja eine eindeutige Antwort, die sie dann auch möglichst in der Schule eindeutig so weitergeben können und das finde ich ehrlich gesagt gefährlich und das kommentiere ich manchmal auch.“ (D3, Pos. 13)
In diesem Zusammenhang stimmt die Beobachtung innerhalb unseres Projekts bedenklich, dass „wissensorientierte Lehreinheiten […] nicht mit der personalen Ausrichtung […] zusammengehen, sondern additiv bleiben“ (Reis, Saß & Borchert, 2022, N.N.).
2.3 Das existenzielle Nachdenken über die andere religiöse Tradition
Der Kontakt mit einer anderen religiösen Praxis kann die unterschiedlichsten Reaktionen hervorrufen. Karlo Meyer hat sich eine Gruppierung solcher Reaktionsmöglichkeiten zur Grundlage seiner Typologie möglicher Forschungshaltungen beim interreligiösen Lernen gemacht: „religionswissenschaftlich forschen“, „Gräben und Brücken managen“, „sich (g)lokal engagieren“, „existenzielle Fragen angehen“ (Meyer, 2019, S. 186).
Während drei dieser Typen auf jeden Fall damit rechnen, dass man in der Begegnung auf wie immer geartete Weise religiös bei sich selbst bleibt, ist der Typ „zum [gemeinsamen] existentiellen Nachdenken aktivieren“ in dieser Hinsicht zumindest mehrdeutig.
Noch eine weitere bestimmte Art von Reaktion ist aus der Literatur bekannt (vgl. z.B. den bei Overhoff, 2020, S. 41, wiedergegebenen klassischen Bericht von des Aufklärungspädagogen Johann Bernhard Basedow): die angerührte Faszination von der anderen Religion. Diese Art der Faszination, die allerdings dann erst in zweiter oder dritter Hinsicht auch in ein Nachdenken überführt wird, findet sich im vorliegenden Interview-Material nicht bzw. nur ganz am Rande. Sie findet aber ihren Reflex in der Zielstellung einer Lehrperson, welche nach einer befremdlichen Erfahrung mit einer überapologetischen christlichen Kollegin zu Protokoll gibt:
„Und da habe ich dann eine Unterrichtsreihe zum Thema Hinduismus konzipiert […] Und da war es mein Ziel im Unterricht, den Schülern und Schülerinnen diese Faszination für die Fremdheit der Religion verständlich zu machen.“ (D6, Pos. 18)
Diese Zielstellung ist im Kontext des Interviews u. a. deswegen interessant, weil von einer besonderen Faszination der Lehrperson für den Hinduismus in den recht ausführlichen Äußerungen gar nicht die Rede ist. Ob nun durch die unterrichtliche Präsentation Faszination geweckt werden soll oder ob eine Faszination für den Hinduismus bei den Schülerinnen und Schülern bereits vorausgesetzt wird – und dann aber auch „verständlich“, d. h. nachvollziehbar gemacht werden soll –, ist aus dem Material nicht zu entscheiden.
Der Regelfall bei dem, was als gelungene Auseinandersetzung dieser Art angesehen wird, besteht darin, in der Auseinandersetzung mit dem anderen tiefer in die eigene Tradition hineingeführt zu werden:
„eben wirklich sich da auseinanderzusetzen mit, dadurch sich selbst besser zu verstehen und den anderen auch besser verstehen.“ (D6, Pos. 29)
Verständnis des anderen und Verständnis der eigenen Traditionen verstärken sich nach dieser Auffassung wechselseitig. Hierbei geht es aber nicht nur um den hermeneutischen Zugriff etwa auf Geschichte oder Glaubensgrundlagen. Sondern die Auseinandersetzung erweist für eine andere Lehrperson auch die Notwendigkeit einer religiösen Selbstverortung:
„Natürlich entdecke ich ja auch im Anderen oder durch das Andere ja au- oder wieder stärker meine Religion und erkenne vielleicht erst, wie ich bestimmte Sachen sehe und da für Religionslehrkräfte in meiner Sicht, auch wenn das nicht alle so sehen, die eigene Religiosität doch auch eine Rolle spielen sollte und eine eigene Verortung zu bestimmten Glaubensfragen wichtig ist, ist es glaube ich wichtig sich eben, ja, in Distanz über andere Religionen auch immer wieder zu dem Eigenen zu verorten“ (D1, Pos. 9)
Streng genommen wird an die Positionierungswilligkeit vor allem appelliert: Es wäre „wichtig“, sich zu positionieren und bei dieser Gelegenheit auch die dabei auftretende „Distanz“ in Kauf zu nehmen. (Ob diese Distanz dann bei ihr selbst oder – nach ihrer Erfahrung – bei anderen auch wirklich aufbricht, wird nicht gesagt.)
Neben diesen beiden Zielstellungen taucht – wenn auch nur einmal – noch eine dritte auf: Hier kann das existenzielle Nachdenken dazu führen, dass man als Christin oder Christ einzelne Elemente der anderen Religion für sich übernimmt und in die eigene Glaubenspraxis integriert:
„um dann zu schauen ‚Ah, warum machen die das so und was könnte ich davon eigentlich- oder was könnten wir aus den christlichen Traditionen vielleicht davon übernehmen?‘“ (D1, B8)
Erneut wird allerdings nicht berichtet, dass dies wirklich passiert ist, sondern lediglich, dass es ein mögliches Ergebnis des interreligiösen Lernens sein könnte – freilich eins, mit dem durchaus zu rechnen und das vielleicht sogar wünschenswert wäre. Dies zeigt recht deutlich der Numerus-Wechsel im Personalpronomen an: Es ist nicht nur ein Ergebnis, das sich für die Lehrperson selbst subjektiv einstellen könnte, sondern für das „wir aus den christlichen Traditionen“ insgesamt in Anschlag gebracht werden; ein „Wir“, das nicht näher spezifiziert wird und folglich potenziell alle Christ*innen meint. Es scheint nach dieser Auffassung ein mögliches Ziel des interreligiösen Lernens zu sein, dass man externe Vorstellungen in seinen religiösen Haushalt „übernimmt“.
Treten wir an dieser Stelle einmal einen Schritt zurück. Auf den ersten Blick klingt das existenzielle Nachdenken wie eine besonders engagierte Form des interreligiösen Lernens. Es scheint den beglückenden Erfahrungen zu entsprechen, von denen einige Experten des interreligiösen Dialogs immer wieder einmal berichten (vgl. z.B. Weiße, 2020). Bei näherem Hinsehen sind die Ziele, die im Interview-Material daraus spezifiziert werden, nicht ganz so unproblematisch, wie sie zunächst scheinen, zumal für den Hausgebrauch des interreligiösen Lernens. Betrachten wir zunächst die „Faszination“. Sie setzt zum einen voraus, dass „Faszination“ für eine andere Religion als theologisches Anliegen der eigenen Religion rekonstruiert werden kann. Aus christlicher Sicht ist nicht so klar, wie dies geschehen und begründet werden sollte. Eine denkbare Begründungsfigur ist seit der Aufklärung die Vermittlung über einen allgemeinen Religionsbegriff: Das, was das Wesen der Religion ausmache, finde sich auch bei anderen Religionen verwirklicht. Rudolf Otto etwa sprach bekanntlich von der Religion als Begegnung mit dem Heiligen als dem Mysterium „fascinans“ (Otto, 1917, S. 43). Diese Begründungsfigur mündet in der Tradition des liberalen Christentums zumeist in dem vermeintlichen Nachweis, dass im Christentum (vor allem im liberalen Protestantismus) das Wesen der Religion am reinsten zur Darstellung komme (vgl. Pfleiderer und Matern, 2021). Zum anderen stellt sich mir aber die Frage, ob dieses Ziel, „Faszination“ zu wecken, im Gespräch der Religionen auch als wechselseitiges Ziel aufgestellt werden kann, ob also auch nur Judentum und Islam ebenso zu einer Faszination für das Christentum anhalten (sollen). Ist dies nicht der Fall, droht m. E. diese ‚christliche‘ Haltung so etwas wie einen Exotisierungs-Diskurs zu beerben.[6] Man schaut sich andere Religionen an, ist irgendwie fasziniert – aber es ist nicht recht zu verstehen, was das bringen soll und ob es nicht auch eine Form des Othering darstellt. In gleicher Weise kann auch das zweite Ziel, die ‚Vertiefung des Eigenen‘ als Funktionalisierung der anderen verstanden werden, wenn es nicht gegenseitig ratifiziert wird. Nur, wenn man gemeinsam beschließt, sich gegenseitig bei der Vertiefung zu helfen, liegt keine subtile Indienstnahme des anderen vor (bei der im Übrigen auch fraglich ist, wie sie aus der Perspektive der christlichen Theologie immanent zu rechtfertigen wäre). Dasselbe ließe sich schließlich auch in Bezug auf das entspannte ‚Schauen, was man übernehmen kann‘ sagen. Zwar kann einerseits das Christentum von Haus aus als synkretistische Religion verstanden werden (vgl. Wagner, 1994). Andererseits lässt sich aber auch vertreten, dass einzelne Elemente von Religionen lediglich innerhalb ihrer größeren „konnektiven Struktur“ (Bauer, 2019, S. 191) Sinn ergeben. Ob es von daher beim interreligiösen Lernen eine empfehlenswerte Haltung ist, jene einzelnen Elemente so zu betrachten, dass man sie aus dieser Struktur einfach herauslösen und sich aneignen kann, dürfte zumindest fraglich sein. Die Beobachtungen in unserem Projekt legen es auch nicht nahe, dass die Studierenden das interreligiöse Lernen in dieser Hinsicht nutzen wollen (vgl. Reis, Saß & Borchert, 2022, N.N.) Das liegt aber möglicherweise auch daran, dass die institutionellen Rahmenbedingungen der Universität aufgrund äußerer Faktoren dem Aspekt des existenziellen Nachdenkens im interreligiösen Lernen nicht günstig zu sein scheinen.
3 Die so genannte „Wahrheitsfrage“
In Lernsettings, die – wie der schulische Religionsunterricht in Deutschland und die entsprechende universitäre Ausbildung – in Partnerschaft von Staat und Religionsgemeinschaften (und in diesem Sinne „konfessionell“) organisiert sind, darf es um Beheimatung, Verankerung, Vertiefung, Identitätsbildung in der je eigenen Religion gehen. Insofern man sich in aller Regel dabei eben genau einer Religion zugehörig fühlt,[7]zwischen den Religionen aber immer auch kognitive und handlungspraktische Differenzen bestehen, leuchtet es zunächst ein, dass es beim interreligiösen Lernen auch zum „Streit um die Wahrheit“ (Schröder, 2021, S. 492) kommen soll: Einen „respektvollen Streit anbahnen“ (Schröder, 2021, S. 480) wird also zum Lehrziel. Insofern verwundert es nicht, dass auch im vorliegenden Interview-Material festgehalten wird:
„Und natürlich, wenn es darum geht, wenn die Religion eben im Kontext des Christentums betrachtet wird. Da stellt sich die [Wahrheits-] Frage auch automatisch.“ (D3, Pos. 4)
Im Vergleich dazu fällt allerdings ein ganz gegenläufiger Befund auf, dass nämlich empirisch von auf Wahrheit zielenden Verhandlungen so gut wie gar nicht berichtet wird. Eher im Gegenteil:
„[W]enn ich jetzt nur über die Erfahrungen in den Uni Seminaren sprechen soll, wenn das jetzt Ihr Hauptinteresse ist, muss ich sagen, dass da praktisch nichts passiert, an großen Auseinandersetzungen, Gesprächen, Dialogen.“ (D5, Pos. 12)
Das theoretische Wissen um die vermeintlich hohe Bedeutung der Wahrheitsfrage wird von Studierenden zwar mitgeführt, aber nach Meinung einer anderen Lehrperson weniger als etwas, das im Diskurs der Studierenden auch wirklich vorkommt:
„sie können dann eben auf so einer Metaebene reflektieren, welche Wahrheits- welche Modelle es zu verschiedenen Wahrheitsansprüchen gibt, aber ihnen fällt es schwer, sich da selbst zu verorten und dann ist das eine sehr gesteuerte Debatte. Ja sehr- auch eine sehr zähe Seminarsitzung, deswegen spielt das eher weniger konkret eine Rolle.“ (D1, B17)
Man könnte auch sagen: Die Zustimmung zur Bedeutung der Wahrheitsfrage hat für die Studierenden den Charakter des Pflichtschuldigen.
Eine andere Lehrperson schätzt die Dogmatik von Hans-Martin Barth (2008), welche bekanntlich die dogmatischen Lehrstücke im Kontext von parallelen – oder eben auch: widersprechenden – Ausführungen der Weltreligionen entfaltet. Im universitären Unterricht wird sie bei dieser Lehrperson aber trotzdem nicht benutzt:
„Aber ich muss dazusagen, das kommt- das kommt in meinem ähm Seminar nicht vor, also jedenfalls nicht diese letzte Diskussion über dogmatische Topoi, das wäre auch wieder zu speziell glaube ich und da wären die Lehramtsstudenten vielleicht auch etwas überfragt. Aber schon Wahrheitsfrage, Kommuni- Kompetenzen, das hat einen hohen Stellenwert“ (D2, Pos. 24)
Das einzige Mal, wo im vorliegenden Interview-Material tatsächlich von einer Kontroverse im Religionsunterricht berichtet wird, bei der wirklich so etwas wie eine Wahrheitsfrage aufgeworfen wird – nämlich im Gespräch mit einer anwesenden Muslimin –, führt sie zum sofortigen Ende des Kommunikationsprozesses.
„Ich hatte ihnen dann kurz vor Weihnachten, da waren die dann schon ein gutes halbes Jahr in Deutschland, grob erklären wollen, was Weihnachten auch christlich bedeutet und hatte dann eben so erklärt Gott wird Mensch und so und dann guckte mich eine Schülerin völlig entgeistert an und also […] ich glaube die hatte mich vorher eher- also als Vorbild gesehen und dann guckte sie mich sehr sehr entgeistert an und meinte ‚Und das glauben Sie?, also dass Gott Mensch wird und als Baby geboren ist‘, und ich so ‚Ja.‘ Und in dem Moment ist mir erst bewusst geworden, okay, ja was für eine Ungeheuerlichkeit eigentlich auch nochmal in dieser Vorstellung steckt. Und wir haben dann, also sie hat dann relativ schnell versucht immer das Thema zu wechseln.“ (D1, B7)
Damit ist nicht gesagt, dass dieses Vorgehen falsch oder interreligiös unangemessen wäre. Es gibt durchaus einige neuere religionstheologische Positionen, welche dem vermeintlichen Stellen der Wahrheitsfrage keine große Bedeutung zumessen, sondern nach denen die bereicherte Einkehr in das Eigene den eigentlichen Zielpunkt des interreligiösen Dialogs ausmache (vgl. Cornille, 2008; Clooney, 2013). Die Frage wäre dann in Bezug auf die Theorie des interreligiösen Lernens, welche Funktion eigentlich das häufig wiederkehrende Beschwören der Bedeutung der Wahrheitsfrage hat. Dies gilt umso mehr, als die schulischen Kerncurricula – zumindest von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – die Wahrheitsfrage nur am Rande erwähnen, sondern zumeist von „Identitätsbildung“ (Niedersächsisches Kultusministerium, 2017, S. 6) bzw. der „Bereitschaft […], andere Sichtweisen und Gesichtspunkte in der eigenen Urteilsbildung zu berücksichtigen“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014, S. 14) sprechen.
Diese Frage stellt sich noch einmal schärfer, wenn man abschließend auch einmal in den Blick nimmt, an welchen Stellen im Interview-Material dann eben doch starke Positionierungen vorgenommen werden. Gefragt nach theologischen Gründen für das Vorkommen anderer Religionen im Studium, antwortet eine Lehrperson als erstes:
„Also gesellschaftlich erstmal, die Pluralisierung, das ist ganz klar. Es sind halt viele Muslime auf den Straßen zu sehen […] und da ist es halt wichtig, damit tolerant und respektvoll umzugehen, also mit dieser Situation. Auch Grenzen zu setzen, zum Beispiel gegen Gewalt, Fanatismus und Fundamentalismus. […] Und theologisch spricht dafür, dass ich mich selbst besser erkennen kann und auch besser verstehe was Christentum ist im Spiegel des anderen.“ (D4, Pos. 29)
Der explizite „theologische Grund“ kommt erst an dritter Stelle. Zuerst wird ein „gesellschaftlicher“ Grund genannt, der in dem Ziel gipfelt, dass angehende Lehrkräfte es lernen, „Grenzen zu setzen“, was als starke Positionierung gelesen werden kann. Betrachtet man diese Passage näher, so kann man tatsächlich von einem gesellschaftlichen Auftrag an Lehrende sprechen, Grenzen gegen „Gewalt“ zu setzen; man könnte ihn aus Art. 2 Abs. 2 GG ableiten. Doch gibt es auch einen gesellschaftlichen Auftrag, sich vom „Fundamentalismus“ abzugrenzen? Im Lichte des Grundrechts auf Religionsfreiheit ließe sich wohl eher argumentieren, dass man durchaus das Recht hat, persönlich fundamentalistisch gesonnen zu sein, wenn man ansonsten nur friedlich bleibt. Somit spricht einiges dafür, dass die Abgrenzung vom Fundamentalismus in Wahrheit ein theologisches Anliegen ist, welches hier nur als gesellschaftliches markiert wird (zu Recht spricht Eppler, 2015, vom Fundamentalismus als „religionspädagogischer Herausforderung“, insofern man Religionspädagogik als theologische Disziplin versteht). Das interreligiöse Lernen hätte dann die Absicht, sich im Gespräch der Religionen gemeinsam vom Fundamentalismus abzugrenzen (auch dort, wo dies eher indirekt und durch eine Art ‚Einhegung‘ geschieht; vgl. Reis, Saß & Borchert, 2022). Dies Argument dürfte in der öffentlichen Meinung stark verbreitet sein.[8]Interessant ist hier, dass ein tendenziell theologisches Argument als gesellschaftliches markiert wird, wodurch seine Akzeptanz gesteigert wird. Dies passt zu der Beobachtung sowohl dieses als auch des Vorgängerprojekts, dass im Hochschulunterricht das gesellschaftskonforme Mindset (vgl. zum Begriff des Mindsets Reis & Hasenberg, 2022) klar dominiert; bei den christlichen Lehrkräften sogar noch ausgeprägter (vgl. Mauritz et al., 2020; Kamicili-Yildiz &Dobras, 2022).
Noch deutlicher fällt die Positionierung in einem anderen Fall aus. Die oben bereits angesprochene geäußerte Notwendigkeit, das Verhältnis von Judentum und Christentum zu besprechen, wird im Kontext des Interviews von einer Lehrperson auch so begründet:
„Also, um Antisemitismus mit so substitutionstheologischen Gedanken – also einer Theologie, dass das Christentum an die Stelle des Judentum getreten wäre, was ja sehr problematisch ist, wenn ich so eine Theologie vertrete – aber sowas muss- müssen Studierende glaube ich reflektieren, um auch so unterbewusst dem theologischen Antisemitismus vorzubeugen.“ (D1, B9)
Auch von einer weiteren Lehrperson wird dieser Punkt als zentral gesetzt:
„diese ganze Bildung von Antijudaismus, Antisemitismus und wie können wir Theologie so gestalten, dass das nicht auf Kontrastschemata aufbaut.“ (D6, B6)
Diese Passagen sind zunächst nicht im Kontext von Ausführungen zum interreligiösen Dialog zu verorten. In einem weiteren Interview wird dann freilich Antisemitismus als fatale Möglichkeit des Christentums wie auch des Islams gekennzeichnet:
Ja, aus unterschiedlichen Gründen, das kann religiös motiviert sein, es kann auch einfach manchmal Dummheit sein, es kann politisch sein, es kann gegen Israel sein und es ist auch islamisch, ja das kommt vor“ (D8, B14) […] „Also der häufigste von christlicher Seite geäußerte Vorbehalt ist der Auserwähltheitsgedanke bei den Juden, dass das den Juden verübelt wird ja, dass sie angeblich das auserwählte Volk sind.“ (D8, B15)
Religiöses und interreligiöses Lernen, so kann als Übereinstimmung im Interview-Material festgehalten werden, haben die Aufgabe, Antisemitismus zu thematisieren und ihm vorzubeugen. Man könnte hier umgekehrt fragen, ob sich die primäre Motivation dieses Zieles nicht aus einer gesellschaftspolitischen Quelle speist, zu der die theologische Motivation – deren Implikationen von den christlichen Theologien ja tatsächlich erst nach und nach erkannt werden – dann erst sekundär hinzutritt.
Beide Ziele, die Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus und die Kritik des Antisemitismus samt seiner christlichen Vorgeschichte sind in der Tat unverzichtbare Bestandteile des christlichen Theologiestudiums und auch des interreligiösen Lernens. Der Punkt, der hier nur unterstrichen werden soll, ist die Beobachtung, dass diese beiden Angelegenheiten – und z.B. nicht die Inhalte des Glaubensbekenntnisses – im Interview-Material die einzigen sind, bei denen die Wahrheitsfrage kompromisslos gestellt wird und eine Positionierung vonseiten der Lehrenden nicht nur gefordert wird, sondern auch erfolgt.
4 Fazit
Die Durchsicht der Interviews unter dem Gesichtspunkt der Theorie des interreligiösen Lernens hat ergeben, dass manche Zielstellungen und Grundüberzeugungen trotz ihrer breiten Akzeptanz noch gleichsam ‚blinde Flecken‘ aufweisen, welche zu gewissen Schwierigkeiten bei ihrer Umsetzung im akademischen Unterricht führen. Ferner zeigte sich bei einer Reihe von Zielstellungen, dass diese zunächst einmal nur für die christliche Hochschullehre unbefragt gelten, aber nicht ohne Weiteres als wechselseitig gedacht werden können.
Will man eine übergreifende Problemanzeige versuchen, so ließe sie sich versuchsweise so zusammenfassen: Zwar hat man sich unter den verschiedenen Religionsgemeinschaften scheinbar weitgehend auf gemeinsame Ziele verständigt, aber ihre Interpretation wird doch nach wie vor vorwiegend von christlicher Seite aus durchgeführt. Anders gesagt: Die christlichen Hochschullehrer*innen leisten eine inhaltliche Interpretation dieser Zielstellung aus ihrer religiösen Sicht, nehmen dabei aber den partikularen Charakter dieser Interpretation nicht wirklich wahr. Das ist deswegen problematisch, da wir uns nach wie vor in einem von einer Machtasymmetrie geprägten Raum bewegen. An sich haben natürlich die christlichen Teilnehmer ein gutes Recht, ihr Verständnis von interreligiösem Lernen zu entwickeln und zu erproben. Aufgrund der historischen Entwicklung hat aber die christliche Interpretation eine größere Chance auf gesellschaftliche Adaption, und die anderen Religionsgemeinschaften – insbesondere der Islam – haben kaum eine andere Möglichkeit, als sich dieser Deutung weitgehend anzupassen, auch wenn dies möglicherweise von ihren eigenen religiösen Traditionen her gar nicht nahe liegt (zu einer parallelen, ebenfalls tendenziell hegemonialen Problemkonstellation im Hinblick auf die Kooperation im Religionsunterricht vgl. Kubik, 2022).
Hieraus erklärt sich auch der Eindruck, welcher sich hier und da bei der Durchsicht der Ergebnisse von Reis, Saß & Borchert, 2022, aufgedrängt haben mag: nämlich, dass den christlichen Hochschullehrenden scheinbar ein breiteres Repertoire an professionellen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Sieht man einmal davon ab, dass die islamische Religionspädagogik noch ein junges Fach ist und erst dabei ist, wirklich eigene Professionalitätsstandards zu entwickeln (vgl. Tuna, 2019), so liegt hier dennoch ein Schein vor, insofern aus historischer Gewöhnung die christliche Auffassung von religionspädagogischer Professionalität eben größere Chancen hat, gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Aber nach dem geltenden Religionsrecht steht es den anderen Religionsgemeinschaften selbstverständlich ebenso zu, ihre eigenen Auffassungen von Professionalität zum Zuge zu bringen.
Für die Zukunft des interreligiösen Lernens stellt sich im Lichte dieser Überlegung nicht nur die Aufgabe, mehr gemeinsame Lernsituationen zu schaffen und hierbei Positionierungen, statt sie abzumoderieren, didaktisch fruchtbar zu machen, sondern noch mehr die Aufgabe, energischer gemeinsam über die Ziele interreligiösen Lernens nachzudenken – und vielleicht sogar darüber, wie wichtig (oder auch unwichtig) interreligiöses Lernen aus der je eigenen religiösen Tradition heraus eigentlich ist: So haben z. B. jüdische Gelehrte auch der liberalen Richtung kürzlich erst wieder zu Protokoll gegeben, dass ihr „Hauptaugenmerk immer darin bestehe, in erster Linie eine gut verankerte jüdische Identität herzustellen“ (Klapheck & Rappaport, 2017, S. 132). Es wäre also wegen der genannten Machtasymmetrie erforderlich, dass die christliche Seite ihre Grundüberzeugungen davon, was interreligiöses Lernen genau bedeutet, immer wieder erst einmal einklammert, um nicht vorschnell ein Klima zu schaffen, in dem die anderen eigentlich nur noch zustimmen können. Auf diese Weise würde interreligiöse Professionalität in der Performanz ‚zur Schau gestellt‘, nicht aber wirklich im Dialog durchgeführt.
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Klappert ???
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Prof. Dr. Andreas Kubik-Boltres, Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Osnabrück
Ich danke Sophie Hofmeister und Marius Borchert für ihre große Hilfe beim Projekt und bei diesem Text.
Eziden gibt es in Deutschland in nennenswerter Zahl seit den 1960er Jahren; seit den kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in Syrien. Seit dem Jahr 2003 sind inzwischen viele weitere Angehörige dieser Religion nach Deutschland geflohen, sodass es zur Zeit etwa so viele Eziden wie Angehörige der jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt. Verlässliche Erstinformation bietet Lademann-Priemer (2009).
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass auch das bekannte statement orthodoxer Rabbiner zum Dialog mit dem Christentum von „two religions“ (Orthodox Rabbinic Statement, 2015) spricht.
Instruktiv dürfte der Versuch sein, für sich selbst zu bestimmen, was eigentlich genau die „Basics“ des Christentums sein sollen – was genau hätte mein Gegenüber vom Christentum verstanden, wenn es diese „Basics“ kennen würde?
Vgl. die nachdenklich stimmende Szene, die Luna Al-Mousli nach ihrer Übersiedlung von Syrien nach Österreich berichtet: „Dass Haribo-Produkte Tiergelatine enthielten, erfuhr ich erst in Wien, als eine Mitschülerin mich komisch ansah und meinte: ‚Das darfst du doch gar nicht essen. Es ist harām, also verboten.‘ // Ich war irritiert. Sie wusste besser Bescheid als ich? Sie war doch gar keine Muslima. Woher wollte sie also wissen, was halāl war oder harām? Manchmal wusste ich es selbst nicht, und auch meine Familie war sich nicht immer einig.“ (Al-Mousli, 2018, S. 122). Die konkrete ambige Praxis der muslimischen Familie wird durch das „Grundwissen“ einer österreichischen Nicht-Muslima von außen vereindeutigt, das außerdem zur Markierung von sozialen Grenzen herangezogen wird.
Nach meiner Erfahrung aus vielen Gesprächen mit Lehrkräften finden Schüler*innen es zumeist interessant, wenn „auch andere Religionen“ im Religionsunterricht vorkommen. Aber warum und von welcher Warte aus ist das eigentlich so?
Ausnahmen bilden etwa die Kinder gemischtreligiöser Eltern; aber auch abgesehen davon wird neuerdings auch über „multiple religious orientation“ (Diller, 2016) nachgedacht.
Dies wäre dann ein solcher Fall, in dem sich die Gesellschaft in einer Art „Zivilreligion“ ein theologisches Argument zu eigen macht: dass es nämlich „im Unterricht darauf an[kommt], unterscheiden zu lernen zwischen […] fundamentalistischen und aufgeklärten Formen von Religion“ (Niedersächsisches Kultusministerium, 2017, S. 29). Eine solche Unterscheidung ist, wenn mit ihr eine Wertoption verbunden ist, selbst nur von einem religiösen Standpunkt aus zu fällen.