Akademische Schriftenreihen sind Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen und Trends. Sie verweisen auf Themenfelder, Fragen und Probleme, die Wissenschaftler:innen nicht nur beschreiben und analysieren, sondern bestenfalls auch beantworten und lösen wollen. Manchmal verschwinden Schriftenreihen wieder nach einiger Zeit, meistens entwickeln sie sich jedoch weiter und bleiben aktuell.
Als Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen und Trends kann auch die 2022 begründete, von Christian Wiese und Nina Fischer herausgegebene Reihe Religiöse Positionierungen in Judentum, Christentum und Islam gelten. Die im Verlag de Gruyter angesiedelte Reihe ist aus dem hessischen Exzellenzprojekt Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten (RelPos, 2017–2021) an der Goethe-Universität Frankfurt und der Justus-Liebig-Universität Gießen erwachsen. An dem ambitionierten interdisziplinären Projekt waren Wissenschaftler:innen u.a. aus den Sozial-, Islam-, Religions- und Erziehungswissenschaften sowie der Judaistik, Theologie und Religionspädagogik beteiligt (zur Forschungsidee siehe Wiese, 2017; zu den einzelnen Teilprojekten LOEWE, 2018).
Der folgende Beitrag beschreibt die Projektidee und Zwischenergebnisse des religionspädagogischen Teilprojekts der Evangelischen Theologie in diesem Forschungsverbund. Zugleich steht das Frankfurter Projekt im Kontext eines wachsenden bildungspolitischen und religionspädagogischen Interesses an diesem Thema. Die zu diesem Thema organisierte Jahrestagung der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik (GwR) 2022 in Erfurt und der dort diskutierte Koblenzer Konsens zur Religionsdidaktik: Theologische Positionalität im Kontext religiöser Bildung können ebenso wie die eingangs erwähnte Schriftenreihe als Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen und Trends gelten. Beide folgen der auch sonst beobachtbaren Tendenz, heute „lieber von ‚Positionalität‘, ‚Position beziehen‘ oder ‚Standpunktbezogenheit‘ im Religionsunterricht zu sprechen als von ‚konfessionell‘ oder von ‚Konfessionalität‘“ (Schweitzer, 2022, S. 356, kritisch mit Bezug auf Verburg, 2017 und die aktuelle Diskussion über einen Christlichen Religionsunterricht in gemeinsamer Verantwortung der Kirchen in Niedersachsen). Nicht immer wird in den bildungspolitischen Debatten deutlich, was genau unter ‚Positionalität‘, ‚Positionierung‘ und anderen Begriffen zu verstehen ist.
1 Positionalität und/oder Positionierung: Anmerkungen zum bildungspolitischen und interdisziplinären Forschungskontext
Der Koblenzer Konsens argumentiert als bildungspolitisches Positionspapier für die Positionalität der Inhalte und Akteure religiöser Bildung in einem verfassungskonformen Religionsunterricht. Ein Neutralitätsgebot, wie es beispielsweise der Beutelsbacher Konsens für die Politikdidaktik (1976) formulierte, sei daher für den schulischen Religionsunterricht nicht denkbar. Zum Ersten werden die Inhalte des Religionsunterrichts in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer Religionsgemeinschaft (vgl. Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes) erteilt (Positionalität I im Sinne von ‚Bekenntnisgebundenheit‘ bzw. ‚Konfessionalität‘). Zum Zweiten sollen Schüler:innen im Religionsunterricht nicht nur Wissen erwerben, anwenden und reflektieren, sondern auch dazu befähigt werden, einen eigenen Standpunkt einzunehmen (Positionalität II im Sinne des dritten Anforderungsbereichs der EPA, d.h. der von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur bzw. der zu erlernenden Urteils- und Handlungsfähigkeit). Und zum Dritten kommt Positionalität im Koblenzer Konsenspapier auf Seiten der Religionslehrkräfte ins Spiel. Diese sollen im Unterricht religiöse, d.h. auf eine konkrete religiöse Praxis bezogene sowie theologische, d.h. wissenschaftlich reflektierte Standpunkte transparent, kontrovers, respektvoll und rational begründet vertreten (Positionalität III).
Das im Koblenzer Konsens formulierte Transparenz‑, Kontroversitäts‑, Respekt‑ und Begründungsgebot ist anschlussfähig an das interdisziplinäre Theoriekonzept des Frankfurter und Gießener RelPos-Projekts, in dessen Zentrum „die Frage nach den Bedingungen und Grenzen eines konstruktiven, respektvollen Umgangs mit religiöser Vielfalt und Differenz“ stand (Wiese, 2022). Während das im Koblenzer Konsens verwendete Substantiv ‚Positionalität‘ allerdings den Eindruck erwecken kann, dass feststehende Überzeugungen und statische Lehren im Religionsunterricht erworben oder diskutiert werden sollen, verweist das Verb eher auf den Prozesscharakter des sich Positionierens in wechselnden, dynamischen Konstellationen. Auf dieser begrifflichen Unterscheidung basieren zumindest die im RelPos-Kontext entstandenen Forschungsarbeiten zum Religionsunterricht im globalisierten Klassenzimmer an beruflichen Schulen (vgl. Sorg, 2020), zu Positionierungsaufgaben im Ethik- und Religionsunterricht (vgl. Käbisch & Philipp, 2022), zur Professionalisierung von Lehrkräften im Umgang mit Religion in Bildungsorganisationen (vgl. Diehm, Geier & Stošić, 2022) und zu den Bildungsaktivitäten der ‚Gülen-Bewegung‘ (vgl. Geier & Magnus, 2022).
Die Saarbrückener Habilitationsschrift von Stefanie Lorenzen beschäftigt sich demgegenüber programmatisch mit dem Entscheiden als Zielhorizont des Religionsunterrichts und bringt den Positionierungsbegriff eher als sprachliche Lösung auf ein Problem ins Spiel (Lorenzen, 2020). Die 14 autobiographischen Interviews mit Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 26, die nach den Grundsätzen der Grounded Theory Methodology (GTM) ausgewertet wurden, machten deutlich, dass der Begriff der Entscheidung im Sinne einer freien und bewussten Wahl zwischen mindestens zwei Handlungsoptionen zu eng gefasst ist, um die Dynamik und Unbestimmtheit religiöser Positionierungsprozesse differenziert analysieren zu können. Charakteristisch für die Interviewten ist nicht das Entschieden-Sein, sondern das Phänomen der religiösen Unentschiedenheit bzw. Halbdistanz und Indifferenz, wie es der Religionssoziologe Detlef Pollack bereits vor 25 Jahren beschrieben hat (vgl. Pollack, 1996, S. 81).
2 Die Projektidee: Positionalität und Positionierung im Spiegel von Lernaufgaben
Prinzipiell kamen zu Beginn des Projektzeitraums für die Analyse von Positionierungsprozessen drei Analyseebenen in Betracht: zum Ersten die Auswertung von Lernaufgaben in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien, zum Zweiten die qualitative oder quantitative Befragung von Ethik- und Religionslehrkräften und zum Dritten die empirische Beobachtung der Schülerinnen und Schüler selbst. Schnell zeigte sich angesichts fehlender Vorarbeiten auf dem Feld der Aufgabenanalyse (vgl. Philipp, 2020a) und der großen Zahl an Curricula, Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien für den Ethik- und Religionsunterricht unterschiedlicher Klassenstufen und Schulformen, dass sich das Teilprojekt aus arbeitsökonomischen Gründen auf sogenannten Positionierungsaufgaben, d.h. auf die erste Analyseebene fokussieren sollte. Unter einer Positionierungsaufgabe wurden dabei, so die Arbeitsdefinition am Beginn des Forschungsprozesses, alle Lernaufgaben verstanden, die sich dem dritten Anforderungsbereich der von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten EPA zuordnen ließen. Aufgabenformate zielen demnach entweder 1.) auf die Reproduktion, 2.) auf die Anwendung oder 3.) auf die Beurteilung von Wissen. Eine Aufgabe wie „Nennen Sie die fünf Säulen des Islams“ gehört demnach zum ersten Anforderungsbereich, die Aufgabe „Wenden sie die Schritte der ethischen Urteilsbildung auf den Kopftuchstreit an“ zum zweiten.
Im Zentrum der geplanten synchron- und diachron-vergleichenden Schulbuchanalyse standen anfangs Aufgaben aus dem dritten Anforderungsbereich. Beim synchronen Vergleich sollten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Aufgabenkultur der untersuchten vier Fächer beschrieben werden. Beim diachronen Vergleich stand demgegenüber die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Darstellung religiöser Positionen und die Aufgabenkultur gewandelt haben. Das „Kursbuch Religion“ ist beispielsweise seit 1976 in sieben Neubearbeitungen erschienen. Inwieweit der religiöse, aber auch der politische und pädagogische Wandel in den Neuauflagen eine Rolle spielt, ist zuletzt für die Darstellung des globalen Südens in diesem Lehrwerk (vgl. Henningsen, 2022), bislang aber nicht für die darin enthaltenen Positionierungsaufgaben untersucht worden.
Auch für das Sich-Positionieren-Lernen im Religionsunterricht gilt der allgemeindidaktische Grundsatz, dass der Unterricht Kopf, Herz und Hand, d.h. das Denken, Fühlen und Handeln der Schüler:innen einbeziehen und fördern sollte. Dem Zusammenhang von Rationalität, Emotionalität und Performativität wurde daher im Frankfurter und Gießener Forschungsverbund besondere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. dazu die systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Teilprojekte von Heiko Schulz, Roderich Barth und Ursula Roth). Der erste Eindruck von den Unterrichtsmaterialien konnte inzwischen bestätigt und ausdifferenziert werden: Positionalität wird in den ausgewerteten Unterrichtswerken vor allem als ein kognitiver Vorgang verstanden, während emotionale und performative Aspekte tendenziell ausgeblendet werden.
Verbindungen des religionspädagogischen Teilprojektes zu den erziehungswissenschaftlichen Teilprojekten von Harry Harun Behr und Meltem Kulaçatan sowie Isabell Diehm und Patricia Stošić (vgl. LOEWE, 2018) ergaben sich anfangs bei der Frage nach dem Lebensweltbezug der Schulbücher. So kann an älteren Schulbüchern gezeigt werden, dass die religiösen Selbstentwürfe junger Musliminnen, aber auch Formen radikaler Positionierung kaum thematisiert werden. Es dominieren religionskundliche Wissensfragen, also Aufgabenformate aus dem ersten Anforderungsbereich. Wissensfragen haben selbstverständlich ihre Berechtigung; sie allein befähigen Schüler:innen jedoch noch nicht, sich zu einem religiösen Sachverhalt differenziert und wertschätzend im Sinne des Koblenzer Konsenses positionieren zu können.
Die Aufgabenanalyse und das daraus entwickelte Analyseraster soll Lehrkräfte befähigen, lebensweltnahe und pluralismusfähige Positionierungsaufgaben aus Unterrichtsmaterialien auszuwählen und selbst konstruieren zu können. Neben diesem unterrichtspraktischen Fokus strebt das Projekt aber auch eine konzeptionelle Klärung des Zusammenhangs von Positionalität, Perspektivität und Identität in Bildungsprozessen an. Denn die mit Kopf, Herz und Hand zu erlernende Fähigkeit zur Perspektivübernahme ist – so die 2017 formulierte Ausgangsthese des Projektes – eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Voraussetzung für eine reflektierte religiöse Positionalität und Identität.
3 Zwischenergebnisse und Ankerbeispiele: Verschiedene Typen von Positionierungsaufgaben
Es liegt in der Logik von Verbundforschungsverbünden und der prinzipiellen Offenheit von Forschungsprojekten begründet, dass die ursprüngliche Projektidee im Gespräch mit den beteiligten Wissenschaftler:innen, aber auch aufgrund eigener Beobachtungen und Einsichten weiterentwickelt wurde. Beispielsweise zeigte sich schnell, dass die drei Anforderungsbereiche der von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten EPA nicht dazu geeignet sind, die Vielfalt an Lernaufgaben zu typisieren und Positionierungsaufgaben zu identifizieren. Bei der Analyse ergaben sich andere Kategorien, Subkategorien und eine darauf bezogene Typisierung von Positionierungsaufgaben.
Als Beispiel seien spontane oder intuitive Positionierungsaufforderungen genannt, die sich von fachwissenschaftlichen Positionierungsaufforderungen, Aufforderungen zur Fremdpositionierung (im Sinne einer Perspektivübernahme) sowie persönlich-begründete Positionierungsaufforderungen unterscheiden (vgl. dazu Käbisch & Philipp, 2022). Bei diesem Aufgabentyp geht es vor allem darum, dass Schüler:innen möglichst spontan und intuitiv einen Standpunkt einnehmen, zum Beispiel:
„Hast du auch eine Vorstellung von Gott? Beschreibe oder zeichne.“ (Hahn & Schulte, 2013, S. 50; zu Beginn einer Unterrichtseinheit als eine Art Lernstandserhebung)
„Lies die einzelnen Aussagen und bewerte sie jeweils mit 0 – 3 Punkten. (0 = finde ich überhaupt nicht, 3 = kann ich voll zustimmen)“ (Eilerts & Kübler5, 2017, S. 59)
„Führt eine Umfrage in eurer Klasse durch und wertet sie aus: Wie wichtig ist euch das Beten?“ (Dierk, Freudenberger-Lötz, Landgraf & Rupp, 2016, S. 53)
Die Aufgabenlösungen werden anhand verschiedener Optionen häufig bereits zur Auswahl gestellt und eine Begründung nicht explizit gefordert. Aufgaben sind meist so formuliert, dass Ein-Wort-Antworten, Ja-/Nein-Antworten oder Verortungen auf einer Skala zur Lösung ausreichen.
Fachwissenschaftliche Positionierungsaufforderung sind weder spontan oder intuitiv, da Schüler:innen implizit oder explizit dazu aufgefordert werden, ihr zuvor erworbenes Fachwissen anzuwenden und eine fachwissenschaftlich gestützte Position zu vertreten. Charakteristisch bei diesem Aufgabentyp ist der fehlende Lebensweltbezug. Wie die persönlich-reflektierte Positionierungsaufforderung lässt sich dieser Aufgabentyp überwiegend auch dem Anforderungsbereich III zuordnen.
„Nimm Stellung zu Gandhis Aussagen. Beurteile sein Jesus-Bild aus christlicher Sicht.“ (Husmann & Merkel, 2015, S. 67)
„Bach unterzeichnet seine Werke, wie viele andere Komponisten, mit ‚Soli Deo Gloria‘, deutsch: Allein Gott gebührt Ehre. – In der Hamburger Michaeliskirche werden während der Krippenandachten zwischen Weihnachten und Neujahr die Darbietungen Bach’scher Werke, die von hohem musikalischem Niveau sind, fröhlich beklatscht. ‚War das nun ein Gottesdienst oder ein Konzert?‘, fragt ein junger Mann beim Hinausgehen. Nimm Stellung zu dieser Frage.“ (Husmann & Merkel, 2014, S. 77)
„Nimm Stellung zu Bonhoeffers Beteiligung am Attentat auf Hitler aus Sicht des Utilitarismus […] und aus Sicht der Pflichtenethik […].“ (Dierk, Freudenberger-Lötz, Landgraf & Rupp, 2017, S. 199)
Aufgaben zur Fremdpositionierung zielen darauf ab, dass sich Lernende vorstellen sollen, wie sich ein Problem oder eine Fragestellung aus den Augen einer anderen Person darstellt, um deren Standpunkt verstehen zu können, zum Beispiel:
„Führt aus Sicht spätmittelalterlicher Bürger eine Pro- und Kontra-Diskussion zu der Frage, ob die Kirche Ablassbriefe anbieten sollte. Achtet besonders auf die Wirkungen, die der Verkauf für die Christinnen und Christen und die Kirche haben kann.“ (Husmann & Merkel, 2013, S. 101)
„Die Personen der Karikaturen treffen sich auf einem Marktplatz und stellen ihre ethischen Argumentationen vor. Entwerft dazu ein Rollenspiel.“ (Dierk, Freudenberger-Lötz, Landgraf & Rupp, 2017, S. 187)
„Bildet zwei Parteien: Bischöfe und Sklaven. Beurteilt aus der Perspektive einer Partei, ob die geschilderten Veränderungen als positiv oder negativ anzusehen sind. Spielt ein Pro- und Kontra-Talkshow.“ (Hahn & Schulte, 2013, S. 112)
Persönlich-begründete Positionierungsaufgaben zeichnen sich dadurch aus, dass eine persönliche Auseinandersetzung der Schüler:innen gefordert wird. Im Gegensatz zur spontanen und intuitiven Positionierungsaufforderung, haben die Lernenden sich hier zuvor intensiv mit der zugrundeliegenden Fragestellung auseinandergesetzt. Die Aufgaben orientieren sich dabei am Anforderungsbereich III und stellen meist das Ende einer Lernphase dar, zum Beispiel:
„Notiere die Argumente der Befürworter und Gegner von Scientology und formuliere eine eigene Position.“ (Hahn & Schulte, 2015, S. 157)
„Manche übersetzen den Satz ‚Jesus hat Blinde geheilt‘ mit ‚Jesus hat Menschen die Augen geöffnet‘. Nimm Stellung zu einem solchen Wunderverständnis.“ (Husmann & Merkel, 2013, S. 75)
„Was ist deine eigene Meinung zum Thema Lügen? Berücksichtige dabei auch das achte Gebot.“ (Eilerts & Kübler, 2017, S. 81)
4 Zusammenfassung
Die Anmerkungen zum bildungspolitischen und interdisziplinären Forschungskontext verdeutlichen, dass ‚Positionierung‘ als eine Art ‚Containerbegriff‘ zu verstehen ist, der viel Interpretationsspielraum zulässt. So wird er je nach Forschungskontext mit unterschiedlichen Attributen assoziiert. Containerbegriffe „bestimmen ein Phänomen, bleiben aber mit der Bestimmung unklar, breit, abstrakt und somit wiederum unbestimmt“ (Weiß, 2017, S. 13). So enthält der Containerbegriff „Positionierung“ Attribute wie „Konfessionalität“, „Transparenz“, „Standpunktfähigkeit“, „Diskursfähigkeit“, „rel. Mündigkeit“ etc. Die Bedeutung ergibt sich vielmehr erst in der Auseinandersetzung mit den entsprechenden Kontexten in der konkreten Untersuchung (vgl. ebd., S. 14).
Die einschlägigen Arbeiten in der Religionspädagogik rollen das Phänomen Positionierung dabei „vom Ende her“ auf. Das heißt, es werden bereits bestehende Positionierungen retrospektiv (meist qualitativ, teilweise typenbildend) analysiert. Forschungsinteresse des hier geschilderten RelPos-Teilprojektes ist es hingegen, zu erörtern, wie Positionierungsfähigkeit und der zugrunde liegende Prozess „vom Beginn her“ (mithilfe von Lernaufgaben) didaktisch angeleitet werden kann – wohlwissend, dass Lernende sozialisationsbedingt bereits verschiedenste Diskurspositionen mit in den Unterricht bringen.
Die Zwischenergebnisse und Ankerbeispiele aus ausgewählten Schulbüchern konnten aufzeigen, dass Lernaufgaben unterschiedliche „Etappen“ im Positionierungsprozess widerspiegeln. In dieser Forschungsarbeit wird demnach zwischen Positionierung in einem weiten sowie in einem engen Sinn unterschieden: Der Prozess des Sich-Positionierens bewegt sich auf unterschiedlichen kognitiven Komplexitätsstufen (spontan und intuitiv oder begründet und reflektiert), beinhaltet verschiedene kognitive Transferleistungen (Fremdpositionierung, Positionierung aus fachwissenschaftlicher Sicht, persönlich-begründete Positionierung) und erfordert mehrere kognitive Prozesse (urteilen, entscheiden, argumentieren, positionieren). Ziel des Religions- und Ethikunterricht ist es, Schüler:innen das „Handwerkszeug“ mitzugeben, um in unterschiedlichen Sachverhalten und Situationen zu bestimmten Zeitpunkten begründete und reflektierte Standpunkte einnehmen zu können. Positionierungen sind dabei dynamisch; Positionierungsprozesse stetige Aushandlungsprozesse.
Für die konkrete Unterrichtspraxis ergeben sich daraus drei Schlussfolgerungen:
Durch intuitive und spontane Positionierungsaufforderungen können bereits bestehende, mit in den Unterricht gebrachte Positionierungen transparent gemacht werden. Positionierungsaufforderungen aus fachwissenschaftlicher Sicht bzw. aus Sicht einer 3. Person ermöglichen es, probeweise andere Sichtweisen einzunehmen. Die Aufforderung, sich persönlich und begründet zu positionieren, aktiviert das zuvor Erlernte und erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und -verortung. Für diese Leistung sind alle drei Anforderungsbereiche im Positionierungsprozess mit zu berücksichtigen.
Eine persönliche, begründete und reflektierte Positionierung fußt auf zuvor gefällten Urteilen, getroffenen Entscheidungen und erarbeiteten Argumentationen. Lernaufgaben sollten diese unterschiedlichen kognitiven Prozesse in entsprechenden Aufgabensettings kumulativ einbauen und transparent machen.
Positionierungen ergeben sich durch Zustimmungs- und Abgrenzungsprozesse und werden möglichst in einem gemeinsamen Diskurs ko-konstruiert. Daher ist darauf zu achten, dass die unterschiedlichsten Beurteilungskriterien, Entscheidungsoptionen und Standpunkte zur Geltung kommen. Im Unterricht sollten vielfältige Materialien bereitgestellt werden und Lernaufgaben interaktive Methoden beinhalten.
Literaturverzeichnis
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Woppowa, J. (2022). Positionierung. Von normativen Verschiebungen und unterrichtlicher Praxis. Theo-Web, 21(2).
Schulbücher
Hahn, M. & Schulte, A. (Hrsg.) (2013). Reli plus 1 Evangelische Religion. Stuttgart & Leipzig: Ernst Klett Verlag.
Hahn, M. & Schulte, A. (Hrsg.) (2015). Reli plus 3 Evangelische Religion. Stuttgart & Leipzig: Ernst Klett Verlag.
Husmann, B. & Merkel, R. (Hrsg.) (2013). Moment Mal! 2 Evangelische Religion Gymnasium. Stuttgart & Leipzig: Ernst Klett Verlag.
Husmann, B. & Merkel, R. (Hrsg.) (2014). Moment Mal! 3 Evangelische Religion. Stuttgart & Leipzig: Ernst Klett Verlag.
Eilerts, W. & Kübler, H.-G. (Hrsg.) (2017). Kursbuch Religion elementar 5. Ein Arbeitsbuch für den evangelischen Religionsunterricht im 5. Schuljahr. Stuttgart & Braunschweig: Diesterweg Westermann.
Dierk, H., Freudenberger-Lötz, P., Landgraf, M. & Rupp, H. (Hrsg.) (2016). Das Kursbuch Religion 2. Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 7./8. Schuljahr. Stuttgart & Braunschweig: Diesterweg Westermann.
Dierk, H., Freudenberger-Lötz, P., Landgraf, M. & Rupp, H. (Hrsg.) (2017). Das Kursbuch Religion 3. Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 9./10. Schuljahr. Stuttgart & Braunschweig: Diesterweg Westermann.
Diese Publikation erscheint im Kontext des vom LOEWE-Programm des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsschwerpunkts „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ (www.relpos.de) an der Goethe-Universität Frankfurt/Justus-Liebig-Universität Gießen mit der Laufzeit von fünf Jahren (2017–2021).
Prof. Dr. David Käbisch, Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Laura Philipp, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Goethe-Universität Frankfurt am Main.