Einleitung
Heutzutage werden in vielen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens immer häufiger Roboter eingesetzt, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind. Sie finden nicht nur im sozialen und religiösen Bereich Anwendung, z.B. in Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen oder Gotteshäusern (Hanandini, 2024; Simmerlein & Tretter, 2024), sondern auch in der allgemeinen Bildung, insbesondere in den MINT-Fächern und im Sprachunterricht. In Bildungsprozessen dienen sie vor allem als Werkzeuge zur Wissensvermittlung oder als vielseitige Lehrassistenten mit einem breiten Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten (Festo, 2016; Atman Uslu, Öztüre Yavuz & Koçak Usluel, 2023; Reich-Stiebert, 2023). Gerade inmitten dieser technologiegetriebenen Transformationen entwickeln sich Roboter zu „hybriden Entitäten“, die die Grenze zwischen digitaler und physischer Welt überschreiten (Alnajjar, Bartneck, Baxter, Belpaeme, Cappuccio, Dio, Eyssel, Handke, Mubin, Obaid & Reich-Stiebert, 2021) und daher Lernprozesse dynamisch begleiten – unabhängig davon, ob es sich um säkulare oder religiöse Kontexte handelt. Insofern gewinnt die Frage nach deren gezielter Implementierung in religiösen Bildungssettings an Bedeutung.
Vor dem kursorisch skizzierten Hintergrund ist zu konstatieren, dass der Einsatz von Robotern im Religionsunterricht nicht zufällig erfolgen darf. Er muss im Einklang mit den grundlegenden Bildungszielen des Faches realisiert werden (Boschki, 2021; Schröder, 2021a), was bereits heute eine Reflexion über die Rolle von Robotern im Unterrichtsprozess und eine durchdachte Planung ihrer Integration unter Berücksichtigung traditioneller Lehr- und Lernmethoden impliziert. Der vorliegende Beitrag stellt sich dieser Herausforderung, indem er zunächst die Charakteristika sozialer Roboter im Hinblick auf den Religionsunterricht herausarbeitet. Anschließend werden interaktive Lehr- und Lernformen für den Einsatz solcher Maschinen in religiösen Bildungsszenarien spezifiziert und abschließend zentrale Konsequenzen für die Anwendung gezogen.
1 Haupteigenschaften sozialer Roboter im Kontext des Religionsunterrichts
Eine vorangehende Bemerkung gilt der Feststellung, dass im interdisziplinären Bildungsdiskurs die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen, welche sich mit dem Thema sozialer Roboter als Lehrassistenten, Lernpartner oder Tutoren befassen, von Jahr zu Jahr exponentiell ansteigt (vgl. u.a.: Alnajjar et al., 2021; Seufert, Guggemos & Sonderegger, 2021; Schulze, Kauffeld & Tanner, 2022; Reich-Stiebert, 2023; Csosch, 2024). Seufert et al. (2021) beschreiben besagte Maschinen im Kontext ihres Einsatzes im Bildungsbereich wie folgt: „Ein sozialer Roboter zeichnet sich durch eine physische Präsenz aus […]. Während ein Roboter viele Erscheinungsformen haben kann (z. B. Drohne, Industrieroboter, Medizinroboter), ist ein sozialer Roboter so konstruiert, dass er mit Menschen interagiert und kommuniziert, indem er Verhaltensnormen folgt, die für menschliche Interaktion typisch sind“ (ebd., S. 477). Dies impliziert, dass soziale Roboter durch ein gewisses Verständnis der menschlichen Interaktion, Sprache, Stimmungen und Emotionen determiniert sind. Dabei stützen sie sich immer häufiger auf KI-Technologien, welche ihnen erlauben, die für die menschenähnliche Kommunikation essenziellen Informationen aus externen Datenbanken oder mittels maschinellen Lernens zu extrahieren. Solche Roboter sind ebenfalls mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet, darunter optische, akustische, taktile sowie positionserfassende Sensoren. Diese geben ihnen die Möglichkeit, Input und Output durch entsprechende Gestik und Motorik zu verstärken und viele Aufgaben selbstständig zu bewältigen (ebd., S. 477–479).
Was einen genuinen Einsatz von sozialen Robotern im Kontext des Religionsunterrichts betrifft, ist zunächst anzumerken, dass bisher nur wenige Versuche unternommen wurden, solche Maschinen zu konstruieren, und dass die existierenden Exemplare (z. B. die Modelle Veldan, NAO, Xian, Celeste und SanTO) technologisch noch nicht besonders weit fortgeschritten sind (Simmerlein & Tretter, 2024, S. 8). Faktisch handelt es sich hierbei um Lernhilfen allgemeiner Art, was sich anhand eines kurzen Überblicks über ihre Funktionen verdeutlichen lässt: Der Roboter Veldan ist nicht in der Lage, mit den Schülerinnen und Schülern zu interagieren. Er wurde so designt, dass er islamische Lehrkräfte dabei unterstützt, den Schülerinnen und Schülern die täglichen Gebete beizubringen (Phys.org, 2014). Der NAO-Roboter wurde in zwei Versionen entwickelt. Die erste basiert auf einem iranischen Lehrbuch für den islamischen Religionsunterricht und übernimmt die Rolle einer Religionslehrkraft, die den Schülerinnen und Schülern das Ritual des „Salaat“ (das traditionelle Tagesgebet) beibringt. Die zweite NAO-Version erzählt den Lernenden die Geschichte vom Propheten Ebrahim und Nimrod und vermittelt ihnen auf narrative Weise die islamische Werteordnung (Alemi, Taheri, Shariati & Meghdari, 2020). Zwei weitere Roboter werden in informellen religiösen Lernprozessen eingesetzt. Xian ist ein Roboter-Mönch, der Tempelbesuchern religiöse oder moralische Fragen zu den wichtigsten Lehren und Schriften des Buddhismus beantwortet (China.org.cn, 2018), während CelesTE (Akafö, 2023) und SanTO (Trovato, Franco, Ramirez, Cerna, Reutskiy, Rodriguez & Cuellar, 2019) Christinnen und Christen nicht nur beim Beten helfen, sondern auch religiöse Ratschläge geben.
Aus religionspädagogischer Sicht ist es wichtig zu betonen, dass solche und ähnliche Roboter – um im Religionsunterricht eingesetzt werden zu können – dazu beitragen müssen, die grundlegenden Ziele religiöser Bildung im Hinblick auf mindestens eine der folgenden zwei Komponenten zu erreichen (Kropač, 2021, S. 20): a) Induktion, d.h. die Lernenden mit der Wirklichkeit von Religion, wie sie sich in einer spezifischen Tradition manifestiert, vertraut zu machen (ebd.); b) Edukation, d.h., sie zu befähigen, eine autonome Position in religiösen Belangen zu entwickeln und sich kritisch mit tradierten religiösen Denk-, Handlungs- und Lebensweisen auseinanderzusetzen (ebd.). Im Hinblick auf diese Zielsetzung des Religionsunterrichts ist es denkbar, dass soziale Roboter den Schülerinnen und Schülern interaktiv u.a. Wissen über die eigene und andere Religionen vermitteln oder z.B. komplexe theologische Phänomene, Fragestellungen und ethische Probleme erläutern. Zudem können sie individuelle Lernprozesse sowie die identitätsbezogene und spirituelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler durch gezielte Begleitung und Rückmeldung anleiten. Auch Simulationen des weltanschaulichen oder interreligiösen Dialogs sind mit ihrer Hilfe denkbar, um die Lernenden auf die Begegnung mit Andersdenkenden und -glaubenden in einer pluralen Gesellschaft vorzubereiten (Simmerlein & Tretter, 2024, S. 8–10).
Dennoch darf die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit dem Einsatz solcher Technologien im Religionsunterricht nicht vernachlässigt werden. Wichtig ist, dass soziale Roboter keinesfalls den persönlichen Kontakt zur Religionslehrkraft ersetzen, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern durch ihre positionelle Verortung, die über eine reine Religionskunde hinausgeht, im Hinblick auf religiöse Lehr- und Lernwege eine Schlüsselrolle einnimmt (Simmerlein & Tretter, S. 8; Chrostowski, 2023, S. 84). Ebenso wenig sollen sie die Interaktion zwischen den Schülerinnen und Schülern selbst substituieren. Soziale Roboter sind vielmehr als Ergänzung und nicht als Ersatz traditioneller Unterrichtsmethoden zu sehen (Reich-Stiebert, 2023). Darüber hinaus bringt die breite Einführung solcher Technologien im Religionsunterricht komplexe ethische und religiös-kulturelle Fragen mit sich, z.B: Inwieweit können Roboter religiöse Vielfalt und unterschiedliche Glaubensüberzeugungen respektieren und angemessen reflektieren? Wie beeinflusst ihr Einsatz u.a. religiöse und ethische Wahrnehmungen der Schülerinnen und Schüler? Es ist daher unerlässlich, dass sie nach hohen Standards entwickelt und eingesetzt werden, die religiöse Vielfalt, persönliche (Glaubens-)Erfahrungen sowie religiöse Überzeugungen respektieren. Dies erfordert die aktive Beteiligung von Theologinnen und Theologen an der Entwicklung von Robotern (Puzio, 2023, S. 13–14; Tretter, 2024, S. 2).
Darüber hinaus können soziale Roboter auch selbst ein wichtiges Thema im Religionsunterricht darstellen. Ihre Thematisierung bietet die Möglichkeit, exemplarisch über die Spannungsfelder zwischen Religion und Digitalität bzw. Künstlicher Intelligenz zu sprechen und kritische Reflexionen sowie Diskussionen über die nicht digitalisierbaren Aspekte des Menschlichen anzustoßen (Freisleder, Happel, Hermann, Käbisch, Kolter, Kromminga, Martini, Nord, Nowak, Otte, Pirner, Schlag, Schreiner, Schröder, Tilgner, Wischnowsky, & Ziemer, 2022, S. 26). Auch die magischen Vorstellungen, die mit Religion verbunden sind, sollten reflektiert werden, da sie im Kontext der Roboterdiskussion neue Bedeutungen erhalten können. Solche Inhalte sollten explizit im Religionsunterricht behandelt werden, um den Schülerinnen und Schülern bewusst zu machen, wie moderne Technologien unsere Wahrnehmung des Sakralen und die religiöse Praxis verändern (Nord & Schlag, 2020).
2 Interaktive Lehr- und Lernformen mit sozialen Robotern
Da Didaktik und Methodik des Religionsunterrichts im Kontext gesellschaftlichen Wandels stehen und von diesem keineswegs isoliert sind (Adam, 2005, S. 174; Adam & Lachmann, 2010, S. 28), führen die obigen Überlegungen in diesem Abschnitt zu einer religionsdidaktischen Konkretisierung, nämlich zur Bestimmung interaktiver Lehr- und Lernformen unter Einsatz sozialer Roboter im Religionsunterricht der Zukunft. Von vornherein ist das Potenzial des Robotereinsatzes im Religionsunterricht hervorzuheben. Dabei ist zu beachten, dass sie in religiösen Bildungsszenarien nicht nur als allgemeine Lernhilfen fungieren, sondern aktiv ethische, theologische und spirituelle Diskussionen fördern können. Durch ihre Fähigkeit, persönliches Feedback zu geben und auf individuelle Fragen der Schülerinnen und Schüler einzugehen, können sie den Reflexionsprozess über religiöse und ethische Themen unterstützen. Dies würde die traditionellen Unterrichtsmethoden wesentlich um eine interaktive Komponente erweitern. Um den Einsatz sozialer Roboter jedoch gezielt und didaktisch sinnvoll in den Religionsunterricht zu integrieren, müssen die verschiedenen methodischen Ebenen des Unterrichtsprozesses berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzuhalten, dass der Religionsunterricht aus vielen kleinen Einheiten besteht, die sorgfältig berücksichtigt werden müssen. Diese Einheiten beginnen auf der Mikroebene, etwa mit dem Betreten des Klassenzimmers, der Begrüßung und den Eingangsfragen, und fügen sich auf der Makroebene zu komplexen Ensembles zusammen, die sich in methodischen Großformen wie Projekten, Lehrgängen oder Trainingsprogrammen verdichten. Die Mesoebene schließlich entfaltet sich in drei Dimensionen (Brieden, 2021, S. 361–362; vgl. auch: Meyer, 2016, S. 116–136; Schröder, 2021b, S. 395–398): 1.Zeitliche Abfolge und Folgerichtigkeit: Die Unterrichtsschritte und -verläufe, die das komplexe Zusammenspiel von Zeit, Methoden, Inhalten und Zielen bestimmen. 2. Handlungsmuster und Aktionsformen: Die Anleitungen zum Handeln im Religionsunterricht, wie Vortragen und Zuhören, die sich zu Handlungskompetenzen weiterentwickeln. 3. Sozialformen: Die Art und Weise, wie Unterricht als Gemeinschaftsprojekt Beziehungen zwischen allen Beteiligten herstellt, beispielsweise durch Methoden wie „think – pair – (square –) share“ (Brieden, 2021, S. 362).
In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass aus der Bildungsforschung bekannt ist, dass Roboter besonders effektiv auf der Mesoebene des Unterrichts eingesetzt werden können, insbesondere in der Rolle von Lehrassistenten, Tutoren oder Peers (Seufert et al. 2021, S. 480; vgl. auch: Belpaeme, Kennedy, Ramachandran, Scassellati & Tanaka, 2018). Dementsprechend sind auch für den Religionsunterricht ähnliche Lösungen gefragt, die traditionelle Unterrichtsmethoden durch interaktive Lehr- und Lernarrangements mit sozialen Robotern ergänzen und erweitern (Reich-Stiebert, 2023, S. 160). Dazu gehören u.a. (ebd., S. 160–163):
a) Gruppenlernen
Im Religionsunterricht gehört die Gruppenarbeit, die aus der religionspädagogischen Auseinandersetzung mit lerntheoretischer Didaktik, Pädagogik und Psychologie hervorgegangen ist, neben handlungsorientierten Unterrichts- und Projektmethoden zu den vorherrschenden Sozialformen (Woppowa 2015, S. 3). Aufgrund ihrer pädagogischen Vorzüge (wie z.B. Eigenaktivität, Schülerzentrierung, Orientierung an sozialen Kompetenzen, selbstständiges Lernen, vgl. Wiemer, Edelbrock & Käss. 2011, S. 10) findet sie in aktuellen religionsdidaktischen Ansätzen wie z.B. dem bewegten Religionsunterricht, dem performativen Lernen und Lehren, der Didaktik des Theologisierens und konstruktivistischen Zugängen breite Anwendung (Gojny, Lenhard & Zimmermann, 2022, S. 148–149; vgl. auch: Lindner, 2012, S. 84–90; Moers, Itze & Zeeh-Silva, 2019, S. 11–35). Auch für den Einsatz von sozialen Robotern im Religionsunterricht scheint Gruppenlernen geeignet, da mehrere Schülerinnen und Schüler miteinander und mit dem Roboter interagieren können. In diesem Sinne nimmt der Roboter nicht selbst aktiv am religiösen Lernprozess teil, sondern soll vielmehr die Interaktionen in der Gruppe moderieren und sie bei der Bewältigung der von der Religionslehrkraft gestellten Aufgaben unterstützend begleiten (Reich-Stiebert, 2023, S. 162). Insofern kann der Roboter im Gruppenlernen zunächst als Tipp- und Feedbackgeber fungieren und z.B. inhaltliche Unklarheiten explizieren und die Einhaltung grundlegender Kooperationsprinzipien wie faire Arbeitsteilung, aktives Zuhören und Kompromissbereitschaft fördern (ebd., vgl. auch Wildfeuer, 2006). Zusätzlich könnte er auch als Mediator agieren, indem er die Lernenden z.B. bei der Lösung von Konflikten, auch weltanschaulicher Natur, unterstützt. Dies ist besonders relevant für das angestrebte fächerübergreifende interreligiöse Begegnungslernen (Boehme, 2018), vor allem vor dem Hintergrund zunehmender Konfessionslosigkeit (Kropač & Schambeck, 2022). Allerdings ist zu bedenken, dass soziale Roboter, um solche Aufgaben erfüllen zu können, über eine Reihe fortgeschrittener Fähigkeiten verfügen müssen, die weit über das hinausgehen, was sie derzeit leisten können. Unter anderem müssen sie in der Lage sein, zwischen einzelnen Schülerinnen und Schülern zu unterscheiden, ihre emotionalen Zustände und Äußerungen zu erkennen, Gruppenstimmungen zu erfassen und angemessen darauf zu reagieren (Reich-Stiebert, 2023, S. 162–163).
b) Tutorielles Lernen
Da viele Lernende durch soziokulturelle Transformationen und Sprachdefizite aufgrund von Migrations- und Fluchtbewegungen sowie durch den zunehmenden Verlust der religiösen Primärsozialisation ohnehin Schwierigkeiten haben, die Komplexität des Religiösen zu verstehen (Chrostowski, 2024), werden in Zukunft kooperative Lernformen wie das tutorielle Lernen an Relevanz gewinnen. Tutorielles Lernen stellt – in der allgemeinen Ausrichtung von Lehr-Lern-Prozessen – „eine Klasse von Methoden dar, bei denen sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig im Erwerb spezifischer Kompetenzen unterstützen. Durch individualisierte Instruktionen, wiederholende Übungen und regelmäßiges Feedback unterrichtet dabei meist eine kompetentere Person (Tutor) eine Person, bei der Kompetenzdefizite vorliegen (Tutand)” (Spilles & Leidig, 2020, S. 186). Genau diese Rolle des Tutors im Prozess der religiösen Erbauung könnte ein sozialer Roboter übernehmen, der so programmiert werden könnte, dass er in religiösen Angelegenheiten „kompetenter“ ist als die Lernenden (Reich-Stiebert, 2023, S. 161; vgl. auch: Belpaeme et al., 2018). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Interaktion der Schülerinnen und Schüler mit dem Roboter angeleitet und klar strukturiert sein muss, um den gewünschten Lerneffekt zu erzielen. Insofern müssen die Aufgaben, die die Lernenden gemeinsam mit dem Roboter bearbeiten, ebenso klar definiert sein wie die Rolle der Religionslehrkraft selbst, die einen solchen Lernprozess steuern muss. Entscheidend ist daher die didaktische Rahmung solcher interaktiver religiöser Bildungsprozesse, z.B. durch textbasierte kollaborative Leitfäden, die Lernsequenzen in bestimmte Teilschritte gliedern und diesen bestimmte Aufgaben zuweisen, sowie durch zeitlich begrenzte und bedarfsorientierte sprachliche Hilfestellungen seitens der Religionslehrkraft, die als „scaffolding“ verstanden werden können (ebd., S. 161–162; vgl. auch: Gantefort & Maahs, 2023).
Ein Beispiel für einen solchen didaktischen Einsatz sozialer Roboter im Religionsunterricht wäre die Auseinandersetzung mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37), wobei der Roboter als interaktiver Tutor fungieren könnte. Die Religionslehrkraft könnte den Unterricht in mehrere Phasen gliedern: Zunächst erklärt der Roboter den kulturellen und historischen Hintergrund der biblischen Erzählung. Danach liest er das Gleichnis vor und zeigt dazu Illustrationen oder Kurzfilme auf einem eingebauten Tablet. Schließlich stellt er Fragen an die Schülerinnen und Schüler, die ihnen helfen sollen, die sozial-theologische und ethisch-moralische Bedeutung des Gleichnisses zu erarbeiten. Diese Aufgaben müssen allerdings von den Religionslehrerinnen und -lehrern inhaltlich vorbereitet und im Idealfall dem Roboter vor dem Religionsunterricht „einprogrammiert“ werden. Insbesondere der zweite Schritt dürfte für viele Religionslehrkräfte eine beträchtliche Herausforderung darstellen (vgl. Reich-Stiebert, 2023, S. 162; für eine exemplarische Unterrichtsstunde vgl. u.a. Krug, 2002; Kuhl, 2008).
c) Lernen durch Lehren
Lernen durch Lehren (bekannt auch als „cognitive apprenticeship“ oder „Lehrlingslernen“; Reich-Stiebert, 2023, S. 160) ist als eine alltagstaugliche Unterrichtsmethode in religiösen Bildungsprozessen zu verstehen (Mendl & Sitzberger, 2016, S. 168; Schweiker, 2012, S. 126; Adam, 2003, S. 136), die in ihrer ursprünglichen Form von dem Französischdidaktiker Jean-Pol Martin (2002) konzipiert und kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Im Rahmen dieser Methode bereiten die Schülerinnen und Schüler selbstständig oder mit Unterstützung der Lehrkraft einzelne Unterrichtssequenzen oder auch umfangreichere Einheiten vor und führen diese durch (Koch, 2006, S. 7). Gerade für den Religionsunterricht ist das Lernen durch Lehren u.a. an der Forderung nach Lebensweltbezug und Subjektorientierung anzulehnen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass in religiösen Lehr- und Lernwegen nicht nur die Vermittlung religiös-theologischen Wissens im Vordergrund steht. Vielmehr spielen auch die Handlungsorientierung und die Erfahrungsebene aus der Perspektive der Lernenden eine zentrale Rolle, um ihre Identitäts- und Persönlichkeitsbildung sowie ihre Gesellschaftsfähigkeit zu fördern (vgl. ebd., S. 11). Bei diesem Unterrichtsansatz sollen die Schülerinnen und Schüler die Rolle der „Experten“ übernehmen, während der Roboter als unerfahrener „Neuling“ agieren sollte. In diesem Sinne kann der Roboter von den Lernenden auf konkrete Inhalte und praktische religiöse Handlungen trainiert werden. Dies kann von einfachen Aufgaben wie dem Erlernen des „Vaterunsers“ bis hin zu komplexen Themen wie den Gottesvorstellungen verschiedener Weltreligionen reichen. Ebenso können die Schülerinnen und Schüler den Roboter durch ihre Interaktionen mit ihm beim expliziten Erwerb religiöser Kompetenzen wie der Wahrnehmung und Beschreibung religiöser Phänomene, der Deutung religiöser Sprache, der begründeten Beurteilung religiöser und ethischer Fragen und der Verständigung trotz unterschiedlicher Weltanschauungen unterstützen (vgl. Sajak 2021, S. 345). Dabei müssen die Lernenden den Lernprozess aktiv gestalten, indem sie z.B. entscheiden, welche Inhalte und Aufgaben relevant sind und wie diese aufbereitet und verständlich vermittelt werden sollen, während der Roboter selbst eher passiv bleibt. Lernen durch Lehren mit sozialen Robotern würde auf diese Weise nicht nur die Metareflexion und die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler fördern, sondern vor allem ihre Koordinations- und Kommunikationsfähigkeit sowie ihre Flexibilität stärken (Reich-Stiebert, 2023, S. 160–161).
Zusätzlich zu den drei genannten Lehr- und Lernszenarien stellt sich die Frage, wie und ob soziale Roboter im Hinblick auf religiöse Handlungsformen wie z.B. gemeinsames Beten oder Bibelmeditation in den Religionsunterricht integriert werden sollten. Dies ist umso wichtiger, da solche Aspekte oft als Kern eines „transzendenzbezogenen Unterrichts“ verstanden werden (Brieden, 2021, S. 362; vgl. auch: Brieden, 2015, S. 11–12). Freilich können Theologinnen und Theologen in diesem Zusammenhang argumentieren, dass zwischen Menschen und Maschinen eine unüberwindbare „semantische Schwelle“ (Balle & Ess, 2020, S. 587) besteht, die sie für die spirituelle Entwicklung des Individuums ungeeignet werden lässt (Chaudhary, 2019). Gleichwohl haben Experimente mit dem Roboter BlessU2 gezeigt (Luthe, Nord, Löffler & Hurtienne, 2019; Löffler, Hurtienne & Nord, 2021), dass durch Roboter vermittelte religiöse Botschaften positive affektive Zustände bei den Nutzerinnen und Nutzern hervorrufen können (Balle & Ess, 2020, S. 587). Aus diesem Grund erscheint der Einsatz von sozialen Robotern im Bereich der Meditation, des Gebets und religiöser Rituale sinnvoll. Dies würde Kindern und Jugendlichen einerseits neue spirituelle Erfahrungen ermöglichen und ihnen andererseits verdeutlichen, dass z.B. Beten mehr ist als eine bloße Interaktion mit anderen Menschen oder einem Roboter. Alle religiösen Praktiken stellen in bestimmter Weise Annäherungen an eine machtvolle Wirklichkeit dar, die in der Terminologie der Religionsphänomenologie als „Sacrum“ bezeichnet wird und persönliche Partizipation erfordert (Nord, Ess, Hurtienne & Schlag, 2022, S. 17).
3 Konsequenzen der Integration von Robotern in religionsunterrichtliches Geschehen
Nachdem die didaktischen Potenziale sozialer Roboter erläutert wurden, widmet sich das folgende Kapitel den Konsequenzen und Herausforderungen, die mit ihrer Integration in den Religionsunterricht verbunden sind. In Anbetracht obiger Erwägungen ist zunächst hervorzuheben, dass die beschriebenen Lehr- und Lernformen mit sozialen Robotern im Religionsunterricht zum einen eine aktive und interaktive Vermittlung des Lernens „durch“, „mit“ und „an“ Robotern beinhalten (Reich-Stiebert, 2023, S. 163). Die Entscheidung, welche der präsentierten Ansätze im Rahmen einer konkreten Unterrichtseinheit im Fach Religion zum Einsatz kommen, obliegt in erster Linie der Religionslehrkraft. In diesem Kontext sind sowohl didaktische als auch methodische Entscheidungskriterien zu reflektieren und zu berücksichtigen. Die Beantwortung von Fragen zur Ausstattung, beispielsweise ob mehrere Roboter oder lediglich einer mit einem oder mehreren Schülerinnen und Schülern interagiert, muss sich an den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Gruppe sowie den religionspädagogischen Zielsetzungen orientieren (ebd.). Es existieren zudem Aspekte, welche den Einsatz sozialer Roboter im Religionsunterricht potenziell einschränken können. Zu den hemmenden Faktoren zählen unter anderem Aspekte der Finanzierung, die zusätzliche Arbeitsbelastung von Religionslehrkräften, die sinnvolle religionsdidaktische, organisatorische und technische Einbindung sowie die noch unbekannten langfristigen Auswirkungen der Anwendung von Robotern in religiösen Lernsettings (Seufert et al., 2021, S. 480; vgl. auch Pandey & Gelin, 2016).
In diesem Kontext ist zudem das grundlegende Problem der Auswirkungen der Robotik auf das zwischenmenschliche Miteinander von zentraler Bedeutung. Die Verwendung typisch menschlicher Eigenschaften durch Designer und Entwicklungsteams bei der Konstruktion von Robotern, wie beispielsweise das Imitieren menschlicher Emotionen, Sprache, Interesse am Gesprächspartner sowie Gestik etc., kann dazu führen, dass Lernende soziale Bindungen zu ihnen aufbauen. Dies kann eine Beeinträchtigung der sozialen Interaktion in der Klasse zur Folge haben (Reich-Stiebert, 2023, S. 166; vgl. auch: Fosch-Villaronga, Lutz & Tamò-Larrieux, 2020; Huber, Weiss &Rauhala, 2016). Insofern muss den Schülerinnen und Schülern die Künstlichkeit der Roboter bewusst sein, und auch die Roboter selbst müssen so programmiert werden, dass sie solchen negativen Tendenzen entgegenwirken und die Schülerinnen und Schüler beispielsweise dazu auffordern, mit anderen zu kooperieren oder sich bei Schwierigkeiten an die Lehrkraft zu wenden (Reich-Stiebert, 2023, S. 166). Hervorzuheben ist auch, dass gerade der Religionsunterricht nicht in technikbasierten Formaten und Instruktionen aufgeht, sondern von der Interaktion und Kommunikation aller Beteiligten lebt (Freisleder et al., 2022, S. 5).
Außerdem ist zu bedenken, dass soziale Roboter, die auf KI-Systemen basieren, möglicherweise schablonenhafte Ratschläge und Antworten anbieten könnten, wie dies z.B. bei Chatbots schon heute der Fall ist (vgl. Zou, Wang, Kolter & Fredrikson, 2023). Da diese Empfehlungen in einer allgemeinen Form erfolgen, können sie oft nicht auf die tatsächlichen Bedürfnisse der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer eingehen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Metadaten, die häufig von Softwareentwicklern aus Internetquellen extrahiert werden, zu einer verzerrten Wahrnehmung der eigenen und anderer Religionen oder zu inadäquaten hermeneutischen Interpretationen religiöser Schriften und ethischer Prinzipien führen. Es besteht auch das Risiko, dass Hackerinnen und Hacker Sicherheitslücken ausnutzen und in die Roboter „eindringen“, um z.B. diskriminierende Ansichten und Vorurteile im Religionsunterricht zu verbreiten. In diesem Zusammenhang ist auch zu überlegen, welche Folgen es haben könnte, wenn Roboter ein Selbstbewusstsein entwickeln und davon überzeugt werden, dass sie in der Lage sind, Schülerinnen und Schüler bzw. Religionslehrerinnen und -lehrer gezielt zu manipulieren (vgl. Ty, 2023, S. 354–357).
Darüber hinaus sind auch Aspekte der Verantwortungsübernahme und der Haftung im Schadensfall in Betracht zu ziehen. Die Möglichkeit einer Beschädigung von Gegenständen, einer Selbstbeschädigung der Roboter oder einer Verletzung von Menschen durch Roboter ist insbesondere dann gegeben, wenn die Sensorik der Roboter versagt oder eventuelle Hindernisse nicht erkannt werden (vgl. Reich-Stiebert, 2023, S. 165; vgl. auch: Subramanian, 2017). Zudem ergeben sich Herausforderungen hinsichtlich der Gewährleistung von Privatsphäre und Datenschutz, da Bildungsroboter üblicherweise Kameras, Sensoren und Mikrofone zur Wahrnehmung ihrer Umgebung nutzen und zumeist mit dem Internet verbunden sind. Die Erarbeitung klarer bildungs- und religionsbezogener Richtlinien zur Gewährleistung einer fairen und rechtskonformen Datenverarbeitung während der Interaktion sowie der Wahrung des Rechts auf Privatsphäre des Einzelnen (vgl. Reich-Stiebert 2023, S. 165; Aparicio Payá, Morte Ferrer, Toboso Martín, Ausín, Monasterio Astobiza & López, S. 99–102; vgl. auch: Ty, 2023, S. 365–367) muss als unabdingbar erachtet werden.
Fazit
Resümierend lässt sich auf der Grundlage der angeführten Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Studien zum Einsatz von Robotern in sozial-, religions- und bildungsbezogenen Kontexten konstatieren, dass sie ein hohes Potential zur Unterstützung religiöser Bildungsprozesse besitzen. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass soziale Roboter insbesondere angesichts des subjektorientierten und gemeinschaftsbildenden Anspruchs des Religionsunterrichts keinesfalls die interpersonalen Beziehungen zwischen Religionslehrkraft und Schülerinnen und Schülern sowie zwischen den Lernenden untereinander ersetzen dürfen. In dieser Hinsicht ist es – wie in anderen Schulfächern auch – besonders ratsam, Roboter als Lehrassistenten, Tutoren oder Peers im Rahmen des Gruppenlernens, des tutoriellen Lernens und des Lernens durch Lehren zu implementieren. Nicht minder interessant erscheint ihre Anwendung für religiöse Handlungsformen wie Meditation, Gebet und Rituale, die das spirituelle Erfahrungsspektrum der Heranwachsenden bereichern können. In derartigen interaktiven Lehr- und Lernarrangements kommt der Religionslehrkraft eine besondere Rolle zu, die neben der konkreten didaktisch-methodischen Planung auch alle möglichen Risiken und Chancen im Blick behalten muss.
Letztlich ist anzumerken, dass die vorliegenden Überlegungen das hier diskutierte Thema – sowohl unter dem Blickwinkel positiver als auch negativer Aspekte des Einsatzes von sozialen Robotern im Religionsunterricht – keineswegs erschöpfend behandeln. Vielmehr sollen sie dazu anregen, schon heute konkrete Schritte zu unternehmen, um innovative Strategien religiöser Bildung „von morgen“ zu konzipieren.
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Dr. theol. Dr. phil. Mariusz Chrostowski – Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Religionslehre, Katechetik und Religionspädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.