Wie kann es gelingen, mit empirischen Forschungsprojekten eine breite Öffentlichkeit zu erreichen? Inwiefern gefährdet eine vereinfachte Darstellung der Ergebnisse den wissenschaftlichen Gehalt der präsentierten Studien? Und welche ganz praktischen Schritte können im Feld der Religions- und Gemeindepädagogik dazu verhelfen, dass Wissenschaft den öffentlichkeitswirksamen Transport von Wissen schafft?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der vorliegende Beitrag.1 Ich entwickle meine Hinweise und Thesen dabei bewusst induktiv aus der Beobachtung aktueller Forschungspublikationen im Feld der Jugendforschung sowie aus der reflektierenden Betrachtung eigener Forschungsprojekte im Kontext der Gemeindepädagogik. Die Fokussierung auf empirische Studien dient dabei der Eingrenzung der Thematik, selbstverständlich spielt Wissenschaftskommunikation auch außerhalb der Empirie eine wichtige Rolle. Ich spreche dabei nicht als ausgewiesener Experte, sondern als „Kommunikationspraktiker“ auf der Grundlage von Erfahrungen des Gelingens und des Scheiterns. Was ich zu bieten habe, ist eher konventionelle Praxis der Öffentlichkeitsarbeit; auf den Bereich Social Media gehe ich beispielsweise bewusst nicht ein, weil dies ein eigenes, umfassendes Themenfeld darstellt. Der Beitrag ist also im Kontext der verschiedenen hier dokumentierten Tagungsbeiträge einzuordnen und bietet ausgewählte Einblicke, Erfahrungen und offenbleibende Fragen.
Zunächst steht eine kurze Vergewisserung, warum Wissenschaftskommunikation gerade in der Religionspädagogik relevant ist. Der zweite Teil widmet sich der Beobachtung verschiedener Studien, die in den letzten Monaten erschienen sind. Die Darstellung eigener Erfahrungen aus der Wissenschaftskommunikation schließt sich an und mündet in sechs Thesen. Der Schlussteil enthält konkrete Vorschläge, wie mit wenig Zeit und geringer Finanzausstattung zumindest ein Anfang gemacht werden kann.
1 Raus aus dem Elfenbeinturm! Gründe für Wissenschaftskommunikation
Das Bild vom Elfenbeinturm prägte das Symposium des Arbeitskreises Gemeindepädagogik, das im März 2023 in Ludwigsburg zum Thema „Empirie in der Gemeindepädagogik“ stattfand (Dokumentation: Böhme et al., 2024). Was dort diskutiert wurde, gilt für die gesamte Religionspädagogik (in die ich im vorliegenden Beitrag die Gemeindepädagogik begrifflich einschließe). Empirische Forschung wurde bei dieser Tagung als ein Weg beschrieben, in dem vorfindliche Gegebenheiten der Lebenswirklichkeit genau betrachtet, dokumentiert und analysiert werden (Ilg, 2024). Dieser Weg führt also von der Praxis in den Elfenbeinturm, den Ort der Wissenschaft. Diese Betrachtung empirischer Praxis an einem außerhalb der Praxis gelegenen Ort wird dringend benötigt. Ob Religionsunterricht, Jugendarbeit oder evangelische Elementarpädagogik: Der Elfenbeinturm mit (hoffentlich gut ausgebildeten) empirischen Religionspädagog:innen stellt einen wichtigen Kristallisationspunkt für Qualitätsanalyse und Konzeptentwicklung dar. Allerdings: Bedauerlicherweise bleiben die gewonnenen Erkenntnisse viel zu häufig in diesem Elfenbeinturm stecken. Den Weg zurück in die Praxis finden die Erkenntnisse nicht von allein, denn dieser Rückweg wird bei Forschungsprojekten kaum bedacht. Das kluge Buch landet im Regal des Elfenbeinturms – und bleibt dort oftmals ungelesen. Es dürfte viele Schätze geben, gerade unter den Dissertationen, die von Spinnweben umgeben in den Türmen des Wissens ruhen, statt in der Praxis zu wirken – weil der Weg aus dem Elfenbeinturm heraus nicht mitgedacht wurde.
Abb. 1: Verbindungswege zwischen Praxis und Wissenschaft im Bild des Elfenbeinturms (Quelle: Ilg, 2024)
Der Weg „zurück in die Praxis“ gelingt umso besser, je bewusster die Wissenschaftskommunikation einer Studie geplant wird. Zu denken ist beispielsweise an folgende Formen der Wissenschaftskommunikation:
Dissemination/ Distribution: Verbreitung der Ergebnisse, beispielsweise durch Fachartikel, Tagungen oder Fortbildungen
Transfer: Übertragung der Ergebnisse auf praktische Anwendungsbereiche, oftmals in Kooperation mit Praxis-Institutionen oder Transferagenturen
Öffentlichkeitsarbeit: Schaffung eines breiten Zugangs für eine mehr oder weniger breite Öffentlichkeit; Mittel sind beispielsweise Zeitungen, Radio, Internetseiten usw.
Beim Nachdenken über Wissenschaftskommunikation müssen wir uns den Wandel der Kommunikationskultur vor Augen halten, der in den letzten Jahren durch die digitalen Medien erfolgt ist. Das Privileg, die Öffentlichkeit zu erreichen, wurde über die medialen Entwicklungen radikal demokratisiert. Ein Buch mit ISBN zu verlegen, ist im Print-on-Demand-Verfahren nun ohne größere Hürden für alle möglich. Jeder Mensch kann über sein Smartphone Botschaften verbreiten, die potenziell die ganze Welt erreichen können.2 Das massive Anwachsen potenzieller Informationssender wirkt sich darauf aus, wie Informationen aufgenommen werden. Gerade junge Menschen machen selten die Erfahrung, dass sie aktiv nach Informationen suchen müssen. Sie werden vielmehr dauerhaft von Informationsangeboten überschüttet, bei denen sie innerhalb weniger Sekunden auswählen, wem sie ihre Aufmerksamkeit widmen. „Wenn es wirklich wichtig ist, wird es mich erreichen“ ist zu einer Grundhaltung geworden, die die gesamte Öffentlichkeitsarbeit herausfordert. Auch bei Studierenden ist eine leidenschaftliche Suche nach Informationen nicht (mehr) selbstverständlich.
In diesem Umfeld agiert auch Wissenschaftskommunikation. Was nicht aktiv gesendet wird, droht in der Flut der Kommunikationsangebote zu verschwinden. „Wir dürfen nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen. Wir müssen unsere Erkenntnisse zu ihnen bringen“, bringt es Jutta Allmendinger auf den Punkt (zitiert nach Falkenberg, 2021, S. 7). Inwiefern sind religionspädagogische Wissenschaftler:innen dafür ausgebildet? Wo spielt Wissenschaftskommunikation in unseren Projekten und Lehrstühlen eine hervorgehobene Rolle? Wer die Wissenschaftskommunikation vernachlässigt, leistet der Irrelevanz von Theologie und Religionspädagogik Vorschub – darum ist dieses Thema kein „Add-on“, sondern gehört zu den grundlegenden Aufgaben auch unseres Wissenschaftsbereichs.
Viereinhalb Gründe für die Relevanz von Wissenschaftskommunikation in der Religionspädagogik werden im Folgenden beschrieben:
1) Zunächst kann ein theologischer Grund benannt werden: Weil Religionspädagogik sich auf den christlichen Glauben bezieht, gilt für sie der Grundsatz der öffentlichen Rechenschaftslegung. Anknüpfend an 1. Petrus 3,15 sollte auch die theologische Wissenschaft bereit sein „zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert“: über die Hoffnung, die in euch ist, über die Ziele, die euch religionspädagogisch leiten, über das, was empirisch über kirchliche Arbeit bekannt ist. Oder, um es mit der sogenannten „Denkschriften-Denkschrift“ der EKD zu sagen: Es gibt einen „Anspruch der Öffentlichkeit auf kirchliche Äußerungen – sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, was eine Kirche zu entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Fragen aktuell und auf Dauer geistlich beizutragen hat“ (EKD, 2008, S. 60). Das gilt in übertragener Weise auch für eine Wissenschaft, die der Kirche verbunden ist.
2) Ein zweiter Grund ergibt sich aus der Funktion von Wissenschaft: Diese ist kein Selbstzweck, sondern hat einen gesellschaftlichen Nutzen, kurz gesagt: die Klärung und Mehrung von Wissen. Universitäten und Hochschulen, Professuren und Forschungsprojekte werden mit öffentlichen Mitteln finanziert – sie haben daher den Auftrag, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Folglich muss das, was wir erarbeiten, die Gesellschaft auch in jeweils verständlicher Form erreichen. Das schuldet die Wissenschaft den (Kirchen-)Steuerzahlenden.
3) Nicht zu unterschätzen ist ein strategischer Grund: Die Zukunft von Wissenschaftsbereichen wie Theologie und Religionspädagogik versteht sich in einem zunehmend von Konfessionslosigkeit geprägten Umfeld nicht von selbst. Nur, wenn immer wieder auch nach außen deutlich wird, was Arbeitsfelder wie Religionsunterricht oder Jugendarbeit leisten, wird deren Relevanz auch zukünftig gesehen und anerkannt werden. Im Feld der Jugendarbeit wurde seit längerer Zeit die Notwendigkeit von Daten für diese Sichtbarkeit erkannt. Ein pointierter Beitrag dreier wesentlicher Vertreter plädierte beispielweise in der Diskussion um die Notwendigkeit einer bundesweiten Statistik zur Kinder- und Jugendarbeit vehement für solche Datenerhebungen: „Daten, gute Daten sind (...) absolut notwendig. (...) Aber Daten allein reichen nicht, denn die Politik macht mit empirischen Befunden was sie will: im Zweifelsfall gar nichts“ (Corsa, Lindner & Pothmann, 2018, S. 179). „Mit Daten wird (...) Politik gemacht – so oder so. Sofern die Kinder- und Jugendarbeit darauf verzichtet, hier mitzuspielen, treffen andere die Entscheidungen; oder etwas rüde formuliert: ‚Entweder die Kinder- und Jugendarbeit sitzt hier mit am Tisch, oder sie steht auf der Speisekarte‘“ (ebd., S. 178). Das lässt sich wohl auch auf die Religionspädagogik bzw. auf die Theologie insgesamt übertragen: Sitzt sie nicht dort mit am Tisch, wo Zukunftsentscheidungen getroffen werden (in Ministerien, Hochschulleitungen, Bildungsplankommissionen usw.), dann steht sie in diesen Runden bald auf der Speisekarte.
4) Auch einen empirischen Grund gibt es, warum die Wissenschaft sich auf dem Marktplatz der öffentlichen Äußerungen zu Wort melden sollte: Sie hat eine hohe Reputation. Dies lässt sich sogar anhand der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (6. KMU) nachweisen: Dort war auch die folgende Frage enthalten: „Geben Sie bitte bei jeder Einrichtung oder Organisation an, wie groß das Vertrauen ist, das Sie ihr entgegenbringen“. Unangefochten auf Platz 1 der Vertrauensskala liegen Hochschulen und Universitäten (EKD, 2023, S. 40f.). In Zeiten von „Fake News“ ist solches Vertrauen ein hohes Gut, mit dem man sorgsam umgehen sollte. Und der Befund ist Grund genug, sich in den öffentlichen Debatten zu Wort zu melden.
4½) Der letzte Grund ist nur ein halber, denn er gilt möglicherweise nicht für alle in derselben Weise. Ich nenne ihn den emotionalen Grund: Wissenschaftskommunikation kann Spaß machen! Wenn man merkt, dass die Dinge, an denen man arbeitet, Menschen interessieren, dann kann das äußerst motivierend sein.
Nach diesen Vorüberlegungen möchte ich nun einige Beobachtungen teilen, wie aktuelle empirische Studien Wissenschaftskommunikation betreiben. Dazu habe ich mir vorgenommen, das Feld der Jugendstudien genauer zu beobachten. Und hier gibt es durchaus beeindruckende wie auch irritierende Einblicke. Die Überschrift deutet bereits an, worin ich das Problem sehe:
2 Wissenschaft oder Kommunikation? Beobachtungen zur Wissenschaftskommunikation aktueller Studien
2.1 Shell Jugendstudie
Die Shell Jugendstudien stellten über Jahrzehnte hinweg das Maß der Dinge im Feld der Jugendstudien dar. Die aktuelle 19. Shell-Jugendstudie ist im Herbst 2024 erschienen. Auch wenn sich die Machart seit Anfang der 2000er-Jahre verändert hat, kann die Shell-Studie doch als ein Klassiker der Wissenschaftskommunikation angesehen werden: Die über 300-seitige Studie bietet detaillierte Datenbeschreibungen und Interpretationen zu den jeweiligen Themenfeldern, auch zur Religiosität Jugendlicher. Für die Wissenschaftskommunikation von Interesse sind Anfang und Ende des Buchs: Zu Beginn steht eine Zusammenfassung von 20 Seiten. Ganz am Ende finden sich 50 Seiten mit der Dokumentation der Methodik sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis (Deutsche Shell, 2024, S. 13-32; 277-336). Mit jeder Shell Jugendstudie wurde auch das Internetangebot ausgebaut (https://www.shell.de/ueber-uns/initiativen/shell-jugendstudie.html), hier findet man die Zusammenfassung kostenfrei zum Download auf Deutsch und Englisch, einen Info-Flyer, Grafiken und Schaubilder, sowie weitere Hintergrund- und Medieninformationen. Diese Form der Aufbereitung kann als klassische Weise einer grundsätzlich gelungenen Wissenschaftskommunikation betrachtet werden: Eine wissenschaftlich anspruchsvolle Studie wird ergänzt um Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit, büßt aber die Detaildarstellungen nicht ein.
Interessant ist allerdings, dass die Shell Jugendstudie in der öffentlichen Wahrnehmung ihren führenden Platz inzwischen eingebüßt hat. Zwei weitere Studien, die in den letzten Monaten erschienen sind, haben es zum wiederholten Mal geschafft, die Titelseiten und Bildschirme zu erreichen. Diese beiden Studien sollen im Folgenden kritisch betrachtet werden.
2.2 Sinus-Jugendstudie
Seit 2008 erscheint alle vier Jahre die Sinus-Jugendstudie, die den Slogan „Wie ticken Jugendliche“ für sich gebucht hat.3 Die aktuelle Studie wurde im ersten Halbjahr 2024 veröffentlicht. Das Methodenkapitel umfasst wenige Seiten und ist erkennbar für eine allgemeine Leserschaft geschrieben. Wissenschaftlich interessierte Leser:innen allerdings bleiben relativ ratlos zurück. Berichtet wird, dass 72 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren befragt wurden, neben Interviews wurden auch Hausarbeitshefte, Explorationen in den Zimmern der Jugendlichen sowie fotografische Dokumentationen dieser Wohnwelten einbezogen. Dies verspricht tatsächlich Tiefeneinblicke in die jeweiligen Lebenswelten. Merkwürdig erscheint allerdings, wie aus den Interviews mit lediglich 72 Jugendlichen Erkenntnisse gewonnen werden, die dann zusammenfassend die „Verfassung und das Befinden der Jugendlichen 2024“ für ganz Deutschland beschreiben sollen (Calmbach et al., 2024, S. 301). Wer genauer nachschaut, reibt sich verdutzt die Augen bei der Darstellung des Samplings: Die 72 Jugendlichen sind mit je 24 befragten Personen gleichverteilt auf die angestrebten Schulabschlüsse Hauptschule, Realschulabschluss oder Abitur (ebd., S. 19). Vergleicht man dies mit der faktischen Übergangsquote von 45% der Grundschüler:innen an ein Gymnasium (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2024, S. 136-139)4 oder bedenkt man, dass Jugendliche an Förderschulen gar nicht erst in den Blick kommen, wird deutlich, dass dieses Sampling zwar auf den ersten Blick „gleichverteilt“ wirkt, aber sicherlich keine sinnvolle Grundlage bietet, um sich an repräsentative Aussagen über Jugendliche in Deutschland anzunähern.
Will man sich im Methodenteil erkundigen, welchen Anspruch auf Repräsentativität die Studie erhebt, liest man hier, wie schon in früheren Studien, lediglich folgenden Satz: „Die Ergebnisse qualitativer Studien sind nicht im statistischen, wohl aber im psychologischen Sinne repräsentativ“ (Calmbach et al., 2024, S. 18). Was dies bedeuten soll, wird nicht erläutert. Entscheidend ist doch die Frage: Kann man mit einer Befragung von 72 immer neu ausgewählten Jugendlichen alle vier Jahre eine Diagnose abgeben, wie es der Jugend in Deutschland geht, inklusive der Feststellung von Trends, die sich entwickeln? Dabei scheint es dem Sinus-Team sogar zu gelingen, feine Veränderungen in den sieben selbst definierten „Lebenswelten“ der Jugendlichen zu diagnostizieren. So heißt es in der Sinus-Studie 2024: „Die Postmateriellen von 2020 haben sich verändert: Nachhaltigkeit spielt nun eine größere Rolle. Die Bezeichnung wurde daher begrifflich geschärft. Diese Gruppe heißt nun ‚Neo-Ökologische‘“ (ebd., S. 41). Bei einem Sample von 72 Jugendlichen liegen jeder Lebenswelt Interviews mit lediglich ca. zehn Jugendlichen zugrunde. Daraus Entwicklungen für ein Siebtel der Jugendlichen in Deutschland abzuleiten, kann kaum als wissenschaftlich seriös bezeichnet werden.
Auch an anderen Stellen fällt auf, dass diese Studie sich vom Anspruch klassischer empirischer Wissenschaft gelöst hat: Ein Literaturverzeichnis fehlt gänzlich, eine Dokumentation der Ergebnisse im Anhang ebenso. Die Themensetzung erfolgt über sogenannte „Themen-Patenschaften“, für die sich Institutionen in die Durchführung einer Studie einkaufen können. Stark vertreten ist hier immer die katholische Kirche mit dem BDKJ und der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge, aber auch Institutionen wie die Stiftung der Deutschen Fußball-Liga oder die Barmer Ersatzkasse waren schon als Partner vertreten. Ob die nächste Sinus-Studie also über Gesundheitsthemen, Fußball oder den öffentlichen Personennahverkehr berichtet (für all diese Themen gab es schon Patenschaften), hängt schlicht davon ab, wer sich als Projektpartner:in in die Studie einkauft. Zu den Sponsoren gehört übrigens auch die Bundeszentrale für politische Bildung, in deren Angebot man das Buch zum subventionierten Preis von 4,50 € bestellen kann (https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/549130/wie-ticken-jugendliche-sinus-jugendstudie-2024). Aus Marketing-Perspektive (und in finanzieller Hinsicht) erscheint ein solches Vorgehen durchaus nachvollziehbar, aber eine streng wissenschaftliche Studie würde ihre Themen nicht von Finanzflüssen abhängig machen.
Ein letztes Beispiel soll zeigen, wie sehr sich in den Sinus-Jugendstudien der Schwerpunkt auf eine optimierte Kommunizierbarkeit anstelle nüchterner Wissenschaftlichkeit verschoben hat. Die bekannte Kartoffelgrafik der Sinus-Studie wird über zwei Dimensionen abgebildet: In der Vertikalen findet sich der Bildungsgrad, in der Horizontalen sind es die Wertedimensionen. Man könnte an diese Kartoffelgrafik viele Fragen stellen, beispielsweise, ob die Größe der Kartoffeln eigentlich repräsentiert, wie viele Jugendliche dazu gehören (das schließt man quasi automatisch, es ist aber sachlogisch keinesfalls automatisch der Fall). Die sieben Lebenswelten wurden von Sinus mit Labels versehen, die sich weitgehend eingebürgert haben. So begegnet einem die Bezeichnung der „Expeditiven“ eigentlich nur innerhalb des Sinus-Milieus, aber sie klingt gebildet und man meint zu wissen, was damit gemeint ist. Wirklich irritierend ist aber eine Darstellungsweise, die bereits in der Sinus-Jugendstudie 2020 umgesetzt wurde (Calmbach et al., 2020, S. 36-47; vgl. Calmbach et al., 2024, S. 31-41). Die nachvollziehbare Benennung der normativen Grundorientierung in die drei Bereiche „traditionell – modern – postmodern“ wurde in einen neuen Dreiklang verändert, der sich allenfalls in zweiter Linie einer inhaltlichen Logik verdankt. Von links nach rechts gibt es nun A-, B- und C-Werte:
A=Absicherung, dazu gehören Autorität, Affirmation, Anschluss
B=Bestätigung & Benefits, dazu gehören Besitz, Bildung und Balance
C=Charisma mit den zugehörigen Stichworten Creativity, Crossover und Challenges
Abb. 2: Sinus-Modell für jugendliche Lebenswelten (U-18) 2024 (Quelle: Calmbach et al., 2024, S. 40)
Tatsächlich: Das ist eingängig (und erforderte wohl manche Stadt-Land-Fluss-Sitzung), aber die Buchstaben D bis Z blieben leider verboten, auch wenn sie sachlich sicherlich an vielen Stellen besser gepasst hätten. Fraglos sind solche einfachen Schemata hilfreich, da einprägsam. Würden sie als Eselsbrücken eingesetzt, um einen nüchternen Sachverhalt leichter erinnerbar zu machen, wäre das ein gutes didaktisches Hilfsmittel. Aber die Sinus-Studie liefert nirgends die Grafik mit den eigentlich passenden Begriffen, sondern stellt die Eselsbrücken als die eigentliche Erkenntnis dar. Kann es denn sein, dass sich die Grundwerte junger Menschen in Deutschland in drei Cluster einteilen lassen, die zufällig der Buchstaben-Reihenfolge A, B und C folgen?
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass das Sinus-Institut nicht lediglich ein wissenschaftliches Produkt transportiert, sondern dass das Produkt als solches von der Kommunizierbarkeit her gestaltet wurde. Allerdings: Die Leser:innenschaft und die Medien interessieren sich für solche wissenschaftlichen Spitzfindigkeiten nicht. Sie sind dankbar für einfache, leicht verständliche und einprägsame Beschreibungen, verbunden mit Fotos und O-Tönen der Jugendlichen. Auch seriöse Medien wie die ZEIT rezipieren jede neu erschienene Sinus-Studie als wissenschaftliche Beschreibung, die zwar eine eigene, aber offensichtlich akzeptable Methodik verfolgt. So widmete das Ressort „Wissen“ den Sinus-Ergebnissen aus 2024 eine ganze Seite und schrieb zur Methodik lediglich: „Wissenschaftler haben junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren dafür ausführlich interviewt. Die qualitative Untersuchung kann nicht mit Graphen und Statistiken punkten, beschreibt aber mit besonderer Tiefe die jugendlichen Lebenswelten in sieben verschiedenen Milieus“ (ZEIT, Nr. 26, 13.06.2024, S. 29). Die Sinus-Studie ist also in Sachen Wissenschaftskommunikation äußerst erfolgreich – allerdings leider auf Kosten der Wissenschaftlichkeit.
2.3 Trendstudie „Jugend in Deutschland“
Kommen wir zu einer weiteren Jugendstudie, die eine äußerst erfolgreiche Medienarbeit betreibt: Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ wurde von Simon Schnetzer gegründet und schaffte im Jahr 2021 den Durchbruch, wahrscheinlich auch deshalb, weil der bekannte Jugendforscher Klaus Hurrelmann sich als Co-Autor dazugesellte. Im April 2024 erschien die aktuelle Studie und schaffte es direkt in die Tagesschau (ARD, 23.04.2024: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html). Inwiefern Simon Schnetzer wissenschaftlich ausgewiesen ist, bleibt unklar, laut seiner Homepage ist er studierter Volkswirt und hat sich als „Jugendforscher, Speaker und Futurist“ selbstständig gemacht (https://simon-schnetzer.com/vita). Mit der Trendstudie hat der medienaffine Studienleiter offensichtlich entwickelt, was die Redaktionen brauchen: Im Jahrestakt oder noch schneller wird berichtet, was die Jugend bewegt.
Schaut man sich die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ (Schnetzer & Hurrelmann, 2024) als Wissenschaftler an, bleibt einige Ratlosigkeit. Das Literaturverzeichnis (S. 74) umfasst 7 Einträge, 3 davon sind die eigenen Trendstudien. Der Teil „Anlage und Methodik der Studie“ füllt lediglich eine einzige Seite (S. 73). Man erfährt darin, dass die Studie auf einer repräsentativen Umfrage mit 2042 Personen basiert. Das kann eine gute Grundlage sein, heißt aber zunächst gar nichts. Belastbare Angaben zum Sampling, zur Methodik und zur Einbettung fehlen. Dafür finden sich folgende Sätze: „Verantwortlich für die Datenauswertung und Überprüfung der Datenqualität ist Simon Schnetzer. (...) Das Trendforschungs- und Beteiligungsformat Jugend in Deutschland wird privat durch den Verkauf der Studien finanziert. Auftraggeber der Studie ist Simon Schnetzer“ (Schnetzer & Hurrelmann, 2024, S. 73). Offensichtlich handelt es sich bei dieser Studie um die Privatinitiative eines Menschen, der sich selbst zum Jugendforscher ernannt hat und die Kommunikation sehr gut beherrscht. Wahrscheinlich ist die Studie auch gut gemacht und sind ihre Aussagen glaubwürdig. Allerdings: Falsifizierbar ist diese Annahme nicht. Scharf gesagt: Eigentlich handelt es sich hier nicht um Wissenschaft, denn es fehlt die nötige Transparenz. Auch hier wird die mediale Rezeption der Studie vom Mangel an wissenschaftlichen Informationen nicht gebremst: Die Trendstudie ist in aller Munde und wird vielerorts als Referenz für das Ergehen junger Menschen zitiert, obwohl sie sich mit der Art ihrer Aufbereitung dem wissenschaftlichen Diskurs entzieht.
Erfolgreiche Studien wie Sinus oder die Trendstudie haben eine hohe Kompetenz in Sachen Wissenschaftskommunikation. Aber mit der Investition in die Vermarktung hat offensichtlich die Leidenschaft für das anstrengende Geschäft nüchterner empirischer Wissenschaft nachgelassen. Der Markt regelt auch hier das Angebot – und wo gibt es schon einen breiten Markt für komplexe Studien? Überspitzt gesagt, trifft sich wohl die Haltung der meisten Journalist:innen mit dem, was auch im Hörsaal und auf Tagungen vielerorts zu vernehmen ist: „Überspringen Sie gern die Methodik, uns interessieren die zentralen Ergebnisse“. Aber: Wissenschaftskommunikation sollte Wissenschaft übersetzen, nicht ersetzen!
Eine letzte Studie, die für Kirche und Religionspädagogik von großer Bedeutung ist, soll nun noch auf ihre Form der Wissenschaftskommunikation untersucht werden: Die 6. KMU.
2.4 Kommunikation auf Basis von Wissenschaft: Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (6. KMU)
Seit 1972 untersucht die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung alle zehn Jahre die Einstellungen von Evangelischen und Konfessionslosen (in der aktuellen Untersuchung auch von Katholischen und Angehörigen anderer Konfessionen) zu Werte- und Glaubensfragen. Im Herbst 2023 wurde der aktuelle Überblicksband mit zentralen Ergebnissen veröffentlicht (EKD, 2023). Fast zeitgleich erschien das Themenheft der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie (ZPT 4/2023) mit Analysen für das Feld der Religionspädagogik.5 Ein Jahr später präsentiert der 600-seitige Auswertungsband zahlreiche Detailanalysen und macht die 6. KMU damit auch für die Wissenschaft noch besser zugänglich (EKD, 2024). Gegenüber der 5. KMU weist die 6. KMU nicht nur eine erhebliche inhaltliche Verbesserung auf (so spielten beispielsweise Bildungsthemen in der 5. KMU kaum eine Rolle, was in der 6. KMU deutlich verbessert wurde). Auch in Sachen Wissenschaftskommunikation wurden neue Wege beschritten, dazu gehören beispielsweise:
Open Access Veröffentlichung des Überblicksbands (EKD, 2023) und des Auswertungsbands (EKD, 2024), ab der ersten Veröffentlichung zusätzlich die Bereitstellung der vollständigen deskriptiven Auswertungen
sorgfältig geplante mediale Präsentation im Kontext der EKD-Herbstsynode 2023
Eintrag „Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung“ auf Wikipedia
Sicherung und Nutzung der Domain www.kirchenmitgliedschaftsuntersuchung.de
regelmäßige Veröffentlichung einzelner Themen über Social Media (z.B. „KMU-Tuesdays“)
Bereitstellung einer Web-Plattform mit zusätzlichen Materialien (www.kmu.ekd.de)
Die Web-Plattform stellt neben Kurz-Informationen und Grafiken auch Presse-Informationen in unterschiedlicher Länge bereit. So erhielten beispielsweise die überraschenden Erkenntnisse zur religiösen Sozialisation eine eigene Pressemeldung mit der Überschrift: „Die Konfirmation wird immer wichtiger“ (https://kmu.ekd.de/fileadmin/user_upload/kirchenmitgliedschaftsuntersuchung/PDF/Religi%C3%B6se_Sozialisation_-_Erkenntnisse_der_6._KMU.pdf). Anders als in der letzten KMU lag auf Platz 1 der religiösen Sozialisationsinstanzen nicht mehr das Item „meine Mutter“, sondern „meine Konfirmation“ (vgl. EKD, 2023, S. 59-60). Eine detaillierte Analyse nach Altersgruppen zeigt, dass die Konfirmation bei allen Generationen die Liste anführt. Also: Auch die Generation der Großeltern berichtet, dass für sie die Konfirmation den wichtigsten Einfluss auf ihre spätere Einstellung zum Glauben hatte. Es ist also davon auszugehen, dass diese Antwortmöglichkeit auch bei der 5. KMU vor zehn Jahren bereits die Liste angeführt hätte – allerdings: Es wurde nicht danach gefragt. Dieses Item wurde vom Beirat der 6. KMU als neue Antwortmöglichkeit in die Befragung aufgenommen.
Abb. 3: Ergebnis der 6. KMU zur religiösen Sozialisation (Quelle: https://kmu.ekd.de/kmu-themen/religioese-sozialisation)
Die Überschrift der Pressemeldung ist also wissenschaftlich nicht wirklich haltbar – über die Bedeutung der Konfirmation in früheren Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen ist schlicht nichts bekannt. Empirisch korrekt müsste man die Überschrift also umformulieren: Nicht „Die Konfirmation wird immer wichtiger“ beschreibt den Sachverhalt korrekt, sondern „Konfirmation als Sozialisationsfaktor neu entdeckt“. Wie an vielen Stellen wird auch hier deutlich: Präzise Aussagen erweisen sich nicht unbedingt als pressetauglich. Wer Wissenschaftskommunikation betreiben will, muss mit solchen Verkürzungen der Presseabteilungen leben. Auch die sehr professionelle mediale Aufbereitung der 6. KMU zeigt also, in welche Aporien man gerät, wenn komplexe empirische Sachverhalte in mediale Kurzbotschaften übersetzt werden sollen.
3 Trial and Error: Thesen zur Wissenschaftskommunikation
Ich komme jetzt zum riskantesten Teil meines Beitrags, in dem ich einige Thesen vorstelle, die im Rückblick auf eigene Versuche der Wissenschaftskommunikation entstanden. Das ist gefährlich, weil mir natürlich der Abstand zum eigenen Tun fehlt. Ich habe mich dennoch entschieden, weil die Situation dieser Wissenschaftskommunikation mit begrenzten Mitteln und „Trial and Error“ viel eher dem Alltag von uns allen entsprechen dürfte als dies bei großen Studien mit eigenen Kommunikationsabteilungen der Fall ist. Über die Verallgemeinerbarkeit und Begrenztheit dieser Thesen ist zu diskutieren. Vieles davon erscheint wahrscheinlich nicht neu, aber ich wage zu behaupten: Wir haben im Feld der religionspädagogischen „scientific community“ noch selten systematisch darüber diskutiert.
Der Erfahrungshintergrund, vor dem diese Thesen entstanden, sind zwei empirische Forschungsprojekte, an denen ich beteiligt war und die im ersten Halbjahr 2024 öffentlich vorgestellt wurden:
„Jugend zählt 2“ (Ilg, Kuttler & Sommer, 2024) bietet in Fortsetzung der Studie „Jugend zählt“ vor neun Jahren eine statistische Vollerhebung zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg und ihrer Diakonie. Umfangreiche Tabellen und Grafiken auf über 400 Seiten beantworten Fragen wie: Welcher Anteil junger Menschen wird von der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit erreicht? Wie viele Freizeiten werden rein ehrenamtlich geleitet? Wie ist das Zahlenverhältnis zwischen jungen Frauen und jungen Männern in den Freiwilligendiensten der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit und der Diakonie? Insgesamt 63 Fachleute erhoben diese Daten in einer gemeinsamen Studie und beschreiben in diesem Buch die Ergebnisse differenziert für alle einbezogenen Arbeitsfelder.
Die 3. bundesweite Konfi-Studie (Simojoki, Ilg & Hees, 2024) bietet die Ergebnisse einer EKD-weiten Befragung von über 3000 Konfirmandinnen und Konfirmanden sowie von Haupt- und Ehrenamtlichen. Unfreiwillig wurde die Studie auch zu einer Erhebung zu diesem Arbeitsfeld unter den Bedingungen einer Pandemie. Die ergänzende internationale Studie (Ilg et al., 2024) verweist auf die parallel durchgeführte europäische Untersuchung und enthält Berichte zur Konfi-Arbeit in neun europäischen Ländern.
Die genannten Bücher sind dank einer DFG-Förderung Open Access erschienen und können über die Links www.jugend-zaehlt.de und www.konfirmandenarbeit.eu heruntergeladen werden. Bei beiden Studien haben wir mit den bescheidenen Möglichkeiten, die wir zur Verfügung hatten, versucht, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Meine subjektiven Erfahrungen habe ich in sechs Thesen zusammengefasst, die ich jeweils mit Beispielen untermauere.
These 1: Wissenschaftskommunikation ist im Kern eine didaktische Aufgabe
Meine erste Pressekonferenz zu einer wissenschaftlichen Studie erlebte ich 2009 nach der Veröffentlichung der ersten Konfi-Studie. Die Reporterin fragte, was Konfis eigentlich motiviert, an der Konfirmation teilzunehmen. Die Antwort darauf ist komplex! Wir fragen diese Anmeldegründe wie die meisten anderen Items auch mit einer siebenstufigen Skala ab, auch in der 3. Studie. Die exakte Antwort aus dem Anhang der aktuellen Studie ist in Abbildung 4 dargestellt.
Abb. 4: Anmeldemotivation und Ziele der Teilnahme an der Konfi-Zeit (Quelle: Simojoki, Ilg & Hees, 2024, S. 280)
Diese Tabelle aus dem Anhang des Buchs enthält alle exakten Informationen, die für eine wissenschaftlich korrekte Antwort auf die Frage benötigt werden: Die Zustimmungsanteile für jeden Skalenpunkt auf der siebenstufigen Skala, die deskriptiven Werte N (gültige Fälle), M (Mittelwert) und SD (Standardabweichung), die tendenzielle Zustimmung (TZ), also die Summe der Antworten für die Skalenpunkte rechts der Mitte und schließlich die entsprechenden Zustimmungswerte aus den beiden Vorgängerstudien. Allerdings ist verständlich, dass eine solche Darstellung für die schnelle Lektüre als eher ungeeignet erscheint.
Selbst wissenschaftliche Leser:innen benötigen solche Ergebnisse zunächst in einer einfacheren Darstellungsweise, wie sie beispielsweise in Abbildung 5 zu sehen ist.
Abb. 5: Komprimierte pressetaugliche Darstellung (Quelle: angelehnt an Simojoki, Ilg & Hees, 2024, S. 137)
In dieser Kurzfassung lassen sich die Ergebnisse leicht verstehen, aber es geht Präzision verloren. So spielt es bei der tendenziellen Zufriedenheit (TZ) keine Rolle, ob jemand 5, 6 oder 7 angekreuzt hat – eine Unschärfe, die man in Kauf nehmen muss, um die Daten leichter zugänglich zu machen. Wer genau hinschaut, sieht zudem, dass hier nur 10 Items abgebildet sind, während die ausführliche Tabelle 13 Items beinhaltet. 3 Items, die sich auf die Motivation zur Konfirmationsfeier beziehen (Familienfest, Geld und Geschenke, Segen) wurden in eine separate Darstellung ausgelagert. In der Buchpublikation haben wir uns für eine Zwischenform entschieden, bei der die in Abbildung 5 dargestellte Tabelle noch mit einigen weiteren Informationen sowie Anmerkungen versehen ist.
Deutlich wird: Wissenschaftskommunikation verlangt eine Reduzierung der Informationen auf zentrale Inhalte. Für verschiedene Zielgruppen müssen die Daten zudem unterschiedlich aufbereitet werden. Hauptamtliche haben andere Interessen als Ehrenamtliche, Mitglieder der Kirchenleitung oder die allgemeine Öffentlichkeit. Sofern die umfangreichen Daten an irgendeiner Stelle verfügbar gemacht werden, ist gegen eine verkürzte Darstellung nichts einzuwenden: Diese ersetzt nicht die wissenschaftliche Gesamtdarstellung, sondern übersetzt sie lediglich für bestimmte Rezeptionsbedarfe.
An diesem recht alltäglichen Beispiel wird ersichtlich, inwiefern Wissenschaftskommunikation als didaktische Aufgabe angesehen werden kann: Es geht um Elementarisierung, ohne die eigentlichen Informationsgehalte zu verzerren. Beispielsweise kann man bei Prozentwerten in der Regel problemlos auf Nachkommastellen verzichten, ohne dass substanzielle Information verloren geht. Um Korrelationen zu verdeutlichen, helfen grafische Darstellungen von Kontrastgruppen, also zum Beispiel Antworten von Jugendlichen aus sehr religiösem und gar nicht religiösem Elternhaus usw. Das Stichwort Elementarisierung verdeutlicht bereits, dass Religionspädagog:innen für die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation eigentlich gut vorbereitet sind, denn die Aufbereitung von Inhalten für eine bestimmte Zielgruppe gehört zu ihren Grundkompetenzen.
These 2: Wissenschaftskommunikation bedeutet Begegnung mit Unverfügbarkeit: Trotz guter Planung bleiben die Steuerungsmöglichkeiten begrenzt
Wer eine Studie durchführt, plant alle Schritte akribisch: Die Konzeption des Fragebogens, die Akquise der Zielgruppe, die Datenauswertung, den Schreibprozess. Dass Wissenschaftskommunikation mit eingeplant wird, ist allerdings keinesfalls selbstverständlich. Viele Projektpläne enden mit dem Zeitpunkt der Buchveröffentlichung. Aus Sicht der Wissenschaftskommunikation kann dagegengehalten werden: „Ist das Buch beim Verlag, beginnt eine besonders wichtige Projektphase“. Wenn die Ergebnisse da sind, brauchen sie Übersetzungsarbeit, um sie verständlich zu machen. Hierfür müssen Ressourcen eingeplant werden, also eine längere Laufzeit der Personalstellen und Sachmittel, um Roll-ups, Pressemappen oder professionelle Grafiken finanzieren zu können.
Meine Erfahrungen aus den genannten Projekten zeigen: Oftmals sind Kooperationspartner: innen aus der Praxis ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Bei „Jugend zählt 2“ hatten wir beispielsweise eine Pressekonferenz geplant. Bereits ein Jahr vorher konnte der Sozialminister für einen Beitrag bei der Buchpräsentation und eine anschließende Pressekonferenz gewonnen werden, weil das Evangelische Jugendwerk in Württemberg als wichtiger Akteur der Jugendarbeit über gute Netzwerke auch in den politischen Bereich verfügt.
Abb. 6: Buchpräsentation zu „Jugend zählt 2“ mit Sozialminister Manne Lucha am 21.02.2024 (Fotograf: Julian Reith, EJW)
Die Buchpräsentation mit dem Sozialminister verlief erfolgreich: Der Saal war voll. Im Anschluss fand eine Pressekonferenz statt, welche die Gelegenheit bot, Fragen an den Sozialminister und das Autoren-Team des Buches zu stellen. Die Vorbereitung der Pressekonferenz gemeinsam mit den Praxispartner:innen der Studie war professionell: die Zeit nicht zu früh, Häppchen und Getränke standen bereit, hervorragende Technik, Pressemappen mit Texten in Kurz- und Langfassung – an alles war gedacht. Dennoch blieb der Zuspruch von Pressevertreter:innen bescheiden. Wissenschaftskommunikation lässt sich trotz aller Planung nicht steuern. Rückschläge und Frustration gehören dazu. Auch hierfür sind wir als Religionspädagog:innen eigentlich gut vorbereitet: Der Umgang mit Unverfügbarkeit gehört zu unseren Kernthemen. Kontingenzerfahrungen kann man nicht nur mit dem lieben Gott, sondern auch mit der lieben Presse einüben.
Bei „Jugend zählt 2“ ergaben sich im Nachgang der eigentlich enttäuschenden Pressekonferenz dann doch überraschende Effekte: Ausgelöst durch die Einladung zur Pressekonferenz entstand ein Kontakt mit dem SWR. Gleich zwei Hörfunkbeiträge entstanden zu Ergebnissen aus Jugend zählt 2 und der Konfi-Studie. Einige Zeitungen und zahlreiche Internetportale griffen die verschickten Pressemeldungen auf, insbesondere weil der epd (ein wichtiger Ansprechpartner für Themen aus dem religionspädagogischen Bereich!) daraus einen griffigen Text erstellte. Die Presseresonanzen sind auf den Projektseiten zusammengestellt (vgl. www.jugend-zaehlt.de/resonanz sowie www.konfirmandenarbeit.eu/medien) und zeigen insgesamt trotz der anfänglichen Enttäuschung bei der Pressekonferenz ein gutes Medienecho.
Aus den Erfahrungen solcher Pressekontakte ergab sich die nächste These:
These 3: Die Kultur der Medien hat ihre eigenen Regeln – sie erfordert „interkulturelle Kompetenz“ und Gelassenheit
Einige Regeln der Öffentlichkeitsarbeit scheinen unvereinbar mit dem wissenschaftlichen Habitus – aber an ihnen führt kein Weg vorbei. In Kontakten mit Medienschaffenden begegnen uns immer wieder Wünsche, die sich beispielsweise in folgenden Punkten beschreiben lassen:
Zuspitzung statt Differenzierung
Meinungen statt Fakten
Personalisierung statt Teamnennung
schnelle Reaktionen statt sorgfältiges Abwägen
begrenzte Zeit – insbesondere in Hörfunk und Fernsehformaten
Wenn zwei unterschiedliche „Kulturen“ – in diesem Fall: Wissenschaft und Medien – aufeinanderstoßen, braucht es so etwas wie „interkulturelle Kompetenz“ – auch dies ist uns als Religionspädagog:innen nicht fremd. Wir sollten uns auf die uns möglicherweise fremde Kultur nicht nur einlassen, sondern auch ihre Chancen erkennen. Bei der Pressearbeit bewegen wir uns als Wissenschaftler:innen nicht auf heimischem Boden – aber es kann Spaß machen, auf fremdem Terrain unterwegs zu sein. Ähnliches gilt, wenn öffentlichkeitstaugliche Kurztexte zu wissenschaftlichen Themen geschrieben werden – diese dürfen nicht Maß am üblichen Stil nehmen, sondern müssen bewusst auf die breite Leser:innenschaft hinzielen. Dies bleibt innerhalb der Wissenschaft nicht ohne Gefahren: „Wer (...) so schreibt, dass es selbst seine Oma versteht, riskiert allerdings, dass die Kollegen die Augen verdrehen. Wer das vermeidet, erreicht die Oma nicht“ (Falkenberg, 2021, S. 53). Die Aufarbeitung von Ergebnissen braucht also Gelassenheit gegenüber einem Fachpublikum, das solche Texte auch liest, aber nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehört.
Wie bei allen „interkulturellen Aufgaben“ können „Kulturmittler:innen“ hilfreiche Unterstützung bieten. Die Presseabteilungen der Hochschulen sind für diese Aufgabe prädestiniert und es empfiehlt sich, bei der Wissenschaftskommunikation die Unterstützung durch solche Profis in Anspruch zu nehmen.
These 4: „Liebe auf den ersten Blick“: Je breiter die Zielgruppe, desto attraktiver müssen die ersten Botschaften sein
Die Geschwindigkeit der Wahrnehmung ist entscheidend im medialen Bereich. Das gilt schon für die klassischen Medien wie Zeitungen und natürlich noch viel stärker für den Social-Media-Bereich, bei dem oft Sekundenbruchteile darüber entscheiden, ob eine Information angeklickt oder weggewischt wird. Wenn wir mit Buchpublikationen mehr als ein Fachpublikum erreichen wollen, dann bedarf es prägnanter Titel. Der Slogan „Jugend zählt“ als Buchtitel war schon für das erste Statistik-Projekt vor neun Jahren hilfreich, weil er sehr viel leichter kommunizierbar ist als die zwar korrekte, aber doch sperrige Formulierung im Untertitel „Statistik zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Evangelischen Landeskirchen Baden und Württemberg“ (Ilg, Heinzmann & Cares, 2014). Der Titel der qualitativen Folgestudie „Jugend gefragt“ schloss sich dem gut an. Zu Recht erhielten wir aber immer wieder die Rückfrage: Führt die Titelformulierung „Jugend gefragt“ nicht in die Irre, wo die Interviews doch nicht mit jungen Teilnehmenden, sondern zumeist erwachsenen Verantwortlichen aus der Jugendarbeit geführt wurden? Die Wahl von Titeln bleibt eine Gratwanderung zwischen sachlicher Korrektheit und Attraktivität des ersten Eindrucks. Dies gilt insbesondere für Buchtitel, die eine neue Generation aufrufen und damit die Komplexität der Jugend auf einen einzigen Aspekt verkürzen – man denke an „Generation Greta“ (Hurrelmann & Albrecht, 2020) oder „Generation Lobpreis“ (Faix & Künkler, 2018).
„Liebe auf den ersten Blick“ entsteht nicht nur bei Buchtiteln, sondern insbesondere bei visuellen Medien. Das Buch „Jugend zählt 2“ enthält auf dem Cover sowie auf dutzenden Innenseiten zahlreiche Fotos aus Jugendarbeit und Diakonie. Angesichts der hohen Hürden beim Recht am eigenen Bild führte unsere Entscheidung, Fotos aus den jeweiligen Arbeitsfeldern zu verwenden, zu einem immensen Aufwand und einem umfangreichen Stapel zu unterschreibender Einverständniserklärungen der jungen Menschen und ggf. ihrer Eltern. In Anbetracht solcher Erfahrungen befürchte ich, dass wir in wenigen Jahren bei fast allen Büchern die gekauften Stockfotos sehen werden, die beispielsweise bei Pixabay gratis zu haben sind. Hier geht ein Stück Authentizität verloren. Die Fotos, die als Eyecatcher genutzt werden, führen in eine Welt, die mit der Wirklichkeit unserer Arbeitsfelder wenig zu tun hat, dafür aber rechtlich abgesichert ist und den Ansprüchen an diversity in einer mittlerweile schon langweiligen Gleichförmigkeit der Diversität entspricht. Noch aufwändiger ist es, Videos zu erstellen. Bei „Jugend zählt 2“ wurden die zentralen Erkenntnisse des Forschungsprojekts in einem 5-minütigen Video zusammengestellt (https://www.youtube.com/watch?v=r405trBNDJQ). Was gefällig daherkommt, erforderte lange Vorbereitungen und war wiederum nur dank der medienaffinen Kooperationspartner:innen aus der Praxis möglich.
These 5: Damit Wissenschaftskommunikation habitualisiert werden kann, muss sie in der Lehre eingeübt werden
Es wurde bereits ersichtlich, dass Wissenschaftskommunikation einen immer bedeutsamer werdenden Teil der Forschung darstellt. Daher sollten sich auch Studierende, die mit der wissenschaftlichen Religionspädagogik vertraut gemacht werden, in dieses Feld einüben. Einige Möglichkeiten dazu seien exemplarisch genannt:
Podcasts sind eines der Formate, mit denen junge Menschen sich auch umfangreichere Inhalte erschließen. Die Produktion von Podcasts kann beispielsweise nach der Fertigstellung einer Hausarbeit oder Bachelorarbeit angeregt werden. Beispiele finden sich im Förderprogramm „Abschlussarbeiten internationale Mobilität“ (AIM) unter lernfeld-unterwegs.de/aim-for-it.
Wikipedia wird weithin als „der neue Brockhaus“ genutzt, auch von Studierenden. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, Studierenden die Erstellung eines Wikipedia-Artikels, beispielsweise mit der Darstellung einer neu erschienenen Jugendstudie, aufzutragen. Sie üben hierbei die Kunst, komplexe Inhalte auf ein kurzes lexikalisches Format zu bringen. Mindestens genauso wichtig ist die Erkenntnis, dass Wikipedia-Artikel sehr leicht zu erstellen oder zu verändern sind – und man die darin formulierten Inhalte keinesfalls als objektive Wahrheit ansehen sollte.
Wird die Wissenschaftskommunikation neuer Studien mit einer Fachveranstaltung verbunden, lassen sich Studierende hierbei gut als Akteure:innen einbinden. So wirkten beispielsweise insgesamt etwa 40 Studierende auf der Bühne und in der Moderation von Workshops mit, als „Jugend zählt 2“ bei einem öffentlichen Studientag am 24.06.2024 an der EH Ludwigsburg vorgestellt wurde (https://www.jugend-zaehlt.de/studientag). Mit den Master-Studierenden hatte ich das Abschlusspodium vorab mit Video-Feedback eingeübt – es war erstaunlich zu sehen, wie viel prägnanter die Statements durch diese Übung gerieten.
These 6: Wissenschaft als Dienstleister: Wo Daten gesammelt werden, sollten diese auch nutzenbringend aufbereitet werden
In beiden Projekten haben wir es neben der Öffentlichkeitsarbeit zu den gesammelten Ergebnissen auch zusätzlich gewagt, Daten für die lokale Ebene bereitzustellen. Wir wurden also mit unseren Erkenntnis-Schätzen zum Dienstleister für die Praxis. Diese Form der Wissenschaftskommunikation geschieht bislang eher selten, hat aber insbesondere bei größeren quantitativen Studien einiges Potenzial.
Bei „Jugend zählt 2“ bestand die Dienstleistung in einer lokalen Aufarbeitung der Daten. Da „Jugend zählt 2“ auf einer Vollerhebung aller lokalen Aktivitäten beruht, war die Frage naheliegend, ob die Auswertungen nicht auch auf Kirchenbezirksebene bereitgestellt werden könnten. Dies wurde, wiederum in Kooperation mit den IT-Spezialisten des EJW, umgesetzt und bietet einen großen zusätzlichen Nutzen für die Verantwortlichen vor Ort. Unter www.jugend-zaehlt.de/auswertungen sind die Erhebungsdaten für alle Kirchenbezirke bereitgestellt. Dies wird ergänzt durch demografische Daten für jede Kirchengemeinde und jeden Kirchenbezirk. Die Wissenschaft hat sich hier also nicht lediglich der Aufgabe gestellt, die Ergebnisse einer Studie zu distribuieren, sondern sie erweist sich als Dienstleister für etwa 2000 Gemeinden, denen sie Daten in jeweils lokal nutzbarer Form bereitstellt. Eine ähnliche Funktion ist übrigens mit dem digitalen Kirchenatlas geplant, der im Zuge der 6. KMU erstellt wurde und Ende 2024 online gehen soll.
Eine andere Form der wissenschaftlichen Dienstleistung wurde im Rahmen der 3. Konfi-Studie entwickelt: Das neu entwickelte Feedback-Tool „i-konf“ steht seit dem Ende der Studie unter www.i-konf.eu kostenfrei zur Verfügung, übrigens in 15 verschiedenen Sprachen. Die Dienstleistung besteht in diesem Projekt darin, Gemeinden dabei zu unterstützen, selbst eine Befragung durchzuführen, die wissenschaftlich dadurch abgesichert ist, dass die entsprechenden Items in der 3. bundesweiten Studie entwickelt wurden und die Ergebnisse dieser Studie als Referenzdaten genutzt werden können.
4 Aller Anfang ist leicht: Einfache Schritte zum Aufbau wirksamer Wissenschaftskommunikation
Die Relevanz von Wissenschaftskommunikation wird von den Akteur:innen im Feld religionspädagogischer Wissenschaft kaum infrage gestellt, aber in der Praxis bleibt die Herausforderung: Wie soll das angesichts begrenzter zeitlicher und finanzieller Ressourcen umgesetzt werden? In der Tat weist die entsprechende Literatur auf eine fast unendliche Möglichkeit der Umsetzung hin (vgl. die Checklisten in Falkenberg, 2021, oder die Auflistung geeigneter Formate unter https://www.wissenschaftskommunikation.de/formate).
Wie aber kann Wissenschaftskommunikation, beispielsweise für ein empirisches Forschungsprojekt, gelingen, wenn dafür insgesamt nicht mehr als 10 Tage Arbeitszeit und 1000 Euro Sachmittel bereitstehen? Unter dieser Prämisse habe ich versucht, eine kleine Liste von Mindest-Standards zu erstellen, die mit überschaubarem Aufwand umsetzbar sind und doch deutliche Wirkung versprechen. Diese sollen im Folgenden stichwortartig benannt werden:
Unverzichtbar ist die Veröffentlichung eines ausführlichen Forschungsberichts, idealerweise als Open Access. Wenn eine Buchpublikation nicht möglich erscheint, sollte zumindest die Online-Veröffentlichung, beispielsweise auf Kidoks, dem kirchlichen Dokumentenserver, erwogen werden – immerhin wird dieser auch von Google Scholar gefunden (https://kidoks.bsz-bw.de).
Bei Buchpublikationen sollte bedacht werden, Rezensionen anzustoßen. Dies kann deutlich dazu beitragen, dass die Fachwelt auf ein neu erschienenes Buch aufmerksam wird, gerade bei Dissertationen, die leider oft ein Nischendasein führen. Die Verlage sind in der Regel bereit, neben Rezensionsexemplaren auch Freiexemplare an potenzielle Multiplikator:innen zu senden – hier könnten wiederum Transfer-Agenturen wie die Pädagogisch-Theologischen-Institute in den Blick kommen.
Zusätzlich zur ausführlichen Publikation bedarf es einer Zusammenfassung, die frei im Netz zugänglich ist. Auch wenn es schwerfällt, komplexe Erkenntnisse kurz zu bündeln: Kein Projekt sollte ohne eine Zusammenfassung von wenigen Seiten enden, die im besten Fall als Verlockung zur Lektüre des Gesamtberichts dient – meist dessen Lektüre aber leider ersetzt. Und: Zumindest ein kurzer Überblick oder ein Abstract sollte auch auf Englisch bereitgestellt werden.
Neben Artikeln in Fachzeitschriften sollten auch Praxismedien bedacht werden, beispielsweise Impulse in einer Zeitschrift für Lehrkräfte.
Wo eine eigenständige Tagung nicht möglich erscheint, können Veranstaltungen genutzt werden, die ohnehin stattfinden, beispielsweise Fachtage, Praxismessen, die didacta, der Kirchentag oder Ähnliches. Manches Mal sind hier Kurzformate erforderlich, davor sollte man auch als Wissenschaftler:in nicht zurückschrecken.
Bei Themen mit einem gewissen öffentlichen Interesse kann eine Pressekonferenz einberufen werden – alternativ sollte zumindest eine Pressemitteilung online bereitgestellt und gezielt an entsprechende Redaktionen geschickt werden.
Von zunehmender Relevanz ist auch für die Wissenschaft die Nutzung Sozialer Medien. Die hier erforderlichen Kurzformate bedürfen allerdings einer eigenen Reflexion, die im vorliegenden Beitrag nicht geleistet werden konnte.
Als Basis für jede öffentliche Sichtbarkeit sollten Informationen über ein Forschungsprojekt auch im Internet verfügbar gemacht werden. Darauf kann dann an allen anderen Stellen der Öffentlichkeitsarbeit verwiesen werden. Und auch wenn die eigentliche Darstellung einer Studie möglicherweise auf der Hochschulseite erfolgen muss, erweist sich eine eigene Domain (die dann ggf. weitergeleitet wird) für die Kommunikation als besonders hilfreich. Erstaunlicherweise sind im Feld der Religionspädagogik viele attraktive Domains noch nicht vergeben. Mit 10 Euro pro Jahr lässt sich eine solche Domain sichern und bietet eine gut kommunizierbare Basis für die Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehören beispielsweise Domainnamen wie www.evangelische-religionspaedagogik.de oder www.forschung-religionsunterricht.de. Solche Domains zu sichern, sollte nicht am Ende, sondern bereits ganz zu Beginn eines Forschungsvorhabens stehen, denn hier gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.6
Wissenschaftskommunikation erweist sich als ein großes, seitens der Religionspädagogik noch weithin unbeackertes Feld. Und doch kann, wie der zuletzt genannte Hinweis aufzeigt, schon mit wenigen Minuten Zeitaufwand und 10 Euro Kapitaleinsatz der Grundstein für gelingende Wissenschaftskommunikation gelegt werden. Auch für die Religionspädagogik gilt: Wissen schafft Öffentlichkeit!
Literaturverzeichnis
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ZPT (Zeitschrift für Pädagogik und Theologie) (2023). Themenheft: Die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD. 75(4).
Dr. Wolfgang Ilg, Professor für Gemeindepädagogik (Schwerpunkt Jugendarbeit), Leiter der Forschungsgruppe Jugendarbeit (www.jugendarbeitsforschung.de), Evangelische Hochschule Ludwigsburg
Der Beitrag basiert auf dem gleichnamigen Eröffnungsvortrag bei der Jahrestagung der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik am 13.09.2024 in Würzburg. Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten.
Für die Kirchen stellt diese Entwicklung eine besondere Herausforderung dar. So heißt es in der Confessio Augustana: „Vom Kirchenregiment (kirchlichen Amt) wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordnungsgemäße Berufung [nisi rite vocatus]“ (CA 14). In Zeiten, in denen (auch christliche) Influencer sehr viel mehr Menschen ansprechen als die Predigerin in einer Kirche, ist dieser Grundsatz faktisch aber kaum mehr durchhaltbar. Das „öffentliche Lehren“ ist inzwischen von jedem Handy aus möglich und entzieht sich damit der zentralen Regulierung.
Kritische Hinweise zu weiteren Aspekten früherer Sinus-Studien finden sich in Ilg, 2014.
Der Bildungsbericht mit seiner Kombination aus präzisen Beschreibungen, Überblicksdarstellungen und zusätzlichen Tabellen im Online-Angebot kann im Übrigen als ein „best practice“-Beispiel der Wissenschaftskommunikation gelten.
Dieses Themenheft der ZPT verdankte sich insbesondere der Initiative von Prof. Dr. David Käbisch, der auch Mitglied im Beirat der 6. KMU war. Sein Tod im Frühjahr 2024 hinterlässt eine schmerzliche Lücke im Feld der Religionspädagogik – und bei Menschen, die ihm (wie ich) persönlich verbunden waren.
Naturgemäß kann keine Garantie dafür übernommen werden, dass die hier benannten Domains zum Zeitpunkt des Erscheinens noch verfügbar sind. Einige weitere freie Domainnamen, die ich am Ende meines Vortrags benannt hatte, waren am Folgetag bereits vergeben ...