Wissen, das grundsätzlich und überall verfügbar ist, wird in seiner Bedeutung unterschätzt. Damit wird es immer weniger „gewusst“, weil es in einem unverbundenen Status – als Datenmaterial – allverfügbar ist und damit zunächst erst einmal keine Anreize für Menschen vorhanden sind, sich dies anzueignen. Informationen so zu systematisieren, dass sie von den richtigen, weil relevanten Rollen, Stakeholdern, Menschen, Akteur*innen gefunden und zu Wissen verarbeitet werden, ist eine Aufgabe, die notwendig exemplarisch bleibt. Wissensmanagement heißt: Anreize zu schaffen, sich Datenmaterial zu relevantem Wissen anzueignen. Dazu wird ein Vertrauensvorschuss benötigt, damit Menschen den Aufwand betreiben, dies auch tatsächlich zu tun. Zugleich bedeutet es auch: Wissensmanagement ist insofern eine didaktische Aufgabe, als es gilt, die dabei auftretenden Hürden abzusenken. Das betrifft etwa die Auswahl von relevanten Informationen, die Art ihrer Darstellung und Verknüpfung sowie die Angebote, Deutungen aus verschiedenen Perspektiven zu rezipieren, um eigene Wissensbestände und Einstellungen kritisch zu prüfen (vgl. zum Ganzen: Bullinger, Wörner & Prieto, 1998; Probst, Raub & Romhardt, 2013; Nonaka & Takeuchi, 2012 sowie North, 2016) .
In der Gegenwart ist eine solche Form von Wissensmanagement von besonderer Bedeutung: Die religiöse Situation in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Konfessionslosigkeit ist zum Regelfall geworden, Religiosität nimmt kohortenbezogen ab. Damit wird die Kirche allerdings nicht nur „kleiner“. Religiöse, kirchliche und glaubensbezogene Inhalte sind aufwändiger zur Sprache zu bringen als in einer Gesellschaft, in der man implizit davon ausgehen kann, dass christliche Symbolpolitiken und Sprachcodes zum kollektiven Gedächtnis gehören. Dies gilt unabhängig davon, ob dies auch für Einzelne der Fall ist oder nicht (Evangelische Kirche in Deutschland, 2023).
Das Management von Wissen hängt diesen Entwicklungen nach, es tritt erst auf, wenn diese Entwicklungen an Phänomenen sichtbar werden. Die innerorganisationale Kommunikation ändert sich, weil weniger Akteur*innen mit immer disparateren individuellen Wissensarchiven das Feld bespielen. Veränderte Wissensbestände bei Studierenden, bei Schüler*innen, bei Menschen, die in Kontakt mit Kirchlichkeit kommen, bleiben nicht folgenlos. Nicht nur Wissen muss aktiv so kartografiert werden, dass Interaktion daraus entsteht, sondern die Wissenschaften selbst spüren die Erwartung, ihre Bestände so zu managen, dass sie sich selbst auf einem Markt damit behaupten könnten.
Diese Marktlage erfordert – bei hinreichend allgemeiner Betrachtung – die Differenzierung in zwei Anspruchsgruppen: Zum einen werden die bisherigen Adressat*innen wissenschaftlichen, v.a. lehrenden Handelns, stärker in den Blick gerückt: Im Feld theologischer Wissenschaften werden sie weniger und zugleich diverser. Eine Vorannahme allgemein vorhandener Wissensarchive trifft im Ganzen fehl. Zum anderen tritt die weitere Öffentlichkeit als Akteur auf, gemeinhin auch als „drittes Feld“ beschrieben (Neidhardt, 2002; Weingart, 2005; Yearly, 2000). Ihr Anspruch wird etwa durch die institutionelle Stimme einer Universität laut, die nach dem gesamtgesellschaftlichen Impact einer Wissenschaft fragt. Dies ist nicht interessenlos und uneigennützig, sondern meist im Lichte des ökonomischen Ressourcendrucks von Forschung und Lehre zu verstehen.
Akademisches und kirchliches Interesse kommen darin überein, dass sie Zugänglichkeiten, Sprachfähigkeiten bzw. Kompetenzen und letzthin auch Zugehörigkeiten bzw. Habitus erschließen wollen, vorrangig bzw. auch über das Medium Wissen. In einer Situation, in der Wissen immer weniger „gewusst“ wird, werden hermeneutische Zugänge attraktiv, die die Person des/ der Studierenden bzw. des glaubenden Menschen in die Wissensproduktion selbst involvieren. Derart religionshermeneutische Zugänge erfordern nun allerdings kleine Losgrößen, individuelles Erleben sowie die Bildungsproduktivität jeder handelnden Person. Darin erweist sich dieses Bildungsverständnis als zutiefst protestantisch (Dressler, 2006; Evangelische Kirche in Deutschland, 2003 und 2022). Das führt zu einer theoretisch trivialen, für die Formatierung von Bildungsprozessen allerdings zentralen These:
Wissen existiert nicht (mehr) „an sich“, sondern erweist sich in kommunikativen Prozessen, die auch nicht notwendigerweise per se „freundlich gesinnt“ sind. Im Feld der Religionspädagogik zeigt sich dies etwa im Ringen um den Status des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen oder in der Frage des Stellenwerts der Gemeindepädagogik im Kontext von kirchlichen Organisationen, die vor großen strukturellen Veränderungsaufgaben stehen. Das kirchliche Proprium in dieser Gemengelage ist, dass Kirchen einen Auftrag zu dieser Kommunikation haben, von dem sie sich unabhängig von der Marktlage nicht dispensieren können. Akademische Kontexte hingegen haben sich lange – zumeist unter Berufung auf die Freiheit von Forschung und Lehre – so verhalten, als ob für sie diese Marktlage nicht existiere.
Beide Kontexte sind potenziell davon bedroht, Anschlüsse in die Gesamtgesellschaft zu verlieren. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD seit 1972 machen in der historischen Längsschnittperspektive sichtbar, wie sich die evangelischen Kirchen in Deutschland von einem Ort der Mühseligen und Beladenen der Gesellschaft zu einem der Gebildeten und überdurchschnittlich gut Verdienenden gewandelt hat. Populistische Haltungen sind hier insgesamt genauso häufig anzutreffen wie in der Gesamtgesellschaft (Rebenstorf, Schulz & Merle, 2024). Kohortenbezogene Säkularisierungseffekte haben zudem zur Folge, dass mit dem Bildungsgrad der Kirchenmitglieder nicht notwendigerweise auch das innerkirchliche Wissen über Fragen zu Glaube, Religion und Kirche steigt. Wissenskommunikation in Form von Bildungsanlässen ist demnach unter Absehung des Mitgliedschaftsverhältnisses zu adressieren: Innerhalb der Kirchen wird nicht automatisch „mehr gewusst“ in Sachen Theologie, Glaube und Religion als außerhalb. Es zeigt sich:
Die Frage der Kommunikation von Wissen ist im Kontext einer zunehmenden kulturellen Fremdheit des Christentums in Deutschland ein Ringen um Relevanz und Reichweite.
In einer Gegenwart, die die Wissensgesellschaft (Robert E. Lane) zuweilen schon zugunsten von Affekt, Atmosphäre und Anmutung verabschiedet hat, ist Wissen dennoch auch eine zentrale Ressource kirchlichen Handelns. Es durchzieht das kirchliche Handeln dimensional, und ist bedeutsam als Mittel einer (Erst-)Sozialisation in Sachen religiöser Sprachfähigkeit. Als solches wird es zur wichtigen Performanz: Wissen muss sich repräsentieren, um wirksam zu werden.
Wissen ist also zu einem Teil der kirchlichen Grundperformanzen (des Gemeinschaftlich Feierns, des Lehrens und Lernens sowie des Helfens zum Handeln) und ist dort gleichsam ein „Parasit“ der bereichsspezifischen Logiken. Die Fähigkeit, hier sprachlich „Übertragungen“ und „Übersetzungen“ zu leisten, ist ausschlaggebend für die Wirksamkeit von Akteur*innen, die inmitten dieser Logiken agieren. Damit ist eine Abkehr von der allgemeinen Ansicht verbunden, als handele es sich bei „Bildung“ um eine Art „Sektor“ kirchlichen Handelns. Vielmehr entsteht in der Logik des lehrenden und lernenden Handelns eine Doppelcodierung von „Wissen“, weil es als Bildungshandeln an spezifischen Orten markant wird. Aus kirchlicher Sicht kommt Religionspädagogik als Wissen(schafts)kommunikation demnach als Metakommunikation und -reflexion dieses Handelns zu stehen..Sie macht explizit, was professionell Berufstätige in diesem Bereich idealerweise als abgesunkenes Professionswissen verkörpern.
Wissen im hier skizzierten Sinne ist demnach notwendig im Kontext seiner (kirchlichen) Verwendung zu betrachten, aber auch im Blick darauf, wer die Akteure sind, die mit Informationen hantieren. Daten „an sich“ zu veröffentlichen, ist beispielsweise für all diejenigen sinnlos, die keine intrinsisch motivierten Expert*innen auf einem Gebiet sind. Daten als sinnvoll kombinierte Folge von Zeichen sind dann zunächst erst einmal wirkungs- und bedeutungslos. Es gibt davon schlicht zu viel und es wird überwiegend als zu mühsam oder schwierig empfunden, sie allererst zu kontextualisieren und zu deuten.
Stellt man dieses Datenmaterial nun in einen Problem- und Erörterungszusammenhang, entstehen Informationen. Zuweilen ist dies ausreichend, um Entwicklungen einzuschätzen oder Kennzahlen abzuleiten. Erst in Verbindung mit persönlicher Erfahrung allerdings transformieren Informationen sich in Wissen, werden sinnstiftend und dienen der Situationsbewältigung. Es entstehen effektive Handlungszusammenhänge, die an „Wissensträger*innen“ gebunden sind – Menschen oder Gruppen, die Einsichten für sich so erschlossen haben, dass sie durch Verhalten erkennbar werden (Senge, 1997).
Kirche als Organisation von sozialen religiösen Praxen hat deshalb ein genuines Interesse daran, Datenlagen zur religiösen Lage gut zu erfassen, Deutungskorridore abzustecken und Handlungsoptionen gemeinsam mit Stakeholdern zu erarbeiten.
Um diese Aufgabe einzugrenzen und operationalisierbar zu machen, hilft eine Differenzierung der Stakeholder. Die Organisationsforschung kennt dazu eine Reihe von Modellen. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Stakeholder nach ihrer Wichtigkeit für die Einbeziehung in organisationale Kommunikationen zu priorisieren, schlage ich – in Anlehnung an Mitchell, Agle und Wood (1997, S. 874) – eine Systematisierung nach Macht, Dringlichkeit und Legitimität der vorhandenen Ansprüche vor.
Dabei geht es darum, sichtbar zu machen, in welchem Maße eine Anspruchsgruppe von organisationalen Entscheidungen und Entwicklungen überhaupt betroffen ist.
Einer großen Relevanz und – mitunter auch subjektiv empfundenen – Dringlichkeit der Anliegen entspricht eine hohe Anspruchshaltung gegenüber der Organisation, die der Moderation bedarf. Als dritte Dimension zur Einschätzung der Bedeutung von Stakeholderanliegen tritt die Frage der Legitimität hinzu. Die Macht von Ansprüchen wird durch eine Legitimität, die ihnen zugesprochen wird, zu einer Autorität im Gegenüber zum organisationalen Handeln. Macht macht umgekehrt legitime Ansprüche überhaupt erst durchsetzungsfähig; Dringlichkeit verleiht ihnen die u.U. nötige Nachdrücklichkeit. Für Wissenskommunikation in kirchenentwicklerischen Kontexten kann die Priorisierung von Stakeholdern demzufolge etwa wie folgt aussehen:
Abb. 1: Akteure in Reformprozessen (Erichsen-Wendt, 2023)
Wer als Akteursperson in Kirchenentwicklungszusammenhängen auftritt, ist oft vergleichsweise „nah“ an der Organisation. Daraus entsteht die Erwartung einer Kommunikation im Modus von Interaktion. Es handelt sich also um eine Form von „erster“ Zielgruppe, von „konkreter“ Anspruchsgruppe, von Personen, die einander in ihren Rollen, oft aber auch persönlich bekannt sind. Es besteht also leichter die Erwartung, in einer relativ deutlich individualisierten Form angesprochen zu werden, etwa durch Medien, die eine stark segmentierte Zielgruppe ansprechen.
Demgegenüber werden im Zuge der kirchlichen Themenkommunikation auch kirchliche Öffentlichkeiten sichtbar, die sich nicht direkt durch formale Rollen auszeichnen: Wer gegenwärtig Verantwortung für kirchenentwicklerische Themen übernimmt, handelt oft auch eher aus einer Bewegungs- als einer organisationalen Logik und lässt sich deshalb aus Sicht der Organisation nur schwer erreichen. Daneben gibt es für kirchliche Themen immer auch noch eine allgemeine, oft diffuse Öffentlichkeit, die schwer direkt zu adressieren ist. Sie wird gegenüber den klar definierten Anspruchsgruppen mit ihren unterschiedlichen Betroffenheitsgraden einerseits sowie den klaren formalen Rollen andererseits eher massenmedial erreicht: durch Onlinekommunikation, Social Media und gelegentlich auch Tageszeitungen. Sie erlangen ihr Wissen eher generalisiert.
Konkretionen
In diesem Beitrag sei das Augenmerk auf drei exemplarische Formate gelenkt: auf Podcasting, die gemeinsame Arbeit auf einer Plattform sowie die Kommunikationsleistung einer Infopostkarte.
Bei einem Podcast handelt es sich um ein serielles Format von Audiodateien, die üblicherweise über eine App erreichbar sind und über ein Smartphone abgespielt werden. Besonders an diesem Ausspielformat ist, dass sich dort eine Kommunikation quasi „mit sich selbst“ beschäftigt, indem üblicherweise in einem Gesprächsformat überhaupt erst Wissen gehoben wird. Deshalb gehört es wesentlich zu diesem Format dazu, dass es nur lose geskriptet wird. So bekommen Zuhörende die Gelegenheit, bei der Entstehung der Wissensrepräsentation gleichsam „dabeizusein“. Auf diese Weise wird der Weg von Informationen zu Wissen nachvollziehbar und anschaulich. Themen werden über die Generierung des Wissens, das zu ihnen gehört, ins Gespräch gebracht. Beispielsweise ist es auch möglich, ausführlichere Erläuterungen zu platzieren sowie Wissen zu kontextualisieren. Das sind Situierungen von Wissen, die sich textlich kaum oder nur mit hohem Aufwand realisieren lassen. Dadurch, dass Podcasts von sprechenden Personen verkörpert werden, ist es zudem möglich, persönliche Anknüpfungspunkte in einer Weise einzubringen, wie es einem Gespräch in kleiner Runde vergleichbar ist. Wissenskommunikation rückt so nah an qualifizierte Alltagskommunikation, die der*die Rezipient*in hörend nachvollziehen kann. Dabei fügt es sich durch die mobile Allverfügbarkeit in die eigene Alltagsroutinen ein, es handelt sich demnach um eine Form alltags- und damit mitunter auch arbeitsplatznaher Wissensrepräsentation. Sie bedient primäre Stakeholder, weil sie persönliche Interaktion in Szene setzt, bleibt schadlos ein Spartenkanal, ist aber prinzipiell auch verfügbar für einen weiteren Personenkreis.
Im Zuge einer mittelfristig stark abnehmenden Zahl kirchlicher Akteur*innen, die mit zunehmend komplexen Fragestellungen konfrontiert sind, entsteht die Frage, in welchen Räumen es zu Begegnungen zwischen denjenigen kommt, die in einem schmalen Themensegment vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Der Gedanke einer Kirchenentwicklung als Plattform gehört in diesen Kontext, der sich auch digital an unterschiedlichen Stellen abbildet. In einer weniger fachspezifischen Form gehört in diesen Bereich auch das Phänomen eines social intranet. Zentral ist hier eine vorgängige soziale Einbettung, da die community als Akteur von Wissensgenerierung und Zusammenarbeit zugleich in Erscheinung treten soll. Es handelt sich um eine Form der kollektiven Wissensgenerierung, bei der die Grenzen zwischen Produktion und Rezeption verschwimmen, es idealerweise zu einer Haltung des prod-using kommt. Zu den Herausforderungen dieses Formats der Wissensproduktion und -repräsentation gehört, dass sich ein solcher Haltungswechsel weg von einem Sender-Empfänger-Modell nicht allein dadurch ergibt, dass sich technische Möglichkeiten verändern. Stark demokratisierte Kommunikationselemente haben es in einer Linienorganisation schwer, Vertrauen für sich zu gewinnen. Dazu kommt, dass im kirchlichen Kontext eine überdurchschnittlich hohe Skepsis gegenüber qualifizierter digitaler Kommunikation besteht, dem Medium selbst also überwiegend distanziert begegnet wird. Eine dritte Herausforderung besteht darin, dass die Rolle themenfokussierter Kollaboration im kirchlichen Bereich gegenüber der Kommunikation mit persönliche Vertrauten geringer einzuschätzen ist: Wenn es um Zusammenarbeit geht, schlägt die Auswahl der Personen, mit denen gearbeitet wird, stärker zu Buche als die fachliche Expertise von bislang Unbekannten. Für eine Plattformlogik kirchlicher Wissenskommunikation ist demzufolge ein verstärktes Augenmerk auf die Qualität sozialer Einbettung der anwesenden Akteur*innen zu richten.
Auch analoge Medien spielen in kirchlicher Wissenskommunikation weiterhin eine zentrale Rolle. Ausgewählt ist mit der Infopostkarte vergleichsweise ein „Mikromedium“, weil es sein könnte, dass gerade kurze Kontaktgelegenheiten mit Kirchlichkeit auch perspektivisch besonders nachgefragt sein werden. Als Streuartikel erreichen solche Mikrointerventionen in erster Linie primäre Stakeholder, können aber auch „bei Gelegenheit“ sekundäre Stakeholder und passager Interessierte erreichen. Stakeholder werden von der Frage der Zugänglichkeit von Wissen entlastet, indem hier Verweise auf zentrale Einsichten bzw. auf weitergehende Wissensarchive hinterlegt sein können. Als „give away“ übernimmt es die Funktion eines emotionalen Ankers und einer Erinnerungsstütze, die sich als Symbol des Kommunikativen („Ansichtskarte“) potenziell überall dazwischen mischen kann. Wissen kann so an immer anderen Stellen „andocken“ und eine neue, mitunter sogar überraschende Relevanz gewinnen.
Folgerungen
Die Möglichkeiten, kirchenentwicklerisch Wissen zu kommunizieren, sind vielfältig. Das ist ihre Chance, zugleich aber auch ihr Problem: Informationen gibt es zuhauf; die Zeit, es in Wissen zu transformieren, fehlt oft. Deshalb erfolgt die Auswahl eines Formats sinnvollerweise in didaktischer Absicht, um Schwellen der Wissensaneignung zu senken. Damit werden Anspruchsgruppen spezifischer – weniger Akteur*innen werden erreicht, allerdings in markanter, oft pragmatischer Absicht.
Die Stärke eines Wissensmanagements in kirchlichem Interesse besteht darin, dass es auf drei Ebenen wirksam sein kann: Performativ im konkreten kirchlichen Handeln (als „explizites Bildungshandeln“), deutend im Austausch mit anderen Logiken von Wissenschaftlichkeit und gesellschaftsöffentlichem Handeln sowie reflexiv als metatheoretische Distanznahme vom aktuellen Gegenstand – oft in konzeptioneller Absicht.
Die gesellschaftliche Lage im Blick auf Religiosität und Kirchlichkeit erfordert es verstärkt, Themen nicht nur zu platzieren, sondern auch in Bewegung zu halten. Strukturell wäre dafür ein issues management, also die Gleichursprünglichkeit von Themen und ihrer Kommunikation, wünschenswert. Denn oft stehen Inhalte und ihre Kommunikation im Verhältnis von Konzeption und Anwendung. Das suggeriert, Inhalte würden unabhängig von ihren Kontexten und Kommunikationssituationen existieren und müssten dorthin lediglich “vermittelt” werden. Um in unübersichtlichen oder gar komplexen Lagen gegenwartsangemessen an Diskursen teilzuhaben, ist eine enge Verschränkung dieser Bedingungsfaktoren erforderlich, damit beim Rezipienten, der Rezipientin Wissen entsteht. Es wäre wünschenswert, wenn diese Einsicht auch strukturelle Folgen hätte und nicht allein den hermeneutischen Fähigkeiten einzelner Akteur*innen anheimgestellt werden würde.
Die angespannte Akteurssituation in kirchlichen Organisationen erfordert kluge und effiziente Vernetzungen. Impulse für Wissenskommunikation und rhizomartige Verbreitung, die nicht linear auf das Wirken Einzelner hin verfolgt werden kann, werden weiterhin gleichzeitig auftreten.
Kontaktgelegenheiten und barrierefreie Zugänglichkeit sind Voraussetzungen für die Tradierung von Wissensbeständen, weil es kaum formalisierte Settings dafür gibt – hier hat die Religionspädagogik mit ihren vergleichsweise etablierten Orten von schulischem Religionsunterricht und gemeindepädagogischen Formaten wie Konfirmand*innenarbeit oder beispielsweise kirchlicher Erwachsenenbildung bislang einen unschätzbaren Vorteil. Die zunehmend losere Koppelung von Akteur*innen wird es erforderlich machen, dass Orte der Wissensgenerierung, -repräsentation und -aktualisierung gezielter adressiert werden und digital verdichteter zugänglich sind. Dies wird einen wesentlichen Beitrag dafür leisten, dass Archive des Christlichen auch weiterhin für das kirchliche und kirchenentwicklerische Handeln zur Verfügung stehen.
Literaturverzeichnis
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Dr. Friederike Erichsen-Wendt, Oberkirchenrätin, arbeitet zum Thema Strategische Planung und Wissensmanagement bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hannover.