1 Fragestellung und Aufbau
Schwestern haben in der Regel die gleichen Eltern. Als Eltern der Kinderphilosophie und der Kindertheologie können einerseits die Reformpädagogik, andererseits die empirische Wende gelten. Beide führen dazu, dass sowohl Kinderphilosophie als auch Kindertheologie einen empirisch unterfütterten Perspektivwechsel zum Kind propagieren. Mit anderen Worten: Sowohl die Kinderphilosophie als auch die Kindertheologie versteht sich als dezidiert subjektorientiert.
Schwestern haben zwar in der Regel dieselben Eltern, sie sind aber nie identisch. Die Subjektorientierung fällt – so meine These – in Kinderphilosophie und Kindertheologie (graduell) unterschiedlich aus. Dieser Spur möchte ich in dem Vortrag folgen.
Schwestern stehen bei aller familiären Zuneigung auch in Konkurrenz zueinander. Die graduell unterschiedlichen Ausprägungen der Subjektorientierung lassen sich – bei aller geschwisterlichen Nähe – auch als Niederschlag konkurrierender Verhältnisse lesen.
Die (graduellen) Unterschiede zwischen der Subjektorientierung in der Kinderphilosophie und der Kindertheologie richten sich an zwei Differenzachsen aus, die das Verständnis von „Subjekt“ betreffen. Die Differenzachsen liegen quer zueinander. Sie sind aufgespannt zwischen den Polen statisch – dynamisch und stark – schwach.
Abb1
Ich versuche im Folgenden, Kindertheologie und Kinderphilosophie vergleichend in der Matrix zu verorten. Dabei beleuchte ich zunächst die gemeinsame Orientierung von Kinderphilosophie und Kindertheologie an einem starken Subjekt (2.). Bezüglich der graduellen Unterschiede betrachte ich zunächst die horizontale Achse (3.), anschließend die vertikale Achse (4.). Im letzten Unterkapitel gehe ich der Frage nach, inwiefern sich in den graduell unterschiedlichen Ausgestaltungen von Subjektorientierung institutionsbezogene (Konkurrenz-)Verhältnisse zwischen den Fächern Philosophie/Ethik und Religion abbilden (5.). Einzelne Impulse für die Kindertheologie beschließen den Artikel. (6.).
2 Der starke Subjektbegriff in Kindertheologie und Kinderphilosophie
In Publikationen aus den Bereichen der Kinderphilosophie und Kindertheologie wird das Subjekt mit den gleichen, immer wiederkehrenden Adjektiven spezifiziert: Es ist eigenständig, kritisch, individuell und reflektiert, indem es eigene Gedanken kritisch beleuchtet und eigenständig weiterentwickelt. Dazu einzelne Zitate, die sich fast beliebig erweitern ließen:
„Kinderphilosophie geht von einer eigenständigen philosophischen Kompetenz von Kindern aus, die sich im Staunen, Nachdenken und Fragen über die Welt und das Leben ausdrückt.“ (Kalloch, 2014, S. 13)
„… Philosophieunterricht [soll] einen Raum schaffen, in dem Grundschulkinder ihre eigenen Gedanken und Ideen entfalten und gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern kritisch beleuchten können.“ (Goebels & Kim, 2016, S. 116)
„Kinder … sind in der Lage, eigene Gedanken und Vorstellungen zu theologischen Fragen nicht nur zu artikulieren, sondern auch gedanklich zu durchdringen und weiterzuentwickeln.“ (Reiß & Freudenberger-Lötz, 2012, S. 133)
Zahlreiche empirische Veröffentlichungen zu Theologien von Kindern sehen dieses Postulat bestätigt. Am Ende von Beiträgen aus den Jahrbüchern für Kindertheologie wird diese Bestätigung oft als Teil des Fazits formuliert, z.B.:
„Die Gespräche mit den Schüler/innen eines vierten Schuljahres zeigen, wie eigenständig und teilweise sehr intensiv das Nachdenken über Taufe stattgefunden hat.“ (Kalloch, 2014, S. 103)
Das heißt: Sowohl in der Kinderphilosophie als auch in der Kindertheologie erscheint das Subjekt als ein starkes, sich selbst bewusstes, je individuelles, reflektiertes, kritisches, eigenständiges. Hier schlagen sich Ideale der Aufklärung nach Kant nieder: Ideale wie Mündigkeit, Selbstdenken, Sich-selbst-regieren, eine mündige Lebensführung, bei der der Mensch Verantwortung für sich und sein Handeln übernimmt, sowie die Bereitschaft, von der Vernunft öffentlich Gebrauch (im Fall der Kinderphilosophie und Kindertheologie: klassenöffentlichen Gebrauch) zu machen (Dörpinghaus, Poenitsch, & Wigger, 2012, S. 54–56). Kinderphilosophie kann sich selbst dementsprechend als „Everyday Enlightenment“ (Martens, 2005, S. 22–23 mit Bezug auf Hole, 2004) bezeichnen.
Der Subjektbegriff ist dabei sowohl in der Kindertheologie als auch in der Kinderphilosophie normativ aufgeladen. Das Subjekt gilt als regulative Idee. Es dient als normativer Orientierungspunkt didaktischer Überlegungen. Bezogen auf die obige Matrix bedeutet das: Sowohl Kinderphilosophie als auch Kindertheologie bewegen sich in den oberen Quadranten. Graduelle Unterschiede zeigen sich v.a. auf der horizontalen Achse, in geringerem Maß auch auf der vertikalen Achse.
3 Die horizontale Achse „statisch – dynamisch“
Nach meiner Beobachtung zeigt sich in der Kinderphilosophie eher eine Orientierung am dynamischen Subjekt, in der Kindertheologie dagegen eher eine Orientierung am statischen Subjekt. Zwei Aspekte sollen diese These untermauern: die Frage, inwiefern Kinder (nicht) als Theolog:innen bzw. Philosoph:innen bezeichnet werden können, und die Verhältnisbestimmung zwischen Kind und Frage.
3.1 Kinder als Theologen? Kinder als Philosophinnen?
Anton Bucher bezeichnet Kinder im ersten Jahrbuch für Kindertheologie als Theologen und Theologinnen: „Jede und jeder kann Theologin bzw. Theologe sein.“ (2002, S. 11) Es geht ihm darum, „Kinder als Theologen und Philosophen zu würdigen.“ (ebd.) Petermann zieht hier eine klare Differenz ein: Kinder können zwar sinnvoll als Theologen bezeichnet werden, nicht aber als Philosophen:
„Kinder sind … philosophisch Fragende und Ahnende, aber nicht Philosophen.“ (Petermann, 2002, S. 105)
Das heißt – überspitzt: Kindertheologie betont, dass Kinder theologische Subjekte sind, Kinderphilosophie betont, dass Kinder philosophische Subjekte werden. Diese graduelle Differenzierung zwischen Kinderphilosophie und Kindertheologie schlägt sich in der jeweiligen Bestimmung der Reichweite von Theologie bzw. Philosophie nieder.
Der Philosophiedidaktiker Hans-Bernhard Petermann fasst den Theologiebegriff der Kindertheologie dementsprechend weiter als den Philosophiebegriff der Kinderphilosophie.
„Philosophie vollzieht sich als empathetischer Bezug auf Weisheit … stets in Form eines sich seiner selbst bewussten also reflektierenden Denkens. Theologie aber lässt sich vom Wortsinn her weiter fassen: jede Äußerung von Glauben, so er sich mitteilt – in vielfältigen Formen –, kann mit gutem Grund als Theologie verstanden werden.“ (ebd., S. 126)
Petermann sieht im Begriff der Kindertheologie eine innertheologische Pointe, die dem Begriff der Kinderphilosophie nicht eignet:
„Wenn von einer Theologie der Kinder und nicht von einer Theologie für Kinder die Rede sein soll, wird damit letztlich gegen eine Theologie der Kleriker eine Theologie der Laien eingeklagt, gegen ein lediglich katechetisch-unterweisendes Verständnis ein dialogisch-interaktives Verständnis von Theologie. Unter Bezug auf Bilder wie die des allgemeinen Priestertums oder von Kirche als Volk Gottes dürfte ein solcher Ansatz eigentlich nahe liegen.“ (ebd., S. 100)
Je weiter der Theologiebegriff gefasst wird, desto eher können Kinder emphatisch (s.u.) als Theologinnen und Theologen bezeichnet werden; je enger der Philosophiebegriff gefasst wird, desto eher erscheinen Kinder als philosophisch Ahnende, als werdende Philosophinnen und Philosophen, nicht aber als Philosophinnen und Philosophen.
3.2 Kind und Frage
Der zweite Aspekt, an dem sich zeigt, dass der Subjektbegriff in der Kinderphilosophie dynamischer ausgerichtet ist als in der Kindertheologie, betrifft die Verhältnisbestimmung zwischen Kind und Frage. In einer sehr frühen Publikation, die als kindertheologisch bezeichnet werden kann, beschreibt Rainer Oberthür, wie er zu den Fragen kommt, die im Unterricht behandelt werden sollen:
„Wer Kinderfragen mit religionspädagogischem Interesse auswertet, enthält Einblicke in das, was Kinder heute wirklich beschäftigt: was sie fasziniert oder abschreckt, freut oder ängstigt. Es entsteht ein Katalog von ‚Schlüsselthemen‘ für den Religionsunterricht mit der Möglichkeit, die jeweiligen Fragen der Kinder selbst (und nicht die Lehrerfragen) zum Ausgangspunkt des Unterrichts zu machen. Meine über Jahre entstandene Sammlung von Kinderfragen … enthält überraschend eindeutig zu bestimmende, immer wiederkehrende Themen der Kinder, die auch durch Untersuchungen und Erfahrungen von Pädagogen gestützt werden.“ (Oberthür, 1995, S. 14)
Ausgangspunkt sind also „die jeweiligen Fragen der Kinder selbst“. Diese Fragen lassen sich – so Oberthür – im Unterricht über die Jahre empirisch erheben. Sie sind individuell – insofern als es um die „jeweiligen“ Fragen der Kinder geht – sie lassen sich aber als „wiederkehrende“ Fragen zu „Schlüsselthemen“ verdichten.
Am Zitat von Rainer Oberthür zeigt sich, dass Kindertheologie mit Kindern rechnet, die von sich aus theologische Fragen stellen und diese mehr oder weniger „fertig“ in den Religionsunterricht mitbringen. Für den Bereich der Kinderphilosophie gilt das nicht. Der Philosophiedidaktiker Hans-Bernhard Petermann unterscheidet graduell zwischen „elementaren“, „größeren“ und „großen Fragen“:
„… in alltäglichen Erfahrungen [drängen sich] wie von selbst Fragen auf wie: Warum scheint die Sonne, warum verliert der Baum seine Blätter, warum esse ich, warum stirbt der Vogel? Solche Fragen haben elementaren Charakter … Größere Fragen schließen sich hier erst an: Warum heißt dieses Tisch, jenes Stuhl; gibt es einen oder viele Himmel; wie kommt das Haus da in mein Auge usf. … Erst ganz spät dagegen kommen die sog. großen Fragen: Wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich, was ist die Welt …?“ (Petermann, 2002, S. 101)
Die Philosophiedidaktikerin Kim weist daraufhin, dass Kinder erst lernen müssen, philosophische Fragen zu formulieren. Sie seien „zunächst nicht selbstverständlich in der Lage …, essentielle Fragen auf Anhieb zu stellen“:
„Gerade in der Grundschule ist es besonders wichtig, dass man den Kindern nicht direkt eine abstrakte philosophische Frage stellt wie z. B ‚Was ist Glück?‘ oder ‚Was ist Freundschaft?‘, sondern mit einer konkreten Lebenserfahrung der Kinder anfängt und dann zu abstrakten Fragen hinübergeht. Diese zunehmende Abstraktion veranschaulicht Mohr Lone anhand der folgenden Fragestellungen: ‚Warum ist sie dein/e Freund/in?‘, ‚Was macht jemand als Freund/in?‘ ‚Was ist Freundschaft?‘.“ (Kim, 2020, S. 34 mit Verweis auf Mohr Lone, 2013, S. 175)
Diese Differenz in der Verhältnisbestimmung von Kind und Frage zeigt sich auch in der inhaltlichen Strukturierung der Fächer, wie sie sich in aktuellen Lehrplänen zeigt. Die Lehrpläne für evangelischen und katholischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen orientieren sich stark an den von Oberthür erhobenen Fragen. Die Entfaltung jeder „Lernperspektive“ beginnt mit der Formulierung: „Grundschulkinder fragen konkret …“ Der Anspruch ist also, bei den konkreten Fragen einzusetzen, die Grundschulkinder in den Religionsunterricht mitbringen. Es folgen dann Fragen, die Oberthür als „große Fragen“ der Kinder bezeichnet, z.B.: „Warum bin ich so, wie ich bin?“ (vgl. Oberthür, 1995, S. 14) oder „Gibt es Gott wirklich?“ (vgl. ebd., S. 16).
Im Unterschied dazu setzt die Kinderphilosophie philosophiedidaktischer Prägung oft bei den vier Fragen Kants ein:
„Inhaltlich orientiert sich der Ansatz oft an den vier Fragen von Kant: Was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? Was ist der Mensch? Was soll ich tun? So wurden die Lehrpläne vom Fach Ethik z. B. neben Mecklenburg-Vorpommern auch im Fach Philosophie in Schleswig-Holstein mit Hilfe von diesen vier Fragen Kants konzipiert.“ (Kim, 2020, S. 32)
Im Lehrplan Philosophie für den Grundschulunterricht in Schleswig-Holstein heißt es z.B.:
„Die Themenbereiche des Unterrichts werden in Rückbindung an die Fachanforderungen der Sekundarstufe I im Sinne der vier Fragen Immanuel Kants markiert und sind als Kernbereiche fachlichen Lernens zu verstehen; sie lassen sich den ausgewiesenen Reflexionsbereichen des Faches zuordnen.
Reflexionsbereich I: Was kann ich wissen? (Erkenntnistheoretischer Reflexionsbereich)
Reflexionsbereich II: Was soll ich tun? (Moralischer Reflexionsbereich)
Reflexionsbereich III: Was darf ich hoffen? (Metaphysischer Reflexionsbereich)
Reflexionsbereich IV: Was ist der Mensch? (Anthropologischer Reflexionsbereich)“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, 2019, S. 16)
Das heißt – etwas überpointiert – auf der programmatischen Ebene: Während kindertheologisch inspirierter Religionsunterricht das Fach inhaltlich „bottom-up“ nach konkreten, empirisch erhobenen Fragen von Kindern strukturieren will, möchte kinderphilosophisch inspirierter Philosophieunterricht das Fach „top-down“ nach den vier Fragen Kants strukturieren.
Diese gegenläufige Bewegung lässt sich m.E. als Verschiebung in der Art der Subjektorientierung auf der Achse statisch – dynamisch deuten. Denn während die Kinderphilosophie – prozessorientiert – damit rechnet, dass Kinder das philosophische Fragen erst erlernen müssen, rechnet die Kindertheologie – eher essentialistisch – damit, dass Kinder theologische Fragen in den Unterricht mitbringen.
3.3 Die didaktische Schlagseite einer Orientierung am statischen Subjekt in der Kindertheologie
Bereits im ersten Jahrbuch für Kindertheologie aus dem 2002 antizipiert Bucher eine kritische Anfrage an die Kindertheologie:
„Führt sie [die Kindertheologie H.R.] nicht zur Konsequenz, auf intentionale religiöse Erziehung zu verzichten? Warum religiöse Belehrung, wenn Kinder ohnehin ‚weiter denken als Erwachsene‘?“ (Bucher, 2002, S. 10 in Anlehnung an Matthews, 1995)
Bernd Schröder spitzt diese Problematik in seiner „Religionspädagogik“ aus einer Außenperspektive folgendermaßen zu:
„In Lehr-Lern-Prozessen nehmen, sofern sie kindertheologisch orientiert sind …, vor allem die Wahrnehmung und Darstellung von ‚Theologie der Kinder‘, zum Teil auch deren Interpretation viel Raum und Zeit in Anspruch; darüber hinaus gehende entwicklungsfördernde Angebote und kritische Auseinandersetzungen mit problematischen (etwa Angst einflößenden oder keine Relativierung ihrer selbst zulassenden) Gestalten von Kindertheologie sind de facto rar. In didaktischer Hinsicht scheinen solche Auseinandersetzungen die strukturellen Rahmenbedingungen von Religionsunterricht zu sprengen, sich didaktischer Operationalisierung zu entziehen und das Vertrauen zwischen Schülern und Lehrenden oder den ‚pädagogischen Takt‘ (Jakob Muth) zu gefährden, den die wertschätzende Arbeit mit Kindern voraussetzt und nährt. In theologischer Hinsicht scheint ein Idealisieren religiösen Denkens von Kindern zu drohen. Müsste nicht im unterrichtlichen Umgang mit Theologie von Kindern, vor allem aber im theologisch-religionspädagogischen Nachdenken darüber, die Entwicklungsbedürftigkeit, der kritische Abgleich mit Einsichten christlichen Glaubens, kurz: ihre Orientierung auf gebildete Religion hin stärker zur Geltung kommen?“ (Schröder, 2022, S. 186)
Die zweite Auflage der „Religionspädagogik“ übernimmt diese kritische Würdigung unverändert gegenüber der ersten Auflage von 2012.
Nun ließe sich aus kindertheologischer Perspektive einwenden, dass Mirjam Zimmermann mit ihrer stark kompetenzorientierten Ausrichtung von Kindertheologie die Entwicklungsbedürftigkeit kindlicher Vorstellungen und die Notwendigkeit eines kritischen Abgleichs mit Einsichten christlichen Glaubens zentral stellt. Mit kindertheologischen Jahrbüchern, die sich der „Kindertheologie als Theologie für Kinder“ (Bd. 12) und der „Kindertheologie im Unterricht“ (Bd. 15) widmen, werden die genannten Schwachstellen durchaus adressiert. Und doch verfangen diese Bearbeitungen der genannten didaktischen Schlagseite der Kindertheologie in der Außenperspektive bisher kaum. Das kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die eigentlichen Probleme tiefer liegen.
Ein bisher unterschätztes Problem betrifft dabei die produktive Vernetzung von Theologien von Kindern mit Theologien für Kinder. Ein wesentlicher kindertheologischer Anspruch besteht darin, Theologien von Kindern untereinander und mit Theologien für Kinder zu verschränken, so dass das theologische Denken der Kinder „komplexer“ (Zimmermann, 2015, 3.3) wird. In der unterrichtlichen Alltagspraxis zeigt sich demgegenüber nicht selten ein Kommunikationsstil, der entweder Beiträge von Schülerinnen und Schülern unverbunden nebeneinander stehen lässt oder der einzelne Beiträge hervorhebt und so für die weitere Kommunikation anschlussfähig macht, während andere (stillschweigend) wegfallen (Roose, 2019, S. 130–141). Die Unterrichtspraxis unterläuft hier die programmatischen Anforderungen der Kindertheologie, die sich explizit gegen ein Selektieren ausspricht (Reis & Freudenberger-Lötz, 2012, S. 141).
Oliver Reis sieht hierin m.E. zu Recht ein Problem, das „strukturell in theologischen Gesprächen verankert“ ist (2022, S. 52, Hervorhebung H.R.). Kindertheologie gehe zu selbstverständlich davon aus, dass Schülerbeiträge und Positionen aus der biblisch-christlichen Tradition im theologischen Gespräch für Kinder aneinander anschlussfähig seien. Zusammen mit Gerhard Büttner schlägt er daher vor, zwischen den individuellen Beiträgen der Schülerinnen und Schüler und theologischen Positionen aus der biblisch-christlichen Tradition anhand von Modellen zu vermitteln. Modelle – und das ist für die Frage der Subjektorientierung interessant – überformen individuelle Schüleräußerungen, um sie fachlich anschlussfähig zu machen.
„Sie nehmen konkrete Äußerungen auf, ohne sie auf eine Person hin festzulegen und entwickeln eine strukturelle Figur …, die im Hintergrund der Äußerung steht, diese also erst rational macht. Die Modelle geben so einen Rahmen vor, in dem ein/ Schüler/in die Äußerung überhaupt erst als Argument entwickeln kann.“ (Büttner & Reis, 2020, S. 17)
Es sind also gerade nicht mehr die „eigenen“, „eigenständigen“ Beiträge, die im theologischen Gespräch im Fokus stehen, sondern Modelle, die lehrerseitig aus ihnen abgeleitet werden. Die Orientierung am individuellen Subjekt wird gleichsam ein Stück weit zurückgefahren – auch, um den Einzelnen zu schützen:
„Überhaupt wird durch den Modellcharakter Distanz zur Person ermöglicht, die schützt.“ (Reis, 2016, S. 53)
Erst so entsteht nach Büttner und Reis überhaupt der Raum für einen kritischen, entwicklungsfördernden Abgleich von Theologien von und Theologien für Kinder.
4 Die vertikale Achse: Das schwache Subjekt in der Kinderphilosophie und der Kindertheologie – ein (fast) blinder Fleck?
Kinderphilosophie und Kindertheologie sind – wir haben es gesehen – an einem starken, sich seiner selbst bewussten, rationalen und eigenständigen Subjekt orientiert und unterscheiden sich „nur“ dahingehend, ob sie dieses starke Subjekt eher statisch oder eher dynamisch denken. Im Unterschied dazu soll hier unter einem schwachen Subjekt ein Subjektbegriff verstanden werden, der die Kontextualität und die Verstricktheit von Subjekten (oder Akteuren) – im Gegensatz zu ihrer (relativen) Autonomie und Freiheit – betont. Theoretische Anleihen wären hier z.B. – auf der eher statischen Seite – Bourdieu mit seiner Habitustheorie (vgl. Halder, 2019), auf der eher dynamischen Seite Butler (vgl. Ricken & Balzer, 2012). Im unteren Feld verliert das Subjekt seine normative Qualität als regulative Idee. Das Subjekt-Sein ist nicht emphatisch zu betonen oder anzustreben, sondern in seiner Verstricktheit wahrzunehmen und in Lehr-Lern-Prozessen zu berücksichtigen.
An dieser Stelle sei zur Matrix vermerkt, dass die einzelnen Quadranten graduell unterschiedlich große Räume für Prozesse des Lehrens und Lernens eröffnen. Holzschnittartig lässt sich sagen: Ganz links verengen sich diese Räume, weil das Subjekt entweder als nicht mehr entwicklungsbedürftig gilt (oberer Quadrant) oder als kaum intentional veränderbar (unterer Quadrant). Hier ordnet sich die Kritik ein, nach der Schule soziale Ordnungen immer wieder reproduziere und damit stabilisiere (vgl. Kramer, 2011). In der vertikalen Dimension verengen sich die Räume nach unten, weil das Subjekt seinen kontextuellen Bedingtheiten und Kontingenzen stärker ausgeliefert ist. Hier verortet sich tendenziell eine „evolutionäre Didaktik“ (Scheunpflug, 2001). Die engsten Räume für Bildungsprozesse eröffnet damit der linke untere Quadrant mit schwachen, statischen Subjekten, die größten Räume der rechte obere Quadrant mit starken, dynamischen Subjekten.
Kindertheologie denkt vom individuellen, starken Subjekt her und postuliert in der Dimension einer Theologie mit Kindern einen „symmetrischen“ (herrschaftsfreien) Dialog (Freudenberger-Lötz, 2007, S. 51). Der aufklärerische, demokratische Impetus mit der Orientierung am starken Subjekt verstellt tendenziell den Blick für dessen Verstricktheit in kulturelle, politische und ökonomische machtvolle Diskurse. Darauf hat insbesondere Bernhard Grümme hingewiesen.
„Es scheint so zu sein, als wenn die Kindertheologie sich zu wenig Rechenschaft gibt über die konkreten Zusammenhänge, in denen sie steht. Kindertheologie reflektiert zu wenig über ihre lebensweltlichen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexte. Sie bleibt abstrakt.“ (Grümme, 2014, S. 12–13)
Grümme wiederholt seine Kritik von 2014 sechs Jahre später, wenn er rhetorisch fragt:
„Reflektiert Kinder- und Jugendtheologie hinreichend auf die ihr zugrundeliegenden Konstruktionen? … Hier wäre eine kritische Selbstreflexivität einzubringen, die wohl erst Kinder- und Jugendtheologie heterogenitätsfähig machen würde.“ (Grümme, 2020, S. 53)
Auch an dieser Stelle verfangen kindertheologische Bemühungen, sich dem „Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus“ (Bd. 13) – so der Titel des Jahrbuchs für Kindertheologie von 2014 – zuzuwenden, in der Außenperspektive kaum. Auch an dieser Stelle könnte das Problem tiefer liegen.
Ein Blick in die Kinderphilosophie ist hier zunächst informativ. Kinderphilosophie ist in Fächern wie Praktischer Philosophie, Ethik oder Werte und Normen stärker ethisch ausgerichtet als Kindertheologie im Fach Religion. Die ethische Reflexion bedarf – darauf weist Kim zu Recht hin – einer Meta-Reflexion, die die kontextuelle Gebundenheit von Beiträgen berücksichtigt:
„Da bereits in dem Grundschulalter Vorurteile über Geschlechter, fremde Gruppen oder Ethnien gebildet werden, sollten die Lehrkräfte ebenfalls eine Sensibilität für die Thematisierung der gesellschaftlichen bedeutenden Themen wie Vorurteile, Abgrenzung, Rassismus, Diskriminierung entwickeln.“ (Kim, 2020, S. 40)
Der zitierten Forderung Kims nach einer „Sensibilität für die Thematisierung der gesellschaftlichen bedeutenden Themen wie Vorurteile, Abgrenzung, Rassismus, Diskriminierung“ ist mit Nachdruck zuzustimmen. Ähnliche Hinweise finden sich in kindertheologischer Literatur zu theologischen Gesprächen mit Kindern jedoch (zu) wenig. Insofern verortet sich die Kinderphilosophie vielleicht in der Matrix nicht nur weiter rechts, sondern hat nach unten eine größere Reichweite als die Kindertheologie, weil sie die machtvolle Verstricktheit des Subjekts expliziter berücksichtigen will.
Was aber heißt das für Unterricht? Die Hoffnung, kontextuelle Bedingtheiten durch reflektierte Thematisierung sichtbar und bearbeitbar zu machen, unterliegt vielleicht wieder der Verlockung eines starken, eines zu starken, Subjektbegriffs – und greift damit zu kurz. Die geforderte Sensibilität findet ihre Grenze in einem Wahrnehmungsproblem, die geforderte Thematisierung in einem Zuschreibungsproblem.
Zunächst zum Wahrnehmungsproblem: Die Erziehungswissenschaftlerinnen Nadine Rose und Anna Gerkmann sprechen davon, dass sich soziale und kulturelle Differenzen im Unterricht „verpuppen“ – also mehr oder weniger unsichtbar werden, indem sie in mehreren Schritten in Leistungsdifferenzen übersetzt werden, und zwar sowohl auf Seiten der Lehrkraft als auch auf Seiten der Schülerinnen und Schüler:
„[Es] … wäre also zu fragen, ob wir es – beobachtend – nicht mit einem mehrfachen Übersetzungsprozess zu tun haben, in dem wahrgenommene und/oder zugeschriebene ‚Differenzen‘ (z.B. in Bezug auf ‚soziale Herkunft‘, ‚Gender‘, ‚Race‘ etc.) sozial gelesen und übersetzt werden (können) in Sympathie-Antipathie- ebenso wie Nähe-Distanz-Verhältnisse unter Schüler_innen. Und weiter scheint es, als ob diese wiederum (vorwiegend) ausgetragen werden im für Unterricht charakteristischen Modus der Leistungsdifferenzierung, der eine Konturierung der Schüler_innen als unterschiedlich ‚Leistungsfähige‘, also z.B. ‚Zurückhaltendere‘ und ‚Aktivere‘ in Bezug auf die Aufgabenbearbeitung, nahelegt. Man könnte hier also – etwas provisorisch – vom Prozess einer Verpuppung vielfältiger Differenzierungsmöglichkeiten im Modus der Leistungsdifferenzierung sprechen.“ (Rose & Gerkmann, 2016, S. 206)
Eine zentrale Aufgabe für die Lehrkraft bestünde dann in der „Rückübersetzung“ dieser Differenzen. Diese Rückübersetzung – so weit sie überhaupt möglich ist – ließe sich aber nicht ohne weiteres thematisieren – und damit komme ich zur Zuschreibungsproblematik.
Dörte Vieregge spricht sich dagegen aus, über eine Theologie für Jugendliche Reflexionsangebote einzuspielen, die sich die Perspektive sozial benachteiligter Jugendlicher zu eigen macht (vgl. Vieregge, 2014, S. 91 mit Verweis auf Johnsen & Schweitzer, 2011). Sie kommt stattdessen zu einer Empfehlung, die die Kontextualität jugendlicher Beiträge gerade ausblendet und die Schülerinnen und Schüler individuell adressiert. Denn die Jugendlichen weisen „jede Zuschreibung von strukturbezogener Differenz ausdrücklich zurück“, sie wollen nicht „Benachteiligte“ sein:
„Insofern bedarf es eines Religionsunterrichts, der sie vor allem als ‚konkret andere‘ anerkennt, und es bedarf einer Auseinandersetzung mit ihnen als singuläre Subjekte…“ (Vieregge, 2014, S. 92)
Die Orientierung am individuellen, starken, kontextunabhängigen Subjekt erscheint damit ambivalent: Sie greift einerseits didaktisch zu kurz und zeigt sich gleichzeitig als didaktisch geboten.
5 Unterschiedliche Subjektorientierungen als Niederschlag von (institutionsbezogenen) Spannungs- und Konkurrenzverhältnissen
Die graduell unterschiedlichen Ausgestaltungender Subjektorientierung in den beiden Disziplinen lassen sich m.E. als Niederschlag spezifischer Spannungs- und Konkurrenzverhältnisse lesen, die u.a. die institutionelle Ebene betreffen.
5.1 Kinderphilosophie und Kindertheologie in je spezifischen Konkurrenzverhältnissen
Wie kommt es dazu, dass Kinder für die Kindertheologie theologische Subjekte sind, während sie für die Kinderphilosophie zu philosophischen Subjekten werden? Hier spielen m.E. spezifische Konkurrenz- und Abgrenzungsbewegungen eine Rolle, deren Berücksichtigung für das Verständnis der jeweiligen Ausgestaltung von Subjektorientierung hilfreich ist.
Zunächst zur Kinderphilosophie: Während sich Kindertheologie fraglos dem Fach Religion und der Religionsdidaktik zuordnet, ist diese Zuordnung bei der Kinderphilosophie nicht so eindeutig. Das Philosophieren mit Kindern wird gerade in der Grundschule auch im Bereich des Sachunterrichts angesiedelt (Michalik & Schreier, 2006, S. 41). Hier steht dann die im weitesten Sinn als philosophisch bezeichnete Haltung des Staunens und Entdeckens im Vordergrund. Ein Fachstudium und eine fachliche Ausbildung in Philosophie scheinen nicht notwendig. Dagegen wenden sich Vertreterinnen und Vertreter der Kinderphilosophie, die für eine Verortung der Kinderphilosophie in der Philosophiedidaktik und im Fach Philosophie plädieren (Kim, 2020). Der Fachbezug erhält einen höheren Stellenwert.
Die Orientierung am Kind als werdendem philosophischem Subjekt erfolgt also konsequent im Kontext dieses Fachbezugs und führt – so mein Eindruck – zu einer didaktischen Dynamisierung des philosophischen Subjekts in der philosophiedidaktisch informierten Kinderphilosophie.
Die Differenzlinie zwischen eher statischem und eher dynamischem Subjektverständnis, die bisher zwischen Kinderphilosophie und Kindertheologie gezogen wurde, reproduziert sich also innerhalb der Kinderphilosophie entlang fachorganisatorischer und fachdidaktischer Fragen. Hier wird deutlich, dass die Diskussion um Subjektorientierung innerhalb der Kinderphilosophien (im Plural) gesondert geführt werden müsste. Ich fokussiere in diesem Beitrag kinderphilosophische Stimmen aus dem philosophiedidaktischen Bereich. Hier führt die Konkurrenz zur sachkundlich gerahmten Kinderphilosophie zu einer Betonung des Fachbezuges und damit auch des fachwissenschaftlichen Bezuges.
Die Stoßrichtung innerhalb der Kindertheologie verläuft etwas anders. Kindertheologie versteht sich (u.a.) als Provokation (Bucher, 2001). Sie provoziert die wissenschaftliche Theologie, indem sie den Begriff der Theologie schon für Kinder reklamiert und die Differenz zur akademischen Theologie als eine graduelle, nicht aber als eine kategoriale, fasst (Büttner, 2015, S. 11). Dabei beruft sie sich auf eine biblisch-kirchliche Traditionsfigur, nämlich das allgemeine Priestertum aller Glaubenden (Roose, 2017).
In ihrer Entstehungszeit der 1990er Jahre versteht sich der Begriff der Kindertheologie als „Abgrenzung gegenüber den Versuchen …, das religionspädagogische Diskursfeld vom Begriff der Religion oder der Religiosität her zu bestimmen“ (Büttner, 2007, S. 220). Büttner bestimmt den Ansatz der Kindertheologie im Rückblick als den Versuch, eine Alternative zu einem universell-anthropologisch-religionsbasierten Unterricht zu etablieren, ohne bei diesem Versuch zu riskieren, als Neuauflage einer Abbild-didaktischen, asymmetrischen, nicht subjektorientierten Spielart der Evangelischen Unterweisung gelabelt zu werden (Büttner, 2007, S. 218–219). In dieser Gemengelage galt es, nicht nur den Begriff der Theologie religionspädagogisch zu reklamieren (und ihn damit über seinen wissenschaftlichen Geltungsbereich hinaus auszuweiten), sondern ihn provokativ mit den Kindern als theologischen Subjekten zu verbinden – und damit die Orientierung am starken, eher statisch gedachten Subjekt zu betonen.
Kinderphilosophie agiert hier in ihrer philosophiedidaktischen Prägung vorsichtiger, wahrscheinlich um den spezifischen Bezug auf das Fach Philosophie / Ethik und auf die wissenschaftliche Disziplin der (Praktischen) Philosophie nicht zu verspielen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich sowohl die unterschiedliche Reichweite der Philosophie in der Kinderphilosophie gegenüber der Theologie in der Kindertheologie als auch die graduell unterschiedliche Ausgestaltung der Subjektorientierung in beiden Bereichen.
5.2 Konkurrenz Religionsunterricht – Philosophieunterricht (?)
Das Verhältnis der Fächer Religionsunterricht – Philosophieunterricht ist derzeit im Fluss. Philosophieunterricht erfreut sich – anders als die christlichen Religionsunterrichte – steigender Schülerzahlen. Es mausert sich vom Ersatzfach zum Alternativfach und erhebt inzwischen den Anspruch, ganz unabhängig vom Religionsunterricht zum Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler zu werden. Der Religionsunterricht evangelischer Prägung erhebt seinerseits den Anspruch, für alle Schülerinnen und Schüler relevant zu sein. Damit konkurrieren Religions- und Philosophieunterricht zumindest z.T. um dasselbe Klientel in der Schule. Das in der Religionspädagogik beliebte Modell der nicht substituierbaren Weltzugänge nach Baumert (2002) liefert hier keine Hilfestellung, weil es Religion und Philosophie demselben rational-konstitutiven Weltzugang zuordnet, ohne das interne Verhältnis weiter zu klären.
In dieses Konkurrenzverhältnis schreiben sich Kinderphilosophie und Kindertheologie ein. Kindertheologie und Kinderphilosophie stehen damit nicht (nur) in einem Verhältnis geschwisterlicher Liebe, sondern auch in einem Verhältnis geschwisterlicher Konkurrenz. Kindertheologie adaptiert Kinderphilosophie für den Religionsunterricht. (Inwiefern) Ist das übergriffig? In dem Anspruch, die „großen Fragen“ der Kinder zu behandeln, liege – so äußerte es im Rahmen der Tagung Michael Domsgen – zumindest die Gefahr einer gewissen Essentialisierung religiöser Orientierung. Das starke, eher statische theologische Subjekt der Kindertheologie arbeitet dieser Gefahr durchaus zu. Vor diesem Hintergrund gilt es im Rahmen der Kindertheologie die Frage offen zu halten, wer alles beanspruchen darf, angemessen mit den „großen Fragen“ des Lebens umzugehen.
6. Ergebnisse und drei Impulse für die Kindertheologie
Wir haben gesehen, dass sich die Subjektorientierung in Kindertheologie und Kinderphilosophie graduell unterschiedlich ausgestaltet: Beide orientieren sich an einem starken Subjekt. Auf der horizontalen Achse hat sich gezeigt, dass die Kinderphilosophie graduell einen dynamischeren Subjektbegriff vertritt als die Kindertheologie. Auf der vertikalen Achse wurde deutlich, dass die Kinderphilosophie expliziter als die Kindertheologie versucht, die Verstricktheit des (schwachen) Subjekts im philosophischen Gespräch zu bearbeiten. Bezogen auf die Matrix stellt sich das Ergebnis also folgendermaßen dar:
Abb.2
Angesichts dieser Ergebnisse formuliere ich abschließend drei Impulse für die Kindertheologie:
Kindertheologie sollte die Frage, an welchem Subjekt sie sich orientieren will, intensiver und dynamischer reflektieren.
Die Orientierung an einem eher statisch gedachten Subjekt macht die Kindertheologie anfällig für den Vorwurf einer zu schwachen intentionalen Zielorientierung. Der Modellansatz ist hier weiterführend, gerade indem er individuelle Schülerbeiträge fachlich überformt und so die Orientierung am individuellen, starken Subjekt abschattet.
Kindertheologie sollte das schwache, kontextualisierte Subjekt stärker in den Blick nehmen, ohne der Verlockung zu erliegen, diese Kontextualität durch reflektierte Thematisierung im Unterricht – mit starken Subjekten – in den Griff bekommen zu wollen. Der unterrichtlichen Bearbeitungen sind hier Grenzen gesetzt, deren Verschiebung dem Religionsunterricht gleichwohl bleibend aufgegeben ist.
Die Orientierung am starken, eher statisch gedachten, theologischen Subjekt schützt die Kindertheologie vor dem Vorwurf einer theologisch deduzierten Abbild-Didaktik, sie läuft aber Gefahr, Religion zu essentialisieren.
Der Dialog mit der Kinderphilosophie ist in allen drei Punkten vielversprechend.
Literaturverzeichnis
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