1 Neue Wege - neue Karten?!

Durch die Corona-Pandemie hat sich auch die Hochschullehre stark verändert. Im Kontext der Coronakrise zeigte sich der sog. "Megatrend Digitalisierung" (Naisbitt, 1982) für die Hochschulen besonders dringlich und geradezu existenziell. Digitale Zukunftsmusik musste plötzlich in der Gegenwart des "Frühdigitalismus" (Henke & Pasternack, 2020, S. 1) ad hoc performt werden und so wurden vielerorts in kurzer Zeit zahlreiche kreative Formen der digitalen Lehre entwickelt und erprobt. Dass viele unterschiedliche digitale Lehrwege beschritten wurden, bekamen Dozent*innen allerdings manchmal nur zufällig oder während eines digitalen Austauschs zur Lehre mit. Vor diesem Hintergrund entstand am Institut für Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der CAU in Kiel der Gedanke, dass es vielleicht hilfreich wäre, wenn diese Vielfalt der Ideen für die Weiterentwicklung der individuellen Lehre genutzt würde. Denn mit einer Vielfalt digitaler Formen "wird Lehrenden und Lernenden die Möglichkeit geboten, unterschiedlichste Lernszenarien erstellen und nutzen zu können [...] Stärker auditiv oder visuell ausgerichtete Lerntypen können durch den Einsatz von unterschiedlichen Medien [...] angesprochen werden" (Wagner, 2020, 135f.).

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong initiierte daraufhin eine kleine Arbeitsgruppe (bestehend aus den Autorinnen dieses Beitrags und den beiden Hilfswissenschaftler*innen Cosima Jerominski und Christian Frentz), welche die digitalen Lehrformate der Theologischen Fakultät in Kiel eingehender in den Blick nehmen sollte. Für eine umfassende empirische Studie fehlte es zwar an Zeit und Mitteln - dennoch sollte das erste digitale Semester der Fakultät zumindest unter "empirischen Vorzeichen" vermessen werden. Das Ziel dieses Unterfangens war die Kartographie einer strukturierenden und orientierenden Zusammenschau des "Ist-Bestands" digitaler theologischer Lehrformate.

Ein solcher Überblick sollte einerseits der individuellen Lehrplanung und -gestaltung dienen: Die eigene digitale Lehre konnte transparent und gebündelt identifiziert werden und zugleich konnten die Wege von Kolleg*innen mitverfolgt werden. Diese könnten möglicherweise neue Optionen mit sich bringen, die vorher vielleicht nicht im Blick waren, es aber wert sind, in der Zukunft ausprobiert zu werden. Durch eine zu erhebende Zusammenschau, kann sichergestellt werden, dass wertvolle Ideen nicht verloren gehen.

Andererseits konnte in einem weiteren Schritt aus einer solchen Kartographie ein Profil der digitalen Lehre der Fakultät gezeichnet werden, aus welchem ersichtlich wurde, welche digitalen Lehrwege besonders häufig und intensiv genutzt wurden bzw. welche digitalen Pfade eher nur vereinzelt oder gar nicht beschritten wurden. Derartige Erkenntnisse könnten wiederum in allgemein-hochschuldidaktischen Diskursen oder aber auch im Dialog mit anderen (theologischen) Fakultäten gewinnbringend eingebracht und weitergehend reflektiert werden.

Schließlich kann sich eine derartige Kartographie auch als hilfreich in der gegenwärtigen Diskussion um das neue "Normal" erweisen und die an Hochschulen zuweilen bereits als Kampfbegriffe verwendeten Termini "Präsenzlehre" und "Digitallehre" (Schöning, 2020a; vgl. auch Demantowsky, Lauer, Schmidt & te Wildt, 2020) in ein produktives und sich nicht ausschließendes Verhältnis bringen, indem das "Dazwischen" ausgeleuchtet wird.

Um das beschriebene Vorhaben zu realisieren, wurden zunächst alle Dozent*innen der Fakultät um eine kurze Skizze ihrer individuellen Lehrkonzepte für jede Veranstaltung gebeten. Das so gewonnene Material wurde daraufhin gemeinsam in der Arbeitsgruppe für digitale Lehrformate gesichtet und es wurde Ausschau gehalten, nach einer Möglichkeit das Material zu kategorisieren - ähnlich wie es im Großen bereits im Kontext anderer am Institut angesiedelter Studien getan wurde. So wurde beispielsweise im Kontext der ReVikoR-Studie ("Religiöse Vielfalt im konfessionellen Religionsunterricht", vgl. www.revikor.de) mit der Methode "Kategorienbildung am Material" von Christiane Schmidt gearbeitet (Schmidt, 1997). Das von Schmidt entwickelte zirkuläre Arbeiten mit empirischem Material, diente auch im Blick auf die Kategorisierung der digitalen Lehrformate als Impuls.  

Dabei fiel vor allem auf, dass die naheliegende, aber stark generalisierende Unterscheidung, ob eine Lehrveranstaltung eher synchrone oder eher asynchrone Kommunikationsformen nutzt, sich als zu grob und nicht passgenau erwies: Häufig gab es bestimmte Phasen einer Lehrveranstaltung in denen eher synchron oder eher asynchron kommuniziert wurde, was wiederum im Zusammenhang stand mit anderen Faktoren, wie beispielsweise der Wahl des Mediums (vgl. zur Bedeutung der Medien gerade in der digitalen Lehre Schöning, 2020b, 114f.).

Aus dieser Beobachtung entwickelte sich die Idee, dass es bei der Betrachtung der vielfältigen digitalen Lehrformate sinnvoll erscheint, sowohl kleinteiliger zu denken als auch den Lehr-Lern-Prozess spezifischer in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wurden die Lehrformate sodann - zumindest theoretisch - in kleinere Phasen und Bestandteile "zerlegt", sodass ein Schema entstand, welches im Folgenden vorgestellt wird.

Das Schema wurde daraufhin in einen standardisierten Online Fragebogen übersetzt, der erneut an alle Lehrenden der Fakultät versandt wurde, verbunden mit der Bitte, diesen für jede Lehrveranstaltung auszufüllen. Insgesamt wurden 39 Fragebögen ausgefüllt, was einem Rücklauf von 61,9 % entspricht.

Parallel dazu wurde der allgemeine Evaluationsfragebogen der CAU entsprechend der Vorarbeiten von der Arbeitsgruppe mitgestaltet und so konnte auf diese Weise nicht nur die Perspektive der Lehrenden einfangen werden, sondern auch die der Student*innen: Ca. 25 % der Studierenden der Theologischen Fakultät beteiligten sich an dieser Umfrage zu digitalen Lehrformaten.

2 Das Schema zur Kartographierung der digitalen Lehre

Über die übliche Untergliederung in die Kommunikationsformen synchron und asynchron hinaus haben wir die Varianz der Lehrformen auf unterschiedlichen Ebenen abgebildet (vgl. Schöning, 2020b, 119f.): Wir nutzen unterschiedliche Medien (die sich teils auch in der analogen Lehre finden und teils nicht), unterschiedliche Plattformen (was typisch ist für die digitale Lehre) und unterschiedliche Sozialformen (die identisch sind mit analoger Lehre, aber digital möglicherweise anders genutzt werden). Aufgeführt sind hier alle, die in der Theologischen Fakultät Kiel im Sommersemester 2020 verwendet wurden, damit ist allerdings nicht das gesamte Spektrum digitaler Möglichkeiten abgebildet (wie beispielsweise bei Handke, 2020). In diese Richtung könnte die Kartographie sicherlich erweitert werden.

Damit ist ein Schema entstanden, das universitäts- und fächerübergreifend in verschiedener Hinsicht genutzt werden kann, um digitale Lehre zu erfassen. So können die eigenen Formen digitaler Lehre präzise wahrgenommen und eingeordnet werden, das digitale Lehrprofil einer Fakultät oder eines Instituts kann erhoben werden und es können Vergleiche zwischen den Formen digitaler Lehre verschiedener Fächer oder Universitäten angestellt werden.

 Abb. 1: Schema ohne farbliche Markierungen

Um die Lehrformen noch präziser zu erfassen, haben wir für jede Lehrveranstaltung zwischen den klassischen Phasen eines didaktischen Prozesses Input, Bearbeitung, Feedback und Ergebnissicherung differenziert in der Annahme, dass sich die Kommunikationsformen, Medien, Plattformen und Sozialformen möglicherweise je nach Phase voneinander unterscheiden. Diese haben wir mit unterschiedlichen Farben markiert, um damit einen leichteren Überblick über die phasenspezifische Verwendung der Elemente digitaler Lehre zu ermöglichen. Grafisch unterschieden werden zudem die asynchronen Elemente mit einer durchgezogenen und die synchronen mit einer gestrichelten Linie.

Wie dies aussieht, sei exemplarisch an drei Lehrveranstaltungen unterschiedlichen Charakters - eine Vorlesung, eine Übung und ein Proseminar - dargestellt.

In einer Einführungsvorlesung (gehalten von Uta Pohl-Patalong) wurden folgende Formen digitaler Lehre verwendet:

 

Abb. 2: Beispiel 1- Vorlesung

In der exemplarisch gewählten Vorlesung lag der Schwerpunkt auf der asynchronen Kommunikationsform (kenntlich in den durchgezogenen Linien), unterstützt durch ein synchrones Element (kenntlich in den gestrichelten Linien):

  •  Der Input (gelb) erfolgte rein asynchron mit den Medien Podcast und schriftlicher Vortrag auf der Lernplattform OpenOLAT der Uni Kiel in Einzelarbeit.

  • Die Bearbeitung (grün) erfolgte einerseits asynchron in der Rezeption der Inhalte und schriftlichen Aufgaben ebenfalls auf der Lernplattform in Einzelarbeit, andererseits alle zwei Wochen synchron in den Medien Gespräch und Umfragen über den Videokonferenzdienst BigBlueButton in den Sozialformen Einzelarbeit, Kleingruppe und Plenum, wobei auch Break-Out-Räume genutzt wurden.

  • Es gab ein asynchrones Feedback (rot) durch schriftliche Rückmeldungen per E-Mail, teils einzeln durch das Feedback der Dozentin, teils aus einer Kleingruppe als Peer-Feedback.

  • Die Ergebnissicherung (blau) bestand einerseits in der Erweiterung des (nicht schriftlich festgehaltenen) individuellen Wissenskonzepts, andererseits in einem Portfolio, das in Einzelarbeit erstellt wurde.

Bei einer fachdidaktischen Übung (gehalten von Silja Leinung) zeigt das Schema wiederum folgende andere Formen digitaler Lehre:

 

 Abb. 3: Beispiel 2 - fachdidaktische Übung

In der Übung wurde sowohl die asynchrone als auch die synchrone Kommunikationsform genutzt, allerdings auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Ausprägungen:

  • Input (gelb) erfolgte asynchron über selbst erstellte erklärende Videos oder Podcasts und Literatur mit einem Leseauftrag, die in einem Learning Management System den einzelnen Studierenden zur Verfügung gestellt wurden.

  • Die Bearbeitung (grün) der Aufgaben zu dieser Vorbereitung fand dann in Partner*innenarbeit bzw. Kleingruppen statt. Die Studierenden wurden hierfür zu Beginn des Semesters in "Study-Buddys" und diese wiederum in Kleingruppen eingeteilt, die das gesamte Semester miteinander arbeiteten. Auf Kursebene fand diese Arbeit asynchron statt, auf Ebene der Study-Buddys bzw. Kleingruppen synchron, da diese die Aufgaben gemeinsam in einer Videokonferenz bearbeiteten und dabei ein gemeinsames Dokument zur Abgabe erstellten, das für alle zeitgleich einsehbar war. In bestimmten Time Slots in der Woche war es möglich, für Rückfragen, Absprachen o. Ä. die Dozentin an der Videokonferenz teilnehmen zu lassen oder über einen Chat zu kontaktieren.

  • Feedback (rot) erhielten die Studierenden in den Study-Buddys bzw. Kleingruppen synchron durch die Kleingruppe selbst oder ggfs. durch die Dozentin. Asynchron erhielten sie das Feedback durch die weiteren Kurskommiliton*innen über ein Forum und im Anschluss daran ebenfalls asynchron als schriftliche Rückmeldung per E-Mail durch die Dozentin.

  • Ergebnisse (blau) wurden asynchron durch in Einzelarbeit erstellte Beschreibungen der individuellen Wissenskonzepte durch die Studierenden festgehalten und als Wochenfazit asynchron per E-Mail durch die Dozentin versendet. Jede dritte Woche begann darüber hinaus mit einer synchronen Videokonferenz im Plenum, in der die Ergebnisse der vorherigen drei Wochen besprochen und ggfs. weitere Rückfragen gestellt wurden.

 

 Abb. 4: Beispiel 3 - religionspädagogisches Proseminar

Ein religionspädagogisches Proseminar (gehalten von Antonia Lüdtke) wurde in folgenden Formen durchgeführt:

Das exemplarisch gewählte Proseminar wurde ursprünglich so konzipiert, dass sich synchrone und asynchrone Kommunikationsformen in etwa die Waage halten sollten. Während des laufenden Semesters entwickelte sich das Seminar jedoch durch bestimmte kontextuelle Impulse zu einer nahezu rein asynchronen Veranstaltung. So wurde beispielsweise an die Familienbeauftragten der Fakultäten die Bitte herangetragen, möglichst viele asynchrone Lehrwege zu ermöglichen, sodass vor allem Studierende, die ihre Kinder zu Hause und während des Homeschoolings betreuen mussten, die Möglichkeit erlangen konnten, kontinuierlich (oder überhaupt) an Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Diese asynchronen Teile wurden durch einzelne synchrone Kommunikationsformen ergänzt. Vor diesem Hintergrund gewann das Forum der universitären Lernplattform OpenOLAT große Bedeutung, da es besonders geeignet dafür schien, genuin synchron geplante Dialoge bzw. Diskussionsrunden in ein asynchrones Format zu bringen.

  • Der Input (gelb) erfolgte immer auf asynchronem Weg und für jede Sitzung wurde von der Dozentin passende Literatur ausgewählt, zur Verfügung gestellt und mit (Lese-)Aufgaben versehen. Dabei bekamen nicht immer alle Studierenden denselben Text zur Vorbereitung - manchmal wurden im Vorweg auch Kleingruppen gebildet, die unterschiedliche Texte und Aufgaben zum Thema der Sitzung erhielten, sodass eine facettenreichere Diskussion im Forum entstehen konnte. Darüber hinaus wurden zuweilen auch selbstgedrehte kurze Videos oder vorherige Forumsbeiträge als Input genutzt:

  • Die Bearbeitung (grün) fand im Horizont der von der Dozentin erstellten wöchentlichen Aufgabenzettel statt und erfolgte häufig asynchron in verschiedenen Sozialformen: Die Aufgaben wurden sowohl allein als auch im Zweier-Team, in der Kleingruppe und im Plenum bearbeitet - dokumentiert wurden diese Prozesse wesentlich im Forum des OpenOLAT-Kurses. Während der ursprünglichen Präsenszeit der Veranstaltung war die Dozentin über E-Mail, Chat und Forum präsent bzw. erreichbar für etwaige Rückfragen im Zuge der Bearbeitung. In einigen wenigen Sitzungen wurden auch Aufgaben synchron über den Videokonferenzdienst BigBlueButton bearbeitet. Auf dieser Plattform fanden kurze Diskussionen und Erfahrungsaustausche im Plenum statt, konkrete Aufgabenstellungen wurden in Kleingruppen in Break-Out-Räumen bearbeitet. Im Kontext von Rechercheaufgaben wurde manchmal auch das World Wide Web als Plattform genutzt.

  • Feedback (rot) erhielten die Studierenden von unterschiedlichen Personen und auf verschiedenen Wegen. In regelmäßigen Abständen hat die Dozentin via E-Mail und/oder OpenOLAT jedem*jeder Student*in schriftliche Rückmeldungen zu bearbeiteten Aufgaben gegeben. Parallel dazu teilte die Dozentin Student*innen, die bereits von ihr ein Feedback erhalten hatten, andere Kurskommiliton*innen als Feedbackpartner*innen zu. Überdies rief die Dozentin häufig zu einer allgemeinen Feedbackrunde im Forum in Verbindung mit einem bestimmten Aufmerksamkeitsfokus auf. Der asynchrone Feedbackprozess unter den Studierenden wurde sowohl über E-Mails als auch über die Kommentarfunktion im Forum gestaltet; synchrones Feedback wurde vorrangig in Break-Out-Räumen erteilt.

  • Die Ergebnisse (blau) wurden von den Studierenden durch eigene Produkte wie z. B. Expert-Talk-Videos oder Lexikonartikel festgehalten. Häufig erfolgte auch eine grafische Ergebnissicherung durch individuell angefertigte Schaubilder bzw. Concept-Maps. Zudem konnten alle schriftlich geführten Forumsdiskussionen und -tätigkeiten als Word-Datei exportiert werden, sodass allen Studierenden der Zugang zu einer Dokumentation der Lehrveranstaltung eröffnet werden konnte. Schließlich sollten alle im Seminar entstandenen Ergebnisse in der Form eines Lerntagesbuches (als Bestandteil eines Portfolios für das entsprechende Modul), das in Einzelarbeit angefertigt wurde, gebündelt und zusammenhängend reflektiert werden. Dieses wurde parallel zu den Sitzungen selbständig geführt und die Kursteilnehmer*innen hatten regelmäßig die Möglichkeit, einzelne Abschnitte der Dozentin via OpenOLAT zum Feedback vorzulegen.

 3 Ergebnisse der Umfragen

Wie bereits anhand des Schemas zu erkennen war, hat die spontane Notwendigkeit zur digitalen Lehre offenbar vielfältige Formen und Formate der Lehrveranstaltungsgestaltung hervorgebracht. Neben diesem zugegebenermaßen noch etwas allgemeinen, aber dennoch festzuhaltendem Befund, zeigten sich folgende Auffälligkeiten in der Umfrage der Lehrenden zur Gestaltung ihrer Lehrveranstaltungen. Die Angaben beziehen sich auf die online-Umfrage der Lehrenden und geben die Auswahl der Antwortmöglichkeiten "immer" und "häufig" wieder. In der Umfrage wurden entsprechend des Schemas die Häufigkeit der Nutzung der verschiedenen Kommunikationsformen, Medien, Plattformen und Sozialformen pro Phase mit den Antwortmöglichkeiten "immer" - "häufig" - "manchmal" - "selten" - "nie" abgefragt:

Die Lehre wurde sowohl synchron als auch asynchron gestaltet, wobei der Schwerpunkt - für uns überraschend - auf der Asynchronizität lag. Vor allem in den Phasen des Inputs (79,0 %) und der Bearbeitung (71,7 %) fanden asynchrone Elemente regelmäßig statt; im Feedback (51,2 %) und der Ergebnissicherung (60,6 %) ging der Anteil etwas zurück. Diese Phasen wurden aus der Zusammenschau der Beschreibungen der Lehrveranstaltungsformen der Lehrenden abgeleitet. Die in häufig in der Hochschuldidaktik genutzt Formel AVIVA (Ankommen, Vorwissen aktivieren, Informieren, Verarbeiten, Auswerten) spiegelt sich hier nur indirekt wieder: Im Input erfolgte zumeist vor dem Informieren auch das Ankommen der Lernenden und die Aktivierung des Vorwissens; Be- und Verarbeitung sind inhaltlich analog zu sehen; die Auswertung erfolgt vor allem über das Feedback. Die Sicherung der Ergebnisse, in denen das AVIVA-Modell mündet, wurde ergänzt auf Grund der häufig konkreten Produkte, die in der digitalen Lehre entstanden und den gesamten Lehrlernprozess prägte, wie bspw. bei einem Wiki (vgl. Städeli u.A. 2013, 29-40). Auffällig ist dabei, dass es in allen Phasen auf die Frage nach dem Einsatz synchroner Kommunikation eine ausgeglichene Streuung der Antworten zwischen "immer" und "nie" gibt. Synchrone Kommunikationsformen scheinen demnach oft eine Ergänzung zu asychronen Formen gebildet zu haben. Die meisten Lehrveranstaltungen haben demnach beide Formen kombiniert. Entsprechend der Neigung zur Asynchronizität waren der Input (85,6 %) und die Bearbeitung (76,3 %) zum großen Teil durch Einzelarbeit geprägt. Das Feedback fand zwar auch meist in Einzelabsprache (51,6 %) statt, nahezu ähnlich häufig jedoch auch im Plenum (45,7 %). Das Plenum (70,2 %) löst in der Ergebnissicherung dann die Einzelarbeit (wenngleich weiterhin dicht gefolgt: 66,1 %) als häufigste Sozialform ab. Das korrespondiert mit dem etwas stärkeren Einsatz synchroner Kommunikationsformen in den letzten beiden Phasen und weist zusammen auf eine (bewusste oder unbewusste) Orientierung in Richtung der Konzepte des flipped classroom und blended learning hin, wobei für letzteres das asynchrone e-learning nicht mit synchroner Präsenzlehre, sondern mit synchronem e-learning kombiniert wurde.

In der Medienwahl zeigt sich innerhalb der Lehrveranstaltungen zwischen den didaktischen Phasen keine erhebliche Varianz. Das ist ersteinmal nicht erstaunlich, weil die Lehrveranstaltungen in der Regel nicht immer gezielt nach den didaktischen Phasen, sondern gesamt geplant werden. Es lassen sich jedoch typische Kommunikationsmedien je Phase erkennen: z. B. Input über Impulsvorträge der Lehrenden; Bearbeitung über Literatur, Chat und Foren; Feedback über Umfragen und E-Mails; Ergebnisse über Videogespräche und Präsentationen. Die klassischen analogen Kommunikationsmedien wie Literatur und (Haus-)Aufgaben, aber auch Präsentationen und Lehrvorträge fanden ebenfalls digital eine überdurchschnittliche Verwendung. Dies erstaunt angesichts der raschen Umstellung analog geplanter Lehrveranstaltungen auf eine digitale Forme auch erstmal nicht, liegt hier doch die Orientierung an den gewohnten Formaten nahe. Allerdings wurden andere, ebenfalls klassisch analoge Formen auch weniger genutzt, als in regulärer Präsenzlehre anzunehmen ist. So fanden beispielsweise Essays und Referate nur selten Anwendung im digitalen Semester. Die Präsenzlehre wurde also auch nicht einfach nur digital übertragen. Dafür spricht auch, dass auffallend viele Lehrveranstaltungen im Laufe des Semesters offensichtlich unterschiedliche Medien genutzt haben, denn relativ häufig wurden Werte zwischen "immer" und "nie" angegeben. Das spricht für eine methodische Vielfalt, die möglicherweise stärker ausgeprägt ist, als in analogen Lehrveranstaltungen. Dies könnte auf den explorativen Modus eines "digitalen Probesemesters" hinweisen: Lehrende waren auf der Suche nach Ersatzmöglichkeiten für die Präsenzlehre, sie mussten ohnehin die gewohnten Schemata verlassen und die neuen mit der digitalen Lehre einhergehenden Medien erforderten und boten neue Methoden und damit auch Möglichkeiten. Input hierzu gab es durch die verstärkt angebotenen Schulungen seitens der Uni ebenso wie durch den vermutlich häufiger und/oder intensiver stattfindenden kollegialen Austausch.

Seitens der Studierenden zeigt sich für diesen explorativen Modus eine gute Ausgangslage: Insgesamt sind die Präferenzen der Studierenden relativ unspezifisch - bei vielen verteilen sich die Voten einigermaßen gleichmäßig. Auffallend ist dabei, dass sich alle im positiven bis mittleren Bereich bewegen und keine Form mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Studierenden schätzen einerseits die schwerpunktmäßig angebotenen Formen (z. B. Videokonferenz, 76,5 %), andererseits werden auch selten angebotene Formen besonders geschätzt (z. B. Umfragen 74,1 %). In den zahlreichen inhaltlichen Rückmeldungen lassen sich auch Ideen erkennen, wie die Studierenden sich die jeweiligen Formen eingesetzt wünschen. Die kaum verwendeten Umfragen stellen sich die Studierenden z. B. vor für Meinungsbilder, zur Aktivierung, für Rückmeldungen zum akustischen wie inhaltlichen Verständnis, zur anonymen Lernkontrolle, als Auflockerung oder als Reflexionsanlass.

 Abb. 5: Studierendeneinschätzung zur Eignung digitaler Lehrmöglichkeiten I

 Abb. 6: Studierendeneinschätzung zur Eignung digitaler Lehrmöglichkeiten I

Die Umfragen zeigen insgesamt eine große Offenheit auf Dozierenden- wie Studierendenebene gegenüber den Möglichkeiten und Herausforderungen, die die spontane Umgestaltung der universitären Lehre auf digitale Lehrformate mit sich brachte. Auch wenn die Abwesenheit der direkten Begegnung kaum gänzlich zu ersetzen sein kann und vermutlich von vielen vermisst wurde, haben die Lehrenden im Corona-Semester scheinbar auf Grundlage der gewohnten Formate vielfältige neue Lehrwege erkundet, die die Studierenden offenbar gerne mitgegangen sind. Die Aufgabe wird nun darin bestehen, aus den spontan nötig gewordenen Erkundungen durchs digitale Dickicht langfristige Wege der digitalen Lehre zu entwickeln (vgl. Hodges u.A., 2020). Das hier vorgestellte Schema kann dafür einen Beitrag leisten, indem es bei der Identifizierung der bisherigen Trampelpfade helfen und gleichzeitig weitere Pfade aufzeigen kann.

Literaturverzeichnis

Demantowsky, M., Lauer G., Schmidt, R. & te Wildt, B. (2020). Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen? Einwürfe und Provokationen. Berlin: De Gruyter Oldenbourg.

Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland. ReVikoR-Homepage. URL: http://www.revikor.de/ [Zugriff: 20.10.2020].

Handke, J. (32020). Handbuch Hochschullehre digital: Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. Baden-Baden: Tectum Verlag.

Henke, J. & Pasternack, P. (2020). Die Hochschulen im Zeitalter der Frühdigitalismus. Zur Einführung. In Henke, J. & Pasternack, P. (Hrsg.), Wie die Hochschulen durch das Zeitalter der Frühdigitalismus kommen. Basiswissen für die avancierte Organisationsgestaltung in 94 Fragen und Antworten (S. 1-8). Wiesbaden: Springer VS.

Hodges, Ch. u.A. (2020). The Difference Between Emergency Remote Teaching and Online Learning. URL: https://er.educause.edu/articles/2020/3/the-difference-between-emergency-remote-teaching-and-online-learning [Zugriff: 26.10.2020].

Naisbitt, J. (1982). Megatrends: Ten new directions transforming our lives. New York, NY: Warner Books.

Schmidt, C. (1997). "Am Material". Auswertungstechniken für Leitfadeninterviews. In Friebertshäuser, B. & Prengel, A. (Hg.), Handbuch qualitative Methoden in der Erziehungswissenschaft (S. 544-568), Weinheim/München: Beltz.

Schöning, B. (2020a). Präsenz: Zurück in die Zukunft der vergangenen Hochschullehre?. URL: https://www.feinschwarz.net/praesenz-zurueck-in-die-zukunft-der-vergangenen-hochschullehre/ [Zugriff: 20.10.2020].

Schöning, B. (2020b). Hochschuldidaktik unter der Bedingung der Kultur der Digitalität. In Giercke-Ungermann, A. & Handschuh, C. (Hg.), Digitale lehre in der Theologie. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen (S. 113-126), Münster: LIT-Verlag.

Städeli, Chr. u. A. (2013). Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA-Modell. Fünf Phasen guten Unterrichts, Bern: hep-Verlag. URL: https://www.hep-verlag.ch/pub/media/import/public/4956/kompetenzorientiertunterrichten2013.pdf [Zugriff: 26.10.2020].

Wagner, Th. (2020). From Teaching to Coaching: Lernprozesse auf digitalen Lernplattformen ermöglichen und begleiten, In Giercke-Ungermann, A. & Handschuh, C. (Hg.), Digitale lehre in der Theologie. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen (S. 133-140), Münster: LIT-Verlag.

 

  

Silja Leinung, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Praktische Theologie, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Dr. Antonia Lüdtke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Praktische Theologie, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong, Professorin für Praktische Theologie und Religionspädagogik, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.