Die Selbstbezeichnung von Klimaaktivist*innen als „Last Generation“ (LG) ist vielfach kritisch kommentiert worden. Es seien noch rund fünf Millionen Jahre bis zum Weltuntergang. „Die letzte Generation hat offensichtlich vor, sehr alt zu werden,“ so z. B. der Kabarettist Dieter Nuhr (2022). Immer wieder finden sich Auslegungen, die LG gehe von einem baldigen Welt- oder aber zumindest Menschenuntergang aus, auch von Theologen. So warnt Ulrich Körtner davor, apokalyptische Narrative angesichts der Klimakrise zu bemühen, da der Bedrohung unserer Lebenswelt nicht mit überwältigender Angst vor dem Weltuntergang zu begegnen sei (Körtner). Und Ralf Frisch ist „gewissermaßen aus theologischen Gründen zornig darüber, dass wir uns mit derart heiligem Ernst der klimaapokalyptischen Vision unterwerfen.“ (Frisch) Bernhard Dressler wiederum kritisiert Klimaaktivist*innen mit ihren „Untergangsprophetien“: „Die Bibel erlaubt uns keine spekulative Gesamtsicht der Geschichte – sei es als Fortschrittsglaube, sei es als Untergangsprophetie.“ (Dressler, 2021) In dieser Lesart wären sowohl biblisch apokalyptische Texte als auch die Stimmen der LG mit ihren Weltuntergangsszenarien theologisch oder zumindest strategisch unpassende Mahnungen angesichts ökologischer Krisen. Doch nicht nur die ökologischen Krisen, sondern auch Corona, Kriege oder Migration führen dazu, dass apokalyptisches Vokabular bemüht wird, weshalb Alexander-Kenneth Nagel von der „Gegenwart der Apokalypse“ (2021, S. 11) spricht. Daher wird im Folgenden der apokalyptische Charakter der LG in einem ersten Schritt zeitdiagnostisch näher beleuchtet (1.), um anschließend empirisch gestützt zu erörtern, inwiefern diese zeitdiagnostischen Überlegungen und apokalyptisches Denken für die gesamte Jugendgeneration heute aussagekräftig sind (2.). Hierbei erweisen sich Fragen von inter- und intragenerationaler Gerechtigkeit als zentral (3.), in deren Horizont abschließend religionspädagogische Prinzipien konturiert werden.

1 Letzte Generation vor der Apokalypse?

Bereits um die Jahrtausendwende hatte die Apokalypse Hochkonjunktur, insbesondere in Filmen und Romanen wurde das drohende Ende der Welt ausgemalt, teils mit heldenhafter Rettung am Ende, teils war die Welt dem Untergang geweiht. Klaus Vondung deutet dieses Phänomen als Versuch, die Krisen der Welt psychisch zu bewältigen. „Indem das Entsetzliche ausgesprochen wird, ist es zugleich dingfest gemacht und gebannt“ (Vondung, 2008, S. 194). Hierunter verberge sich ein gesellschaftlicher Wunsch nach Stabilität sowie eine gewisse Saturiertheit, die Umbrüche zu vermeiden sucht (Nagel, 2021, S. 192). In den letzten Jahren scheinen angesichts der multiplen Krise (Demirovic, 2013) Sdie apokalyptischen Deutungen des Weltgeschehens vielfältiger, politisch ausgeschärfter und existenzieller zu werden, so auch bei Klimaaktivist*innen der LG oder Extinction Rebellion. Nagel betrachtet diese Klimabewegungen, im Speziellen Extinction Rebellion (XR), explizit mit einer apokalyptischen Brille, wobei die (biblische) Apokalyptik ein hermeneutischer Schlüssel darstelle, um „neue semantische und rhetorische Aspekte der Rede über die ökologische Krise zu erschließen“ (Nagel, 2021, S. 79). Bei biblischer und klimaaktivistisch apokalyptischer Rede erkennt er zum einen stark dualistische Strukturen (Freund – Feind, Untergang – Rettung, Wahrheit – Verblendung usw.), zum anderen eine absolute Dringlichkeit des Handelns: So formuliert die LG, dass sie die letzte sei, die den Kollaps noch aufhalten könne (Homepage LG). Die nachfolgende Generation würde bereits die grausamen Folgen des Nichtstuns spüren und entsprechend Schuldige zur Rechenschaft ziehen. “They will want the prosecution of those who created the hell they will face.” (XR zit. n. Nagel, 2021, S. 99). Nagel sieht hierin eine Parallele zu Mt 24,34, in der ebenfalls apokalyptische Zeichen für die kommende Generation angekündigt werden. Die Verursacher der Krise werden klar benannt, der apokalyptischen Narration wohnt jeweils ein Moment der Offenbarung der Wahrheit inne. Während sich die biblischen Apokalyptiker jedoch auf eine göttliche Offenbarung stützen, liegt die Wahrheit von XR und LG in der Wissenschaft. Es geht ihnen nicht um eine zeitliche Ankündigung des Weltuntergangs, sondern um Kritik an den Herrschenden angesichts der Klimakatastrophe, die die zeitliche Dringlichkeit von verantwortungsvollem Handeln fokussiert. Die Klimaaktivist*innen wollen durch ihre apokalyptische Rede zum politischen Engagement, zum Aktivismus in der jetzigen Generation aufrufen. Sie möchten zum Tun ermächtigen und die Katastrophe abwenden – und nicht, wie in biblischen Narrationen im Leid Trost spenden.  Anhand der Struktur biblischer Apokalyptik Krise – Gericht – Erlösung lassen sich weitere entscheidende Unterschiede abbilden. Bei LG und XR ist es keine göttliche Macht, die das Gericht über die Menschheit bringt, sondern die zukünftigen Generationen werden Rechenschaft einfordern. Auch in der biblischen Apokalyptik ist Gericht kein Strafakt, den Gott, quasi als deus ex machina, über die Menschheit bringt, sondern Gericht ist in den biblischen Texten vielmehr „the impact of the consequences of exploitative, (self-)destructive ways of life that have been practices over long periods of time and maintained against better knowledge and prophetic pleas” (Taxacher, 2022, S. 207). Das Gericht bringen die Menschen somit durch ihre Handlungen selbst über sich. In Hinblick auf Erlösung wiederum, die biblisch durch Gott geschieht, streben zwar auch die Klimaaktivist*innen eine bessere, transformierte Welt an, aber diese ist streng immanent gedacht (Nagel, 2021, S. 107).

Mit Gregor Taxacher lassen sich Nagels soziologische Analysen theologisch vertiefen. Er deutet die biblische Apokalyptik nicht als zeitliche Ansage eines drohenden Endes, sondern als eindringliche prophetische Theologie. Dabei spricht biblische Apokalyptik die Gegenwart von einer bedrohten Zukunft aus an und hält aus dieser Perspektive der Gegenwart ihren kritischen, mahnenden Spiegel vor. (Taxacher, 2021, S. 33, 35) Es geht somit um eine prophetische, entlarvende Deutung der Zeichen der Zeit. „Apokalyptik reflektiert theologisch die leider bis heute im wörtlichen Sinn überwältigende Erfahrung der Ohnmacht des Widerstands gegen die übermächtigen Strukturen des Bösen. Aber indem sie diese benennt, in antiker mythologischer Sprache ihren unmenschlichen und wider-göttlichen Charakter anschaulich macht, ihnen den Nimbus von Herrlichkeit und Unbesiegbarkeit entreißt, ermutigt sie die Ohnmächtigen zu Resistenz und Nicht-Anpassung.“ (Taxacher, 2023, S. 18) Auch hier zeigen sich Parallelen zum Grundanliegen von LG: entlarvende Herrschaftskritik, die von der drohenden Klimakatastrophe zu Umkehr und verändertem Handeln aufruft. Somit geht es der biblischen apokalyptischen Kritik um „Kontingenzbewältigung durch Kontingenzverschärfung“ (Taxacher, 2021, S. 33) Weiterführend ist eine Kriteriologie, die Taxacher einführt, um biblische Apokalyptik nicht für beliebige Formen der Gesellschaftskritik zu funktionalisieren. Erstens sei biblische Apokalyptik „von unten“ formuliert, eine warnende Kritik der Unterdrückten und Leidenden – und gerade keine Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen. Zweitens bringe sie Hoffnung zum Ausdruck, dass Gott größer und mächtiger sei als alle Mächte und Gewalten der Welt, weshalb sie auf Gerechtigkeit von Gott vertraue und letztlich revolutionären Terror ablehne. (Taxacher, 2021, S. 34) Eine Stabilisierung der Herrschaftsverhältnisse streben die Klimaaktivist*innen nicht an, sondern sie sehen ihren Protest als Form der Ermächtigung angesichts von Marginalisierung des Klimaschutzes und der Interessen zukünftiger Generationen. Allerdings sind dabei die gewählten Protestformen, wie z.B. Straßenblockaden, Farbattacken auf Kunstwerke, Zementieren von Golflöchern oder die Behinderung von Privatjets, gesellschaftlich stark umstritten, vermutlich würden einige gesellschaftliche und politische Stimmen diese Protestformen anhand von Taxachers Kriteriologie als revolutionären Terror bezeichnen. Jedoch nach UN-Definition, wonach sich Terror ausschließlich auf Tod, schwere Körperverletzungen oder Geiselnahmen bezieht, um eigene Ziele durchzusetzen (UN-Sicherheitsrat, 2004, Resolution 1566), ist eine solche kritische Bewertung sicherlich nicht gerechtfertigt. Aus theologischer und religionspädagogischer Perspektive ist viel relevanter, dass die Klimaaktivist*innen nicht auf die Größe Gottes oder einer transzendenten Macht setzen. Ihnen religiösen oder gar sektiererischen Eifer zu unterstellen (Witte, 2022), greift angesichts der starken Naturwissenschaftsorientierung der Klimaaktivist*innen daher nicht. Zugleich fehlt damit weitgehend eine Dimension von Trost und Hoffnung auf Erlösung, die der biblischen Apokalyptik zu eigen ist. Vielleicht ist dies gerade ein Aspekt, an dem eine Religionspädagogik für die LG ansetzen kann, an einer Hoffnung jenseits des (Fortschritts-)Optimismus (Vogt, 2017, S. 405).

2 Wie tickt die Last Generation? Empirische Einblicke

Bislang bezogen sich die Ausführungen und Analysen auf Klimaaktivist*innen der LG oder XR. Daher stellt sich die Frage, inwiefern sich apokalyptisches Denken auch bei anderen Heranwachsenden finden lassen. Dazu wird im Folgenden der Begriff „Letzte Generation“ von einem engen Verständnis auf Klimaaktivist*innen ausgeweitet und als „Chiffre“ für die junge Generation verstanden, die in dem Zeitfenster bis 2030 erwachsen wird, also in der Zeitspanne, in der nach Klimaforscher*innen einschneidende Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Es ist somit die Generation, die (als letzte) erlebt, wie die Klimakatastrophe noch abgemildert werden könnte. Im Horizont dieser Generationenbeschreibung kann dann eine Religionspädagogik für die Letzte Generation spezifischer entfaltet werden.

Die Letzte Generation leidet in stärkerem Maße als ältere Menschen unter den Belastungen der multiplen Krise.  Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2023“ zeigt, dass diese mehr als doppelt so stark psychisch von der Krise belastet ist, als z. B.  die 50- bis 69-Jährigen (Schnetzer, 2023).

Anderen Studien zufolge betrachten rund zwei Drittel aller Jugendlichen in Deutschland den Klimawandel und Umweltverschmutzung als besonders oder eher bedrohlich (Shell, 2019, S. 56; Thompson, 2021, S. 605). International sieht es ähnlich aus:  über 60% der Befragten sind ängstlich, besorgt oder traurig angesichts der Klimakatastrophe, über 50% wütend und hilflos (Hickman, Marks, Pihkala, Clayton, Lewandowski, Mayall, Wray, Mellor & van Susteren, 2021, S. 867). Dabei hat diese psychische Belastung durchaus einen Generationenaspekt. Denn die Adoleszenten nehmen wahr, dass Erwachsene nicht ausreichend die Umwelt und ihre Zukunft schützen. „Distress about climate change is associated with young people perceiving that they have no future, that humanity is doomed, and that governments are failing to respond adequately, and with feelings of betrayal and abandonment by governments and adults.” (Hickman et al., 2021, S. 864) So fühlen sich knapp 60% der Befragten um ihre Zukunft betrogen (Hickman et al., 2021, S. 869). Nicht nur die ökologischen Krisen belasten somit die LG, sondern auch, dass Erwachsene, insbesondere machtvolle gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Akteur*innen ihnen nicht zuhören und keine entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der zukünftigen Generationen ergreifen (Hickman et al., 2021, S. 871). Auch wenn Klimaaktivist*innen von XR oder LG zahlenmäßig gering sind, so ist die Wahrnehmung der Klimabedrohung und der damit einhergehenden Ängste sowie das Gefühl der Hilflosigkeit in großen Teilen der Jugend weltweit ähnlich. Jugendliche sehen Erwachsene in der Pflicht, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts dieser Ergebnisse ist bemerkenswert, dass sich dennoch über 50% der Adoleszenten selbst schuldig am Klimawandel fühlen (Hickman et al., 2021, S. 867). Insbesondere Klimaaktivist*innen leiden darunter, dass sie in einer nicht-nachhaltigen Welt verstrickt sind und trotz hohem Engagement die Klimakrise nicht abmildern können. Die Kombination aus Engagement, Ohnmacht, Ängsten und Verzweiflung kann zu einem activist burnout (van Bronswijk, 2022, S. 41; Macha & Adelmann, 2021) wie auch zu radikaleren Protestformen von LG oder XR führen. Aus Sicht der Letzten Generation hat die Klimakrise somit deutliche intergenerationale Dimensionen. Dennoch wäre es zu kurz gesprungen, „wenn man in der Klimafrage fossile ‚Boomer‘ und die Dekarbonisierungsgenerationen Y und Z gegenüberstellt.“ (Mau, Lux & Westheuser, 2023, S. 217) Denn auch ältere Menschen machen sich teils sogar größere Sorgen, allerdings sind sie hierdurch weniger stark belastet (Schnetzer, 2023), vielleicht auch, weil sie die Klimawandelfolgen nicht so stark erleben werden. Daher liegen Unterschiede weniger in der grundsätzlichen Wahrnehmung der Klimakrise, sondern vielmehr in der Dringlichkeit von Transformation sowie in den konkreten Lösungswegen. Insbesondere Veränderungen, am eigenen Lebensstil werden weitgehend abgelehnt, allerdings über alle Generationen hinweg. Vor allem sind es untere Statusgruppen, die ökologische Transformationen aus Angst vor sozialen Verschlechterungen ablehnen bzw. auf einen Vorrang des Sozialen vor dem Ökologischen pochen (Mau et al., 2023, S. 233). Sie befürchten disruptive oder ungerechte Transformationen (Mau et al., 2023, S. 381). Die Bewältigung der ökologischen Krise lässt sich somit auch als ein soziales Konfliktfeld und eine Klassenfrage im Werden betrachten (Mau et al., 2023, S. 26, 220). Der Klimawandel wird in Deutschland nur noch von sehr wenigen in Frage gestellt, allerdings gibt es einflussreiche Klimawandelskeptiker und Profiteure des Status Quo, die auf eine Verzögerung effektiver Transformationsmaßnahmen setzen. „Delay is the new denial“ (Shue, 2023) Von diesen werden die teils berechtigten Ängste und Sorgen gezielt instrumentalisiert, wenn z.B. die vielzitierte Krankenschwester vom Lande angeführt wird, um eine Verkehrswende zu kritisieren bzw. zu verzögern. „Skeptiker weichen […] auf eine Kritik an der Umsetzung aus, die dann in Vorwürfen wie ‚übertrieben‘ und ‚zu viel‘ und ‚nicht durchdacht‘ ihren Ausdruck“ (Mau et al., 2023, S. 405) und bei einer tendenziell transformationsmüden Gesellschaft Gehör findet. Dies ist wiederum für ökonomisch schwächer gestellte Milieus insofern brisant, da sie in der Regel geringere Anpassungsressourcen für die vielfältigen ökologischen und sozialen Krisen besitzen (Mau et al., 2023, S. 348f). Die ökologische Krise wird somit zunehmend gesellschaftlich zu einer sozialen Krise, weshalb soziale und ökologische Fragen gemeinsam bearbeitet und nicht – wie politisch und medial vielfach geschehen – gegeneinander ausgespielt werden müssen. Es wäre daher fatal, die Anliegen der LG auf einen Generationenkonflikt zu reduzieren oder gar wie folgt zu diskreditieren:

„Schon immer freilich war es das Wesen von Jugendrevolten, jene Generation für zukunftsgefährdend und daher für unzurechnungsfähig zu halten, die womöglich nicht nur aus Egoismus, sondern vielleicht doch aus Lebenserfahrung weniger radikal denkt und handelt – etwa weil sie merkt, dass Einzelne und die gesamte Gesellschaft etwas zu verlieren haben und folglich ein anderes, nämlich das gesellschaftliche Klima aus dem Gleichgewicht zu geraten droht, wenn die Utopie ‚Null CO2-Ausstoß und zwar sofort!‘ auf Biegen und Brechen verwirklicht wird, oder weil sie ahnt, dass die Bereitschaft, sich als Klimaapostel angesichts des kaum veränderten persönlichen Lebensstils selbst zu belügen“ (Frisch)

Die Klimakrise wirft vielmehr nicht nur inter- sondern auch intragenerationelle Gerechtigkeitsfragen auf, die es zwischen Globalen Norden und Süden schon lange gibt und sich derzeit auch im Globalen Norden innergesellschaftlich verschärfen.

3 Intra- und Intergenerationelle Gerechtigkeit als normatives Prinzip angesichts der Klimakrise?

Nicht nur die aufgeführten Studien weisen die Relevanz von intra- und intergenerationeller Gerechtigkeitsfragen auf, sondern auch von kirchlicher und theologischer Seite wird inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit als Leitprinzip entwickelt, z.B. in Papst Franziskus Enzyklika „Laudato si“ (2015). Die Schöpfung sei wie eine Leihgabe, die von Generation zu Generation weitergegeben werden müsse, ohne dabei die intragenerationelle Gerechtigkeit aus dem Blick zu verlieren.

„Denken wir nicht nur an die Armen der Zukunft. Es genügt schon, an die Armen von heute zu denken, die nur wenige Lebensjahre auf dieser Erde verbringen und nicht mehr warten können. Daher muss ‚neben einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität […] die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität innerhalb einer Generation betont werden‘“ (Papst Franziskus, 2015, Abs. 162).

Dabei nimmt Franziskus nicht nur eine Ressourcengerechtigkeit in den Blick, sondern bezieht auch Sinn- und Wertefragen mit ein.

„Wir müssen uns bewusst werden, dass unsere eigene Würde auf dem Spiel steht. Wir sind die Ersten, die daran interessiert sind, der Menschheit, die nach uns kommen wird, einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen. Das ist ein Drama für uns selbst, denn dies beleuchtet kritisch den Sinn unseres eigenen Lebensweges auf dieser Erde.“ (Papst Franziskus, 2015, Abs. 160)

Die ökologische Krise ist in diesem Sinne auch eine spirituelle und kulturelle Krise, die bei der Bewältigung der ökologischen Fragen mit zu berücksichtigen ist. Ähnlich argumentieren auch die EKD (2009) und die DBK (2019), wobei Gerechtigkeitsfragen auch auf nichtmenschliche Mitgeschöpfe ausdehnt werden.

Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit wird so zum Grundkonzept ökologischer Ethik, die es normentheoretisch zu reflektieren und institutionentheoretisch weiter zu entfalten gilt (Vogt, 2017, S. 361). Dabei eröffnen sich jedoch gewichtige offene Fragestellungen, die noch längst nicht geklärt bzw. hinreichend konkretisiert sind (vgl. zum Folgenden Vogt, 2017, S. 354-387). So ist eine Ungleichzeitigkeit und Unwucht zwischen den Perspektiven des Globalen Nordens und Südens wahrzunehmen. In den öffentlichen Debatten des Globalen Nordens wird bislang Generationengerechtigkeit in Hinblick auf gegenwärtige und zukünftige Generationen gedacht. Der Globale Süden weitet den Blick auch auf vorangegangene Generationen aus und erinnert daran, dass die ökologische Katastrophe weitgehend durch den Lebensstil früherer und gegenwärtiger Generationen des Globalen Nordens verursacht und dies entsprechend zukünftig zu berücksichtigen sei. Mit Blick auf zukünftige Generationen stellt sich wiederum die Frage, wie viele Generationen bei der Konzeptionierung intergenerationeller Gerechtigkeit berücksichtigt werden müssen. Sollen hierunter nur die kommende oder auch Menschen in 500 Jahren bedacht werden? Haben wir eine moralische Verpflichtung für noch nicht Geborene? Insbesondere bei nicht überschneidenden Generationen in weiter Zukunft stellt sich die Problematik der Nicht-Identität. Darunter wird gefasst, dass je nach getroffenen Gegenwartsentscheidungen sich zukünftige Generationen anders entwickeln. Menschen, die in einer potenziell Dreigrad-wärmeren Welt in 100 Jahren leben, sind nicht identisch mit Menschen, die in 100 Jahren in einer Zweigrad-wärmeren Welt leben. Diese Nicht-Identität erschwert es, moralische Verantwortung für zukünftige Generationen zu formulieren. Zusätzlich zu diesen Problemstellungen kommen an sich schon hochgradig strittigen Fragen, welche Konzeption von Gerechtigkeit (Verteilungs-, Befähigungs-, Bedarfsgerechtigkeit…) zugrunde gelegt werden sollen. Das Leitprinzip intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit wird somit bei stärkerer Ausdifferenzierung und Konkretisierung hoch komplex und weist auf vielfältige Konfliktfelder hin.

Auch bei BNE-Konzeptionen, die sich vornehmlich auf formale Gestaltungskompetenzen fokussieren, dient Gerechtigkeit zur normativen Orientierung, wenn z. B de Haan und Kamp Lernende befähigen wollen, „Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs und Handlungsgrundlage [zu] nutzen“ (2008, S. 241). Dabei bleibt die Orientierungskraft an Gerechtigkeit oftmals vage und kraftlos, insbesondere in Konfliktsituationen oder bei Dilemmata, weshalb BNE-Konzeptionen diesbezüglich kritisch angefragt werden (Gärtner, 2020, S. 26-28). Im Folgenden wird daher eruiert, wie eine religiöse BNE (rBNE) spezifischer ausgerichtet werden kann – auch im Horizont von Apokalyptik.

4 Religionspädagogik für die Letzte Generation?

Interessanterweise sind die Debatten um intergenerationale Gerechtigkeit und deren normative Orientierung für (Religions-)Pädagogik schon alt. So lassen sich z.B. in den Schriften von Johannes van der Ven entsprechende Debatten und dabei auch unabgegoltene religionspädagogische Potenziale erkennen (Herbst, 2024; Gärtner, 2024). So setzt sich dieser angesichts der gesellschaftlichen und politischen Krisen der 1970er/80er Jahre mit Hans-Jochen Gamm auseinander, inwiefern Pädagogik angesichts intergenerationaler Herausforderungen eine stärker normative Orientierung benötige. Für Gamm braucht eine intergenerationell ausgerichtete Pädagogik eine positive Zukunftsvision. Offen ist für ihn hingegen, woran sich diese Zukunftsvision (normativ) ausrichten kann, es fehlen gemeinsame Werte und Normen, die entsprechende (Schul-)Gesetzgebung sind für ihn zu abstrakt, um konkrete Orientierung zu bieten (Gamm, 1979, S. 190–191). Durch die Säkularisierung fehle der gemeinsame „himmlische Baldachin“ (Berger, 1967).  Für Gamm sind Kirche und Religion jedoch obsolet geworden, sodass diese keine Orientierung anbieten könnten. Van der Ven hingegen versucht, die Ziele von Erziehung und Bildung im Lichte der Reich Gottes-Idee erneut auszuloten. Hier können diese Debatten nicht ausführlicher dargestellt werden (Gärtner, 2024). Die von Gamm vorgenommene Ablehnung eines „himmlischen Baldachins“ für die Pädagogik ist heute selbstverständlich und wird auch angesichts weltanschaulicher Pluralität kaum wieder zurückzuführen sein. Doch vielleicht erweist sich apokalyptisches Denken, wenn nicht als schützender Baldachin, so doch als gemeinsamer Horizont von Pädagogik und Religionspädagogik.

Nach Nagel (2022) bedarf es einer besonderen „Apokalypse-Kompetenz“. Hierunter fasst er erstens die kritische Rezeption und Dekonstruktion apokalyptischer Szenarien, um z.B. deren dualistische Strukturen und Mobilisierungstechniken zu erkennen, um hierdurch vorgebrachte Argumente abwägen zu können. Zweitens veranschlagt er die Kompetenz zur Introspektion und Selbstreflexion, um eigene Ängste, Ohnmacht oder Verdrängungen wahrzunehmen. Drittens führt er eine Kompetenz zur Intervention an. Diese versteht er als die Fähigkeit, das „diskursbrechende Potential bestimmter apokalyptischer Denk- und Redeformen zu erkennen“ (Nagel, 2022) und ihr visionäres Potential zu heben. Erlösungshoffnungen sowie visionäre Zukunftsgestaltung sind hierbei strikt immanent gedacht: Sozial-ökologische Transformationen oder Revolutionen für das Leben (von Redecker, 2020) setzen Aktivismus, menschlichen Handlungswillen zu Veränderungen usw. voraus. Doch die Hoffnung, dass die Aktivierung zu Transformationen in der notwendigen Geschwindigkeit gelingt, schwindet zunehmend und führt zu den bereits beschriebenen psychischen Belastungen, Sorgen und Ängsten. Nach Vondung (1988, S. 106) ist zeitdiagnostisch daher von einer kupierten Apokalypse zu sprechen: Die im biblischen apokalyptischen Denken inhärente Hoffnungsperspektive bricht kaum noch auf: Katastrophe ohne Hoffnung auf (immanente oder transzendente) Erlösung. Aufschlussreich ist daher, dass anlässlich der Veröffentlichung des Papstschreibens „Laudate Deum“ (Papst Franziskus, 2023), in dessen Zentrum zentral die sozial-ökologischen Krisen stehen, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf der Pressekonferenz sich wie folgt äußert:

„Habt ihr euch jemals gefragt, wer uns Hoffnung gibt? […] Wir brauchen Institutionen, Führungspersönlichkeiten, Glaubensgemeinschaften, Menschen jeden Alters, wir brauchen euch, um Aktivisten zu werden. Wir brauchen euch, damit ihr nicht mehr auf die Hoffnung wartet, sondern sie werdet. Papst Franziskus hat gezeigt, wie man das macht. Und wenn der Papst es geschafft hat, mit allem, was es in einer Institution wie der katholischen Kirche braucht, zu einer – wie ich es ausdrücken würde – kollektiven, kulturellen und spirituellen Revolution aufzurufen, dann bin ich mir sehr sicher, dass es für alle anderen nicht zu viel verlangt ist." (Neubauer, 2023)

Neubauer erwartet keine Hoffnungsversprechen oder -vertröstungen, sondern sie setzt auf eine kollektive, spirituelle und kulturelle Transformation, gar Revolution, in der die Kirche selbst Hoffnungsträger ist – und nicht nur von Hoffnung predigt. Sie fordert eine tatkräftige, solidarische Verkündigung, dass Leben und Welt eine Zukunft hat. Explizit wird hier Religionen Relevanz zugesprochen wird: als Hoffnungsquelle, als solidarische Partner*innen und als Inspiration für ganzheitliche Transformationen. Vielleicht schimmert hier durch, dass eine kupierte Apokalyptik zwar Unrecht anklagen und mahnende Rufe zur Umkehr freisetzt, aber Erlösung und Hoffnung fehlt.

Im Folgenden möchte ich dieses Potenzial und diese Relevanz religionsdidaktisch anhand von sechs Prinzipien konkretisieren. Diese 3k3p-abgekürzten Prinzipien orientieren sich an dem Schwerter Konsent, der wiederum von den 5k3p-Prinzipien, die für rBNE entwickelt wurden (Bederna & Gärtner, 2023), inspiriert wurde.

Kritisch

Apokalyptisches Denken ist kritisch, indem es die herrschenden Unrechtsstrukturen (z.B. die Macht der Fossilwirtschaft) offenbart und anklagt. Nagels apokalyptische Kompetenzen beziehen dieses kritische Denken auch auf Katastrophennarrative selbst, insbesondere auf deren oftmals dualistische Struktur, die es zu dekonstruieren gilt. Hierbei ist auch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion bedeutsam, um die eigene (affektive, konative, kognitive) Einstellung und Involviertheit in apokalyptische Szenarien zu reflektieren. Ganz in diesem Sinne fordert der Schwerter Konsent, dass bei der Initiierung und Durchführung von religiöser Bildung Machtverhältnisse und soziale Ideologien (selbst-)kritisch reflektiert werden, um Abhängigkeiten und sich überlagernde soziale Ungleichheiten wahrnehmen und ihnen entgegenwirken zu können.  

Konstruktiv

Säkulares apokalyptisches Denken will Menschen aktivieren, die drohende Katastrophe abzuwenden, indem Herrschende entlarvt und, sei es durch Transformation, Reformen oder Revolution, neue Formen des Zusammenlebens ermöglicht werden. Hierzu benötigt es Hoffnung und Visionen. Dabei setzt säkulare Apokalyptik auf weltliche Rettung – Hoffnung und Erlösung sind strikt immanent gedacht. Religiöse Bildung kann diesbezüglich – wie es Luisa Neubauer indirekt einfordert – die Lernenden ermutigen, indem sie hoffnungsvolle Perspektiven, z.B. der Reich-Gottes-Verkündigung, als kontrafaktische Deutungsperspektive der apokalyptischen Zeitdiagnose in das Bildungsgeschehen einspielt, erschließt und auf ihre Plausibilität hin befragt. Antizipatorisch-erinnernd eröffnet die Orientierung an biblischen Gerechtigkeitsvorstellungen visionäre Zukunftsperspektiven ‚wider aller Hoffnung‘. Hierin mögen Inspirationsquellen für gesellschaftliche Veränderungsprozesse liegen, die nach Nagel „im Klein-Klein der alltäglichen Bezüge“ (2023) oftmals nicht sichtbar werden.

Kontrovers

Apokalyptisches Denken ist weitgehend dualistisch geprägt und formuliert entsprechend eindeutige Antworten zur Abwehr der Katastrophe. So fordert die LG einen Ausstieg aus fossilen Energien bis 2030 und die Einsetzung eines Gesellschaftsrats. Im Vergleich mit anderen Weltuntergangsszenarien (großer Austausch, Coronaverschwörungstheorien, … vgl. Nagel, 2021) sind die Forderungen der LG wissenschaftlich sehr gut fundiert. Dennoch gibt es wissenschaftlich auch hierüber Kontroversen, insbesondere wenn die ökologische Krise interdisziplinär als soziale und ökonomische betrachtet wird und konkrete Maßnahmen zur Erreichung der Ziele diskutiert werden. In religiösen Bildungsprozessen sollen daher solche Themen kontrovers diskutiert werden, zu denen es differierende Positionen in Theologie, Kirche und Gesellschaft gibt, wenn diese weder den Menschenrechten noch wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen widersprechen. Wenn sich religiöse Bildung somit mit apokalyptischen Narrationen, mit entsprechenden visionären Inspirationen und Hoffnungserzählungen einbringt, dann sind hierbei sowohl ad intra die Vielfalt biblischer Narrationen als auch ad extra der gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen zu berücksichtigen, auch um eschatologisch die Offenheit der Zukunft zu gewahren.

Positionell

Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit ist zentrales Leitprinzip zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Auch BNE richtet sich hieran aus, wobei oftmals ungeklärt bleibt, wie diese Gerechtigkeitsvorstellungen inhaltlich spezifiziert werden. Religiöse Bildung ist diesbezüglich (reflektiert) positionell und normativ. Im Sprachspiel Gamms kennt sie ihren himmlischen Baldachin und orientiert sich hieran. Sie tritt im Sinne der biblischen Tradition als Anwältin Marginalisierter auf, richtet sich normativ an den Vorstellungen des Reiches Gottes aus und verknüpft dabei intra- mit intergenerationellen sowie soziale mit ökologischen Fragen. Im Sinne der Kontroversität und Kritikfähigkeit sollen die Lehrende ihre eigene Positionalität transparent machen und den Lernenden zugleich Freiräume der kritischen Reflexion bieten, damit diese sich zu dieser Positionalität bewusst verhalten können. Hierdurch wird gemäß dem Beutelsbacher Konsens Überwältigung entgegengewirkt.

Partizipatorisch

Unter apokalyptischer Kompetenz fasst Nagel die Kompetenz zur Intervention. Dabei geht es ihm nicht um eine allgemeine Handlungsfähigkeit, sondern spezifischer um die Kompetenz, auch reflektiert diskursbrechend handeln zu können. Religiöse Bildung besitzt entsprechende Potenziale, die Logik der Alternativlosigkeit aufzubrechen. In Auseinandersetzung mit Alteritäts- und Reich-Gottes-Vorstellungen können sie lernen, aus christlicher Perspektive die eigene Praxis an Vorstellungen wie Friede, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung zu orientieren. In religiöser Bildung sollen die Lernenden mit ihren persönlichen Hintergründen, Ressourcen und Perspektiven umfassend berücksichtigt und zur Teilhabe am Lerngeschehen ermutigt und empowert werden, wie sie in reflektierter Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft entsprechend ihrer eigenen religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugungen praktisch handeln können.

Praktisch

Schlussendlich ist religiöse Bildung praxisorientiert, weil Religionen selbst praktisch sind. In Hinblick auf die ökologische Katastrophe geht es neben der Auseinandersetzung mit säkularen und religiösen apokalyptischen Wahrnehmungen und Weltdeutungen sowie ihrer kritischen Reflexion auch darum, Formen religiösen Lebens angesichts der apokalyptischen Zeitdiagnose zu erschließen. Entsprechend fordert Luisa Neubauer von Religionen, Orte und Praktiken spiritueller, kultureller und kollektiver Neuorientierung zu eröffnen. Charakterisiert man christliches Handeln mit Johann Baptist Metz (1986) als mystisch und politisch zugleich, so kann religiöse Bildung in der Auseinandersetzung mit spiritueller Praxis und (religiös motivierten) sozialpolitischen Aktionen Zugänge zu Ressourcen eröffnen, um die Gesellschaft auch angesichts der apokalyptischen Bedrohung individuell und kollektiv handelnd zu verändern und gerechter zu gestalten. Hierunter zählen neben spirituellen Kraftquellen auch gemeinschaftliche Strukturen (kirchliche Verbände, Lehrer*innenfortbildungen…) wie auch materielle Ressourcen (Kirchenräume, kirchliche Medien…).

Literaturverzeichnis

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Claudia Gärtner, Professorin für Praktische Theologie an der TU Dortmund.