1 Apokalyptik hat wieder Konjunktur – eine Hinführung
„Wir sind die Letzte Generation. Wir kommen zusammen und leisten entschlossen gewaltfreien Widerstand gegen den fossilen Wahnsinn unserer Gegenwart. Wir sind der Überlebenswille der Gesellschaft!“ (Letzte Generation, 2024) Mit dieser kurzen Charakterisierung bringt die Bewegung Letzte Generation in einigen wenigen Stichworten ihr Selbstverständnis und ihre Zielsetzung zum Ausdruck. Zwei Dinge scheinen hier sogleich deutlich zu werden: Einerseits erhebt hier eine Gruppe den Anspruch, angesichts einer als krisenhaft erlebten Gegenwart, aus der Kohorte der Jüngeren herauszutreten, um die Verweigerung eines ökologischen Lebensstils durch die Gesellschaft durch aktivistische Protestformen anzuprangern und zum Umdenken aufzufordern. Dies erinnert an Karl Mannheims Konzept der historischen Generation. Dieses ist durch die Annahme gekennzeichnet, dass von ihr eine besonders prägende Kraft für die Gruppe der Gleichaltrigen wie für die Gesellschaft insgesamt ausgehe (Fietze, 2009, S. 236).Andererseits handelt es sich um eine Gruppe mit einem dezidiert apokalyptischen Charakter. Darauf deuten, dies sei hier schon knapp angemerkt, sowohl die Beschreibung als ‚letzte‘ Generation wie auch die Motive des Widerstands und des Überlebenswillens hin. Die Drohung mit dem Ende der Welt oder des menschlichen Lebens, aber auch der Ausblick auf etwas Besseres, Neues – wenn denn jetzt keine Anstrengung gescheut wird, die individuelle wie kollektive Lebensweise zu verändern – gehören zum Grundbestand apokalyptischer Rede und treten in besonders krisenhaft erlebten Zeiten häufig in den Vordergrund.
Gerade die Gegenwart wird als krisenreich betrachtet und tatsächlich sehen sich die Menschen in den letzten Jahren einer Vielzahl an Herausforderungen und Unsicherheiten gegenüber. Nicht selten ist vom Verlust einer klaren Zukunftsperspektive – insbesondere für die Jüngeren – die Rede, die gerade auch das pädagogische Handeln betreffe: „Dauerhaft wird die Pädagogik im Gesamten die Lage ernst nehmen müssen, dass den Heranwachsenden eben keine bessere Zukunft mehr versprochen werden kann.“ (Hohlfelder, Singer-Brodowski, Holz & Kminek, 2021, S. 134) Auch hier zeigt sich ein fast schon endzeitlicher Zug, der den Schüler:innen eine prekäre Zukunft voraussagt. Ähnlich die Religionspädagogin Katrin Bederna, die auf die Folgen der Möglichkeit hinweist, dass eine ökologische Wende, die den Klimawandel aufhalten könnte, womöglich ausbleibt: „Wenn nicht sehr bald und weltweit Grundlegendes unternommen wird (und danach sieht es momentan eher nicht aus), so werden unsere Enkel und Urenkel sich gegen Ende des Jahrhunderts vage an Covid-19 als eine von vielen Seuchen erinnern – aber mit Abscheu auf die Generation zurückschauen, die ihnen die natürliche Basis erfüllten Lebens geraubt hat.“ (Bederna, 2020, S. 230)
Das Gefühl der Unsicherheit um die Zukunft, die nicht wenige Jugendliche glauben lässt, dass sie die letzte Generation von Erdenbürger:innen wären, wird mitunter noch durch entsprechende Stellungnahmen von Klimawissenschaftler:innen oder pädagogischen Konzepten einer disruptiven Bildung für nachhaltige Entwicklung verschärft – und es soll durchaus bewusst Klimaangst erzeugt werden, damit die jüngere Generation nicht die problematische Lebensweise der älteren Generation fortsetzt (Benkens, 2022; Steiner, 2022, S. 29; Umweltbundesamt, 2022, S. 31). Zugleich sind apokalyptische Motive aber auch fester Bestandteil der von Jugendlichen in ihrer Freizeit konsumierten Medien, z.B. in Computerspielen oder Filmen (Jakobs, 2022, S. 6; Pemsel-Maier, 2021, S. 99). Die reale Krisenerfahrung wie die virtuelle Welt haben dazu geführt, apokalyptische Deutungsmuster zu revitalisieren. Dies schlägt sich seit Greta Thunbergs Klimastreik auch in sozialen Bewegungen nieder: Fridays for Future (FFF) konnte seit 2019 viele Jugendliche dazu motivieren, sich für den Klimaschutz zu engagieren und die Klimathematik ins allgemeine Bewusstsein zu bringen. Auch wenn der für FFF typische Schulstreik als Akt zivilen Ungehorsams betrachtet werden kann, überwiegt hier die ‚friedliche‘ Meinungsäußerung von Kindern, Jugendlichen und auch vielen Erwachsenen, die sich ihren Kindern oder Enkel:innen angeschlossen haben. Viel weiter geht dagegen die Letzte Generation: Mit Straßenblockaden durch das Sich-selbst-Festkleben der Aktivist:innen oder Farbanschlägen in Museen wird das Mittel der Demonstration zum zivilen Ungehorsam ausgedehnt. Der Rechtsstaat an sich wird dabei nicht in Frage gestellt, doch gehen die Akteur:innen davon aus, dass das Ziel des Klimaschutzes die punktuelle Störung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt, was sie auch immer wieder rhetorisch deutlich machen (Rucht, 2023, S. 14; Steinfeld, 2023, S. 32). Beide Bewegungen stellen unterschiedliche Richtungen der international vernetzten Klimabewegung dar: „Auf der einen Seite steht die disruptive Letzte Generation, die wahlweise als konfrontativer, krimineller oder zuweilen auch als besonders engagierter Teil der Klimabewegung dargestellt wird, auf der anderen Seite der ursprüngliche Schülerprotest, der stärker an die Politik appelliert, klimawissenschaftliche Erkenntnisstände zu berücksichtigen. Beide markieren Punkte innerhalb eines Spektrums der Klimabewegung, das sich hinsichtlich der gesellschaftlichen Analysen, gewählten Taktiken, aber auch vom Selbstverständnis her unterscheidet.“ (Steinfeld, 2023, S. 27)
Die Apokalyptik stellt sich als Horizont nicht nur einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) dar, die sich zurzeit im schulischen Kontext immer mehr etabliert (Wulfmeyer, 2021), sondern insbesondere auch der Bewegungen FFF und Letzte Generation, die mit ihren Forderungen und Aktionen den öffentlichen Raum bespielen, um eine Transformation der Gesellschaft anzubahnen. Diese Bewegungen sind zugleich auch Sozialisations- und Bildungsorte für die in ihnen engagierten Akteur:innen (Hohlfelder et al., 2021, S. 126). Schließlich sind sie nicht nur Klima-, sondern auch Jugendbewegungen.
Aus einer bildungshistorischen Perspektive erinnert die gegenwärtige Konstellation um BNE, FFF und Letzte Generation an die Jugendbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Lebensreformbewegung, Reformpädagogik und nicht zuletzt die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg führten zu einer Jugendbewegung, die den Neuen Menschen propagierte. Dieser sollte mithilfe der Erziehung der „Jugend zu froher, tapferer, schöpferischer Leistung“ (Osterwalder, 1995, S. 149), wie u.a. Hermann Nohl meinte, erschaffen werden. Auch wenn sich hier unbestritten Freiheitsräume für Jugendliche auftaten, so fokussierten sich Jugendbewegung und Reformpädagogik doch vor allem auf das Erlebnis und die Utopie und blendeten den rationalen Diskurs und die Bedeutung demokratischer Prozeduren aus (Osterwalder, 1995, S. 151). Damit reagierten sie sowohl auf eine apokalyptische Atmosphäre und trugen gleichzeitig zu ihr bei (Maier, 2020; Graf, 2008).
Im Folgenden, bildungsgeschichtlich grundierten Zugang, soll nach motivischen Verbindungen zwischen der historischen Jugendbewegung zwischen 1900 und 1933 und den aktuellen Jugend-Klimabewegungen FFF und Letzte Generation gefragt werden, wobei der Fokus auf Letzterer liegt. Ziel ist es, durch den bildungshistorischen Bezug ein neues Licht auf die Gegenwart zu werfen, um neue Perspektiven entdecken zu können – vor allem im Hinblick auf das Verständnis von Jugend, Apokalyptik und Bildung. Dabei geht es nicht um eine Gleichsetzung beider Phänomene oder ein direktes Lernen aus der Geschichte, wohl aber darum, die Gegenwart zu relativieren und Absolutheitsansprüche in Frage zu stellen (Priem, 2009, S. 82).
Im Einzelnen sind folgende Fragen zu stellen: Was meint Apokalyptik ursprünglich und wie hat sich das Phänomen gewandelt? Was macht Jugend aus und wie wird sie aktiv? Inwiefern ist die Letzte Generation apokalyptisch? Worin ähnelt oder unterscheidet sie sich von der klassischen Jugendbewegung? Inwiefern kann der hier gewählte, freilich nur exemplarisch mögliche bildungshistorische Vergleich den (religions-)pädagogischen Diskurs um die Letzte Generation und das damit verbundene Feld bereichern?
2 Apokalyptik
Im Alten Testament sowie in der prophetischen Tradition Israels sind die ursprünglichen Quellen des apokalyptischen Denkens zu finden, wobei hier sowohl eher hoffnungslose (Buch Esra) als auch zurückhaltend ermutigende (Buch Daniel) Tendenzen zu erkennen sind. Auch das Frühjudentum – und damit auch Jesus und seine Gruppe – nutzten apokalyptische Motive und verbanden diese mit der Eschatologie. Apokalyptik war hier stark mit der Hoffnung auf die Schaffung eines bisher beispiellosen Heilszustandes durch Gott aufgeladen (Riedl, 2011, S. 128-132). Dies war auch der Hintergrund der Deutung der Ostererfahrung durch die Jesusgruppe, wenngleich die Parusieverzögerung theologische Anpassungen erforderte. Daher erfolgte im Frühchristentum eine Abkehr von der Vorstellung eines unmittelbar bevorstehenden Weltenendes und der Entstehung einer neuen Erde als verwirklichtes Reich Gottes hin zu der Sichtweise, dass das Heil in der Gegenwart erfahren werden könne, z.B. darin, dass menschliches Leiden immer schon von Gott unterfangen ist (Riedl, 2011, S. 134). Die Fokussierung auf eine Utopie, so könnte man sagen, wird abgelöst durch die Besinnung auf eine Art Resilienz, die den Blick auf das lenkt, was neben der Not auch noch da ist: Gottes Liebe. Natürlich ist dies eine Herausforderung für den Gläubigen und nicht immer gelingt es, diesen Blickwechsel zu realisieren, aber genau dies macht christlichen Glauben in apokalyptischer Perspektive aus: um die Brüchigkeit des menschlichen Lebens zu wissen und gleichzeitig auf Gottes Handeln im Sinne der Leidenden zu hoffen. Insofern könnte man sagen, dass eine christliche Perspektive Apokalyptik entdramatisiert – und zwar nicht dadurch, dass sie die Not bzw. die Erfahrung des Apokalyptischen nicht ernst nehmen würde. Diese ist für viele Menschen schon real und kann nicht negiert werden (Jakobs, 2021, S. 6). Dennoch besteht die Einladung des Evangeliums darin, den Fokus nicht auf die Katastrophen, sondern auf das Kleine und Unscheinbare zu lenken, darauf, wann der Feigenbaum grün wird (Mk 13, 28) und neues Leben entsteht, wie Monika Jakobs betont (2021, S. 5). Gemeint ist damit keine Kultivierung von Gefühllosigkeit für den Schmerz in der Welt, sondern die Besinnung auf die eigenen Ressourcen und die Aufmerksamkeit darauf, was sonst noch da ist – oder besser: wer – nämlich Gott. Denn „Krisensituation“ können „den Blick auf Bedrängnisse und die erlittenen Nöte“ einengen. „Sie verweigern sich unter Umständen einer mühsamen, differenzierten Wahrnehmung der Welt – aus Ungeduld.“ (Sedlmeier, 2011, S. 119) Diese Verengung birgt die Gefahr eines fundamentalistischen Denkens (Sedlmeier, 2011, S. 119), wodurch sie die Krisen- und Schuldzusammenhänge noch steigern könne.
Das christliche Verständnis der Apokalyptik ist insofern eigentümlich, als es nicht bei der Angst bleibt, sondern mit anderen Möglichkeiten rechnet. Dies wird z.B. auch bei Paulus greifbar: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht“ (2Kor 4, 8). Christliche Apokalyptik meint also ein Ernstnehmen der Not und des Leidens und gleichzeitig das Vertrauen und die Hoffnung darauf, dass Gott letztlich daraus rettet. Ulrich Körtner resümiert daher, dass das Christentum die Erfahrung des Apokalyptischen sowohl teilt als auch verneint. Daraus folgt, dass christliche Apokalyptik nicht nur ethisch verstanden werden dürfe. Vielmehr setze sie den Glauben und den persönlichen Dialog mit Gott voraus (Körtner, 2009, S. 202). Natürlich hat dies dann auch ethische Implikationen, wie etwa Trutz Rendtorff betont hat (Arntz, 2011, S. 97). In dieser Hinsicht hebt Körtner etwa den Aufklärungscharakter der Apokalyptik hervor, d.h. sie fordert z.B. zu einer Kritik an problematischen Entwicklungen auf. Dies könnte durchaus auch auf den Klimawandel und seine Folgen bezogen werden, die letztlich das Ergebnis einer externalisierenden Lebensweise der Gesellschaften des globalen Nordens sind, während die Länder des globalen Südens darunter leiden (Spahn-Skrotzki, 2021, S. 15). Aufklärung kann hierbei auch mit Mitteln der Dramatik erfolgen, um überhaupt ein Problembewusstsein zu schaffen und Handlungsmöglichkeiten auszuloten (Körtner, 2009, S. 190, 192).
Das Mittelalter und auch die frühe Neuzeit sind stark vom apokalyptischen bzw. chiliastischen Denken geprägt. Entscheidend hierfür war die Theologie von Joachim von Fiore, die dieser im 12. Jahrhundert entwickelte. Ausgangspunkt war die Wahrnehmung einer – trotz Inkarnation und Auferstehung – weiterhin als heillos erfahrenen Welt. Mit seiner Lehre von den Weltaltern wollte er „seinen Zeitgenossen und dem mittelalterlichen Menschen eine neue Endzeiterwartung, die ‚ganz vom Geist der Hoffnung durchatmet ist‘“ (Vrankic, 2011, S. 172) eröffnen. Fiores Geschichtstheologie weist klare Bezüge zum Alten Testament auf, v.a. zu den Büchern Daniel und Jesus Sirach. In ihrem Zentrum steht eine Abfolge von mehreren Reichen oder Weltaltern. Auf die vier untergegangen Weltreiche des Buches Daniel, wobei das vierte mit dem Römischen Reich identifiziert wurde, folgte, so Fiore, das Reich Gottes als fünftes, dass jedoch noch unter dem eschatologischen Vorbehalt stehe (Delgado, 2016, S. 14-15). Wie Mariano Delgado herausgestellt hat, ermöglicht Fiores Denken die Annahme der Möglichkeit einer Weiterentwicklung in und durch Geschichte und damit auch ein fortschreitendes Offenbarungshandeln Gottes. Diese Konzeption wirkte theologisch weiter, z.B. im Zusammenhang mit der Armutsbewegung um Franziskus und die Franziskaner sowie um 1500, als im Zuge der Entdeckung Amerikas ein neuer Optimismus hinsichtlich der Wiederkehr Christi aufkam, was insbesondere die Missionsbemühungen beflügelte (Delgado, 2016, S. 15-16). Auch im protestantischen Bereich waren apokalyptische und chiliastische Vorstellungen verbreitet, wofür etwa Johann Amos Comenius ein Beispiel ist. Historischer Kontext seiner Apokalyptik ist der Dreißigjährige Krieg und die damit verbundenen Nöte und Leiden der Menschen (Schaller, 2004, S. 86).
Das 19. Jahrhundert belebte Fiores Geschichtstheologie, wenngleich unter anderen – nicht mehr religiösen – Vorzeichen. Zu denken ist hier etwa an Karl Marx, für den die Geschichte aus drei Epochen bestand: „vorkapitalistisch, kapitalistisch und nachkapitalistisch. Letztere ist die glückliche Endepoche des Neuen Menschen und der klassenlosen Gesellschaft.“ (Delgado, 2016, S. 16-17) Auch die kulturpessimistischen Diskurse um 1900 tragen apokalyptische Züge und führen in der Folge zu einer immer stärkeren Nationalisierung insbesondere des Bürgertums (Ries, 2016, S. 219-220). Apokalyptisches Denken ist schließlich auch ein Element der das 20. Jahrhundert prägenden und verheerend wirkenden Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus (Delgado, 2016, S. 17). „Zum grundlegenden Kennzeichen“ dieser säkularen Apokalyptik „wurde die Reduktion auf Krise und Verlust – unter Ausblendung der in der jüdischen und christlichen Herkunft konstitutiven Erlösungsperspektive.“ (Ries, 2016, S. 220) Wie Jakobs bemerkt, ist die Funktion der Apokalyptik die Ver- und Bearbeitung der „Vergangenheit und Gegenwart im Hinblick auf die Zukunft.“ (Jakobs, 2021, S. 5) Doch wird in der säkularen Apokalyptik der jüdisch-christliche Gehalt „zivilreligiös substituiert durch metaphysische Rationalisierung und innerweltliche Bewältigungsmodi.“ (Ries, 2016, S. 220) Gute Beispiele dafür sind die Klimaschutzinitiativen wie FFF oder Letzte Generation. Beide Gruppen stellen säkulare Prinzipien, die z.T. auf wissenschaftlicher Basis entwickelt wurden, in den Mittelpunkt und fordern dazu auf, ihnen zu folgen. Nur dann, so die Rhetorik, könnten Welt und Menschheit doch noch gerettet werden. Dabei zeigt sich einerseits, dass diese säkularen Prinzipien, die traditionellen Dogmen ersetzen, die ebenfalls der Rettung der Menschen dienen sollten (Moniz, 2023, S. 8-9), wenngleich andererseits aber wichtige Aspekte der jüdisch-christlichen Apokalyptik fehlen, denn: die Rettung kommt nicht von Gott, sondern sie müsse von den Menschen selbst bewirkt werden. Insofern kann mit Ralf Frisch resümiert werden: „Der säkulare Mensch hofft wie gesagt, wenn er nicht längst die Hoffnung verloren hat, allenfalls auf den Menschen. Und vor allem hofft er, dass die Welt, wenn erst der Mensch sich selbst an der Wurzel gefasst, sich als höchstes, zu absolut verantwortlichem Handeln verpflichtetes Wesen begriffen und die Welt vor seinem Unwesen bewahrt haben wird, nicht untergeht.“ (Frisch, 2022, S. 307)
3 Jugend und Jugendbewegung
Die Einteilung der menschlichen Biographie in bestimmte Altersphasen, eigene Freiräume der Jüngeren gegenüber den Älteren oder Spannungen zwischen beiden gehören zum anthropologischen Grundbestand und haben auch immer schon das pädagogische Denken und Handeln beschäftigt (Classen, 2005). Insofern könnte man einerseits sagen, dass es Jugend in gewisser Weise schon immer gab.So entstanden z.B. in der Frühen Neuzeit Studentenverbindungen, Gesellenbruderschaften oder religiöse Gruppierungen, in der Jugendliche sowohl eine gewisse Eigenständigkeit erfuhren und sich selbst erproben konnten (Speitkamp, 2015, S. 47). Hier fanden sie auch jugendgemäße Möglichkeiten der Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle oder Aufgabe in der Erwachsenenwelt. Freilich unterlagen diese Verbindungen von Jugendlichen einer starken Kontrolle durch die Autoritäten, d.h. weltlicher und kirchlicher Obrigkeit, den Universitäten oder Zünften (Speitkamp, 2015, S. 47-48). Andererseits wurde Jugend, zumindest wie sie heute verstanden wird,erst um 1900 und in den Jahrzehnten davor ‚entdeckt‘. Dafür spricht, dass Jugend sowohl aus der Sicht der Erwachsenen, der Pädagogik oder des Staates neu gedacht wurde, aber auch die Jugend selbst sich neu wahrnahm und darüber hinaus Jugend zu einem allgemeinen Ideal jenseits des faktischen biologischen Alters wurde (Maier, 2022a, S. 102, 104). Mit ihrer ‚Erfindung‘ war die Jugend auch gesellschaftlich nicht mehr wegzudenken. Sie hat sich selbst in den verschiedenen kulturellen oder auch politischen Kontexten immer wieder selbst positioniert und artikuliert oder wurde auch von Mentor:innen aus der älteren Generation instrumentalisiert.[1]Auf diese Weise haben Jugendliche seit dem 20. Jahrhundert in der Gesellschaft – aus sehr unterschiedlichem und nicht immer sympathischem Antrieb heraus – agiert: vom Wandervogel und der bündischen Jugend im Kaiserreich und der Weimarer Republik, der Hitlerjugend[2]und jugendlichen Widerstandsgruppen im Dritten Reich über die FDJ in der DDR und die 68er in Westdeutschland bis zu FFF und zur Letzten Generation (Barth, 2006). Kritik oder Protest, jugendliche Emphase, Einsatz – auch wenn er etwas kostet – und der Wunsch nach einer besseren Zukunft kennzeichnen diese Jugendbewegungen unabhängig von ihrer politischen oder weltanschaulichen Richtung. Wenn nun im Folgenden die Letzte Generation sowie die ‚klassische‘ Jugendbewegung näher in den Blick genommen werden, geht es insbesondere darum zu fragen, was Jugendliche in Bewegung setzt und was Jugend ‚ausmacht‘ – und welche Rolle dabei ein apokalyptischer Denkstil spielt.
4 Die Letzte Generation
Der Soziologe Karl Mannheim (1893-1947), der als Ahnherr der Generationenforschung angesehen werden kann, sieht in der Herausbildung einer historischen Generation einen wesentlichen Motor für gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Damit ist gemeint, dass eine Generation besonders markant hervortritt. Die dabei entstehenden Friktionen und Konflikte zwischen Erwachsenen bzw. der etablierten älteren Generation und der Jugend gehen dabei nicht allein auf die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen, sondern auf äußere, mitunter kontingente Problemkonstellationen zurück. Der in diesem Zusammenhang oft entstehende Jugendprotest findet nicht selten auch Unterstützung bei den Älteren (Hafeneger, 2022, S. 17, 20-21; Fietz, 2009, S. 76).
Karl Mannheim gehört unbestritten zu den wichtigsten Stichwortgebern bei der Etablierung der deutschsprachigen Soziologie nach dem Ersten Weltkrieg. Im konfliktträchtigen Konstitutionsprozess der Soziologie, der insbesondere durch die Frage, ob diese sich für gesellschaftliche Veränderungen oder Verbesserungen engagieren oder nur beschreiben und analysieren sollte, verpflichtete Mannheim die Soziologie insbesondere auf die Selbstreflexion des wissenschaftlichen Denkens. Grundlegend für seinen Ansatz der Wissenssoziologie war seine Erkenntnis, dass Wissenschaftler:innen nicht frei von Positionierungen oder Gruppenzugehörigkeiten seien. Diese führten zu einer Situation der Konkurrenz und des Kampfes der Richtungen in der Soziologie, was ihren wissenschaftlichen Charakter bedrohe. Mannheim plädierte dafür, dass Wissenschaftler:innen ihren eigenen (weltanschaulichen) Standort reflektieren sollten, wodurch die unterschiedlichen Perspektiven ihre polarisierende Einseitigkeit verlieren würden. Der dann mögliche wissenschaftliche Dialog hätte, so Mannheim, die Kraft zu neuen kreativen Erkenntnissen (Barboza, 2020, S. 22-26, 37).
Diese Standortgebundenheit, d.h. die Weltanschauung, spielt auch eine Rolle in der Theorie der Generationen. Die historische Generation oder Generationseinheit kann aus einem Generationenzusammenhang heraustreten. Dafür „muss eine Gruppe von Menschen, die in derselben Zeit geboren ist, nicht nur dieselben Situationen durchleben, sondern diese auch mit derselben Erlebnisstruktur erlebt haben.“ (Barboza, 2020, S. 82) Daraus folgt, dass zwar alle Mitglieder eines Generationenzusammenhangs objektiv den gleichen Problemen gegenüberstehen, aber nicht alle zu den gleichen Lösungen dafür kommen – und zwar, weil sie von unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Welt blicken und diese je anders erfahren (Fietze, 2009, S. 79, 85). Eine Generationseinheit, die sich häufig auch in konkreten Gruppen zusammenfindet (wie FFF oder die Letzte Generation, aber auch die 68er-Studentenbewegung u.a.) zeichnet sich schließlich dadurch aus, dass sie ihre Deutung der Weltlage und die von ihr daraus gezogenen Schlüsse zur Problemlösung kommuniziert – auch in der Form des Jugendprotests (Fietze, 2009, S. 86, 240).
Obwohl er festhält, dass seine Wissenssoziologie nicht in allen Situationen ausreicht, bleibt Mannheims Lösung des weltanschaulichen Konflikts im Kontext der nationalsozialistischen Bedrohung der Demokratie eher akademisch, jedenfalls nicht kämpferisch. Er appelliert an die Vernunft und forderte die Staatsbürger:innen z.B. in Zeitungsbeiträgen zu Selbstreflexion auf. Dies zeigt, dass er sich noch kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine Wende der politischen Lage erhoffte, die auch für ihn als Kind einer jüdischen Mutter existentiell bedrohlich war. Seine erst 1930 übernommene Professur für Soziologie an der Universität Frankfurt verlor er im April 1933. Noch im gleichen Monat emigrierten seine Frau und er nach Großbritannien (Barboza, 2020, S. 48-51).
Mannheims Konzept der Generationeneinheit liegt nahe, wenn man an FFF und die Letzte Generation denkt. Beide sind unbestritten Jugendbewegungen, doch weil auch Ältere durch sie erreicht werden (Sommer, Haunss, Gardner, Neuber & Rucht, 2020, S. 27, 34), handelt es sich hier nicht per se um einen Generationengegensatz. Entscheidend ist vielmehr der äußere Anlass: das Problem des Klimawandels, für dessen Lösung aus Sicht der Aktivist:innen politisch noch zu wenig getan wird.[3] Zugleich beteiligen sich nicht alle aus der jüngeren Generation an der Klimabewegung, weshalb es nicht unproblematisch ist, Generationen mit festen Etiketten zu beschreiben. Wenn etwa Klaus Hurrelmann von der Generation Greta (Hurrelmann & Albrecht, 2020, S. 228) spricht, dann stellt er eine ganz bestimmte, besonders engagierte Teilgruppe dieser Generation – eben die besonders sichtbare Generationeneinheit – heraus und macht sie zum Charaktermerkmal aller Jugendlichen der gleichen Generationslagerung. Diese Versuche zur Einordnung treffen für gewöhnlich nicht die Wirklichkeit (Hafeneger, 2022, S. 19).
Mit der Letzten Generation werden nun zwei Vorstellungen aufgerufen: Einmal, dass die Generationenfolge dadurch beendet wird, dass sich die Menschheit den Grundlagen ihres Lebens dadurch selbst beraubt, dass sie nicht alles investiert, um den Klimawandel mit seinen als katastrophal vorgestellten Konsequenzen zu beenden. Zum Zweiten, dass die Jugend die ‚letzte‘ Generation sei, die den Untergang noch aufhalten könne. Der Jugend wird damit eine regenerative Rolle für die Gesellschaft bzw. Menschheit zugesprochen. Diese Aufgabe haben die Aktivist:innen der Letzten Generation übernommen, deren Entstehung, inhaltliches Profil und Protestformen hier in den Blick zu nehmen sind.
Die Entstehung der Letzten Generation steht damit in Zusammenhang, dass bisherige Formate des Engagements für den Klimaschutz für einige Aktivist:innen nicht effektiv genug gewesen seien. Insofern geht die Letzte Generation über die Protestkundgebungen von FFF hinaus und grenzt sich auch bewusst davon ab – z.B. durch die verschiedenen Formen der Störung des gesellschaftlichen Betriebes, durch das Festkleben, das Verwenden der Warnwesten, womit sie fast „eine Marke etablieren.“ (Steinfeld, 2023, S. 31-32)
Am Anfang der Bewegung wollten einige junge Aktivist:innen durch einen Hungerstreik die Bundesregierung bzw. die Politik im Wahljahr 2021 unter Druck setzen, sich stärker für die Realisierung des 2015 in Paris verabschiedeten Klimaabkommens einzusetzen. U.a. forderten sie die Einsetzung eines Klimarates, der Schritte ausarbeiten sollte, mit denen der Klimawandel aufgehalten werden könne. Mit dem Hungerstreik wollten sie auch auf den „Mord an der jüngeren Generation“ hinweisen, der ihrer Meinung nach die Folge weiterer politischer Untätigkeit sei (Rucht, 2023, S. 3). Als der Aktivist Jakob Heinze nach 17 Streiktagen kollabierte und ärztlich behandelt werden musste, nannten sie sich „‚die nach 17 Tagen letzte Generation‘, die der Untätigkeit der Politik Einhalt gebieten wolle.“ (Rust, 2023, S. 3) Im November 2021 kam es zu einem Gespräch zwischen den Aktivist:innen Henning Jeschke und Lea Bonasera mit dem damals amtierenden Regierungschef Olaf Scholz, bei dem beide damit drohten, das gesellschaftliche Leben durch Störmaßnahmen lahmzulegen, sollte ihren Forderungen nicht entsprochen werden. In der Folge wurden solche Störungen in die Tat umgesetzt. Dabei handelte es sich zunächst um Straßenblockaden, bei denen sich die Aktivist:innen festklebten sowie weitere Aktionen, die zu einer starken Präsenz der Letzten Generation in den Medien führten. Von der Gesellschaft wurden diese Aktionen sehr kritisch gesehen (Rucht, 2023, S. 3-6). Bekannt ist die – freilich übersteigerte und haltlose – Bezeichnung der Letzten Generation als ‚Klima-RAF‘ durch den CSU-Politiker Alexander Dobrindt (Bohn, 2023, S. 239). In einer Pressekonferenz im Januar 2022 informierte die Letzte Generation über ihre bisherigen Störmaßnahmen – u.a. etwa 1.250 Straßenblockaden (Rucht, 2023, S. 6). Die Letzte Generation setzte ihren Protest mit verschiedenen eindrücklichen Aktionen auch während des Jahres 2023 fort, suchte aber auch vermehrt das Gespräch mit Vertreter:innen der Kommunalpolitik. Dabei sagte die Letzte Generation zu, auf weitere Störmaßnahmen zu verzichten, wenn sich die Kommunalpolitiker:innen bereit erklärten, den Klimaschutz aktiv zu unterstützen. Diese Strategie wurde einerseits als erpresserisch, andererseits als sinnvoll bewertet, weil damit die Diskussion um die Klimapolitik wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt würde (Rucht, 2023, S. 7). Für das Jahr 2024 möchte die Letzte Generation neue Wege gehen: Die Straßenblockaden und das Klimakleben sollen durch ‚ungehorsame Versammlungen‘ in Deutschland abgelöst und der direkte Kontakt mit Poliker:innen soll intensiviert werden (Letzte Generation, 2024). Zudem ist geplant, sich aktiv bei der Europawahl zu beteiligen, was Hannah Knuth als „Abkehr von einem subversiven Protest“ (Knuth, 2024, S. 1) bedauert.
Auch wenn die Letzte Generation zentral auf den Klimaschutz und damit letztlich auf nichts Geringeres als die Rettung der Welt zielt, verfügt sie über eher inkonsistente und immer wieder wechselnde Teilziele, die es insgesamt erschweren, ein klares Profil zu entdecken. Zugleich wären wichtige klimapolitische Aspekte kaum im Blick (Rucht, 2023, S. 8, 21). Dies hängt aber mit der für soziale Bewegungen typischen Herausforderung der consciousness zusammen, wonach diese „ihre eigene Position im System, ihre Möglichkeiten und Interessen fortlaufend definieren und reevaluieren“ (Steinfeld, 2023, S. 28) müssen. Dennoch können drei Elemente identifiziert werden, die sowohl pädagogisch als auch theologisch – vom Motiv der Apokalyptik her – interessant sind. Dies ist erstens die Überzeugung, dass vom Klimawandel eine letztlich tödliche Bedrohung für die Menschheit ausgeht. Dies haben z.B. Henning Jeschke und Lea Bonasera anlässlich eines Gesprächs mit Bundeskanzler Scholz 2021 betont. Während Jeschke dem Kanzler vorwarf, dass er die Menschen mit seiner Politik in eine „Klimahölle“ führe, hob Bonasera hervor, dass die Klimapolitik eine „Frage von Leben und Tod“ sei (Hackenbruch, 2021). Hier zeigt sich zweitens die für soziale Bewegungen charakteristische Rückbindung an bestimmte Deutungsmuster, die emotional hoch besetzt sind und die auch gegenüber der Gesellschaft durchgesetzt werden sollen. Neben den verschiedenen Störmaßnahmen wird vor allem ein Gesellschaftsrat vorgeschlagen, der – an den demokratisch legitimierten Institutionen vorbei – klimapolitische Maßnahmen beschließen und die Politik mit ihrer Umsetzung beauftragen soll (Rucht, 2023, S. 22-23; Celikates, 2022). Drittens kann sich die Letzte Generation dabei zwar zu Recht auf wissenschaftliche Forschung berufen, neigt aber dazu, diese zu vereinfachen und zu operationalisieren, so dass sie daraus konkrete Ziele ableiten kann. Die Klimawissenschaft selbst ist hierbei weitaus zurückhaltender und differenzierter (Otto, 2022).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Letzte Generation eine vorwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragene Bewegung ist, deren Mission es ist, den Klimawandel aufzuhalten und damit die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren. Die Angst vor der ‚Klimahölle‘ ist dabei ein wichtiger Motor. Zugleich bezieht sie sich auf Wissenschaft, womit sie einerseits zwar den Anschluss an den rationalen Diskurs pflegt, andererseits jedoch Wissenschaft in ihrer spezifischen Rezeption dogmatisiert. Ihre Mission versucht sie – jedenfalls bisher – mit medienwirksamen Störmaßnahmen des gesellschaftlichen Betriebs durchzusetzen. Dadurch soll die notwendige Anzahl an Menschen erreicht werden, die nötig sind, einen Wandel der Gesellschaft einzuleiten (Letzte Generation, 2024). Insofern verbinden sich hier Klimaangst, der Wunsch nach Aufklärung über den Klimawandel und seine Folgen, die Vorstellung einer verbleibenden Frist, in der durch eine menschliche Anstrengung das Ende aufgehalten werden könne, zu einem Amalgam, dass man als säkulare Apokalyptik bezeichnen könnte. Somit wird die Letzte Generation – wenn es denn gutgeht – zur letzten Generation vor dem Neuen Menschen. Dies erinnert an die deutsche Jugendbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Anhand einiger Beispiele soll dies im Folgenden knapp belegt werden.
5 Apokalyptik in der ‚klassischen‘ Jugendbewegung
Auf die ‚Entdeckung‘ der Jugend und die Genese der Jugendbewegung wurde bereits weiter oben verwiesen. Aus dem äußerst breiten Spektrum jugendbewegter Gruppen sollen hier zwei von ihnen in den Blick genommen und schlaglichtartig insbesondere ihr apokalyptischer Charakter herausgestellt werden. Die Grundlage apokalyptischer Motive in der Jugendbewegung müssen vor allem in deren Kultur- und Gesellschaftskritik gesehen werden, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg präsent war. Nach 1918 verschärften sich die Probleme durch den Untergang der Monarchie und die wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen des Krieges. Zugleich herrschte jedoch eine Art eschatologische Aufbruchsstimmung. Man erwartete, so Rüdiger Graf, eine große Wendung der Situation: „Die Erwartung einer ‚neuen Zeit‘ und eines ‚neuen Deutschland‘ bzw. einer neuen Staats- und Wirtschaftsordnung (…) prägte die Erfahrung der Weimarer Republik von Beginn an. Das Gefühl, an einer Zeitenwende zu stehen, war weit verbreitet und konstituierte den Deutungshorizont gegenwärtiger Entwicklungen.“ (Graf, 2008, S. 143) Thomas Mergel hält fest, dass viele gesellschaftliche Gruppen in ‚Erwartung‘ eines Neuen begriffen waren (Mergel, 2005, S. 96-97). Die Erwartung einer Wende, die von einer Wiedererstarkung und geistigen Gesundung des deutschen Volkes bis zu einer neuen Wirtschaftsordnung reichte – und damit von rechts bis links – vorhanden war, setzte jedoch den tatkräftigen Einsatz aller voraus: „Optimismus und Erwartung verbanden sich mit der Vorstellung, die Gesellschaft auch tatsächlich verändern zu können, sofern man nur Sittlichkeit, Moral, Kultur oder religiöse Gesinnung der Menschen heben könne. Vor diesem Hintergrund gewannen sowohl die Eugenik als auch pädagogische Reformprogramme an Bedeutung" (Maier, 2020, S. 34). Graf betont, dass die Eugenik ganz neue Möglichkeiten zu eröffnen schien und auch die pädagogischen Visionen des Neuen Menschen von starkem Optimismus geprägt waren (Graf, 2008, S. 194). Während die Reformpädagogik den Neuen Menschen in einer neuen Schule erziehen wollte, ging es in der Jugendbewegung um Selbsterziehung zum Neuen Menschen. Diese konnte deutsch-national, aber auch katholisch-sozial orientiert sein, wie an den beiden Beispielen noch zu zeigen sein wird.
Zuerst sei auf die Jungnationale Bewegung verwiesen, die sich 1921 vom Deutsch-Nationalen Jugendbund abgespalten hatten und deren wichtigster Stichwortgeber Heinz Dänhardt war, ein ehemaliger Pfadfinder und Soldat im Ersten Weltkrieg. Inhaltlich zielten die Jungnationalen darauf, Deutschland wieder zu seiner ursprünglichen Größe zurückzuführen. Was dies hieß, blieb offen, doch wurde es genau dadurch möglich, die Aufgabe als besonders groß und die Anforderungen an das Engagement der Mitglieder als sehr hoch zu beschreiben (Ahrens, 2015, S. 82-85). Unter Verweis auf den Leiter des Bundes, Dänhardt, fasst Ahrens zusamment: „Im Kampf um die deutsche Zukunft müssten die Mitglieder des Bundes aber eine ‚unendlich schwere Verpflichtung‘ auf sich nehmen, ‚die restlose Hingabe an das Ganze verlangt und von jedem Einzelnen das Letzte fordert‘. Es ging um nichts Geringeres als um das totale Engagement der Person.“ (Ahrens, 2015, S. 84-85) Hierin sollten die Jungnationalen Vorbilder und somit zu jugendlichen Führern des deutschen Volkes werden, wie Dänhardt bereits 1920 schrieb: „Im Zerfall des Reiches müssen wir einer der Orden aus der Jugend werden, der im Geiste strenger Ritterschaft das Evangelium vom deutschen Volkstum der deutschen Jugend predigt. In diesem Geiste müssen wir uns mit der deutschen Jugendbewegung zusammenfinden, um aus der reinen Glut unseres Wollens heraus das Undeutsche unserer Zeit zu verbrennen, ein neues deutsches Reich der Zukunft aufzubauen, selber Deutschland, selbst Staat zu werden. (…) Wir wollen unsere Last auf die Schulter nehmen und stark und sicher in die Zukunft gehen.“ (zit. n. Ahrens, 2015, S. 85) Dies wird, so zeigt eine Anweisung zur Arbeit in den Jugendgruppen des Bundes von 1922, in einen epochalen und generationenübergreifenden Kontext gestellt: „Ja, eine Verantwortung vor den Enkeln, ein Erbe der Vergangenheit, eine Aufgabe in der Welt, das ist der letzte Sinn alles dessen, was wir hier von schlichter, klarer, treuer Arbeit des Alltags im Bunde miteinander geredet haben. Wenn klar und rein alles Tun aus dem Wesensgrunde quillt, werden wir den Alltag heiligen. Und dazu sind wir berufen.“ (zit. n. Ahrens, 2015, S. 88)
Auch die bereits 1909 entstandene katholische Jugendbewegung Quickborn, die seit Anfang der 1920er Jahre in Romano Guardini ihren charismatischen Mentor gefunden hatte, stand ganz im Zeichen der bevorstehenden Wende. Guardini, der zum ersten Mal 1920 beim Bundestreffen auf Burg Rothenfels in engeren Kontakt mit Quickborn kam, schrieb im Anschluss an seinen Aufenthalt dort enthusiastisch an einen Freund: „Zuerst war ich auf Rothenfels (…) All mein Optimismus ist da droben gerechtfertigt worden. Die Menschen, die eine neue Welt bauen, sind da.“ (zit. n. Maier, 2020, S. 34) In der Dokumentation des Quickborntages von 1920 kann nachgelesen werden, was Guardini meinte.[4] Quickborn zielte darauf, das menschliche Leben und insbesondere die Religiosität und Sittlichkeit des deutschen Volks zu heben und er schreckt auch vor der Erneuerung der ganzen Welt nicht zurück (Maier, 2020, S. 37). Besonders deutlich wird das kulturkritische Programm in einem Beitrag des katholischen Intellektuellen Hermann Platz, der, wie Guardini am Quickborntag teilgenommen hatte: „Der Krieg und die Ereignisse der Nachkriegszeit haben die Eiterbeule, die in der Großstadt gereift ist, aufbrechen lassen. Das Geld gewinnt im heutigen Schieber-, Wucher- und Protzentum die letzte Bedeutung, die ihm als Symbol der vergangenen Kulturentartung zukommt.“ (zit. n. Maier, 2020, S. 37) In seinem Rückblick auf den Quickborntag wird aber zugleich die erwartete Wende skizziert, die in der Quickborngemeinschaft schon angefangen habe zu wachsen: „Die schicksalshafte Verflochtenheit“ mit der oben von ihm beschriebenen gegenwärtigen Lage, so Platz, „ist unser tiefes Leid und das Ziel unserer heimlichen Sehnsucht ist es, irgendwo an das andere Ufer zu gelangen, wo das neue Seelentum zu sprießen beginnt. Das war mein Erlebnis auf Burg Rothenfels: Diese Abgelegenheit und Erhabenheit waren Leben und Sinn. Da waren junge Menschen, die diese Wirklichkeit brauchten, um ihrem Sein Genüge zu tun. Hier riß der Faden des Alltags ab, hier zerbrach die Allmacht des Geldes, so weit weg, so hoch drüber war es. Hier war Seele an Seele gelehnt, Wille an Wille gereiht und gerichtet, und der Flügelschlag des neuen Geistes war vernehmbar. (…) Die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft der Seelen beweisen, daß die Zeit vor einer Wende steht“. (zit. n. Maier, 2020, S. 37-38) Auch hier ist, wie bei den Jungnationalen die Führungspersönlichkeit und die Selbsterziehung zentral. Der Neue Mensch entspricht für Platz einem „intensiven, herrischen, monumentalen“ (zit. n. Maier, 2020, S. 38) Persönlichkeitstyp, der im Quickborn einen Ort findet, um sich zu entwickeln und hier auch Gehorsam gegenüber dem Anspruch Jesu Christi an ihn lernt (Maier, 2020, S. 39). Konkretes Übungsfeld war vor allem die Abstinenz, die der Quickborngründer Bernhard Strehler als Askese bzw. Willenstraining verstand: „Askese ist für das seelische Leben, was das Turnen, das Training für die körperliche Tüchtigkeit ist: eine planmäßige Übung der Kräfte auf ein bestimmtes Ziel und dabei Ausschluss alles dessen, was die Erreichung dieses Zieles hindert“ (Strehler, 1914, S. 76).
Die Gruppierungen der ‚klassischen Jugendbewegung‘ waren zwar männlich dominiert, doch waren rund ein Viertel ihrer Mitglieder Mädchen und junge Frauen, die ihrerseits zur Rettung Deutschlandes beitragen wollten (Ahrens, 2015, S. 220-221). Jungen- und Mädchenbund waren in aller Regel getrennt. Im katholischen Quickborn bildeten Mädchen und Jungen zusammen den Bund, wenngleich – abgesehen von den großen Tagungen auf Burg Rothenfels – die Gruppenaktivitäten getrennt stattfanden. Auch im Quickborn hatten die jungen Mädchen und Frauen ihren Anteil an der Arbeit zur Hebung der deutschen Kultur (Maier, 2017, S. 178).
6 Resümee
Apokalyptisches Denken hat seinen Ursprung in der jüdisch-christlich-biblischen Tradition und diente insbesondere in Krisenzeiten als Deutungsmodell und Hoffnungsressource auf eine bessere oder neue Welt. Seit dem 19. Jahrhundert bildete sich eine säkulare Apokalyptik heraus, die sich vor allem dadurch auszeichnete, dass das göttliche Handeln durch menschliche Aktivität ersetzt wurde. Säkulare Apokalyptik ist damit eine „kupierte“ Version „jüdisch-christlicher Apokalyptik“ (Pemsel-Maier, 2021, S. 100), insofern sie zwar nicht ohne Hoffnungsmomente ist, aber sich dazu doch ganz auf das ethisch korrekte Handeln des Menschen stützen muss. Säkulare Apokalyptik kennt keine Gnade und kann daher zu einer Fehleinschätzung des Menschen führen, insofern sie seine Begrenztheit negiert. Unmenschlichkeit kann die Folge davon sein (Maier, 2022b, S. 86-87, 91).
Jugend wird gesellschaftlich aktiv, weil sie „zukunftssensibel“ (Jakobs, 2021, S. 6) ist und weil es um die Gestaltung ihrer eigenen Zukunft geht. Gerade die Generation Z/Greta (Jugendliche, die zwischen ca. 1997 und 2012 geboren sind), gilt als politisch interessiert und betrachtet die Länge politischer Entscheidungsprozesse kritisch. Verbunden mit einer in ihr virulenten Klimaangst, führte dies etwa zur Beteiligung an FFF oder auch bei der Letzten Generation. Insofern spüre diese Generation „intuitiv, dass Entscheidungen zum Umweltschutz jetzt eingeleitet werden müssen, wenn sie deren Wirkungen noch während ihrer Lebenszeit spüren wollen. Sie werden ungeduldig, weil sie schnelle und klare Handlungen durch die Regierung vermissen.“ (Hurrelmann & Albrecht, 2020, S. 230) Jugendliche lassen sich (noch) stark durch Emotionen leiten, wenngleich sie mit zunehmendem Alter immer besser mit Gefühlen umgehen und diese z.B. durch bestimmte Strategien auch bewusst zurückhalten können. Gerade die Regulierung von Ängsten bleibt für Jugendliche jedoch noch eine große Herausforderung. Zudem neigen sie stark zu deduktivem Denken. Insofern könnte eine zu undifferenzierte Interpretation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse auch dazu führen, dass Ängste, z.B. vor den Folgen des Klimawandels, besonders stark werden. Schließlich ist Jugend das Lebensalter des Idealismus und so werden z.B. politische Ziele nicht selten mit großer Begeisterung verfolgt, wodurch Jugendliche zugleich an ihrer Identität arbeiten, was sehr positiv ist (Weichold & Silbereisen, 2018, S. 247, 261; Klinkhammer & von Salisch, 2013, S. 67-68). Vor diesem Hintergrund entfalten apokalyptische Motive offensichtlich eine große Attraktivität, wobei die Letzte Generation sicherlich nicht bewusst auf die Apokalyptik der klassischen Jugendbewegung zurückgreift. Vielmehr erscheint Apokalyptik einerseits als kulturelles Repertoire, auf dass im Zusammenhang mit Krisen zurückgegriffen wird. Andererseits ist sie auch medial vielfach präsent.
6.1 Vergleich
Sowohl für die klassische Jugendbewegung als auch die Letzte Generation können Zukunftsängste als Motivation für jugendliches Engagement in Bewegungen festgestellt werden. Diese lag bei der Jugendbewegung u.a. in einer kulturellen, politischen wie ökonomischen Verunsicherung. Die Letzte Generation fokussiert sich vor allem auf die Ängste im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Zukunftsängste können hier im Sinne von Mannheims Generationenkonzept als geteilte Erlebnisweise der jeweiligen Gegenwart verstanden werden, die zur Herausbildung einer historischen Generation führen können. Diese Ängste werden in den hier erwähnten Gruppierungen apokalyptisch bearbeitet, in dem ein Untergangsszenario gezeichnet wird, dem nur ein entschiedenes Einschreiten, insbesondere der Jugend, entgegenwirken könne. Wissenschaftliche Konzepte und Theorien werden ebenfalls von allen aufgegriffen, in der Jugendbewegung z.B. pädagogische Theorien und Eugenik, bei den Jungnationalen auch die ‚Rassenlehre‘, bei der Letzten Generation vor allem die Klimaforschung. Zudem verfügen sie alle über das Bewusstsein der Wahrheit – in Bezug auf die Interpretation der jeweiligen Situation wie in Bezug auf die Handlungswege. D.h. alle sind von einer Mission getragen und möchten die Zögernden oder bisher nicht Involvierten überzeugen, ihre Perspektive zu übernehmen. Die Mittel dazu sind ebenfalls relativ radikal. Die Forderung, sich selbst für Deutschland zu opfern und das Eintreten in den Hungerstreik (wenn auch für ein positiv konnotiertes Ziel), haben fundamentalistischen Charakter, insofern sowohl die eigene Person als auch das eigene Handeln absolut gesetzt werden. Es stellt zwar im Fall der Letzten Generation keine Erpressung des Staates dar (Theurer, 2022, S. 10-11), aber eine Übersteigerung der eigenen Bedeutung und den Rückzug aus dem Diskurs. Die Jugendbewegung selbst war eher unpolitisch im Sinne eines demokratischen Parteienbetriebs und dachte, dass sich die gesellschaftliche Erneuerung in erster Linie aus der Stärkung des sittlichen Charakters der Menschen oder dem direkten Kontakt zwischen den Führern und dem Volk ergebe. Insofern wurde eher das Führerprinzip propagiert. Doch während die Jugendbewegung des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts eher kulturell orientiert war ist die Letzte Generation dezidiert politisch aktiv. Gleichwohl zeigt die Forderung der Letzten Generation nacheinem Bürgerrat, der Maßnahmen gegen den Klimawandel verabschieden und die Bundesregierung mit deren Ausführung betreuen kann, ebenfalls einen Vertrauensverlust in die Parteiendemokratie sowie auch eine gewisse Naivität oder Romantik, wie sie auch der Jugendbewegung eigen war. Schließlich zeigt die straffe Führungsweise der Letzten Generation, die als funktionelle Hierarchie beschrieben wird, ein demokratisches Defizit (Rucht, 2023, S. 24).
Es zeigen sich aber auch Unterschiede: Während die Jungnationalen ihre Rettung nur auf das deutsche Volk beziehen (was der Quickborn nicht in gleicher Weise durchgängig praktizieren kann, da er seinen Nationalismus immer auch mit der katholischen Universalität verbinden musste), zeigt sich in der Letzten Generation eine klare solidarische Komponente in Bezug auf die Opfer der Folgen des Klimawandels vor allem im globalen Süden. Zudem bekennen sie sich klar zur demokratischen Grundordnung Deutschlands und beziehen sich auf die Idee des zivilen Ungehorsams, zu dessen klassischen Vertretern etwa Mahatma Gandhi zählt (Theurer, 2022, S. 27).
6.2 (Religions-)pädagogische Herausforderungen
Der Vergleich bestätigt, dass Jugendliche sensibel sind in Bezug auf ihre Zukunft und dass sie sich mit Idealismus für eine Sache einsetzen können, dabei aber mitunter dogmatisch an diesen Idealen festhalten. Positiv fällt auf, dass dieses Engagement heute über die Grenzen der eigenen nationalen oder konfessionellen Gruppe hinausgeht. (Religions-)pädagogisch wirft der Blick auf das Phänomen der apokalyptischen Jugendbewegungen wenigstens fünf Fragen auf. Da ist erstens der Wahrheitsbezug, der diese Jugendbewegungen charakterisiert. Wenn man bedenkt, dass Bewegungen nicht nur Protestgruppen, sondern auch Orte der Sozialisation und Identitätsbildung der Jugendlichen sind und auch ein Lernraum für die ganze Gesellschaft (Hohlfelder et al., 2021, S. 125), dann fordert dies die Vorstellung von Bildung im Sinne einer Suche nach einer „bessere(n) Interpretation der Welt“ (Reichenbach, 2022, S. 83) heraus. Ein zweiter Punkt ist der Wissenschaftsbezug der jugendlichen Klimabewegung. Diese wird von einigen Erziehungswissenschaftler:innen als Zeichen für Mündigkeit gewertet, die doch eigentlich erst durch Erziehung aufgebaut werden solle. Zwischen den Generationen gebe es daher womöglich gar keinen Unterschied mehr hinsichtlich der Mündigkeit. Damit werde das Selbstverständnis der Pädagogik angefragt (Hohlfelder et al., 2021, S. 133). Dies klingt sympathisch und sicherlich können junge Menschen in vielen Feldern heute schon früher begründet Positionen vertreten. Doch wie bereits aus entwicklungspsychologischer Sicht festgehalten wurde, sind Jugendliche in emotionaler Hinsicht noch nicht so stark gefestigt, so dass dies auch zu einseitigen Schlüssen führen kann (wovon natürlich auch Erwachsene betroffen sein können). Ein bloßer Bezug auf Wissenschaft stellt noch keine Mündigkeit dar, sondern es geht auch um die Fähigkeit zu ihrer differenzierten Wahrnehmung und Prüfung. Drittens schließlich wirft die apokalyptische Haltung eine ganze Reihe von Fragen auf. Sie bietet einerseits die Chance, auf Missstände hinzuweisen und notwendige Veränderungen in Gang zu setzen. Daraus resultierende Handlungsformen, sofern sie kreativ und in einem inhaltlichen Bezug zum Problemkontext stehen, können durchaus als abduktiv-verstörende Wege eines gesamtgesellschaftlichen Lernens betrachtet werden (Fuchs, 2009). Denkt man an den Hungerstreik der Letzten Generation, dann könnte dies aber auch ein Zeichen einer gewissen fundamentalistischen Haltung sein.[5] Auf jeden Fall zeigt sie sich darin – wie Teile der klassischen Jugendbewegung – als radikale Avantgarde, insofern sie sich auf eine schnelle Realisierung ihrer Ziele fokussiert, ohne dabei die (persönlichen) Kosten zu berücksichtigen (Klotter & Beckenbach, 2012, S. 155).
Viertens stellt sich die Frage, wie der Religionsunterricht Jugendliche im Kontext aktueller Krisenwahrnehmungen begleiten und ihre Potentiale, z.B. zu solidarischem Denken und Handeln begleiten kann. Das Motiv der Apokalyptik kann hierbei sicherlich hilfreich sein, weil es sowohl in der Welt der jungen Menschen als auch in der jüdisch-christlichen Tradition vorkommt. Die Chancen und Möglichkeiten apokalyptischer Weltdeutung, z.B. im Hinblick auf den Religionsunterricht oder das Lernen in Jugendgruppen, sind kürzlich religionspädagogisch ausgelotet worden, müssten aber in Zukunft noch weiter entfaltet werden (Maier, 2022b; Pemsel-Maier, 2021). Ohne eine Öffnung auf Gott bzw. das Kontingente, für die im Religionsunterricht oder der Jugendarbeit geworben werden sollte, bleibt ein apokalyptischer Denkstil aber problematisch, weil er seine Hoffnung allein in den Menschen setzen muss und ihn darin wohl überfordert. Schließlich verweist das Konzept der historischen Generation über das (religiöse) Lernen junger Menschen hinaus auf einen generationenübergreifenden Lernprozess, insofern die von FFF oder Letzte Generation als Generationseinheit in die Gesellschaft hineingegebenen Impulse auch die Reaktion der älteren Generation herausfordern. Das dies zu kreativen, grundsätzlich aber auch ergebnisoffenen Wandlungsprozessen führt, kann gegenwärtig beobachtet werden (Fietze, 2009, S. 243).
Der Traum vom Neuen Menschen war immer schon Teil des Pädagogischen. Auch wenn er, wie Christoph Wulf feststellt, eine Ergänzung oder Korrektur pädagogischer Bodenständigkeit oder auch Dimensionslosigkeit sein mag (Wulf, 2020, S. 35), so darf doch nicht vergessen werden, dass er sich nicht selten gegen den empirischen Menschen gewendet hat. Dieser bildungshistorischen Erkenntnis wäre angesichts aktueller Apokalyptik (religions-)pädagogisch Rechnung zu tragen.
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PD Dr. Alexander Maier, Oberstudienrat i. H. für Katholische Religionspädagogik und Erziehungswissenschaft, Philosophische Fakultät, Universität des Saarlandes, Saarbrücken.
Für die Jugendbewegung zwischen 1900 und 1933 gilt, dass hier etwa völkisches Gedankengut von Anfang an präsent war und gerade durch die erwachsenen Mentor:innen postuliert wurde. Zugleich war praktische Politik – und insbesondere Parteipolitik – kaum im Blick (Stambolis, 2011).
Hitlerjugend und ‚Bund deutscher Mädel‘ stechen sicherlich heraus, insofern sie einerseits das erste Beispiel einer umfänglichen Erfassung und Mobilisierung von Jugendlichen darstellten, womit der NS-Staat seine Herrschaft auf Dauer sicherstellen wollte. Andererseits war die HJ Teil des Partei- und Verwaltungsapparates und damit keine freiwillig entstandene Jugendbewegung, die zudem auch in das Handeln des NS-Staates bzw. der Partei eingebunden wurde. Dazu zählten z.B. Denunziationen anderer Jugendlicher oder Erwachsener.Inwieweit dieses Handeln das Ergebnis von Instrumentalisierung, der eigenen Überzeugung oder beidem war, könne nur am individuellen Fall erkannt werden (Benecke, 2013, S. 27, 53).
Wenngleich FFF durchaus auch an die ältere Generation appelliert, mit den Jüngeren solidarisch zu sein: „Sie berufen sich dabei auf den Generationenvertrag – die ungeschriebene gesellschaftliche Vereinbarung, wonach die Älteren nicht nur an sich und ihre Perspektiven, sondern auch an die Zukunft der jüngeren Generation denken sollen“ (Hurrelmann & Albrecht, 2020, S. 227). Im Hintergrund könnte daher doch ein Generationenkonflikt oder zumindest unterschiedliche Interessen angenommen werden.
Der Quickborntag von 1920 ist dokumentiert in der in diesem Zusammenhang auch neu gegründeten Zeitschrift Die Schildgenossen 1 (1920), H.1. Die Zeitschrift war vor allem für die Älteren im Quickborn gedacht und wandelte sich ab Mitte der 1920er Jahre zu einer Zeitschrift für das katholische Bildungsbürgertum (Weiß, 2014, S. 180-181).
Zwar „sind die Warnungen vor einer ‚grünen RAF‘ (…) überzogene Diskreditierungsversuche, aber die Bewegung sollte (..) der (…) Tendenzen zu Avantgardismus und Selbstisolierung durch demokratische Praktiken der Offenheit, der Selbstreflexion und der solidarischen Bildung von Allianzen begegnen.“ (Celikates, 2022, S. 14)