1 Einleitung

Seit knapp zehn Jahren produzieren bedeutsame Marken des deutschen Lebensmitteleinzelhandels (LEH) wie Edeka, Aldi und Penny, aber auch Kaufland, Lidl, Netto oder Rewe – eine z.B. in Großbritannien bereits zuvor existierende Tradition aufgreifend (einleitend journalistisch Hollmer, 2015) – oftmals alljährlich Werbespots für die Advents- und Weihnachtszeit[1]. Diese ca. anderthalb- bis vierminütigen Filme, die im Internet insbesondere auf den jeweiligen YouTube- und Social-Media-Kanälen verfügbar sind sowie teils (in gekürzten Versionen) im Fernsehen und/oder im Kino ausgestrahlt werden, genügen mit Blick auf das sog. Storytelling oder die sog. filmischen Gestaltungsmittel häufig höchsten cineastischen Ansprüchen. In vielen Fällen gehen sie ‚viral‘ und werden von einem Millionenpublikum wahrgenommen: Der Werbespot „#heimkommen“ (2015), bei welchem ein einsamer Großvater seinen eigenen Tod vortäuscht, um gemeinsam mit seinen Kindern und ihren Familien Weihnachten feiern zu können, wurde auf der Internet-Videoplattform „YouTube“ bislang fast 70 Millionen Mal aufgerufen. Und der aktuelle Clip „Der Riss“ (2022), welcher sich dem Problem einer fragmentierten Gesellschaft widmet, erzielte bislang über 20 Millionen Aufrufe (s. genauer Abschnitt 2).

Für den Ethik- und den Religionsunterricht stellen die Werbeclips des LEH bislang fachdidaktisch nicht reflektierte Herausforderungen dar. Sie bieten jedoch auch Chancen. Um dies aufzuzeigen, soll im Folgenden zunächst ein Überblick über besonders populäre Weihnachtswerbespots gegeben werden. Hierbei sollen auch ausgewählte Einsichten in psychologischer, soziologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zur Sprache kommen (Abschnitt 2). Es folgen Ausführungen zur Botschaft dieser Spots (Abschnitt 3). Abschließend werden die angesprochenen Herausforderungen und Chancen für den Ethik- und den Religionsunterricht benannt und erörtert (Abschnitt 4).

2 Überblick über populäre Weihnachtswerbespots des LEH

Die populären Weihnachtswerbespots des LEH dürfen mittlerweile als eigenes Genre adressiert werden. Denn mit Blick auf das Storytelling (u.a. Fokus auf wenige Hauptpersonen mit sog. Otto-Normalverbraucher-Charakteristika und hohem Identifikationspotential, Erzählung einer sog. eindimensionalen Geschichte ohne Nebenschauplätze sowie Abschluss mit einem sog. Happy End) oder die filmischen Gestaltungsmittel (u.a. Einsatz von zunächst langsamen Schnitten und einer dunklen, diffusen Lichtgestaltung, was sich dann nach einem Wendepunkt ändert, sowie Nutzung sog. emotionaler Soundtracks, die mitunter auch als sog. Scores eigens komponiert sind), aber auch vor dem Hintergrund ihrer Gemeinsamkeiten in psychologischer, soziologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive (s. fortfahrend) sowie ihrer weithin konsistenten Botschaft (s. Abschnitt 3) bieten sie so große Ähnlichkeiten bzw. einen so hohen Wiederkennungswert, dass sie als zusammengehörend empfunden werden. Dies zeigt sich an zahlreichen gemeinsamen Besprechungen (exemplarisch Sellien, 2021), aber auch an vielen Kommentaren sog. Endnutzer:innen, die z.B. auf der Videoplattform „YouTube“ zu finden sind. Dort wurden zum Clip „Weihnachten 2117“ (zugänglich im YouTube-Kanal „EDEKA“, Stand: 19. Oktober 2023) u.a. folgende Statements vorgebracht:

  • „OMG ganz ehrlich jedes Jahr zu weihnachten freue ich mich immer wieder auf die Werbung von euch. Jedes mal aufs neue habe ich Gänsehaut. Und jedes mal ist es wahr. Danke für die schönen 4 Minuten hört bitte nie auf damit“

  • „Und wieder legt @EDEKA die Latte für Weihnachtswerbespots ganz oben auf. Ihr habt wieder Sinn in Werbung gebracht. Danke“

  • „Ihr habt es mal wieder geschafft, meine Erwartungen zu übertreffen und mich wie letztes Jahr wieder in Weihnachtsstimmung zu bringen“

Den Auftakt des (Kurz-)Film-Genres „emotionaler Weihnachtswerbefilm“ (so journalistisch Deggerich, 2021) in Deutschland bietet dabei der bereits oben angesprochene, im November 2015 erschienene Werbeclip „#heimkommen“ (einleitend zu diesem Spot nochmals Hollmer, 2015; auch Schenk, 2022, S. 32). Seitdem haben insbesondere Edeka, Aldi und Penny viel rezipierte Clips veröffentlicht. Genauer: Gemessen an den Zugriffszahlen im Internet, bspw. in den YouTube-Kanälen dieser drei Marken des LEH, können diese Produktionen hinsichtlich ihrer Popularität kaum überschätzt werden. Mehrere Clips verzeichneten hier mehr als 2,5 Millionen Aufrufe, mit einem Höchstwert von fast 70 Millionen Zugriffen bei „#heimkommen“. Diese Popularität spiegelt sich dabei auch in anderen Kennwerten wieder, so in der Anzahl der Kommentare, die ebenfalls bei „#heimkommen“ bei mehr als 17.000 liegt. Hingewiesen sei dabei insbesondere auf die folgenden zwölf Weihnachtswerbespot[2]:

  • „#heimkommen“ (28. November 2015, EDEKA, 69,5 Millionen, 17.538)

  • „Der Riss“ (10. November 2022, ErstmalzuPENNY, 20,5 Millionen, 1.645)

  • „Der Wunsch“ (11. November 2021, ErstmalzuPENNY, 17,5 Millionen, Kommentare deaktiviert)

  • „Heilige Nachtschicht“ (6. Dezember 2021, ALDI SÜD, 12,2 Millionen, 839)

  • „#Zeitschenken“ (16. November 2016, EDEKA, 11,0 Millionen, 1.015)

  • „Zusammen wird´s ein Fest. Fest versprochen“ (1. Dezember 2022, EDEKA, 10,6 Millionen, 96)

  • „Der Regentropfen, der eine Schneeflocke werden will“ (14. Dezember 2021, EDEKA, 8,8 Millionen, 215)

  • „ALDI Weihnachten mit Kai der Karotte“ (9. November 2020, ALDI SÜD, 5,9 Millionen, 109)

  • „Weihnachten 2117“ (29. November 2017, EDEKA, 4,7 Millionen, 1.634)

  • „Die besondere Weihnachtsgeschichte des Herrn Schmidt“ (14. Dezember 2020, EDEKA, 4,6 Millionen, 3.303)

  • „Wie viel Weihnachten darf es sein?“ (28. November 2018, EDEKA, 4,4 Millionen, 420)

  • „PENNY macht Weihnachtswunder wahr – Familie Hellmann“ (11. November 2016, ErstmalzuPENNY, 2,6 Millionen, 459)

Werden diese zwölf Clips in psychologischer, soziologischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive betrachtet, so lassen sich verschiedene Gemeinsamkeiten feststellen. So ist zum Ersten auffällig, dass die populären Weihnachtswerbespots des LEH keine sog. Produkt-, sondern eine sog. Markenwerbung betreiben. Denn beworben wird nicht ein einzelnes Produkt (z.B. Spülmaschinentabs), sondern der jeweilige LEH an sich. Da es durchaus auch möglich wäre, die Spülmaschinentabs (und weitere Produkte) herstellende Firma zu bewerben, kann eine solche Werbung dabei auch als „Markenwerbung 2.0“ apostrophiert werden. Das Ziel dieser gängigen Marketingstrategie dürfte darin bestehen, den jeweiligen LEH bekannter zu machen und ihm ein positives Image zu verschaffen bzw. ein solches zu stärken: „Unbewusst speichert man die Firma positiv ab und geht irgendwann vielleicht dort einkaufen“ (Hollmer, 2015, mit Fokus auf „#heimkommen“). Dass dies erfolgreich ist, zeigen u.a. viele Kommentare bei YouTube. So finden sich beim Werbespot „Wie viel Weihnachten darf es sein?“ (zugänglich im YouTube-Kanal „EDEKA“, Stand: 19. Oktober 2023) folgende Kommentare:

  • „Edeka liebt nicht nur Lebensmittel, sondern die Menschen die hinter Edeka stecken lieben, was sie tun. Das merkt man. Denn nur was man gern macht, macht man gut. Vielen Dank an Edeka für dieses sehr schöne Video.“

  • „Edika ist einfach der beste laden wenn es um Lebensmittel geht“

  • „mega krasss Edeka bester laden“

Zum Zweiten ist festzuhalten, dass die populären Weihnachtswerbespots des LEH eine weithin konsistente und akzeptierte Botschaft vermitteln (s. weiter hierzu und auch zum Folgenden nochmals Abschnitt 3), wobei jedoch kein Fokus auf argumentatives Überzeugen gelegt wird – und auch konkrete Handlungen werden nicht avisiert. Vielmehr wird versucht, spezifische Gefühle zu generieren, zu verstärken oder auch abzubauen und dies mit dem jeweiligen LEH zu verknüpfen. Auch diese „Emotionalisierung der Marken“ (Freundt, 2006, S. 12) stellt eine gängige Marketingstrategie dar: „Sie soll helfen, Konsumentenbindungen aufzubauen […] und Erfolgspotenziale durch loyale Kunden bieten. […] Termini wie ‚Emotional Brand Building‘ und ‚Emotional Bonding‘ haben in der Werbelandschaft […] ihren festen Platz“ (a.a.O., S. 12f.). Und gleichfalls dürfte, wird wieder von zahlreichen entsprechenden Kommentaren bei YouTube ausgegangen, gelten, dass dieses Vorgehen erfolgreich ist. So sind z.B. beim Weihnachtswerbespot „PENNY macht Weihnachtswunder wahr – Familie Hellmann“ (zugänglich im YouTube-Kanal „ErstmalzuPenny“, Stand: 19. Oktober 2023) folgende Kommentare zu finden:

  • „Danke Penny für dieses Weihnachtswunder – einfach nur schön […] das einzige was zählt ist das Gefühl, welches beim Ansehen dieses Filmes rüberkommt.“

  • „Ich schaue das jetzt 1 jahr später und finde es trotzdem noch so toll das mir schon fast die tränen kommen ;-; ist doch egal obs von penny ist, ich finde sowas immerwieder schön und herzzerreißend :)“

  • „Wunderschöne Geschichte,die ans Herz geht“

3 Die Botschaft der populären Weihnachtswerbespots des LEH

In Abschnitt 2 wurde bereits angesprochen, dass die populären Weihnachtswerbespots des LEH weniger auf Kognition (und hier z.B. auf argumentatives Überzeugen) noch auf Konation (und hier z.B. auf konkrete Handlungen), sondern vielmehr auf Affektion – auf die Generierung und Verstärkung sowie auch den Abbau von Gefühlen – abzielen (um damit dann wiederum „Emotional Brand Building“, s.o., betreiben zu können). Besonders gelungen dürfte dies beim Clip „Der Wunsch“ (2021) sein. Im Zentrum steht hier das Thema „Verpasste Jugend im Kontext der Corona-Pandemie“: Eine am Küchentisch zusammen mit ihrem Sohn sitzende Mutter imaginiert in diesem Spot verschiedene ‚jugendtypische‘ Ereignisse, die ihr juveniler Sohn während der Pandemie verpasste (das Feiern von Partys, erste sexuelle Kontakte, sog. Rucksackreisen u.a.m.). Vollkommen offen bleibt dabei freilich, wer im Bereich der Kognition z.B. für diese problematische Situation verantwortlich ist und wie sie im Bereich der Konation ggf. gelöst werden kann. Vielmehr bietet sich der Film – und dies mit Blick auf die Zugriffszahlen (s.o.) überaus erfolgreich – den Zuschauenden vorrangig im Bereich der Affektion als Ventil an, um mit Gefühlen, die im Kontext der Corona-Pandemie bei vielen Menschen vorzufinden waren, umzugehen: Angst, Einsamkeit, Schuld, Sorge, Trauer und Wut (so dass die aktuelle Zurückhaltung der psychologischen Fachliteratur gegenüber einer solchen Katharsis-Funktion offensichtlich kritisch zu sehen ist; vgl. einleitend Elson, 2016, S. 426; Fischer, Jander & Krüger, 2018, S. 76f.). Dass der Werbespot inhaltlich entsprechend unbestimmt bleibt, ist vor diesem Hintergrund durchaus zu würdigen und qualifiziert ihn als Kunstwerk, das per definitionem deutungsoffen ist. Denn diese Unbestimmtheit erlaubt es möglichst vielen Menschen, sich hier mit ihren Erfahrungen wiederzufinden und mit ihren Deutungen einzutragen – so dass dann wiederum die Katharsis-Funktion des Clips umso weitreichender erfüllt werden kann:

„Das Rührstück ist toll gespielt und gefilmt und trifft offenbar nicht nur den Nerv vieler Eltern. […] Die Frage, wer […] verantwortlich ist, lässt der Film offen. Aber dafür nutzen die offenbar intensiv berührten Zuschauerinnen und Zuschauer die Onlineforen umso mehr, um ihren emotionalen Stau abzubauen. […]. Die großen Gefühle, die der Film auslöst, suchen ein Ziel, finden aber keins. Wer ist in diesem Melodram der Bösewicht? Die Politik? Das Virus? Die Geimpften oder Ungeimpften? Die Schulen? Man könnte Penny vorwerfen, dass es dieser großen Emotion völlig freien Lauf lässt, was ja auch gefährlich werden kann. Aber vielleicht ist genau das die Stärke dieses Kunstprodukts: Penny hat in seinen Regalen kein Angebot dagegen, das muss jeder selbst finden und entscheiden. Ein Geniestreich in puncto Emotionalisierung einer Marke. Bei Penny liegt die ganze Nation auf der Couch und heult sich aus“ (Deggerich, 2021; ähnlich auch Scharnigg, 2021).

Doch lässt sich dennoch ein roter Faden ausmachen, eine einzige Weihnachtsbotschaft, welche den Film „Der Wunsch“ mit allen oder doch zumindest mit den meisten populären Weihnachtswerbespots des LEH verbindet? Werden die zwölf oben aufgelisteten, besonders populären Spots von Edeka, Aldi und Penny betrachtet, scheint dies zunächst nicht der Fall. Denn diese Filme greifen, noch dazu in der angesprochenen kognitiven und konativen Unbestimmtheit, ganz unterschiedliche aktuelle Herausforderungen auf. So wird im Clip „Der Wunsch“ eben das Thema „Verpasste Jugend im Kontext der Corona-Pandemie“ adressiert, die Spots „Weihnachten 2117“ und „Der Riss“ widmen sich den mit Künstlicher Intelligenz und fragmentierten Gesellschaften einhergehenden Problemstellungen – und bspw. die Kurzfilme „Der Regentropfen, der eine Schneeflocke werden will“, „Die besondere Weihnachtsgeschichte des Herrn Schmidt“ sowie „Heilige Nachtschicht“ nehmen wiederum die Schwierigkeiten in den Blick, welche mit Klimaerwärmung, dem Zusammenleben in einer kulturell/religiös pluralen Gesellschaft und alleinerziehender Elternschaft verknüpft sind.

Wird nochmals hingesehen, so gleichen sich alle Filme jedoch durchaus in einer einzigen, mehr oder minder explizit zur Sprache gebrachten Botschaft. Formuliert werden kann diese wie folgt: ,Die Familie geht über alles. Sie ist letzter normativer Bezugspunkt und an ihr – an ihrer Bewahrung und ihrer Förderung – ist alles Denken, Fühlen und Handeln zu orientieren.‘ Explizit angesprochen wird dies in den Werbespots „#heimkommen“, „#Zeitschenken“, „Heilige Nachtschicht“ sowie „Penny macht Weihnachtswunder wahr – Familie Hellmann“. Hier steht diese Botschaft im Zentrum der filmischen Handlung/des Storytellings und stellt die Pointe der Erzählung dar, was, erneut ausgehend von zahlreichen YouTube-Kommentaren, von den Rezipient:innen auch verstanden und wertgeschätzt wird. So wird der Film „#heimkommen“ (zugänglich im YouTube-Kanal „EDEKA“, Stand: 22. Oktober 2023) u.a. wie folgt kommentiert:

  • „Es gibt nichts Wichtigeres als die Familie, das darf man nie vergessen. Das ist die beste Werbung der Welt.“

  • „Das wichtigste was man im leben schätzen muss ist die Familie. Man darf sie nicht vernachlässigen.“

  • „Diese Werbung ist so berührend!!! Ich hatte total Gänsehaut und mir sind echt die Tränen gekommen bei dem alten Mann, der Weihnachten allein verbringt. Da musste ich auch an meine Familie denken, und wie wichtig es doch ist, das Fest der Liebe gemeinsam zu feiern. […] Dies ist wirklich mein liebster Supermarkt, denn er ist einer der wenigen, die sich für ihre Werbungen noch Mühe geben und etwas richtig Schönes umsetzen, um den Geist der Weihnacht zu erhalten. Daumen hoch dafür!“

Indirekter angesprochen wird diese Botschaft dann schon in den Filmen „Zusammen wird’s ein Fest. Fest versprochen“ und „Die besondere Weihnachtsgeschichte des Herrn Schmidt“. Hier ist das weihnachtliche Zusammenkommen (vermutlich) der Familie aus pragmatischen Gründen unmöglich oder es gibt (gerade zu Weihnachten, noch dazu einhergehend mit einer Corona-Erkrankung) keine Familie – was dann dadurch zu einem Happy End fortgeschrieben wird, dass (zumindest zu Weihnachten) familiäre Beziehungen auf weitere Personen ausgeweitet werden, so dass die Familie auch und gerade hier den letzten normativen Bezugspunkt darstellt. Dies trifft ebenso auf den größtenteils dystopischen Spot „Weihnachten 2117“ zu, sucht der hier im Zentrum stehende Roboter doch unter größten Schwierigkeiten und Gefahren eine Familie und wird anlässlich von Weihnachten (vorrübergehend) in diese integriert.

Noch impliziter kommt diese Botschaft in den verbleibenden Spots zur Sprache. Jedoch lässt sie sich auch in diesen erkennen. So sitzt in „Der Wunsch“ ja eine Mutter mit ihrem Sohn am Küchentisch und es wird klar, dass beide in einer wichtigen, elementaren Beziehung miteinander verbunden sind (zu der, dass zeigen zwei Imaginationen der Mutter, auch der Vater gehört). „Der Riss“ wiederum erzählt, wie problematisch eine fragmentierte und hierbei auch keine intakten Familienbindungen beinhaltende (s. u.a. die Szene zum Ukraine-Krieg) Gesellschaft ist – so dass auch hier die Bedeutung der Familie, e contrario, zur Sprache kommt. In „Der Regentropfen, der eine Schneeflocke werden will“, zerplatzt der Protagonist an einem Fenster, hinter dem (höchstwahrscheinlich) eine Familie ein weihnachtliches Abendessen zu sich nimmt – das auch in „ALDI Weihnachten mit Kai der Karotte“ (höchstwahrscheinlich) die finale Szene darstellt. Schließlich eröffnet auch „Wie viel Weihnachten darf es sein?“ eine entsprechende Deutung, darf doch davon ausgegangen werden, dass die in diesem Werbespot gezeigten, vollkommen selbstverständlich einkaufenden Personen insbesondere mit Blick auf die bevorstehenden weihnachtlichen Familienfeiern den beworbenen LEH besuchen.

Alle zwölf oben aufgelisteten Filme laufen damit, teils freilich implizit und/oder in Kombination mit Fokus auf aktuelle Herausforderungen, auf die Familie als letzten normativen Bezugspunkt zu – und auch in vielen weiteren Clips lässt sich dieser erkennen (so in „Der Weg“ von Penny oder in „Wer bin ich?“, „Star Wars“ sowie „Der Zaun“ von Kaufland)[3]. Die populären Weihnachtswerbespots des LEH gleichen damit nicht nur z.B. bei den filmischen Gestaltungsmitteln populären Filmen, sondern auch insofern, als dass sie bereits vorhandene „Sinnstrukturen“ (Herrmann, 2001, u.a. S. 212) aufgreifen und verstärken. Anders als bei Filmen handelt es sich hier jedoch nicht um eine erotisch konnotierte „Liebesreligion“ (a.a.O., S. 230, zu finden z.B. im Kinofilm „Titanic“) oder eine „Öko-Religion“ (ebd., zu finden z.B. im Kinofilm „Der König der Löwen“), sondern um „das Phänomen von ‚Familie als Religion‘“ (Kumlehn, 2017, S. 195; mit Blick auf Domsgen, 2004, S. 246–252). Bei diesem erscheinen „familiäre Beziehungen trotz aller Erfahrung von Brüchigkeit und Fragmentarität als sinnstiftende Letztinstanz [und Familie steht] für die Sehnsucht nach umfassender Geborgenheit und Schutz, nach Angenommensein und freier Kommunikation sowie unbedingter Verlässlichkeit“ (Kumlehn, 2017, S. 195). Die Weihnachtswerbefilme des LEH weisen derart, so wie viele weitere Produkte der populären Kultur, eine „Religionsähnlichkeit“ (Pirner, 2012, S. 159) auf, welche zugleich, da explizite Religion in ihnen nicht erkennbar wird, keiner „Religionsinhaltigkeit“ (ebd.) mehr bedarf[4].

Dies wirkt dann auch zurück auf die Bedeutung des Weihnachtsfestes. Denn Weihnachten ist im Spiegel der populären Weihnachtswerbespots des LEH keinesfalls z.B. ein Fest der „Menschwerdung und Offenbarung Gottes in Jesus Christus“ (Wegscheider, 2022; s. insbesondere Joh 1,14 in Verbindung mit Mt 2,1–12 par.), sondern ein Fest, das an die oben dargestellte Bedeutung der Familie erinnert – und an dem diese Bedeutung zugleich umgesetzt bzw. ‚inkarniert‘ wird bzw. ‚real-präsentische‘ Gestalt gewinnt (oft in Form eines familiären Weihnachtsessens, das in der Mehrheit der o.g. Spots den Fluchtpunkt der Erzählung darstellt). Neu ist ein derart zivilreligiöses Verständnis des Weihnachtsfestes dabei nicht (u.a. bereits Hoffmann, 1985). Neu dürfte freilich sein, dass Weihnachten als Fest der Familie nun in aller Offenheit und Akzeptanz, wie z.B. verschiedene der oben zitierten Kommentare verdeutlichen, vom LEH ‚verkündet‘ wird. Dieser übernimmt mit dieser spezifischen Sinnstiftung des alljährlichen Festes eine weitere Funktion, welche traditionell eher von den Kirchen ausgeübt wird/wurde[5]. Oder mit (kritischem) Bezug auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns: Der Zugriff der Wirtschaft und ihres Mediums „Geld“ auf das (gemäß Luhmann selbstreferentielle, autonome) soziale System „Religion“ und sein Medium „Glauben“ erreicht hier einen neuerlichen Höhepunkt (ausführlich hierzu sowie auch zum Übergriff auf das Politiksystem Heller, 2019)[6].

4 Herausforderungen und Chancen für den Ethik- und den Religionsunterricht

Für den Ethik- und den Religionsunterricht generiert dies erhebliche Herausforderungen. Sie fallen umso größer aus, als dass die populären Weihnachtswerbespots des LEH eine ethik- und religionsdidaktische Leerstelle darstellen (erste Impulse für den Religionsunterricht bietet allerdings Ziemer, 2018) und bislang auch z.B. in der Systematischen Theologie und der Philosophischen Ethik nicht bedacht wurden. Vier dieser teils miteinander eng verknüpften Herausforderungen seien im Folgenden skizziert. Die ersten drei Herausforderungen sind dabei für beide Fächer von Relevanz, die letzte eher nur für den Religionsunterricht.

a) Zum Ersten sei hier darauf hingewiesen, dass der in den Werbespots des LEH verabsolutierten Familie – zumeist implizit und teils auch explizit – alles andere untergeordnet wird. Dies betrifft Sekundärtugenden wie Ehrlichkeit, aber auch Primärtugenden wie (was definitionsgemäß über die Familie hinausgeht[7]) Nächstenliebe und Solidarität oder den Wert „Nachhaltiges Handeln“. Exemplarisch auf diesen fokussiert: Die Pointe z.B. von „#heimkommen“ wie auch von „PENNY macht Weihnachtswunder wahr – Familie Hellmann“ muss vermutlich darin gesehen werden, dass die jeweiligen Familienmitglieder aus der ganzen Welt (Finnland, die USA und vermutlich Thailand) anreisen, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Dabei können in der Logik der Narration die Flugmeilen und Autokilometer gar nicht groß genug sein, wird doch so die Bedeutung der Familie umso mehr herausgestellt. Genau dies führt dann aber eben dazu, dass diese und viele weitere Spots, je auf ihre Weise und zumeist implizit, eine totalitäre, den Grundsatz der praktischen Konkordanz (hier verstanden als Bemühen, Werte miteinander in Übereinstimmung zu bringen) missachtende Moral propagieren. Zugleich werden damit, e contrario, Menschen ohne Kinder oder weitere Familienbindungen und Menschen mit sog. toxischen Familienbindungen ausgegrenzt. Hierzu passt denn auch, dass diese Personen, sofern sie filmisch überhaupt dargestellt werden, bspw. nur als ‚eigenbrötlerische Kinderfeinde mit leichtem Hang zur Aggressivität‘ in den Blick genommen werden (so in den Clips „Die besondere Weihnachtsgeschichte des Herrn Schmidt“ und „Der Riss“, was dann auch durch die kleinen Gesten am Ende kaum korrigiert werden kann). Weihnachten erlangt damit eine geradezu „aggressive Inklusivität“ (Scheer & Klassen, 2019, Klappentext) wie zugleich ein beachtliches „Exklusionspotenzial“ (ebd., jeweils mit Blick auf das Weihnachtsfest an sich).

b) Dieses Potenzial ist zum Zweiten umso größer, als dass den populären Weihnachtswerbespots des LEH offensichtlich ein sehr eng umrissenes Familienbild zugrunde liegt. Familie wird hier immer wieder als Miteinander von Heranwachsenden, (vermutlich) leiblichen Eltern und teils (vermutlich) leiblichen Großeltern dargestellt. Bezeichnend ist diesbezüglich der Clip „Weihnachten 2117“: Hier sieht der Protagonist in einem alten Kino einen Filmausschnitt, der von den filmischen Gestaltungsmitteln her an die 1950-er Jahre erinnert und, vereint am weihnachtlichen Esstisch und kurz vor dem Auspacken der Geschenke, die „Kernfamilie der Neuzeit“ (Ziemer, 2018) zeigt: „mit Frau und Mann, die mit ihren gemeinsam gezeugten Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben“ (ebd.). Hieraus rührt dann auch die Motivation des dargestellten Roboters, welcher sich auf den Weg macht, um eben solch eine Familie zu finden. Doch damit gilt denn auch: Z.B. sog. Regenbogenfamilien, in denen bspw. zwei homosexuelle Personen Verantwortung für Kinder übernehmen, geraten in diesem – und allen weiteren der o.g. zwölf Clips – ebenso wenig (erkennbar) in den Blick wie „Familien, die in getrennten Haushalten leben oder Kinder, die mit Unterstützung von Großeltern, anderen Verwandten oder Institutionen aufwachsen oder erzogen werden“ (Ziemer, 2018). Die durch die oben dargestellte Verabsolutierung der Familie generierte Ausgrenzung wird so noch verstärkt[8].

c) Drittens sei angesprochen, dass die populären Weihnachtswerbespots des LEH zwar Familie (auf Basis eines sehr eng umrissenen Familienbildes) als letzten normativen Bezugspunkt propagieren, aber – von Gemeinplätzen wie „Das schönste Geschenk ist deine Zeit“ („#Zeitschenken“) oder „Endlich wieder Weihnachten. Mit allem, was dazugehört. Auch aufeinander zugehen“ („Heilige Nachtschicht“) abgesehen – kaum Hilfe dazu geben, wie Familien mittel- und langfristig bewahrt und gefördert werden können[9]. Wird zusätzlich der in Abschnitt 3 ausgeführte Fokus auf Affektion (nicht aber auf Kognition und Konation) in den Blick genommen und bedacht, dass die meisten Marken des LEH sich kaum durch familienfreundliche Arbeitsbedingungen auszeichnen dürften (einleitend zu den physischen und psychischen Belastungen der Arbeit im LEH, zu denen u.a. eine häufige Arbeit außerhalb der sog. Normalarbeitszeit gehört, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2018), so wird klar, dass die Werbespots des LEH letztlich als sog. Social Washing zu werten sind. Der jeweiligen Marke soll, mit dem Ziel der Umsatzsteigerung, ein positives Image verschafft bzw. ein solches soll gestärkt werden (s. bereits oben) – jedoch ohne dass hier Aktivitäten korrelieren und auch ohne dass ein weiteres politisches, soziales und/oder religiöses Engagement der Rezipient:innen angestrebt wird. Diese erfüllen vielmehr als „Konsummarionetten“ (so bereits Jeschke, 1975, S. 49) ihre Rolle vollumfänglich, ein weiteres Empowerment ist nicht vorgesehen. Die Spots des LEH sind damit letztlich ein Anti-Bildungsprogramm: Sie zielen gerade nicht auf eine selbstbestimmte, reflektierte Teilhabe an der natürlichen und kulturellen Umwelt ab. Sondern ihr Ziel sind eine sich selbst genügende Emotionalisierung und Konsum – was paradoxerweise von Werbefilmen, die vom LEH produziert werden, auch nicht anders zu erwarten sein dürfte. Zugleich sind hier freilich, wie der Journalist und Schriftsteller Friedrich Sieburg mit Blick auf Werbung an sich bereits 1958 ausführt, auch die Rezipient:innen selbst mit verantwortlich:

Häufig wird gedacht, dass „die Welt der Erzeuger und Verteiler eine böse Welt sei, die tückisch danach trachte, den ‚Endverbraucher‘ oder wie man ihn sonst bezeichnen mag, zu versklaven. Eine solche Deutung wäre reine Romantik und spräche dem Produktionsapparat eine Planmäßigkeit zu, wie sie sonst nur einer Person – sagen wir einem Tyrannen – eigen ist. Es liegt vielmehr im Wesen der modernen Gütererzeugung, daß sie automatisch und gleichsam willenlos diejenigen Felder besetzt, die der einzelne Mensch als Folge des Persönlichkeitsschwunds räumt. Die Werbung, die heute unser Leben in einem noch vor zwanzig Jahren unvorstellbaren Maße beherrscht und zum ausschlaggebenden Former unserer Daseinslandschaft zu werden droht, ist kein lüsterner Dämon, der den Menschen zerstören möchte, um ihn widerstandslos zu machen. Die Werbung macht sich vielmehr die wachsende Widerstandslosigkeit zunutze; sie bleibt stets eng am Individuum und rückt überall da nach, wo der Mensch zurückweicht. Dieses Verhältnis ist zu einer heute unentwirrbaren Wechselwirkung geworden; die Werbung dringt erfolgreich auf die ständig kraftloser werdende Seele ein und kommt, ohne es ursprünglich gewollt zu haben, ganz von selbst dazu, das Uebel zu vergrößern, die Kraftlosigkeit zu vermehren und schließlich ihre Instrumente da anzusetzen, wo sie der menschlichen Schwäche gewiß ist“ (Sieburg, 1958, S. 1)[10].

d) Zum Vierten schließlich ist aus alt-/neutestamentlicher und systematisch-theologischer Perspektive nochmals als besonders bedenklich festzuhalten, dass die populären Werbespots des LEH eine dem Christentum nicht entsprechende Weihnachtsbotschaft kommunizieren (s. bereits Abschnitt 3). Dabei widerspricht zusätzlich auch die in den Spots vollzogene Darstellung der Familie als letzter normativer Bezugspunkt den dem Christentum zugrundeliegenden Prinzipien. Denn die biblischen Schriften sehen zwar (groß)familiäres Zusammenleben durchaus als selbstverständlich an (u.a. Gen 6,18; 7,1.13; 8,16) und stellen dieses unter Schutz (u.a. Ex 20,14.17). Gott bleibt dennoch – in trinitarischer Vielfältigkeit (u.a. 2 Kor 13,13), als Schöpfer wie Bewahrer (u.a. Ps 104) – der letzte Bezugspunkt (u.a. Ex 20,1–6). Entsprechend hat z.B. auch Jesus ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Familie (u.a. Mt 12,46–50 par., 13,53–58 par.) und ruft immer wieder aus der Familie heraus (u.a. Mt 19,16–30 par.; 22,1–14 par.). Die in den Spots aus Gründen der Konsumsteigerung vollzogene Verabsolutierung der Familie steht damit, genau wie z.B. eine Verabsolutierung von Geld bzw. Besitz an sich (u.a. Mt 6,19–34 par.; Eph 5,5; Kol 3,5), in Konkurrenz zum Ersten Gebot. Der LEH tritt derart in Widerspruch zum Christentum – und zwar ohne dass dies im LEH noch im Christentum reflektiert wird.

Für den Ethik- und den Religionsunterricht sind diese weitreichenden Herausforderungen jedoch auch Chancen. Die überaus populären, kurzgefassten, cineastisch ansprechenden Spots dürften ein exzellentes Unterrichtsmaterial darstellen, um aus Perspektive der Philosophischen Ethik (im Ethikunterricht) oder der Systematischen Theologie (im Religionsunterricht) darüber ins Gespräch zu kommen, welche Werte bzw. Tugenden als wichtig anzusehen und wie sie miteinander in Verhältnis zu setzen sind (Herausforderung 1), welches Familienbild gesellschaftlich vorherrschend ist und ob dieses erweitert werden sollte (Herausforderung 2) sowie wie Werbung wirkt und wie ihren Vereinnahmungen entgegengetreten werden kann (Herausforderung 3). In einem Religionsunterricht, der gemäß Artikel 7.3 des Grundgesetzes „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ stattfindet, kann und sollte darüber hinaus auch die skizzierte Konkurrenz zum Ersten Gebot in den Blick geraten (Herausforderung 4). Zentral dürfte dabei jeweils sein, keine sog. Sprungbrett- oder Kontrastfoliendidaktik zu betreiben, welche die populären Weihnachtswerbespots des LEH nur heranziehen, um zum ‚eigentlichen Thema‘ hinzuleiten oder um die ‚richtige Einschätzung‘ umso deutlicher vertreten zu können (analog mit Fokus auf den Religionsunterricht Pirner, 2012, S. 170). Sondern Zielstellung der Auseinandersetzung sollte eine (philosophische/theologische) Kulturhermeneutik sein: Kinder und Jugendliche sollten am Beispiel der populären Weihnachtswerbung des LEH befähigt werden, die „Religionsähnlichkeit“ (nochmals Pirner, 2012, S. 159) der sie umgebenden und von ihnen konsumierten populären Medien zu erkennen und aus (philosophischer/theologischer Perspektive) zu beurteilen. Mit einem solchen Programm, welches den oben dargestellten vier Herausforderungen entgegenzutreten vermag und das letztlich auf eine „bildende Begleitung der religiösen (Selbst-)Sozialisation der Schülerinnen und Schüler“ (a.a.O., S. 159f.) abzielt, dürfte die bisherige ethik- und religionsdidaktische Leerstelle der populären Weihnachtswerbespots des LEH beste Voraussetzungen aufweisen, um zu einer ethik- und religionsunterrichtlichen Lehr- und Lernstelle zu werden.

Literaturverzeichnis

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Deggerich, M. (2021). Viraler Werbehit „Der Wunsch“. Ihr kriegt mich nicht, ihr kriegt mich nicht. Scheiße, doch. URL: www.spiegel.de/psychologie/penny-landet-mit-weihnachtsfilm-der-wunsch-viralen-hit-und-loest-diskussionen-aus-a-3cbafa61-f5a5-414d-aa37-12b5e4a8cebc [Zugriff: 13. Oktober 2023].

Domsgen, M. (2004). Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

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Dr. Thomas Heller, Privatdozent für Religionspädagogik (Theologische Fakultät) und Leiter der Geschäftsstelle für zentrale Gremien (Präsidialamt), Friedrich-Schiller-Universität Jena.

 

  1. Der vorliegende Text basiert auf dem Workshop „‚Zeit, sich zu versöhnen.‘ Religiöse und/oder ethische Motive in der populären Weihnachtswerbung bedeutsamer Lebensmitteleinzelhändler:innen als Herausforderung und Chance für den Ethik- und den Religionsunterricht“, welcher am 2. September 2023 auf der Jahrestagung 2023 der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik zum Thema „Religionspädagogik und Ethik-/Philosophiedidaktik im Gespräch“ in Halle an der Saale stattfand. Ein herzlicher Dank geht an alle Teilnehmer:innen für die engagierte Mitwirkung im Workshop. Für die Veröffentlichung wurde teils ein Vortragsduktus beibehalten bzw. gewählt. Der Haupttitel greift die Aufforderung auf, die am Ende des Weihnachtswerbeclips „Der Weg“ von Penny eingeblendet wird.

  2. Ausgewiesen ist im Folgenden zunächst immer die jeweilige Selbstbezeichnung. Es folgen in den Klammern das Datum der Veröffentlichung im jeweiligen YouTube-Kanal, die Selbstbezeichnung des Kanals sowie die Anzahl der Aufrufe (gerundet) und der Kommentare (Stand: 28./29. August 2023). Aufgelistet sind die zwölf Clips nach der Anzahl der Aufrufe. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Es kann durchaus sein, dass noch weitere Werbespots dieser drei Marken des LEH Zugriffszahlen von über 2,5 Millionen erzielten. Dies gilt auch mit Blick auf weitere Marken (s. z.B. den Spot „Die Geschichte vom wahren Weihnachtsmann“ von Netto, zugänglich im YouTube-Kanal „Netto Marken-Discount“, der mit Stand vom 29. Oktober 2023 22,4 Millionen Aufrufe erzielte). Hingewiesen sei hier weiterhin noch darauf, dass Edeka zum Motto „Lasst uns froh und bunter sein“ im Jahr 2020 einen zweiten Spot spezifisch für das Fernsehen produzierte (zugänglich im YouTube-Kanal „EDEKA“, 0,5 Millionen Aufrufe, Stand: 29. Oktober 2023), welcher für erhebliche Diskussion sorgte (journalistisch einleitend Mattgey, 2020).

  3. Eine Ausnahme bietet hier „Mach deine Welt ein bisschen feiner“ von Rewe (zugänglich im YouTube-Kanal „REWE“, veröffentlich am 9. Dezember 2022, 2,7 Millionen Aufrufe, Stand: 28. Oktober 2023). Bei diesem Werbeclip dürften der gesellschaftliche Nutzen sog. kleiner Gesten sowie das Zusammenleben in einer (vermutlich kinderlosen) Partnerschaft die normative Basis darstellen.

  4. In populären Filmen stellt sich dies teils (noch) anders dar. So galt in den von Jörg Herrmann analysierten Filmen (u.a. „Der König der Löwen“, „Forrest Gump“, „Independence Day“, „Jurassic Park“ und „Titanic“): „Das Christentum ist [hier] als Deutungskultur existentieller Konflikte und Erfahrungen sinnverwirrender Kontingenz nach wie vor präsent. Es berührt jedoch nicht das Zentrum der Filmhandlung, sondern schwingt als kultureller Deutungskontext mit. Diese Positionierung des explizit Christlichen entspricht seiner gegenwartskulturellen Marginalität“ (Herrmann, 2001, S. 210). Bei den Werbespots des LEH hingegen ist festzuhalten: Hier lässt sich explizit Christliches nicht einmal mehr in Spurenelementen wahrnehmen. So geraten in den Clips weder z.B. Pfarrer:innen oder Kirchgebäude, noch Jesus oder weitere biblische Personen in den Blick. Und auch dort, wo z.B. Weihnachtsbäume (so in „#heimkommen) oder ein Stern (so in „Weihnachten 2117“) filmisch aufgegriffen werden, ist ein (möglicher) Bezug zum Christentum nicht mehr erkennbar: Hier dürfte eine Deutung als Requisite (so in „#heimkommen) oder als Symbol für Weihnachten als Fest der Familie (so der Stern in „Weihnachten 2117“) der Narration eher entsprechen.

  5. Dass Marken derartige Sinnstiftungsfunktionen übernehmen, ist auch schon länger bekannt. So schreibt bspw. der Unternehmensberater Tjark Christian Freundt (durchaus affirmativ) bereits 2006: „Marken haben für die heutige Gesellschaft einen zentralen Stellenwert erreicht. Ihre Bedeutung erlangt die Marke dabei keineswegs mehr als rein funktionaler Gebrauchsgegenstand. Vielmehr sind Marken zunehmend tief in seelisch-emotionale Vorgänge der Menschen integriert und moderieren ihre individuellen Verhaltensweisen. Sie erreichen somit eine sinnstiftende Funktion und stehen stellvertretend und symbolisch für die Wertvorstellungen ihrer Verwender – ähnlich und potenziell sogar stärker als religiöse Glaubensdogmen“ (Freundt, 2006, S. 3). Hingewiesen sei hier auch noch darauf, dass der LEH seit mehreren Jahren auch Werbeclips zu Ostern produziert, so „Die Oster-Überraschung – #DerWahreOsterhase“ von Netto (zugänglich im YouTube-Kanal „Netto Marken-Discount“, veröffentlicht am 25. März 2017, 27,8 Millionen Aufrufe, Stand: 28. Oktober 2023) oder „Der EDEKA Osterfilm 2023“ von Edeka (zugänglich im YouTube-Kanal „EDEKA“, veröffentlicht am 24. März 2023, 7,2 Millionen Aufrufe, Stand: 28. Oktober 2023). Auch diese beiden Clips laufen auf die Familie als letzten normativen Bezugspunkt zu, beim letztgenannten Werbespot verbunden mit einem Blick auf das Thema „Demenzerkrankungen in Deutschland“.

  6. Wie erfolgreich dieser Zugriff bzw. diese Übernahme ist, zeigt sich nochmals insbesondere, wenn vergleichend die Reichweite von Weihnachtspredigten oder -ansprachen bedeutsamer politischer und religiöser Amtsträger:innen in den Blick genommen wird. So erreichte, um nur drei Beispiele zu nennen (mit Stand jeweils zum 31. August 2023), auf der Videoplattform „YouTube“ im Kanal „ZDFheute Nachrichten“ das Video „Weihnachtsansprache von Bundespräsident Steinmeier: ‚Friede ist noch nicht greifbar‘“ (Veröffentlichung: 25. Dezember 2022) nur 33.371 Aufrufe. Das Video „Betet für Eltern, die kein Bett für ihre Kinder finden“ (Veröffentlichung: 22. Dezember 2022, Kanal „Evangelische Kirche in Deutschland“), welches eine Predigt/Ansprache von Annette Kurschuss beinhaltet, erzielte nur 975 Aufrufe. Und das Video „Bischof Bätzing über das Weihnachtsfest 2020“ (Kanal „Deutsche Bischofskonferenz“, Veröffentlichung: 4. Dezember 2020) wies schließlich nur 157 Aufrufe auf.

  7. Dass z.B. Nächstenliebe über die Familie hinausgeht, muss deutlich betont werden. Thematisiert wird dies u.a. in der Perikope „Der barmherzige Samariter“ (Lk 10,30–37), wo Jesus verdeutlicht, dass auch und gerade „der (ungeliebte) Fremde“ (Roose, 2017) der zu liebende Nächste ist. Bezeichnend ist hier auch Mt 5,43–48 par. Denn wenn nur ‚die geliebt werden, die einen auch lieben‘, dann ist dies nichts Besonderes (V. 46). Vielmehr gilt es, letztlich jede und jeden zu lieben, was bis hin zur sog. Feindesliebe geht. Jesus erwartet damit nicht weniger, als dass Menschen sich am Handeln Gottes orientieren, wozu sie, als „Salz der Erde“ (V. 13) und „Licht der Welt“ (V. 14), auch in der Lage sind: „Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gut und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (V. 45). Die Bergpredigt beinhaltet so einen kaum erfüllbaren Anspruch (der dann in der römisch-katholischen Theologie z.B. im Sinne der sog. Zwei-Stufen-Ethik oder in der lutherischen Theologie insbesondere rechtfertigungstheologisch gedeutet wird). Diesem korreliert allerdings auch ein weitreichender Zuspruch (einleitend Heller, 2017).

  8. Hingewiesen sei hier noch darauf, dass dieses sehr eng umrissene Familienbild teils auch mit überkommenen Geschlechterstereotypen korreliert. So werden in „#heimkommen“ die beiden Brüder als internationaler Geschäftsmann und (Ober-)Arzt cineastisch in den Blick genommen, während die Schwester vorrangig als Hausfrau und Mutter dargestellt wird. In „#Zeitschenken“ wiederum organisieren die Mütter den Weihnachtseinkauf, machen Frühstück, kochen und backen Plätzchen – während die Männer zur Arbeit eilen, Zeitung lesend auf dem Sofa sitzen oder sich um die Installation der Winterreifen kümmern.

  9. Dies gilt analog auch für die Aktion „Lass reden“, die anlässlich von „Der Riss“ gestartet wurde und auf die am Ende des Film verwiesen wird. Auf der entsprechenden Homepage „www.penny.de/aktionen/lassreden“ (Zugriff: 28. Oktober 2023) wird zunächst wieder auf den Film verlinkt, bevor „10 Tipps für bessere Diskussionen“ wie „Bleibt ruhig“ und „Bleibt beim Thema“ folgen – um dann schließlich unter der Überschrift „Mehr Infos“ insbesondere auf das „Forum für Streitkultur“, den Verein „Initiative offene Gesellschaft“ und die Plattform „Diskutier mit mir“ zu verweisen. Die Aktion ist entsprechend finanziell nicht weiter untersetzt und insgesamt dürfte kaum davon auszugehen sein, dass damit der im Werbespot adressierten Herausforderung der gesellschaftlichen Fragmentierung wirksam entgegengetreten wird.

  10. Vgl. hierzu auch nochmals den Journalisten Markus Deggerich, welcher mit Blick auf „Der Wunsch“ darauf hinweist, dass der manipulative Charakter des Filmes den meisten Rezipient:innen bewusst sein dürfte: „Diese Ambivalenz beim Betrachten kann einen irgendwie fertig machen: wissen und erkennen, dass es dich manipulieren will – und trotzdem gebannt berührt zu werden, sich hinzugeben“ (Deggerich, 2021). In ironischer Absicht werden entsprechende Manipulationen (bezeichnenderweise nicht aber die Verantwortung der Rezipient:innen) dabei auch in einem Weihnachtsclip selbst aufgegriffen: in „Der Cringe“ von Lidl (mittlerweile allerdings gelöscht im YouTube-Kanal „Lidl“). Hingewiesen sei hier auch noch auf das satirische Video „Circus HalliGalli Weihnachtsclip – #heimkommen“ (zugänglich im YouTube-Kanal „Joko & Klaas“), in welchem der adressierte Clip von Edeka ein anderes Ende erfährt. Beide Spots weisen damit auf problematische Aspekte der üblichen Weihnachtswerbeclips hin und besitzen didaktisches Potenzial, welches allerdings durch die filmischen Gestaltungsmittel und den fortgesetzten Charakter als Werbespot (bei „Der Cringe“) sowie den schwarzen Humor (im „Circus HalliGalli Weihnachtsclip“) begrenzt wird.