1 Hinführung: Die Notwendigkeit klarer Standpunkte

Dass junge Menschen sich als „Letzte Generation“ verstehen und die Klimakrise eben nicht nur als „Krise“, sondern als existentielle Bedrohung wahrgenommen wird – diese Selbst- und Weltdeutungen sind symptomatisch für einen gesamtgesellschaftlichen Trend. Denn gegenwärtig zeigt sich eine allgemeine „Neigung, Krisen als ‚apokalyptisch‘ zu charakterisieren“ (Nagel, 2021, S. 7).

Ausgerechnet Kirche und Theologie bilden in diesem Trend zur Apokalyptik eine Ausnahme (Polak, 2021, S. 180) – ein Umstand, auf den Alexander Nagel, Soziologe und Religionswissenschaftler an der Uni Göttingen, mit Verwunderung blickt: „Aus soziologischer Perspektive würde ich fragen: Wenn es von allen abstrusen Erscheinungen der Religionsgeschichte ausgerechnet ein Begriff wie die Apokalypse heute ins populäre Alltagsbewusstsein schafft, ist das nicht ein Resonanzraum, den die Kirchen in ihrem Ringen um Deutung nutzen müssten? Das Fremdeln mit der Apokalyptik […] wundert mich. […] Das existenzielle Versprechen des disruptiven Wandels, das in der Apokalyptik liegt, ist ein Pfund, mit dem die Kirchen wuchern könnten“ (Nagel & Taxacher, 2021, S. 34).

Dabei könnte das „Pfund“ apokalyptischer Deutung durchaus für beide Seiten „Ertrag“ abwerfen: Für die Kirche böte sich die Chance, die eigene Botschaft plausibel mit der alltäglichen Lebenswelt in Verbindung zu bringen (Löster, 2021, S. 203–206), und auch für die breitere Gesellschaft wäre es von Gewinn, wenn sich Kirche und Theologie stärker in aktuelle, apokalyptisch eingefärbte Diskurse einbringen würden. Mit einem erkennbaren, „normativen Standpunkt“ (Nagel, 2024, S. 27) könnten Kirche und Theologie wichtige Gesprächspartner sein, gerade dort, wo Krisen unterschiedlich gedeutet werden oder apokalyptische Deutungen die Tendenz haben, sich zu radikalisieren.

Das setzt freilich voraus, dass Klarheit über die eigenen theologischen Standpunkte besteht. Hier setzt der vorliegende Beitrag an: Ich formuliere im Folgenden einen möglichen theologischen Standpunkt christlicher Apokalyptik. Um diesen möglichst klar zu profilieren, setze ich meine Überlegungen ins Verhältnis zu gängigen soziologischen Beschreibungen gegenwärtiger apokalyptischer Deutungen. Abschließend kann dann ein Fazit zum mutmaßlichen Potential christlicher Apokalyptik für gegenwärtig populäre apokalyptische Deutungen gezogen und Perspektiven für die weitere Diskussion benannt werden.

2 Begriffsklärung: Der Standpunkt im Überblick

Der theologische Standpunkt christlicher Apokalyptik, den ich im Folgenden vertreten werde, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Christliche Apokalyptik ist eine spezifische Form christlicher Eschatologie. Wie die Eschatologie im Allgemeinen hat die Apokalyptik „die Hoffnungen und Befürchtungen sowie das Zufriedengestelltsein und die Enttäuschungen des weltlichen Erwartungshorizonts unter der Perspektive letztgültiger Hoffnungen und Befürchtungen auf der Basis des christlichen Glaubens zu ihrem Gegenstand“ (Mühling, 2007, S. 45).

Das apokalyptische Spezifikum liegt dabei in der Art und Weise, wie gegenwärtige und zukünftige Hoffnung aufeinander bezogen werden: Christliche Apokalyptik rechnet mit der Herrschaft Gottes über das gegenwärtige Weltgeschehen, daraus erwächst aber gerade keine unmittelbare Hoffnung für die jeweils erlebte gegenwärtige Situation. Die apokalyptische Hoffnung richtet sich vielmehr ausschließlich auf die Zukunft. Ob diese Zukunft eher transzendent oder immanent, eher in Kontinuität oder Diskontinuität zur Gegenwart gedacht wird, ist dabei sekundär. Gemeint ist eine Zukunft, die von Gott eröffnet und „radikal von der erfahrenen Gegenwart unterschieden ist“ (Taxacher, 2024, S. 73). Deshalb wird hier bewusst allgemein von der „Zukunft Gottes“ gesprochen. Aus dieser eigentümlichen Verhältnisbestimmung von gegenwärtigem Weltgeschehen und Zukunft Gottes ergeben sich weitreichende Konsequenzen für das „Ganze der christlichen Praxis“ (Mühling, 2007, S. 45), insbesondere für die Deutung des menschlichen Handelns angesichts der Krise.

3 Darstellung: Auf Gottes Zukunft hoffen. Ein theologischer Standpunkt zur christlichen Apokalyptik

3.1 Apokalyptik als Deutung der Gegenwart

Auf den ersten Blick sind apokalyptische Deutungen auf die Zukunft gerichtet. Es geht ihnen um den weiteren Lauf der Geschichte und dieser wird – in unterschiedlichen Spielarten – als katastrophale Krise beschrieben, die „das Ende der Welt, wie wir sie kennen“ (Nagel, 2021, S. 8) bedeutet. Im klassischen apokalyptischen Schema (Nagel, 2021, S. 38) ist dieser Untergang aber nicht das Ende, im Gegenteil: Hier folgt auf die Krise die Erlösung, die bessere Zukunft. Moderne Apokalyptik wird hingegen als „kupierte Apokalyptik“ beschrieben (Vondung, 2008, S. 192–194 und Nagel, 2021, S. 38–39). Was bleibt, ist „allein der Untergang“ – so Klaus Vondung (2008, S. 192).

Allerdings erweist sich die vielzitierte Rede von der „kupierten Apokalyptik“ als leicht missverständlich, denn genau genommen wird nicht die Heilsperspektive an sich gekappt, sondern deren transzendente Dimension. Immerhin gibt es kaum ein cineastisches Weltuntergangsszenario, in dem nach der Katastrophe nicht doch die Hoffnung auf einen Neuanfang bliebe. Die Katastrophe mag noch so vernichtend sein, „die ‚Helden‘ oder zumindest einige von ihnen überleben doch und entlassen den Kinobesucher mit einem befriedigenden Happy End.“ (Vondung, 2008, S. 195). Die Hoffnung auf Erlösung also bleibt, diese wird aber rein innerweltlich gedacht. Hier wird deutlich, dass der apokalyptische Blick in die Zukunft unmittelbar mit einer Deutung der Gegenwart einhergeht. Apokalyptik meint eine umfassende Welt- und Lebensdeutung, die in ihrer modernen Spielart durch und durch säkular ausfällt. Moderner Apokalyptik geht „es [grundsätzlich] nicht um das Handeln Gottes in der Welt. Vielmehr wird der Mensch zum*zur Urheber*in und Bewältiger*in in der Katastrophe“ (Nagel, 2021, S. 24). Sofern von einer „Beschneidung“ die Rede sein kann, wird in moderner Apokalyptik nicht nur ein Stück Zukunft „abgeschnitten“; es handelt sich vielmehr um einen „Längsschnitt“ in der Perspektive auf die Welt und den Gang der Geschichte.

Von hier aus liegt die Pointe christlicher Apokalyptik auf der Hand. Sie versteht die erlebte Gegenwart keineswegs als rein innerweltliches Phänomen, vielmehr erscheint die Geschichte durch und durch eschatologisch eingefärbt. Taxacher fasst zusammen: „Apokalyptik ist Eschatologie, insofern sie die Weltgeschichte berührt, in sie hineinragt. […] Apokalyptik qualifiziert die Geschichte und die Gegenwart und damit insgesamt die Zeit eschatologisch“ (Taxacher, 2024, S. 77). Die Frage nach der Zukunft ist dabei von erstaunlich geringer Bedeutung (Kundert, 2024, dort insbesondere S. 84) und auch die Unterscheidung von Diesseits und Jenseits ist sekundär (Taxacher, 2024, S. 76). Apokalyptik geht es um die Herrschaft Gottes (Taxacher, 2024, S. 78) in Gegenwart und Zukunft, sei es innerweltlich oder transzendent. Als solches ist christliche Apokalyptik vor allem „Heilszusage: der Herr der Geschichte hält trotz allen Unheils das Heft des Handelns in der Hand“ (Theis, 2023, S. 2). So heftig die Krise auch sein mag – auch sie unterliegt letztlich dem Willen und dem Wirken Gottes (Taxacher, 2024, S. 77).

Ich fasse zusammen: Nicht der Blick in die Zukunft, sondern die Deutung der Gegenwart bildet den Kern einer jeden Apokalyptik. Im Fall der christlichen Apokalyptik ist diese Deutung eschatologisch eingefärbt; im Gang der Geschichte lässt sich die Herrschaft Gottes über diese Welt erkennen. Besonders reizvoll wird diese Perspektive nun aber durch die Konsequenzen, die daraus für die christliche Hoffnung gezogen werden. Auch in diesem Bereich lässt sich das Spezifikum christliche Apokalyptik besonders gut im Kontrast zu gängigen Formen säkularer Apokalyptik zeigen.

3.2 Apokalyptik als Hoffnung auf die Zukunft Gottes

Apokalyptik ist Deutung der Gegenwart und sie hat als solche einen unmittelbaren Mehrwert für das Erleben eben dieser (krisenhaften) Gegenwart – so jedenfalls lautet eine zentrale These, wenn es darum geht, Gründe für die momentane Attraktivität apokalyptischer Deutung zu benennen. Worin genau dieser Mehrwert besteht, darüber lassen sich wiederum unterschiedliche Vermutungen anstellen. Eine gängige Annahme ist, dass die apokalyptische Deutung von Krisen zugleich eine Form der Krisenbewältigung darstellt. Vondung spricht von der Apokalyptik als einem „Antidot“ gegen die erlebte Angst: „Indem das Entsetzliche ausgesprochen oder vor Augen gestellt wird, ist es zugleich dingfest gemacht und gebannt. Die Angst, der die Blindheit genommen wird, ist schon nicht mehr so übermächtig“ (Vondung, 2008, S. 194; vgl. auch Nagel, 2024, S. 22). Die Krise wird also in das apokalyptische Deutungsschema eingepasst, sie wird dadurch überschaubar und weniger beängstigend. In eine ganz andere Richtung verweist eine zweite gängige Annahme zur Attraktivität apokalyptischer Motive. Mit einem Begriff von Michael Balint ist in der Literatur auch von „Angstlust“ die Rede (Nagel, 2024, S. 26–27): Eine saturierte Gesellschaft braucht das „Gruseln“ und den Kitzel der Krise, um sich der eigenen Lebendigkeit zu vergewissern.

Welche der beiden Möglichkeiten die gegenwärtige Neigung zur apokalyptischen Deutung besser erklärt, sei dahingestellt. Für die vorliegenden Überlegungen ist entscheidend, dass Apokalyptik in beiden Fällen eine entlastende, gleichsam psychohygienische Funktion für die jeweils erlebte Situation hat. Ob Balsam für krisengeschüttelte Seelen oder Lebenselixier inmitten erdrückender Langeweile – in beiden Fällen mindert die apokalyptische Deutung den gegenwärtig empfundenen Leidensdruck.

Das ist im Rahmen christlicher Apokalyptik nur bedingt der Fall. Sie ist zwar Deutung der Gegenwart, als solches aber durch und durch auf die Zukunft ausgerichtet: „Der Apokalyptiker erwartet von der bestehenden Welt nichts mehr und von der zukünftigen alles“ (Schipper, 2008, S. 74). Denn eine wichtige Pointe christlicher Apokalyptik besteht gerade darin, dass Gott keineswegs über Krisen hinweghilft. Im Gegenteil: Es ist damit zu rechnen, dass Gott die Krise zulässt und forciert, um seinen Willen für diese Welt durchzusetzen. Es braucht gleichsam die Zerstörung, damit Gottes Zukunft anbrechen kann. Zwei Schlüsselzitate aus der Literatur verdeutlichen diesen Gedanken. So formuliert Taxacher: „Weil in der Welt nicht Gottes Wille geschieht, bedeutet das Kommen seines Reiches Gericht über diese Welt. Was die Rettung der Schöpfung ist, ereignet sich als Katastrophe der Welt“ (Taxacher, 2024, S. 79) und Körtner denkt in eine ganz ähnliche Richtung: „Die apokalyptische Vorstellungswelt führt uns zu dem Gedanken, dass Zerstörung unter Umständen nicht nur unvermeidlich, sondern auch heilsam und befreiend sein kann. Es gibt Verhältnisse und Lebensumstände, die nicht mehr verbesserungsfähig sind, sondern der Zerstörung preisgegeben werden müssen, damit Neues entstehen kann und neue Lebensmöglichkeiten gewonnen werden“ (Körtner, 2014, S. 103). Auch im „Gericht“ erweist sich letztlich Gottes Gnade, so der Kerngedanke. Das allerdings bedeutet, dass es für die unmittelbar erlebte Krise keine Linderung und keine Hoffnung auf Besserung geben kann, vielmehr muss die Katastrophe mit voller Härte ertragen werden.

Soweit – so missverständlich. Denn die bisherigen Überlegungen münden allzu leicht in eine apokalyptische „Lust an der Zerstörung“ (Vondung, 2008, S. 190): Wenngleich die Krise schmerzhaft ist, bleibt doch die stille Befriedigung, dass diese Welt gleichsam „kriegt, was sie verdient,“ und man selbst zu den Gerechten gehört, die auf verdiente Erlösung warten. Auch diese Art von lustvollen „Vernichtungsphantasien entlasten […] von Leidensdruck“ (Vondung, 2008, S. 190) und können eine Form der psychohygienischen Wirkung apokalyptischer Deutung sein. Christlicher Apokalyptik steht diese Denkmöglichkeit aber nur bedingt zur Verfügung. Ihr spezifischer theologischer Standpunkt ist in das Ganze der Eschatologie eingebunden, sodass die Wesensbestimmung einer jeden Krise fragwürdig bleibt: Manifestiert sich in der erlebten Krise tatsächlich das Gericht Gottes, das sich letztlich zum Guten vollzieht? Oder vielmehr die Abwesenheit oder die Ohnmacht Gottes? Oder ist die Krise ein Effekt des menschlichen Versagens und von daher eher dem Begriff der Sünde zuzuordnen? Mit all diesen Deutungen muss ernsthaft gerechnet werden, die erlösende Antwort ist der eschatologischen Zukunft Gottes vorbehalten. Deshalb ist selbstzufriedene „Lust an der Krise“ oder gar ein apokalyptischer Aktivismus, der „das Fallende stoßen und dem Ende nachhelfen will“ (Körtner, 1988, S. 303) keine akzeptable Option christlicher Apokalyptik. Der Umstand, dass die theologische Deutung der Krise notorisch ungewiss bleiben muss, kann hingegen die empfundene Not noch verschärfen: Zu der erlebten Krise gesellt sich mitunter noch die Glaubenskrise und die Angst vor der Katastrophe potenziert sich zur existentiellen Angst. Christliche Apokalyptik ist kein Gegenmittel gegen die Angst, sie lebt und glaubt mit der Angst (vgl. Körtner, 2001 sowie insgesamt Körtner, 1988, dort z.B. S. 37–40 und S. 81–87), und zwar in der Hoffnung auf Gottes Wirklichkeit in Gegenwart und Zukunft.

Der bisherige Gedankengang lässt sich wie folgt zusammenfassen: Christliche Apokalyptik deutet gegenwärtige Krisen im Licht der Wirklichkeit Gottes. Daraus erwächst aber keine Hoffnung für die unmittelbare Gegenwart, vielmehr muss die Krise ohne gedankliche oder tatsächliche Linderung ertragen werden. Die apokalyptische Hoffnung richtet sich ganz auf die erlösende Zukunft Gottes.

3.3 Apokalyptik als Handlungsoption

Moderne apokalyptische Deutungen sind attraktiv, weil sie helfen, Krisen zu bewältigen, so war eine zentrale These im vorangehenden Abschnitt. Diese Annahme ist v.a. deshalb plausibel, weil mit der apokalyptischen Deutung auch bestimmte Handlungsoptionen einhergehen – dies ist der Bereich der apokalyptischen Pragmatik (Nagel, 2008, S. 62–67 und Nagel, 2021a, S. 42–46). Wie die klassische Apokalyptik (Körtner, 2014, S. 101–103), so gründet auch die moderne Apokalyptik zunächst einmal in der Erfahrung von Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit. Beispielsweise hat die „erzwungene[…] Untätigkeit“ im Rahmen der Corona-Pandemie zu einem erkennbaren „Schub apokalyptischer Krisenhermeneutik geführt“ (Nagel, 2021, S. 76).

Moderne apokalyptische Deutungen verharren aber nicht im Zustand der Untätigkeit, sondern rufen zum Handeln. Moderne Apokalyptik ist aktivistische Apokalyptik (z.B. Nagel, 2008, S. 64). Sie nutzt „die drastische Bildsprache und den dramatischen Stil apokalyptischer Rede, um die Adressat*innen aufzurütteln und zum tätigen Eingreifen in das (Heils-)Geschehen zu bewegen“ (Nagel, 2021, S. 43). Worauf sich der Aktivismus im Einzelfall richtet, kann dabei sehr verschieden sein, grob lassen sich zwei Schwerpunkte erkennen: Entweder soll die Krise abgewendet werden, wie im Fall des Klimaaktivismus (Nagel, 2021, S. 96–105), oder man trifft Vorbereitungen, die Krise zu überleben, wie im Fall der Prepper-Szene (Nagel, 2021, S. 165–185). Die grundlegende Logik ist in beiden Fällen dieselbe: Die Krise wird durch menschliches Handeln überwunden. Hier dürfte m.E. der eigentliche Grund für die Attraktivität apokalyptischer Deutungsmuster liegen: Sie bieten eine Möglichkeit, sich inmitten der Katastrophe der eigenen Handlungsfähigkeit zu vergewissern.

Ordnet man diese Gedanken in den Bereich der Eschatologie, so lässt sich Mühlings Unterscheidung von „transport“ und „wayfaring“ aufgreifen (Mühling, 2024, S. 111–113). Es handelt sich hierbei um zwei ganz verschiedene Möglichkeiten, den Lauf der Geschichte zu deuten. Versteht man Geschichte im Sinn des „transport“, so lässt sich die Zukunft aktiv gestalten. Geschichtliche Prozesse verlaufen in dieser Perspektive nämlich nach bestimmten Regeln und sind diese Regeln erst einmal „offenbar“, so lässt sich der Gang der Dinge durch entsprechendes Handeln gezielt beeinflussen. Kontingenz im engeren Sinn ist in diesem Modell ausgeschlossen. Entwickeln sich Prozesse anders als gewollt, so liegt das an der mangelnden Kenntnis der zugrundeliegenden Regeln bzw. daran, dass Menschen die notwendigen Maßnahmen nicht ergreifen konnten oder wollten. Wie in einem Netzwerk lässt sich Geschichte so von Knotenpunkt zu Knotenpunkt bewusst weiterspinnen.

Der apokalyptische Aktivismus lässt sich unschwer in diese Logik des „transport“ integrieren: Es geht darum, durch zielgerichtetes Handeln den Gang der Geschichte zu beeinflussen. Dafür ist es wichtig, die Gesetzmäßigkeiten zu kennen, nach denen sich Prozesse – beispielsweise der Klimawandel – vollziehen, sodass anhand dieser Gesetzmäßigkeiten sinnvoll gehandelt werden kann (Mühling, 2024, S. 111–112).

Gerade diese Logik steht der christlichen Apokalyptik nicht zur Verfügung (Mühling, 2024, S. 113). Unter eschatologischen Gesichtspunkten verläuft die Geschichte eben nicht nach der Logik des „transport“, in der menschliches Handeln die Geschichte erkennbar lenken kann. Es findet sich „kein Rezept zur Herstellung des Reiches Gottes in eigener Vollmacht, als eine Art Projekt.“ (Taxacher, 2024, S. 81) Friede und Gerechtigkeit können und müssen „letztlich von Gott“ (Taxacher, 2024, S. 81) selbst realisiert werden – durchaus auch auf dem Weg der Krise, wie oben beschrieben. Die Bedeutung, die dem menschlichen Handeln zugeschrieben wird, verschiebt sich dadurch erheblich. Christliche Apokalyptik ist in ihrem Kern quietistisch (Körtner, 2014, S. 101–103), sie ruft nicht zum Handeln, sondern erduldet die Katastrophe (Nagel, 2021, S. 42). Die Situation der Ohnmacht wird hier also nicht durch eigenes Handeln überwunden, sondern in voller Tragweite empfunden und in der Hoffnung auf die Zukunft Gottes ertragen.

Hier liegt m.E. die größte (potentielle) Attraktivität christlicher Apokalyptik: Sie zollt der Erfahrung Rechnung, dass sich nicht jede Krise durch eigenes Handeln bewältigen lässt. Empfundene und tatsächliche Ohnmacht wird nicht wegdekliniert oder durch Handlungsappell übersprungen. Gleichzeitig handelt es sich zweifellos um einen besonders heiklen Aspekt: Wo liegt die Grenze zwischen dem apokalyptischen „Erdulden“ und der schlichten Trägheit? Wo bietet die Hoffnung auf Gottes Zukunft legitimen Trost – und wo beginnt die billige Vertröstung? Hier weiterzudenken halte ich für eine besonders reizvolle Aufgabe in der weiteren Standortbestimmung christlicher Apokalyptik. Eine interessante Spur könnte dabei sein, die quietistische Grundhaltung in einem weiteren eschatologischen Horizont zu verorten. Denn als Alternative zur Logik des „transport“ stellt Mühling das „wayfaring“ vor. Es ist diejenige Perspektive auf den Gang der Geschichte, die unter eschatologischen Gesichtspunkten Sinn ergibt (Mühling, 2024, S. 113). Das wayfaring versteht Geschichte nicht in Gesetzmäßigkeiten, sondern rechnet mit Kontingenz, es denkt nicht in Netzwerken zwischen A nach B, sondern als „Gewebe“. Dem menschlichen Handeln geht es wayfaring folglich nicht darum, bestimmte Ziele zu erreichen, vielmehr geht es darum, „die Ziele attentional von dem auf dem Weg Begegnenden zu empfangen, indem man in seiner eigenen Identität bestimmt und geformt wird“ (Mühling, 2024, S. 113, Hervorhebung im Original). Das wayfaring ist also nicht einfach nur ziellos und passiv, vielmehr besteht sein Ziel paradoxerweise darin, die eigenen Ziele empfangen zu wollen, anders formuliert: sich die eigenen Ziele von Gott zeigen zu lassen. Hier könnte der geistliche Kern christlicher Apokalyptik liegen: Ihre Haltung ist zwar quietistisch, als geistliche Lebensform ist sie aber überaus dynamisch, weil die Gewissheit über das rechte Tun und Lassen ungewiss bleibt und im Glauben kontinuierlich geprüft werden muss.

Zusammengefasst: Christliche Apokalyptik deutet Gegenwart und hofft auf Gottes Zukunft. Ihre Handlungslogik ist nicht das zielgerichtete Handeln, mit dem Menschen die Welt gestalten, sie vertritt vielmehr eine quietistische Grundhaltung. Als solches ist sie nicht mit Passivität und Trägheit zu verwechseln, sondern geht mit erheblicher geistlicher Dynamik einher. Wie das Wesen der Krise, so muss auch das rechte Handeln inmitten der Krise im Glauben und in der theologischen Reflexion stetig geprüft und überdacht werden.

4 Zusammenfassung und Fazit: Christliche Apokalyptik als attraktiver Standpunkt

Christliche Apokalyptik ist eine Form präsentischer Eschatologie. Sie geht davon aus, dass sich im gegenwärtigen Weltgeschehen die Wirklichkeit und der Wille Gottes zeigt. Daraus aber ergibt sich keine unmittelbare Hoffnung für die Krisen der Gegenwart, im Gegenteil: Aus der Perspektive christlicher Apokalyptik sind Krisen schlichtweg zu ertragen, weil sich auch in katastrophalen Ereignissen der Wille Gottes manifestieren kann. Dementsprechend ist die Handlungslogik christlicher Apokalyptik nicht der Aktivismus, sondern der Quietismus. Krisen sollen und können nicht durch menschliches Handeln überwunden werden, stattdessen werden sie ohnmächtig erduldet – in der Gewissheit, dass Gott selbst eine friedliche und gerechte Zukunft schaffen wird.

Folgt man dieser theologischen Standortbestimmung, ergibt sich für christliche Apokalyptik eine erhebliche Distanz zu modernen apokalyptischen Deutungen. Diese rechnen gerade nicht mit der Wirklichkeit Gottes, sondern denken säkular; ihre Attraktivität gründet maßgeblich darin, dass sie erlebte Krisen handhabbar erscheinen lässt, dafür spielt die Logik des apokalyptischen Aktivismus eine wesentliche Rolle. Gerade in dieser offenkundigen Spannung könnte sich christliche Apokalyptik in der Tat als attraktiver Orientierungspunkt für die öffentliche Debatte erweisen, denn sie bietet eine interessante Denkalternative für den Umgang mit existentiellen Krisen. Gerade weil sie nicht vorgibt, die Wucht der Krise zu lindern, deutet christliche Apokalyptik einen wichtigen Aspekt alltäglicher Erfahrung. Weil sie nicht der Illusion anhängt, jede existentielle Katastrophe ließe sich bewältigen – man müsse sich nur genügend anstrengen und an den Stellschrauben drehen –, zollt christliche Apokalyptik mancher empfundenen und tatsächlichen Ohnmacht angemessenen Tribut.

Ich halte den skizzierten theologischen Standpunkt deshalb für ein wichtiges und produktives Gegenüber zur verbreiteten säkularen, aktivistischen Apokalyptik. Ob sie als solches auch Gehör findet und als attraktiver Orientierungspunkt für eine breitere Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wie es einleitend als These intoniert wurde, bleibt freilich dahingestellt. In jedem Fall halte ich es für eine reizvolle theologische Aufgabe den beschriebenen Standort christlicher Apokalyptik weiter zu klären und so als plausibles Deutungsangebot zu profilieren. Dafür dürfte es insbesondere wichtig sein, apokalyptischen Quietismus als Handlungsoption und christliche Lebenshaltung theologisch redlich wiederzuentdecken bzw. neu zu formulieren.

Literaturverzeichnis

Körtner, U. H. J. (2001). „Um Trost war mir sehr bange“. Angst und Glaube, Krankheit und Tod. In U. Körtner (Hrsg.), Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema (S. 69–86). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener.

Körtner, U. H. J. (1988). Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Körtner, U. H. J. (2014). Die letzten Dinge (Theologische Bibliothek, 1). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Kundert, L. (2024). Keine Endzeitvorstellungen im Neuen Testament. In S. Ziermann (Hrsg.), Apokalypse ja bitte? Interdisziplinäre Perspektiven zur Bedeutung christlicher Endzeitvorstellungen für Kirche und Praktische Theologie (S. 83–94). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Löster, N. (2021). Arbeit mit apokalyptischen Bildern in der Katechese. KatBl, 164(3), S. 203–206.

Mühling, M. (2007). Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Mühling, M. (2024). „Das Ende ist nahe! – und das ist erst der Anfang…“ Eine kritische Betrachtung christlicher Endzeitfurcht und -hoffnung und ihre phänomenale Basis im Glauben. In S. Ziermann (Hrsg.), Apokalypse – ja bitte? Interdisziplinäre Perspektiven zur Bedeutung christlicher Endzeitvorstellungen für Kirche und Praktische Theologie (S. 107–116). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Nagel, A.-K. (2008). Ordnung im Chaos. Zur Systematik apokalyptischer Deutung. In A.-K. Nagel, B. U. Schipper & A. Weymann (Hrsg.), Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik (S. 49–72). Frankfurt am Main: Campus-Verlag.

Nagel, A.-K. (2021). Corona und andere Weltuntergänge. Apokalyptische Krisenhermeneutik in der modernen Gesellschaft (Kulturen der Gesellschaft, 48). Bielefeld: Transcript.

Nagel, A.-K. & Taxacher, G. (2021). Mehr Apokalypse wagen? Publik Forum,1, S. 30–34.

Nagel, A.-K. (2024). Die Faszination moderner Apokalyptik in soziologischer Perspektive. In S. Ziermann (Hrsg.), Apokalypse – ja bitte? Interdisziplinäre Perspektiven zur Bedeutung christlicher Endzeitvorstellungen für Kirche und Praktische Theologie (S. 19–27). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Polak, R. (2021). Die ‚Politik‘ der Apokalypse: praktisch-theologische Überlegungen. KatBl, 164(3), S. 179–184.

Schipper, B. U. (2008): Apokalyptik und Apokalypse. Ein religionsgeschichtlicher Überblick. In A.-K. Nagel, B. U. Schipper & A. Weymann (Hrsg.), Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik (S. 73–98). Frankfurt am Main: Campus-Verlag.

Taxacher, G. (2024). Wo spielt die Apokalypse? Eine Skizze zur biblischen, systematischen und politischen Hermeneutik eschatologischer Aussagen. In S. Ziermann (Hrsg.), Apokalypse – ja bitte? Interdisziplinäre Perspektiven zur Bedeutung christlicher Endzeitvorstellungen für Kirche und Praktische Theologie (S. 72–81). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Theis, J. (2023). Offenbarung des Johannes, bibeldidaktisch. URL: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/201097/ [Zugriff: 04.01.2024].

Vondung, K. (2008). Die Faszination der Apokalypse. In A.-K. Nagel, B. U. Schipper & A. Weymann (Hrsg.), Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik (S. 177–196). Frankfurt am Main: Campus-Verlag.

 

Dr. habil. Simone Ziermann, Pfarrerin in der Kirchengemeinde Warmensteinach/Fichtelgebirge.