„Ich kan nicht anderst/ hie stehe ich“ (WA 7, S. 838). Luther hat diese Worte wohl nachträglich für den Druck seiner Rede eingefügt (so Kaufmann, 2021, S. 280). Aufschlussreich ist die damit verbundene Begründungsfigur, die Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521 vorgetragen hat: „Nisi convictus fuero testimoniis scripturarum aut ratione evidente ... revocare neque possum nec volo quicquam, cum contra conscientiam agere neque tutum neque integrum sit [Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift(en) oder evidente Gründe der Vernunft widerlegt werde ...kann und will ich nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist.]“ (WA 7, S. 838). Die prägnanten Sätze sind Ausdruck einer grundlegenden und neuen Einstellung. Nicht die Autoritäten der Kirche und der Geschichte stehen an erster Stelle, sondern Schrift, Vernunft und Gewissen bekommen eine eigene entscheidende Dignität. Bis heute hat nicht nur Letzteres Einfluss auf unser Verständnis von religiösen Entscheidungen und religiöser Entschiedenheit – bis hinein in unser Verständnis von Religionspädagogik: Es gilt nicht die Tradition zu repetieren, sondern eigene Positionen in religiösen Belangen zu entwickeln und sie selbstkritisch zu reflektieren.
In der Religionspädagogik ist die Frage nach der eigenen Positionierung nicht neu. Sie überlagert sich mit der Frage, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene lernen können, Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen. So hat beispielsweise Gerhard Bohne in Anschluss an seinen pädagogischen Lehrer Eduard Spranger argumentiert, dass jeder Mensch in eine vorfindliche Kultur mit konkurrierenden Wertansprüchen hineinwachse, zwischen denen er wählen muss. In jedem Moment seines Lebens ist der Mensch daher in die Entscheidung (zwischen konkurrierenden Wertansprüchen) gestellt. Dem Religionsunterricht komme daher die Aufgabe zu, die Schüler:innen „in die Entscheidung“ zu rufen (Bohne, 1929, ³1964, S. 107). Mit der Neuausrichtung auf Schülerschaft und Gesellschaft in den 1970ern wurden die Akzente aus heutiger Sicht bei dieser Frage nur leicht verschoben. So ging Karl Ernst Nipkow im Zuge seiner Elementarisierung von der Erschließungserfahrung „elementarer Wahrheit“ aus (u.a. im Anschluss an Luther, Nipkow, 1988, S. 188); zwar konnte die Füllung derselben offen bzw. als Frage formuliert werden, erwartet wurde (und wird) jedoch eine individuelle Form der Verhältnisbestimmung, wobei der von außen herantretende Wahrheitsanspruch als „zünde[nd]“, „das Herz überführend“ erlebt werden kann bzw. sogar „erfahren werden muss“ (so Nipkow, 2002, S. 453).
Offen ist, wie sich ein solches religionsdidaktisches Anliegen zur Lebenswirklichkeit und den Haltungen der (heutigen) Adressat:innen verhält. Wann wird ein „gewissmachende[s] Wahre[s]“ (Nipkow, 2002, S. 453) tatsächlich in der beschriebenen Weise erlebt? Wann werden Positionierungen lieber vermieden? Folgen Entscheidungsprozesse pragmatischen Kriterien, sozialer Erwünschtheit (dem „Religionsunterrichts-Ich“) und/oder dem Wunsch nach Viabilität? Ist gar von einer „religiöse[n] Gleichgültigkeit“ zu reden wie in der EKD-Denkschrift „Religiöse Orientierung gewinnen“ (2014, S. 24)? Bemerkenswert ist der empirisch gewonnene Befund aus dem konfessionellen Religionsunterricht, wonach einerseits Lehrkräfte sich mit eigenen Positionierungen eher zurückhalten und stärker eine moderierende Rolle einnehmen (Reese-Schnitker, Bertram & Fröhle, 2022; Englert, 2014), während auf der anderen Seite Schüler:innen durchaus den Wunsch nach theologischer Problemdurchdringung um der eigenen Orientierung willen mitbringen (Reese-Schnitker, 2022). Die Frage nach Positionierungen sowohl der Schülerschaft wie der Lehrpersonen wird nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit neuen kooperativen Modellen des Religionsunterrichts zu diskutieren sein, deren pädagogischer Mehrwert ja gerade auch in einer konfessionsbezogen differenzierten Positionierungs- und Dialogfähigkeit besteht (Schröder/Woppowa, 2021). In weiterer gesellschaftlicher Perspektive kann ganz generell der religiöse wie weltanschauliche Pluralismus Kontexte übergreifend zu einer Verhältnisbestimmung zwischen einem (wie auch immer bestimmten) ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘, mithin zu identitätstheoretischen wie differenzhermeneutischen (Neu-)Justierungen herausfordern.
Im konkreten Unterricht zeigen sich religiöse Standpunkte in kreativer Arbeit, treten beim Theologisieren individuelle Sichtweisen zutage bzw. entwickeln Kinder und Jugendliche in performativen Proberäumen eigene Zugänge. Dabei steht weniger eine bewusste Wahl oder gar der Ruf in eine Entscheidung, die das Herz überführen kann, im Vordergrund, sondern oft eher ein (Sich-)Ausprobieren oder auch der Rückgriff auf Konventionen. Hieraus erwachsen mitunter heterogene und hybride Formen, bei der christliche Deutungsmuster beispielsweise mit Sprengseln ostasiatischer Herkunft (z.B. aus Mangas) oder bei Erwachsenen in der Gemeindearbeit mit Meditationstheorien aus Indien kombiniert werden. Generell stehen gerade Jugendliche dabei der religiösen Pluralität positiv gegenüber: Anhand empirischer Studien erhärtet sich der Eindruck, dass die persönliche Meinungs- und Glaubensfreiheit von der großen Mehrheit befürwortet wird und unterschiedliche Wahrheitsansprüche auch gleichzeitig Geltung beanspruchen dürfen (Wissner et. al., 2020; Schwarz, 2019).
Im Blick auf die beschriebenen Fragen und Erfordernisse liegt es nahe, sich dem Thema der Positionierung mehrperspektivisch anzunähern. Entsprechend wurde vom 9. bis 11. September in Erfurt zu einer gemeinsamen Tagung des Arbeitskreises Gemeindepädagogik und der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik in Kooperation mit der vrk-Akademie eingeladen, deren Ergebnisse mit dieser Ausgabe von Theo-web publiziert werden. Zu den vorgetragenen Perspektiven gehören sowohl eine religionsphilosophische als auch eine empirisch auf Positionierungsprozesse zielende Sichtweise, des Weiteren ein machtsensibler und ein pluralitätsbewusster Blick; eine Reihe von Beiträgen beruht auf Workshops, die praktische und professionstheoretischeAspekte bei Positionierungen bedenken. Den Abschluss bildet eine Auseinandersetzung mit der Konfessionsfrage.
Das Spektrum der Beiträge zeigt eindrücklich die Vielschichtigkeit und Multiperspektivität der Thematik auf. Als eines der konvergierenden Momente tritt in den unterschiedlichen Artikeln ein Bewusstsein von inneren wie äußeren Grenzen hervor: Erstens gilt es im dialogischen Modus der Positionsfindung, den Anderen – nicht zuletzt in seiner Fremdheit und Widerständigkeit – nicht zu vereinnahmen, sondern Differenzen auszuhalten. Zweitens vollzieht sich die Positionierung in einem Prozess der Entgrenzung, d.h. der Perspektiv- und Horizonterweiterung von bisherigen Standpunkten. Die Kehrseite ist jedoch, so der dritte Aspekt, das Eingeständnis der eigenen Begrenztheit – sei es eine epistemische Demut, seien es schwer wandelbare Dispositionen und Einstellungen oder eine didaktische Bescheidenheit, durch Lernarrangements Positionierungsprozesse bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen überhaupt beeinflussen und steuern zu können.
Als Inhaber der Martin Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophiestellt Christian Wiese zu Anfang jüdische Philosophenmit ihrem Beitrag zur Positionalitätvor. Erbeziehtsich dabei u.a. auf das 2017 bis 2021 vom Land Hessen geförderte Verbundforschungsprojekt „Religiöse Positionierung“ (www.relpos.de), das sich mit Positionierungsprozessen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten beschäftigt hat und an dem Wissenschaftler:innen aus der Soziologie, Theologie, Judaistik, Islam-, Religions- und Erziehungswissenschaft sowie der evangelischen und islamischen Religionspädagogik beteiligt waren. Am Beispiel von Martin Buber, Joseph Soloveitchik, Abraham J. Heschel und Menachem Fisch macht er in seinem Beitrag deutlich, dass die facettenreichen Auseinandersetzungen der jüdischen Religionsphilosophie mit religiöser Differenz und Pluralität im 20. Jahrhundert die aktuellen religionspädagogischen Diskurse zu diesem Thema bereichern und interdisziplinär vertiefen können.
Imheuristischen Gegenüber zur philosophiegeschichtlichen Betrachtung steht als Zweites ein empirisch orientierter Beitrag. Stefanie Lorenzen zeigtzunächsteineSpannung auf zwischen der konzeptionell erwünschten Positionalität auf der einen und der faktischen positionellen Zurückhaltung von Lernenden und Lehrenden auf der anderen Seite, um dann der Frage nachzugehen, wie Positionierung „sozial“ funktioniert,undsodas Positionierungskonzept religionspädagogisch zu weiten. Unter Rückgriff auf empirische Forschung betont Lorenzen die positionsbedingende Interaktion zwischen Individuen und religiös-weltanschaulich orientierenden Kontexten und identifiziert für Positionierungsprozesse bedeutsame aufgeladene Wirkzentren.
Ein spezifischer, aber umso bedeutungsvollerer Aspekt der Kontexte verbirgt sichhinter der Frage der Deutungsmacht. Martina Kumlehn beleuchtet in ihrem Beitrag Prozesse der Positionierung aus deutungsmachttheoretischer Perspektive, wodurch sie deren Kontextbedingungen, kommunikativen Strategien und Aushandlungsdynamiken aufzuzeigen vermag.Zielpunkt sei die Ausbildung einer reflektierten Positionalität, die die Wirkungsweise von akteursbezogener wie modaler Macht der Deutungen erkennt, Perspektivenwechsel zulässt und um die Grenzen der Wandelbarkeit von verinnerlichten Haltungen und Standpunkten weiß. Angesichts von sich überlagernden Krisenerfahrungen, die die Unverfügbarkeit und Vulnerabilität des Lebens offenlegen, sei im Religionsunterricht eine deutungsmachtsensible und transzendenzbewusste Begleitung von prinzipiell offenen Positionierungsprozessen geboten.
Eine andere Facette der Kontexte bildet die religiöse Pluralität unserer Gesellschaft mit ihren ganz eigenen Begründungs- und Positionierungszusammenhängen. Der Beitrag von Andreas Obermann entfaltet Motive und Perspektiven, die hinter dem von einer interreligiösen Forscher:innen-Gruppe erarbeiteten Diskussionspapier „Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer Pluralistischen Religionspädagogik“ stehen. In diesem Projekt werden, ausgehend vom Ansatz der pluralistischen Religionstheologie, Grundlagen und Möglichkeiten für einen gemeinsam verantworteten zukünftigen Religionsunterricht erörtert und in einem Sammelband kritisch diskutiert. Obermann fokussiert hier diese Linien um den Gedanken der „Inklusivität Gottes“ (Ephraim Meir), dem Heschels Konzept der Tiefentheologie an die Seite gestellt wird. Die daraus folgenden Maximen für den interreligiösen Dialog auf pluralistischer Basis summiert Obermann mit Catherine Cornille und vermittelt für die religionspädagogische Organisation und Praxis einen weitenden Blick auf die Konzepte in England, deren Anregungen für den deutschsprachigen Diskurs stärker berücksichtigt werden sollten.
Die in England virulente Frage der Objektivität und Neutralität der Lehrkräfte beinhaltet auch Aspekte, die die hiesige Form des Religionsunterrichts berühren. Unter der Frage: „Was heißt hier Neutralität?“geht Juliane Ta Vaneiner Grundfrage der Positionierung im Religionsunterricht nach. Ta Van zeigt in ihrem Beitrag einerseits, dass eine Positionierung der Lehrperson selbst bei herausfordernden Äußerungen der Schüler:innen nicht zwingend als notwendig erscheinen muss. Andererseits betont sie, dass auch die Entscheidung, sich zu herausfordernden Äußerungen von Kindern wie auch Jugendlichen nicht zu verhalten, von den Schüler:innen als Positionierung wahrgenommen wird. Ta Van folgert daraus, dass Lehrkräfte im konkreten Rahmen der an sie herangetragenen Erwartungen keine neutrale Position einnehmen können.
Die Konkretionen für den Unterricht und die Rolle der Lehrkraft bestimmen auch die weiteren Beiträge. Transparenz,aber in Maßen, positionell konfessionsbewusst und zugleich moderierend – die Erwartungen an Lehrkräfte in Sachen religiöse Positionalität und damit verknüpfte Ausbildungsfragen sind vielfältig. Rainer Merkelgeht diesen in zweiAbschnittennach. Im erstennimmt erdie Komplexität der Rollenaufu.a. mit den genannten gegenläufigen Anforderungenundmitder Notwendigkeit, diese auszutarieren. Im zweiten Teil geben grundlegende Überlegungen und eine Tabelle, die in einer Göttinger Arbeitsgruppe zusammengestellt wurde, einen hilfreichen Überblick über Aspekte, die auf diesem Feld in Studium und Referendariat gefördert werden können.
Ralf Fischer und Felicitas Held vergleichen in ihrem Artikel zur Konfirmandenarbeit zunächst die Positionierungen von Haupt- und Ehrenamtlichen mit Hilfe der Wertfeldanalyse. Dann werden Aspekte zur Positionierung der Konfirmand:innen, die sich aus Ergebnissen der bundesweiten Konfirmandenstudien ergeben, in den Blick genommen. Schließlich folgen Beobachtungen dazu, wie sich die Form der Konfi-Arbeit auf die Positionierung der Konfirmand:innen auswirkt.
Doch auch die Seite der Schüler:innen will bedacht sein:Der gemeinsam vonDavid Käbisch und Laura Philipp verantwortete Artikel über „Positionierung im Ethik- und Religionsunterricht“ steht im Kontext des vom LOEWE-Programm des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsschwerpunkts „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ (s.o.). Am Beispiel von Positionierungsaufgaben aus Schulbüchern für den Ethik- und Religionsunterricht, die im Zentrum des Dissertationsvorhabens von Laura Philipp stehen, wird deutlich, dass Lernaufgaben unterschiedliche „Etappen“ in einem facettenreichen Positionierungsprozess repräsentieren. Stärker, als es in dem Überblicksartikel zu dem religionspädagogischen Teilprojekt im RelPos-Verbund möglich ist, wird in der Dissertation ausführlich und im interdisziplinären Gespräch begründet, warum unterschiedliche kognitive Komplexitätsstufen, Transferleistungen und Teilprozesse (z.B. urteilen, entscheiden und argumentieren) im Prozess des Sich-Positionierens zu unterscheiden sind.
Um hierfür zu sensibilisieren, ist auch die Ausbildung von Lehrkräften ins Auge zu fassen: Norbert Brieden stellt die Frage, wie Studierende in religionspädagogischen Lehrveranstaltungen zur Positionierungsarbeit herausgefordert werden können. Mit der Darstellung der epistemologischen Grundlegung einer konstruktivistischen Religionsdidaktik, die im Gespräch mit verschiedenen konstruktivistisch argumentierenden Ansätzen entwickelt wird, bietet er ein Werkzeug, mit dem eine epistemologische Aufmerksamkeit für die Vielfalt von Wahrheitsansprüchen und den Umgang mit Paradoxien eingeübt werden kann. So werden angehende Lehrpersonen zur eigenen Positionierung und zugleich zu kritischen Urteilen über Medien für den Unterricht und das eigene Verhalten in schwierigen Unterrichtssituationen befähigt – und sie konkretisieren epistemische Demut, wenn sie zugleich erfassen, dass immer auch Anderes möglich wäre.
Tanja Gojny stellt das Verhältnis zur Vocatio als Anforderungssituation für unterschiedliche Positionierungstypen von Lehrkräften zur Diskussion. Hierzu ordnet sie die Kirchliche Bevollmächtigung zunächst historisch, rechtlich wie theologisch ein und verweist auf bekannte Positionierungstypen von Religionslehrkräften. In der Diskussion zeigt sich, dass die Rolle der Vocatio zur Selbstpositionierung zwischen Kirche und Schule herausfordert und auch kontextabhängig kontrovers diskutiert wird. Gojny plädiert vor dem Hintergrund sowohl für theoretische Klärungen des beruflichen/amtlichen Spezifikums von Religionslehrkräften wie für religiöse Bildungsangebote zur unterstützenden Reflexion des Berufes.
Der vonDavid Käbischverfasste Beitrag „Religiöse Positionierung und kirchliche Bildungsangebote“ steht ebenfalls im Kontext des hessischen Exzellenzprojektes RelPos, bezieht die Fragestellung jedoch auf die seit 1972 durchgeführten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Artikel beschreibt darüber hinaus religionspädagogische Leerstellen und Wahrnehmungslücken der bisherigen KMUs und macht deutlich, dass Fragen zum Partizipationsverhalten an kirchlichen Bildungsangeboten Eingang in die im Herbst 2022 durchgeführte KMU VI gefunden haben, darunter eine Reihe neuer Fragen zum Religionsunterricht und zur Konfirmand:innenarbeit. Abschließend steht das von Carsten Gennerich und David Käbisch verantwortete religionspädagogische Begleitprojekt im Zentrum der Darstellung. Eswird nicht nur das Wissen über die Wertorientierungen und Welterschließungsperspektiven von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erweitern, sondern auch dabei helfen, das religionspädagogische Profil der laufenden KMU zu schärfen.
Der Beitrag von Katharina Muth untersucht, im Anschluss anihrejüngst erschienene Dissertation, Positionierungsaufgaben im Abitur Evangelische Religion. Die Ergebnisse zeigen an, dass es bislang an klaren Bewertungskriterien für entsprechende schriftliche Leistungen fehlt, nicht zuletzt hinsichtlich der gebotenen Kontroversität: „Blickt man in die Erwartungshorizonte der untersuchten Abituraufgabenstellungen, die von den Prüflingen eine Positionierung fordern, so bleibt der Umgang mit non-konformen Meinungen meist eine Leerstelle. […] Multiperspektivität wird nicht explizit gefordert oder bedacht.“ Um diese und weitere Lücken zu schließen, entwickelt Muth sechs Qualitätsmerkmale, die Lehrer:innen bei der Beurteilung von Positionierungsaufgaben leiten und entlasten können.
In seiner Morgenandacht grenzt sich Jonathan Kühn von vereinfachenden Schwarz-Weiß-Mustern und eindeutigen Stellungnahmen ab, wie sie beispielsweise das damalige DDR-Agitationslied „Sag mir, wo du stehst“ einforderte. Eingedenk der gesellschaftlichen Pluralität sollte für den Religionsunterricht, wie für die Alltagspraxis überhaupt, das Prinzip der Ambiguität leitend sein. Hiernach gelte es, die Akteur:innen darin zu bestärken, selbst begründete, differenzierte Positionen zu entwickeln und wechselseitigen Respekt beim Meinungsaustausch einzuüben.
Als Vertreter der katholischen Religionspädagogik übernahm Jan Woppowa am Ende der Konferenz die Aufgabe, das auf der Tagung diskutierte und ausdifferenzierte Themenfeld von Positionalität und Positionierung zu systematisieren und u.a. auf den schulischen Religionsunterricht zu beziehen. Auf der normativen Ebene der Curricula sollen Positionierungsprozesse seiner Wahrnehmung nach häufig als identity marker fungieren und die Konfessionalität des Unterrichts gewährleisten. Empirische Unterrichtsbeobachtungen machen demgegenüber deutlich, dass auch bei diesem Thema Differenzen zwischen Theorie und Praxis, d.h. zwischen der normativen Ebene und dem faktischen Unterrichtshandeln bestehen. Die Positionalität von Lehrenden und Lernenden lasse sich daher kaum entlang konfessioneller oder religiöser Bindungen bestimmen, sondern folge subjektiven Überzeugungen und Erfahrungen. Woppowa plädiert daher am Ende seines Beitrags dafür, Positionalität stärker als existenzielle Haltung oder individuellen Habitus zu beschreiben und der Spiritualität von Lehrerinnen und Lehrern mehr Aufmerksamkeit u.a. in der Aus- und Fortbildung zu schenken.
Der Habitus von Luthers „hie stehe ich“ hat seine unbestreitbare Wirkkraft, deren Bedeutung für religiöse Positionierungen wenigstens in Mitteleuropa bis heute außer Frage steht. Für Lernende wie Lehrende stehen hier und heute jedoch zunächst vielfach Klärungen am Anfang, welche religiösen Positionierungsfragen einen tieferen Einstieg wert sind und was die Beschäftigung mit ihnen austrägt. In der Gesamtbetrachtung von religions- und gemeindepädagogischen Zugängen werden dabei auch Forschungsdesiderate und die Notwendigkeit vermehrter Brückenschläge zwischen schulischer und außerschulischer (religiöser) Bildungsarbeit deutlich. In welchem Verhältnis stehen beispielsweise die religiösen ‚Profis‘ (Religionslehrer:innen, Gemeindepädagog:innen, Pfarrer:innen, Erzieher:innen etc.) als Vorbilder für und Anreger:innen von Positionierungsprozessen zueinander? In welcher Weise sind sie gegenüber der Institution Kirche und der christlichen Tradition oder sogar der evangelischen Konfession verpflichtet? Wie lassen sich Schule und kirchlich-diakonische Einrichtungen, aber auch die Familien und Soziale Medien als unterschiedlich gestaltbare Lern- und Lebensorte miteinander verschränken?
Auf dem Weg zu diesen Klärungen konnte die Konferenz in Erfurt ganz unterschiedliche Perspektiven und hermeneutische Ansatzweisen aufzeigen.
Karlo Meyer, Christian Mulia, Susanne Schwarz mit den weiteren Vorstandsmitgliedern Desmond Bell, Moritz Emmelmann, Gotthard Fermor, Ralf Fischer, Felicitas Held und David Käbisch für die Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik und den Arbeitskreis Gemeindepädagogik sowie Georg Hofmeister für die vrk-Akademie
Literaturverzeichnis
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Wissner, G., Nowack, R., Schweitzer, F., Boschki, R. & Gronover, M. (Hrsg.) (2020). Jugend – Glaube – Religion. Teil: 2. Neue Befunde – vertiefende Analysen – didaktische Konsequenzen. Münster: Waxmann.