1 Sprache im Religionsunterricht
Dass ein entscheidender Zusammenhang zwischen Schulerfolg und Sprache besteht, konnten bereits zahlreiche Studien herausarbeiten (Sachverständigenrat, 2016; Harren, 2015; Morek & Heller, 2012; Feilke, 2012; Dehn, 2011; Gogolin, 2010). Sprache übernimmt in der Schule nämlich mehrere wichtige Funktionen: Sie ist Medium der Wissensvermittlung. Aber auch bei der Leistungsbeurteilung spielt sie eine große Rolle, wenn sprachliche Produkte, d.h. die sprachliche Performanz, als Ausdruck der fachlichen Kompetenz bewertet werden. Mit der Sprache wird außerdem noch der gesamte schulische Alltag in der sogenannten classroom language (Feilke, 2012, S. 7) organisiert (Anweisungen, Anleitungen, Begrüßungen, Nachfragen usw.). Vor allem ist Sprache aber auch immer Lerngegenstand, nicht zuletzt im Religionsunterricht. Religiöse Sprache ist vielschichtig, sie ist mehrdeutig und kulturell abhängig (Altmeyer, 2014, S. 171). Sie ist abstrakt, nicht greifbar, ihre Inhalte oft auch nicht vereinbar mit der Vernunft. Hinzu kommt, dass sie fern ist vom alltäglichen Sprachgebrauch, sodass sie veraltet, ungewohnt und fremd wirkt, für viele ist sie wie eine Fremdsprache (Schwarz-Boenneke, 2018; Altmeyer, 2011). Durch Sprache wird aber das Religiöse überhaupt erst erfahrbar und greifbar(er). Denn das, was dem Menschen an Religiösem zur Verfügung steht, ist sprachlich tradiert und gilt in seiner Bedeutung in einem historischen wie auch aktuellen Kontext für jedes Individuum selbst zu entschlüsseln. Somit stellt religiöse Sprache ein „Mittel zur Ausbildung religiöser Sinnhaftigkeit“ (Altmeyer, 2014, S. 155) dar. Erst durch Sprache wird Religion „denkbar“ gemacht (Breul, 2018, S. 5) und durch die Beschäftigung mit dieser die „Bedingung der Möglichkeit für spirituelles Lernen“ (Ulfat, 2019, S. 188) geschaffen. Wie beim Erstspracherwerb muss auch religiöse Sprache als eigene Sprachvarietät erworben werden. Danilovich (2017, S. 27) spricht dabei vom Erwerb einer „religiösen Muttersprache“. Jede Religion (und auch Konfession) hat ihre eigene Sprache, ihre eigenen Handlungen und Riten. So sind im deutschsprachigen Raum bestimmte sprachliche Wendungen, wie z.B. „ein Gebet verrichten“, typisch für eine bestimmte religiöse Sprache, in diesem Fall in der islamisch-deutschen Sprache, wohingegen die Bezeichnung „Gottesdienst“ viel stärker im christlich-deutschen Sprachgebrauch Verwendung findet.[1] Auch wenn beide Handlungen und Begrifflichkeiten in beiden Religionen vorhanden sind, so ist der sprachliche Gebrauch doch spezifisch für die jeweilige Religion. Wörter können außerdem je nach Religion unterschiedliche Bedeutungen tragen, die durchaus auch gegensätzlich sein können, d.h. das gleiche Wort bezeichnet in den unterschiedlichen Religionen ein anderes Konzept: Während das islamische Konzept des Monotheismus die absolute Einheit und Einzigartigkeit Gottes ausdrückt, ist nach christlichem Verständnis die Trinität Gottes durchaus mit dem Monotheismus vereinbar.
Interessant ist der Vergleich der unterschiedlichen religiösen Sprachen nicht nur im engeren sprachlichen Sinne (Lexik, Grammatik). Wie beim (Erst-)Spracherwerb müssen beim Erwerb der religiösen Sprache auch religiöse Handlungen, deren Bedeutungen und Einsatz erlernt werden (z.B. Ikonenkuss beim Betreten der Kirche, Kruzifix-Kuss am Karfreitag, die Sajda (Niederwerfung), Haltung der Hände während des Bittgebets usw.). Die religiöse Sprache wird zunächst – wie auch beim Erstspracherwerb – im Alltag erfahren. Sie entspricht noch nicht der Komplexität der religiösen Fachsprache und muss im Fachunterricht differenziert, erweitert und vertieft werden. „Wenn man annimmt, dass Lernende durch Vorerfahrungen mit Alltagsbegriffen ausgestattet sind und diese in den Fachunterricht einbringen, fällt diesem folglich die Aufgabe zu, den Übergang von Alltagsbegriffen zu wissenschaftlichen Begriffen zu leisten, und zwar innerhalb einer durch die jeweilige Lerngruppe konstituierten Sprachgemeinschaft.“ (Breidbach, 2007, S. 115) Somit besteht eine zentrale Aufgabe des Religionsunterrichts darin, u.a. die religiöse Sprache in ihrer (Konfessions-)Spezifik sowohl rezeptiv als auch produktiv explizit auszubilden, als expliziten Lerngegenstand im Unterricht transparent zu vermitteln, praktisch einzubauen und die Unterschiede zu anderen Sprachvarietäten (z.B. der naturwissenschaftlichen Sprache) herauszuarbeiten, um schließlich den Umgang mit ihrer Rhetorik und stilistischen Form zur Erschließung religiöser Aussagen zu ermöglichen. Dafür sind geeignete sprachbildende Maßnahmen notwendig.
2 Bedeutung des Gegenstands für den Unterricht und die Schülerschaft
Religionsunterricht ist – wie auch jedes andere Fach – also immer Sprachunterricht. Eine Besonderheit stellt der Islamische Religionsunterricht (IRU) dar, der viele sprachliche Lerngelegenheiten bietet, aber gleichzeitig auch aufgrund diverser Gründe, die im Folgenden aufgeführt werden sollen, für viele Schüler*innen eine große Herausforderung darstellt. Am IRU nehmen in Deutschland laut einer Umfrage rund 60.000 Schüler*innen an insgesamt 917 Schulen teil (Mediendienst-Integration, 2020, S. 5). Der Großteil dieser Schüler*innen hat einen Migrationshintergrund und/oder eine andere Familiensprache als Deutsch. Sie entstammen unterschiedlichen religiösen Richtungen (Sunniten, Schiiten, Ahmadiyya, Sufische Strömungen usw.), aber auch unterschiedlichen Rechtsschulen (Hanafi, Schafi usw.) und nehmen am gleichen Religionsunterricht teil (Yavuzcan, 2017, S. 178). Neben den unterschiedlichen Sprachen der Schüler*innen ist der Unterricht durch einen steten Wechsel zwischen Bildungs- und Alltagssprache gekennzeichnet. Denn, während religiöse Inhalte in bildungssprachlicher Form vermittelt bzw. rezipiert werden, wird die Relevanz des Inhalts für das Individuum oft in Alltagssprache konstruiert. Das bedeutet, religiöses Lernen wird mit persönlichen und lebensweltlichen Erfahrungen in Bezug gesetzt, sodass dafür die Alltagssprache als subjektive, emotionale und vertraute Sprache herangezogen wird (Altmeyer 2021, S. 21–23). Dieser funktionale Wechsel und Gebrauch beider Sprachvarietäten kann durchaus zu Schwierigkeiten im Unterrichtskontext führen. Einen wichtigen und herausfordernden Teil der Bildungssprache stellt die Fachsprache, die religiöse Sprache, dar. Religiöse Sprache wurde in den letzten Jahrzenten in der christlichen Religionspädagogik und -didaktik bei Schüler*innen zunehmend als defizitär wahrgenommen. Es ist die Rede von einer religiösen Sprachlosigkeit, einem religiösen Sprachverfall oder einer Unfähigkeit mit religiösen Begrifflichkeiten umzugehen (Schwarz-Boenneke, 2018; Kohlmeyer, 2018; Halbfas, 2012; Altmeyer, 2011; Ziebertz, Kalbheim & Riegel, 2003). „Religiöse Sprache ist für viele zur Fremdsprache geworden; sie wird nicht mehr von allen gesprochen und mitunter auch nicht mehr von vielen verstanden.“ (Schwarz-Boenneke, 2018, S. 152). Diese Sprachunfähigkeit scheint auch bei muslimischen Kindern und Jugendlichen vorzuliegen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Laut Uçar (2011, S. 197–198) fehle es muslimischen Schüler*innen im Unterricht wie auch im Alltag oft an deutschem Vokabular, da die religiöse Sozialisation meist in ihrer Familiensprache stattfindet. Sie „tun sich schwer, wenn sie über den Islam Rede und Antwort geben möchten“ (Yavuzcan, 2017, S. 184), sodass das Unterrichtsgespräch oft von Ausdrucksschwierigkeiten und auch von Codeswitching vom Deutschen in die Familiensprache gekennzeichnet ist. Dies kann auf der einen Seite auf einen allgemeinen Mangel an bildungssprachlichen Fähigkeiten von bildungsbenachteiligten Schüler*innen zurückgeführt werden (vgl. Kapitel 4). Auf der anderen Seite wird dieses Phänomen – auch wenn nicht explizit – auf die Spezifik religiöser Inhalte und Sprache bezogen. Es ist die Rede von einer vermeintlich „religiösen Halbsprachigkeit“ (Arslan, 2011, S. 201). Empirische Studien, die zum einen die Sprachspezifik der religiösen Sprache im IRU analysieren und mögliche Hürden beim Erwerb dieser untersuchen, gibt es bisher jedoch keine. Auch wenn sowohl in der christlichen als auch in der islamischen Religionsdidaktik von einer religiösen Sprachlosigkeit die Rede ist, so besteht doch ein entscheidender Unterschied in der lebensweltlichen Relevanz der Thematik: Denn die Aktualität und Relevanz religiöser Themen im Leben muslimischer Kinder und Jugendlicher scheint Umfragen zufolge viel höher zu sein als für christliche Heranwachsende. Der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ (MLD, 2020) zufolge geben 81,5 % der Muslim*innen mit Migrationshintergrund (ab dem 16. Lebensjahr) an, „stark gläubig“ bis „eher gläubig“ zu sein. Nur 18,6% geben an, „eher nicht gläubig“ bis „gar nicht gläubig“ zu sein. Im Vergleich dazu geben nur 55,1% christlicher Personen ohne Migrationshintergrund an, „stark gläubig“ bis „eher gläubig“ zu sein und 44,8% „eher nicht gläubig“ bis „gar nicht gläubig“ zu sein (MLD, 2020, S. 82–83).[2] Ein noch deutlicheres Bild zeigen die Shell-Jugendstudien (z.B. 2019; 2010): Während nur 31% der christlichen Jugendlichen in Deutschland an einen Gott oder eine überirdischen Macht glauben, hat für 73% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, von denen die Mehrheit der Befragten muslimischen Glaubens ist (Wolfert & Quenzel, 2019; Yavuzcan, 2017, S. 173), Gott oder eine überirdische Macht eine größere Bedeutung. Longitudinal betrachtet (2002–2019) ist bei christlichen Jugendlichen eine Abnahme zu beobachten, während bei muslimischen Jugendlichen eine deutliche Zunahme des Glaubens an Gott zu verzeichnen ist (Wolfert & Quenzel, 2019, S. 153), was religionsdidaktisch und auch in sprachlicher Hinsicht vor allem in Bezug auf die Theorie der Relevanzkonstruktion (Englert, Hennecke & Kämmerling, 2014, S. 58–60) durchaus von Interesse ist. Aufgrund der persönlichen und gesellschaftlichen Aktualität und der ständigen medialen und gesellschaftlichen Kritik und Präsenz des Islams sind muslimische Kinder und Jugendliche viel öfter kommunikativen (insbesondere argumentativen) Situationen ausgesetzt als beispielsweise christliche Heranwachsende. Sie geraten oft nicht zuletzt durch auftretende Ereignisse in Erklärsituationen, in denen erwartet wird, dass sie hinsichtlich ihrer Religion und ihrer Zugehörigkeit Stellung beziehen. Nach Gerlach (2006) hat Religion im Leben von vielen Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland zudem einen entscheidenden Einfluss auf die Identitätsfindung und Persönlichkeitsentwicklung und stellt eine Möglichkeit dar, das Deutschsein mit den eigenen Wurzeln zu vereinbaren (vgl. auch Uçar, 2011). Auf dieser Grundlage ist anzunehmen, dass für muslimische Kinder und Jugendliche zwar eine persönliche und gesellschaftliche Bedeutung besteht, über Religiöses zu sprechen, sie allerdings aufgrund sprachlicher Barrieren und angenommener Sprachlosigkeit nicht fähig sind, dies zu tun (Uçar, 2011, S. 197; Yavuzcan, 2017, S. 184), was einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Konfessionsgruppen darstellt. Gerade deshalb erscheint der IRU die geeignete Plattform zu sein, den Schüler*innen die nötigen Ressourcen für ihre sprachliche wie auch persönliche Entfaltung zu bieten. Die religiöse Sprachlosigkeit von muslimischen Kindern und Jugendlichen ist unter Berücksichtigung weiterer unterschiedlicher Faktoren sowie im gesamten Sprachbildungsdiskurs empirisch weiter zu durchleuchten und v.a. auch von der christlich religiösen Sprachlosigkeit durchaus gesondert zu betrachten, da, wie bereits erläutert, v.a. die lebensweltliche Relevanz, die Notwendigkeit oder auch das Bedürfnis, über religiöse Themen zu kommunizieren, anders zu gewichten ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Schülerschaft im IRU hinsichtlich ihrer Erstsprachen, ihrer religiösen und sprachlich-religiösen Sozialisation, ihrer religiösen Vorstellungen sowie Ausrichtungen äußerst heterogen ist (Spielhaus, 2018, S. 102). Für sie hat der Ausdruck ihrer Religiosität zwar eine hohe gesellschaftliche wie persönliche Bedeutung, sie scheitern aber an ihrer Sprachkompetenz: Sie wollen, können aber oftmals nicht über Religiöses in deutscher Sprache sprechen. Hinzu kommen die sprachlichen Anforderungen des IRU, die im Folgenden dargelegt werden sollen.
3 Sprachliche Anforderungen im IRU
Wie im vorherigen Abschnitt aufgeführt, ist religiöse Sprache äußerst komplex, abstrakt und symbolhaft. Die Sprache im IRU ist außerdem noch stark geprägt vom Arabischen, Türkischen und Persischen. Primärquellen liegen als Übersetzungen vor, auch in vereinfachter Sprache (z.B. Kaddor & Müller, 2010). In diesen treten oftmals – u.a. aufgrund von Fehlübersetzungen in Lexik oder Grammatik – der islamischen Lehre widersprechende und verzerrende Aussagen und Missverständnisse auf. So werden bspw. bedeutungsunterscheidende Begriffe synonym gebraucht (z.B. dieFrevler – die Ungerechten), Konjunktionen falsch übersetzt (und – dann) und auch Modalitäten (aktiv / passiv) nicht unterschieden (z.B.: Gepriesen sei der, der mit seinem Diener […] reiste“ anstatt „der seinen Gesandten reisen ließ“ [Alphan, 2011, S. 216–217]). Außerdem kann eine Übersetzung der Bedeutungsvielfalt sowie der ästhetischen Dimension koranischer Aussagen, die an die sprachliche Form des Arabischen stark gebunden ist, nicht gerecht werden, sodass wichtige Aspekte der Rezeption (wie z. B. die emotionale Dimension) in der Übersetzung verloren gehen (Abdel-Rahman, 2021, S. 134–136). Viele im IRU verwendeten Fachbegriffe sind aus dem Arabischen entlehnt, teils aufgrund einer fehlenden lexikalischen Entsprechung im Deutschen (lexikalische Lücke) oder auch aufgrund einer Abweichung zur christlichen Bedeutung oder Prägung (z.B. Schicksal vs. Al-Qada wal Qadar). Wie viel Sprache im IRU steckt, verdeutlicht die folgende Tabelle, die aus den beschriebenen Anforderungen in den Kernlehrplänen des IRUs erstellt und erweitert wurde. Sie beinhaltet eine Aufzählung ausgewählter bildungssprachlicher Textsorten, Sprachhandlungen und sprachlicher Mittel, die für den IRU typisch sind und mit denen Lernende im Unterricht zur Erschließung fachlicher Inhalte konfrontiert werden.
Sprachliche Besonderheiten im IRU | |
Textsorten | Koran (Ayat, Sura, Dschuz), Hadithe, Fatwa (Auslegungen von Gelehrten), Steckbriefe, Sachtexte (Personen- und Charakterbeschreibungen, Vorgangsbeschreibungen, Berichte, Biografien), Narrationen (Prophetengeschichten), Gedichte, Songtexte (Anasheed), Reden, Predigten, Gebete, Diskontinuierliche Texte (Bilder, Grafiken, (Gebetszeiten-)Tabelle, Karikaturen, Symbolik (z.B. Wasser = Reinheit), Schaubilder usw.), Filmsequenzen, Comics u.v.m. |
Sprachhandlungen | Benennen, Beschreiben (Personen, Rituale, Lebensgestaltung, theologische Denkschulen usw. unter Verwendung relevanter Fachbegriffe), Erklären (zentrale Aussagen des Glaubens, Personenrollen) Analysieren (fachbezogene Begriffe, Textstellen aus Koran und Sunna), Beurteilen (z.B. religiöser Fragen), Vergleichen (Verständnis des Prophetentums in unterschiedlichen Religionen), Interpretieren (Formen religiöser Praxis, Quellen, Symbolik usw.) |
Sprachliche Mittel | - Fachbegriffe (Prophet – Gesandter – Verkünder, Kalif, Rechtschule, Sunna, Offenbarung, Schöpferkraft …) -Alltagssprachliche Abweichungen (z.B. Überlieferungskette, Kaaba umkreisen, anrufen) - Abstrakte Begriffe/Konzepte: Gott, Engel, (Vorher-)Bestimmung Schöpfung, Reinheit des Glaubens und des Herzens, Toleranz, gläubig/nichtgläubig, Sitte usw. - Metaphorik und Symbolik (Siegel der Propheten, Säulen des Islams) - Ästhetische Merkmale des Korans (z.B. Reim, Rhythmus) - Analogien und Gleichnisse (Straßenverkehrsordnung = Lebensordnung) - Lehnwörter aus dem Arabischen (Nabi – Rasul, aber auch: Jesus – Isa, Moses – Musa,Sunna, Hadith, Ayat, Sura, Schahada) und Türkischen (namaz, abdest) - Komposita: Gebetsruf, Gebetsrichtung, Gebetswaschung, Bittgebet, Pilgerreise, Fastenmonat, Glaubensbekenntnis - Indirekte Rede, Konjunktiv (Wiedergabe und Interpretation von Prophetenäußerungen: Der Prophet sagt: „Bemüht euch, zu erleichtern, nicht zu erschweren; schafft Freude, keinen Hass.“ (vgl. Einblick in den Islam, 5./6. Kl., S. 30), „…Außerdem sagte er, dass der Sinn des Lebens darin bestehe, …“, ebd., S. 39) - Aufforderungen mit dem Imperativ („Setzt Euch gemeinsam zum Essen und nennt den Namen Gottes; dann segnet Allah eure Speise“), mit Modalverben: „Wer an Gott und ein Leben nach dem Tod glaubt, soll entweder Gutes sprechen oder schweigen“, ebd., S. 12) - Nominalstil, Nominalisierungen (z.B. „Durch das siebenmalige hin und her Laufen zwischen den Hügeln Safa und Marwa erinnert man sich an Hagars Suche nach Wasser.“, Attribute Gottes: Der Gnädige, der Hörende, der Sehende, der Schaffende, der Gerechte, - Attribute und adverbiale Ergänzungen (s.o.) - Abkürzungen, Ziffern usw.: s.a.s., a.s., s.w.t., 2:285–286 - Konzessive Argumentationsmittel: Konnektoren (zwar, jedoch, aber, dennoch, usw.), - (Intertextuelle) Verweise: im dritten Vers der Fatiha-Sure, im Kapitel des Sira-Buches über die Hidschra, im 30. Dschuz des Koran - … |
Tab. 1: Sprachliche Besonderheiten im IRU, eigene Darstellung
Zusätzlich zur sprachlichen Fülle des IRU zeigt die Tabelle auch, dass der Großteil der sprachlichen Anforderungen des IRU im Alltag vieler Schüler*innen keine große Rolle spielt, weniger gefordert wird und daher nicht vorausgesetzt werden kann. Bspw. ist es im Alltag üblicher, islamische Aussagen in dialogischer, überwiegend mündlicher Form, auszuhandeln. Dies kann durchaus auch schriftlich erfolgen (z.B. Diskussionen in sozialen Netzwerken), allerdings unterliegen diese Diskussionen keinen formalen Regeln, die eingehalten werden müssen. Sie sind zwar medial schriftlich, aber konzeptionell mündlich. Sie müssen auch nicht konzessiv argumentierend gestaltet sein, da die Kommunikation – auch wenn zeitversetzt – dialogisch gestaltet ist und die Kommunikationsteilnehmer stets auf einzelne Aussagen eingehen können. Die schulische Textsorte der Erörterung erhebt somit formale Vorgaben, die im Alltag keine Rolle spielen oder Anwendung finden. In solchen Fällen erfüllen diese Art von Vorgaben und Anforderungen eher eine didaktische Funktion, um die sprachliche, fachliche wie auch kognitive Entwicklung der Schüler*innen voranzutreiben (Feilke, 2012, S. 5).
4 Sprachbildung im IRU
Bereits seit Jahren zeigen diverse Studien und Arbeiten, dass viele Schüler*innen mit Migrationshintergrund nicht über notwendige Kenntnisse der deutschen Bildungssprache verfügen (OECD, 2018; Cantone & Haberzettl, 2009; Grießhaber, 2008; Stanat & Schneider, 2004; Baumert & Schümer, 2001; Knapp, 1999). Ob der Migrationshintergrund selbst oder andere Faktoren, wie der sozioökonomische Status, die Bildungsnähe der Eltern oder andere individuelle Personenmerkmale, maßgeblich für dieses Ergebnis sind, ist nach wie vor stark umstritten (Wessel & Prediger, 2017; Berendes, Dragon, Weinert, Heppt & Stanat, 2013; Renk, Prediger, Büchter, Benholz & Gürsoy, 2013; Kniffka, 2012; Eckhardt, 2008). Konsens herrscht allerdings mittlerweile über den signifikanten Zusammenhang zwischen fachlicher Leistung und Sprachkompetenz (Renk et al., 2013; Gürsoy, Benholz, Renk, Prediger & Büchter, 2013). Seit dem großen PISA-Schock 2000 wurden zahlreiche Studien durchgeführt und Konzepte entwickelt, die sich mit dem Zusammenhang von Sprache, Schulerfolg und Migrationshintergrund beschäftigen. Dabei wurden anfangs Sprachförderprojekte umgesetzt (z.B. „Vielfalt stärken“), die additive Sprachfördermaßnahmen einleiteten, das bedeutet Sprachförderung als Zusatzangebot zum normalen Regelunterricht (z.B. im Nachmittagsbereich oder in Freistunden). Allerdings zeigen additive Sprachfördermaßnahmen, die losgelöst vom fachlichen Lernen eingeleitet werden, keinen positiven Effekt auf den Schulerfolg (Fürstenau & Gomolla, 2011, S. 19). Im Bericht „Zuwanderung“ der KMK (2002) wird zusammengefasst, dass eine „planlose Herangehensweise an das Erlernen der Zweitsprache, d.h., ein Vertrauen auf die quasi natürliche Wirkung des Sprachkontakts, (..) zu negativen Effekten [führe]. Ebenso bleibe eine isolierte Förderung in der Zweitsprache ohne Anschluss an den übrigen (Fach-) Unterricht weitgehend wirkungslos. Eine bedachte und systematische Förderung des Erwerbs der Zweitsprache sei in jedem Falle erforderlich“ (KMK, 2002, S. 11). Um positive Effekte von sprachbildenden Maßnahmen zu erzielen, müssen Schüler*innen im Rahmen ihres Regelunterrichts Lerngelegenheiten bekommen, ihre bildungs- und fachsprachlichen Fähigkeiten zu schulen und einzusetzen (Riebling, 2013, S. 16).
Im Allgemeinen meint Sprachbildung die gezielte Gestaltung einer Sprachsituation zur Entwicklung der Bildungssprache im schulischen sowie im außerschulischen Kontext (Elternhaus, KiTa, Hausaufgabenbetreuung, Bibliothek usw.). Unter sprachbildendem Unterricht wird ein Unterricht verstanden, „der – unter den jeweiligen Bedingungen des Faches – gezielt zu einer sprachlichen Handlungsfähigkeit hinführt, die es ermöglicht, sich mit den Mitteln der Schulbildung ein Orientierungswissen zu verschaffen“ (Riebling, 2013, S. 57). Dabei wird postuliert, Sprache in ihrer epistemischen Funktion als Mittel des Denkens und des Kommunizierens einzusetzen, um so Sprache und Inhalt miteinander zu verknüpfen (Woerfel & Giesau, 2018; Morek & Heller, 2012). Die Relevanz der Sprache im IRU und die gezielte Bildung dieser als Aufgabe des IRUs wird auch im KLP an mehreren Stellen hervorgehoben (KLP für die Grundschule in NRW, IRU, u.a. S. 8, für die Sekundarstufe I u.a. S. 11–12, für Sekundarstufe II u.a. S. 12). Im Folgenden sollen gängige Konzepte der Sprachbildung vorgestellt werden und ihre Chancen aber auch Grenzen für die Sprachbildung im IRU diskutiert werden. Im Anschluss daran sollen ausgewählte Anwendungsbeispiele vorgestellt werden, um Einblicke in die konkrete Umsetzung der vorgestellten Ansätze im IRU zu erhalten.
4.1 Durchgängige Sprachbildung
Das Konzept der durchgängigen Sprachbildung wurde mit dem Leitgedanken der Gestaltung sprachlicher Bildungsprozesse durch alle Lebensphasen (von der KiTa bis in den Beruf) und Sozialisierungskontexte (Schule, Elternhaus usw.) im Rahmen des Modellprogramms FörMig (Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund)[3] entwickelt. Es geht zum einen darum, schulische Übergänge sinnvoll und angemessen zu gestalten und dabei Schüler*innen vor allem mit der schlagartig erhöhten Schriftlichkeit im Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe zu unterstützen. Zum anderen soll durchgängige Sprachbildung aber auch synchron ablaufen, das bedeutet zum einen über verschiedene Sozialisierungskontexte (z.B. Schule und Elternhaus), und Bildungseinrichtungen (z.B. Schule und Hausaufgabenbetreuung oder Bibliothek usw.), aber auch über einzelne Fächer und Sprachen (im Sinne eines Gesamtsprachencurriculums, das z.B. auch den Herkunftssprachenunterricht einschließt) hinweg.
Im Rahmen dieses Programms wurden auf Grundlage empirischer Daten Qualitätsmerkmale formuliert, „die bei der Umsetzung eines bildungssprachförderlichen Unterrichts sinnvoll und notwendig sind“ (Gogolin, Lange, Hawighorst, Bainski, Heintze, Rutten & Saalmann, 2011, S. 8) und die vor allem die zentrale Bedeutung des Lehrerhandelns für die durchgängige Sprachbildung hervorheben. Der Lehrperson obliegt die Aufgabe den Unterricht mit Blick auf Bildungssprache zu gestalten und den Lernenden anspruchsvolle bildungssprachliche Lerngelegenheiten zu schaffen, sie zu fordern, allerdings auch durch Bereitstellung bildungssprachlicher Unterstützungshilfen (z.B. lexikalische Entlastung) sie nicht zu überfordern. Dafür sind auch sprachdiagnostische Tätigkeiten notwendig. Voraussetzung zur Umsetzung der Qualitätsmerkmale ist, dass alle Lehrkräfte bereit sind, Sprachbildung in allen Fächern zu betreiben und die sowohl innere als auch äußere Mehrsprachigkeit[4] der Schüler*innen wertzuschätzen und zu fördern.
4.2 Scaffolding
Das Konzept des Scaffoldings wurde von Gibbons (2002; 2009) aus dem Erstsprach- auf den Zweitspracherwerbskontext mit der Überzeugung übertragen, dass Lernende durch vorübergehende Hilfestellungen sprachlich wie auch fachlich viel mehr erreichen können als ohne Hilfe (Gibbons, 2009, S. 15). Dabei müssen dem Lernenden temporäre Unterstützungshilfen angeboten werden, die dazu dienen sollen, dass er / sie sich neue Konzepte aneignet, diese tiefergehend verarbeitet und sich gleichzeitig die sprachlichen Mittel, die als zweckmäßige Hilfe angeboten wurden, zu verinnerlichen, um diese in weitere Kontexte möglichst eigenständig anwenden zu können. Ohne diese Unterstützungsmaßnahmen könnte der Lernende in einer Überforderungssituation weder inhaltlichen noch sprachlichen Zuwachs erlangen. Durch die Bereitstellung (sprachlicher) Unterstützungshilfen in konkreten (sprachlichen) Lernsituationen wird zugleich der funktionale Gebrauch und die Anwendung dieser Mittel erworben. Das bedeutet, nicht nur der Inhalt und die Form der sprachlichen Mittel (knowing that), sondern auch der situationsangemessene und funktionale Einsatz dieser (knowing how) wird erlernt. „Damit werden Lernende in die Lage versetzt, ähnlich (sprachliche) Handlungen selbständig durchzuführen.“ (Kniffka, 2012, S. 214) Durch diese zukunftsorientierte Herangehensweise werden dem Lernenden Mittel zur Verfügung gestellt, die dieser für die Be- und Verarbeitung weiterer Lerninhalte benötigt und zukünftig ohne Hilfestellung bewerkstelligen kann. Zur Umsetzung dieser Ziele werden unterschiedliche Aufgaben an eine Lehrperson gestellt. Zum einen fallen diagnostische Tätigkeiten an, denn sie muss sowohl die Anforderungen des Lerngegenstands selbst (Bedarfsanalyse) als auch den Sprach- und Leistungsstand der Schülerschaft (Lernstandsanalyse) einschätzen können. Unter Berücksichtigung dieser Analysen erfolgt die Unterrichtsplanung. Dabei ist vor allem eine inhaltliche wie sprachliche Progression von Bedeutung: vom Konkreten zum Abstrakten, von der Alltagssprache zur Bildungssprache. Von zentraler Bedeutung beim Scaffolding ist die Interaktion mit den Lernenden (Mikroscaffolding), in der die Lehrperson spontan und situationsbezogen sprachbildende Unterstützungen anbieten kann. Unterricht sollte dabei schülerzentriert ausgerichtet sein, indem die Lehrperson die Lernenden begleitet und unterstützt und ihr Handeln an die Bedürfnisse der Lernenden anpasst. Entscheidende Variablen sind dabei u.a. Zeit (z.B. längere Wartezeit nach Lehrerfrage, langsameres Sprechen, mehr Bearbeitungszeit), Lerngelegenheiten (kognitiv und sprachlich anspruchsvolle Lerngelegenheiten bieten), Feedback (z.B. fach- bzw. bildungssprachliche Paraphrasierung / Reformulierung von Schülerantworten) und Interaktionsmuster bzw. Form des Unterrichtsgesprächs (fragend-entwickelnder Unterricht, Schülergespräch, Diskussion usw.).
Das Prinzip des Scaffoldings und die damit einhergehende Unterrichtsausrichtung auf den Lerner soll dabei verhelfen, kognitiv und auch sprachlich höhere Aufgaben bewältigen zu können und zum kumulativen und inkrementellen Kompetenzaufbau beizutragen, sodass der Lernende möglichst keiner Überforderung ausgesetzt wird und gleichzeitig dem Unterricht auf bildungssprachlichem Niveau folgen kann. Empirische Studien zur Wirksamkeit von Scaffolding sind bisher allerdings noch rar.
4.3 Language Awareness
Language Awareness (LA) ist ein sehr breit gefächertes und flexibles Konzept, das vielfache Auslegungen und einen breiten Handlungsspielraum zulässt, und wird definiert als „explicit knowledge about language, and conscious perception and sensitivity in language learning, language teaching and language use“ (Association for Language Awareness, ALA Homepage, Stand 25.10.2021). Ins Deutsche wird LA oft als Sprachbewusstheit (Wolff, 1997) oder auch Sprachenaufmerksamkeit (Oomen-Welke, 2016) übersetzt. Gürsoy (2010) erweitert und verfeinert diese Übersetzungen um „Sprachbewusstsein“, „Sprachlernbewusstsein“, „Sprachsensibilisierung“, „Sprachbewusstmachung“, weist aber ebenfalls darauf hin, dass sich weitaus mehr Anwendungsbereiche im LA-Konzept finden lassen als eine bloße Übersetzung fassen kann (Gürsoy, 2010, S. 1).
Nach Luchtenberg (2010, S. 107) soll LA Interesse an Sprache(n) wecken, für Sprache(n), sprachliche Phänomene und den Umgang damit sensibilisieren und metalinguistische Fähigkeiten vertiefen, was wiederum nach Halliday (1971) einen positiven Einfluss auf das schulische Lernen haben könnte (zit. nach Luchtenberg, 2010, S. 107). Unter aktueller Auffassung trägt LA u.a. auch „zur Sichtbarmachung und Wertschätzung lebensweltlicher Mehrsprachigkeit“ (Freitag, Havkic, Niederhaus & Westphal, 2018, S. 262) bei. Laut einer Befragungsstudie von Binanzer und Jessen (2020, S. 244) stehen sowohl ein- als auch mehrsprachige Schüler*innen „der punktuellen Integration von Herkunftssprachen als Lerngegenstand in den Unterricht offen gegenüber, da sie überwiegend davon überzeugt sind, durch deren Thematisierung viel über Sprachen lernen zu können“. Einen besonderen Ansatz bietet LA für die Sprachbildung im Fachunterricht. Denn insbesondere da besteht die Notwendigkeit, fachspezifische sprachliche Anforderungen (wie z.B. Textsorten und Sprachhandlungen, aber auch eine fachspezifische Ausdrucksweise) explizit zu thematisieren und diese mit der Einführung inhaltlicher Gegenstände ebenfalls als Lerngegenstand zu vermitteln.
5 Didaktische Implikationen
Die vorgestellten Ansätze lassen sich aufgrund ihrer allgemeinen Prinzipien und Merkmale auf jedes Fach übertragen. So gelten bspw. sprachliche Unterstützungshilfen oder das Diagnostizieren des Lernstands der Schüler*innen wie auch der sprachlichen Anforderungen von Materialien für den Religionsunterricht wie auch für den Physikunterricht. Im Folgenden soll aber der Fokus darauf liegen, welche Möglichkeiten diese Ansätze insbesondere für den IRU bieten und wie sie sich dort adaptieren lassen können. Wie im ersten Abschnitt gezeigt wurde, bestehen viele Gemeinsamkeiten in den sprachlichen Anforderungen des IRUs und u.a. des Deutschunterrichts (Textsorten wie Narrationen, Personenbeschreibung, Sprachhandlungen wie Begründen und Interpretieren sowie damit verbundene sprachliche Mittel). Somit bietet es sich an insbesondere mit Fächern interdisziplinär zusammenzuarbeiten, die sprachliche Schnittstellen (z.B. in den Textsorten) aufweisen, um so zum einen mehr Lerngelegenheiten schaffen zu können, zum anderen aber auch um vorhandene Ressourcen zu nutzen, auf diese aufzubauen, diese auf andere Kontexte des eigenen Faches zu übertragen und so tatsächlich einen sowohl sprachlichen als auch fachlichen Kompetenzzuwachs zu begünstigen. Personenbeschreibungen bspw. weisen sowohl im Religions- als auch im Deutschunterricht die gleichen formalen wie auch funktionalen Aspekte auf und könnten in beiden Fächern parallel behandelt werden. Die Lernenden bekommen mehr Lerngelegenheiten, an einer bestimmten Textsorte zu arbeiten und so auch mehr Kontexte das Gelernte anzuwenden und zu vertiefen. Der Deutschunterricht nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein, da Sprache sowohl Unterrichtsmedium als auch expliziter Unterrichtsgegenstand ist und die jeweilige Textsorte mit ihren formalsprachlichen Anforderungen explizit behandelt und so der Grundbaustein für den Religionsunterricht gelegt werden kann. Voraussetzung für die Verzahnung und Zusammenarbeit der Fächer ist allerdings eine Systematisierung der Lehr- und Lerninhalte und Abstimmung dieser mit anderen Fächern, was allerdings bereits innerhalb eines Faches eine große Herausforderung darstellt.
Einen interessanten Aspekt für die Sprachbildung im IRU stellt die Hinführung von der Alltags- zur Bildungssprache dar. Im Folgenden soll eine Erweiterung um einen für den Religionsunterricht entscheidenden weiteren Schritt vorgeschlagen werden. Wie im Konzept der durchgängigen Sprachbildung vorgeschlagen, ist es wichtig, an das vorhandene Vorwissen der Schüler*innen anzuschließen. Es ist dabei wichtig, ihr Vorwissen (seien es auch nur Assoziationen), d.h. das alltägliche Verständnis der Schüler*innen von einem Konzept, Begriff oder Thema, abzurufen, bevor dieses / dieser aus einer fachlich theoretischen Perspektive durchleuchtet wird (Käpnick, 2014, S. 86; Hagemann, 2010, S. 84; Meloeski, 2007, S. 223; Langer-Plän & Beilner, 2006, S. 236). So kann an die Wissensbestände der Schüler*innen in Alltagssprache angeknüpft werden, was sie bspw. unter Barmherzigkeit (arab. Rahma) verstehen, was sie damit in Verbindung setzen, ob sie Zusammenhänge oder Kontexte kennen, in denen sie diesem Begriff begegnen (z.B. Bismillah Ar-Rahman Ar-Rahim = Im Namen Gottes des Allerbarmers des Barmherzigen, die Eingangsformel für jede Handlung eines Muslims, z.B. vor jedem Gebet, vor dem Essen, vor dem Trinken, vor dem Aufstehen usw.). So können erste Hypothesen zum Konzept aufgestellt werden, die dann im Anschluss korrigiert, erweitert und differenziert werden können. Auf dieser Basis kann an die Bedeutung des Fachbegriffs herangeführt werden, indem
der Ursprung des Wortes durchleuchtet (etymologisch: vermutlich abgeleitet vom Wortstamm / arham / = Gebärmutter, Mutterleib),
der Zusammenhang zwischen etymologischer und fachsprachlicher Verwendung abgeleitet (Was hat der Mutterleib mit der Barmherzigkeit Gottes zu tun?),
weitere Bedeutungen und Kontexte sukzessiv eingeführt und reflektiert,
mit weiteren Fachbegriffen in einen Zusammenhang gebracht und
auch dem Verständnis in anderen Religionen gegenübergestellt werden.
Im Sinne der Relevanzkonstruktion ist es im Anschluss nun allerdings wichtig, einen weiteren Schritt zu ergänzen. Nachdem die fachlichen Inhalte eingeführt wurden, steht nun wieder der subjektive Blick des Lernenden im Fokus. Anders als im ersten Schritt der Wissensaktivierung geht es hierbei nicht um das Abrufen vorhandener Wissensinhalte, Erfahrungen oder Assoziationen. Es geht vielmehr um die Anwendung, Konkretisierung und Verinnerlichung der erlernten Inhalte, auch auf spiritueller Ebene, indem der Lernende sich die Relevanz des Inhalts für sich selbst und sein Leben konstruiert: Welche persönliche Bedeutung hat das Konzept der Barmherzigkeit (Rahma) im Leben des Lernenden? In welchen Situationen spielt Rahma eine Rolle für den Lernenden? Inwiefern verändert sich das subjektive Verständnis nach der theoretischen Durchdringung (u.a. nach Erschließung der etymologischen Bedeutung)? Das bedeutet, es findet eine Hinführung von der Alltagssprache zur Bildungssprache und wieder auf der Basis der bildungssprachlich erschlossenen Inhalte zurück zur Alltagssprache statt, um Konzepte in die Lebenswelt der Schüler*innen einzubinden und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese in ihrer gewohnten Sprache zu verinnerlichen. Wie nun auch im vorangegangenen Beispiel gezeigt wurde, spielt die explizite Sprachbetrachtung eine große Rolle zum Verstehen islamischer Begriffe und der dahinter liegenden Konzepte. Aufgrund der Mehrsprachigkeit des Faches aber auch der Schülerschaft bietet Language Awareness wohl das größte sprachbildende Potenzial für den IRU. Laut Riebling und Bolte (2008, S. 177) weisen Schüler*innen mit Migrationshintergrund ausgeprägtere Fähigkeiten zur Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch und sind aufmerksamer im Hinblick auf sprachliche Aspekte des Unterrichts. Da religiöse Fachbegriffe und Konzepte oft sehr abstrakt, vielschichtig und schwer greifbar sind, bietet es sich an, diese mit den Lernenden zu reflektieren und den Bezug zur Lebenswelt der Schüler*innen herzustellen. Häufig formt das alltägliche Verständnis von Begriffen das fachliche Verständnis. Es gilt daher diese zu vertiefen, zu erweitern, aber auch zu korrigieren. Der Begriff Islam z.B. verweist im alltagssprachlichen Gebrauch auf eine exklusive Religion, zu der man gehört oder nicht. Somit stellt dieses Verständnis eine Differenzkategorie dar, die eine Gruppierung in „Wir“ (ingroup) und „Sie“ (outgroup) zulässt (Ulfat, 2019, S. 193), was aber nicht im Sinne des Unterrichtsfaches ist. Durchleuchtet man den Begriff sprachlich, bekommt die fachsprachliche Bedeutung weitaus mehr Auslegungsmöglichkeiten. Das Wort Islam leitet sich aus der arabischen Wortwurzel S-L-M ab, aus der wiederum verschiedene Bedeutungen abgeleitet werden können: Das Verb salima heißt so viel wie „heil sein, ganz sein, gesund sein“ (Wehr & Kropfitsch, 1985, S. 616), aus der gleichen Wortwurzel wird auch das Wort salam gebildet, das „Frieden“ (wie in salam alekom – „Friede sei mit euch“) bedeutet (vgl. ebd.) und wird aus dem Verb aslama gebildet, das u.a. mit „sich ergeben, sich hingeben, sich unterwerfen“ (vgl. ebd.) übersetzt wird und einen freiwilligen Akt impliziert (im Gegensatz zum Verb istaslama, das einen unfreiwilligen Akt ausdrückt). Unter Berücksichtigung der Wortderivationen und der feinen Bedeutungsunterschiede kann der Begriff Islam verstanden werden als „das freiwillige Hingeben an Gott, um heil und gesund zu sein bzw. zu werden und Frieden und Ruhe im Herzen zu finden“ (Safi, in Arbeit, S. 126). So steht bei Durchleuchtung des Begriffs Islam der freiwillige Akt des Individuums, der Dienst an Gott, viel stärker im Vordergrund als die Bedeutung der Abgrenzung in „Wir“ und „Sie“ (Ulfat, 2019, S. 193). Islam ist somit vielmehr eine religiöse Praxis, eine innere Einstellung, die von außen nicht erzwungen werden kann und sollte im Unterricht als solche vermittelt werden. Zwar hat die Gemeinschaft (das „Wir“, die Umma) ebenfalls eine besondere Stellung in der islamischen Lebensführung, als Voraussetzung gilt aber die individuelle Hingabe an Gott. Vertiefend können konkrete Koranstellen herangezogen und dahingehend reflektiert werden, welches Verständnis von Islam in welchem Kontext vorliegt. Dieses Beispiel zeigt eine weitere wichtige sprachliche Anforderung des IRU, die beim religiösen Lernprozess eine große Rolle spielt: die Inter- wie auch Intratextualität. Es reicht nämlich nicht nur aus, Begriffe wie auch Textstellen in ihren Entstehungskontext zu setzen und zu reflektieren. Wichtig ist diese auch in Zusammenhang mit weiteren Quellen (z.B. Koran mit Hadithen) und zu weiteren Textstellen derselben Quelle (z.B. innerhalb des Korans) zu bringen. So können auch gesellschaftlich kontroverse Themen behandelt und Schüler*innen zur eigenständigen Reflexion angeleitet werden. Der Koranvers „Und tötet sie, wo immer ihr auf sie trefft“ (Sure 2:191) ist im nicht-muslimischen deutschsprachigen Kontext vermutlich der bekannteste Vers aus dem Koran. Richtig verstanden und ausgelegt kann dieser Text nur unter Einbezug unmittelbar vorheriger wie nachfolgender Textpassagen („Und kämpft auf Allahs Weg gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, doch übertretet nicht! Allah liebt nicht die Übertreter“, Sure 2:190) sowie anderer Textstellen im Koran („Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne dass es einen Mord begangen oder auf der Erde Unheil gestiftet hat, so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte“, Sure 5:32) oder weiteren islamischen Quellen (z.B. Hadithe). Somit stellt der textuelle wie historische Kontext und die Reflexion dessen eines der zentralsten Faktoren zum Verstehen islamischer Texte dar. Die Entwicklung der für den IRU sehr bedeutenden Textkompetenz, die Fähigkeit mit Texten und ihrer sprachlichen Form und Funktion umzugehen, gehört zu den zentralen Aufgaben aller gesellschaftswissenschaftlicher Fächer und muss in diesen vermittelt werden. Durch sie lernen Schüler*innen kritische Aussagen zu hinterfragen, im Gesamtkontext zu verstehen, eigenständig nach einer angemessenen Bedeutung zu ermitteln, um letztlich auch die eigene individuelle Religiosität mit universellen Prinzipien der Gesellschaft vereinbar zu machen.
6 Zusammenfassung und Ausblick
Der IRU ist zu einem großen Teil auch Sprachunterricht. Die Vermittlung seiner fachspezifischen Sprache gehört wie auch die Vermittlung der fachlichen Lerninhalte zu den zentralen Aufgaben des Unterrichtsfachs. Wie die Darlegung der Sprachbildungsansätze gezeigt hat, sind die Konzeptionen dieser fachungebunden, was zum einen eine fachübergreifende Übertragbarkeit erlaubt, allerdings aber auch mit sich bringt, dass eine praktikable Umsetzung und fachspezifische Konkretisierung noch aussteht und vorgenommen werden muss. Dies zeigt ein wichtiges Forschungsdesiderat auf: Für die meisten Fächer fehlt es nämlich an einer Bestimmung, was und wie Fachsprache ist und was sie ausmacht. Zwar gibt es v.a. im naturwissenschaftlichen und mathematischen Bereich einige empirische Studien, die sich mit der Fachsprache des Unterrichts auseinandersetzen und ihre Besonderheiten herausstellen (u.a. Kretschmann & Efing, 2020; Unterhauser, 2020; Jahnke-Klein & Busse, 2019; Ahrenholz & Knoblich & Reichel 2018, Filler & Ludwig, 2013; Özcan, 2013; Nietz, 2012; Schiemann, 2011; Hagemann, 2010 uvm.). Im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich allerdings finden sich – wenn überhaupt – sprachliche Analysen für den Geschichtsunterricht. Andere gesellschaftswissenschaftliche Fächer, u.a. der Religionsunterricht, werden – nicht zuletzt aufgrund der Schwierigkeit diese Fachsprachen zu fassen, zu definieren oder einzugrenzen – bislang stark vernachlässigt. Empirische Forschungsarbeiten zur sprachlichen Dimension des IRUs gibt es bisher keine bzw. sind bisher nicht veröffentlicht worden. Die Notwendigkeit diese Forschungslücke zu schließen ergibt sich, wie im Beitrag erläutert wurde, insbesondere aufgrund der Mehrsprachigkeit des Faches, aber auch der äußerst heterogenen Schülerschaft selbst. Die unterschiedlichen Sprachbildungsansätze bieten unterschiedliche Chancen für den IRU. Es ist dabei allerdings wichtig, diese nicht disjunktiv im Sinne eines „entweder – oder“ zu betrachten, denn sie sind durchaus komplementär einzusetzen. Während das Konzept der durchgängigen Sprachbildung einen holistischen Ansatz darstellt, ist der Fokus von Scaffolding vielmehr didaktisch-pädagogisch ausgerichtet, während der LA-Ansatz explizit die Sprache im Fokus setzt. Vermutlich werden viele Prinzipien dieser Ansätze von sprachsensiblen Lehrpersonen bereits intuitiv und oft auch implizit umgesetzt (z.B. differenzierte Aufgabenstellungen, Vorwissensaktivierung, sprachliche Unterstützungshilfen). Die dringende Forderung besteht allerdings darin, sprachliche Inhalte nicht nur nebenbei oder implizit, sondern als expliziten Lerngegenstand systematisch in den Fachunterricht einzubauen. Für den IRU eröffnen sich aufgrund der Mehrsprachigkeit der Lerngruppe, aber auch des Faches selbst vielerlei sprachsensibilisierende Umsetzungsmöglichkeiten. Während in anderen Fächern insbesondere die Vereinbarkeit von Sprachbezug und dem fachlichen Gegenstand seitens der Lehrkräfte oft hinterfragt wird, ist für den IRU der Einbezug der Herkunftssprachen der Lernenden sowie des Arabischen als Sprache des Islams zentral für den Unterricht, denn islamische Fachbegriffe liegen oft im Arabischen, bei den Lernenden aber meist in ihrer Familiensprache vor (Ucar, 2011, S. 197–198). Somit kann die fachsprachliche Überführung aufbauend auf das bereits vorhandene Alltagsverständnis in der Familiensprache erfolgen. Die Reflexion sprachlicher Bedeutungsvielfalt in Abhängigkeit ihrer kontextuellen Einbettung, das Hinterfragen von Quellen, Übersetzungen, Interpretationen und die Bewusstmachung alternativer Übersetzungs- und Ausdrucksmöglichkeiten nimmt im IRU zudem eine entscheidende Rolle zum Erreichen spiritueller und fachlicher Lernziele ein (Ulfat, 2019, S. 187). Nicht nur die Sprache des Faches, sondern auch – und das aus didaktischer Perspektive ebenso wichtig, aber worauf in diesem Beitrag nicht eingegangen werden konnte – die Sprache des Lernenden beeinflusst den Lernenden und den Lernerfolg maßgeblich und sollte als ganzheitliche sprachliche Ressource im Unterricht genutzt werden. So sollte – wie auch die Mehrsprachigkeitsdidaktik postuliert – der Lernende mit seinem gesamten Sprachrepertoire und sprachlichen Vorerfahrungen, d.h. seine Erstsprache, Zweitsprache, Dialekte, sein gesamtes sprachliches Wissen und Spracherfahrungen, zum Einsatz kommen und beim Erschließen der Fachinhalte und Entwicklung fachspezifischer wie fachübergreifender Kompetenzen Gebrauch machen können. Der IRU bietet nicht nur viele Möglichkeiten, Sprachbildung zu betreiben, aufgrund der angenommenen Sprachlosigkeit besteht eine dringende Notwendigkeit, Sprachbildung in den IRU als essentiellen Bestandteil zu integrieren, um Schüler*innen in ihrer religiösen und persönlichen Entwicklung und Identitätsfindung zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre religiöse Sprachlosigkeit zu überwinden. Allen vorausgesetzt sind allerdings empirische Arbeiten, die die Art und Hintergründe dieser vermeintlichen Sprachlosigkeit erforschen und im Vergleich zur christlichen Sprachlosigkeit setzen. Im Allgemeinen fehlt es aber an Arbeiten zu sprachlichen Anforderungen und zum Einsatz und zur Wirkung sprachbildender Maßnahmen im IRU. Auch die Lernerperspektive – die religiöse Sprache, aber auch der Erwerbskontext und die Erwerbsbedingungen der Lernenden – muss für den IRU neu aufgegriffen werden und aus unterschiedlichen Perspektiven durchleuchtet werden, da diese für den IRU u.a. aufgrund der Mehrsprachigkeit der Schüler*innen durchaus einen differenzierteren Blick ermöglichen und andere didaktische Folgerungen erlauben könnten. Forschungsarbeiten aus der christlichen Religionsdidaktik können zwar herangezogen werden, müssen aber für den IRU aufgrund entscheidend abweichender Bedingungen neu konzipiert und durchgeführt werden und können anschließend komparativ gegenübergestellt werden. Insbesondere weil der IRU noch in der Entwicklung einer eigenen Didaktik steht, sind weitere sprachempirische Arbeiten für den IRU notwendig, um diese als Bestandteil einer eigenständigen Religionsdidaktik zu integrieren und in alle Phasen der Lehrer*innenbildung einzubauen.
Literaturverzeichnis
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Gibt man in einer Suchmaschine die Stichwörter „Gebet verrichten“ oder „Gottesdienst“ ein, so finden sich auf den ersten Seiten ausschließlich Vorschläge für das islamische Gebet bzw. für den christlichen Gottesdienst.
Der ausschlaggebende Faktor scheint hier allerdings nicht die Religion zu sein, sondern der Migrationshintergrund. Eine vergleichbare prozentuale Verteilung findet sich bei christlichen Personen mit Migrationshintergrund.
Auch wenn der Name des Modellprogramms etwas anderes annehmen lässt, richtet sich durchgängige Sprachbildung an alle Kinder und Jugendliche, sowohl mit und ohne Migrationshintergrund als auch mit und ohne sprachliche Schwächen. Sprachbildung soll nicht nur Defizite beheben, sondern und vor allem auch die sprachliche Entwicklung durchgängig begleiten, bei vorhandenen Schwierigkeiten unterstützen und auch Stärken optimieren.
Äußere Mehrsprachigkeit bezieht sich auf das Beherrschen unterschiedlicher Standardsprachen (z.B. Deutsch, Arabisch, Englisch). Innere Mehrsprachigkeit liegt im Falle von Varianten einer Sprache (z.B. Dialekte, Soziolekte, Sprachregister).