1 Annäherung an das Thema
Das Thema „Konfessionslosigkeit als Herausforderung der Bildungsarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“ lässt sich gleichermaßen auf die vielfältigen Bildungsaktivitäten der Kirche beziehen. Aufgrund der in diesem Kontext bestehenden fachlichen Zuständigkeit der Verfasser werden im Folgenden insbesondere der Bereich der Tageseinrichtungen und -pflege, des Religionsunterrichts und der evang. Erwachsenenbildung in Bayern in den Blick genommen.
Dabei geht es zunächst um eine Annäherung an das Thema durch Klärung der Begrifflichkeiten „Konfessionslosigkeit“ und „Herausforderung der Bildungsarbeit“. Ausgehend vom Auftrag der Kirche („Kommunikation des Evangeliums“) werden zunächst die Herausforderungen vor dem Hintergrund der bayerischen Situation am Beispiel der Kindertagespflege- und Kindertageseinrichtungen, des Religionsunterrichts und der Erwachsenenbildung formuliert. Abschließend erfolgt die Reflexion der Herausforderungen des Bildungshandelns der evang. Kirche in Bayern mit besonderem Blick auf die „Kommunikation des Evangeliums“ im wörtlichen Sinn.
Die Ausführungen geschehen in enger Auseinandersetzung mit dem Grundlagentext der EKD „Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit“ (EKD 2020a), der Aufgaben und Chancen in der Auseinandersetzung mit „Konfessionslosen“ benennt. Damit ist er mit seinen Aussagen, auch den impliziten, Gegenstand kirchlicher Kommunikation.
2 Begriffsklärungen
2.1 „Konfessionslosigkeit“
2.1.1 Begriffsklärung im Grundlagentext der EKD
Zunächst wird im Grundlagentext in der Einleitung der Begriff „konfessionslos“ formal beschreibend als „Mitgliedschaft bzw. Nicht-Mitgliedschaft in einer Kirche (bzw. Religionsgemeinschaft)“ (EKD 2020a, S. 14) bestimmt. Unmittelbar darauf wird die Verwendung des Begriffs „Konfessionslosigkeit“ erweitert, wenn er als „Dachbegriff“ beschrieben wird, der Differenzierungen nicht nur zulässt, sondern sogar erfordert“, um gleich anschließend wieder einen Schritt zurückzugehen und zu erläutern, dass dessen „Kernbedeutung ‚nicht getauft‘ oder ‚aus der Kirche ausgetreten‘ unverzichtbar“ bleibt (EKD 2020a, S. 15).
Im ersten Kapitel wird der Begriff noch einmal aufgenommen und vertieft reflektiert, wobei sich herausgestellt, dass eine alleinige Definition über das Merkmal der nicht vorhandenen Mitgliedschaft in der Kirche die Gefahr der Pauschalisierung in sich birgt (vgl. EKD 2020a, S. 33). So wird betont, dass hinter jeder Typisierung konkrete Menschen mit ihren Einstellungen und Glaubenspraxen (vgl. EKD 2020a, S. 37) stehen.
Daher erscheint es wenig hilfreich, einen Begriff, der ein rechtliches Verhältnis bestimmt, um die religiösen Fragen und Bedenken „Konfessionsloser“ zu erweitern, die eine große Nähe „zu den Einstellungen jener Kirchenmitglieder [aufweisen], die sich selbst als Zweifler oder Kritikerinnen beschreiben“ (EKD 2020a, S. 53). Hierdurch wird zwar die differenzierte Wahrnehmung von „Konfessionslosen“ gefördert, eine praktische Auswirkung dürfte dies aber wohl nicht haben: Die Sinnhaftigkeit einer Bildungsveranstaltung erschließt sich Teilnehmenden nicht, wenn dort die religiösen Fragen und Bedenken „Konfessionsloser“ eine Resonanz finden, die der Kirchenmitglieder aber nicht.
So ist auch Friedrich Schweitzer zuzustimmen „dass die rechtliche Bezeichnung als konfessionslos theologisch und religionspädagogisch eher als Notbehelf anzusehen ist“ (Schweitzer 2017, S. 52).
Daher verwundert es zum einen, warum sich der Grundlagentext an diesem Begriff abarbeitet, zumal wenn er selbst formuliert, dass dieser vielfach moniert worden ist (vgl. EKD, S.32). Zum anderen stellt sich die Frage, welche Gründe sich hinter dieser Unschärfe verbergen.
2.1.2 Weitere Auseinandersetzung und mögliche Alternativen
Ein weiterer Einwand gegen den Begriff „Konfessionslosigkeit“ ist dessen Defizitorientierung, wogegen sich auch der Grundlagentext wendet (EKD 2020a, S. 53). Während unabhängig davon Antonia Lüdtke den Begriff „konfessionslos“ weder als defizitär noch als religiös aufgeladen bestimmt (Lüdtke 2020, S. 245), sieht Bernd Schröder in dem Begriff eine Zuschreibung aus einer spezifischen, nämlich christlichen Sicht (Domsgen 2018, S. 4).
Um eine solche implizit defizitorientierte Fremdbeschreibung zu vermeiden, wäre eine rein formale Bestimmung von „Konfessionslosigkeit“ allein als Aussage darüber, ob eine Mitgliedschaft in der Kirche vorliegt oder nicht, vorzuziehen. Denn der Vorteil einer solchen Bestimmung liegt darin, dass keine Aussage über den „Grad“ an religiösen „Fragen, Bedenken und Motiven“ (vgl. EKD 2020a, S. 53) getroffen werden muss, der nicht bestimmt werden kann (vgl. EKD 2020a, S. 34: Mitglieder von Religionsgemeinschaften, die „nicht selten als nicht-religiös bezeichnet werden müssen“) und dessen Wert, wenn man ihn überhaupt bestimmen könnte, für das praktische Bildungshandeln der Kirche nur bedingt etwas austrägt.
Hilfreicher verspricht eine inhaltliche Bestimmung über den Gegenbegriff „Konfessionalität“ zu sein, wie sie Lüdtke und Marco Hofheinz (Lüdtke 2020, Hofheinz 2017) vornehmen, da so keine Fremdzuschreibung erfolgt, sondern vielmehr die eigene Position reflektiert wird. Gerade die aktuelle Diskussion rund um den konfessionellen Religionsunterricht könnte von einer solchen vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Konfessionalität gewinnen.
2.1.3 „Konfessionslosigkeit“ als Resonanzverlust
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat 2017 auf die Frage, welche Rolle christliche Überzeugungen für das eigene Leben spielen, ermittelt, dass diese für 58,8 % der Protestant*innen wichtig oder sehr wichtig sind (Institut für Demoskopie Allensbach 2017, S. 44, Frage 19a, vgl. EKD 2020a, S. 64f.). Das heißt aber im Umkehrschluss, dass christliche Überzeugungen bei fast der Hälfte der befragten Protestant*innen (41,2 %) nur in Maßen, kaum etwas oder gar nichts zum Klingen bringen.
Ein solcher Verlust des Widerhalls zeigt sich spürbar in letzter Konsequenz an der Zahl der Austritte aus der Kirche, sprich an einer „Konfessionslosigkeit“ in formalem Sinn, weshalb es gilt, diesem „belonging without believing“ auf die Spur zu kommen.
Beim Religionsunterricht wird der Resonanzverlust an der kontinuierlichen Abnahme des Anteils der am evangelischen Religionsunterricht teilnehmenden Schüler*innen bezogen auf die Gesamtzahl aller Schüler*innen deutlich. Betrug dieser Anteil in Bayern im Schuljahr 2014/15 noch 22,2 %, so sank er geringfügig um 2,6 % auf 19,6 % im Schuljahr 2019/20. Entsprechend nahm die „Konfessionslosigkeit“ der Schülerinnen und Schüler zu.
Dabei ist zu beachten, dass dieser Resonanzverlust verschiedenste Gründe hat, die bereits vielfach formuliert worden sind. Daher soll nur kurz auf Andreas Reckwitz‘ überzeugende These eingegangen werden, nach der in der Spätmoderne „die soziale Logik des Allgemeinen ihre Vorherrschaft […] an die soziale Logik des Besonderen“ (Reckwitz 2017, S. 11, kursiv im Original) verliert. Wie bei anderen Institutionen, Vereinen, Parteien etc. auch, vermag das „Allgemeine“, um im obigen Bild des Widerhalls zu bleiben, im Einzelnen keine Resonanz mehr hervorzurufen. Und so wird in diesen Sog der „Krise des Allgemeinen“ eine Kirche, die sich nicht profiliert, hineingezogen. Als Vertreterin einer konfessionellen Religiosität und als Institution ist sie kein selbstverständlicher, selbsterklärender Bestandteil eines gesellschaftlichen Grundkonsenses mehr.
Ihr mangelt es an Resonanz (vgl. Huber 2020).
Wenn es die Kirche als ihre Aufgabe ansieht, „das, was sie als Evangelium erfährt, zu kommunizieren“ (EKD 2020a, S. 80, s.u.), dann ist deutlich die Frage zu unterstreichen, die auch der Grundlagentext aufwirft, warum diese praktizierte Form der Kommunikation nicht zum gewünschten Erfolg führt (vgl. EKD 2020a, S. 81).
Insofern verspricht es, gewinnbringend zu sein, das Phänomen der „Konfessionslosigkeit“ unter kommunikativen Aspekten als „Resonanzverlust“ zu beleuchten. Denn offensichtlich führen die vielfältigen, engagierten Bemühungen der an der religiösen Bildung Beteiligten, überhaupt der Einsatz von kirchlichen Ressourcen in diesem Bereich, nicht zu dem gewünschten Ergebnis.
Dabei wäre auch zu bedenken, ob die Basis, auf der die Kommunikation der Kirche mit ihren Mitgliedern bzw. Nicht-Mitgliedern stattfindet, richtig eingeschätzt wird. Denn „aus empirischer Perspektive“, so Yvonne Jaeckel und Gert Pickel, „ist Gott jedenfalls sowohl als Begriff sowie auch in seiner Existenz unter den evangelischen, jugendlichen und konfessionslosen Befragten nicht selbstverständlich. Die Frage ist damit nicht nur, ob und wo Platz für Gott in der heutigen Gesellschaft ist, sondern ob es auch Worte für und über Gott gibt, auf deren Basis man über Existenz sprechen kann.“ (Jaeckel & Pickel 2018, S. 101; zur Vertiefung s. Körtner 2018, S. 206–209, „drei hermeneutische Grundfragen“).
2.2 Konfessionslosigkeit als Herausforderung der Bildungsarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
2.2.1 Auftrag von Kirche: Kommunikation des Evangeliums
Der Grundlagentext konstatiert zu Recht, dass Konfessionslosigkeit „ekklesiologische Fragen aufbrechen“ (EKD 2020a, S. 73) lässt, weshalb die „Herausforderungen“ vor dem Hintergrund des kirchlichen Auftrags zu betrachten sind. Dieser besteht in der „Kommunikation des Evangeliums“ (vgl. EKD 2020a, S. 78.86–90, Hauschildt, S. 411–415 u.a.), dessen Botschaft die Kirche zu bewahren und zu deuten hat. Dabei ist „Evangelium“ als die Botschaft zu verstehen, „dass Gott auf dem Wege seiner Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung alle Menschen, die an ihn glauben, hinein nimmt in seine Liebe und seinen Heilswillen für die Welt“ (Hauschildt 2013, S. 420f.). Diese Botschaft gilt allen Menschen und hat eine identitätsstiftende Funktion, da der Mensch in der Welt ohne Halt seinen Ankerpunkt nur in Gott finden kann (s.a. EKD 2020a, S. 77).
Dementsprechend unterstützt die Kirche in ihren Bildungsbemühungen Menschen bei ihren religiösen Suchbewegungen und stellt z.B. Räume in der evangelischen Erwachsenenbildung, im Arbeitsfeld der „Kirche im Lebensraum Schule“ oder auch im Religionsunterricht zur Verfügung, „in denen Religion Gestalt gewinnt und thematisch wird“ (Hauschildt, S. 424, kursiv im Original).
2.2.2 Anfragen an den Grundlagentext
Dem Grundlagentext ist zuzustimmen, wenn dort gesagt wird, dass der Prozess, die Kommunikation des Evangeliums auf „Konfessionslose“ auszurichten, „in jedem Falle auch Kirche und Theologie selbst zugute [kommt], bearbeiten sie doch, wenn sie die Kommunikation des Evangeliums auf Konfessionslose ausrichten, immer auch Fragen, Themen, Herausforderungen, die sich Christinnen und Christen in ihrer Lebensführung und -deutung stellen“ (EKD 2020a, S. 139, kursiv im Original).
Allerdings stellt sich die Frage, warum überhaupt der Umweg über die „Konfessionslosen“ gewählt werden muss. Wäre es – ganz praktisch und ressourcenorientiert gefragt – nicht sinnvoller, sich um Fragen, Themen und Herausforderungen derjenigen Kirchenmitglieder zu bemühen, die kurz vor dem Austritt aus der Kirche stehen, als um diejenigen, die diesen Schritt bereits vollzogen haben? Dabei sind natürlich auch diejenigen nicht zu vergessen, die treu zur Kirche halten, sich aber schwertun, über ihren Glauben innerhalb und außerhalb des kirchlichen Kontexts Auskunft zu geben.
Da jede Form von Kommunikation auch eine Selbstkundgabe in sich birgt, macht der Grundlagentext sich auch selbst zum Gegenstand der Reflexion. Und so drängt sich im Weiteren vor dem Hintergrund des aus der Psychologie bekannten Phänomens der Identitätsbildung durch Abgrenzung die Frage nach der Motivation auf, sich mit dem Thema „religiöser Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit“ auseinanderzusetzen. Dieses besagt, dass man sich nicht aus sich selbst heraus, sondern über die Abgrenzung von seinem Gegenüber bestimmt. Wenn „Konfessionslosigkeit“, wie der Grundlagentext formuliert, „nicht zuletzt als theologische Anfrage“ (EKD 2020a, S. 18) zu verstehen ist, könnte ein Momentum für die Auseinandersetzung mit diesem Thema auch darin liegen, dass man den oben beschriebenen „Umweg“ benötigt, um sich selbst zu bestimmen. Dementsprechend wird man für sich selbst erst dadurch greifbar, indem man feststellt, dass die anderen etwas nicht haben. Was aber dieses „Etwas“ ist, kann man selber nicht unbedingt benennen.
Angesichts der „metaphysischen Obdachlosigkeit“ (Reichenbach 2001, nach Wiesinger 2020, S. 205) verwundert es nicht, wenn Schröder die Schrift-Religionen in einer Krise sieht, da „ihre Inhalte und deren religionsgemeinschaftliche Explikation von den Mitgliedern selbst infrage gestellt, individuell modifiziert oder abgelehnt werden“ (Schröder 2012, S. 3, s.a. EKD 2020a, S. 60–76).
Ob im Grundlagentext diese Krise durchscheint oder ob hier wie andernorts auch die Tendenz der „protestantische[n] Neigung zur Selbstverzwergung“ (Huber 2020, S. 48) vorliegt, wäre zu diskutieren. Auf jeden Fall ist es verstörend, wenn im Grundlagentext die Konfessionalität des Religionsunterrichts daran festgemacht wird, „ob eine konfessionelle Position als solche erkennbar in den Unterrichtsprozess eingespeist und zur Diskussion gestellt wird – sei es über die Person der Lehrenden, über ein Medium, über eine Begegnung oder Ähnliches mehr“ (EKD 2020a, S. 126). Sollte damit etwa gemeint sein, dass es sich schon um einen konfessionellen Religionsunterricht handelt, wenn sich die Schülerinnen und Schüler im Unterricht einer konfessionell nicht gebundenen Lehrkraft mit einem Text von Martin Luther auseinandersetzen?
Wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, wie sich eine solche Position mit der Vehemenz zusammendenken lässt, die sich in der Wahl des Wortes „(wider-)streiten“ zeigt. Insbesondere die den Grundlagentext abschließende Ermunterung, „den Einsichten, Erfahrungen, Entwicklungen, die zu einer konfessionslosen Lebensführung und -deutung führen, zu widerstreiten“ (EKD 2020a, S. 147) irritiert. Denn „entgegentreten“, „sich wehren“ oder „widersprechen“ – alles Synonyme für das Wort „widerstreiten“ – dürften nur bedingt mit dem (Selbst-)Verständnis von Kirche und ihrem Auftrag gerecht werden, geht es ihr doch um die liebende Zuwendung Gottes zu den Menschen.
2.2.3 Auftrag von religiöser Bildung: Subjektwerdung
Wesentliche Merkmale des Subjekts im pädagogischen Sinn sind Selbstbewusstsein, Mündigkeit, Handlungsfähigkeit, Integrität und Daseinsgewissheit (vgl. Schröder 2012, S. 234, Boschki 2017 u.a.). Wenn von „Subjektwerdung“ gesprochen wird, dann ist damit eine „– stets fragmentarisch bleibende – Selbstkonstruktion des Subjekts in Auseinandersetzung mit der ihr begegnenden Umwelt“ (Boschki 2017) gemeint, die die Aufgabe der allgemeinen Pädagogik ist.
Entsprechend formuliert Schröder für die Religionspädagogik „‘Subjektwerdung fördern‘ als Maxime“ (Schröder 2012, S. 232–249, dort auch Weiteres!) und meint, die Aufgabe (christlich-)religiösen Lernens bestehe darin, „durch die Art und Weise der Kommunikation des Evangeliums auf den Aufbau S[!]ubjekt-gemäßer christlicher Religion hinzuwirken“ (Schröder 2012, S. 249).
Diese Auffassung ist biblisch-christlich gut begründet, insbesondere durch die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Diese ermöglicht es dem Menschen, „ein Subjekt zu sein, das sich in der Spannung zwischen Selbstverantwortung und Gottesbeziehung bewegt und eben deshalb bildungsbedürftig und bildungsfähig ist“ (Dressler 2018, S. 79). Da alle Bildungsbemühungen letztlich fragmentarisch bleiben, ist der Mensch auf die Rechtfertigung Gottes angewiesen, weshalb diese im Bildungsgeschehen als weiteres Moment neben die Gottesebenbildlichkeit des Menschen tritt (vgl. Dressler, S. 79–92).
Wenn dementsprechend Bildung als „Motiv und Folge des Glaubens“ (EKD 2009, S. 32) aufgefasst werden kann, dann ist das Bildungshandeln eine zutiefst kirchliche Aufgabe, deren Stellenwert ekklesiologisch zu klären ist.
Am Rande sei erwähnt, dass die Auseinandersetzung mit religiöser Bildung durch den Einbezug neurobiologischer Erkenntnisse noch einmal eine weitere Perspektive erfährt. Denn es ist, in Anlehnung an den Hirnforscher Gerhard Roth davon auszugehen, dass es kein einmal ausgebildetes religiöses Ich als Träger gebildeter Religion gibt. Vielmehr muss dieses immer wieder aktiviert werden (vgl. Roth S. 338–343), was sich im Bildungsbemühen der Kirche widerspiegeln muss.
Räume, in denen Menschen geschützt Religion(en) begegnen können, „müssen weitgehend uneigennützig bereitgestellt und gestaltet werden“ (Hauschildt 2013, S. 424), ist Bildung doch in erster Linie ein intrinsischer Akt (zum Bildungsbegriff „als ‚regulative[r] Idee‘“ vgl. Domsgen 2019, S. 267–274, mit deutlichem Rückgriff auf Schröder 2012, S. 224–231). Wenn Eberhard Hauschildt und Uta Pohl-Patalong dementsprechend weiter formulieren, dass solche Räume „nicht auf Werbung für die eigene religiöse Organisation zielen“ (Hauschildt 2013, S. 424) sollen, wirkt es irritierend, wenn es im Grundlagentext bspw. heißt, es konkurrierten „konfessionslose Muster der Lebensführung und -deutung mit den Bemühungen, das eigene Leben im Licht des Evangeliums zu gestalten und zu deuten.“ (EKD 2020a, S. 81). Gleiches gilt, wenn staatskirchenrechtliche und religionspolitische Folgen erwähnt werden (EKD 2020a, S. 74), da es sich hier um wenig überzeugende Sekundärmotivationen handelt.
Vielmehr sollen entsprechende Räume der Subjektwerdung dienen (vgl. Schröder 2012, S. 232–249, Hauschildt 2013, S. 424), weshalb es gilt, immer wieder sorgsam den schmalen Grat zwischen Funktionalisierung und Freiheit religiöser Bildung auszuloten. Dieser Versuch wird im Grundlagentext wohl unternommen, wenn es einerseits heißt, konfessionslose Lernende „gewinnen zu wollen“ (EKD, S. 75), andererseits aber, dass Glaube „letztlich Geschenkcharakter“ (EKD 2020a, S. 96[1]) hat.
Dass eine solche Position auch im Sinne einer auf der Rechtfertigung gründenden Ethik der Selbstbegrenzung ist, wird deutlich, wenn Ulrich Körtner schreibt: „Den anderen und die Schöpfung sein zu lassen, schließt freilich das tätige Wohlwollen ein, das jedoch immer in Gefahr geraten kann, den Mitmenschen paternalistisch zu bevormunden“ (Körtner 2018, S. 501).
3 Herausforderungen der Bildungsarbeit der evangelischen Kirche in Bayern angesichts von „Konfessionslosigkeit“
Aufgrund des bisher Gesagten ist das Thema der Herausforderung der Bildungsarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern durch „Konfessionslosigkeit“ in zwei verschiedenen Richtungen auszuleuchten.
Zum einen geht es um die Herausforderungen angesichts derjenigen, die im formalen Sinn nicht der Institution Kirche angehören. Dabei ist allerdings jetzt schon vorab festzuhalten, dass hier bisher keine besonderen Handlungsnotwendigkeiten gesehen werden, da alle Handlungsfelder im Bereich der Bildung eine mehr oder wenige freiwillige Teilnahme zu Grunde legen.
Zum anderen geht es um die Herausforderung, aufgrund einer „Konfessionslosigkeit“ im Sinne einer geschwächten Resonanz der „Kommunikation des Evangeliums“, die sich inner- und außerhalb der Kirche zeigt.
3.1 Rahmendaten zur Situation in Bayern
Mit über mehr als 70.500 Quadratkilometern und über 13.124.700 Einwohnern (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik, 2020, S. 6) ist Bayern das größte Bundesland und doppelt so groß wie das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Allerdings dürfte Bayern nicht aufgrund seiner Größe eine besondere Wahrnehmung im übrigen Deutschland erfahren, sondern aufgrund eines bestimmten, sich selbst entlarvenden Selbstbewusstseins, das sich z. B. in Äußerungen zeigt wie der des damaligen CSU-Parteichefs und Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der auf dem politischen Aschermittwoch am 18.2.2015 meinte, Bayern sei eine Weltmarke, ein Premium-Land, „Bayern ist die Vorstufe zum Paradies!" (Süddeutsche Zeitung 2015). Ähnlich formuliert Albert Füracker, derzeitiger Bay. Staatsminister der Finanzen und für Heimat, wenn er von dem Bewusstsein spricht, mit der bayerischen „Vielfalt und Einzigartigkeit Teil eines großen Ganzen zu sein“ (Füracker 2020, S. 18). Dass es sich hier nicht nur um die Äußerungen zweier überzeugter bayerischer Politiker handelt, zeigt die qualitativ-quantitative Studie „Wie ticken die Menschen in Bayern und der Pfalz“, die im Auftrag der Versicherungskammer Bayern durch das rheingold institut durchgeführt wurde. In den Tiefeninterviews wurde ein großer Stolz der Menschen auf ihre bayerische Heimat sichtbar, der sich auch in den hohen quantitativen Werten widerspiegelt, da 66 % der befragten Bürger grundsätzlich sehr zufrieden mit ihrer Lebenssituation in der Region, in der sie leben, seien. So reklamierten die Bayern eine doppelte Identität für sich. Sie fühlten sich als Deutsche, aber besonders auch als Bayern. Sie grenzten sich von den anderen Bundesländern ab und pochten auf den bayerischen Sonderstatus. Der Grund hierfür sei ein stolzes Sendungsbewusstsein, das sich in der Haltung äußert, Bayern sei das Maß aller Dinge. Besonders die bayerische Tradition stütze eine Lebenskunst, in der Gemeinschaft und Geselligkeit einen hohen Stellenwert besäßen (rheingold institut 2021).
Einen Sonderstatus nimmt das Bundesland Bayern auch gegenüber den anderen Bundesländern hinsichtlich des Grundgesetzes ein, da das bayerische Parlament dies im Mai 1949 mit Stimmenmehrheit ablehnte. „Obgleich Bayern damit als einziges Land gegen das Grundgesetz stimmte, wurde gleichzeitig dessen Gültigkeit auch für Bayern mit einer deutlichen Mehrheit anerkannt“ (Bayerischer Landtag). Zudem führt Bayern den Titel „Freistaat“, der allerdings keine sonderrechtliche Bedeutung hat.
Der Blick auf die politische Landschaft zeigt eine weitere Besonderheit, da die CSU bis auf die Zeit der Ministerpräsidentschaft von Wilhelm Hoegner 1954 bis 1957 durchgehend allein oder in Koalition mit anderen Parteien die Staatsregierung stellte. Der Vergleich mit der Schwesterpartei CDU ergibt zudem, dass der Anteil der Parteimitglieder in der Bevölkerung höher ist (für die CDU ohne das Bundesland Bayern). So gehörten Ende 2019 ca. 0,01 % der Bevölkerung der CSU an. Für die CDU betragen die Werte für Gesamtdeutschland (ohne Bayern) im Vergleich 0,006 % bzw. für die westlichen Bundesländer 0,0075 %. Demgegenüber ist der Anteil der Katholiken an den Parteimitgliedern der Unionsparteien im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung in Bayern geringer. Beträgt der Anteil der Katholiken an der CDU bundesweit 46,8 % (Protestanten 29,7 %), so beläuft er sich bei der CSU auf rund 73,8 %. Bezogen auf den jeweiligen Anteil an der Bevölkerung wird aber deutlich, dass mit Werten von 2,01 für Gesamtdeutschland, – für die westlichen Bundesländer 1,81, für die östlichen Bundesländer 3,95, – und 1,54 für Bayern, die Katholiken unter den Mitgliedern der CSU nicht so stark überrepräsentiert sind, wie es bei der CDU der Fall ist (alle Zahlen nach Niedermayer 2020, S. 6.33; Statistisches Bundesamt 2020). Aufgrund des hohen Anteils der Katholiken an der bayerischen Bevölkerung (47,8 %) liegt dieser Sachverhalt natürlich auf der Hand. So zählten sich zum Stichtag 31.12.2019 in Bayern 6.275.747 Menschen zur katholischen Kirche (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2020) und zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 17,5 % der Bevölkerung, nämlich 2.297.528 Menschen (EKD 2020b, S. 8).
3.2 Herausforderungen angesichts von „Konfessionslosigkeit“ im formalen Sinn
3.2.1 Vorbemerkung
„Konfessionslosigkeit“ im Sinne des formalen Merkmals „Mitgliedschaft“ bzw. „Nicht-Mitgliedschaft“ in der Kirche stellt für das Bildungswesen im Bereich der gesellschaftlichen Dienste der ELKB aufgrund der Freiwilligkeit und Zweckfreiheit der Bildungsangebote keine besondere Herausforderung dar (ähnlich EKD 2020a, S. 75). So werden für das Arbeitsfeld der Kita-Arbeit ebenso wenig die Zahlen der konfessionslosen Kinder erfasst wie die der Teilnehmenden im Bereich der Erwachsenenbildung. Eine Ausnahme bildet der Religionsunterricht, dessen Daten allerdings auf Erhebungen des Staates beruhen, da diese für die Planung der Unterrichtsversorgung notwendig sind.
Zudem ist – wohl wissend, dass dies kein valides Kriterium ist – kein Arbeitsfeld im Bildungshandeln der Kirche bekannt, dass Nicht-Mitgliedern die Teilnahme, den Besuch von Bildungsveranstaltungen o.dgl. versagt. Selbst am evang. Religionsunterricht, der zur Ermöglichung der positiven Religionsfreiheit konfessionszugehöriger Schülerinnen und Schülern in Bayern eingerichtet ist, können Kinder und Jugendliche ohne Bekenntnis auf Antrag teilnehmen.
Zudem sollte mit Blick auf diese Diskussion – soll es nicht zu Enttäuschungen kommen, – beachtet werden, dass sich die Mehrheit der Konfessionslosen nach Jaeckel und Pickel „gegenüber Religion desinteressiert [verhält] und schlicht kein Verlangen [hat], sich überhaupt mit religiösen Fragestellungen auseinanderzusetzen.“ (Jaeckel & Pickel 2018, S. 100, ebenso EKD 2020a, S. 38f.).
3.2.2 Ein Blick auf den Bereich der Kita-Arbeit
Selbstredend hat sich religiöses Bildungshandeln unabhängig von rechtlichen Bestimmungen zu bewähren. Dennoch sollen diese kurz referiert werden, zeigen sie doch, wie stark die religiöse Bildung in diesen (noch) verankert ist.
Für das Arbeitsfeld der Kita-Arbeit, für das im letzten Jahr über 14.800 Mitarbeitende mehr als 86.600 Kinder in Einrichtungen evangelischer Trägerschaft betreut haben, formuliert die Ausführungsverordnung zum Bayerischen Kinderbildungs- und betreuungsgesetz (AVBayKiBiG), dass alle Kinder „zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren und lernen [sollen], sinn- und werteorientiert und in Achtung vor religiöser Überzeugung zu leben sowie eine eigene von Nächstenliebe getragene religiöse oder weltanschauliche Identität zu entwickeln.“ Weiter heißt es dort „(2) Das pädagogische Personal soll die Kinder darin unterstützen, mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen, in christlicher Nächstenliebe offen und unbefangen Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit anzunehmen, sich in die Kinder einzufühlen, Mitverantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und untereinander nach angemessenen Lösungen bei Streitigkeiten zu suchen.“
3.2.3 Ein Blick auf den Bereich des evang. Religionsunterrichts
Auf Grundlage von Art. 7,3 GG (s.a. Art. 107 BayVerf) benennt das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen noch konkreter, nämlich an erster Stelle, die Ehrfurcht vor Gott als eines der obersten Bildungsziele (Art. 1 Abs. 1 S. 3 BayEUG) schulischer Bildung und Erziehung. Darüber hinaus wird festgehalten, dass die „Kirchen und Religionsgemeinschaften den Lehrinhalt und die Didaktik im Rahmen der geltenden Bestimmungen und kirchenvertraglichen Vereinbarungen“ bestimmen (Art. 112 BayEUG). In der Praxis bedeutet dies, dass ohne Zustimmung der Kirchen weder ein Lehrplan noch ein Schulbuch für den Gebrauch in der Schule zugelassen werden kann.
Der Blick auf die Daten für den evang. Religionsunterricht in Bayern zeigt, dass in den Schuljahren 2014/15 bis 2019/20 ein Rückgang der Zahl an teilnehmenden Schülerinnen und Schülern von 1,01 % pro Schuljahr zu verzeichnen war. Bemerkenswerter Weise liegt dieser Wert unterhalb des Durchschnittswerts für die Austritte aus der ELKB (1,35 %). Auch wenn der allgemeine Rückgang der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wird, zeigt sich Handlungsbedarf, da der prozentuale Anteil von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Bekenntnis, die am evang. Religionsunterricht teilnehmen, von 22,22 % im Schuljahr 2014/15 (absolut ca. 360.900, davon ca. 49.900 ohne Bekenntnis) auf 19,60 % (absolut ca. 324.000) im Schuljahr 2019/20 gesunken ist. Der relative hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne Bekenntnis zeigt, dass der evangelische Religionsunterricht eine gewisse Attraktivität besitzt.
Während das formale Kriterium der Mitgliedschaft in der ELKB für die Teilnahme am evang. Religionsunterricht auf Seiten der Schüler*innen keine Rolle spielt, wird diese bei den staatlich ausgebildeten Lehrkräften (3846) im Zuge der Verleihung der Vocatio eingefordert. Kirchlich ausgebildete Lehrkräfte (3025, alle Daten für das Schuljahr 2019/20) hingegen dürfen qua Amt RU unterrichten. Gehören Lehrkräfte einer Mitgliedskirche der ACK Bayern an, erhalten sie eine Lehrerlaubnis. Liegt weder das eine noch das andere vor, ist es den Lehrkräften nicht gestattet, evangelischen Religionsunterricht zu erteilen.
3.2.4 Ein Blick auf den Bereich der evangelischen Erwachsenenbildung
Für den Bereich der Erwachsenenbildung benennt das Erwachsenenbildungsförderungsgesetz (BayEBFöG) erstmalig in seiner letzten Fassung vom 31. Juli 2018 die religiöse Bildung als einen Teil der staatlichen Bildungsaufgaben im Bereich der Erwachsenenbildung. Damit ist festgehalten, dass der Staat diese subsidiär mit den Trägern der Erwachsenenbildung verantwortet, weshalb die evang. Erwachsenenbildung Angebote der Glaubensbildung macht und auch religiöse Fragestellungen in säkularen Kontexten formuliert. Dabei hat sich ihre Arbeit im Miteinander von säkularen Bildungsanbietern zu bewähren.
Insgesamt wurden von den evangelischen kirchlichen Trägern im Jahr 2019 über 28.000 Veranstaltungen mit mehr als 600.000 Teilnehmenden durchgeführt. Damit ist die evangelische Kirche der drittgrößte Anbieter im Bereich der Erwachsenenbildung in Bayern. In Einzelfällen sind die Mitarbeitenden auf der Ebene der Referent*innen nicht kirchlich gebunden. Von ihnen wird allerdings die Fähigkeit erwartet, zu wissen, in wessen Auftrag und auf welcher Basis sie ihre Tätigkeit ausüben.
3.3 Herausforderungen angesichts von „Konfessionslosigkeit“ im Sinne eines Resonanzverlusts
Wenn der Grundlagentext formuliert „Es geht immer seltener um die nachlaufende Erschließung von Gehalten, die von den Einzelnen durch Taufe, Kirchenmitgliedschaft, Gemeindepartizipation de facto bereits bejaht wurden, sondern es geht um die werbende und einladend-anfangshafte Erschließung von Orientierungen, die sich erst einmal als für die je eigene Lebensführung und -deutung relevant […] erweisen müssen“ (EKD 2020a, S. 56, kursiv im Original), gilt zu bedenken, dass, egal, ob jemand getauft ist oder nicht, bei der Entwicklung religiöser Überzeugungen irgendwann eine anfangshafte Erschließung stattgefunden haben muss. Geschieht dies nicht im primären Sozialisationsraum der Familie, dann ist die Kirche gefordert, hier Kontaktflächen zu schaffen und zu versuchen, den Kontakt dauerhaft aufrecht zu erhalten. Denn eine anfangshafte Erschließung ist zunächst ein einmaliger Akt. Bildung, Selbstwerdung hingegen ereignet sich ein Leben lang und „Saiten“ des Menschen, die nicht weiter angeregt werden, bilden sich zurück und vermögen nicht mehr zu schwingen.
Gerade Bildungsprozesse bieten sich an, jene einzubeziehen, die keiner Kirche (mehr) angehören oder sich selber als religiös distanziert verstehen, da sie Menschen in ihren je eigenen Lebenswirklichkeiten und ihren Fragen einbeziehen und diese Lebenswirklichkeiten auf das Evangelium hin transparent machen und Lebensfragen im Lichte des Evangeliums deuten.
3.3.1 Bedeutung der Bildungsarbeit klären und entsprechend unterstützen
Grundlegend ist bei der Frage nach den Herausforderungen der Bildungsarbeit der Kirche angesichts des Resonanzverlusts zunächst durch die kirchenleitenden Organe zu klären, welche Bedeutung sie diesem Arbeitsgebiet im Gesamtprogramm des kirchlichen Handelns zuschreiben. Im Reformprozess „Profil und Konzentration“, den die ELKB 2017 ins Leben gerufen hat, wird „Christliche und soziale Bildung ermöglichen“ als Grundaufgabe der Kirche bestimmt. Daher ist jetzt und in Zukunft auch bei einer angespannten Entwicklung der Finanzen dieser Arbeitsbereich so auszustatten, dass er seine Aufgabe erfüllen kann.
3.3.2 Gesellschaftliche Entwicklungen abschätzen
Unabhängig davon ist es bei dem Blick auf die Herausforderungen der kirchlichen Bildungsarbeit unerlässlich, gesellschaftliche und bildungspolitische Entwicklungen möglichst frühzeitig abschätzen zu können. Daher sind Überlegungen anzustellen, mit welchen Instrumenten dies geschehen könnte. Ein Schlagwort hierfür ist „Trendscouting“, wobei es nicht darum gehen kann, bloße „Trends“ zu identifizieren, sondern mittel- bis langfristige gesellschaftliche und bildungspolitische Entwicklungen möglichst frühzeitig zu erkennen und entsprechende Reaktionen kirchlichen Bildungshandelns auf diese zu initiieren.
3.3.3 Religionspädagogische Grundlagenforschung forcieren
Hierfür bedarf es weitergehender Forschungen, sei es, wie Barth es mit Blick auf die Areligiosität in Deutschland ausführt (vgl. Barth 2016, S. 54), sei es, wie Schweitzer es für die Wirksamkeit von (Religions-)Unterricht fordert (Schweitzer 2020, S. 153). Diese Forderung ist um die Elementarpädagogik zu erweitern, umso mehr, als Familien ihre Funktion als Orte christlich-religiöser Sozialisation verlieren.
3.3.4 Kontaktflächen gestalten und ausbauen
Unter dem Leitbild einer „lebensbegleitenden Bildung“ sind bestehende und neue Kontaktflächen zu Menschen zu suchen, zu vernetzen sowie mit medialen Mitteln unserer Zeit zu bespielen, um Menschen bei ihrer lebenslangen religiösen Selbstwerdung zu unterstützen. Gerade die „Kontaktfläche“ Familien sollte verstärkt in den Blick genommen werden, denn zum einen besteht bereits durch den Besuch kirchlicher Tageseinrichtungen der Kinder ein erster Kontakt, zum anderen gehören zu dieser gesellschaftlichen Größe Menschen in verschiedenen Lebensphasen. Auch die Verknüpfung von Familienarbeit, Kirche im Lebensraum Schule sowie dem Religionsunterricht bietet sich an. Selbstredend drängt sich natürlich ein verstärktes Zusammenwirken von Konfi- und Jugendarbeit sowie dem Religionsunterricht auf. Aber auch begleitende Bildungsmaßnahmen für Menschen im Übergang von Lebensphasen könnten ebenso weitere Kontaktflächen für die „Kommunikation des Evangeliums“ darstellen wie entsprechende Angebote für die große Gruppe der Alleinstehenden.
Gleichzeitig sind die eigenen Mitarbeitenden nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn gerade in Zeiten zurückgehender Finanzmittel besteht die Versuchung, mehr mit weniger Ressourcen erreichen zu wollen. Das wirkt demotivierend und macht die Institution Kirche als Arbeitgeber im Bereich der Bildung wenig attraktiv. Vielmehr ist diese aber angesichts des prognostizierten Personalrückgangs auf weitere Mitarbeitende angewiesen, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Daher ist die Kirche herausgefordert, auch das Verhältnis zu den staatlichen Lehrkräften, eben denjenigen, die im Unterschied zu den kirchlichen vom Staat besoldet werden, intensiver zu gestalten und diese als Mitarbeitende an der „evangelischen Sache“ erkennbar wahrzunehmen.
Aufgrund seiner Breitenwirkung zählt zu einer bedeutenden „Kontaktfläche“ auch der konfessionelle Religionsunterricht in Bayern, dessen Resonanzkraft zu untersuchen ist. Davon unabhängig ist jedoch jetzt schon aufgrund verschiedener anderer Faktoren offensichtlich, dass er pädagogisch, didaktisch und hinsichtlich des Formats zu überdenken ist. In diesem Sinne formuliert Schröder völlig zu Recht, wenn er schreibt, dass die „Weitergabe des christlichen Glaubens […] unter den modernen Bedingungen der Pluralität und der Individualisierung in hohem Maße gestaltungs- und reform-, damit zugleich reflexions- bzw. theoriebedürftig geworden“ (Schröder 2012, S. 2) ist.
3.3.5 Eigene Sprache reflektieren
Zu einer gelingenden Kommunikation gehört auch, dass beide Kommunikationspartner den gleichen Code verwenden. In Anlehnung an die Rede von der Dreisprachigkeit (EKD 2020a, insbes. S. 101f) wäre zu prüfen, ob es nicht einer „Viersprachigkeit“ im Sinne einer Sprache für die Mitglieder der Kirche als Adressaten bedarf. Mit den Worten Ellen Ueberschärs gesprochen, besteht die Gefahr, „dass das, was die Kirche sagt, und wie sie es sagt, gar nicht mehr ankommt, und dass sie so die Funktion, die sie bestenfalls hat, wegen dieser Sprache gar nicht wahrnehmen kann.“ (Feddersen & Gessler 2020, S. 129). Beispielhaft veranschaulichen Jaeckel und Pickel dies mit Verweis auf Hans-Martin Barth, wenn sie die kritische Frage formulieren, ob die Kirche „in sprachlicher Hinsicht tatsächlich den dreieinen und damit aus vielerlei Perspektiven zugänglichen Gott kommuniziert oder ob nicht auch im kirchlichen Rahmen der Gottesbegriff viel zu selbstverständlich verwendet wird“ (Jaeckel & Pickel 2018, S. 101).
Damit soll nicht einer künstlichen Angleichung an die Adressaten das Wort geredet werden. Vielmehr gilt es, die hier wie dort verwendete(n) Sprache(n) auf ihre Funktionalität hin zu beleuchten, eine zeitgemäße, nicht anbiedernde Sprache, selbsterklärende und tragfähige Bilder zu verwenden. Zudem ist im Sinne von Klarheit und Aufrichtigkeit, auch bei offenen Fragen des Glaubens, transparent zu kommunizieren. Damit einhergeht ein Vertrauen in das Gegenüber, mit Unerklärlichem und Unsagbarem umgehen zu können.
3.3.6 Resultat als Maßstab gelingender Kommunikation
Als Kennzeichen einer gelungenen Kommunikation gilt allgemeinhin das Resultat der Kommunikation. Wenn nun Schüler*innen im Religionsunterricht auf die Frage, warum Jesus gekreuzigt worden ist, antworten, er sei für unsere Sünden gestorben, ist diese Aussage zunächst einmal richtig und man könnte von einer gelungenen Kommunikation ausgehen. Wenn sie allerdings nicht in der Lage sind, ihre Antwort näher auszuführen und der Satz einfach ein Schlagwort bleibt, hat die Kommunikation doch nicht die Tiefe erfahren, wie es wünschenswert wäre.
Insofern sind die Impulse zur Selbstkritik im Grundlagentext (EKD 2020a, S. 18.99) aufzunehmen und zu fragen, ob die Kommunikation der Kirche durchweg überzeugend ist. Zwar „kann und soll Bildung nicht an Erfolgsquoten gemessen werden“ (EKD 2020a, S. 98), aber durchaus an der Qualität der Vermittlung bzw. des „Lernarrangements“ (ebd.). So betonen auch Wissner und Schweitzer, mit Verweis auf eine Studie von Zimmermann und Generich, (Wissner & Schweitzer 2019, bes. S. 57, s.a. Schweitzer 2020, S. 36f.) und Rudolf Englert die Bedeutung der Qualität des Religionsunterrichts (Englert 2019, S. 62–75). Unter dem Gesichtspunkt des Resultats gehört zur Qualität aber nicht nur der einmalige Akt des Erschließens (s.o.), sondern auch dessen fortwährende Wiederholung. Insofern sollte Nachhaltigkeit auch ein Kennzeichen des Bildungshandelns in der Schule sein.
Denn es ist wenig nachvollziehbar, wenn in Gesprächen der Fachabteilung mit Lehrkräften oder anderen Bildungsverantwortlichen immer wieder berichtet wird, dass Schüler*innen auch nach Jahren von Religionsunterricht grundlegende christliche Wissensbestände, wie bspw. die Ostergeschichte, nicht präsent haben. Vielfach wird diesem Eindruck entgegengehalten, dass sie ihre Kompetenzen aber in den Bereichen „Verstehen“, „Deutungsfähigkeit“ und „Perspektivenübernahme“ umso stärker entwickelt hätten. Dem kann und soll nicht widersprochen werden, wenn dem eine begründete Position für das schulische Bildungshandeln zugrunde läge. Die ist im Moment für das Bildungshandeln der ELKB aber nicht erkennbar.
Daher beteiligt sich die ELKB gerne an dem Projekt „Qualität und Qualitätsentwicklung im Religionsunterricht“ der Universität Tübingen, um in diesem Punkt der „Qualitätsfrage des Religionsunterrichts“ eine größere Klarheit zu erlangen.
Insgesamt gilt es mit Blick auf den Religionsunterricht, aber kontextbezogen auch für die anderen Bereiche kirchlichen Bildungshandelns nach Englert, „ein auch aus Schülersicht beachtliches ‚Mehr‘ didaktisch so zu entfalten, dass der Religionsunterricht weder ‚unbescheiden‘, noch ’konfus‘ und schon gar nicht trivial erscheint“ (Englert 2019, S. 72). Denn die Konstruktion von „Sinn“, d.h. von Lebensrelevanz, kirchlicher Bildungskommunikation liegt jenseits des Einflusses der Kirche, eben bei den Kommunikationspartner*innen, sprich bei den Kindern in der Kita, den Schüler*innen in der Schule oder in der Jugendarbeit, bei den Teilnehmenden an Angeboten der evangelischen Erwachsenenbildung etc.(vgl. Wissner und Schweitzer, S. 58f.).
3.3.7„Die Botschaft“
Die Frage nach der Lebensrelevanz führt direkt wieder zum Auftrag der Kirche, genauer gesagt, zur Bestimmung dessen, wie heute das „Evangelium“, die Rede von Gottes liebender Zuwendung, der Rechtfertigung und der Erlösung des Menschen, zu füllen ist. Mit Körtner gesprochen entspricht das dem christlichen Glauben, denn dieser „gibt zu denken. Er ist denkender und verstehender Glaube, der nicht nur den Glaubenden selbst, sondern auch die Welt und die Wirklichkeit im Ganzen in bestimmter Weise zu sehen und zu verstehen lehrt“ (Körtner 2018, S. 1).
Wenn Christian Grethlein mit seiner Anmerkung Recht hat, dass „die Praktische Theologie [sich] nicht leicht mit einer materialen Bestimmung des Inhalts der christlichen Verkündigung, des ‚Evangeliums,‘“ (nach Hauschildt 2013, S. 420[2]) tue, dann ist die Herausforderung des „denkenden und verstehenden Glaubens“ anzunehmen und zunächst einmal binnenkirchlich den Versuch zu wagen, glaubensgewiss im wahrsten Sinne des Wortes „glaubbar“ die Botschaft des Evangeliums näher zu fassen, die eigene Haltung zu dieser zu reflektieren und authentisch zu kommunizieren: sich selbst zu hinterfragen, das Gegenüber wahrzunehmen und dadurch die eigene Haltung erneut zu überprüfen.
Eine solchermaßen profilierte evangelische Identität ist ein guter Ausgangspunkt für die Begegnung der Resonanzkrise. Denn, um mit Wolfgang Huber zu sprechen, „nur wer sich seiner Identität gewiss ist, kann ausstrahlend gewinnen“ (Huber 2020, S. 51).
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Stefan Blumtritt ist Mitglied des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Leiter der Abteilung „Gesellschaftsbezogene Dienste“, Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt, München.
Matthias Tilgner ist Leiter des Referats „Erziehung, Bildung, Unterricht“, Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt, München.
Hofheinz betont hier „extra nos“, Hofheinz 2017, S. 138.
Interessanter Weise fehlt – aus bayerischer Perspektive – in dem Überblick „Die Aufgaben der Kirche im Überblick“ der Religionsunterricht (vgl. Hauschildt 2013, S. 436).