1 Einleitung

Chancen und Gefahren ‚neuer‘ Medien für (religiöse) Lehr-Lernprozesse wurden und werden seit Jahrhunderten diskutiert, sei es die Einführung des Schulbuchs, der Einsatz von Bildern (Ringshausen, 1975), des Schulfernsehens (Hauke, 1992) oder des Computers (Kabaum & Anders, 2020). Bis vor wenigen Monaten verliefen die Debatten zum digitalen (religiösen) Lernen nach altbewährtem Muster: Innovative digitale Lernsettings wurden von medienaffinen Didaktiker*innen entwickelt, diese wurden zögerlich in der Breite adaptiert, teils kritisch beäugt oder als überflüssig betrachtet. Entsprechend entwickelte sich in der Theologie bzw. Religionspädagogik und -didaktik ein recht überschaubarer Theoriediskurs über die Chancen und Problemstellungen digitalen Lernens (Giercke-Ungermann, 2020; Giercke-Ungermann & Handschuh, 2020). Mit dem coronabedingten Lockdown im Bildungssystem wurde dieses (religions-)didaktische Muster, wie ‚neue‘ Medien nach und nach in Bildungsprozesse implementiert werden, auf vermutlich historische Weise durcheinandergewirbelt. Wurde das öffentliche Streben nach mehr digitalem Lernen bis dato teilweise noch ideologiekritisch betrachtet, da hierbei „technisch-ökonomische Veränderungen als schicksalhaft geschildert und damit der öffentlichen Auseinandersetzung entzogen werden“ (Rieger-Ladich, 2018, S. 15), so gab es plötzlich zu digitalem Lernen keine Alternative mehr. Entsprechend explodierten die Debatten über digitales Lernen. Vielfach wird der Lockdown als längst fällige Gelegenheit für einen seit langem notwendigen Digitalisierungsschub im Bildungswesen betrachtet. Zugleich werden, auch aus einer dezidiert theologischen Perspektive, Befürchtungen laut, dass hierdurch Bildung verstärkt ökonomisiert, fremdbestimmt oder instrumentalisiert wird (Herbst, 2020; AK Religionslehrer_innen im ITP 2020).

In der Theologie bzw. Religionspädagogik wird insbesondere darum gerungen, wie viel personale Begegnung und Körperlichkeit es für gelingende (religiöse) Lehr-Lernprozesse bedarf (Taxacher, 2020; Walder, 2020). Dabei werden in diesen Debatten teilweise sachlich problematische Polarisierungen aufgemacht, wenn z. B. digitale Lehre mit Outputorientierung und der Wunsch nach Präsenzlehre als „im Kern reaktionäre Einwürfe, die bestehende Didaktik stabilisieren wollen,“ (Schöning, 2020) bewertet werden. Insbesondere an der Relevanz von ‚Präsenz‘ bzw. ‚Präsenzlehre‘ scheiden sich nicht nur in der Theologie die Geister, wie der von knapp 6000 Wissenschaftler*innen unterzeichnete offene Brief zur Präsenzlehre verdeutlicht (www.praesenzlehre.com; Demantowsky & Lauer, 2020; Klier, 2016). Die im Folgenden präsentierte Studie ist in ihrer Zielsetzung und Methodik von diesem aktuellen Kontext zutiefst geprägt.

2 Ziel und methodische Konzeptionierung der Studie

Um die kontroversen Debatten über Chancen und Probleme digitalen Lernens empirisch zu fundieren, will die Studie digital initiierte Lernprozesse von Lehramtsstudierenden der Katholischen Theologie evaluieren, wobei sie sich auf Lehrveranstaltungen der Religionspädagogik und -didaktik fokussiert. Dabei ist die Studie ohne langfristige konzeptionelle Vorbereitung während des digitalen Sommersemesters entstanden, was Auswirkungen auf ihre methodische Konzeptionierung hatte. Aufgrund der raschen Umstellung der universitären Lehre auf ausschließlich digitale Angebote gab es keinen planerischen Vorlauf. Somit schieden Prä-Post-Tests zur Erhebung des Lernstandes bzw. Lernfortschritts konzeptionell ebenso aus wie die Evaluation von Untersuchungsinstrumenten in Pretests.

Mit Hilfe eines halbstandardisierten Fragebogens fokussiert die Studie die subjektiv wahrgenommenen Lernprozesse von Studierenden. Gefragt wird somit nicht, was Studierende besser oder schlechter gelernt oder welche Kompetenzen sie erworben haben, sondern, wie die Studierenden ihren eigenen Lernerfolg einschätzen und welche Formate sie hierfür als hilfreich oder hinderlich wahrgenommen haben. Erhoben werden somit die subjektiven Lernendenperspektiven in Form von Selbsteinschätzungen. Als vergleichende Kategorie gelten hierbei die subjektiv wahrgenommenen Lernprozesse in der analogen Präsenzlehre in früheren Semestern. Die Befragten geben somit an, wo und wie sie in ihrer subjektiven Wahrnehmung im Vergleich besser oder schlechter gelernt haben. Dass es hierbei durchaus zu zeitlich oder kontextuell bedingten Verzerrungen kommen kann, ist unbenommen. Lernerfolg über Selbsteinschätzung zu erheben ist jedoch für Lehramtspraktika und -praxissemester bereits umfassend erprobt, auch für die Religionspädagogik (Caruso, 2019). Hierbei stellen Kompetenzselbsteinschätzungen „einen Indikator […] für die Beschreibung subjektiver Lernerträge, die im Kontext praktischer Lerngelegenheiten erzielt werden können“, und zugleich „einen ökologisch validen Indikator für das tatsächliche Handeln dar [...].” (Gröschner & Schmitt, 2012, S. 114). Die direkte Messung von religionsdidaktischen Kompetenzen bzw. theologisch-religionspädagogischer Kompetenz (EKD, 2008) von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften steckt hingegen noch in den Kinderschuhen (Fricke, 2017; Riegel, 2013; Leven, 2019). Die vorliegende Studie geht daher analog davon aus, dass subjektive Befragungen in der Hochschullehre eine etablierte Methode darstellen (Handke & Schäfer, 2012, S. 299) und dass Selbsteinschätzungen von Studierenden „ein notwendiger, aber kein hinreichender Zugang” (Caruso, 2019, S. 310) zur Erhebung des Lernerfolgs im Digitalsemester sind.

Der halbstandardisierte Fragebogen kombiniert Items mit Ratingskalen und offenen Fragen. In einem ersten Teil werden allgemeine biografische Daten zum Studium sowie zu technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen des digitalen Semesters erfasst. Der zweite Teil erhebt Selbsteinschätzungen zum allgemeinen Lernverhalten und Lernerfolg in digitalen Veranstaltungen, der dritte Teil fokussiert fachübergreifend Aspekte der Lehrer*innenbildung, wie z. B. Classroom Management oder digitale Medienkompetenzen. Abschließend werden die Selbsteinschätzungen zum religionspädagogischen Kompetenzerwerb erhoben. Die Items orientieren sich dabei an den von der EKD 2008 veröffentlichten theologisch-religionspädagogischen Kompetenzen für Lehrkräfte. Da sich die Studierenden jedoch in der ersten Ausbildungsphase befinden, können nicht alle dort beschriebenen Kompetenzen bereits vollumfänglich im Studium erwartet oder erworben werden. Daher dienen die Kompetenzbereiche (Religionspädagogische Reflexionskompetenz, Gestaltungskompetenz, Förderkompetenz, Entwicklungskompetenz, Dialog- und Diskurskompetenz (EKD, 2008, S. 28–38) nur als grobe Strukturierung des Kompetenzfeldes. Angesichts der Breite der Kompetenzfelder wurden Schwerpunkte gesetzt in Bereichen, die in der Umstellung von analoger Präsenzlehre zum digitalen Lernen besonders relevant erscheinen. Dabei war die These leitend, dass insbesondere Kompetenzen, die stark leiblich-sinnliche (z. B. performatives Lernen) oder sozial-kommunikative (z. B. Lernen am Modell, Diskursfähigkeit) Bezüge besitzen, aufschlussreich sind.

Die Studie wurde an der TU Dortmund im Fach Katholische Theologie durchgeführt und umfasste alle Lehramtsstudiengänge. Der Rücklauf betrug 62 Fragebögen, wobei nur die vollständig ausgefüllten Bögen ausgewertet wurden (n=52). Knapp 70% der Befragten sind Masterstudierende und entsprechend stammen ca. 30% der Ergebnisse aus dem Bachelorstudium. Die Studierenden haben jeweils nur einen Fragebogen ausgefüllt, auch wenn sie mehrere Seminare belegt haben. Es handelt sich somit nicht um die Evaluation einzelner Lehrveranstaltungen, sondern um die Erhebung von religionspädagogischen Lernerfolgen und -prozessen bezogen auf das gesamte Semester.

Die quantitativ gewonnenen Daten wurden deskriptiv ausgewertet und mittels Häufigkeitstabellen visualisiert. Die qualitativen Daten der offenen Items wurden mit Hilfe von MAXQDA erfasst und mit deduktiv-induktiv gewonnenen Kategorien codiert (Kuckartz, 2018, S. 95; Kelle & Kluge, 2010). Im Folgenden werden hieraus ausgewählte Ergebnisse vorgestellt und diskutiert.

3 Darstellung ausgewählter Ergebnisse

3.1 Beziehung und Kommunikation

Beim Vergleich eines regulären Semesters mit dem digitalen Semester ist zunächst auf die wahrgenommenen Veränderungen hinsichtlich der Beziehung und Kommunikation auf zwei Ebenen hinzuweisen: zwischen den Studierenden in ihren Seminargruppen auf der einen Seite und zu ihren Lehrenden auf der anderen Seite.

Austausch mit Lehrenden und individuelle Rückmeldung an Studierende

Die Kommunikation zwischen den Studierenden und den Dozierenden ist vorwiegend geprägt von einem intensiven fachlichen Austausch, auch durch ein „Gefühl von ‚Vernetzung‘“ (U2: 48), da sich Lehrende und Lernende gemeinsam der Herausforderung und Ausnahmesituation stellten. Nach der Einschätzung von 58% der Studierenden werden sie von den Dozierenden während des digitalen Semesters vergleichbar zu einem regulären Semester betreut, auch wenn 25% die Betreuung in den Präsenzveranstaltungen als ‘besser’ erfahren. Insbesondere heben die Studierenden dabei die gute Erreichbarkeit der Lehrenden hervor und bescheinigen, dass der Kontakt in der Regel geprägt gewesen sei vom Verständnis für Schwierigkeiten und dem Bereitstellen von Hilfen, wenn diese benötigt wurden. Darüber hinaus wird das Engagement der Dozierenden der Religionspädagogik hinsichtlich dessen wertgeschätzt, eine Beziehung zu ihren Seminargruppen aufzubauen:

„Ich hatte das Gefühl, dass sich alle Lehrenden sehr bemüht haben, eine persönliche Bindung zu den Studierenden trotz der Distanz und der ‚Gesichtslosigkeit‘ zu schaffen.“ (Z1: 52)

Aufgrund dieser „Gesichtslosigkeit” (Z1: 52) der digitalen Kommunikation gab es Schwierigkeiten eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen, auch wenn die Lehrenden als engagiert wahrgenommen wurden. Die körperliche Präsenz, die nicht mit Anwesenheit zu verwechseln ist, spielt eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung der Beziehung und der Kommunikation der Studierenden (Taxacher, 2020; Klier, 2019). Dies zeigt sich auch darin, dass die Herausforderung eines Beziehungsaufbaus nicht auf Verständnisschwierigkeiten zurückgeführt werden kann, da 56% der Studierenden angeben, dass sie in den synchronen Kommunikationsformen der digitalen Lehre den Erläuterungen der Dozierenden vergleichbar zur Präsenzlehre folgen können. Mit Blick auf die Kommunikationsstrukturen gibt es hier aber auch ein deutliches Votum für die Präsenzlehre, da 35% den Lehrenden besser in Präsenz folgen können, im Vergleich zu 6% der Studierenden, die Erläuterungen in einer digitalen Variante bevorzugen. Als ein zentraler Baustein der Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden im digitalen Semester kristallisiert sich die individuelle Rückmeldung der Dozierenden heraus. Die Studierenden erkennen das Feedback zu ihren Beiträgen als Chance und Gewinn des digitalen Lernens an, auch wenn 31% das erhaltene Feedback als vergleichbar mit einer Präsenzveranstaltung bewerten, schätzen 29% das Feedback in Präsenzveranstaltungen und 33% der Studierenden das Feedback in digitalen Veranstaltungen als ‘besser’ ein. Hier schlägt sich in den Antworten der Studierenden das erfahrene Engagement der einzelnen Lehrenden nieder.

Zusammenarbeit und Diskussionskultur in Seminargruppen

Obwohl der Austausch zwischen Studierenden und Dozierenden intensiv ist, fehlen 67% der Studierenden die körperliche Präsenz der Lehrenden – wie auch ihrer Seminargruppe – als Modelle und als Orientierung für das religionspädagogische Lernen. Synchrone Formen der Kommunikation in der digitalen Lehre können dies (scheinbar) nicht ausgleichen, um ein Lernen von Vorbildern und Rollen zu ermöglichen. Bestätigt wird dies von der Einschätzung der Studierenden, dass sie in der digitalen Lehre für den Lehrer*innenberuf weniger von ihren Kommiliton*innen lernen (60%). Um voneinander lernen zu können, sind der Austausch und die Zusammenarbeit essentiell. Die Beschränkung auf digitale Formen der Kommunikation und des Treffens erschweren die Zusammenarbeit mit der Peer-Group und führen zur Einengung der Diskussionskultur: 65% der Studierenden geben an, dass sie in Präsenzveranstaltungen gewinnbringender mit Kommiliton*innen in Kleingruppen zusammenarbeiten können. Die Möglichkeiten der Diskussion und des Austausches innerhalb der Seminargruppe leidet darunter, dass Sitzungen in Präsenz ausgeschlossen sind und sich die Seminargruppe möglicherweise gar nicht kennt. Im Vergleich von digitaler Lehre zur Präsenzlehre ist die Diskussionskultur ein Dreh- und Angelpunkt. Auch wenn 50% der Studierenden angeben, dass sie in digitalen Lehrveranstaltungen ausreichend Gelegenheit haben eigene Positionen zu entwickeln, scheinen die digitalen Möglichkeiten einer gemeinsamen Erarbeitung und Diskussion schlechter nutzbar:

„Die Kommunikation über Chats sind für die Erarbeitung von Aufgaben wenig geeignet.“ (Z1: 56)

„Die synchrone Kommunikation untereinander bzw. der unbeobachtete Austausch über Seminarinhalte ist kaum möglich.“ (W2: 13)

Es wurden verschiedene Tools in den Seminaren erprobt, um Erarbeitung, Diskussion und Austausch in der digitalen Lehre zu ermöglichen. Diese Tools vernetzen die Akteur*innen einer Lerngruppe zwar miteinander, gleichzeitig kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch eine gemeinsame Interaktion automatisch gewährleistet wird (Hunze, 2020, S. 9–10).

Soziales Miteinander in digitalen Kommunikationsräumen

Die Herausforderung, eine ‘analoge’ Diskussion im Seminarraum in die virtuelle Welt zu ‘übertragen’, bestätigt sich auch darin, dass 81% der Studierenden angeben, dass ihnen die digitale Lehre auch durch eine höhere Anonymität nicht mehr Sicherheit gibt, Fragen oder Diskussionsbeiträge einzubringen. In Präsenzveranstaltungen können 50% der Studierenden besser Rückfragen zu den Inhalten stellen als in der synchronen Kommunikation des digitalen Lernens.

„Es wurde das Beste aus der Situation gemacht, auch wenn viel Austausch und Gespräche verloren gehen.“ (Z1: 28)

„Das gemeinsame Lernen und Austauschen über Lehrinhalte geht bei der digitalen Lehre m.E. weitestgehend verloren. Auch wenn Videokonferenzen stattfinden, so können sie keine anregende Diskussion im Seminarraum/Klassenzimmer ersetzen.“ (W2: 21)

Ein soziales Miteinander und die körperliche Präsenz im Seminarraum tragen maßgeblich zur Diskussionskultur in den Seminarveranstaltungen bei. 83% der Studierenden geben an, dass ihnen soziale Kontakte in den digitalen Lehrveranstaltungen der Religionspädagogik fehlen. Die kollegiale Zusammenarbeit und Konversation können in Präsenzveranstaltungen leichter und ‚natürlicher‘ gelingen, als dies digital erzeugt werden kann. Dies wirft die Frage nach einer gelungenen Gestaltung von digitalen Kommunikations- und Lernräumen auf, die Präsenzveranstaltungen bereichernd erweitern können (Giercke-Ungermann, 2020, S. 134).

„Die sehr kurzfristige Umstellung auf digitale Lehre hat meiner Ansicht Möglichkeiten und Chancen entwickelt [sic!] bisher ungenutzte Potentiale zu nutzen, aber gleichzeitig auch dafür gesorgt [sic!] die Präsenzveranstaltungen in der Gemeinschaft mehr wertschätzen zu können.“ (Z1: 15)

„Ich finde, dass der persönliche Kontakt zu den Kommilitonen fehlt, um sich auch mal über verschiedene Inhalte zu unterhalten.“ (W2: 10)

Für die Kommunikation innerhalb einer Seminargruppe ist damit nicht nur das Etablieren einer Diskussionskultur eine spezifische Herausforderung des digitalen Semesters, sondern ebenso das Aufrechterhalten eines kollegialen Austausches innerhalb der Lerngruppe, der im regulären Universitätsbetrieb ‘nebenbei’ geschieht, aber für die Beziehung und Kommunikation der Studierenden untereinander essentiell ist: Der beiläufige Austausch mit dem*der Sitznachbar*in, die Diskussion in der Kleingruppe, die gemeinsame Rückschau auf eine Seminarsitzung beim Kaffee. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass den Studierenden die „Gemeinschaft” (Z1: 15) einer Lehrveranstaltung im Präsenzbetrieb fehlt und es ist zu fragen, wie digitales Lernen diesen Anspruch erfüllen kann.

3.2 Lernerfolg und Kompetenzeinschätzung

Der erhobene subjektive Lernerfolg der Studierenden bezieht sich sowohl auf das allgemeine Lernverhalten als auch auf spezifisch religionspädagogische Kompetenzen. Insgesamt geben zum Lernerfolg im digitalen Lernen nur 8% der Studierenden an, dass sie mehr lernen als in vergleichbaren Präsenzveranstaltungen, dagegen sind 46% der Meinung, sie würden in Präsenz besser lernen. Das stellt der digitalen Lehre auf den ersten Blick kein gutes Zeugnis aus. Spezifisch auf den Bereich der Religionspädagogik bezogen sehen die Zahlen allerdings etwas anders aus. Immerhin 25% der Antwortenden geben an, dass sie im digitalen Lernen besser religionspädagogisches Wissen erwerben als in Präsenzformaten. Die Steigerung von 8% auf 25% ist beachtlich, zumal eine Vorannahme war, dass gerade im pädagogischen, didaktischen und methodischen Bereich die fehlende Präsenz ein Hinderungsgrund für den Lernerfolg sein könnte. Diese bewahrheitet sich aber nur in Teilen, wie eine genauere Analyse der Antworten zeigt. Dabei könnten Faktoren wie der Praxis- und Handlungsbezug, die unterschiedlichen Kompetenzbereiche und Taxonomien der Lernergebnisse mögliche Gründe sein.

Praxis- und Handlungsbezug

Im Bereich des Praxisbezugs lässt sich herausstellen, dass 65% der Befragten in den religionspädagogischen Lehrveranstaltungen eine gute Vorbereitung auf ihre spätere Tätigkeit als Religionslehrkräfte sehen, wohingegen nur 23% diese Aussage verneinen. Dennoch kann bei einigen Feldern durchaus ein geringerer Lernertrag beobachtet werden: 52% geben an, durch die räumliche Trennung weniger über Classroom Management zu lernen, 58% über Unterrichtsgespräche. Damit wird deutlich, dass praxisrelevante Handlungsmuster, die sonst ‚nebenbei‘ gelernt werden können, verloren gehen. Entsprechend geben 67% an, dass ihnen Dozent*innen und Kommiliton*innen als Modelle für das religionspädagogische Lernen fehlen (s. Kap. 3.1). 33% stimmen dieser Aussage sogar voll zu, was im Vergleich aller Umfrageergebnisse in diesem Bereich ein auffallend hoher Wert ist. Ebenso verweisen viele der offenen Antworten zu den Schwierigkeiten digitaler Lehre auf einen fehlenden Praxisbezug.

Allerdings zeichnet sich zu diesem Praxisverlust auch ein Gegengewicht ab, da vor allem das digitale Lernen als besonders praxisrelevant wahrgenommen wird. 77% der Studierenden geben an, dass sie neue Konzepte und Methoden für das digitale Lehren und Lernen in der Schule kennengelernt haben. In den offenen Antworten zur Frage nach den Chancen der digitalen Lehre für die Lehrer*innenbildung sprechen sie zum Teil von erworbenen digitalen Kompetenzen (s. u.). Dabei wird deutlich, dass für die Studierenden ein Handlungsbezug eines der zentralen Merkmale für eine gelungene Lehrer*innenbildung zu sein scheint. Während in drei dieser offenen Antworten Hinweise zum Stärken der Medienkompetenz auftauchen, beziehen sich 21 lediglich auf das Kennenlernen von Methoden für digitales Lernen sowie praktische Umsetzungsideen und Hürden digitalen Lehrens. Bei der offenen Frage nach den Schwierigkeiten digitaler Lehrer*innenbildung umfasst der fehlende Praxisbezug die Hälfte der zur Frage codierten Aussagen. Beide Seiten illustrieren diese Beispiele:

Ich finde gut, dass man so eine digitale Lehre mal mitbekommt, weil ja auch die Schulen immer me je (sic!) vermehrt auf digitale Dinge umstellen und so bekommt man sich selbst mal ein Bild davon, dass vielleicht nicht alles immer zu 100% klappt.“ (W1: 10)

„Es läuft alles fiktiv ab. In Präsenzveranstaltungen könnten beispielsweise Methoden besser angewendet werden.“ (W2: 25)

Dies verdeutlicht, dass die auf den ersten Blick gegenläufigen Ergebnisse darin begründet liegen, dass mit dem Bezug zur Praxis möglicherweise vornehmlich ein handelnder und auf methodischer Ebene angesiedelter Bezug gemeint ist, der über die Erfahrung von digitaler Lehre hinaus schwer umzusetzen und nicht zu ersetzen ist. Dies spiegelt sich auch im Befragungsteil zu den religionspädagogischen Kompetenzen wider. Dort geben 54% an, es kämen ausreichend praxisorientierte Elemente in der digitalen Lehre vor. Bei differenzierteren Fragen zeigt sich aber, dass nur 42% religionsdidaktische Prinzipien und Methoden in den religionspädagogischen Lehrveranstaltungen anwenden und einüben können, 50% hingegen gelingt das nicht.[1] Außerdem fehlen 54% der Studierenden performative oder spirituelle Elementen durch die digitale Lehre. Auch dies könnte ein Hinweis auf einen fehlenden Handlungsbezug sein, da diese vermutlich vornehmlich im Modus des Ausprobierens und Reflektierens in den vergleichbaren Präsenzveranstaltungen vorkommen.

Lernerfolg in Bezug auf verschiedene Taxonomiestufen

Die Beobachtungen zum Praxis- und Handlungsbezug leiten zur Frage über, ob Anforderungen auf verschiedenen Taxonomiestufen in der digitalen Lehre unterschiedlich gut von den Studierenden zu bewältigen sind. Die vorigen Erläuterungen legen die Vermutung nahe, dass sowohl Kennenlernen als auch eine gewisse Art von Reflexion Modi sind, die auch ohne Präsenz gut funktionieren. Andere Handlungen wie Einüben, Ausprobieren oder Erfahren scheinen hingegen weniger gut möglich zu sein. So ergibt sich ein gemischtes Bild in Bezug auf die ‚Praxistauglichkeit‘ der Lehrveranstaltungen. Kurzum lässt sich vermuten, dass der Handlungsbezug auch im Bereich der bearbeitbaren Anforderungen im digitalen Lernen eine Bruchstelle ist, die verdeutlicht, ob eine bestimmte Taxonomiestufe bearbeitet werden kann.

Orientiert man sich an den von Bloom aufgestellten Taxonomiestufen für kognitives Lernen (Bloom, 1976, S. 200) zeigt sich, dass die Stufe des Wissens, bisher vor allem durch Kennenlernen beschrieben, durchaus in digitalen Lernsettings funktioniert. So geben 77% der Studierenden an, Konzepte und Methoden für das digitale Lehren kennengelernt zu haben und genauso viele, dass durch Videos und Bilder relevante Gegenstände, Personen und Orte erfahrbar wurden. 25% können sogar besser religionspädagogisches Fachwissen aufbauen als in der Präsenzlehre. Dafür lässt sich das schon beschriebene Defizit auf der Stufe des Anwendens erkennen. Dies ist im Sinne einer Praxisanwendung oben bereits ausführlich erläutert worden.

Ein ähnliches Paar lässt sich in etwas geringerer Deutlichkeit auch mit den oberen beiden Stufen, der Synthese und der Evaluation, finden. Auch hier könnte eine Barriere die Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeit im digitalen Bereich sein. Während eine Synthese von Inhalten als Basis für eine Diskussion weniger zu funktionieren scheint (s.u.), wird die Evaluation durch das Finden einer eigenen Meinung und einer Reflexion der eigenen Rolle durchaus als Lernergebnis gesehen. Bezogen auf die höchste Stufe des Evaluierens lässt sich feststellen, dass 68% der Studierenden im digitalen Lernen in der Religionspädagogik ausreichend Gelegenheit sehen, eigene Positionen zu entwickeln und zu reflektieren. Dahingegen geben nur 50% an, ausreichend Möglichkeit zu haben, eigene Positionen zu diskutieren. Bei einem konkreten Bezug auf die Diskussion von unabschließbaren Fragen fällt dies noch deutlicher auf, da hier nur 33% angeben, gut über diese Fragen diskutieren zu können. Dies macht deutlich, dass die Einnahme einer eigenen Position und deren Reflexion vielen Studierenden gelingen mag, auch wenn sie zugleich Schwierigkeiten haben, diese ins Gespräch zu bringen. Dies lässt sich mit der schon festgestellten erschwerten Kommunikation im digitalen Lernen in Verbindung bringen (s. Kap. 3.1). Es bleibt allerdings die Frage, ob es für die Entwicklung einer eigenen Position nicht Möglichkeiten des Austauschsund der Diskussion bedarf, sodass diese Aspekte in der Weiterentwicklung der digitalen Lehre nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen.

(Religionspädagogischer) Kompetenzaufbau

Von hier lässt sich ein weiterer Schritt hin zur Frage nach dem Aufbau von Kompetenzen bei den Studierenden machen, die die Studie anhand von Selbsteinschätzung erhoben hat (s. Kap. 2). Da der umfassende Aufbau von Kompetenzen auch mit deren variabler Anwendung verbunden ist, die sowohl durch die eingeschränkte gemeinsame Arbeit der Studierenden (s. Kap. 3.1) als auch den mangelnden Handlungsbezug (s.o.) erschwert wird, kann es überraschen, dass immerhin 46% der Teilnehmenden angeben, sie hätten ihre theologische Ausdrucks- und Sprachkompetenz verbessern können. Immerhin 44% konnten weitere religionsdidaktische Kompetenzen wie Diagnose- und Wahrnehmungskompetenz aufbauen.

Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch einen Blick auf den Bereich der Medienkompetenz. 77% der Studierenden geben im Fragebereich zur Lehrer*innenbildung im digitalen Semester an, dass sie digitale Kompetenzen für die Tätigkeit in der Schule erlangt haben. Zugleich können aber nur 21% darauf verweisen, dass in ihren Lehrveranstaltungen eine ausreichende Metakommunikation über Digitalisierung in der Bildung stattgefunden hat. Dies kann unterschiedliche und besonders mit der erschwerten Kommunikation zusammenhängende Gründe haben, zeigt aber vor allem, dass aus Sicht vieler Studierender ein Kompetenzaufbau ohne eine Art von Reflexion stattfinden kann. Dieser möglicherweise diskussionswürdige Kompetenzbegriff zeigt sich bspw. auch in folgender Aussage aus den offenen Antworten:

„Kompetenzerweiterung in der Medienbildung ist enorm wichtig, wie die letzten Monate gezeigt haben. Medienbildung sollte ein fester Bestandteil der Ausbildung sein, damit man besser die Schülerschaft unterstützen kann und sich nicht noch einarbeiten muss.“ (W1: 30)

Hier wird Kompetenz mit einem Einarbeiten in mediale und digitale Unterrichtsmöglichkeiten identifiziert, was die bereits angedeutete mögliche Verkürzung des Kompetenzbegriffs unterstützt. Dies ist jedoch problematisch, da „Medienkritik nicht auf eine individuelle Kompetenz reduziert werden darf, weil auch die strukturellen Bedingungen [...], welche die Subjektwerdung von Menschen blockieren’, kritisch in den Blick zu nehmen sind” (Herbst, 2020, S. 195). In diesem Zusammenhang ist eine Unterscheidung von Lernen über Digitalisierung, durch Digitalisierung und mit digitalisierten Möglichkeiten hilfreich (Hunze, 2020), die den Teilnehmenden allerdings wenig bewusst zu sein scheint.

Betrachtet man nun die spezifischen religionspädagogischen Kompetenzen entlang der von der EKD beschriebenen Bereiche zeigt sich, dass die religionspädagogische Reflexionsfähigkeit aus Sicht vieler Studierender auch in der digitalen Lehre gefördert werden kann, denn immerhin 56% der Studierenden geben an, ihre Rolle als Religionslehrkraft in den Lehrveranstaltungen reflektieren zu können. Möglicherweise hängt die positive Einschätzung der Reflexionsfähigkeit auch mit dem individuellen Feedback der Dozierenden zusammen, das von Studierenden besonders hervorgehoben wird (s. Kap. 3.1) und durch die Einschätzungen von außen die Selbstreflexion unterstützt. Uneindeutiger sieht es bei der religionsdidaktischen Förderkompetenz aus, die etwa die Hälfte der Studierenden gefördert sehen, die andere Hälfte jedoch nicht. Ähnlich kann für den Bereich der religionspädagogischen Dialog- und Diskurskompetenz die schon im Bereich der Taxonomie gemachte Beobachtung konstatiert werden, dass Studierende die Möglichkeit sehen, sich auch in digitalen Lernsettings zu positionieren, aber die Möglichkeit zur Diskussion ihrer Position weniger nutzen können. Am vielfältigsten fällt der Bereich der religionspädagogischen Gestaltungskompetenz aus, der auch im Modell der EKD die meisten Teilkompetenzen umfasst. Es zeigt sich, dass das Kennenlernen von Inhalten und Methoden durchaus gelingt, der Übergang zur tatsächlichen Gestaltung, also zur praktischen Anwendung allerdings im digitalen Lernen erschwert ist, wie bereits beschrieben. Gemessen an den Standards der EKD ist damit dieser Kompetenzbereich allerdings gut erfüllt, da diese, bis auf ein „exemplarisch[es] [E]rproben” (EKD, 2008, S. 32), die Umsetzung in den Bereichen von Vorbereitungsdienst und Berufseingangsphase ansiedelt.

Eine weitere Beobachtung, die dezidiert für das religionspädagogische Lernen bedeutsam ist, lässt sich hier noch anschließen. Diese betrifft das Erleben und Erfahren und bezieht sich damit auf die Bereiche der religiösen Wahrnehmungs- und Ausdruckskompetenz. Beides kann insbesondere durch Exkursionen und Begegnungen geschehen, die in Corona-Zeit nicht stattfinden können. Hier fällt auf, dass nur 48% der Studierenden dies als Einschränkung sehen, wobei nur zwei Personen angaben, dass sie diesem voll zustimmen. Dem gegenüber stehen 77%, die ein Kennenlernen von Gegenständen, Personen, Orten durch Videos und Bilder als gute digitale Möglichkeit beschreiben. Dies wirft die Frage auf, ob ein echtes Erleben mit allen Sinnen aus Sicht der Studierenden weniger notwendig erscheint. Allerdings geben etwas mehr Studierenden an, dass ihnen performative und spirituelle Elemente für die religionspädagogische Bildung in diesem Semester fehlen. Somit lässt dies ein uneindeutiges Bild zurück.

3.3 Synchron - Asynchron - Flipped Classroom?

Die Studie unterscheidet asynchrone und synchrone Lehr-Lernsettings als die beiden dominierenden Makroformate digitaler Lehre. So wurde zunächst erhoben, welche subjektiv wahrgenommenen, geschätzten Anteile die Formate in den besuchten Lehrveranstaltungen der Religionspädagogik jeweils einnahmen. Das Ergebnis an dieser Stelle ist ausgewogen: Etwa 60% der Befragten geben an, dass beide Formate in etwa ausgewogen angewandt werden, 15% studierten mehr asynchron, etwa 23% überwiegend synchron. Ein Grund für dieses tendenziell ausgewogene Ergebnis dürfte darin liegen, dass viele religionspädagogische Lehrveranstaltungen durchweg eine Kombination beider Makroformate gewählt haben und wöchentlich sowohl synchrone als auch asynchrone Elemente eingeschlossen haben. Auf diese Kombi-Formate wird im Folgenden noch zurückzukommen sein.

In einem nächsten Schritt wurde gefragt, in welchem der beiden Makroformate die Studierenden ihrer Wahrnehmung nach besser lernen. Hier zeigt sich das Ergebnis etwas differenzierter. Etwa 38% lernen in beiden Formaten gleich gut, etwa 25% besser asynchron und ca. 33% besser synchron (4% machten hier keine Angabe). Es zeigt sich also, dass digitale Lehre in der Religionspädagogik auf synchrone Settings keinesfalls verzichten sollte.

Dabei erhielten insbesondere in den offenen Antwortformatensolche Lehrformate ein besonders großes Lob, die eine „gute Balance zwischen asynchronen und synchronen Lernformen” [U2: 66] boten. Immer wieder beschreiben die Studierenden Lehrveranstaltungen, in denen es etwa vorbereitende Aufgaben gab, die in einer gemeinsamen Videokonferenz mündeten, die deutlich kürzer war als die üblichen 90 Minuten. Vorteile solcher asynchronen Anteile in digitalen Lehrveranstaltungen sehen die Befragten bspw. in der gewonnenen Flexibilität, die Aufgaben dann erledigen zu können, wenn sie die nötige Konzentration und Leistungsfähigkeit mitbringen und nicht auf den sprichwörtlichen Knopfdruck hin etwa theologische Texte bearbeiten müssen:

„[B]ei asynchronen Formaten kann sehr gut individuell und differenziert gearbeitet werden. Ich kann mir komplexe Erklärungen mehrfach anhören, ich muss nicht im Seminar bei Störgeräuschen und unter Zeitdruck irgendwie schnell 10 Seiten durchlesen etc.” [W2: 48]

„[Z]um anderen kann ich mir innerhalb der gegebenen Fristen selber aussuchen, wann ich mich mit dem Lehrinhalt auseinander setze (insbesondere beim asynchronen Lernen). Das verhindert, dass man müde oder unmotiviert in den Veranstaltungen sitzt.” [W2: 38]

Weitere positive Effekte in asynchronen Anteilen sehen die Studierenden in organisatorischen Freiheiten, insbesondere im Hinblick auf Zeitmanagement, Veranstaltungsüberschneidungen und Nebenjobs sowie in der größeren Selbsttätigkeit im Lernprozess.

Als das Sommersemester 2020 mehr oder weniger plötzlich zum Digitalsemester wurde, sind die beschriebenen Kombinationsveranstaltungen mehr sukzessive und situativ als aus vorangegangenen theoretischen, konzeptionell-didaktischen Reflexionen heraus entstanden. Doch die so entstandenen Strukturen lassen sich durchaus mit (hochschul)didaktischen Konzepten identifizieren:

Unter den Bezeichnungen Flipped Classroom und Inverted Classroom sind in der Hochschullehre im deutschsprachigen Raum mittlerweile unterschiedlich komplexe Variationen der an amerikanischen Universitäten entwickelten und später für den Schulkontext angepasste Didaktiken etabliert, deren Kernanliegen es ist, die Erarbeitungs- bzw. Aneignungsphase aus der gemeinsamen Zeit heraus und in den Raum der individuellen, mediengestützten Aneignung hinein zu verlegen (Schäfer, 2012; Sams, 2012). Zentral für dieses Umdrehen von Lehrveranstaltungen ist es, dass zur Vorbereitung nicht einfach Texte, sondern unterschiedliche, möglichst passgenau auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnittene, Medien und Aufgaben zur Verfügung gestellt werden, die im je individuellen Tempo zur selbstständigen Erarbeitung des Stoffes anleiten. In Mathematikvorlesungen etwa (Spannagel, 2012) dienen Aufzeichnungen von Vorlesungen und Übungsaufgaben der Erarbeitung der Inhalte von zu Hause aus, in den gemeinsamen Präsenzzeiten werden die bleibenden Fragen der Studierenden geklärt.

Allerdings besitzt die Theologie bzw. Religionspädagogik eine andere fachliche und didaktische Struktur als die Mathematik. Dennoch scheint Flipped Classroom bzw. die ICM-Didaktik gerade für digitale (oder zukünftig hybride) Lehr-Lernformate in der Religionsdidaktik ein interessanter Anker zu sein, wie es erste Versuche von Hochschuldidaktikern unterschiedlicher theologischer Disziplinen bereits zeigen (Tappen, 2020; Eck, 2020). So funktioniert – wie in den synchron-asynchronen Kombinationsveranstaltungen – die eigenständige Erarbeitung eben nicht oder nicht ausschließlich über Erklärvideos, sondern durch das von konkreten Aufgaben geleitete Arbeiten an Texten und anderen Medien, durch digitale Wissenstests und Quiz, durch Reflexionsaufgaben und Aufgabenstellungen zur Positionierung, durch Übungsaufgaben zum sicheren Umgang mit fachsprachlichen Wendungen und so weiter. In den darauffolgenden synchronen Settings kann das erarbeitete Wissen und die vorab angebahnte persönliche Bewertung eines Phänomens in den gemeinsamen Diskurs gebracht, intersubjektiv validiert oder angefragt und anhand von Praxisbeispielen gemeinsam durchbuchstabiert und weitergedacht werden.

Ein positiver Effekt solcher Lehrveranstaltungen kann die intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten seitens der Studierenden sein. So beschreibt Sebastian Eck mit Blick auf seine historisch-theologische Lehrveranstaltung, dass ca. 80% der Kursteilnehmer*innen die angebotenen digitalen Übungsaufgaben machen und bezeichnet dies als „eine Quote, von der man bei der vorbereitenden Textlektüre für klassische Seminarsitzungen wohl nur träumen kann” (Eck, 2020, S. 210).

Auch 85% der befragten Studierenden geben an, im digitalen Semester mehr zu lesen als in den bisherigen Präsenzsemestern, wobei etwa 40% die Textgrundlagen der Seminare im Digitalsemester intensiver bearbeiten. Gleichzeitig sind sich aber auch 84% einig, dass religionspädagogisches Fachwissen eben nicht vorrangig durch Lektüre gelernt wird. Diese Ergebnisse stützen eine an der Flipped Classroom und ICM-Didaktik orientierte Hochschullehre, zumal in der vorliegenden Studie gerade die methodische und materialbezogene Vielfalt im Rahmen der beschriebenen Kombi-Veranstaltungen positiv hervorgehoben worden ist (s.u.: U2:10). Diese Vielfalt sieht eben nicht reine Textarbeit vor, sondern stellt die Selbsttätigkeit der Studierenden in den Fokus und regt dazu an, theologische oder religionspädagogische Inhalte über diverse Medien zu erschließen. Die Selbsttätigkeit ist somit keine freie, völlig in der eigenen Verantwortung liegende, sondern eine vorstrukturierte.

Die Art und Weise der Gestaltung der Erarbeitungsphasen im (weiteren) Sinne einer Flipped Classroom Didaktik wandelt die Sitzungsvorbereitung von einem individuellen in ein begleitetes (formalisierteres und strukturierteres) Selbststudium, in das die Studierenden ihrerseits tendenziell mehr Zeit investieren (Großmann & Engel, 2020, S. 41–42). Vorstrukturierte und konkret vorbereitende didaktische Angebote, die sich bspw. über Lern-Management-Systeme (LMS) wie Moodle anlegen lassen, besitzen eine inhaltlich vorentlastende Funktion, fokussieren die synchrone Veranstaltung und bieten darüber hinaus die Chance, nicht nur Fachwissen zu vermitteln, sondern durch die angeleitete Selbsttätigkeit der Studierenden (theologischen und religionspädagogischen) Kompetenzerwerb zu ermöglichen. Diese Form der Erarbeitung hat bei den Studierenden großen Anklang gefunden:Das Didaktikseminar finde ich total gut. 1. weil der Moodleraum super übersichtlich aufgebaut ist & man immer genau weiß, was zu tun ist. Außerdem finde ich es gut, dass vor dem Seminar Vorbereitungsaufgaben zu bearbeiten sind, die oft sehr kreativ und abwechslungsreich sind. Die Sitzung findet dann für 45 Minuten statt, was auch ein perfekter Zeitrahmen ist, denn viel länger kann man sowieso nicht zuhören & auf den Bildschirm starren. (U2: 10)

In diesem Zitat wird noch ein weiterer Aspekt deutlich: Insbesondere die Qualität der Darbietung von Lehr-Lerninhalten über LMS (im vorliegenden Fall Moodle) hat eine große Rolle für die Studierenden gespielt. In den offenen Frageformaten wurde vielfach im Sinne von best practice Beispielen auf ansprechend gestaltete und gut strukturierte Online-Kursräume verwiesen (s.o.). Für Flipped Classroom und ICM-Didaktiken ist es also notwendig, die vorhandenen digitalen Plattformen nicht als reinen Speicher für Material zu verstehen, sondern diese selbst als Instrument für erfolgreiches Lernen zu gestalten.

Während die klassische ICM-Didaktik gerade von den Präsenzphasen und deren Möglichkeit zum Klären von Fragen, zum Diskutieren und Weiterdenken in einer physischen Gemeinschaft lebt, blieben diese Anteile in den beschriebenen Lehrveranstaltungen bedingt durch die Coronapandemie gleichermaßen digital. Die Erarbeitung von Inhalten findet in asynchronen Settings, die Diskussion und der Transfer dieser Inhalte hingegen in synchronen Settings, statt. Solche gänzlich digitalen Variationen der ICM-Didaktik tragen mit Jürgen Handke den Namen SPOOK, ein Akronym für „Spezialisierter On Campus Online-Kurs” (Handke, 2020, S. 133).

Dieses Setting des studentischen Homeoffice und der gänzlich digitalen Lehr-Lernsituation sorgt dafür, dass zwangsläufig institutionelle (universitäre) und private Lernorte verschmelzen. Es entsteht eine neue Lehr-Lern-Kultur, die neben vielen Herausforderungen auch die Chance mitbringt, formale und informelle Lernprozesse zu verbinden. Hier könnte es weiterführend sein, das Prinzip des Seamless-Learning (Hunze, 2020) mit der Flipped Classroom bzw. ICM-Didaktik im digitalen oder hybriden Format zu verknüpfen und bei aller fehlenden Performanz und persönlicher Erfahrbarkeit das eigene private Umfeld als Lernanlass und -ort religionsdidaktisch fruchtbar zu machen.

4 Fazit und Ausblick

Reflexion der Ergebnisse

Die Ergebnisse weisen auf neuralgische Stellen in Lehr-Lernprozessen hin, die in weiteren Studien differenzierter und umfassender analysiert werden müssen, als dies in der vorliegenden Studie geschehen ist. Hierzu zählen vor allem die Taxonomiestufen des Verstehens und der Analyse. Auch zeigten sich Grenzen in dem gewählten Instrument der Befragung von Selbsteinschätzungen. So deuten z. B. die Antworten darauf hin, dass die Studierenden den Kompetenzbegriff teilweise unterkomplex füllen, obwohl sie diesen im Masterbereich kennen sollten. Hiermit kann zusammenhängen, dass Studierende in ihrer Selbsteinschätzung teils höhere Taxonomiestufen erreichen, ohne die darunterliegenden zu berücksichtigen. Die vorgestellten Ergebnisse können zudem davon mitgeprägt sein, dass Studierende aus allen Semestern und daher mit unterschiedlichen Vorerfahrungen und Lernständen befragt wurden.

Ebenfalls weiter zu verfolgen ist die Frage, inwiefern Freude und Motivation den Lernerfolg beim digitalen Lernen beeinflusst haben (Pekrun, 2018). Lediglich 37% der Studierenden geben an, dass sie Freude am digitalen Studieren haben, bei nur 19% der Befragten ist die Motivation für das digitale Studieren höher als in Präsenz. Die vielfältigen Belastungen, die Studierende durch Lockdown und Homeoffice tragen mussten, können sich zudem negativ auf Motivation und Freude und ggf. Lernerfolg beim digitalen Lernen niedergeschlagen haben, wie zahlreiche offene Antworten nahelegen, die eine hoheArbeitsbelastung und Überforderung in dem digitalen Semester anführen.

Als große Stärke und Chance hat sich die (Neu-)Strukturierung und Rhythmisierung von Lern- und Arbeitsphasen erwiesen. Nicht der methodische Transfer von Präsenzlehre in digitale Lehre, sondern die didaktische Transformation der Lerngegenstände in unterschiedliche digitale Formate erweist sich hierbei als notwendig (Hunze, 2020). Ein strukturiertes Selbststudium, für das differenzierte, ansprechende Lernmaterialien zur Verfügung gestellt werden, wird ergänzt durch fokussierte synchrone Lerneinheiten, die dem Austausch, der Diskussion und Reflexion dienen. Die Rückmeldungen der Studierenden zeigen, dass die religionspädagogischen Lehrveranstaltungen hier auf einem guten Weg sind, viele der erforderlichen Kompetenzen von Religionslehrkräften anzubahnen, wenn auch einzelne religionsdidaktische Prinzipien schlechter erlernt und der Handlungs- und Praxisbezug ambivalent bzw. uneindeutig bewertet werden. Zudem deuten viele freie Antworten darauf hin, dass die Zufriedenheit mit religionspädagogischen Lehrveranstaltungen im Vergleich zu anderen Lehramtsfächern deutlich höher ist. Bestätigt wird diese Tendenz im Horizont einer Augsburger Lehramtsstudie, wonach 60% der Lehramtstudierenden aller Fächer die Qualität digitaler Veranstaltungen schlechter einschätzen und nur 29% als gleichwertig (Zierer, 2020, S. 755).

Nicht zu unterschätzen ist der hohe Einsatz der Dozierenden, der sich auch im ausführlichen individuellen Feedback an die Studierenden niederschlägt. Studierende deuten diese nicht nur als unterstützendes Beziehungsgeschehen, sondern erhalten hierdurch wertvolle Lern- und Reflexionsmöglichkeiten. Dennoch weisen die Ergebnisse darauf hin, dass personale, präsentische Kommunikation mit Dozierenden und Kommiliton*innen deutlich vermisst wird und durch vielfältige digitale Tools nicht ersetzt werden kann. Dies führt zu eingeschränkten (fach-)didaktischen Lernsettings, z. B. im Hinblick auf Classroom Mangement oder Modelllernen. Die Studierenden führen zudem an, dass sie durch fehlende (informelle) Diskursräume zwar eigene Positionen entwickeln und artikulieren, aber seltener in Austausch und Diskussion hierüber treten können. In ähnlicher Weise stellt Hartmut Rosa das Fehlen von Resonanzbeziehungen in digitaler Kommunikation heraus. Digital sei es schwierig,„die eigene Stimme hörbar zu machen und die Reaktion einer anderen Stimme zu bekommen, die uns wirklich persönlich berührt (und nicht etwa einfach verletzt) – die Resonanzbeziehung scheitert also von zwei Seiten aus. Angesichts dieses Faktes fehlt dem digitalen Austausch dann auch die Qualität der transformierenden Anverwandlung: Wir bleiben dabei stets dieselben und verhärten eher noch. Meine These dazu lautet, dass wir nicht Resonanzräume, sondern Echoräume etablieren.“ (Rosa, 2017, S. 24; ähnlich Novakovits, 2020)

Ob diese These auch in der digitalen Lehre durchträgt, ist zu diskutieren. Zumindest aber weisen die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass gerade intersubjektive Dimensionen des Lernens herausgefordert sind.

Ausblick

Vermutlich wird ein alternativloses digitales Semester so schnell nicht wieder nötig sein. Daher lassen sich die Vorteile und Stärken von digitaler Lehre zukünftig mit Präsenzveranstaltungen verflechten. Präsenzveranstaltungen sind dann nicht vollständig zu ersetzen, sondern gezielt um digitales Lernen zu erweitern. Dies sollte zu einer Vernetzung unterschiedlicher Lernebenen führen, die - bei aller notwendigen binnendifferenzierten Individualisierung des Lernens - sowohl die Kommunikation als auch Interaktion stärken (s. Kap. 3.1). Perspektivisch kann hierbei Vernetzung und Interaktion auch weitergedacht werden, wie Guido Hunze anhand des Konzepts des Seamless-Learning aufzeigt, das auf die stärkere Verknüpfung von formellem und informellem Lernen zielt (Hunze, 2020). Zeit- bzw. ortsungebundenes Lernen kann dann dazu führen, relevante religionspädagogische Praxis- und Erfahrungsfelder, die Studierende außeruniversitär bespielen, verstärkt in die Hochschullehre mit einfließen zu lassen und so Praxis- und Lebensweltbezüge des Erlernten hervorzuheben.

Digitales Lernen hat somit in vielfältiger Hinsicht eine enorme Schubkraft erhalten, Studierende und Dozierende haben zahlreiche Erfahrungen und Kompetenzen in der Anwendung und Gestaltung digitaler Medien erworben. Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit kritischer (Meta-)Reflexion digitalen Lernens sowie entsprechender Medienkritik (Herbst, 2020) scheint jedoch in religionspädagogischen Lehrveranstaltungen sowie bei Studierenden eher schwach ausgeprägt zu sein. So gilt es auf der religionsdidaktischen Ebene bspw. durchaus zu fragen, ob (religiöse) Raum- oder Körpererfahrungen durch Videos oder Bilder zu ersetzen sind (s. Kap. 3.2) oder ob die in religiösen Kontexten relevante Gemeinschaftserfahrung digital transformiert werden kann. Auch sind Entwicklungen zur digitalen Analyse von Lernprozessen (learning analytics), die vielfach mit digitalen Lernformaten einhergehen, religionspädagogisch zukünftig verstärkt kritisch zu reflektieren.

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[1] Dazu ist anzumerken, dass dies auch nicht Ziel und Inhalt aller religionspädagogischen Lehrveranstaltungen im untersuchten Semester war. Betrachtet man allerdings ausschließlich die Studierenden, die sich bereits im Masterstudiengang befinden, bleibt diese Verteilung identisch. Dies stützt die Aussagekraft der Beobachtung, da die dort angesiedelten Lehrveranstaltungen der Religionspädagogik, u.a. durch das Praxissemester, einen großen Praxisbezug aufweisen. Dennoch ist hier kritisch anzumerken, dass die Konzeption der Fragestellung die Aussagekraft des Ergebnisses verringert.