1 Die Aufgabe

Am Ende ihrer Einführung zu Forschungsformaten beschreiben Riegel & Rothgangel (2020a) neun gängige Forschungsfelder der Fachdidaktik, die daraufhin überprüft werden sollen, „inwieweit sie das Potenzial für ein wohldefiniertes religionsdidaktisches Forschungsformat in sich tragen.“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 12) Sofern es gelänge, solche Forschungsformate zu identifizieren, gehe es darum, „möglichst präzise zu beschreiben, welche formatierenden Wirkungen Bezugstheorien, Untersuchungsgegenstände und Methodiken entfalten.“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 12)

Unter den traditionellen Feldern wird auch die Rekonstruktion von Lerngegenständen aufgeführt, der sich viele Arbeiten der Religionsdidaktik widmen und die die Verfasser der „religionsdidaktischen Anwendungsforschung“ zuordnen.

„Ziel dieser Arbeiten ist die Aufbereitung der Sachverhalte des Religionsunterrichts, so dass sie für die Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Verstehensmöglichkeiten erfass- und bearbeitbar sind. Dabei kommen sowohl die Inhalte des Religionsunterrichts in den Blick als auch seine Methoden. Bei diesem Forschungsstrang spielt unterrichtspraktische Erfahrung ebenso eine zentrale Rolle wie die Kenntnis der theoretischen Hintergründe des jeweiligen Unterrichtsgegenstands.“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 11)

Lässt sich also die Konstruktion von Lerngegenständen als „eigenständiges [Hervorhebungen von den Autor*innen] Forschungsformat“ beschreiben, „das sich so nicht in anderen Fachdidaktiken“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 10) finden lässt? Und kommt dabei dem spezifischen Weltzugang des Faches Religionsunterricht bzw. dem unverwechselbaren Gegenstand theologischer Reflexion, der im Religionsunterricht ins Spiel kommt, eine formatbegründende Bedeutung zu? Oder handelt es sich nur um die Domäne, „innerhalb derer geforscht wird“, während die Formate unspezifisch „für alle Fachdidaktiken formuliert werden können“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 10)?

Das von der GFD vorgeschlagene Konzept „Format fachdidaktische Forschung“ wird von Riegel & Rothgangel im Blick auf drei Kategorien konkretisiert:

1.   die Bezugstheorien,

2.   die Gegenstandsbereiche und

3.   die Methodiken religionsdidaktischer Forschung, von deren Zusammenspiel „eine grundlegende ‚formatierende’ Wirkung auf religionsdidaktische Forschung“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 5) erwartet wird.

Die von den Autoren formulierten Leitfragen zu den drei Kategorien werden im Folgenden zunächst nicht explizit aufgenommen, sondern zurückgestellt, dann aber am Ende des Beitrags aufgegriffen, um zu einer abschließenden Einschätzung der Eingangsfrage zu kommen.

Die folgenden Überlegungen befassen sich im Einzelnen nach dieser Aufgabenskizze (1.) mit

1. terminologischen Klärungen,

2. der Beschreibung vorliegender Vorarbeiten zum Forschungsstand,

3. Annäherungen zur Erschließung des Forschungsfeldes „(Re-)konstruktion von Lerngegenständen“,

4. der Modellierung struktureller Bedingungsfaktoren,

5. der Applikation auf unterschiedlichen Forschungsebenen,

6. der Integration von strukturellen Bedingungsfaktoren und Forschungsebenen in einer Matrix, sowie

7. einer begründeten Antwort auf die Frage, ob es sich bei der „Konstruktion von Lerngegenständen“ um ein fachdidaktisches Forschungsformat handelt.

2 Terminologische Klärungen

Die Terminologie dessen, was „Lerngegenstände“ sind und wie sie zustande kommen, ist uneinheitlich und hängt jeweils von didaktischen Konzepten ab. Unter „Gegenständen“ versteht z.B. Klafki „Sachverhalte [...], die noch nicht im Sinne pädagogischer Zielvorstellungen ausgewählt und präzisiert worden sind.“ Erst wenn ein Gegenstand „unter einer pädagogischen Zielvorstellung, einer als pädagogisch relevant erachteten Fragestellung für die Behandlung im Unterricht ausgewählt wird, wird er zum ‚Thema’.“ Gegenstände sind also nur „potentielle Unterrichtsthemen“ (Klafki, 1993, S. 118–119). Den Begriff „Lerngegenstand“ verwenden wir daher im Sinne eines „Unterrichtsthemas“, in dem Sachaspekte, pädagogische, an Schülerinnen und Schülern ausgerichtete Fragestellungen, Zielsetzungen und methodische Zugänge integriert sind.

Auch die Begriffe Rekonstruktion, Konstruktion, Modellierung, Transformation haben jeweils unterschiedliche Konnotationen, die nicht unbedingt miteinander kompatibel sind. Als didaktisch anachronistisch sind reduktionistische Vorstellungen zu beurteilen, gemäß derer Themen als „Aufbereitung fachtheologischer Sachverhalte für religiöses Lernen“ missverstanden werden (so mit Recht Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 7). Auch die Annahme, „Gegenstände“ stünden von vornherein fest und müssten nur „didaktisch reduziert“, also dem Auffassungs- und Lernvermögen der Schülerinnen und Schüler angepasst werden, verfehlt den Vorgang der religionspädagogischen Themenfindung, bei der unterschiedliche Komponenten und Aspekte bedacht werden müssen. Umgekehrt geschieht die Konstituierung von Themen natürlich nicht „ex nihilo“, sondern sie greift immer auf ein Spektrum von potentiellen Gegenständen zurück.

Wir verwenden den Begriff (Re-)Konstruktion nur zurückhaltend. Er zeigt an, dass es sich bei der didaktischen Profilierung von Themen um einen komplexen konstruktiven Vorgang handelt, in dem potentielle Gegenstände eine Transformation erfahren und in einem Lernarrangement modelliert werden, das Lehren und Lernen gleichermaßen ermöglicht.

Anzumerken ist, dass im Folgenden nicht von einem „Forschungsformat“ die Rede ist, sondern im Sinne des Positionspapiers der GFD von einem „fachdidaktischen Forschungsvorhaben“. Nach der einschlägigen Definition der GFD konstituiert erst die „Gesamtheit aller inhaltlichen, methodischen und forschungsorganisatorischen Aspekte bezeichnet, die bei der Planung, Durchführung, Auswertung und Ergebnisverwertung eines fachdidaktischen Forschungsvorhabens beschrieben werden können“, ein Forschungsformat (GFD, 2015, S. 2). Ob sich das Forschungsvorhaben als formatfähig erweist, wird daher erst am Ende diskutiert.

3 Beschreibung vorliegender Arbeiten zum Forschungsstand

Zur Frage, wie konkret im Religionsunterricht die Transformation von Lerngegenständen erfolgt, gibt es keine uns bekannten Arbeiten, die sich aus der Metaperspektive explizit diesem Thema widmen. Wir wollen an dieser Stelle auf zwei Arbeiten verweisen, weil im ersten Beispiel eine metaperspektivische Bearbeitung auch in Bezug auf den Religionsunterricht erwartet werden könnte und weil das zweite Beispiel der Frage nachgeht, welche Quellen für „Fachinhalte“ (als Synonym für Lerngegenstände) im Vergleich verschiedener Fachdidaktiken herangezogen werden.

Beispiel I: Im Bereich der Allgemeinen Didaktik hat sich Gabriele Faust-Siehl bereits 1987 mit dem Thema „Themenkonstitution als Problem von Didaktik und Unterrichtsforschung“ befasst – so der Titel ihrer Dissertation bei Karl Ernst Nipkow in Tübingen. Sie bezieht sich allerdings nicht auf Beispiele aus dem Religionsunterricht. Faust-Siehl stellt in ihrer Arbeit knapp die „Themenkonstitution als Problem der Didaktik“ dar (Faust-Siehl, 1987, S. 9–30) und berücksichtigt dabei das Verhältnis von Didaktik und Methodik sowie von Planung und Analyse von Unterricht. Sie positioniert sich klar als Vertreterin bildungstheoretischer Didaktik. Ausgehend von dieser didaktischen Verortung stellt sie die „Themenkonstitution als Forschungsbereich der Unterrichtsforschung“ (Faust-Siehl, 1987, S. 31–66) dar und trägt hier zentrale Positionen zusammen. Forschungsthema ihrer Arbeit ist aber die Frage, wie ein Unterrichtsthema sich in der Unterrichtspraxis konstituiert („Themenkonstitution als Lern- und Bildungssituation“, Faust-Siehl, 1987, S. 67–152). Dabei kommt sie empirisch aufgrund von Unterrichtsanalysen zu dem Ergebnis, dass sich Themen praxeologisch d.h. erst im Vollzug in der Unterrichtspraxis konstituieren. Zentral ist für Faust-Siehl also der Zusammenhang zwischen Lehrer-Schüler-Interaktion und unterrichtlicher Themenkonstitution. Der Forschungsschwerpunkt dieser vom Titel her zentral erscheinenden Monographie liegt also unmittelbar auf dem konkreten Unterrichtsgeschehen, in dem Lehrende und Lernende im Gespräch und vermittelt über die Sache das Unterrichtsthema wechselseitig konstituieren. Themenkonstitution wird so unter konversationsanalytischem Zugriff analysiert und als stetiger Prozess betrachtet (Faust-Siehl, 1987, S. 257). Für unsere Themenstellung trägt die Arbeit insofern wenig bei, weil a) die religionspädagogische Perspektive fehlt und b) empirisch die Beobachtung des konkreten Unterrichts im Zentrum steht.

Beispiel II: Weiterführend sind dagegen die Ergebnisse eines interdisziplinären Vergleichs von 17 Fachdidaktiken, die Martin Rothgangel (2020, S. 469–577) durchgeführt hat. Die Quellen für Fachinhalte in seiner Zusammenschau (Rothgangel, 2020, S. 506–509) sind:

1. Fachwissenschaften

2. Praxen des Gegenstandsbereichs,

3. fachbezogene gesellschaftliche, lebensweltliche und kulturelle Kontexte sowie

4. fachbezogene anthropologische Aspekte.

Die Fachdidaktiken unterscheiden sich nach den Ergebnissen Rothgangels u.a. darin, welchen Stellenwert die jeweiligen Quellen bei der Konstituierung von Fachinhalten einnehmen und außerdem darüber hinaus dadurch, welche Modelle aus der Allgemeinen Didaktik bzw. generell aus den Bildungswissenschaften rezipiert werden (vgl. Rothgangel, 2020, S. 511). Während in bestimmten Fächern die Fachwissenschaften konstitutiv sind und deren Erkenntnisse durch Basiskonzepte strukturiert und unterrichtlich vermittelt werden, dienen in anderen Fächern – so auch in Religion – „Praxen als Quelle für Fachinhalte“ (Rothgangel, 2020, S. 507). Ähnliches gilt für die dritte Quelle im Bereich der Religionsdidaktik: Hier wie in anderen Fächern können „aktuelle gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen explizit ein Unterrichtsthema“ bilden. Auch die vierte Quelle erhält in der Religionspädagogik eine besondere Bedeutung, da z.B. „Identitätsfragen von SchülerInnen ein Unterrichtsgegenstand“ (Zimmermann, 2012; Lindner & Zimmermann, 2013) sein können.

Dass die vier Quellen „grundsätzlich einen Bedingungsfaktor“ für die Auswahl und Strukturierung von Fachinhalten darstellen können, trifft in unterschiedlichem Maße für alle untersuchten Fachdidaktiken zu. Ob und wie die einzelnen Quellen jedoch aufeinander bezogen werden, zeichnet das Profil der einzelnen Fächer aus. Rothgangel unterscheidet im Blick auf die Zuordnung der Quellen 1 und 3 drei Vermittlungsvarianten: 1. Die fachliche Perspektive als Ausgangspunkt, 2. die kontextuellen Problemstellungen als Ausgangspunkt und 3. eine gleichrangige Vermittlungsvariante von lebensweltlich orientierten Dimensionen und fachlich orientierten Perspektiven. Analoge Zuordnungen gelten auch für die Quellen 2 und 4.

Eine Reihe von Fächern, zu denen die Religionspädagogik gehört, nehmen nach Rothgangel auch Bezug auf drei oder auf alle vier Quellen, allerdings ohne dass sich ein konsistentes Modell mit bestimmten Vermittlungsvariablen eruieren ließe (Rothgangel, 2020: S. 507).

Für den Fortgang der Untersuchung sind die Ergebnisse des interdisziplinären Vergleichs insofern bedeutsam, als sie den Kernbereich der Konstruktion von Lerngegenständen beschreiben, der auch für den Religionsunterricht zugrunde gelegt werden kann. Fachinhalte bzw. in unserem Kontext Lerngegenstände konstituieren sich also durch die genannten vier Quellen, bei denen jetzt jeweils zu fragen ist, worin deren mögliche Besonderheit im religionspädagogischen Diskurs besteht.

Im Blick auf die spezifische Problemstellung in der Fachdidaktik Religion handelt es sich bei dem Forschungsvorhaben „(Re-)konstruktion von Lerngegenständen“ um ein wissenschaftlich noch weitgehend unerschlossenes. Nahezu alle religionsdidaktischen Ansätze und Modelle thematisieren zwar die Frage, was Lerngegenstände im Religionsunterricht sind, wie sie zustande kommen, welche Ziele mit ihnen verfolgt werden und wie sie inszeniert und den Schülerinnen und Schülern präsentiert werden können. Entsprechende aktuelle Darstellungen bieten aber in der Regel nur eine Einordnung der Frage in allgemeindidaktische Theorien (etwa die kritisch-konstruktive bildungstheoretische, die lerntheoretische oder konstruktivistische Didaktik), entwickeln spezielle religionsdidaktische Unterrichtskonzepte (wie Elementarisierung, performativer Unterricht, kompetenzorientierter Unterricht etc.), fokussieren auf besondere Teilaspekte (z.B. Bibeldidaktik, Bilddidaktik, Symboldidaktik, Kirchengeschichtsdidaktik) oder beschränken sich auf unterrichtspraktische Anleitungen. Der Blick aus der Metaperspektive auf das konkrete Problem der Konstruktion von Lerngegenständen ist – wenn überhaupt – nur rudimentär vorhanden und hat bisher nur wenige konsistente Ergebnisse hervorgebracht.

Ein Versuch, die Vielzahl der fachdidaktischen Veröffentlichungen systematisiert darzustellen und auszuwerten, wäre im Rahmen dieses Aufsatzes von vornherein zum Scheitern verurteilt. Daher beschreitet die vorliegende Untersuchung einen anderen, induktiven Weg (s.u.).

4 Annäherungen zur Erschließung des Forschungsfeldes „(Re-) Konstruktion von Lerngegenständen“

Das Forschungsproblem, wie Lerngegenstände im Religionsunterricht zustande kommen, welche Strukturen sie aufweisen, wie sie begründet und in Unterrichtsszenarios arrangiert werden, lässt sich aus zwei Perspektiven angehen. Die erste Perspektive geht von der eher trivialen Beobachtung aus, dass Lehrpersonen für ihren Religionsunterricht tagtäglich Lerngegenstände vorbereiten und inszenieren. Die zweite Perspektive bezieht sich auf die fachdidaktische Theoriebildung, in der die Konstruktion von Lerngegenständen ein Schlüsselproblem der „Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen“ (KVFF, 1998, S. 13–14, übernommen in GFD, 2015, S. 2) bildet. Beide Perspektiven stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander, da die Praxis des Religionsunterrichts keineswegs mit seiner fachdidaktischen Theorie kongruent ist, sondern in mehrfacher Hinsicht von ihr abweicht, sie simplifiziert, ignoriert, korrigiert, evaluiert oder gar ihr widerspricht. Aus diesem Spannungsverhältnis resultiert zumindest ein zentrales Erkenntnisinteresse fachdidaktischer Forschung, das sich darauf richtet zu untersuchen, durch welche Faktoren diese Diskrepanz bedingt ist, welche Formen sie annimmt, wie sie aufgelöst oder gemindert werden kann und wie dadurch die Konstruktion von Lerngegenständen theoretisch abgesichert und praktisch verbessert werden kann. Dieses Interesse schließt nicht nur Fragen an die aktuelle Praxis der Lehrkräfte, sondern auch die selbstkritische Frage ein, ob die theoretischen Konstrukte der Fachdidaktik praxistauglich und als Orientierungsrahmen für die Praktiker brauchbar sind.

4.1 Von der Praxis der Religionslehrkräfte zur Frage nach der Konstruktion von Lerngegenständen im Religionsunterricht

In Deutschland werden an den 32.577 allgemeinbildenden Schulen (statista.com, Schuljahr 2018/2019) jeden Tag Tausende Stunden Religionsunterricht erteilt. Lehrpersonen bereiten ihren Unterricht langfristig, mittelfristig und aktuell vor, indem sie „Lerngegenstände“ auswählen, Unterrichtsreihen entwerfen, konkrete Unterrichtsthemen formulieren, Lernarrangements planen, Lernmaterialien aufbereiten und Überprüfungen des Lernertrags sowie Feedbackformen zum Unterricht vorsehen. Wie sie ihre Planungen inszenieren, ob und in welcher Weise sie spontan davon abweichen, wie sie auf unerwartete Prozesse, Fragen, Interventionen oder Störungen reagieren, steht zu den eigenen Planungen in einer unvorhersehbaren Spannung, die von konkreten situativen Rahmenbedingungen und personalen Konstellationen bestimmt wird. Unterrichtsplanung und deren Realisation bilden den Kern des Religionsunterrichts, der für Gelingensbedingungen und Lernerträge, aber auch für Misserfolge und Scheitern maßgeblich ist. Insofern impliziert das Problem der Konstruktion von Lerngegenständen auch die Frage nach „gutem“, qualitätsvollem Religionsunterricht.

„Lerngegenstände“ fallen nicht vom Himmel, sondern sie basieren auf zentralen Voraussetzungen, Konzepten, Prinzipien und Vorgaben und werden von den Lehrpersonen in eigener didaktischer und pädagogischer Verantwortung konstruiert, modelliert oder auch transformiert. In diese Entscheidungsprozesse spielen unterschiedliche Faktoren hinein, deren Bedeutung und Funktion variabel sind und auch von individuellen Präferenzen und Interessen, Selbstbildern (wie verstehe ich mich und meine Rolle?), Vorstellungen von Profil, Aufgabe und Ziel des Religionsunterrichts und realen Bedingungen der Lerngruppen abhängig sind.

Unter der Voraussetzung, dass die Konstruktion von Lerngegenständen den entscheidenden Kern der Planung des Religionsunterrichts ausmacht, ist es für religionsdidaktische Forschung eine unumgängliche Aufgabe, diesen Bereich zu untersuchen, seine Konstituenten, deren Zusammenhang und Funktionen zu bestimmen. Pointiert formuliert ist diese Aufgabe der Dreh- und Angelpunkt der Religionsdidaktik als Unterrichtswissenschaft bzw. als Theorie des religiösen Lehrens und Lernens.

Ein besonderer Fokus fachdidaktischer Forschung müsste auf der Frage liegen, ob Lehrkräfte selber davon ausgehen, dass die Themenkonstruktion im Religionsunterricht sich anders vollzieht als in anderen Fächern und sich die Lerngegenstände durch eine spezifische Eigenart auszeichnen, die andern Fächern nicht eignet. Genauer formuliert: Konstruieren Lehrpersonen Lerngegenstände unter der Voraussetzung, dass im Religionsunterricht lebensbedeutsame Fragen zur Sprache kommen, die in der Begegnung und Auseinandersetzung mit Zeugnissen des Glaubens an den einen Gott bearbeitet werden können und Kindern und Jugendlichen helfen, „in bestimmten Situationen in einer religiös pluralen Gesellschaft zu handeln und die eigene Religiosität bzw. eigene Handlungsperspektiven zu klären“ (Kirchenamt, 2010, S. 14)? Identifizieren Religionslehrerinnen und Religionslehrer „deshalb schon bei der Unterrichtsvorbereitung immer wieder Situationen [...], die einen existenziell bedeutsamen Horizont aufweisen und in denen die Wahrheitsfrage für [Kinder und] Jugendliche [...] relevant werden kann“? (Kirchenamt, 2010, S. 14). Diese Forschungsperspektive impliziert zugleich die Frage, ob Lehrpersonen dem Religionsunterricht ein eigenständiges Profil zuweisen, das sich signifikant von anderen Fächern unterscheidet und deshalb auch bei der Themenkonstruktion zum Ausdruck kommt.

4.2 Von der fachdidaktischen Theorie zur Frage nach der Konstruktion von Lerngegenständen (unter Berücksichtigung der Innenperspektive des Glaubens im Religionsunterricht)

„Fachdidaktik ist die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen innerhalb und außerhalb der Schule. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten befasst sie sich mit der Auswahl, Legitimation und der didaktischen Rekonstruktion von Lerngegenständen [Hervorhebung von den Verfasser*innen], der Festlegung und Begründung von Zielen des Unterrichts, der methodischen Strukturierung von Lernprozessen sowie der angemessenen Berücksichtigung der psychischen und sozialen Ausgangsbedingungen von Lehrenden und Lernenden. Außerdem befasst sie sich mit der Entwicklung und Evaluation von Lehr- Lernmaterialien.“ (KVFF,1998, S. 13–14, übernommen in GFD, 2015, S. 2)

Bei den Aufgaben der allgemeinen Fachdidaktik, die die Gesellschaft für Fachdidaktik in ihrem Grundsatzpapier zu „Formate Fachdidaktischer Forschung. Definition und Reflexion des Begriffs. Diskussionspapier der GFD“ dargestellt hat, nimmt im obigen Zitat das Problem der „(Re-)konstruktion von Lerngegenständen“ eine zentrale Stellung ein.

Im Blick auf den Religionsunterricht nötigt dieses Problem zu einer grundsätzlichen Ortsbestimmung des Faches im Fächerverbund der öffentlichen Schule. Als einziges Fach ist der Religionsunterricht „als ordentliches Lehrfach“ abgesichert, d.h. ihm wird die gleiche pädagogische Dignität zu gesprochen wie allen anderen Fächern auch. Dieses Prädikat resultiert aus der bildungstheoretischen Einsicht, dass religiöse Bildung einen eminent wichtigen Beitrag zur Allgemeinbildung leistet und deshalb in der Schule unverzichtbar ist. An prominenter Stelle hat Jürgen Baumert (2000) dieses Bildungsverständnis mittels einer Differenzierung unterschiedlicher Modi der Weltbegegnung skizziert und Religion und Philosophie als Modus gekennzeichnet, der „Probleme konstitutiver Rationalität“ traktiert und sich auf rationale Weise mit den Fragen der Letztbegründung menschlichen Daseins befasst (Klieme, 2003, S. 68). Diese Skizze ist von der Religionspädagogik zustimmend rezipiert und u.a. von Bernhard Dressler (2007; 2013; 2019) ausgearbeitet und konkretisiert worden. Dieser Ortsbestimmung des Religionsunterrichts im schulischen Bildungsspektrum entspricht es, wenn Riegel & Rothgangel (2020, S. 345) in ihrem Referat zur Religionsdidaktik Religiosität analog zu Musikalität und Sprachlichkeit als „eine anthropologische Dimension“ bestimmen, die „theologisch wie humanwissenschaftlich anschlussfähig ist [...] und sich in humanwissenschaftlicher Perspektive als eine spezifische Weise der Selbst-und Weltdeutung in ihren verschiedenen Dimensionen und lebensgeschichtlichen Wandlungen beschreiben lässt“. Deshalb könne, so Riegel & Rothgangel, die Entwicklung und Förderung „religiöser Kompetenz“ als zentrale Aufgabe des Religionsunterrichts definiert werden, die deren spezifischen Weltzugang erschließt. Konsequent kann diese Kompetenz in Standards religiösen Lernens aufgefächert und mit bestimmten Inhalten verbunden werden (z.B. EKD, 2010, S. 20–22). Auf dieser Grundlage kann der Religionsunterricht bruchlos in die Metastruktur der für alle Fächer geltenden Kompetenzorientierung eingeordnet werden und unterscheidet sich didaktisch nicht grundsätzlich von anderen Fächern.

Andererseits ist der Religionsunterricht primär nicht auf die Religionswissenschaft bezogen, sondern auf die Theologie, die sich – abgekürzt und angreifbar formuliert – mit den Zeugnissen des Glaubens an den einen Gott befasst, wie er sich nach den biblischen Testamenten in der Geschichte Israels und Jesu Christi zu erkennen gegeben hat und in der Geschichte der Kirche bekannt wurde und wird. Ob es um das Schema Jisrael (Dtn 6,4f.), die zehn Weisungen (Ex 20, 2-17), das von Jesus zitierte Doppelgebot der Liebe (Mk 12,29-31), das Unser Vater (Mt 6, 9-13) oder die paulinische Zusammenfassung des Versöhnungshandelns Gottes in 2. Kor 5,19 handelt – immer ist von diesem Gegenüber des Glaubens die Rede, das prägnant von Luther im Großen Katechismus als Beziehungsverhältnis unbedingten Vertrauens aufgefasst wird: „Woran du nun, sage ich, dein Herz hängst und [worauf du dich] verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ Und er schärft ein, sich nicht auf die unbeständigen Götter und Abgötter seiner Zeit zu verlassen, sondern auf den „rechten, einzigen Gott“, den man „nicht mit den Fingern greifen und fassen und nicht in den Beutel stecken oder in den Kasten schließen“ kann. In Luthers Bestimmung korrespondiert das „Sich verlassen“ mit der „Verlässlichkeit“ Gottes und damit erfasst Luther genau das, was die hebräische Bibel unter „Wahrheit“ = ämät versteht: Treue, Zuverlässigsein und Beständigkeit. Der Heidelberger Katechismus präzisiert dies in Frage 1: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Anders formuliert: Die Theologie sieht sich durch das biblische Zeugnis immer wieder neu durch die Frage herausgefordert, wie es um die Wahrheit menschlichen Lebens, um den letzten verlässlichen Grund der Existenz und der Welt im Ganzen bestellt ist. Im Licht dieser Zeugnisse reflektiert die Theologie nicht nur die Situation der Menschen vor Gott und in Relation zu Mitmenschen, sondern fasst die Welt als von Gott ins Sein gerufene Schöpfung auf, die dem Menschen zur Bewahrung und Bewährung anvertraut ist; sie bedenkt die Bundesgeschichte Gottes mit Israel und mit den Heidenvölkern und legt die mit der Versöhnung begonnene, aber auf Zukunft ausgerichtete Vollendung der Schöpfung als unerledigte – utopische – Hoffnung aus.

Diese Innenperspektive des Glaubens bildet im pädagogischen Kontext der Schule einen permanenten irritierenden Störfaktor, weil sie sich letztlich auf die unverfügbare und nichtgegenständliche Rede von „Gott“ bezieht, die eben nicht wie andere fachliche Gegenstände dingfest und in lehr- und lernbare Prozeduren und Gegenstände überführt werden kann.

Riegel & Rothgangel (2020) lassen in ihrer Untersuchung zur Religionspädagogik erkennen, dass diese exzeptionelle Situation des Religionsunterrichts auch bei der Einordnung des Faches in das Fächerspektrum der Schule mitgedacht werden muss. „Religiosität“ ist nämlich – theologisch gesehen – als „anthropologischer Bezugspunkt der Offenbarung Gottes“ (Riegel & Rothgangel, 2020, S. 345) zu bestimmen; deshalb sind „religiöse Identifikationsprozesse und Glaube nicht operationalisierbar“ (Riegel & Rothgangel, 2020, S. 347) und der Religionsunterricht kann eine „religiös motivierte Lebensgestaltung“ wegen der „Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes“ (Riegel & Rothgangel, 2020, S. 346) nicht einfordern.

Insofern ist die einzigartige grundgesetzliche Garantie des Religionsunterrichts auch und gerade ein Indiz dafür, dass der Religionsunterricht einen Überschuss an Sinnpotential aufweist, der nicht in einem Kompetenzmodell religiöser Bildung aufgefangen werden kann und auch nicht mit anderen Fächern vergleichbar ist. Trotz seines Profils als ordentliches Lehrfach ist der Religionsunterricht daher als „Raum der Freiheit“ (Obst, 2015, S. 265–268) für die individuelle Begegnung mit christlichem Glauben und Leben zu begreifen und für das – theologisch gesprochen – Wirken des Heiligen Geistes offen zu halten. Insofern wird der Religionsunterricht „seinem schulischen Bildungsauftrag nicht gerecht, wenn er sich auf die Vermittlung von religionskundlichem Wissen beschränkt“; vielmehr bietet er „Raum für das positionelle und kritische Fragen nach Wahrheit der eigenen, und anderer Konfessionen und Religionen“ (Pirner, 2012, S. 109).

Diese beiden Seiten des Religionsunterrichts werden religionsdidaktisch durch die hilfreiche Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive des gelebten und reflektierten Glaubens beschrieben (Dressler, 2013), zeichnen den Religionsunterricht aber als nicht bruchlos integrierbares Fach im Konzert der Fächer aus. Vielmehr lässt sich das Verhältnis des Religionsunterrichts zu den anderen Fächern als Dialektik von Konvergenz und Differenz auffassen, die dem Fach ein unverwechselbares Profil verleihen.

Hat diese Ortsbestimmung des Religionsunterrichts einen signifikanten und substantiellen Einfluss auf die Konstruktion von Lerngegenständen? Diese für die Begründung eines Forschungsformats entscheidende Frage nötigt dazu, die fachdidaktischen Theorieansätze daraufhin zu analysieren, ob und wie sie Lerngegenstände vor dem Hintergrund theologischer Reflexion über Gott und die Welt und zugleich pädagogisch und didaktisch ausgewiesen definieren, begründen und strukturieren. Als Hypothese kann hier formuliert werden, dass es in dieser Frage konfessionsdifferente Antworten geben könnte. Bei dem von Riegel & Rothgangel (2020a) vorgenommenen Vergleich der Modelle fachspezifischer Kompetenzen der EKD (2010) und der Deutschen Bischofskonferenz (2004) zeigt sich, dass sich die evangelische Kirche weitgehend auf distanzierende lehr- und lernbare Kompetenzen beschränkt, auch wenn sie grundsätzlich betont: „Wie in keinem anderen Fach können die Schüler und Schülerinnen hier über die Frage nach Gott nachdenken und deren Bedeutung für Grundfragen des menschlichen Lebens ausloten. In der Begegnung und der Auseinandersetzung mit dem Evangelium von der Menschlichkeit Gottes werden Grundstrukturen des christlichen Menschen- und Weltverständnisses aufgezeigt.“ (EKD, 2010, S. 12). In den ausformulierten Kompetenzen ist jedoch nur einmal von „persönlichen Vorstellungen von Gott“ die Rede, die mit anderen Gottesbildern zu vergleichen seien (EKD, 2010, S. 20).

Die katholische Kirche transformiert dagegen in sehr konkreter Weise die theologische Reflexion der Frage nach Gott und der Erfahrungen mit Gott in Unterrichtsgegenstände und weicht so dem unterrichtlichen „Störfaktor“ des Redens von Gott nicht aus. In dem eigenen Gegenstandsbereich „Die Frage nach Gott“ (DBK, 2002, S. 24–26) wird daher eine Vielfalt an spezifisch theologischen Aspekten angesprochen, die im Unterricht kompetenzorientiert vermittelt werden sollen. Diese beobachtete Differenz verschärft sich möglicherweise unter den Bedingungen konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts. Erst recht wird sie virulent, wenn in interreligiösen Lernumgebungen konkurrierende Wahrheitsansprüche aufeinandertreffen und miteinander in einen Dialog gebracht werden sollen. Deshalb dürfte es in einem religionsdidaktischen Forschungsvorhaben überaus lohnenswert sein, anhand von möglichen Differenzen bei der Konstruktion von Lerngegenständen dem jeweiligen zugrundeliegenden fachdidaktischen Verständnis des Faches, seines Profils und seiner Aufgaben und Ziele nachzugehen.

Die Perspektive „von der fachdidaktischen Theorie zur Frage nach der Konstruktion von Lerngegenständen“ bildet einen komplementären Forschungsansatz, der den induktiven Zugang ergänzt und in kritischer Wechselwirkung zu ihm steht.

5 Konstruktion von Lerngegenständen – ein Modell

Welche Faktoren in die Auswahl, Strukturierung und Gestaltung von Unterrichtsthemen einfließen, soll das folgende, von den Autoren entwickelte Modell veranschaulichen. Unschwer lassen sich die oben ausgeführten Quellen für Fachinhalte (Rothgangel, 2020, S. 506–509) im inneren Quadrat erkennen. Den Kernbereich markieren diese vier Konstituenten, die für die Konstruktion von Lerngegenständen/Themen maßgeblich sind. Sie wurden für den Religionsunterricht adaptiert und aus der Perspektive der Lehrkräfte, die ja weitgehend für die (Re-)konstruktion von Lerngegenständen verantwortlich sind, präzisiert:

  •  Wissenschaftsorientierung (entspr. „Fachwissenschaften“): Religionslehrkräfte haben ein akademisches Studium der Theologie absolviert, in dem sie sich mit unterschiedlichen Aspekten des christlichen Glaubens in Geschichte und Gegenwart, aber auch mit dem Phänomen Religion allgemein befassen und eine grundlegende theologische Reflexions- und Urteilskompetenz erworben haben. Sie kennen aktuelle religionsdidaktisch begründete Konzeptionen des Religionsunterrichts und adaptieren sie situativ. Sie beanspruchen, dass der Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach dieselbe wissenschaftsbasierte Dignität wie andere Fächer hat, wissen aber auch um sein besonderes Profil, das Freiräume für die eigene Begegnung und Auseinandersetzung mit christlichem Glauben und Handeln in einer religiös pluralen und konfliktbelasteten Welt ermöglicht. Zur Wissenschaftsorientierung gehört auch die Auseinandersetzung mit Grundfragen der Pädagogik und Allgemeinen Didaktik sowie der Religionswissenschaften, Philosophie und ggf. Humanwissenschaften, Naturwissenschaften, Ökonomie etc.

  • Praxisorientierung (entspr. „Praxen des Gegenstandsbereichs“): Religionslehrkräfte verstehen ihren Unterricht als Ausübung und Ort praktizierter Religionsfreiheit, die ihr Korrelat in der faktischen Präsenz von Religion und Kirche im gesellschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Kontext hat. Religion ist kein freischwebendes Phänomen, sondern manifestiert sich in Konfessionen, Symbolen und Institutionen, Lebenskonzepten, Haltungen und ethischen Praxen, künstlerischen Artefakten und kulturellen Objektivationen, die ihrerseits auch thematisch im Religionsunterricht bedacht werden können. Zusammengefasst wird dieser Kernbereich als „Christliche, kirchliche und religiöse Praxis“.

  • Schülerorientierung (entspr. „fachbezogene anthropologische Aspekte“): Religionslehrkräfte gehen in der Regel davon aus, dass der christliche Glaube eine lebensbestimmende und lebensförderliche Orientierung auch für Kinder und Jugendliche bietet und das im RU erworbene Wissen sie befähigt, grundlegende existenzielle Herausforderungen zu bearbeiten, elementare Erfahrungen und Widerfahrnisse zu deuten und zu bewerten und die eigene Religiosität und das eigene Handeln zu reflektieren.

  • Lebensweltorientierung (entspr. „fachbezogene gesellschaftliche, lebensweltliche und kulturelle Kontexte“):

Religionslehrkräfte möchten Kinder und Jugendliche befähigen, die Herausforderungen einer religiös und weltanschaulich pluralen Welt zu bestehen und sich in einer unübersichtlichen, widerspruchsvollen und konfliktbelasteten Wirklichkeit zurechtzufinden. Dabei kommen gesellschaftliche, kulturelle, ökonomische und ökologische Kontexte ins Spiel. Der Begriff der „Lebenswelt“ fasst diese Aspekte zusammen, schließt aber gleichzeitig auch die subjektive Wahrnehmung und Konstruktion der eigenen Erlebniswelt ein.

 

Abb. 1: (Re)Konstruktion von Lerngegenständen in der Religionsdidaktik

Die Konstruktion von Lerngegenständen/Themen wird unmittelbar beeinflusst durch Voraussetzungen, die sowohl auf Seiten der Lehrperson als auch auf Seiten der Schülerinnen und Schüler liegen. Dabei lassen sich objektive Gegebenheiten und subjektive Bedingungen unterscheiden, die im Modell stichwortartig benannt, aber nicht vollständig erfasst werden. Die objektiven Voraussetzungen auf Lehrkraftseite materialisieren sich in curricularen Vorgaben der Bildungsadministration, die – speziell und ausschließlich für den Religionsunterricht – in einem konsensualen Verfahren mit den Kirchen entwickelt werden, um die „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ sicherzustellen. Davon wiederum abhängig sind Unterrichtswerke und schulinterne Curricula. Im Blick auf die Schülerinnen und Schüler haben Lehrkräfte in ihrer universitären und schulpraktischen Ausbildung gelernt, differenzierte Erhebungen zu den einzelnen Lerngruppen vorzunehmen und den konkreten Lern- und Entwicklungsstand bzw. soziale Kontexte der Lernenden festzustellen.

Die subjektiven Voraussetzungen auf Seiten der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler spielen bei der Konstruktion von Lerngegenständen im Religionsunterricht eine besondere Rolle, weil hier identitätsbildende Persönlichkeitsaspekte einwirken, die sich aus grundlegenden Überzeugungen, Haltungen, Einstellungen, Erfahrungen, Neigungen und Abneigungen, Interessen und Motiven speisen. Bei den Lehrpersonen sei zum einen auf das Phänomen „subjektiver Theorien“ (vgl. Lehner-Hartmann 2014) über den Religionsunterricht, die dort stattfindenden religiösen Lernprozesse und die Schülerinnen und Schüler hingewiesen, die „das Handeln meist sehr viel stärker als wissenschaftliche Theorien“ leiten (Helmke, 2012, S. 115; vgl. auch S. 315–317).

Sehr viel differenzierter ist die Forschungslage hinsichtlich berufsbezogener Überzeugungen, die sich professionstheoretisch als „teacher belief“ auffassen lassen und „durchaus in einer gewissen Parallele zu anderen Unterrichtsfächern“ stehen (Pirner, 2012, S. 110). Sofern allerdings die Inhalte dieser Glaubensüberzeugung genauer in den Fokus rücken, lassen sich deutliche Differenzen ausmachen. So bestimmt Pirner – neben anderen Charakteristika – den Grundcharakter reflektierten bzw. gebildeten Glaubens als „letztlich unverfügbares, immer menschlich unvollkommen bleibenden Vertrauens auf Gott“, das „immer auf eine Glaubenspraxis bezogen ist und mit dieser in Wechselwirkung steht.“ (2012, S. 111). Von dieser Perspektive her geben die vielfältigen Untersuchungen zu Religionslehrkräften eine Fülle von empirisch erhobenen, aber im Einzelnen durchaus widersprüchlichen Ergebnissen, die von Zimmermann (2020 und 2019) dargestellt und zusammengefasst wurden. Vor allem das Verhältnis von Religionslehrkräften zu Glaube und Spiritualität, Religion und Kirche, zu ihrer Rolle als Lehrperson im Religionsunterricht, zu Elementen gelebter Religion im Unterricht und zum diskursiven Umgang mit Wahrheitsfragen ist Gegenstand der Erhebungen. Das Fazit, das Zimmerman (2020) zieht, ist eher skeptisch und weist auf eine große Bandbreite der genannten Aspekte in ihrer Bedeutsamkeit für Religionslehrkräfte hin. Pirner (2012) diagnostiziert einen immer noch breiten überkonfessionellen Konsens, „dass eine Religionslehrkraft selbst eine religiöse Orientierung haben und sich mit der von ihr unterrichteten Religion bzw. Konfession identifizieren könnten sollte“ und stellt fest: „Alle neueren Religionslehrer-Untersuchungen zeigen, dass dies auch faktisch weitgehend der Fall ist.“ (S. 109). Hinsichtlich der Wirkungen der eigenen religiösen Orientierung auf die Unterrichtspraxis konstatiert Pirner: „Die empirischen Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Religiosität von Religionslehrkräften und ihrem pädagogischen bzw. didaktischen Denken und Handeln unterstreichen, dass es sinnvoll ist, diese Zusammenhänge noch stärker als bisher zum Gegenstand religionspädagogische Reflexion“ zu machen (S. 122). Daraus lässt sich die zu überprüfende Hypothese formulieren, dass sich die besondere religiöse Variante des teacher belief auch auf die Konstruktion von Unterrichtsgegenständen auswirken könnte.

In ähnlicher Weise könnte man fragen, ob Glaubensüberzeugungen der Schülerinnen und Schüler und ihr Blick auf den Religionsunterricht (Schwarz, 2019) nicht auch bei der unterrichtlichen (Re-)Konstruktion von Lerngegenständen z.B. in einem ähnlichen Forschungssetting wie bei Faust-Siehl (1987) bedeutsam sind.

Schließlich kommen auch Rahmenbedingungen zur Geltung, die ebenfalls auf beiden Seiten auf die Identifizierung und Konstruktion von Lerngegenständen Einfluss nehmen, aber eher unspezifisch für das Fach sind. Auf der Seite der Lehrpersonen wird die Themenkonstruktion von äußeren schulischen Gegebenheiten beeinflusst, etwa von der verfügbaren Unterrichtszeit, der Zusammensetzung der Lerngruppe, dem Klassenraum, den technischen Möglichkeiten, einem Internetzugang usw. Eine erhebliche Bedeutung für die Themenkonstruktion haben Zahl und Qualität von didaktisch aufbereiteten Materialien, Fachzeitschriften, Unterrichtsmodellen etc., die der Lehrkraft zuhanden sind, sowie eine professionelle Medienkompetenz, die sie für die Materialsuche im Internet nutzen kann. Auch konkrete Praxisanleitungen sind für Berufsanfänger und -anfängerinnen wichtig. Im Blick auf die Voraussetzungen, die Schülerinnen und Schüler mitbringen, spielen z.B. Einstellungen zur Schule, zu Hausaufgaben und Leistungsanforderungen, aber auch das Freizeitverhalten, der Umgang mit Medien, die Beziehung zu Peers in die Themenkonstruktion durch Lehrkräfte hinein.

Alle Faktoren kommen als Gegenstände eines Forschungsvorhabens in Betracht. Dabei ist nicht nur zu untersuchen, welche Faktoren bei der Themenkonstruktion beachtet werden, sondern auch, welches Gewicht ihnen beigemessen wird, wie ihre Beziehung zueinander gestaltet ist und wie sie mit theoretischen Modellen und Kategorien der Allgemeinen und der Fachdidaktik verflochten sind und legitimiert werden. Der spezifische Fokus liegt darauf, ob und in welcher Weise die Konstruktion von Unterrichtsgegenständen mit anderen, affinen Fächern konvergiert oder in eigenständiger, nicht vergleichbarer Weise von ihnen differiert.

6 Forschungsebenen

Während das erläuterte Modell eine systematische Zusammenschau wesentlicher Faktoren und Elemente bietet, die bei der Konstruktion von Unterrichtsthemen in Betracht kommen, werden im Folgenden – sozusagen – quer dazu vier verschiedene Forschungsebenen benannt, die bei einer induktiven Anlage eines fachdidaktischen Forschungsvorhabens verfolgt werden müssten:

  • Die Handlungsebene: Wir gehen von der Tatsache aus, dass Unterrichtsthemen tagtäglich von Lehrpersonen ausgewählt, strukturiert und inszeniert werden. Wie sie dabei vorgehen, welche Verfahren sie praktizieren, worauf sie sich stützen, von welchen subjektiven Theorien, Prinzipien und Konzepten sie sich leiten lassen, bestimmt die erste Ebene des Forschungsvorhabens. Dabei stehen die Person und damit die konkrete Praxis der Religionslehrer bzw. -lehrerinnen im Mittelpunkt.

  • Die Materialebene: Auf dieser Ebene kommen Vorgaben, Materialien, Medien und Hilfsmittel in den Blick, die Lehrpersonen bei der Konstruktion von Themen zur Verfügung stehen und von ihnen genutzt werden (Lehrpläne, Schulbücher, Unterrichtsmaterialien, Internet, digitale Werkzeuge u.a.).

  • Auf einer Instruktionsebene, die besonders für Berufsanfänger relevant ist, steht im Fokus, wie der Prozess der Themenkonstituierung in älteren und neueren Werken dargestellt wird, die ausdrücklich Hilfen und Anleitungen für die Praxis des Religionsunterrichts bieten wollen. Auch hier steht das Interesse im Vordergrund, von welchen Aspekten und Kriterien sich derartige Praxisempfehlungen leiten lassen, welche Konstruktionsprinzipien sie vorschlagen und wie sie Themen exemplarisch strukturieren und legitimieren.

  • Die Theorieebene bilden die wissenschaftlichen Handbücher und Überblickwerke der Religionspädagogik, die den Prozess der (Re-)Konstruktion von Lerngegenständen im Gesamtzusammenhang der Religionsdidaktik erörtern. Sie treffen damit grundlegende Entscheidungen über konzeptionelle Verortungen, zentrale Kriterien und Zuordnungen von Fachwissenschaften, Allgemeiner Didaktik, Aufgabe und Ziel des Religionsunterrichts, Lebenswelt- und Schülerbezug etc.

7 Forschungsmatrix zur „Konstruktion von Lerngegenständen“

Die im Modell skizzierten Faktoren und Strukturen, die auf die Konstruktion von Lerngegenständen einwirken können, lassen sich mit den dargestellten Forschungsebenen zu einer Matrix kombinieren, innerhalb derer Forschungsfragen platziert werden können, die bei entsprechenden Vorhaben aufgegriffen und bearbeitet werden können. Exemplarisch wird in die Matrix jeweils eine signifikante Forschungsfrage eingetragen.

 

Rahmenbedingungen

Voraussetzungen

Kernbereich

Handlungsebene

Wie kommen welche Rahmenbedingungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler bei der Themenkonstruktion durch die Lehrkräfte ins Spiel?

Welche subjektiven Theorien vom Religionsunterricht beeinflussen die Themenkonstruktion bei Lehrkräften?

Welche theologischen Aspekte des Themas wählen Lehrkräfte aus, wie gewichten sie die ausgewählten Aspekte, wie begründen sie ihre Entscheidungen?

Materialebene

Welche Relevanz hat das Internet, insbesondere das dort vorhandene religiöse Medienangebot, für die Themenkonstruktion?

Werden die Lehrperson, ihre religiösen Erfahrungen, ihre christlich geprägte Praxis, ihr eigenes Verhältnis zu den Themen bzw. ihre distanzierte, skeptische oder zweifelnde Haltung in die Konstruktion von Themen einbezogen?

Welche Rolle spielt die kirchliche, christliche bzw. religiöse Praxis bei der Themenkonstruktion?

Instruktionsebene

Nehmen praxisnahe Anleitungen die jeweils veränderten Rahmenbedingungen in der Schule, aber auch im Privat- und Freizeitbereich der Lehrkräfte und Schüler als wichtige Faktoren für die Konstruktion von Unterrichtsthemen wahr?

Welche Annahmen hinsichtlich der religiösen Schülersituation kommen ins Spiel, wie verändern sie sich und wirken sich solche Veränderungen bei der Konstruktion von Lerngegenständen aus?

Welche lebensweltlichen bzw. existenziellen Herausforderungen (z.B. in Form von „Anforderungssituationen“) werden thematisch aufgenommen und in dem unterrichtlichen Planungsprozess berücksichtigt?

Theorieebene

Welche empirisch gestützten Annahmen über Schule, Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen liegen den theoriebezogenen Werken zugrunde?

Wird der Doppelcharakter des Religionsunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach im öffentlichen Schulsystem und als Fach, in dem von Gott geredet und nach dem tragfähigen Grund des Lebens gefragt wird, bei der Themenkonstruktion berücksichtigt?

Wie wird das Verhältnis von theologischer Fachwissenschaft und Lerngegenstand auf der religionspädagogischen Theorieebene bestimmt und wie wirkt sich die Bestimmung auf die Themenkonstruktion aus?

Im Folgenden werden die vier Forschungsebenen jeweils skizziert und praxisgestützte sowie forschungsbasierte Beobachtungen und Erkenntnisse vorgetragen. Schließlich werden methodische Zugänge summarisch aufgelistet und Beispiele aus der Forschungsliteratur erläutert.

7.1 Die Handlungsebene

7.1.1 Die alltägliche Konstruktion von Unterrichtsthemen

Lehrkräfte planen ihren Unterricht mit fortschreitender Expertise anders als Berufsanfänger/-innen. Für Berufsanfänger/-innen stellt es häufig bereits ein großes Problem dar, prägnante und schülergerechte Themen zu formulieren, weil sie noch stark vom Wissenschaftsdenken und der theologischen Systematik des Studiums geprägt sind und nicht selten der Vorstellung anhängen, man müsse theologische Inhalte für Schüler und Schülerinnen nur didaktisch „kleinarbeiten“ und inhaltlich reduzieren. Zudem haben sie noch keinen Fundus an Materialien und ausgearbeiteten Unterrichtsreihen zur Verfügung und machen sich daher auf eine langwierige und gelegentlich frustrierende Suche im Internet.

Fortgeschrittene greifen gezielter auf bewährte Materialien zurück, sie wissen, welche Themen bei Lerngruppen „ankommen“ und wo Schwierigkeiten liegen können, erweitern aber auch ihr thematisches Repertoire systematisch, da sie – zumindest in Schulen der Sekundarstufe I und II – in unterschiedlichen Klassenstufen eingesetzt werden und sich mit vielen neuen Unterrichtsthemen auseinandersetzen müssen.

Experten verfügen über umfassende Erfahrungen mit einer Vielzahl von Themen auf unterschiedlichen Stufen. Sie können intuitiv und kreativ Themen identifizieren, auswählen, strukturieren und inszenieren. Ihre Selbstreflexionsfähigkeit ist – verbunden mit geeigneten Feedbackverfahren – ausgeprägter, sie erweitern ihre beruflichen Kompetenzen durch Rezeption neuer theologischer und religionspädagogischer Diskurse und reagieren sensibel auf Veränderungen der gesellschaftlichen, schulischen und personalen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts.

Vor dem Hintergrund dieser grob skizzierten berufsbiografischen Stufen des Expertiseansatzes (Herzmann & König, 2016, S. 79–88) ist es ein erstes Desiderat des Forschungsvorhabens, die konkrete Wirklichkeit der Themenplanung bei Lehrkräften in den Blick zu nehmen und dabei auch deren unterschiedliche Expertise zu beachten. Allerdings richtet dieser Ansatz den Blick nur auf bestimmte Aspekte der beruflichen Entwicklung, die aus den Perspektiven kompetenztheoretischer und strukturtheoretischer Professionalisierung ergänzt und erweitert werden müssen (dazu Riegel im Heft zu Profession und Professionalisierung als mögliches Format religionsdidaktischer Forschung).

Die leitende Fragestellung dieser Forschungsebene zielt darauf ab, ob Religionslehrkräfte in ihren alltäglichen Planungsvollzügen die Themen des Religionsunterrichts in konvergenter Weise wie in anderen Fächern auswählen, formulieren, strukturieren und inszenieren oder ob sie bei der Konstruktion bestimmter Themen spezifische, vornehmlich oder ausschließlich für den Religionsunterricht geltende Gesichtspunkte und potentielle Gegenstände berücksichtigen.

7.1.2 Methodische Zugänge

Grundsätzlich sollten Forschungsvorhaben so nah wie möglich an der tatsächlichen Praxis der Themenkonstruktion vor Ort angesiedelt sein. Folgende methodische Erschließungsverfahren können angewendet werden:

  • Befragungen/Interviews von Lehrpersonen z.B. ausgehend von eigenen oder fremdverfassten didaktischen Analysen;

  • Auswertung von Planungstagebüchern;

  • Videobeobachtung und -analyse von (laut kommentierten) Planungsphasen bei Lehrpersonen evtl. unterstützt durch Legeaufgaben (vgl. Kindermann, 2020);

  • Analyse von Unterrichtsentwürfen evtl. im Abgleich mit Reflexionsgesprächen.

7.1.3 Forschungsbeispiel

Zur Frage, wie Religionslehrkräfte bei der Planung ihres eigenen Unterrichts vorgehen, finden sich kaum Publikationen bzw. Qualifikationsschriften im Kontext der Religionspädagogik. In den umfangreichen empirischen Befragungen zur Person der Religionslehrerinnen und -lehrer (Zusammenstellung bei Zimmermann 2020), spielt der Aspekt der individuellen Unterrichtsplanung auch in den qualitativen Teilen z.B. zu den berufsbiografischen Interviews (Feige, Dressler, Lukatis & Schöll, 2001, S. 55–142) keine zentrale Rolle.

Katharina Kindermann rekonstruiert in ihrer qualitativen Studie „Die Welt als Klassenzimmer. Subjektive Theorien von Lehrkräften über außerschulisches Lernen“ (2017) die subjektiven Theorien von Grundschullehrkräften. Sie untersucht u.a. deren pädagogisches Konzept der Konstruktion von Lerngegenständen am Beispiel des Lernortes Kirchenraum und zeigt dabei, welche Besonderheiten die befragten Lehrpersonen dem außerschulischen Lernen zuschreiben, aber auch, inwieweit sie dieses im Duktus eines regulären Schulunterrichts denken. Insofern finden sich im Kontext der Studie interessante Aspekte unserer Forschungsfrage.

Eva-Maria Leven hat sich in ihrer explorativen Studie (2019) mit der Rekonstruktion fachspezifischen Professionswissens sowie handlungsbezogener und reflexiver Kompetenzen von Religionslehrkräften beschäftigt. Hier wird am Beispiel des Themas Christologie die Frage erörtert, wie Lehrkräfte Unterrichtsinhalte (re-)konstruieren und wie sie ihr Handeln und ihre Entscheidungen begründen.

7.2 Die Materialebene

7.2.1 Vorgaben, Materialien und Hilfsmittel

In der Alltagspraxis und unter dem Druck eines beträchtlichen Stundendeputats stützen sich Lehrkräfte in aller Regel auf leicht verfügbare Vorgaben, Materialien und Hilfsmittel. Dazu gehören insbesondere vier für die Auswahl und Strukturierung von Unterrichtsinhalten relevante Arbeitsmittel und Instrumente:

  • An erster Stelle bestimmen Lehrpläne und Richtlinien die unterrichtliche Planung. Sie bilden nicht nur einen Orientierungsrahmen oder ein Suchraster, sondern legen den Unterricht jahrgangs-, schulstufen- und schulformbezogen in unterschiedlicher Verbindlichkeit inhaltlich fest. Dazu gehören auch schulinterne Curricula.

  • Im Unterrichtsalltag sind Unterrichtswerke die entscheidende Instanz für die Auswahl und Strukturierung von Lerngegenständen. Sie liegen für das Fach Religionsunterricht in großer Zahl und unterschiedlicher Qualität vor (Herrmann, 2016; Reis, 2016 a und 2016 b). Häufig werden sie ergänzt durch ausführliche Lehrerhandbücher.

  • Das breite Feld von religionspädagogischen Materialien, Medien und Fachzeitschriften wird – zumal wenn sie digital aufbereitet sind – bei der Konstruktion von Themen genutzt.

  • Das Internet bietet kundigen Religionslehrkräften eine Fülle von Materialien, die im Religionsunterricht Verwendung finden. Dabei stellen auch religionspädagogische Portale wie rpi-virtuell.de ergiebige Anregungen zur Verfügung.

Die leitende Fragestellung dieser Forschungsebene zielt darauf ab, ob die verfügbaren Vorgaben, Materialien und Hilfsmittel sich darauf beschränken, in analoger Weise wie in anderen Fächern einen „Kanon an Grundwissen“ (Rothgangel, 2020, S. 348) zu vermitteln und Schülerinnen und Schüler mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten oder ob sie darüber hinaus auf Fragen, Herausforderungen, Problemstellungen, Inhalte und Verfahren rekurrieren, in denen die Dimension existenzieller religiöser Orientierung und Identitätsbildung zur Sprache kommt, die für den Religionsunterricht profilbildend ist. Dabei ist auch zu untersuchen, wie Lehrkräfte mit entsprechenden Materialien umgehen, ob sie diese abwandeln, selektiv verwenden, ergänzen, zuspitzen oder einebnen.

7.2.2 Methodische Zugänge

Schulbuch- oder Lehrplananalysen haben jeweils Texte als Basis, die z.B. diachron oder synchron verglichen werden (Roth, 2018; Hausmann, 2018). Hierzu wird häufig die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring angewandt (Roth, 2018, S. 222). Mit ihr werden die Textinhalte systematisch nach bestimmten, zuvor festgelegten oder im Prozess zu findenden Kategorien untersucht. Auch die Dokumentenanalyse nach Lamnek wurde z.B. bei Vergleichen von Fachprofilen oder Bildungs- und Erziehungsaufträgen verschiedener Bundesländer verwendet (Ebd.). Eine Analyse im Kontext unserer Thematik müsste die Konfiguration von Lerngegenständen, wie sie aus den vorliegenden Dokumenten deutlich wird, zum Thema haben.

Ein noch weitgehend unerschlossenes Forschungsgebiet ist die Frage, welche Bedeutung das Internet und die dort angebotenen Materialien vor allem bei der Themenkonstruktion der jüngeren Generation der Lehrkräfte spielt. Insbesondere die Auswahl, Qualität und Nutzung von religiös konnotierten Medien (Bilder, Videos, Blogs, soziale Medien etc.) müsste anhand von medienanalytischen Verfahren untersucht werden.

7.2.3 Forschungsbeispiele

Volker Glunz (2018) hat in seiner umfangreichen Dissertation die Gottesfrage in Schulbüchern der Sekundarstufe I untersucht. Der Autor hat auf 720 Seiten 17 evangelische und katholische Religionsbücher hinsichtlich des Vorkommens des Themas „Gott“ analysiert und dabei mit den Kategorienclustern zu

a) Texten (Beschriftungen, Lieder/Gedichte/Gebete, Bibeltexte, Auszüge aus Literatur, Mischformen von Text und Bild, typische Schulbuchtexte und lebensweltliche Textzeugnisse),

b) Bildkategorien (Bilder, Fotos, Graphische Gestaltungen, Text-Bild-Gefüge) und

c) Aufgabenkategorien (Anforderungssituationen, Lerndimensionen, Sozialformen, Materialbezüge) gearbeitet.

Bezüglich der Analyse, wie die Textsorten verteilt sind, stellt der Autor eine Schwerpunktsetzung bei beschreibenden Darstellungen (51,7%) fest, während z.B. die Gottesfrage in narrativ-erzählenden Texten nur bei 11,7% liegt. Liedtexte zur Gottesfrage ebenso wie Gebete finden sich in Form von geistlichem Liedgut vor allem in den Klassen 5/6, nicht-geistliche Liedtexte in den Klasse 7/8.

Auch wird die Auswahl der Bibeltexte näher betrachtet, die selbst bei diesem Thema eher „ein Schattendasein“ führen (Glunz, 2018, S. 395).

Aus der Darstellung der Glunz‘schen Vorgehensweise wird deutlich, dass im Modus der gewählten quantitativen (Vorkommen von verschiedenen Medien) und qualitativen (Bewertung der Inhalte) Analyse vor allem Fragen nach der Auswahl der Inhalte und der medialen Präsentation aufgenommen werden. Weniger Berücksichtigung finden dagegen Begründungen der Auswahl z.B. in den Lehrerhandbüchern und die Perspektive, ob die Darstellung von Gottesbildern in gängigen Unterrichtswerken in angemessener Weise geschieht und dabei nicht nur fachwissenschaftlichen, sondern auch religionspädagogischen Anforderungen genügt.

Eine ähnliche Forschungsperspektive, wenn auch nicht in so umfassender Herangehensweise, zeigt sich auch in weiteren Qualifikationsschriften, die sich z.B. mit Dietrich Bonhoeffer (Lange, 2008), „dem Judentum“ (Fiedler, 1980) bzw. „Vorurteilen gegenüber Juden“ (Spichal, 2015) sowie dem bibeldidaktischen Kanon (Enners, 2017) im Religionsunterricht befassen und mit Schulbuch- bzw. Lehrplananalysen arbeiten. Die Frage nach der (Re-)Konstruktion von Unterrichtsinhalten wird somit ausgehend von den Medien/Materialien zumindest implizit gestellt.

7.3 Die Instruktionsebene

7.3.1 Praxisorientierte Anleitungen und Empfehlungen

Die „Instruktions- und Anleitungsliteratur“ reicht weit über die Religionsdidaktik zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zurück (Exemplarisch Kabisch, 1910). Eine Hochphase dieser Gattung lässt sich an Veröffentlichungen in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts beobachten – sie findet sich aber auch in den aktuellen religionsdidaktischen Publikationen der letzten Jahre.

Aus der Perspektive von Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern stellen praxisorientierte Anleitungen und alltagstaugliche Empfehlungen, wie man bei der Planung des Unterrichts und der Themenauswahl und -strukturierung vorgehen kann, eine gern genutzte Orientierung und Hilfe dar (z.B. Haas & Bätz, 1984; Foitzik & Harz, 1985; Jendorff, 1992 und 1994; Büttner, 2011; Hanisch, 2011; Mendl, 2011; Heil, 1012; Lachmann, 2012; Bahr, 2013; Michalke-Leicht, 2013; Ziener, 2013; Hahn, M. & Schulte, A., 2014; Pfister & Roser, 2015; Zimmermann & Lenhard, 2015; Lenhard, 2016; Lehmann & Schmidt-Kortenbusch, 2016). Ausführliche theoriebezogene Darstellungen (siehe Ebene 4) spielen zwar im Studium eine Rolle, werden gelegentlich wohl auch im Vorbereitungsdienst reflektiert, eignen sich aber für den beruflichen Alltag nicht oder nur bedingt als Wissenshintergrund.

Die „Instruktions- und Anleitungsliteratur“ hat ihren pragmatischen Ort daher weniger im Studium als vielmehr in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung und in der Berufseingangsphase. Allerdings ist durch die Einführung von Praxissemestern und länger dauernden Praxisphasen auch der Bedarf Studierender gestiegen, sich an handlichen Hinweisen zum Procedere der Unterrichtsplanung zu orientieren.

Bis ein Erfahrungs-Stadium erreicht ist, bei dem das Planungsprocedere mehr oder weniger automatisiert und routiniert abläuft, bilden solche Anleitungen ein beliebtes Geländer, an dem man sich festhalten kann – oft ohne dass sie in umfassende Theoriebezüge eingebunden sind.

Zwar rekurrieren fast alle „Gebrauchsanweisungen“ auf bestimmte allgemeindidaktische Modelle und religionsdidaktische, nahezu kanonische Prinzipien, aber diese Aspekte werden eher selektiv und ohne theoretischen Kontext eingetragen. Es ist kein Zufall, dass die bildungstheoretische Didaktik Wolfgang Klafkis seit den 60er Jahren auch als Leitmodell von der Religionsdidaktik rezipiert wurde, da sich die Religionspädagogik dem Leitbegriff der Allgemeinbildung, zu der auch der Religionsunterricht in spezifischer Weise beitragen soll, verpflichtet sah und noch immer sieht. Das allgemeindidaktische Modell Klafkis, das eine Reihe von Modifikationen und Korrekturen durch Klafki selbst erfuhr, erhielt seine religionsdidaktische Spitze durch das Tübinger Programm der Elementarisierung, das für viele Religionslehrkräfte nach wie vor das Standardparadigma für die unterrichtliche Planung darstellt. Die meisten Anleitungen basieren auf diesen beiden Ansätzen, während neuere allgemeindidaktische und religionsdidaktische Modelle nur zögerlich aufgenommen oder abgelehnt werden. Mitunter entgehen die Leitfäden nicht der Gefahr, Handlungsschritte allzu detailliert festlegen zu wollen, so dass der alte Vorwurf Hilbert Meyers, sie produzierten eine Art „Feiertagsdidaktik“ (Meyer, 1980, S. 181), nicht unberechtigt erscheint.

Überblickt man die religionsdidaktischen Veröffentlichungen der letzten beiden Jahrzehnte, so fällt auf, dass eine Reihe von Methodenwerken zum Religionsunterricht erschienen sind. Schon Klafki hatte 1997 unter dem Eindruck der Kritik der lerntheoretischen Didaktik die Perspektiven „Bestimmung von Zugangs- und Darstellungsmöglichkeiten“ und „Methodische Strukturierung“ in sein überarbeitetes Modell der didaktischen Analyse eingefügt. 2003 hat Schweitzer diesen Impuls aufgenommen und „Elementare Lernwege“ als fünfte elementare Struktur dem Tübinger Elementarisierungsprogramm angegliedert (S. 187–202). Die Verlagerung praxisorientierter Anleitungen auf methodische Verfahren und Instrumente zeigt jedoch an, dass ein grundlegender Wandel in den Unterrichtskonzepten im Gange ist, der sich der Verlagerung des didaktischen Interesses auf das – möglichst selbstständige und selbstorganisierte – Lernen der Schülerinnen und Schüler verdankt. Während die von der Religionsdidaktik breit rezipierte bildungstheoretische Didaktik Klafkis die didaktische Analyse vor jeder Entscheidung über Lernwege und Lernarrangements priorisierte und der Lehrperson die Rolle der Vermittlerin bildungsrelevanten Wissens zubilligte, gewinnt inzwischen die Einsicht an Boden, dass die Konstruktion von Themen des Religionsunterrichts entscheidend davon abhängt, auf welchen Wegen und mit Hilfe welcher Medien diese Themen von den Lernenden erschließbar sind. Der Zusammenhang von Themenkonstruktion und methodischem Arrangement ist daher im Blick auf die dritte Ebene des Forschungsvorhabens gleichsam von besonderer Bedeutung.

Die leitende Fragestellung dieser Forschungsebene zielt darauf ab zu ermitteln, ob und inwieweit in den Anleitungen und Instruktionen die Konstruktion von Lerngegenständen im Religionsunterricht nach analogen Prinzipien wie in anderen Fächern verläuft oder ob Aspekte ins Spiel gebracht werden, die den besonderen Anspruch und die charakteristische Zielrichtung des Religionsunterrichts akzentuieren. Auch auf dieser Ebene ist der konkrete Umgang von Lehrpersonen mit Anleitungen und Instruktionen zu eruieren.

7.3.2 Methodische Zugänge

Die vorliegenden Instruktionen und Anleitungen könnten zunächst unter systematischen Gesichtspunkten inventarisiert und mittels einer diachronen und synchronen Inhaltsanalyse untersucht werden. Dabei sind nicht nur textinterne Inhalte, Verfahren und Strukturen zu sichten, sondern insbesondere ist die Frage zu stellen, welche Effekte diese didaktische Gattung auf die konkrete Themenkonstruktion hat. Dieser Frage könnte z.B. durch quantitative Befragungen und qualitative Interviews von Lehrpersonen ebenso wie durch einen Vergleich einschlägiger Unterrichtsentwürfe aus dem Vorbereitungsdienst mit verwendeten Anleitungen nachgegangen werden.

7.3.3 Forschungsbeispiele

Soweit uns bekannt ist, gibt es zu der von Lehrpersonen genutzten Instruktionsebene keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

7.4 Die Theorieebene

7.4.1 Theoriebezogene Darstellungen der Themenkonstruktion

Die Unterscheidung von Literatur zur Instruktionsebene und zur Theorieebene kann nicht in jedem Fall trennscharf erfolgen. Sie dient hier eher heuristischen Zwecken und verdankt sich einer erfahrungsgestützten Bewertung dessen, was im Vorbereitungsdienst und in der Berufseingangsphase praktisch genutzt wird.

Auf der Theorieebene sind zum einen grundlegende Werke der Religionsdidaktik angesiedelt, zum anderen spezifische didaktische Konzeptionen, die sich dem Problem stellen, wie unter jeweils aktuellen schulischen, religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen religiöse Bildung im öffentlichen Schulsystem vermittelt werden kann. Zu diesen gehören Entwürfe wie Elementarisierung, Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen, Performativer Unterricht, Konstruktivistische Religionsdidaktik, Interreligiöses Lernen, Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen, Dialogischer Religionsunterricht u.a.m. (Grümme, Lenhard & Pirner, 2012). Drittens sind in dieser Kategorie auch spezielle Monografien zu ausgewählten didaktischen Problemen wie Bibeldidaktik, Kirchengeschichtsdidaktik, Mediendidaktik, Symboldidaktik, Bilddidaktik etc. zu erforschen.

Alle Werke bieten einen Begründungsrahmen, der in je verschiedener Weise die Konstituenten des Kernbereichs, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Konstruktion von Lerngegenständen in den Blick nimmt und entfaltet. Die unterschiedlichen Perspektiven auf den Religionsunterricht, ihre Prämissen und Konsequenzen, ihre theoretischen Annahmen und Gewichtungen, ihre innovativen Ideen und praktischen Realisierungsmöglichkeiten schlagen sich unmittelbar auch in der Auswahl, Strukturierung und Modellierung von Unterrichtsthemen nieder. Sie bilden das Feld, in dem sich fachdidaktischer Innovationseifer, wissenschaftliche Experimentierfreude, der Streit um bestmögliche Konzepte und die Bemühung um die Verbesserung (und Rettung!) des Religionsunterrichts ausbreiten.

Die leitende Fragestellung dieser Forschungsebene zielt darauf ab zu erforschen, ob und wie in den theoriebezogenen Darstellungen der Doppelcharakter des Religionsunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach im öffentlichen Schulsystem und als Fach, in dem von Gott geredet, nach dem tragfähigen Grund des Lebens gefragt und damit die Wahrheitsfrage bedacht wird, bei der Themenkonstruktion berücksichtigt wird. Dabei liegt ein Forschungsschwerpunkt darauf, wie das Verhältnis von theologischer Wissenschaft zu den Unterrichtsgegenständen bestimmt wird. Ein besonderes Forschungsinteresse liegt darin zu untersuchen, ob und wie die theoriebezogenen Darstellungen eine prägende Wirkung im Unterrichtsalltag entfalten oder ob sie eher als akademischer Überbau einer nach ganz anderen Prämissen und Dynamiken verlaufenden religionsunterrichtlichen Praxis fungieren.

7.4.2 Methodische Zugänge

Als Basis möglicher forschungsmethodischer Zugänge liegen auch hier Texte in Form von Grundlagenwerken zur Religionspädagogik bzw. Religionsdidaktik z.B. von Domsgen (2019), Woppowa (2018), Riegel (2014), Brinkmann (2013), Schröder (2012), Mendl (2011), Schweitzer (2006) vor, die oft differenziert nach Themenbereichen wie Bibeldidaktik, Kirchengeschichtsdidaktik, Didaktik ethischer Theologie, ökumenisches Lernen, Liturgiedidaktik, Erschließung nicht-christlicher Religionen (so Schröder, 2012, XV) u.a. zumindest implizit die Frage nach der adäquaten Form der (Re-)Konstruktion von Lerninhalten stellen: So werden z.B. neben einer Darstellung unterschiedlicher möglicher Zugänge (bei Schröder, 2012, S. 605–611 zum Thema Bibeldidaktik z.B. exegetisch akzentuierte, biblische Symboldidaktik, korrelative Bibeldidaktik u.a.) Unterrichtsprinzipien genannt, die zum Ausdruck bringen, wie dieser Prozess der (Re-)Konstruktion von Unterrichtsinhalten gelingen kann und soll. Diesen ist wiederum mit inhaltsanalytischen Verfahren nachzugehen.

Weiterhin wird diese Frage auch in Publikationen verhandelt, die ein aktuelles religionspädagogisches Konzept vorstellen und reflektieren wie z.B. Kindertheologie (Zimmermann, 2012), performative Didaktik (Leonhard & Klie, 2008; Mendl, 2008 u.a.) oder kompetenzorientiertes Lehren und Lernen (Obst, 2015). Auch hier liegen unterschiedlichste Darstellungen als Monographien, Zeitschriften- und Sammelbandbeiträge vor, anhand derer man untersuchen könnte, in welcher Weise sich die Autorinnen und Autoren die (Re-)Konstruktion von Unterrichtsinhalten in ihrem Theoriemodell vorstellen und welche Bedeutung die Fragestellung im Gesamtzusammenhang überhaupt hat.

7.4.3 Forschungsbeispiel

Im Kontext der Frage nach dem „Kanon im Kanon in der Bibeldidaktik“ (Enners, 2018) fragt der Autor nach den Kriterien der Auswahl von biblischen Texten im Religionsunterricht nicht nur entlang von Kerncurricula und Religionsbüchern. Er berücksichtigt auch, welche Kriterien hier in bibeldidaktischen Konzeptionen herangezogen werden (Enners, Kap. 5, S. 93–165). Enners analysiert die bibeldidaktischen Zugänge von Ingo Baldermann, Horst Klaus Berg, Gerd Theißen, Peter Müller, Herbert Stettberger, Burkard Porzelt und Christian Derns hinsichtlich ihrer materialen Schwerpunkte, übergreifenden Motive und thematischen Zusammenhänge und der Reflexion der Rolle des Kanons. In der daraus abgeleiteten Typenbildung wird deutlich, wie die Autorinnen und Autoren eine Reduktion der Inhalte begründen und, zumindest implizit, wie sie sich eine (Re-)Konstruktion von biblischen Lerngegenständen vorstellen. Enners erschließt zwar nicht einmal am Beispiel Bibeldidaktik unsere Fragestellung umfassend, sondern nur auf die Auswahl an biblischen Texten, fokussiert damit aber zumindest einen Aspekt und soll deshalb an dieser Stelle als Beispiel dienen.

8 Zusammenfassung: Ist die „Konstruktion von Lerngegenständen“ im Religionsunterricht als eigenes fachdidaktisches Forschungsformat auszuweisen?

In ihrer Einführung fächern Riegel & Rothgangel die signifikanten Kategorien von Forschungsformaten nach drei Kategorien auf – Bezugstheorien, Gegenstandsbereiche und Methodiken religionsdidaktischer Forschung – und ordnen ihnen jeweils zentrale Fragen zu, die im Folgenden aufgegriffen werden.

8.1 Bezugstheorien

Was ist/sind die grundlegenden Bezugstheorie/n, aus denen sich das Forschungsformat speist? Welche Rolle spielen Theologie, Bildungswissenschaften und andere Fachdidaktiken für das Forschungsformat? Welche Funktion haben die einzelnen formatierenden Bezugstheorien für das jeweilige Forschungsformat und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander?

Ausgehend von der Feststellung der Autoren, in den Diskursen der religionsdidaktischen Forschung handele es sich „in der Regel [um] ein spezifisches Amalgam theologischer und bildungswissenschaftlicher Theorien, sowie Diskursen anderer Fachdidaktiken“ (Riegel & Rothgangel, 2020, S. 5), lässt sich dieser Zusammenhang im Blick auf das Forschungsvorhaben „Konstruktion von Lerngegenständen“ näher bestimmen. Da der Religionsunterricht wie andere Fächer ordentliches Lehrfach ist, unterliegt auch die Themenkonstruktion vorderhand den Prämissen, Prinzipien, Kriterien und theoretischen Modellen, die von der allgemeinen Didaktik für das Lehren und Lernen entwickelt werden. Lernen im Religionsunterricht vollzieht sich nicht grundsätzlich anders als Lernen in anderen Fächern. Wie in allen Fächern können die Ergebnisse des Lernens als Kompetenzen sc. religiöser Bildung benannt und überprüft werden. Das bedeutet, dass die Themen des Religionsunterrichts sich der kritischen Prüfung im Blick auf Plausibilität und Begründbarkeit stellen und dort ausweisen müssen. Insofern lassen sich Konvergenzen zu anderen Fächern wie Musik, Kunst, Ethik, Philosophie oder Geschichte aufweisen.

Die Religionsdidaktik befasst sich allerdings mit dem spezifischen Problem, dass der Religionsunterricht weder in den Religionswissenschaften noch in Human- bzw. Kulturwissenschaften seinen zentralen Referenzpunkt hat, sondern in der Theologie. Sofern Theologie sich nicht darauf beschränkt, Religiosität als Tiefendimension menschlicher Selbstdeutung zu beschreiben, sondern sich der Frage nach der Wahrheit des Glaubens an den einen Gott stellt und sie bedenkt, gerät auch der Religionsunterricht in eine zu anderen Fächern differente Situation, die ihren Niederschlag nicht nur in der kirchlichen Beauftragung der Lehrkräfte und anderen Besonderheiten, sondern auch und gerade in den Themen findet, die im Unterricht verhandelt werden. Das Reden von Gott und die Frage nach der Wahrheit des Glaubens weisen dem Religionsunterricht eine im Schulkanon der Fächer exzeptionelle Stellung zu, die dazu nötigt, die Themenkonstruktion in ihrem Spannungsverhältnis zwischen allgemeiner Didaktik und inhaltlicher Spezifik fachdidaktisch zu erforschen. In dieser Hinsicht lässt sich die Konstruktion von Lerngegenständen am ehesten als „eigenständiges Forschungsformat“ beschreiben, „das sich so nicht in anderen Fachdidaktiken“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 10) finden lässt.

8.2 Gegenstandsbereiche

Welche Rolle spielen die Gegenstandsbereiche der Religionsdidaktik für die Konturen des Forschungsformats?

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analyse kann diese Frage weiter spezifiziert werden:

Bis auf welche Detailebene ist die formatierende Wirkung von Gegenstandsbereichen zu berücksichtigen? Welche Rolle spielen die Quellen, aus denen sich die für das Forschungsformat relevanten Gegenstandsbereiche speisen, für deren formatierende Wirkung? Qualifizieren die für das Forschungsformat relevanten Gegenstandsbereiche dieses Format eher als Teil von Grundlagen- oder als Teil von Anwendungsforschung?

Die „Konstruktion von Lerngegenständen“ lässt sich ohne Zweifel der Anwendungsforschung zuordnen. Dabei lassen sich drei fachdidaktische Gegenstandsbereiche ausmachen.

Der erste Bereich resultiert aus der Tatsache, dass die Konstruktion von Lerngegenständen zu den zentralen alltäglichen Berufstätigkeiten der Lehrkräfte gehört. Es liegen nur unzureichende Erkenntnisse darüber vor, nach welchen Gesichtspunkten sich diese Alltagspraxis vollzieht, welche didaktischen Konzepte ihr zugrunde liegen und ob und wie Religionslehrkräfte bei der Themenkonstruktion das Spezifikum des Religionsunterrichts zur Geltung bringen. Dabei spielen – wie oben gezeigt – unterschiedliche Faktoren auf verschiedenen Ebenen eine bestimmende Rolle, deren formatierende Wirkung in weiten Teilen noch nicht erschlossen ist.

Der zweite Bereich betrifft den engeren Zusammenhang von religiöser Orientierung der Lehrkräfte und ihrem tatsächlichen Vorgehen bei der Auswahl, Formulierung, Strukturierung und Inszenierung von Unterrichtsthemen. Zwar liegen im Blick auf die Religiosität, kirchliche Bindung und Spiritualität von Lehrpersonen eine Reihe von Untersuchungen vor, aber der Fokus ist in aller Regel nicht auf den bezeichneten Zusammenhang gerichtet. Dabei dürften die subjektiven religiösen Voraussetzungen (siehe Modell) bei der Themenkonstruktion ein erhebliches Gewicht haben. Dazu gehören nicht nur subjektive Theorien des Religionsunterrichts und des religiösen Lernens, sondern auch die Wahrnehmung von Rollen als Lehrkraft, religiöse Positionierungen sowie der (diskursive) Umgang mit der Frage nach der Wahrheit.

Der dritte Bereich betrifft die theoriebezogenen Konzepte der Fachdidaktik. Zu vermuten ist, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen den fachdidaktischen Konstrukten und der Alltagspraxis im Religionsunterricht gibt, das sich auch in der Themenkonstruktion aufzeigen lässt. Sofern sich diese Vermutung bestätigt, könnten die Gründe dafür vielfältig sein: Zum einen könnten sie auf berufsbiografische Entwicklungen bei den Lehrkräften oder auf deren grundlegende religiöse Einstellungen zurückzuführen sein, zum andern stellt sich aber auch die Frage, ob die theoretischen Ansätze der Fachdidaktik überhaupt praxistauglich und als Orientierungsrahmen für die Praktikerinnen und Praktiker brauchbar sind. Damit dürfte auch eine selbstkritische Prüfung der Fachdidaktik von Interesse sein, gemäß der das grundsätzliche Verhältnis von universitärer Religionspädagogik und Praxis des Religionsunterrichts auf dem Prüfstand steht. Letztlich ist damit auch das Problem tangiert, inwieweit die Fachdidaktik dazu beitragen kann, die Qualität des Religionsunterrichts in dem zentralen Bereich der Themenkonstruktion zu verbessern.

8.3 Methodiken

Welche Rolle spielen die Methodiken für die Konturen des Forschungsformats?

Grundsätzlich bedient sich die Religionsdidaktik als Anwendungsforschung methodischer Verfahren, wie sie auch in anderen Fachdidaktiken gängig sind. Im Blick auf das Forschungsvorhaben „Konstruktion von Lerngegenständen“ kommt zunächst ein empirischer Zugriff in Betracht, der bei den „Akteuren religiöser Bildung am Lernort Schule“ (Riegel & Rothgangel, 2020a, S. 9) ansetzt und sich sozialwissenschaftlicher Verfahren bedient. Dabei geht es vor allem um ein besseres Verständnis der „mentalen Konzepte“ der Lehrpersonen und deren Wirkungen auf die Themenkonstruktion.

Gleich bedeutsam ist der systematische Zugriff auf theoriegestützte religionsdidaktische Konzepte, die den Prozess der Themenkonstruktion und seine Inhalte beschreiben und analysieren. Dabei stehen analytisch-hermeneutische Verfahren im Mittelpunkt. Eine normativ-kritische Reflexion befasst sich in diesem Zusammenhang u.a. mit der Frage, ob und inwieweit Themenkonstruktionen theologischen Kriterien z.B. von Sachgemäßheit, Plausibilität, Konsistenz, Kommunizierbarkeit, Geltungsanspruch etc. genügen.

In historischem Zugriff ist zu untersuchen, wie sich die Konstruktion von Lerngegenständen im Rahmen der Wandlungen des Religionsunterrichts und der ihn begründenden Konzepte und geschichtlichen Bedingungen verändert hat. Eine Untersuchung, welche Themen im Religionsunterricht zu welcher Zeit in welcher Weise traktiert wurden, lässt wie in einem Brennglas die zeitgebundene Praxis und das jeweilige Profil des Religionsunterrichts aufscheinen.

Ein komparativer Zugriff ist geboten, wenn untersucht wird, ob sich Themenkonstruktionen zwischen dem evangelischen und dem katholischen Religionsunterricht unterscheiden und wie sich deren Verhältnis zu Themen im islamischen Religionsunterricht, im Religionsunterricht für alle nach dem Hamburger Weg, im Fach Ethik bzw. Werte und Normen oder in einem religionskundlichen Unterricht beschreiben lässt.

Schließlich kann ein handlungsorientierter Zugriff die Relevanz von theoretischen Modellen der Themenkonstruktion für die praktische Umsetzung eruieren und der Frage nachgehen, ob und inwiefern ein Modell praxistauglich ist bzw. zur Verbesserung des Unterrichts beiträgt.

Zusammenfassend lässt sich aber festhalten: Genuine methodische Zugänge, die nicht auch in anderen Fachdidaktiken zu finden sind, zeigen sich hier nicht.

8.4 Fazit

Der Durchgang durch unterschiedliche Aspekte und Ebenen eines fachdidaktischen Forschungsvorhabens „Konstruktion von Lerngegenständen“ hat u.E. gezeigt, dass ein beträchtlicher Forschungsbedarf besteht und sich ein Feld wissenschaftlicher Untersuchungen auftut, die helfen könnten, den Religionsunterricht substanziell zu verbessern. Das vorsichtige Urteil erscheint uns begründet, dass dieses Feld als eigenständiges fachdidaktisches Forschungsformat ausgewiesen werden könnte, auch weil vielfältige Aspekte in Bezug auf den Gegenstandsbereich (Gott, Gottesbilder, Erfahrungen mit Gott) und die Bezugstheorien (z.B. Diskurs über Kompetenzen religiöser Bildung, spirituelle Kompetenz) ausschließlich im Feld der Religionspädagogik bedeutsam sind.

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Hartmut Lenhard ist ein deutscher evangelischer Religionspädagoge. Von 1994 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2012 war er Leitender Direktor des Studienseminars Paderborn. Er war zudem langjähriges Mitglied der Kammer der EKD für Bildung, Erziehung, Kinder und Jugend sowie Mitglied der Fachkommission der EKD zur Reform des Theologiestudiums.Mirjam Zimmermann ist Professorin für Religionspädagogik/Fachdidaktik, Universität Siegen.