1 Einleitung

Zu den Aufgaben zukünftiger islamischer Religionslehrer*innen gehört durch die Be-stimmungen der Kernlehrpläne der verschiedenen Länder die „interreligiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit“ und „die Erkenntnisgewinnung über das dialogische Lernen“ zu fördern und die Kompetenz „Chancen und Schwierigkeiten des interreligiösen Dialogs“ zu erörtern (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014). Zimmer, Ceylan und Stein (2017, S. 361) betonen in ihrer Studie die Bedeutung des Studiums für die eigene Reflexion der (angehenden) Religionslehrer*innen. Doch wie werden die angehenden Lehrer*innen auf diese Aufgaben im Studium durch Lehrende an den Universitäten vorbereitet? Um dieser Frage nachzugehen, wurden Interviews mit Dozierenden an deutschen Universitäten geführt, die in der islamischen Lehrer*innenausbildung tätig sind und Veranstaltungen mit interreligiösen Schwerpunkten anbieten. Ziel der Interviews war es, explizites und implizites Wissen, Präkonzepte, Überzeugungen und Methoden der Lehrenden explizit zu machen und zu systematisieren, um daraus Mindsets abzuleiten und so einen Überblick über Haltungen gegenüber religiöser Pluralität in der islamischen Religionslehrer*innenausbildung zu gewinnen.

2 Methoden im Forschungsvorhaben

2.1 Datenerhebung

In den Studiengängen zur islamischen Religionslehrer*innenbildung stellen Studienanteile zu den anderen (Welt-)Religionen einen Standard dar (Kamcili-Yildiz, 2020). Die Zahl derer, die Lehrveranstaltungen in diesen Studienanteilen anbieten, ist in Deutschland überschaubar. Da diese Lehrveranstaltungen über formal bleibende Modulbeschreibungen hinaus durch keinen übergreifenden Rahmen strukturiert werden und professionelle Zugangswege zu dieser Lehre nicht explizit formuliert sind (u.a. Universität Münster, 2017; Universität Osnabrück, 2017; Universität Tübingen, 2017), sind die Lehrenden in hohem Maße selbst dafür verantwortlich, wie sie die anderen Religionen in der Lehrveranstaltung zum Gegenstand machen. Sie müssen sich selbst den Rahmen setzen und äußere Erwartungen z.B. der Fakultäten und Institute mit inneren Vorstellungen zu religiöser Pluralität auf Hochschulebene verbinden. Aufgrund der großen Eigenverantwortung der Lehrenden macht es für das weitere Vorgehen deshalb Sinn, die Lehrenden als Expert*innen zu adressieren, die solche Vorentscheidungen zur Konzeptionierung treffen. Ein wesentliches Bündel von Vorentscheidungen für diese Lehrveranstaltungen wird mit Mindsets zu religiöser Pluralität markiert, die das Verständnis steuern, wie die Verbindung zwischen den Religionen zu denken ist. Diese Vorentscheidungen haben einen großen Einfluss (sowohl bewusst als auch unbewusst) auf die Vorbereitung und Durchführung der Lehrveranstaltungen. Bei der Definition von Mindsets orientiert man sich an der Definition von Martin Harant (2016), der den Begriff für die Inklusionspädagogik fruchtbar gemacht hat. Er beschreibt Mindsets als „ein pädagogischen Diskursformationen jeweils zugrundeliegendes Vorverständnis bzw. zugrundeliegendes Gesamt an Annahmen oder Gewissheiten […]. Dabei sind nicht zwangsläufig die Einheitlichkeit bzw. der argumentative Zusammenhang von akademischen ‚Schulbildungen‘ vorausgesetzt […]“ (2016, S. 39). Mindsets sind im Folgenden als überindividuelle, vorgelagerte, emotional aufgeladene, zunächst abstrakte Denkformen zu verstehen, die von einzelnen Individuen übernommen werden können. Wenn sich Individuen an Mindsets orientieren, kann es durchaus sein, dass in Kontexten mit unklaren Rollenanforderungen unterschiedliche Mindsets hybridisiert werden oder je nach Handlungsaufgabe an unterschiedlichen Mindsets orientiert wird.

Um Mindsets zu religiöser Pluralität bei den Lehrenden sichtbar zu machen, wurden elf Experteninterviews geführt. Ziel war es, explizite und implizite Haltungen, Präkonzepte und Methoden der Lehrenden zu religiöser Pluralität auf Hochschulebene zu explorieren und daraus Mindsets abzuleiten. Experteninterviews besitzen gegenüber Fragebögen oder geschlossenen Interviews eine größere Offenheit, da durch die Expertensituation zu erwarten ist, dass die Konstrukte zu dem befragten Gegenstand über das Professionswissen geklärter sind. Die befragten Teilnehmer*innen können spontaner und detaillierter antworten als bei einem, ihnen vorliegenden, Fragenbogen. Der Interviewende kann ebenso spontan auf Antworten der Expert*innen reagieren. Dadurch können Handlungsstrategien und Mindsets der Dozent*innen deutlicher werden (Bogner & Menz, 2009).

Die genutzten Interviewfragen wurden im Vorfeld von den projektbeteiligten Religionspädagog*innen entwickelt und exemplarisch getestet. Nach Erstellung und Prüfung der Durchführbarkeit der Fragen wurden die ausgewählten Expert*innen interviewt. In der hier genutzten Form des „theoriegenerierenden“ Experteninterviews, welches von Meuser und Nagel (1991) methodisch-methodologisch begründet und entwickelt wurde, liegt der Fokus auf der kommunikativen Erschließung und analytischen Rekonstruktion der „subjektiven Dimension“ des Expertenwissens, der subjektiven Handlungsorientierung und der impliziten Entscheidungsmaximen der Expert*innen aus ihrem Funktionsbereich (Bogner & Menz, 2009, S. 66). Mithilfe dieser Methode ist eine Vergleichbarkeit der Expertenäußerungen gesichert – methodisch im Leitfaden und empirisch durch die gemeinsame organisatorisch-institutionelle Anbindung der Expert*innen. Es ergibt sich daraus eine theoretisch gehaltvolle Konzeptualisierung von Wissensbeständen, Weltbildern und Routinen, welche Expert*innen in ihrer Tätigkeit entwickeln und die konstitutiv sind für das Funktionieren von sozialen Systemen (Bogner & Menz, 2009, S. 66).

Das theoriegenerierende Experteninterview zielt auf die Erhebung von „Deutungswissen“, also jenen subjektiven Relevanzen, Regeln, Sichtweisen und Interpretationen der Expert*innen, die das Bild vom Expertenwissen als das eines heterogenen Konglomerats nahelegen. Es wurden im theoriegenerierenden Interview Expert*innen befragt, weil ihre Handlungsorientierungen, ihr Wissen und ihre Einschätzungen die Handlungsbedingungen anderer Akteure in entscheidender Weise (mit-)strukturieren und das Expertenwissen damit die Dimension sozialer Relevanz aufweist (Bogner & Menz 2009, S. 66).

Die Expert*innen der Interviews wurden aufgrund ihrer fachlichen Expertise und ihrer praktischen Arbeit auf dem zu untersuchenden Feld ausgewählt und haben sich freiwillig dazu bereit erklärt, das Experteninterview durchzuführen. Die konstruktivistische Definition der Expertenrolle legt den Fokus auf die Mechanismen der Zuschreibung der Expertenrolle. Das bedeutet, dass sich das Rollenverständnis zwischen einem methodisch-relationalen und einem sozial-repräsentationalen Ansatz unterscheiden lässt (Bogner & Menz, 2009, S. 68). Für die hier behandelte Fragestellung ist der sozial-repräsentationale Ansatz von Bedeutung, da die Expert*innen aus ihrer Funktion als Lehrende befragt werden. Sozial-repräsentationaler Ansatz bedeutet, dass Expert*in ist, wer gesellschaftlich zur Expert*in gemacht wird. Expert*in bleibt allerdings ein relationaler Begriff, als die Kategorisierung, der zu Befragenden in Abhängigkeit von der Fragestellung und dem interessierenden Untersuchungsfeld (Bogner & Menz, 2009, S. 68).

Da mündliche Aussagen flüchtig und die Erinnerungen an Gespräche oft lückenhaft sind, wurden die Interviews auditiv aufgezeichnet und im Anschluss mit einem Transkriptionsprogramm nach dem Standard von Kuckartz, Dresing, Rädiker und Stefer (2008) transkribiert, um sie analysieren und kategorisieren zu können. Es sind bewusst einfache und schnell erlernbare Transkriptionsregeln, die die Sprache deutlich ‚glätten‘ und den Fokus auf den (semantischen) Inhalt des Redebeitrages setzen (Kuckartz et al., 2008, S. 27). Jeder Sprachbeitrag wurde als eigener Absatz transkribiert, dies erleichterte später die Arbeit der Kodierung an den Transkripten. Unverständliche Wörter wurden mit „(unv.)“ gekennzeichnet. Längere unverständliche Passagen wurden möglichst mit der Ursache versehen (Kuckartz et al., 2008, S. 27).

2.2 Datenauswertung

Nach Mayring (2015) ist das Ziel der Inhaltsanalyse die Analyse von Material, das aus irgendeiner Art von Kommunikation stammt. Dabei geht eine gute Inhaltsanalyse theoriegeleitet vor. Sie will nicht einfach einen Text referieren, sondern analysiert ihr Material unter einer theoretisch ausgewiesenen Fragestellung; die Ergebnisse werden vom jeweiligen Theoriehintergrund interpretiert, und auch die einzelnen Analyseschritte sind von theoretischen Überlegungen geleitet. Theoriegeleitetheit bedeutet hier, an die Erfahrungen anderer als Rahmen mit dem zu untersuchenden Gegenstand anzuknüpfen (Mayring, 2015, S.11ff).

Die vorliegenden Interviews wurden demnach nach dem Standard von Mayring (2015) ausgewertet, hier im Sinne der Kontingenzanalyse. Dies bedeutet, dass zu Beginn des Projektes eine konkrete Fragestellung formuliert sowie die Materialstichprobe bestimmt wurde. In diesem Fall waren dies die geführten Interviews, aus welchen dann Textbestandteile festgelegt und definiert wurden, deren Kontingenz untersucht werden sollte, woraufhin das Aufstellen des Kategoriensystems erfolgen konnte. Es wurde zunächst versucht, einzelne Aussagen der Interviewten deduktiv in bereits in der Forschung enthaltenen Kategorien einzuordnen. Dies erwies sich aufgrund unerwarteter Antworten und unspezifischen Aussagen als eher schwierig. Daher wurden zusätzlich eigene Kategorien entwickelt, welche sich an klassischen religionstheologischen und systematischen Modellen orientierten. Daraus ergab sich für jede Kategorie ein Schema bestehend aus Bezeichnung, Erklärung und Ankerbeispiel aus einem der Interviews (Mayring, 2015, S. 97) (s. Tab. 1).

Tab. 1: Schema zur Bestimmung der Kategorien

Bezeichnung

Erklärung

Ankerbeispiel

Perspektivwechsel

Übernehmen der Perspektive der anderen Religion, ohne dabei Wertungen und Reflexionen vorzunehmen. Es geht um den „reinen“ Perspektivwechsel.

„Begegnung ist das A und O des Kennenlernens, das kann man ja eigentlich niemals, also ich kann das nicht in Frage stellen. Begegnung ist wichtig, das ist zentral, Perspektivwechsel ist sehr wichtig und da kann man das nie sagen das ist nicht mehr wichtig.“ (Interview: 1)

Nachdem das Kategoriensystem feststand, konnte dieses nun auf die Interviews angewandt werden, woraufhin eine Untersuchung des gemeinsamen Auftretens der Kategorien und eine Bestimmung der Kontingenzen möglich war. Erst als diese Arbeit abgeschlossen war, konnten die Kontingenzen zusammengestellt und interpretiert werden.

Die Äußerungen der Expert*innen wurden von Anfang an im Kontext ihrer institutionell-organisatorischen Handlungsbedingung verortet, sie erhalten von hierher ihre Bedeutung (Mayring, 2015, S. 43). Es ist der gemeinsam geteilte institutionell-organisatorische Kontext der Expert*innen, der die Vergleichbarkeit der Interviewtexte weitgehend sichert, darüber hinaus wird Vergleichbarkeit durch die leitfadenorientierte Interviewführung gesichert (Mayring, 2015, S.50ff.). Zudem entstand durch die eigens entwickelten Kategorien eine Vergleichbarkeit, welche Aufschluss über die Mindsets und die Vorstellung von guter Lehre unserer Expert*innen gab. Während der Auswertung der Daten lag der Fokus auf prägnanten und eindeutigen Antworten der Interviewten, sodass die Analyse sich nicht auf Interpretationen in Aussagen bezog, sondern auf die direkten Antworten, sowie Ausschweifungen oder spontanen zusätzlichen Aussagen bei der Beantwortung einer Frage.

3 Kodierung der Interviews

Zur Kodierung der Interviews wurde ein Kategoriensystem genutzt, welches aus Grund-, Haupt- und Subkategorien besteht. Die deduktiv gebildeten Kategorien orientieren sich an den Grundhaltungen (von Stosch, 2012, S. 155–168) und Lernmöglichkeiten (Cornille, 2020, S. 115–148) der Komparativen Theologie. Die induktiv gebildeten Kategorien orientierten sich an religionstheologischen Modellen und an Auffälligkeiten und prägnanten Aussagen aus dem Datenmaterial, die sich in verschiedenen Interviews wiederfinden.

Als Grundkategorie des erstellten Systems sind Präkonzepte/Überzeugungssysteme und Methoden die beiden übergeordneten Systematisierungskategorien. Die Hauptkategorien der Grundkategorie Präkonzepte/Überzeugungssysteme stellen sich aus Lernmöglichkeiten, Verortung des Individuums in Tradition und Kollektiv, Religionstheologische Modelle, Offenheit und Dialogmotivation zusammen. Die Hauptkategorien der Grundkategorie Methoden bestehen aus Umgang mit Differenz, Muster des Dialogs und Verhältnis des Eigenen zum Fremden (s. Abb. 1).

Außerdem wurde (sofern möglich und nachvollziehbar) eine Hierarchisierung der einzelnen Kategorien innerhalb der Subkategorien entwickelt, welche sich nach den Kompetenzerwartungen des Kernlehrplans für die Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen Islamischer Religionsunterricht (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2014) für interreligiösen Dialog und den Annahmen der Komparativen Theologien richtet. Dabei wird eine Kategorie als positiv bewertet, wenn sie dazu beträgt, die Kompetenzerwartungen des Kernlehrplans für Islamischen Religionsunterricht bezüglich des Interreligiösen Dialogs zu fördern – negativ wird eine Kategorie bewertet, wenn sie den Kompetenzerwartungen widerstrebt. Außerdem wurden bei der Hierarchisierung die Annahmen der Komparativen Theologie (von Stosch, 2012; Cornille, 2020) bezüglich des gelingenden interreligiösen Dialogs auf universitärer Ebene mit in die Bewertung einbezogen. Daraus ergibt sich eine Skala von positiv über neutral zu negativ, auf der die verschiedenen Kategorien eingeordnet wurden. So ist beispielsweise in der Hauptkategorie Lernmöglichkeiten die Subkategorie Richtigstellung des Eigenen sehr positiv verortet. Im Gegensatzdazu ist Zurückweisung(fremder Konzepte) negativ verortet. Um ein verständlicheres Bild von dem entstandenen und genutzten Kategoriensystem (Codesystem) zu erhalten, ist dieses unten abgebildet (Abb. 1).

Notabene: Die Verfasser*innen des Beitrags sind sich durchaus bewusst darüber, dass sie mit dieser Hierarchisierung ein normatives Gerüst vorgeben, wie und mit welchen Zielen Interreligiöser Dialog in der Hochschulbildung geführt werden sollte. Allerdings wird durch die hier vorgenommene Hierarchisierung zum einen dem Kernlehrplan für Islamischen Religionsunterricht und zum anderen der Forschung auf dem Gebiet der Komparativen Theologie Rechnung getragen. Außerdem lassen sich die in den Interviews beobachteten Phänomene nur durch eine Differenzierung und als normative Grundordnung festhalten, um so mögliche Leerstellen in Bezug auf religiöse Pluralität in der Lehrer*innenbildung auszumachen. Erst dadurch entsteht im weiteren Verlauf die Möglichkeit, die evaluierende Beobachtung des fremdreligiösen Lehrens in der (islamischen) Religionslehrer*innenbildung zu operationalisieren. Daraus ergibt sich allerdings keine Bewertung der interviewten Akteure, sondern der beobachteten Phänomene und Denkformen, die überindividuell auftreten.

Abb. 1: Kategoriensystem zu religiöser Pluralität mit jeweiligen Beobachtungen pro Interview und insgesamt

Das Kategoriensystem wurde mit der Software MAXQDA erstellt, welche der qualitativen Daten- und Textanalyse dient und eine möglichst genaue und präzise Auswertung der Daten ermöglicht. Jede der Spalten stellt einen Interview-Fall dar. An der Größe und der Verteilung der Quadrate im Kategoriensystem wird deutlich, welche Kategorien durch Aussagen in den Interviews besonders häufig erhebbar sind – sowohl in den einzelnen Interviews, also in der Tiefe, als auch über die Interviews verteilt, also in der Breite.

Bei der Datenauswertung ergaben sich 322 Beobachtungen hinsichtlich der Präkonzepte/Überzeugungssysteme und Methoden innerhalb der Interviews. Dabei wurden zunächst die absoluten Häufigkeiten untersucht und auffällige Relationen zwischen den Subkategorien betrachtet, um anschließend erste Erkenntnisse aus den Interviews abzuleiten. Des Weiteren wurde geprüft, ob aus den Relationen und inhaltlichen Überschneidungen der Kategorien generalisierbare Mindsets ableitbar sind.

Die acht häufigsten Kategorien, die in Tiefe und in Breite vorkommen, lassen sich übergreifend in zwei Themenfelder einordnen:

  • religionskundliches und theologisches Wissen voneinander vermitteln und vergleichen: wie beispielsweise die Subkategorien Kommensurabilitätsunterstellung, Wahrnehmung von Unterschieden und Vermittlung religionskundlichen Wissens (über die eigene und fremde Religion) und

  • Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen: wie beispielsweise in den Subkategorien Wertschätzende Offenheit, gesellschaftlich verantwortete Dialogmotivation und Dialog in Begegnung deutlich wird (s. Abbildung 1).

Zu den letztgenannten Subkategorien muss ergänzt werden, dass diese nicht per se eine Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen darstellen müssen. Allerdings enthalten diese Aussagen häufig Konstruktionen wie „Es ist wichtig, dass MAN offen ist“ oder „MAN muss mit Andersgläubigen ins Gespräch kommen.“ Diese Aussagen spiegeln also eher extrinsische/gesellschaftliche als intrinsische/persönliche Anforderungen an den Dialog wider.

Außerdem finden sich die häufig genannten Kategorien in der eben bereits erwähnten Hierarchisierung auf der mittleren/neutralen Stufe innerhalb ihrer Hauptkategorien wieder. Im Gegensatz zu anderen Kategorien in diesem Kategoriensystem erfordern sie keine emotionale Involviertheit in den interreligiösen Dialog oder eines Umdenkens oder einer Veränderung der eigenen theologischen Vorstellungen, wie beispielsweise Empathie, oder die Neuinterpretation eigener theologischer Konzepte es fordern würden.

4 Mindsets religiöser Pluralität im interreligiösen Dialog

Durch die Hierarchisierung der Subkategorien, das Bilden von Themenfeldern und der Stufung hinsichtlich emotionaler Offenheit der Kategorien lassen sich aus dem System drei Typen zu Mindsets religiöser Pluralität und interreligiösem Dialog generalisieren.

Abb.2 Kategoriensystem geordnet nach Gruppierung und Hierarchisierung; grüngerahmte Kategorien: Typ 1; gelbgerahmte Kategorien: Typ 2; rotgerahmte Kategorien: Typ 3

4.1 Typ 1: Emotional involviert und bereit für eigene Veränderung

Der erste Typ von Mindsets zeichnet sich dadurch aus, dass eine eigene emotionale Involviertheit in den Dialog vorausgesetzt wird und eine emotionale Öffnung gegenüber anderen Religionen stattfindet. Damit ist sowohl der akademische als auch der private Bereich gemeint. Personen, die dieses Mindset verinnerlicht haben, streben beispielsweise danach, die fremde Religion zu erleben und einen Dialog des Lebens zu führen, der sich dadurch auszeichnet, dass er auch in Lebensbereichen und -praxen der jeweiligen anderen Religion Anteil nimmt – beispielsweise durch das gemeinsame Erleben von Gottesdiensten und religiösen Festen.

„Also wir machen gemeinsame Abendveranstaltungen – gemeinsam Fastenbrechen, gemeinsam Ramadan feiern, gemeinsam Weihnachten, machen gemeinsam Musikabende. Also wir machen viel miteinander“ (Interview: 1).

Aus diesem Dialog des Lebens ergibt sich außerdem die Möglichkeit eines praxisorientierten Perspektivwechsels.

„Begegnung ist wichtig, das ist zentral. Perspektivwechsel ist sehr wichtig und da kann man nie sagen, dass [das] […] nicht mehr wichtig ist. Ich bin aber der Meinung dazu braucht es noch eine Begegnung außerhalb der Seminarräume. Ich bin der Meinung in Seminarräumen kommt das Wissenschaftliche, Akademische heraus. Und in anderen Räumen kommt das Menschliche heraus“ (Interview: 1).

Darüber hinaus findet sich ein Einschlüpfen in die fremde Perspektive auch in der universitären Lehre wieder, mit dem Ziel Sensibilität und Empathie im Dialog voranzubringen.

„Was macht das mit ihnen [Anm.: Gemeint sind die Studierenden]? Das schafft eher eine größere Sensibilität. Ich habe das Gefühl, dass die meisten sich bemüht haben ganz thomistisch quasi den Standpunkt des anderen erstmal so stark wie möglich zu machen“ (Interview: 3).

Diese emotionale Involviertheit macht tiefes Verstehen des Anderen erst möglich und lässt Anfragen an die eigene und fremde Theologie entstehen. Daraus ergeben sich neue Lernmöglichkeiten, die für dieses Mindset typisch sind. Durch den Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen ergibt sich die Möglichkeit, das eigene Erbe neu zu beleuchten. Gleichzeitig kann der Dialog dazu einladen den eigenen Glauben neu zu reflektieren und zu interpretieren oder die eigene Theologie sogar zu berichtigen.

„Ich sag immer über diese kritischen Fragen, über diese Fragen, die aus einer ganz anderen Perspektive gestellt werden: Das sind die schönsten Momente. Und diese fremde Frage ermutigt mich dazu, neue Denkwege zu gehen. Wie wir versuchen unseren Glauben zu thematisieren, unsere Argumente neu aufzustellen, neue Zugänge zu entdecken. Einfach neue Sprache zu entwickeln“ (Interview: 7).

„Ich habe selbst auch ein bisschen entwickelt, was es für Aufgaben […] geben könnte. Und dieses Interesse jetzt muslimische und christliche Menschen in Dialog zu bringen, damit auch irgendwelche Verzerrungen oder Vorurteile auf der anderen Seite erkennen lernt – auch sich selbst, auch in den eigenen auch vielleicht auch unzutreffenden Einschätzungen korrigieren kann“ (Interview: 11).

Diese Lernmöglichkeiten setzen allerdings voraus, dass man dazu bereit ist, sich und auch seine eigenen theologischen Konzepte zu verändern und sich in gewisser Weise auch als verletzlich zu zeigen. Lehrende, die dieses Mindset verinnerlicht haben, sind deutlich an einem theologischen Erkenntnisgewinn interessiert.

4.2 Typ 2: Emotional neutral und gesellschaftlich konform

Das zweite Mindset unterscheidet sich vom ersten stark darin, dass es keine emotionale Involviertheit und Bereitschaft zur eigenen Veränderung für den interreligiösen Dialog voraussetzt. Dieses Mindset setzt besonders darauf, dass interreligiöser Dialog überhaupt stattfindet und verortet die Begründung dafür oft darin, dass er gesellschaftlich wichtig und gewollt ist.

„Also das sind ja mehrere Gründe. Auf jeden Fall erstmal um gegenseitig – wir leben zu zusammen, wir müssen uns gegenseitig kennen lernen“ (Interview: 8).

Für dieses Mindset ist die Grundannahme vorangestellt, es sei wichtig, dass Möglichkeiten des Dialogs geschaffen werden, in denen Wissen über die andere und eigene Religion vermittelt und ausgetauscht wird und dadurch Vorurteile gegenüber dem Fremden abgebaut werden.

„Weil, meiner Meinung nach, man kann nicht von anderen Religionen erwarten, dass sie unsere Religion kennen lernen. Und immer die Vorurteile: Sie wissen zu wenig über den Islam, ohne dass wir uns mit dem Wissen von anderen auseinandersetzen und das näher kennen lernen. Und solange keine Begegnung stattfindet, ist kein kennenlernen da. Egal wie viel man über das andere liest. Also lesen allein ist kein kennenlernen. Man braucht persönliche Erfahrungen“ (Interview: 1).

Daher stellt dieses Mindset besonders die Parallelen und Unterschiede der verschiedenen Religionen heraus und vergleicht diese miteinander.

„Natürlich muss man auch sagen, es geht ja nicht nur darum Parallelen aufzudecken, sondern es geht ja auch um die Debatte also durchaus auch zu diskutieren, kritisch zu hinterfragen, das macht genauso Spaß. Also wenn man das mit Respekt tut“ (Interview: 8).

Dieses Diskutieren und kritische Hinterfragen läuft – im Gegensatz zum ersten Mindset – allerdings lediglich auf die respektvolle Feststellung von Unterschieden hinaus und entwickelt kein Umdenken der eigenen Theologie – es wird an der eigenen Theologie, ohne eine Offenheit für Veränderung, festgehalten.

„Ich bin an und für sich immer neugierig, wie ticken andere Religionen und wie weit kann ich mich darauf einlassen? Wie weit kann ich die ‚Bin-Perspektive‘ nachvollziehen?“ (Interview: 2).

Ein Perspektivwechsel ist für dieses Mindset auch nur soweit möglich, wie es dem Eigenen nicht widerspricht. Äußerungen zu Lernmöglichkeiten und Erkenntnisgewinnen klingen häufig sympathisch, bleiben aber unkonkret und sind nicht auf ein empathisches Verstehen des anderen angelegt.

„Also damit man sich öffnet – auch für die andere Religion. Das ist spannend, sich darüber hinaus auch gegenseitig befruchten zu lassen“ (Interview: 8).

Die Haltungen dieses Mindsets versuchen einer (antizipierten) gesellschaftlichen Erwartung, die an die Akteure im interreligiösen Dialog gestellt werden, zu entsprechen:

„Ja, dass die persönliche Erfahrung da ist, weil wir GEMEINSAM eine Gesellschaft sind, also wir leben gemeinsam, wir haben gemeinsam Verantwortung und Pflichten der Gesellschaft gegenüber und deswegen muss man den anderen näher kennen lernen“ (Interview: 8).

4.3 Typ 3: Negativ emotional und abwehrend

Der dritte Typ von Mindset, der sich aus den erhobenen Daten ergibt, hat ein abwehrendes Verhältnis zu fremden theologischen Konzepten.

„Beim Christentum ist natürlich immer, wenn es dann trinitarisch wird, dann ist bei mir eine Vollbremsung“ (Interview: 2).

Dieses bewusste Haltmachen vor theologischen Problemen, wie etwa die Frage nach Gottesvorstellungen in Christentum und Islam, stellt für einen ergebnisoffenen, erkenntnisbringenden Dialog ein großes Hindernis dar.

Außerdem arbeitet dieses Mindset mit Vorwürfen und Vorurteilen gegenüber einer fremden Theologie, die allerdings auf veraltete theologische Konzepte zurückgreifen und eine theologische Unveränderbarkeit attestieren.

„Wir haben ja so diese Vorstellung, also, dass im Christentum sozusagen, das Gesetz aufgehoben wurde. Wie sie das so meinen, da kommen wir nicht weiter mit. Also das ist so ein Gegensatz, wenn sie das so meinen in der Hinsicht. Das sind tatsächlich unüberwindbare Gegensätze“ (Interview: 7).

Anstatt einen Dialog auf Augenhöhe zu führen und Erkenntnisse für die eigene Theologie aus dem Dialog zu gewinnen, ist es Teil dieses Mindsets mit Fremdzuweisungen zu arbeiten, die die Gesprächspartner zur Rechtfertigung der eigenen Theologie auffordern und in einem apologetischen Wettstreit enden können. Diese Vorwürfe und Zurückweisungen sind nicht explizit, sondern häufig verdeckt formuliert.

„Der Grundgedanke ist natürlich, dass wir feststellen, dass wir als Menschen dieser unterschiedlichen Religionen sehr viel gemeinsam haben und die klassische Spannung zwischen diesen drei Monotheismen – zweieinhalb Monotheismen – überwinden können oder überwinden sollten und da geht natürlich sehr leicht verloren, wie unterschiedlich wir sind“ (Interview: 4).

Diese verdeckten und unbewussten Vorwürfe können sich auch darin äußern, dass dem Dialogpartner nicht die gleichen Dialogfähigkeiten wie sich selbst zugetraut und fehlende Empathie vorgeworfen werden.

„Ich glaube der grundsätzliche Unterschied besteht erst einmal darin, dass es für Christen sehr schwer ist zu verstehen was es bedeutet in einer Gesetzesreligion zu leben. Weil natürlich aus der Grundtendenz des Christentums geht es um die Aufhebung des Gesetzes, die Ersetzung des Gesetzes durch den Glauben. Und sehr viele Christen auch hier Kollegen gehen immer noch davon aus, dass das Gesetz so etwas wie ein Beiwerk ist“ (Interview: 4).

Dieses Mindset führt zu der Haltung, die eigene Position für die Überlegenere zu halten und voreingenommen gegenüber anderen Religionen und Theologien in den Dialog zu gehen. Ein Perspektivwechsel oder die eigene Veränderlichkeit wird ausgeschlossen.

Ob die Kategorien, aus denen sich die drei abgeleiteten Typen von Mindsets zusammensetzen, im Datenmaterial auch tatsächlich miteinander korrelieren, lässt sich über das Visual-Tool Codelandkarte in MAXQDA darstellen. In diesen Landkarten symbolisiert jeder Punkt eine Kategorie, wobei die Abstände zwischen zwei Kategorien widerspiegeln, wie ähnlich sie im Datenmaterial verwendet worden sind. Eine ausführliche Erklärung zur statistischen Theorie hinter der Berechnung der Codelandkarten in MAXQDA wird im Manual für MAXQDA bereitgestellt (VERBI, 2019, S. 12–19). In dieser Codelandkarte fällt ein Kern der gelben Kategorien auf (s. roter Kreis Abb. 3).

Abb.3: Codelandkarte

Die Kategorien der anderen Typen ordnen sich allerdings sehr heterogen um den gelben Kern herum. Innerhalb der beiden zu erkennenden Cluster (die beiden blauen Kreise Abb. 3) findet sich kein inhaltlicher Zusammenhang der Kategorien, obwohl sie im Datenmaterial ähnlich verwendet wurden. Auch die beiden Kategorien des dritten Mindsets – Abwertung fremdtheologischer Konzepte und Zurückweisung – (die beiden kleinen roten Kreise Abb. 3) werden im Datenmaterial erstaunlich unterschiedlich verwendet. Dies lässt darauf schließen, dass – abgesehen von dem starken gelben Kern – die anderen Kategorien sehr diffus und unsystematisch in den Interviews vorkommen. Die äußere Rahmung der Mindsets der Lehrenden scheint daher nicht kohärent zu sein und lässt auf verschiedene ambivalente Präkonzepte und Aussagen innerhalb der Interviews schließen, die näher betrachtet werden müssen.

5 Auffälligkeiten und Erkenntnisse

5.1 Heterogenität und Ambivalenzen (innerhalb) der jeweiligen Profile

Durch das Visual-Tool Dokument-Portrait in MAXQDA lassen sich die mit Kategorien versehenden Segmente der Interviews in den Farben der damit assoziierten Mindsets in ihrer Abfolge und Länge im Interview darstellen (VERBI, 2019, S. 22–26). Dadurch lässt sich das Vorkommen und die Verteilung der drei ableiteten Mindsets innerhalb der einzelnen Interviews analysieren, außerdem können so die verschiedenen Interviews in Bezug auf die Übernahme der Mindsets miteinander verglichen werden. Jedes Dokumenten-Portrait steht dabei für ein interviewtes Individuum. In der hier dargestellten Variante zeigen die Dokument-Portraits, im weiteren als Profile bezeichnet, die codierten Segmente des Kategoriensystems der religiösen Vielfalt und interreligiösem Dialog in den Farben der drei Mindsets und der damit einhergegangenen Hierarchisierung innerhalb der Kategorien: Grüne Segmente spiegeln Aussagen zu Typ 1 wider; Gelbe Segmente spiegeln Aussagen zu Typ 2 wider; Rote Segmente spiegeln Aussagen zu Typ 3 wider; Schwarze Segmente spiegeln Aussagen wider, die einer Kategorie aus dem Kategoriensystem „religiöse Vielfalt“ entsprechen, allerdings keinem der drei Mindsets zugeordnet sind.

Abb. 4: Profile der Interviewten farblich strukturiert in die drei Typen

Im Vergleich lassen sich die Profile in drei Cluster einteilen, wobei die schwarzen Segmente für die weitere Analyse vernachlässigbar sind. Das erste Cluster hat einen großen Anteil an gelben Segmenten und einen vergleichsweise hohen grünen Anteil. Diese Individuen übernehmen in ihren Aussagen vermehrt das „emotional involvierte“ Mindset, aber auch das „emotional neutrale/gesellschaftlich konforme“ Mindset. Das zweite Cluster an Profilen hat einen großen gelben Anteil und ungefähr gleich viele grüne wie rote Anteile. Diese Individuen übernehmen in ihren Aussagen vermehrt das „emotional neutrale/gesellschaftlich konforme“ Mindset, in anderen Situationen kommen aber auch die anderen beiden Mindsets ausgeglichen zum Vorschein; die dritte Gruppe hat wie die beiden Vorangegangenen einen großen gelben Anteil. Allerdings überwiegen die roten Segmente, die grünen oder die grünen Anteile fehlen.

Die Verteilung der Farben innerhalb der Profile legt nahe, dass alle Interviewten im Interview stark das „emotional neutrale/gesellschaftlich konforme“ Mindset an den Tag legen und dazu passende Aussagen tätigen. Allerdings sind sie nicht auf diesen Typen beschränkt, sondern tätigen auch Aussagen, die anderen Mindsets zuzuordnen sind. Obwohl nicht anzunehmen ist, dass besonders reflektierte und bewusst agierende Lehrende nur „grüne“, oder nur „gelbe“, oder nur „rote“ Aussagen treffen würden, ist es auffällig, dass in fast der Hälfte der Interviews sowohl rote, als auch grüne Segmente auftreten. Dies kann daran liegen, dass die Übernahme der verschiedenen Mindsets kontextbedingt und situationsabhängig ist. Ist der oder die Interviewte von einer Frage emotional betroffen, verlässt er oder sie vielleicht das „emotional neutrale“ Mindset und übernimmt eines der beiden emotionalen Mindsets. Daher können in einem Interview auch verschiedene Mindsets vorkommen, die im Kontext des gesamten Interviews keiner logischen Kohärenz unterliegen, für das Individuum in der Situation allerdings angemessen erscheinen.

Die Profile sind also eher als im Interview generierte Reaktionspraxis zu verstehen, aus denen sich die Individuen kontextbezogen bedienen. Für eine Bewertung interreligiöser Dialogkompetenzen der einzelnen Lehrenden sind die Profile ungeeignet, geben nur im Gesamtvergleich Tendenzen wieder und zeigen mögliche Leerstellen an. Ursache für dieses situationsbedingte ‚Springen‘ zwischen den Mindsets kann beispielsweise eine geringe Selbstdisziplinierung sein, eine innere Unausbalancierung oder fehlende Routinen, Methoden und Wissen in einer öffentlichen Situation zu reflektieren. Diese Profile zeigen also eher die Potentiale auf, in denen sich die Aussagen der Interviewten bewegen können. Aussagen und Haltungen werden der Tendenz nach eher variabel und ihrem dem Kontext nach ad-hoc gebildet. Eine Versteifung in bestimmten Wissensbeständen findet nicht statt. Teilweise wird diese Ambivalenz sogar in einzelnen Aussagen deutlich, ohne dass sie als Widerspruch wahrgenommen werden.

„Der Grundgedanke ist natürlich, dass wir feststellen, dass wir als Menschen dieser unterschiedlichen Religionen sehr viel gemeinsam haben und die klassische Spannung zwischen diesen drei Monotheismen – zweieinhalb Monotheismen – überwinden können oder überwinden sollten und da geht natürlich sehr leicht verloren, wie unterschiedlich wir sind […]“ (Interview: 4).

Die lehrende Person macht deutlich, dass die Feststellung von Gemeinsamkeiten und die Überwindung von Spannungen nicht zu einer Harmonisierung von Theologie und Religion führen darf und auch nicht als oberstes Ziel über die bleibenden Unterschiede gestellt werden sollte – interreligiöser Dialog muss ergebnisoffen bleiben. Dem Vorwurf der Harmonisierung sehen sich Projekte zum interreligiösen Dialog oft ausgesetzt. Es ist daher legitim und wichtig, die vermeintlichen Unterschiede nicht zu verschweigen. Allerdings wird ganz beiläufig in der gleichen Aussage einer der drei monotheistischen Religionen ihre Kernüberzeugung – nämlich, dass Trinität und Monotheismus kein Widerspruch sind – nicht zugestanden. Wie durch so ein abwehrendes und abwertendes Mindset die Deutungshoheit über fremde theologische Konzepte erhoben wird, widerspricht grundlegenden Regeln eines ergebnisoffenen Dialogs, in dem sich mit Respekt und Demut begegnet werden muss. Diese ambivalenten Aussagen finden sich auch in anderen Interviews.

5.2 Fehlende Strukturen im fachlichen Begründungsanspruch und ad-hoc Antworten

Auffällig ist außerdem, dass in vielen Fällen die Antwort auf die Frage nach theologischen Begründungen für das Vorkommen anderer Religionen in der Islamischen Lehrer*innenausbildung nur teilweise theologisch begründet wird. Die Mehrheit der Interviewten gibt in diesem Fall zuerst einmal als Grund an, dass interreligiöser Dialog für die Gesellschaft und das Zusammenleben der Religionen wichtig ist:

„Also ich sehe zunächst mal einen praktischen Grund, alle Religionen kommen heutzutage in der Großstadt vor. Flott und einfach. Mit denen muss man auskommen, die wohnen nebenan, die haben ihre religiösen Stätten nebenan und mit denen muss man irgendwie lernen sich zu verständigen […]“ (Interview: 2).

Erst dann werden theologische Gründe deutlich zögernder – anscheinend erst während des Sprechaktes konstruiert – formuliert.

„[…] Dann habe ich aber auch, ja, theologische Gründe dafür. Ganz platt zurück aus dem Koran, wo es heißt ‚Gott hat an alle Völker Offenbarungen geschickt‘ oder auch ‚prophetische Lehrer geschickt‘. Und das wäre dann ja auch mal ein Anreiz ein bisschen mal zu sehen, wo stecken denn Spuren davon in anderen Religionen. Also von dieser Wahrheit und Weisheit in anderen Religionen zu finden. Das ist sowohl ein theologisches Anliegen von mir als auch, ich glaub seit meiner frühesten Kindheit, ein persönliches Anliegen“ (Interview: 2).

Viele Lehrende ergänzen die Frage nach explizit theologischen Gründen selbstständig um gesellschaftliche Gründe –

„Also das sind ja mehrere Gründe. Auf jeden Fall erstmal um gegenseitig. Wir leben zusammen, wir müssen uns gegenseitig kennen lernen. Also damit man sich öffnet auch für die andere Religion. Das ist spannend, sich darüber hinaus auch gegenseitig befruchten zu lassen“ (Interview: 8).

– oder ihre scheinbar theologischen Begründungen werden (teilweise von ihnen selbst) als gesellschaftliche identifiziert:

„Also ich meine, ganz grundsätzlich ist: Natürlich denke ich es ist immer ganz gut, wenn man einfach schon mal irgendwie andere Texte auch gelesen hat – in der Hand gehabt hat. Wenn man als muslimischer Theologe oder auch egal welcher Theologe, weiß, dass es auch andere Traditionen gibt und die in irgendeiner Form schon mal erlebt hat. […] Ich weiß gar nicht ob das ein theologischer Grund ist, in dem Sinne ist es vielleicht ein gesellschaftspolitischer Grund“ (Interview: 9).

Dies lässt vermuten, dass die Lehrenden die gesellschaftliche Begründung in ihren individuellen Profilen verinnerlicht haben und zu dieser auch ohne Nachdenken sprechfähig sind. Theologische Begründungen hingegen müssen erst in Worte gefasst oder die gesellschaftliche Begründung in einen theologischen Kontext gebracht werden. Dieser Befund lässt auf eine schwache institutionelle Rahmung im theologischen Kontext und auf einen nur wenig stabilisierenden, wissenschaftlichen Forschungsdiskurs, in Bezug auf Gründe und Ziele von interreligiösem Dialog an der Hochschule schließen, der in Praktiken übersetzt ist (für ein Beispiel eines interreligiösen Seminarkonzepts vgl. Kürzinger & Schneider, 2018). Den Lehrenden fehlt in dieser konkreten Fragestellung leicht abrufbares systematisiertes Professionswissen zum interreligiösen Dialog, in dem sie partizipieren können.

5.3 Religionskundliches und theologisches Wissen voneinander vermitteln und vergleichen

In der Analyse der Daten wird auch deutlich, dass ein Großteil der Lehrenden die Hauptaufgabe des interreligiösen Dialogs darin sieht, religionskundliches Wissen über die eigene und fremde Religion zu vermitteln und dies dann zu vergleichen. Unter dem an den häufigsten vorkommenden Kategorien finden sich viele, die man mit „Vergleichen und Vermitteln“ überschreiben kann (vgl. Kap. 3). In Aussagen, die sich mit dem Verhältnis vom Eigenen zum Fremden auseinandersetzen, liegt ein übermäßig großer Anteil in der Vermittlung von religionskundlichem Wissen und in der (Erkenntnis durch) Selbstreflexion im Anderen (s. Abb. 1 und 2). Auch die Selbstreflexion stellt in diesem Fall eher eine vergleichende Kategorie dar – im Gegensatz zum Perspektivwechsel, der eine emotionale Involviertheit in den Dialog ermöglicht. Der Perspektivwechsel und dass Einschlüpfen in die andere Perspektive kommt in den Mindsets der Interviewten zwar vor, scheint aber nicht besonders ausgeprägt zu sein.

Der Fokus auf „Vergleichen und Vermitteln“ wird auch in der Hauptkategorie Lernmöglichkeiten deutlich. Auch wenn die Kategorie insgesamt vergleichsweise schwach in den Interviews ausgeprägt ist, zeigt sich, dass Aussagen zu den Subkategorien Intensivierung und Erneute Affirmation des Eigenen in fast der Hälfte der Interviews vorkommen (s. Abb. 1 und 2). Neuinterpretation von eigenen theologischen Konzepten und Rückbesinnung und Wiedergewinnung von in der eignen theologischen Tradition vorhandenen Vorstellungen kommt in den meisten Interviews nicht als Lernmöglichkeiten und Erkenntnisgewinn des interreligiösen Dialogs vor. So ergibt sich das Bild, dass der interreligiöse Dialog in Bezug auf Lernmöglichkeiten nur in einzelnen Fällen das Themenfeld „Vermitteln und Vergleichen“ verlässt.

Dies ist nicht verwunderlich, wenn man die Konsequenzen betrachtet, die ein Verlassen dieses Schwerpunktes mit sich bringen würde: All die oben genannten Subkategorien sind dem „emotional neutralen/gesellschaftliche konformen“ Mindset zugeordnet. Dieses Mindset, welches das „Vergleichen und Vermitteln“ verinnerlicht, erfordert keine emotionale Involviertheit (weder positiv noch negativ) in den Dialog und verletzt niemanden. Man kann fremde theologische Konzepte mit den eigenen vergleichen und zu dem Entschluss kommen, dass man Konzepte und Ideen der anderen Religion bei sich wiederfindet und sich gegenseitig in seinem Glauben bestärken, oder man kommt zu dem Entschluss, dass man die theologischen Konzepte und Ansichten des anderen zwar respektiert, aber für sich froh ist, eine andere theologische Antwort auf ein bestimmtes Problem zu haben, oder dass das Problem für sich selbst gar nicht erst existiert. Und noch wichtiger: Man macht sich, wenn man auf der Ebene des Vergleichs bleibt, nicht verletzlich. Diese Art von Dialog, die ohne Empathie und Perspektivwechsel auskommt, ist für alle Beteiligten sehr sympathisch und unterstützt den Abbau von Vorurteilen gegenüber anderen Religionen. Der theologische Erkenntnisgewinn über andere Religionen und Theologien, aber auch über die eigene, ist beschränkt und erfasst nicht das ganze Spektrum der Lernmöglichkeiten im interreligiösen Dialog, die sich in den letzten Jahren auf Hochschulebene in der Forschung etabliert haben (Cornille, 2020, S. 115–148).

5.4 Keine expliziten roten Linien

Gegenüber dem Mindset des oben beschriebenen sympathischen Dialogs, der niemand fundamental kritisiert, stehen Aussagen, die fremdtheologische Konzepte zurückweisen und abwerten. Etwa wenn Gottesvorstellungen in Christentum, Islam und Judentum oder der Stellenwert der religiösen Gesetze Kern des Dialogs sind, verfallen manche Interviewte in eine Abwehrhaltung gegenüber fremdreligiösen Konzepten. Auffällig ist, dass in einem Interview sogar mit unterschiedlichen Haltungen auf das gleiche Konzept reagiert wird.

„Beim Christentum ist natürlich immer, wenn es dann trinitarisch wird, dann ist bei mir eine Vollbremsung. Aber trotzdem kenne ich mich da ja auch aus und weiß wo ich dann aktiver teilnehmen kann oder wo ich einfach respektvoller Beobachter bin“ (Interview: 2).

Später im selben Interview finden sich aber auch wohlwollende Aussagen zur Trinität:

„Und ich habe mal gemerkt, da gibt es so viele verschiedene Erklärungsversuche für die Trinität wie es Menschen gibt […]. Und habe gesehen, das eine oder andere, das ist irgendwie nachvollziehbar, dass er möglichst den betreffenden Leuten einen Zugang eben halt ja über Jesus und die sehen in Jesus, dass sich Gott manifestiert irgendwie, dann ist das fein für die“ (Interview: 2).

An diesen Extrem-Beispielen wird sichtbar, dass der Diskurs zum interreligiösen Dialog noch keine disziplinierende Ordnung hat, die individuelle Lehrende vor „NO-GOs“ schützt. Auch wenn diese abwehrenden, zurückweisenden Aussagen nur in geringer Zahl vorkommen und vermutlich kontextbezogen zu verstehen sind, stellen sie eine gewisse Gefahr dar, da sie z.B. in Lehrsituationen Unverständnis, ungewollte Konflikte oder einen Dialogabbruch hervorrufen können.

6 Resümee und Ausblick

Als Ergebnis dieser Untersuchung lässt sich festhalten, dass der Faktor religiöse Pluralität und interreligiöser Dialog einen Einfluss auf die islamische Religionslehrer*innenbildung hat. Dies zeigt sich auch in der Studie von Stein, Ceylan und Zimmer (2017, S. 58) in einer Befragung von (angehenden) islamischen Religionslehrkräften. In der Studie unterstreichen 31 der 34 Interviewten, dass die Schüler „auch andere Religionen kennenlernen sollte[n] und erhoffen sich dadurch einen Abbau von Vorurteilen und stärkeren Zusammenhalt“ (2017, S. 58).

Ungeklärt scheint allerdings, in welchem didaktischen Modus und mit welchen Zielen dieses Kennenlernen von Pluralität geschehen soll. Durch die Kernlehrpläne und die Kompetenzerwartungen für Islamischen Religionsunterricht ist diese Frage für den Schulunterricht zumindest theoretisch geklärt. Für die Hochschuldidaktik im Bereich der islamischen Lehrer*innenbildung fehlt diese Rahmung. Hochschulcurricula machen zu Kompetenzen diesbezüglich nur vereinzelt Aussagen, die zwischen den Standorten der islamischen Lehrer*innenausbildung variieren (Kamcili-Yildiz, 2020). Dies spiegelt sich auch in der Varianz in den Interviews wider.

Bezüglich des Modus muss geklärt werden, ob religiöse Pluralität in der Lehrer*innenausbildung als ein Learning about Religion – also im religionskundlichem Sinne – oder ein Learning from Religion – also in Bezug auf religiöse Erfahrung – wahrgenommen werden soll (Popp, 2013, S. 73). Anschlussfähig für die Hochschuldidaktik wären hierzu auch die Überlegungen zu Pluralität und Bildungshandeln bei Ziebertz, Kalbheim und Riegel (2003, S. 87–119) für den Religionsunterricht. Für die Ziele muss diskutiert werden, ob interreligiöser Dialog, der seinen Fokus auf „Vermitteln und Vergleichen“ im Sinne einer religionswissenschaftlichen interreligiösen Friedensarbeit (Schmiedel, 2008, S. 229) legt, auf die Kompetenzerwartungen der Kernlehrpläne in Schulen vorbereitet, oder ob stärker ein theologischer Erkenntnisgewinn für die eigene Theologie im Zentrum des interreligiösen Dialogs stehen soll. Diese Entscheidung kann nur durch institutionelle Rahmung und im wissenschaftlichen Diskurs der Akteure geklärt werden.

Literaturverzeichnis

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Cornille, C. (2020). Meaning and Method in Comparative Theology. Hoboken: Wiley.

Harant, M. (2016). Der Inklusionsbegriff im Spannungsfeld pädagogischer ‚Mindsets‘. Pädagogische Korrespondenz, 54, S. 37–57.

Kamcili-Yildiz, N. (2020). “Andere Religionen” in den Curricula der islamischen Religionslehrerausbildung. Theoweb, 19(1), (S. n.n.).

Kuckartz, U., Dresing, T., Rädiker, S. & Stefer, C. (2008). Qualitative Evaluation. Der Einstieg in die Praxis, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Kürzinger, K. & Schneider, S. (2018). Förderung interreligiöser Dialog- und Kooperationskompetenz in der Hochschuldidaktik. Evaluation eines kooperativen Seminarkonzepts. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 70(1), S. 37–48.

Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz.

Meuser, M. & Nagel, U. (1991). Experteninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In D. Garz & K. Kraimer (Hrsg.), Qualitative-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen (S. 441–471). Opladen: Westdeutscher Verlag.

 

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2014). Kernlehrplan für die Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen Islamischer Religionsunterricht. (Heft 5024), Düsseldorf.

Popp, D. (2013). Religion und Religionsunterricht in Europa. Berlin: LIT Verlag.

Schmiedel, M. (2008). Interreligiöser Dialog als Aufgabe angewandter Religionswissenschaft. In M. Klöcker & U. Tworuschka (Hrsg.), Praktische Religionswissenschaft (S. 228–237). Stuttgart: Böhlau.

Stein, M. & Ceylan, R. &. Zimmer, V. (2017). Einstellungen zum Islamischen Religionsunterricht von muslimischen ReligionslehrerInnen und LehramtsanwärterInnen in Deutschland. HIKMA 8(1), S. 48–63.

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Universität Tübingen (2017). Modulhandbuch Bachelor of Education, Lehramt an Gymnasien, Hauptfach Islamische Religionslehre, Tübingen 18.01.2017.

VERBI (2019). MAXQDA Manual 2018. 12 – Visualisieren (Visual Tools). URL: https://www.maxqda.de/help.php?version=max18&pdf=1&id=31619 [Zugriff 16.02.2020].

Von Stosch, K. (2012). Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. Paderborn: Schöningh.

Ziebertz, H.-G., Kalbheim, B. & Riegel, U. (2003). Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung. Gütersloh, Freiburg i. Br.: Gütersloher Verlagshaus, Herder.

Zimmer, V., Ceylan, R. & Stein, M. (2017). Religiosität und religiöse Selbstverortung muslimischer Religionslehrer/innen sowie Lehramtsanwärter/innen in Deutschland. Theo-Web, 16(2), S. 347–367.

 

Dr. Dr. Oliver Reis, Professor für Religionspädagogik unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn Annika Wittke, Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Religionspädagogik unter besonderer Berücksichtigung von Inklusion am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn Miriam Hillebrand, Wissenschaftliche Hilfskraft in der AIWG-Projektwerkstatt „Islam und religiöse Vielfalt“ an der Universität Paderborn Gerrit Mauritz, Wissenschaftliche Hilfskraft am Seminar für Islamische Theologie an der Universität PaderbornNaciye Kamcili-Yildiz, islamische Religionspädagogin am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn