1 Reflektierte Positionalität als zentrale Kategorie konfessorischer Theologie
Konfessionelle Theologie ist im Kern diskursiv begründetes Zeugnis für ein bestimmtes Bekenntnis. Da viele Menschen in der Moderne immer mehr Schwierigkeiten damit haben, sich einer Konfession zuzuordnen, spreche ich im Kontext der Begegnung von Religionen und Weltbildern lieber von einer konfessorischen als einer konfessionellen Theologie. Damit soll deutlich werden, dass man auch dann zu einer Entscheidung und in bestimmten Situationen auch zu einem Bekenntnis herausgefordert ist, wenn man solche Positionierungen eigentlich lieber vermeidet oder sich keiner Bekenntnisgemeinschaft zugehörig fühlt. Gerade das Wiedererstarken religiöser Fundamentalismen, aber auch rechtsextremistischer religionsfeindlicher Tendenzen macht klar, dass unsere Demokratie von Positionierungen lebt und ohne sie nicht überleben kann. Es ist deshalb mittlerweile für das Überleben unserer freiheitlich demokratischen Grundordnungen unverzichtbar, dass sich Menschen in ihr und für sie einsetzen. In diesem Kontext kann Religion eine hilfreiche Rolle spielen. Die Auseinandersetzung mit ihr ist aber schon deswegen so wichtig, weil Religion in ihrer fundamentalistischen Gestalt auch zur Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung werden kann.
Dabei kommt es in religiosis erst einmal nicht darauf an, wie man sich positioniert, sondern darauf, dass Positionierungen überhaupt reflektiert vollzogen und diskursiv begründet werden. Nur so werden sie einer rationalen Erörterung zugänglich. Schon Hegel macht in seiner Phänomenologie des Geistes unmissverständlich deutlich, dass Positionierung nur dann zur Wahrheit führen kann, wenn sie sich dem diskursiven bzw. dialektischen Prozess aussetzt. Positionierung ist also kein Selbstzweck, sondern ist nur als dialektisch entwickelte verantwortbar. Sie soll nicht am Anfang eines Prozesses stehen, sondern ihn als sein Ziel anleiten. Zugleich ist mindestens seit Wittgenstein klar, dass solch ein dialektischer Prozess immer an einen bestimmten sprachlichen und kulturellen Kontext und damit an Positionalität rückgebunden bleibt. Von daher lässt sich ein reflektiertes und dialektisch vermitteltes Begründungsverfahren nicht ohne Bindung an eine heuristisch eingenommene Positionalität entwickeln. Entsprechend ist im universitären Kontext eine Position undenkbar, die sich nicht ihrer eigenen Negation stellt und die dabei verwendeten Argumente in die eigene Perspektive zu integrieren versucht. Zugleich ist es aber auch undenkbar geworden, die Kontingenz der eigenen Positionalität zu ignorieren. Gerade in Deutschland hat das Nebeneinander unterschiedlicher konfessioneller Theologien im Christentum diese Kontingenzerfahrung ins Zentrum theologischer Selbstreflexion gerückt. Die Erfahrungen mit diskursiv verfasster universitärer Theologie gerade in Deutschland lässt deshalb hoffen, dass allein schon der Zwang zur diskursiven Artikulation der eigenen Positionierungen einen liberalisierenden Einfluss auf die jeweilige konfessorische Verortung hat.
Wenn diese Diagnose stimmt, muss es Aufgabe von Theologie an der Universität und von Religionsunterricht an der Schule sein, Menschen zu begründeten Stellungnahmen auf dem Feld religiöser Themen zu befähigen. Sie müssen lernen, Positionen zu entwickeln und gute von schlechten Gründen für solche Positionen zu unterscheiden. Die Begegnung mit anderen Religionen stellt an dieser Stelle eine riesige Chance dafür dar, die Kontingenz und damit Begründungspflichtigkeit der eigenen Überzeugungen zu erkennen. EinMensch mit anderen religiösen Überzeugungen stellt meine eigenen, oft genug selbstverständlich befolgten Selbstverständlichkeiten in Frage und fordert mich zur Positionierung heraus. Von daher ist das Feld des Interreligiösen eigentlich genuiner Ort für die Entwicklung von Positionalität und sollte durch Bildungsprozesse zu einem Ort reflektierter und begründeter Positionalität werden.
Leider gibt es allerdings in unserer Gesellschaft vielfach die Erwartungshaltung, sich in religiösen Fragen neutral zu verhalten und religiöse Überzeugungen im Privaten zu lassen. Begründete Wahrheitsansprüche werden des Absolutismus verdächtigt, und apologetische oder dogmatische Bemühungen sind aufgeklärten und kritisch denkenden Menschen verdächtig geworden. Religiöse Glaubenssätze werden als Geschmacksfragen wahrgenommen, über die sich bekanntlich nicht streiten lässt. Auf diese Weise wird die im Christentum und Islam über Jahrhunderte hinweg eingeübte diskursive Begründungspraxis für religiöse Überzeugungen marginalisiert und weicht einer diffusen Toleranz für all das, was niemandem weh tut. Auf diese Weise wird aber der auf Diskursivität angelegte Charakter der Glaubenssätze von Islam und Christentum verleugnet. Denn beide Religionen bezeugen den einen guten Gott, und – wie schon Thomas von Aquin wusste – drängt das Gute danach sich mitzuteilen. Wenn aber dem objektiv als gut, wahr und schön Erfahrenen der öffentliche Raum genommen wird, um sich mitzuteilen und in rational widerspruchsfreier Weise zu artikulieren, entstehen Grauzonen, in denen Glaube vermittelt und bezeugt wird. Positionierungen werden so ihrer dialektischen Vermittlung entkleidet, und Glaubenszeugnisse stehen in der Gefahr fundamentalistischer Verkürzungen. Von daher braucht es den öffentlich geförderten Begründungsraum für reflektierte Positionalität in Sachen der Religion.
Betrachtet man aus dieser Perspektive heraus unsere empirischen Daten, wird deutlich, dass der Raum der Begegnung der Religionen an den Universitäten noch nicht genügend als Ort der Einübung reflektierter und diskursiv begründeter Positionalität erschlossen ist. So kam entgegen unseren Erwartungen und Hoffnungen bei den Mindsets im Blick auf gute Lehre die Kategorie der Positionierung fast gar nicht vor. Immerhin kann man ihre Verknüpfung mit dem Dialog bei den wenigen Stellen ihres Vorkommens vielleicht als Indiz dafür sehen, dass eine Positionierung ohne dialogisch-diskursive Vermittlung in ihrer Abwegigkeit erkannt wird. Aber wie wichtig das Erlernen begründeter Stellungnahmen ist, scheint bei den von uns untersuchten Lehrprofilen noch nicht zureichend erfasst zu sein. Sicher kann das auch damit zu tun haben, dass gerade Muslime einem besonders hohen gesellschaftlichen Druck ausgesetzt sind, ja keine widerständigen Positionen einzunehmen. Auch die Herkunft aus anderen Wissenschaftszweigen wie beispielsweise der Islamwissenschaft, die sich mit normativen Wertungen schwerer tut als die Theologie, mag zu dieser Diagnose beitragen. Aber ich befürchte, dass eine empirische Untersuchung im Kontext christlicher Theologien zu keinem wesentlich anderen Ergebnis käme. Insbesondere im Miteinander verschiedener Religionen haben wir viel zu viel Angst einander zu verletzen, als dass wir allzu leicht zu begründeten Positionierungen anleiten.
Entsprechend kann es nicht verwundern, in welch großem Ausmaß die weltanschaulich neutrale, religionskundlich ausgerichtete Instruktion die dominierende Kategorie bei allen Lehrprofilen war. Am meisten verbreitet war dabei ein Cluster, dass das Mindset der Instruktion mit dem des Dialogs verbunden und also die Instruktion dialogisch abgesichert hat, aber eben auf wirkliche Begegnungen mit Andersglaubenden ebenso verzichtet, wie auf eigene Konstruktions- und Positionierungsleistungen der Studierenden. Es kann nicht verwundern, dass dieses Mindset zur guten Lehre in der Regel kombiniert war mit dem emotional neutralen und gesellschaftlich konformen Profiltyp aus den Mindsets für den interreligiösen Dialog. So erwartbar und verständlich dieses Resultat angesichts des starken gesellschaftlichen Drucks auf die islamische Theologie ist, so gefährlich ist er doch zugleich für die Substanz konfessioneller Theologie. Vor allem aber wird so die Möglichkeit der Einübung reflektierter Positionalität verbaut, die für einen diskursiven Umgang mit Andersheit innerhalb und außerhalb der Welt der Religionen unverzichtbar ist.
Ernüchternd bei unseren empirischen Untersuchungen war auch die Erkenntnis, wie die konkrete Lehrsituation die auf Positionalität durch Begegnung und Dialog ausgerichteten Präkonzepte in ihrer faktischen Wirkung doch wieder auf die instruktiven Anteile verkürzt hat. Die dichte Beschreibung zeigt uns hier eindrücklich, wie die Auseinandersetzung mit einem fremden Text, Positionierungen, Begegnungen oder selbstproduzierten Erkenntnissen in den Praktiken der Lehre nicht vollzogen werden, selbst dann, wenn die Lehrende das eigentlich vorhatte. Bei dieser Lehrperson spürt man, wie sie nach einem echten Dialog sucht und Positionierungen einfordert, damit aber letztlich auch aus institutionellen Gründen scheitert. Meine Mitautoren vermuten hier, dass dieses Scheitern neben den institutionellen-lehrpraktischen Faktoren auch in der Homogenität ihrer Lerngruppe begründet liegt. Doch um diese Diagnose fruchtbar zu machen, will ich zu meiner zweiten Beobachtung übergehen.
2 Zur Notwendigkeit der diskursiven Verkettung religiöser Überzeugungen
Wir hatten bisher überlegt, dass der Islam genauso wie das Christentum nicht ohne Glaubenszeugnis denkbar ist, dieses Zeugnis aber zugleich der Reflexion und diskursiven Begründung bedarf, sobald es im öffentlichen Raum der Universität oder Schule artikuliert wird. In diesem meinem zweiten Punkt kommt es mir nun darauf an, dass Islam und Christentum wechselseitig kritischer Resonanzboden für die je eigene Positionalität sein sollten. Bisher ist es so, dass die christlichen Theologien die islamische Theologie noch kaum als ernst zu nehmenden und herausfordernde Gesprächspartnerin entdeckt haben. Sie arbeiten sich weitgehend an säkularen und religionskritischen Positionen ab, sodass sie oft schon froh sind, wenn es ihnen einigermaßen gelingt, den religiösen Glauben insgesamt als nicht völlig nutzlos oder irrational aufweisen zu können. Die meisten Punkte, die hier umstritten sind, sind im muslimisch-christlichen Dialog aber geschenkt. Beide Religionen bekennen den einen Gott und stellen sich sogar in die biblische Tradition. Diese starken Gemeinsamkeiten ermöglichen es aber viel genauer auf die besondere Gestalt der jeweiligen Religion einzugehen. Wie genau denken Muslime denn nun den Monotheismus – monistisch oder dualistisch, personal oder apersonal, theistisch oder panentheistisch? Wie vermitteln sie Transzendenz und Immanenz, welche Schrifthermeneutik verfolgen sie und wie stellen sie sich zur Moderne? Solche Fragen, die man problemlos auch umgekehrt aus islamischer Sicht für das Christentum stellen kann, setzen auf einer höheren Differenzierungsebene an, als die Fragen, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Neuen Atheismus ergeben. Hier ist es wichtig, dass Theologinnen und Theologen beider Religionen aufeinander reagieren, sich herausfordern, sich diskursiv vernetzen. Ziel ist es dabei nicht, einfach nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszufinden. Vielmehr muss es darum gehen, die Wahrheitsfrage zu stellen und den Komplexitätsgrad der dialektischen Vermittlungskraft der eigenen Positionierungen zu erhöhen.
Leider begünstigt der derzeitige Stand der Institutionalisierung der Theologien in Deutschland noch nicht die hier erforderliche diskursive Verkettung der Theologien der verschiedenen Religionen. Wir erleben es, wie tendenziell die neuen Fakultäten und Institute Islamischer Theologie institutionell von den christlichen Theologien abgetrennt werden und der diskursive Austausch und Wettstreit nur sehr zögerlich in Gang kommt. Entsprechend kann es nicht verwundern, dass wir noch keine ausgeprägte Dialog- und Diskurskulturen an der Universität haben, in denen sich die Lehrenden für den interreligiösen Dialog bewegen können. Unsere empirischen Daten zeigen, dass die Lehrenden ihre Aussagen und Haltungen zum interreligiösen Dialog variabel und ad hoc entwickeln. Der äußeren Rahmung der Profilbildung in den Mindsets der Lehrenden fehlt es an Kohärenz und so erscheinen die Kategorien immer wieder diffus und werden unsystematisch verwendet. Völlig zu Recht hält hier unsere Studie fest: „Dieser Befund lässt auf eine fehlende institutionelle Rahmung im theologischen Kontext und auf einen fehlenden stabilisierenden wissenschaftlichen Forschungsdiskurs in Bezug auf Gründe und Ziele von interreligiösem Dialog an der Hochschule schließen, der in Praktiken übersetzt ist […]. Den Lehrenden fehlt in dieser konkreten Fragestellung leicht abrufbares systematisiertes Professionswissen zum interreligiösen Dialog, in dem sie partizipieren können oder würden.“ (Text 2/ 21*)
An dieser Stelle müsste man ansetzen und sowohl von islamisch-theologischer als auch von christlich-theologischer Seite den interreligiösen Dialog professionalisieren, institutionalisieren und zu einer erlernbaren, wissenschaftlichen Praxis machen. Mit anderen Worten: die theologischen Diskurse beider Religionen müssten im Alltag mehr miteinander verkettet werden. Dafür bräuchte es aber auch institutionelle Verankerungen der Momente des Diskursiven, Dialogischen und Komparativen zwischen den Religionen, die weit über das bisher entwickelte hinausgehen. Auf diese Weise könnten die religionsdidaktisch zu Recht geforderten Perspektivwechsel eingeübt werden. Es müsste aber auch eine Vertrauenskultur über Religionsgrenzen hinweg entwickelt werden, in der Empathie, wechselseitige Gastfreundschaft und Vulnerabilität selbstverständlich geteilte Praktiken sind.
Ich will an zwei kleinen Beispielen aus meiner eigenen Lehre wenigstens andeuten, welche Chancen in einer diskursiven Verkettung von christlichen und islamischen Positionierungen bestehen und deutlich machen, warum sie das derzeit erreichbare Diskursniveau steigern. Meine christlichen Theologiestudierenden haben eine gewisse Scheu davor, ihre theologischen Fragen in ihrer Freizeit zu diskutieren. Wenn sie beispielsweise von mir dazu herausgefordert werden, eine konsistente Theorie der Hypostatischen Union zu bilden, nehmen sie dieses Thema in den seltensten Fällen mit in ihren Alltag und vergessen es spätestens auf dem Fußballplatz. Von daher war ich doch sehr erstaunt, als einer meiner Studenten, durch seine intensiven Diskussionen mit seinem muslimischen Teamkollegen vom Fußballplatz, Fragen der Hypostatischen Union ins Seminar mitbrachte und darauf beharrte, Antworten zu finden, die auch auf dem Platz sagbar sind und standhalten. Er scheint mir ein Beispiel dafür zu sein, dass der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen das Potenzial hat, dogmatische Fragen wieder zu relevanten Problemen des eigenen Alltags zu machen. Die Erfahrung, dass andere Menschen mit letzter religiöser Ernsthaftigkeit leben und doch zentrale religiöse Überzeugungen der eigenen Tradition in Frage stellen, zwingt einfach zu theologischer Diskursivität und hat genau den umgekehrten Effekt, wie das derzeit so weit verbreitete Desinteresse für religiöse Fragen unter säkularen Jugendlichen.
Ein anderes Beispiel stellt einer meiner Studenten dar, der bei einer Studienreise in den Iran das erste Mal ein Aschermittwochsritual miterlebte. Zuerst fand er es peinlich, in der Moschee der Heiligen Stadt Qom in einem christlichen Gottesdienst das Aschenkreuz ausgeteilt zu bekommen. Aber dann entdeckte er, wie tiefgründig und spannend diese Zeremonie ist und wurde zum Repräsentanten seiner Religion. Statt wie sonst mit ihr zu hadern, war er froh, diese neue Erfahrung mit seinen muslimischen Gastgebern teilen zu können. Gerade deren Neugierde und Offenheit brachte ihn dazu, die eigene verstaubte Religion wiederzuentdecken. Letztlich sind wir eben auch dann Repräsentanten unserer christlich oder islamisch geprägten Kultur, wenn wir uns von unseren religiösen Wurzeln entfremdet haben. An dieser Stelle tut es gut, in lernbereiten, deutungsoffenen Kontexten religiöse Rituale neu kennenzulernen und zu verarbeiten, statt sie nur aus der Außensicht zu analysieren.
Ich könnte an dieser Stelle noch viele Beispiele geben. Aber ich hoffe, dass auch so klar geworden ist, welch große Chance darin besteht, wenn sich gerade christliche und islamische theologische Diskurse miteinander verketten.
3 Theologie aus dem Dialog heraus: Unterschiede als Lernherausforderungen
Komparative Theologie legt sehr viel Wert darauf, dass sie nicht für den Dialog entwickelt wird, sondern sich aus ihm heraus entwickelt. Man kann deswegen vielleicht auch von einer interaktionalen oder dialogischen Theologie sprechen. Mein zuletzt genanntes Beispiel deutet das bereits an. Erst durch seine Lernerfahrung im Iran und die Ermutigung seiner muslimischen Umgebung konnte mein christlicher Student ein Element der eigenen Tradition wiederentdecken. Nur aus dem Dialog heraus konnte er es wieder in seine Theologie integrieren.
Oft genug bringt uns der Dialog aber nicht einfach nur alte vertraute Elemente der eigenen Religion zurück, sondern er konfrontiert uns mit Unbekanntem und Neuem, mit Verstörendem und Anstößigem. Manchmal mutet er uns Formen der Andersheit zu, die wir erst einmal nicht zu integrieren vermögen und die uns vielleicht sogar abstoßen. Bei meinen Exkursionen in den Iran sind es für viele Studentinnen offenbar immer wieder die Erfahrungen eines zwangsweise zu tragenden Kopftuches, die solche Abwehrreaktionen hervorrufen. Und für mich selbst war und ist bei denselben Exkursionen beispielsweise die Geschlechtertrennung im Alltag ein bleibendes Ärgernis. Auch die Erfahrung des Ramadans, also der muslimischen Weise des Fastens, war für mich erst einmal ein solches Fremdheitserlebnis, dem ich keinen tieferen Sinn zuerkennen wollte.
Komparative Theologie fordert uns dazu auf, auch bei solchen Fremdheitserfahrungen nach Lernmöglichkeiten zu suchen. Dabei geht es allerdings nicht darum, immer alles wegharmonisieren zu wollen. Natürlich wird es auch am Ende komparativ theologischer Bemühungen interreligiös Anstößiges geben. Es ist wichtig, an dieser Stelle auch das begründete Nein zur Position des Anderen nicht vorschnell negativ zu beurteilen. Von daher wird man sicher auch die im empirischen Modell vorgenommenen Wertungen im Ampelmodell noch einmal hinterfragen müssen. Es darf durchaus auch Unterschiede zwischen den Religionen geben, die zu einer Ablehnung der anderen Position führen. Andersheit ist erst einmal nichts Schlechtes, aber auch nicht automatisch etwas Gutes. Sie ist eben nur anders und verlangt aus dialektischer Sicht in dem Sinne nach Integration, dass sie verstanden werden will. Dieses Verstehen kann zu Anerkennung und Würdigung führen, muss es aber nicht. Es führt aber in jedem Fall zu einem Wachstum an diskursiver und interreligiöser Kompetenz.
Erlauben Sie mir kurz, auf meine beiden Beispiele für Lernerfahrungen am Fremden im Blick auf den Islam einzugehen. Zum islamischen Fasten habe ich inzwischen ein ausgesprochen positives Verhältnis. Ich habe seine gemeinschaftsstiftende Kraft kennen und schätzen gelernt. Ich habe durch das Ritual des gemeinsamen Essens der Dattel nach einem Tag ohne Essen und Trinken einen neuen Zugang zum alten Nüchternheitsgebot vor der Eucharistie entdeckt. Und ich habe erlebt, wie viel stärker die ästhetische Kraft der Schriftrezitation zu wirken vermag, wenn man durch den Verzicht auf jede Nahrung ganz zum Verlangen auf dieses Wort geworden ist. Das heißt ich kann mittlerweile gut die muslimische Art des Fastens in mein Weltbild integrieren, ohne deswegen zu denken, dass ich als Christ genauso fasten sollte.
Anders geht es mir mit der im Iran üblichen Geschlechtertrennung, die allerdings auch nur kulturell und nicht religiös begründbar ist. Und doch habe ich daran viel gelernt. Nach einem Monat im Iran, in dem ich fast nur Kontakt zu traditionellen Gelehrten und Familien hatte und deswegen fast nur mit Männern geredet habe, erlebte ich eine Frau als befremdlich, die kein Kopftuch trug und mir die Hand gab. Fast kam mir das etwas aufdringlich vor, und ich staunte, wie schnell kulturelle Gepflogenheiten das eigene Empfinden verändern können. Auf dieser Ebene habe ich dann also doch viel über mich und den Menschen an sich gelernt, auch wenn ich Geschlechtertrennung nicht nur für mich, sondern auch für andere für eine Praxis halte, die man besser abschaffen sollte. Von daher habe ich mich in den letzten Jahren gefreut zu sehen, wie sich der Iran an dieser Stelle liberalisiert, während es mir immer noch weh tut, Muslime zu erleben, die nicht den Ramadan halten.
Damit will ich sagen, dass es also Andersheiten gibt, die man nicht für sich übernehmen will und doch in ihrer Dignität und Kraft erkannt hat und würdigt (wie das Fasten), wie es auch Andersheiten gibt, an denen man zwar auch Lernerfahrungen machen kann, ohne sie wirklich würdigen zu wollen. Und so gibt es schließlich natürlich noch die Punkte, die man neu entdeckt und aufgreift und in die eigene Theologie oder gar das eigene Glaubensleben integriert. Unabhängig davon, wie weit man in der eigenen Lernbereitschaft gehen mag, ist eine Auseinandersetzung mit dem Fremden, die fragt, ob es mich verändern sollte, nur möglich, wenn man in der theologischen Lehre mit dem im empirischen Teil mit grün gekennzeichneten Mindset agieren kann, das emotional involviert und bereit für eigene Veränderung ist. Dieses Mindset steht gerade in seiner Verletzlichkeit und seinem Interesse an genuin theologischem Erkenntnisgewinn offensichtlich in großer Entsprechung zum Idealtyp komparativ theologischer Lehre. Dagegen ist der in den empirischen Untersuchungen dominierende gelbe Typ, der sich emotional neutral und gesellschaftlich konform verhält, nur schwer mit theologischer Lehre vereinbar. So wie im christlichen Religionsunterricht jüngst in empirischen Untersuchungen die Gefahr seiner Versachkundlichung aufgewiesen wurde, muss man hier auch die Gefahr einer Versachkundlichung islamischer Theologie diagnostizieren. Aber über diesen Punkt hatten wir ja bereits weiter oben nachgedacht.
So will ich abschließend nur noch kurz auf eine Frage zu sprechen kommen, mit der offenkundig die islamischen Curricula ringen. Wo ist der interreligiöse Dialog eigentlich zu verorten? Gehört er als Theologie der Religionen in die Systematische Theologie? Ist er historisch im Kontext der Religionsgeschichte zu erörtern? Oder muss er immer den ja faktisch interreligiösen Kontext der Schule berücksichtigen? Kamicili-Yildiz arbeitet ja in ihrem Beitrag sehr schön heraus, dass die verschiedenen Standorte hier sehr verschiedene Konzepte haben. Aus meiner Sicht haben an dieser Stelle alle Standorte Recht. Denn der interreligiöse Dialog ist eine Querschnittsaufgabe für alle theologischen Disziplinen. Er darf nicht an einige Experten delegiert werden, sondern wir müssen selbstverständlich in unserem Alltag mit den Fragen der religiös Anderen arbeiten – so wie wir ja schon lange die Herausforderungen der externen Religionskritik bei jeder theologischen Reflexion mitdenken. Wichtig ist nur, dass wir dabei die Fragen der religiös Anderen als Chance des Wachstums begreifen und uns von ihnen verändern und bereichern lassen. An dieser Stelle besteht noch Luft nach oben. Aber es wäre ganz verkehrt, diese Tatsache irgendwelchen Einzelpersonen oder einzelnen Standorten anzulasten. Es ist jetzt einfach an der Zeit, dass die Theologien in Deutschland lernen, dass sie nur dann zukunftsfähig sind, wenn sie sich dialogisch, komparativ und interaktional neu aufstellen. Vielleicht kann unsere empirische Studie ja ein Anlass sein, diese Herausforderung an dem ein oder anderen Standort ernsthaft anzugehen.
Dr. Klaus von Stosch, Professor für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn