1 Forschungsformate im fachdidaktischen Diskurs

In der Regel wird die Fachdidaktik als Vermittlungs- bzw. Integrationswissenschaft verstanden, die sich sowohl aus der zugehörigen Fachwissenschaft als auch aus den Bildungswissenschaften speist (Abraham & Rothgangel, 2017). Allerdings fehlt fachdidaktischer Forschung oftmals noch die allgemeine Anerkennung innerhalb des Wissenschaftssystems. So wird die Fachdidaktik bei der DFG als Teil der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung eingestuft und einschlägige Anträge folglich gemäß erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Kriterien begutachtet – relativ hohe Ablehnungsquoten eingeschlossen. Auch die fakultäre Zuordnung der Fachdidaktiken ist nicht einheitlich geregelt. Oft gehören sie den einschlägigen fachwissenschaftlichen Fakultäten an, es finden sich fachdidaktische Lehrstühle aber auch an erziehungswissenschaftlichen Fakultäten. Und manchmal bilden die fachdidaktischen Lehrstühle einen wesentlichen Bestandteil einer eigenständigen, auf die Schule bezogenen Fakultät (z.B. die „TUM School of Education“), oder eine eigenständige Querstruktur zu den vorfindlichen Fakultäten (z.B. das „Department Fachdidaktiken“ an der Universität Erlangen). Ein charakteristisches, eindeutig identifizierbares Profil fachdidaktischer Forschung ist deshalb nur schwer auszumachen.

In der Folge sucht die Gesellschaft für Fachdidaktik seit einiger Zeit, das spezifische Profil fachdidaktischer Forschung herauszuarbeiten. Dazu greift sie auf den Begriff des Formats zurück, den sie in einem Positionspapier folgendermaßen definiert: „Als ein ‚Format fachdidaktischer Forschung’ wird die Gesamtheit aller inhaltlichen, methodischen und forschungsorganisatorischen Aspekte bezeichnet, die bei der Planung, Durchführung, Auswertung und Ergebnisverwertung eines fachdidaktischen Forschungsvorhabens beschrieben werden können [...]. Hierzu gehören u.a. Theoriebezug, Erkenntnisinteresse, Untersuchungs- bzw. Auswertungsmethoden und Vorgehensweisen bei Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse.” (GFD, 2015, S. 2) Ein Forschungsformat ist somit mehr als nur die Anwendung einer Methode, sondern umfasst das Gesamte des Forschungsprozesses, innerhalb dessen die Methode ein formatierendes Element neben anderen darstellt. Exemplarisch nennt das GFD-Papier die drei Formate der fachdidaktischen Entwicklungsforschung, der fachdidaktischen Wirksamkeitsforschung und der historischen Forschung (GFD, 2015, S. 5–11).

Geht man ins Detail, ergibt sich der instruktive Stimulus des GFD-Vorschlags aus dem Versuch, Allgemeines und Spezifisches in doppelter Hinsicht aufeinander zu beziehen. Zum einen zielt ein Forschungsformat auf gemeinsame Programmatiken innerhalb der Vielgestaltigkeit der vorfindlichen Fachdidaktiken ab. Fachdidaktische Forschung ist stets domänenspezifisch, denn es gehört zum Charakteristikum dieser Forschung, im Unterschied zu erziehungswissenschaftlichen und lernpsychologischen Studien die fachspezifischen Anforderungen von Lehren und Lernen zu untersuchen. Allgemeine Bildung deckt aber viele Fächer ab, die man mit Jürgen Baumert (2002) mindestens vier verschiedenen Weltzugängen zuordnen kann. Die Herausforderung besteht somit darin, übergreifende Formate zu finden, die der Eigenlogik der einzelnen Domänen gerecht werden. Es geht beim Forschungsformat somit um das Allgemeine, dass das Spezifische der einzelnen Fächer integriert. Zum anderen will das Forschungsformat aber auch das Spezifische fachdidaktischer Forschung innerhalb der Bildungswissenschaften sichtbar machen. Gesucht sind Forschungsprogrammatiken, die alleine für die Fachdidaktik schlüssig sind und sich nicht ohne Weiteres auf das Feld allgemeiner erziehungswissenschaftlicher oder lernpsychologischer Forschung übertragen lassen. Dass es sich hierbei um keine triviale Herausforderung handelt, zeigen bereits die drei von der GFD genannten Beispiele. So bedürfen die Formate der Entwicklungs- und Wirksamkeitsforschung des Attributs „fachdidaktisch“, um als einschlägig qualifiziert zu sein. Dieser Sprachgebrauch signalisiert, dass es bei fachdidaktischer Forschung um die Rezeption umfassenderer Forschungsformate geht, die im fachdidaktischen Gebrauch ein spezifisches Gepräge erhalten. Beim dritten Beispiel, der historischen Forschung, wird diese Eigenständigkeit sogar erst durch die Gegenstände sichtbar, die es zu untersuchen gilt. Die zweite Herausforderung des Formatbegriffs liegt somit darin, das Spezifische der Fachdidaktik in der Rezeption allgemeiner bildungswissenschaftlicher Zugänge zum Feld des Lehrens und Lernens herauszuarbeiten.

Der Impuls der GFD wurde in verschiedenen Fachdidaktiken aufgegriffen, sodass mittlerweile einige Typologien solcher Formate vorliegen. Diese Typologien unterscheiden sich allerdings zum Teil erheblich. In der politischen Bildung wird z.B. zwischen einer Forschung a) zu den Grundlagen, b) zu den Voraussetzungen und Bedingungen, c) zu den Prozessen und d) zu Ergebnissen des Lehrens und Lernens unterschieden (Petrik, 2015). Klar ist eine Logik zu erkennen, die die Tätigkeiten des Lehrens und Lernens in seine Bestandteile zerlegt und die identifizierten Aspekte zum Ausgangspunkt eines eigenständigen Forschungsformats heranzieht. In der Musikdidaktik werden dagegen die drei Typen einer musikdidaktischen Ursachenforschung, einer musikdidaktischen Entwicklungsforschung und einer synergetischen Lernfeldforschung diskutiert (Rolle, 2012). Auch hier stehen Lehren und Lernen im Mittelpunkt und mit der Ursachenforschung ergibt sich eine strukturelle Parallele zur Forschung zu Voraussetzungen und Bedingungen in der Politikdidaktik. Die weiteren Formate zielen jedoch auf die Entwicklung von Lehrformaten und einzelnen Gegenstandsbereichen musikbezogenen Lehrens und Lernens ab. Weiterhin schlägt der Mathematikdidaktiker Timo Leuders (2015) in einem Grundsatzbeitrag die folgenden drei Formate vor: fachspezifische Lehr-Lern-Forschung, fachdidaktische Entwicklungsforschung und Lehrkräftebildungsforschung. Diese Logik orientiert sich an charakteristischen Gegenstandsbereichen der Fachdidaktiken, nämlich den Lehr- und Lernprozessen selbst, der Entwicklung solcher Prozesse und der fachdidaktischen Bildung der handelnden Personen. Bei dieser Typologie kommt die professionelle Bildung neu in den Blick. Schließlich beschreiben Jutta Wiesemann und Friederike Wille (2014) für den Sachunterricht drei Forschungsformate, nämlich die Rekonstruktion der Perspektiven von Grundschulkindern auf die Sachen des Sachunterrichts, die didaktische Rekonstruktion und die Conceptual-Change Forschung. Alle drei Konzepte beziehen sich auf die Wahrnehmungsprozesse von Kindern in unterschiedlicher Bedeutung für Lehr- und Lernprozesse. Der Begriff des sachunterrichtlichen Forschungsformats wird damit ausgehend von einer Lernerperspektive entwickelt, was den Ansatz von Wiesemann und Wille dezidiert von den vorangegangenen Ordnungsversuchen unterscheidet.

Ein Vergleich dieser vier Typologien zeigt somit ein sehr heterogenes Verständnis von Forschungsformat. In der Konsequenz findet man in der fachdidaktischen Literatur eher lose Bezüge auf ihn. So wird der Begriff des Forschungsformats in den naturwissenschaftlichen Didaktiken zwar ausführlich diskutiert (vgl. Schecker, Parchmann & Krüger, 2014), das zugehörige Handbuch nimmt ihn aber nicht auf und ist stattdessen nach Methoden organisiert. Auch eine aktuelle Umfrage der GFD zum Stand der Fachdidaktiken nennt zwar die Formate Wirksamkeitsforschung, Kompetenzmessung, Qualitative Rekonstruktionen zu Lernständen/Lernprozessen, Unterrichtsforschung, Entwicklungsforschung (bspw. design research), Lehrerbildungsforschung (bspw. Professions-, Professionalisierungsforschung) und Curriculumsforschung), ergänzt diese Liste aber noch um eine Abfrage von Gegenständen fachdidaktischer Projekte und ihren Methoden (empirisch [sowohl qualitativ, quantitativ, mixed-methods ...], hermeneutisch, historisch, theoretisch, konzeptionell und andere Zugänge).

Schließlich publizierte eine Arbeitsgruppe der GFD jüngst das Selbstporträt von 17 Fachdidaktiken mit dem Ziel, Eckpunkte und Strukturen einer Allgemeinen Fachdidaktik herausarbeiten zu können (Rothgangel u.a. 2020). Ein Teil dieser Porträts war der Forschung innerhalb der jeweiligen Fachdidaktik gewidmet. Diese Berichte weisen zwar gleichfalls unterschiedliche Ansichten auf, was einschlägige Forschungsformate anbelangt, lassen sich aber weiterführend hinsichtlich grundlegender Gemeinsamkeiten analysieren (Rothgangel, 2020, S. 535–549). So identifiziert diese Analyse erstens fünf charakteristische Ansätze fachdidaktischer Forschung, nämlich historische, empirische, vergleichende, theoretische und praxisbezogene. Geht man ins Detail, repräsentieren diese Ansätze weniger eine konkrete Methode als eine Methodik d.h. einen grundsätzlichen Zugang zum Feld fachlichen Lehrens und Lernens. Diese Methodiken beschreiben das untersuchte Feld jedoch noch nicht hinreichend, sondern werden zweitens durch charakteristische Gegenstände fachdidaktischer Forschung ergänzt. Hier werden die folgenden Bereiche herausgearbeitet: a) Inhaltsforschung zur Auswahl und Legitimation fachlicher Inhalte, b) Entwicklungsforschung als praxisorientierte Analyse fachlichen Lehrens und Lernens, c) Lehr- und Lernforschung als grundlagenorientierte Analyse fachlichen Lehrens und Lernens, d) SchülerInnenforschung als Analyse von fachlichen Alltagsvorstellungen und fachbezogenen Kompetenzen, e) LehrerInnenforschung als Analyse von fachdidaktischem Lehrerwissen und Lehrerbildungsforschung, f) Forschung zu fachlich relevanten Rahmenbedingungen und g) Forschung zur Geschichte und Theorie der Fachdidaktik. Beide Perspektiven, d.h. die methodologischen Ansätze sowie die Gegenstandsbereiche fachdidaktischer Forschung, werden zu einem Vorschlag verdichtet, nach dem sowohl die Methodik, als auch der Gegenstandsbereich eine formatierende Wirkung auf fachdidaktische Forschung haben (Rothgangel, 2020, S. 548–549). Daraus resultiert eine Matrix, deren beide Achsen durch die sieben möglichen Gegenstandsbereiche und die fünf möglichen Methodiken eines Projekts definiert sind.

Dieser Vorschlag verweist auf die Bedeutung des Forschungsgegenstands und der Forschungsmethodik für die Formate fachdidaktischer Forschung. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob die Kombination aus beiden Facetten die Komplexität fachdidaktischer Forschung hinreichend reduziert, weil daraus rein theoretisch 35 unterschiedliche Formate resultieren können, wobei sich zusätzlich das Problem der trennscharfen Abgrenzbarkeit dieser Formate stellt. Dazu kommt, dass im Rahmen des Vergleichs der 17 Fachdidaktiken auch deutlich wird, dass sich der Gegenstand fachdidaktischer Forschung aus vier unterschiedlichen Quellen speist, nämlich:

  • den jeweiligen Fachwissenschaften,

  • den Praxen des jeweiligen Gegenstandsbereichs,

  • den fachbezogenen gesellschaftlichen, lebensweltlichen und kulturellen Kontexten und

  • fachbezogenen anthropologischen Aspekten (Rothgangel, 2020, S. 506).

Alle diese Quellen implizieren spezifische Bezugstheorien fachdidaktischer Forschung, die gleichsam eine formatierende Wirkung besitzen und somit ein drittes Bestimmungsmoment eines fachdidaktischen Formats ausmachen. Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, provoziert der Begriff des fachdidaktischen Forschungsformats die Suche nach übergreifenden Forschungsprogrammatiken innerhalb der Vielfalt fachdidaktischer Forschung. Auch wenn bereits einzelne Vorschläge solcher Formate vorliegen, zeigt sich, dass eine verallgemeinerbare Beschreibung solcher Formate nur schrittweise aus dem Vergleich der Fachdidaktiken gewonnen werden kann. Es zeichnet sich jedoch ab, dass in der fachdidaktischen Forschung die Bezugstheorien, der untersuchte Gegenstandsbereich und die eingesetzte Methodik eine formatierende Wirkung haben und somit konstitutiv Faktoren für fachdidaktische Forschungsformate sind.

2 Bezugstheorien, Gegenstandsbereiche und Methodiken religionsdidaktischer Forschung

Im Folgenden wird der Begriff des Forschungsformats herangezogen, um das Feld gegenwärtiger religionsdidaktischer Forschung zu ordnen. Vor dem Hintergrund der voranstehenden Ausführungen scheint aufgrund der voranstehenden Überlegungen das Zusammenspiel folgender drei Kategorien eine grundlegende „formatierende“ Wirkung auf religionsdidaktische Forschung: die Bezugswissenschaften bzw. -theorien, die Gegenstandsbereiche und die methodische Vorgehensweise (vgl. auch Schecker, Parchmann & Krüger, 2014).

2.1 Bezugswissenschaften und -theorien der Religionsdidaktik

„Religiöse Bildung“ bzw. „religiöses Lehren und Lernen“ stellen den Gegenstandsbereich religionsdidaktischer Forschung dar. In diesem Sinn bezieht sie sich als Disziplin auf Theologie bzw. Religionswissenschaft sowie auf Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaften (Domsgen, 2019, S. 248–340; Woppowa, 2019, S. 19–22). In letztgenannter Hinsicht ist zu überlegen, ob nicht die Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaften einerseits und die empirische Bildungsforschung andererseits eigens als Bezugswissenschaften der Religionsdidaktik zu bedenken sind, zumal sich diese Tendenz auch in anderen Fachdidaktiken zeigt (Rothgangel, 2020, S. 582–583) und sich institutionell in der Aufspaltung zwischen DGFE und GEBF widerspiegelt. Darüber hinaus besteht eine jüngere Entwicklung darin, dass auch andere Fachdidaktiken wie z.B. die Biologiedidaktik als Bezugswissenschaften der Religionsdidaktik dienen können (Pirner & Schulte, 2010). Abhängig vom verhandelten Thema kommen noch human-, sozial- und kulturwissenschaftliche Bezüge hinzu, von Fall zu Fall auch naturwissenschaftliche (Leimgruber & Ziebertz, 2012, S. 36). Religionsdidaktische Forschung erweist sich in dieser Hinsicht somit von innen heraus als interdisziplinäres Geschäft (Rothgangel, 2014).

Für die Bestimmung von Forschungsformaten erweist sich diese allgemeine Bilanz möglicher religionsdidaktischer Bezugstheorien jedoch als noch nicht hinreichend, denn ein Format zeichnet sich auch durch eine spezifische Konstellation solcher Bezugstheorien aus, wobei zusätzlich die formatierende Wirkung des jeweiligen Gegenstandsbereichs religionsdidaktischer Forschung sowie der in dieser Hinsicht verwendeten Methodik zu bedenken sind. Auf der Ebene konkreter religionsdidaktischer Projekte zeigt sich dieses Bild exemplarisch daran, dass in der Regel solche Projekte auf konkrete wissenschaftliche Diskurse zurückgreifen, in die die oben skizzierten religionsdidaktischen Referenzdisziplinen in unterschiedlicher Intensität eingegangen sein mögen, aber nicht mehr als sortenreine, disziplinspezifische Theorie aufscheinen. Wenn etwa nach dem Verhältnis von kindertheologischen Idealen und unterrichtlicher Alltagspraxis gefragt wird (Roose, 2019), liegt der Bezug auf theologische und erziehungswissenschaftliche Theorien erst einmal nicht unmittelbar nahe. Vielmehr stellt die Kindertheologie einen genuin religionsdidaktischen Diskurs dar, der im benannten Projekt im Licht der alltäglichen Praxis im Religionsunterricht problematisiert wird. Natürlich speist sich die Kindertheologie auch aus theologischen, erziehungswissenschaftlichen und philosophiedidaktischen Theorien, die aber z.B. für das oben genannte Projekt erst einmal ohne unmittelbare Bedeutung bleiben.

Religionsdidaktische Forschung greift damit stets auf konkrete Diskurse zurück, die in der Regel ein spezifisches Amalgam theologischer und bildungswissenschaftlicher Theorien, sowie Diskursen anderer Fachdidaktiken darstellen. Welcher Diskurs für ein Projekt von Bedeutung ist, bestimmt der jeweilige Untersuchungsgegenstand und die Forschungsfrage, aus der heraus er in den Blick genommen wird. Für die Beschreibung religionsdidaktischer Forschungsformate wirft das eine zentrale Frage auf:

F1: Was ist/sind die grundlegenden Bezugstheorie/n, aus denen sich das Forschungsformat speist?

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analyse kann diese Frage weiter spezifiziert werden:

F1.1: Welche Rolle spielen Theologie, Bildungswissenschaften und andere Fachdidaktiken für das Forschungsformat?

F1.2: Welche Funktion haben die einzelnen formatierenden Bezugstheorien für das jeweilige Forschungsformat und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander?

2.2 Gegenstandsbereiche der Religionsdidaktik

Neben den Bezugstheorien wurden die Gegenstandsbereiche religionsdidaktischer Forschung als grundlegender formatierender Faktor herausgearbeitet. Eine seriöse Analyse solcher Untersuchungsgegenstände übersteigt die Möglichkeiten dieses Beitrags bei Weitem. Deshalb konzentriert er sich auf die Analyse der vorliegenden Einleitungen zur Religionsdidaktik. Solche Einleitungen beanspruchen einen grundständigen Überblick über das Geschäft der Religionsdidaktik zu geben. Von ihnen kann also erwartet werden, dass sie eine Idee dessen haben, was in dieser Disziplin untersucht wird und was zu untersuchen sei.

Bei dieser Analyse fällt zuerst auf, dass Einführungen in die Religionsdidaktik in der Regel allgemein über deren konstitutiven Bezug zu religiösem Lehren und Lernen sprechen, den Bedingungen solchen Lehrens und Lernens und ihren Möglichkeiten und Grenzen, ohne die einschlägigen Gegenstandsbereiche näher zu beschreiben (z.B. Woppowa, 2018, S. 21). Orientiert man sich jedoch an den Gliederungen dieser Einführungen in die Religionsdidaktik, zeichnen sich Konturen religionsdidaktischer Gegenstandsbereiche ab. In seinem „Grundriß der Religionsdidaktik“ unterscheidet Godwin Lämmermann (1991) sechs unterschiedliche Gegenstandsbereiche, nämlich (i) die „Bedingungen des Rus“, (ii) die Verortung der Religionsdidaktik zwischen Theologie und Allgemeiner Didaktik, (iii) „Grundpositionen der Allgemeinen Didaktik“, (iv) einen historischen Überblick über „religionsdidaktische Konzeptionen“, (v) die „Planung und Vorbereitung des Rus“ und (vi) „Faktoren und Strukturen des Rus“, worunter ebenso entwicklungspsychologische Einsichten gezählt werden, wie Sozialformen, Methoden und Medien. Ferner erschließt Christian Grethlein (2005) die Religionsdidaktik, indem er zuerst (i) den Religionsunterricht an der Schule begründet, dann (ii) die historische Entwicklung der Disziplin nachzeichnet, (iii) die Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts im Hinblick auf Recht, Schule und Kirche klärt, um dann (iv) die Rolle der Akteure, der Ziele und Inhalte und der Medien und Methoden zu diskutieren. Das „Religionspädagogische Kompendium“ (Adam, Lachmann & Rothgangel, 2012), welches in seinem Kern trotz des Titels eine religionsdidaktische Einführung darstellt, unterscheidet die folgenden fünf fachdidaktischen Aufgaben- und Gegenstandsbereiche (Lachmann & Rothgangel, 2012, S. 50–51): (i) die Ermittlung, Begründung und Anwendung fachdidaktischer Prinzipien, (ii) die historische Vergewisserung über die Genese und Angemessenheit religionsdidaktischer Konzeptionen, (iii) die Reflexion der personalen Faktoren des Religionsunterrichts, (iv) die fachdidaktische Auseinandersetzung mit der Theologie und (v) die Auseinandersetzung mit Planung und Artikulation von Religionsunterricht. Das „Lehrbuch der Religionsdidaktik“ (Kalloch, Leimgruber & Schwab, 2014) gliedert sich in die beiden großen Teile „religionsdidaktische Konzeptionen“ und „religionsdidaktische Dimensionen und Prinzipien“. Im ersten Teil werden – auch im Sinn einer historischen Bilanz – elementare Verständnisse der Religionsdidaktik dargestellt, während der zweite Teil unterschiedliche theoretische Zugänge zu religiösem Lehren und Lernen wie Gender, Ökumene oder Pluralität nachzeichnet. Georg Hilger, Stephan Leimgruber und Hans-Georg Ziebertz (2017) gliedern ihre „Religionsdidaktik“ in die vier Teile (i) „Religionsdidaktik als wissenschaftliche Disziplin“, (ii) „Religiöse Bildung und Erziehung am Lernort Schule“, (iii) „Religionsdidaktische Prinzipien“ und (iv) „Religionsunterricht professionell planen und gestalten“. In seiner „Religionsdidaktik kompakt“ behandelt Hans Mendl (2015) zuerst (i) die „Rahmenbedingungen religionsdidaktischer Reflexion“, um dann (ii) „religionsdidaktische Kompetenzen und Ziele“ zu beschreiben. Es folgen (iii) „Inhaltsbereiche“ und (iv) „Prinzipien“ des Religionsunterrichts und (v) die Beschreibung der „Planung und Durchführung“ desselben. Mendl beschließt seine Religionsdidaktik mit einem Kapitel zu „außerunterrichtlichen Lernorten“. Jan Woppowa (2018) beginnt dagegen mit (i) einer wissenschaftstheoretischen Vorortung der Disziplin, beschreibt dann (ii) grundlegende Aspekte religiösen Lehrens und Lernens, klärt (iii) über die Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts auf, um dann (iv) religionsdidaktische Prinzipien (z.B. Korrelation, Elementarisierung oder Kompetenzorientierung) und spezielle Ansätze innerhalb der Disziplin auszuführen. Der Band endet mit einem Kapitel über (v) die Reflexion religiöser Lernprozesse.

Die Durchsicht der Gliederungen zeigt zum einen, dass es sehr unterschiedliche Zugänge zu religionsdidaktischer Forschung und Praxis gibt. Zum anderen ergeben sich aber auch Überschneidungen, die als Indikator für elementare Gegenstandsbereiche der Disziplin gelesen werden können. Diese sind a) die Legitimation des Religionsunterrichts und Selbstvergewisserung über seinen Charakter und seine Geschichte, b) die Analyse der Ausgangsbedingungen von religiösem Lehren und Lernen sowie der Bedingungsfaktoren des Religionsunterrichts, c) die Entwicklung religionsdidaktischer Konzepte, d) die didaktische Rekonstruktion von Unterrichtsgegenständen, e) die Analyse von Lehr- und Lernprozessen im Religionsunterricht und f) die wissenschaftstheoretische Reflexion der Disziplin (Riegel & Rothgangel, 2020, S. 350).

Die Komplexität dieser Bilanz lässt sich hinsichtlich ihrer formatierenden Wirkung religionsdidaktischer Forschung weiter reduzieren, wenn man die Unterscheidung zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung hinzuzieht (Frederking, 2017, S. 195–201). Grundlagenforschung zielt demnach neue Erkenntnisse zu religiösem Lehren und Lernen an, ohne dass ein unmittelbarer Anwendungsbezug beabsichtigt wird. Aus der obigen Liste könnten demnach die wissenschaftstheoretische Reflexion oder die Analyse der Bedingungsfaktoren des Religionsunterrichts religionsdidaktischer Grundlagenforschung zugeordnet werden. Beide Beispiele verweisen darauf, dass auch Grundlagenforschung, obwohl sie keine unmittelbare Anwendbarkeit beabsichtigt, nicht völlig zweckfrei erfolgt, sondern z.B. Antworten auf aktuelle oder zukünftige Fragen religiösen Lehrens und Lernens geben will. Anwendungsforschung erwächst dagegen unmittelbar aus konkreten Problemfällen religiösen Lehrens und Lernens und sucht nach Lösungen, die beides direkt verbessern. Aus der obigen Liste wären etwa die didaktische Rekonstruktion von Unterrichtsgegenständen oder die Analyse von Lehr- und Lernprozessen im Religionsunterricht Beispiele religionsdidaktischer Anwendungsforschung. Vor allem angesichts des ersten Beispiels sei betont, dass Anwendungsforschung hier nicht ausschließlich als Aufbereitung fachtheologischer Sachverhalte für religiöses Lernen verwendet wird. Anwendungsforschung steht vielmehr für eine praxisorientierte Forschung, die die Praxis religiösen Lehrens und Lernens auf der Grundlage religionsdidaktischer Konzepte und Zugänge analysiert, evaluiert und verbessert.

Eine offene Frage ist es, in welche Detailebene hinein man die formatierende Wirkung des zu erforschenden Gegenstandsbereichs berücksichtigen sollte. Dies sei an folgenden drei Beispielen verdeutlicht, in denen der Gegenstand immer spezifischer gefasst wird: 1) Die Theologie besitzt – wie auch immer man konkret ihren Gegenstandsbereich bestimmen mag (z.B. als Wissenschaft von Gott) – andere Forschungsformate als z.B. die Physik. Dabei wird die Bedeutung des Gegenstandsbereichs für Forschungsformate daran deutlich, dass aufgrund ihrer jeweiligen Differenzen selbst die Theologie und die Religionswissenschaft – aber vergleichbar die Physik und die Biologie – auch unterschiedliche Forschungsformate besitzen. 2) In der Religionsdidaktik selbst hat sich die Redeweise von Bibeldidaktik, Kirchengeschichtsdidaktik usw. etabliert, was letztlich nahelegt, dass aufgrund der jeweiligen Besonderheiten des Gegenstandsbereichs (Bibel, Kirchengeschichte usw.) eine jeweils anders ausgeprägte Religionsdidaktik erforderlich ist. 3) Blickt man näher auf die Bibeldidaktik, dann lassen sich selbst hier nochmals feinere Unterscheidungen beobachten, wenn etwa von Wunder- und Gleichnisdidaktik die Rede ist. Die Frage ist, ob derartige Differenzen bis auf die Ebene der Forschungsformate durchschlagen und wie sie sich im Detail auswirken.

Weiterhin stellt sich die Frage nach der formatierenden Wirkung von Quellen, denen sich die einzelnen Gegenstandsbereiche verdanken. Wie generell in den Fachdidaktiken (Rothgangel, 2020, S. 506) speisen sich auch die Gegenstände der Religionsdidaktik aus vier Quellen. Es sind dies (i) die Fachwissenschaften (Theologie, Religionswissenschaft sowie weitere Bezugswissenschaften), (ii) religiöse Praxen, (iii) religiös relevante gesellschaftliche, lebensweltliche und kulturelle Kontexte und (iv) religiös relevante anthropologische Aspekte. Die Frage ist, inwieweit diese Quellen die Gegenstände prägen.

Fasst man die Überlegungen dieses Abschnitts zusammen, lässt sich die folgenden Forschungsfrage bzgl. der formatierenden Wirkung der Gegenstände religionsdidaktischer Forschung formulieren:

F2: Welche Rolle spielen die Gegenstandsbereiche der Religionsdidaktik für die Konturen des Forschungsformats?

Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analyse kann diese Frage weiter spezifiziert werden:

F2.1: Bis auf welche Detailebene ist die formatierende Wirkung von Gegenstandsbereichen zu berücksichtigen?

F2.2: Welche Rolle spielen die Quellen, aus denen sich die für das Forschungsformat relevanten Gegenstandsbereiche speisen, für deren formatierende Wirkung?

F2.3: Qualifizieren die für das Forschungsformat relevanten Gegenstandsbereiche dieses Formats eher als Teil von Grundlagen- oder als Teil von Anwendungsforschung?

2.3 Methodiken der Religionsdidaktik

Für die religionspädagogische Methodik spielt die klassische Unterteilung in Hermeneutik, Empirie und Ideologiekritik eine prägende Rolle (z.B. Leimgruber & Ziebertz, 2012, S. 31–34; Sajak, 2012, S. 71–72). Diese drei Zugänge zum religionspädagogischen Geschäft definieren drei Grundvollzüge der einschlägigen Forschung, nämlich die verstehende Produktion von Theorien, die Vergewisserung über die Wirklichkeit und die kritische Selbstreflektion. In der Religionsdidaktik werden diese Zugänge jedoch eher zurückhaltend rezipiert. Vielmehr stehen dort wesentlich fünf grundlegende methodische Zugriffe auf religiöses Lehren und Lernen zur Debatte: historisch, empirisch, systematisch, komparativ und handlungsorientierend (vgl. dazu Schröder, 2012, S. 274; Schweitzer, 2006, S. 284–286; Riegel & Gennerich, 2015; Woppowa, 2018, S. 19). Beim Blick ins Detail fällt auf, dass sich diese Zugriffe in vielerlei Hinsicht wechselseitig überlappen. So arbeiten sowohl der historische als auch der empirische Zugriff mit statistischen Methoden. Ferner gehört die Analyse von Texten zu den Kernmethoden sowohl des systematischen als auch des vergleichenden Zugriffs. Schließlich münden alle fünf Zugriffe in wiederum in sich schlüssigen Konzepten, die entweder eine vorliegende Theorie oder eine vorliegende Praxis ergänzen, differenzieren, erweitern, korrigieren, etc. In der Folge stehen die fünf Zugriffe tatsächlich für grundlegende methodische Rahmungen fachdidaktischer Forschung und nicht für ein spezifisches methodisches Repertoire, mit dem sie sich trennscharf gegenüber den anderen Zugriffen abgrenzen lassen.

Der historische Zugriff rekonstruiert die Herkunft und Entstehung bzw. Entwicklung religionsdidaktischer Sachverhalte, seien es Unterrichtskonzepte wie die Korrelationsdidaktik, Auffassungen von religiöser Erziehung oder der institutionellen Gestalt des Religionsunterrichts (Schröder, 2011). In methodischer Hinsicht stellt sich vor allem die Frage nach geeigneten Quellen und Analyseverfahren, mit denen sich diese Quellen angemessen erschließen lassen (Käbisch, 2017). Das Ziel des historischen Zugriffs ist es besser zu verstehen, inwiefern aktuelle religionsdidaktische Sachverhalte durch vorausgegangene Konstellationen dieser Sachverhalte geprägt und bedingt sind.

Der empirische Zugriff erfasst die religionsdidaktisch bedeutsamen Auffassungen und Einstellungen der Lehrpersonen wie auch der Schülerinnen und Schüler und die Prozesse und Wirkungen religiösen Lehrens und Lernens. Er setzt somit bei den Akteuren religiöser Bildung am Lernort Schule an. In methodischer Hinsicht bedient er sich deshalb vor allem der sozialwissenschaftlicher Verfahren (Riegel & Gennerich, 2015), bei der Analyse von Produkten religiöser Lernprozesse auch literaturwissenschaftlicher (z.B. Korpuslinguistik: Altmeyer, 2019). Das Ziel des empirischen Zugriffs ist es besser zu verstehen, welche mentalen Konzepte die Akteure in die religiöse Bildung am Lernort Schule einbringen, welche Faktoren die Lehr- und Lernprozesse dieses Feldes prägen und welche Effekte diese Prozesse erbringen.

Der systematische Zugriff befasst sich mit religionsdidaktischen Theorien und Konzepten, die er beschreibt, analysiert und weiterentwickelt. Dabei bedient er sich der systematischen (Re-)Konstruktion ebenso wie der normativ-kritischen Reflexion. Im Mittelpunkt systematischer (Re-)Konstruktion stehen analytisch-hermeneutische Verfahren, die die innere Logik ihres Untersuchungsgegenstands im Licht seiner Entstehungssituation und der eigenen Lebenswelt klären. Die normativ-kritische Reflexion orientiert sich dagegen an konkreten Vorgaben, an denen sie ihren Untersuchungsgegenstand misst. Beide Verfahren schließen sich gegenseitig nicht aus. Das Ziel des systematischen Zugriffs ist das bessere Verständnis vorliegender Theorien und Konzepte und die Überprüfung und Weiterentwicklung derselben.

Der komparative Zugriff vergleicht religionsdidaktische Sachverhalte aus unterschiedlichen Kontexten auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Schröder, 2017). In der gegenwärtigen Religionsdidaktik sind es vor allem nationale oder religiöse bzw. konfessionelle Hintergründe, die den Referenzrahmen solcher Vergleiche darstellen. In methodischer Hinsicht bestimmt vor allem die Quellenlage, welche Verfahren zum Einsatz kommen. Faktisch dürften es vor allem die Analyse von Texten und die empirische Rekonstruktion von religionsdidaktisch relevanten Einstellungen und Lehr- und Lernprozessen sein. Das Ziel des vergleichenden Zugriffs ist es besser zu verstehen, wie unterschiedliche Hintergründe religionsdidaktische Sachverhalte prägen und wie die Akteure in ihren Kontexten handeln und warum sie es tun.

Der handlungsorientierende Zugriff schließlich entwickelt Konzepte für religiöse Lehr- und Lernprozesse und überprüft deren Anwendung. In methodischer Hinsicht bedient er sich ebenso hermeneutischer Verfahren wie empirisch-rekonstruktiver. Das Ziel des handlungsorientierenden Zugriffs ist es, vorfindliche unterrichtsrelevante Praxis zu evaluieren und zu verbessern bzw. weiterzuentwickeln.

Wiederum lässt sich aus den obigen Analysen eine zentrale Forschungsfrage ableiten. Sie lautet:

F3: Welche Rolle spielen die Methodiken für die Konturen des Forschungsformats?

3 Konturen religionsdidaktischer Forschungsformate

Die vorliegende Bilanz religionsdidaktischer Forschung hat einige Konvergenzen ergeben, ohne dass bereits wohldefinierte Forschungsformate offensichtlich im Raum stehen. Es liegt auf der Hand, dass es ein gewisses geteiltes Verständnis dessen gibt, auf welche Theorien sich die Religionsdidaktik bezieht, welche Gegenstände sie untersucht und innerhalb welchen methodischen Spektrums sie solche Untersuchungen vollzieht. Gleichzeitig ist es noch offen, inwieweit sich derartige Bezugstheorien, Untersuchungsgegenstände und Methodiken zu in sich schlüssigen Forschungsformaten kombinieren lassen. Diese Analyse gilt es noch zu leisten.

Weiterhin steht die Frage im Raum, welche Rolle die Tatsache spielt, dass die Frage nach den Forschungsformaten innerhalb der Religionsdidaktik gestellt wird. Zugespitzt lassen sich zwei Antworten auf diese Frage formulieren: Zum einen besteht eine Möglichkeit darin, dass die Religionsdidaktik aufgrund ihres spezifischen Weltzugangs, den sie hinsichtlich des Lehrens und Lernens konzeptualisiert und operationalisiert, eigenständige Forschungsformate ausbildet, die sich so nicht in anderen Fachdidaktiken, insofern sie andere Weltzugänge repräsentieren, finden lassen. Bei dieser Antwort hätten die Quellen der Erkenntnisgegenstände eine zentrale Wirkung auf das Forschungsformat. Zum anderen ist aber auch denkbar, dass „religionsdidaktisch“ im Zusammenhang mit Forschungsformaten nur die Domäne beschreibt, innerhalb derer geforscht wird, die Formate selbst jedoch übergreifend für allen Fachdidaktiken formuliert werden können. In diesem Fall hätten die Quellen der Gegenstandsbereiche keinerlei formatierende Wirkung. Die Antwort auf diese Frage wird wohl zwischen beiden Extrempolen liegen und könnte auch je nach Forschungsformat anders ausfallen. Auch das gilt es zu prüfen.

Um diese Fragen zu beantworten und ins religionspädagogische Gespräch über religionsdidaktische Forschungsformate zu kommen, wird im Folgenden die obige Bilanz religionsdidaktischer Forschung (vgl. 2) mit den Forschungsformaten abgeglichen, die in den anderen Fachdidaktiken diskutiert werden (vgl. 1.). Ein erstes Ergebnis dieses Abgleichs ist es, dass sich innerhalb der Religionsdidaktik zweierlei Arten der Selbstvergewisserung finden lassen, die sich zwar nicht gegenseitig ausschließen, in der Art ihres Erkenntnisgewinns jedoch unterschiedliche Wege gehen:

1)     Zum einen findet sich in der Religionsdidaktik ein beständiger Strang historischer Forschung. Er erhellt die geschichtlichen Sachverhalte, aus denen sich aktuelle Konstellationen und Prozesse religiösen Lehrens und Lernens entwickelt haben, und klärt über die Entwicklung der Disziplin selbst auf. In beiden Forschungsperspektiven trägt historische Forschung zu einem besseren Verständnis des aktuellen religionsdidaktischen Diskussionsstandes bei.

2)    Zum anderen finden sich immer wieder Arbeiten wissenschaftstheoretischer Selbstvergewisserung innerhalb der Religionsdidaktik. Diese Arbeiten sollen die wissenschaftlichen Grundlagen der Disziplin klären und das Selbstverständnis der Religionsdidaktik im Beziehungsgefüge von Theorie und Praxis, sowie das Verhältnis der Religionsdidaktik zu den anderen Fachdidaktiken klären.

Neben diesen beiden Wegen der Selbstvergewisserung lassen sich mindestens drei religionsdidaktische Forschungsstränge identifizieren, die vor allem auf der Grundlage hermeneutischer Routinen zu ihren Erkenntnissen kommen.

3)    So gehört es zum Kerngeschäft religionsdidaktischer Reflexion, theoretische Konzepte über religiöses Lehren und Lernen zu entwickeln. In der Regel basieren diese Entwicklungen auf hermeneutischen theoretisch-systematischen Überlegungen, wobei die Bandbreite von phänomenologischen bis zu ideologiekritischen Zuschnitten reicht. Historische Erkenntnisse oder empirische Befunde können in diese Überlegungen einfließen, werden in diesem Forschungsstrang aber nicht selbst erstellt.

4)    Weiterhin finden sich in der Religionsdidaktik viele Arbeiten, die Lerngegenstände rekonstruieren. Ziel dieser Arbeiten ist die Aufbereitung der Sachverhalte des Religionsunterrichts, so dass sie für die Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Verstehensmöglichkeiten erfass- und bearbeitbar sind. Dabei kommen sowohl die Inhalte des Religionsunterrichts in den Blick als auch seine Methoden. Bei diesem Forschungsstrang spielt unterrichtspraktische Erfahrung ebenso eine zentrale Rolle wie die Kenntnis der theoretischen Hintergründe des jeweiligen Unterrichtsgegenstands.

5)    Schließlich finden sich immer wieder vergleichende Studien in der Religionsdidaktik. Ihnen geht es um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die der Untersuchungsgegenstand in verschiedenen regionalen, nationalen, kulturellen, etc. Kontexten aufweist. Derartige Analysen beruhen auf der Identifikation geeigneter Vergleichsdimensionen und in der Regel systematisch-theoretischen Analysen entlang dieser Dimensionen.

Zwei weitere Forschungsstränge der Religionsdidaktik widmen sich den Akteuren religiösen Lehrens und Lernens, namentlich den Lehrpersonen und den Lernenden.

6)    Eine lange Tradition haben religionsdidaktische Überlegungen zu Rolle und Kompetenzprofil von Lehrpersonen, die sich gegenwärtig vor allem als Professions- und Professionalisierungsforschung erweist. In diesen Arbeiten finden sich hermeneutische und empirische Zugänge ebenso wie historische und vergleichende Ansätze. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich auf den Untersuchungsgegenstand Religionslehrkraft beziehen und heute vor allem unter dem Konzept der Profession agieren.

7)    Daneben werden immer wieder die Einstellungen und Prä-Konzepte der Akteure des Religionsunterrichts in den Blick genommen, und zwar sowohl der Schülerinnen und Schüler als auch die der Lehrpersonen. Es geht darum herauszufinden, wir religiös die Lehrenden und Lernenden sind, was sie vom Religionsunterricht denken, welche ethischen Ideale sie in den Unterricht einbringen könnten, etc. Bei diesem Zugriff dominiert eine empirische Methodik, ohne historische oder hermeneutische Zugänge gänzlich auszuschließen.

Schließlich lassen sich vor allem in jüngster Zeit zwei religionsdidaktische Zugänge zum Feld religiösen Lehrens und Lernens erkennen, die sich dezidiert empirischer Methoden bedienen.

8)    Zum einen ist mit der pädagogisch-psychologischen Wende in den Bildungswissenschaften auch ein Ansteigen religionsdidaktischer Wirksamkeitsforschung festzuhalten. Solche Studien versuchen den Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler nachzuvollziehen und die Effekte spezifischer Unterrichtssettings herauszuarbeiten. Sie bedienen sich dabei klassischer Testszenarien, wobei psychometrische Standards und Gütekriterien eine zunehmend stärkere Rolle spielen

9)    Zum anderen etabliert sich gerade eine religionsdidaktische Entwicklungsforschung. Sie entwickelt innovative Lernszenarien im iterativen Durchlauf der beiden Phasen Konstruktion und Überprüfung. Dabei bedient sie sich ebenso hermeneutischer Routinen wie empirischer Methoden. Entscheidend ist jedoch der Erweis, dass sich das erdachte Konstrukt in der Wirklichkeit religiösen Lehrens und Lernens bewährt.

Diese neun Forschungsfelder innerhalb der Religionsdidaktik sollen im vorliegenden Heft zum Anlass genommen werden, sie daraufhin zu befragen, inwieweit sie das Potenzial für ein wohldefiniertes religionsdidaktisches Forschungsformat in sich tragen. Sie verstehen sich als erster Impuls für die einschlägige religionsdidaktische Diskussion. Weder beanspruchen sie, das Feld religionsdidaktischer Forschung vollständig abzubilden (so könnte man z.B. fragen, ob die Studien zu den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts nicht ein eigenes Forschungsfeld aufspannen), noch wird erwartet, dass sich aus jedem der identifizierten Forschungsfelder ein konsistentes Forschungsformat ableiten lässt. Ziel des vorliegenden Heftes ist es, das Potential dieser Forschungsfelder für einschlägige Forschungsformate auszuloten und möglichst präzise zu beschreiben, welche formatierenden Wirkungen Bezugstheorien, Untersuchungsgegenstände und Methodiken entfalten (vgl. F1 bis F3).

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Ulrich Riegel ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik, Philosophische Fakultät an der Universität Siegen
Martin Rothgangel ist Professor für Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.