1 Die Schweiz zwischen konfessionellem und bekenntnisunabhängigem Religionsunterricht

Obwohl der Religionsunterricht (RU) in fast allen europäischen Ländern an öffentlichen Schulen etabliert ist, ist und bleibt die Frage nach dem Stellenwert religiöser Bildung umstritten. Für die Kritiker ist der RU ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, das in religiös pluralen Gesellschaften und weltanschaulich neutralen Staaten keinen Platz mehr hat. Für die Befürworter leistet der RU einen wichtigen Beitrag zur Identitätsbildung, Orientierung und Verständigung und ist damit unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung. Zwar gibt es jenseits dieser Debatten überall in Europa ein klares Votum für die Notwendigkeit religiöser Bildung, vor allem im Kindes- und Jugendalter. Im Detail zeigt sich aber eine schillernde Vielfalt religiöser Bildungskonzepte, die teilweise weit auseinanderdriften: Während etwa Slowenien der einzige mitteleuropäische Staat ist, der kein Fach Religion an öffentlichen Schulen kennt, ist Österreich ein Land, in dem nicht nur der RU in allen Schultypen verankert ist, sondern selbst in der Fußballtrainer-Ausbildung für die UEFA-Lizenz das Fach Religion auf dem Stundenplan steht (vgl. Jäggle/Rothgangel/Schlag, 2013, S. 11). Gegenläufig zum immer wieder diagnostizierten Trend, Religion sei Privatsache, fällt auf, dass sich die verschiedensten Organisationen in Europa, allen voran die OSZE, mit Fragen der religiösen Bildung befassen. Religiöse Bildung hat unverkennbar einen wichtigen Stellenwert im Kontext Europa (vgl. Cebulj, 2015, 85).

Anders als in Deutschland wird in der Schweiz seit schon seit längerer Zeit über einen bekenntnisunabhängigen Religionsunterricht als Pflichtfach für alle diskutiert. Während in Deutschland mit der Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in einigen Bundesländern die Profilierung der religiösen Bildung in Richtung eines bekenntnisorientierten Unterrichts weiter gestärkt wurde, zeigt der Blick ins Nachbarland Schweiz eine grundsätzlich andere schul- und bildungspolitische Entwicklung hin zu einem bekenntnisunabhängigen und religionskundlich ausgerichteten Unterricht. Der vorliegende Beitrag reflektiert in Kürze die Entwicklungen der inzwischen erfolgten Reform der Schweizer Volksschulen, beschreibt die gegenwärtige Situation fünf Jahre nach der Einführung des Lehrplans 21 und zeigt am Beispiel der sprachsensiblen Didaktik, wie in Zukunft ein Religions- und Ethikunterricht in einer religionspluralen westeuropäischen Gesellschaft aussehen könnte.

2 Von der Zweigleisigkeit zum Drei-Säulen-Modell

Wer einen historischen Blick auf die Schweizer Bildungsmodelle wirft, stellt fest, dass der schulische Religionsunterricht im Lauf der Jahrhunderte im Schnittfeld unterschiedlichster Interessen und Erwartungen stand. Wie in anderen Ländern Europas hat sich auch in der Schweiz die religiöse Bildung an den Schulen in Gestalt eines kirchlich-konfessionellen Unterrichts über Jahrhunderte als Vermittlungsinstanz des Christentums verstanden. Als Vorläuferinstitutionen des heutigen Religionsunterrichts haben die katholischen Stifts- und Klosterschulen des Hochmittelalters sowie die späteren reformierten Bildungseinrichtungen zu gelten. Mit der Einführung der Allgemeinen Schulpflicht Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Religionsunterricht zu einem ordentlichen Schulfach. Seit der Gründung der Helvetischen Republik 1798 wurde die Schulaufsicht, die bis dahin in den Händen der Pfarrer lag, an die Schulen delegiert. Die revidierte Bundesverfassung von 1874 unterstrich zwar die konfessionelle Neutralität der Kantone, die Kirchen waren dennoch die natürlichen Kooperationspartner für den schulischen RU. Erst in jüngerer Zeit beginnt sich das zu ändern (vgl. Schlag, 2013, 127).

Was die rechtlichen Rahmenbedingungen betrifft, ist es nicht unwichtig zu betonen, dass das Prinzip der Religionsfreiheit in Art. 15 der Schweizerischen Bundesverfassung im Sinne einer negativen Religionsfreiheit zu deuten ist. Seit 1974 gilt auch für die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention, so dass Art. 15 in der aktuell gültigen Bundesverfassung von 1998 in Übereinstimmung mit Art. 9 EMRK zur Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auszulegen ist. Negative Religionsfreiheit bedeutet für den Religionsunterricht, dass Kinder und Jugendliche nicht zu religiösen Praktiken gezwungen werden dürfen. Außerdem haben sie das Recht, sich eines Bekenntnisses oder einer Religion zu enthalten.

Das aktuelle System religionsbezogener Bildung in der Schweiz wurde bis zur Einführung des Lehrplans 21 im Modus der konzeptionellen Zweigleisigkeit organisiert, denn am Lernort Schule waren sowohl der bekenntnisgebundene als auch der bekenntnisunabhängige Religionsunterricht vertreten (vgl. Jakobs, 2007). Seit der Einführung des neuen Lehrplans muss von einer konzeptionellen Aufteilung in drei Säulen gesprochen werden, denn einerseits wird am Lernort Schule bekenntnisgebundener und bekenntnisunabhängiger Religionsunterricht erteilt, andererseits findet der bekenntnisgebundene Unterricht nicht nur am Lernort Schule, sondern auch am Lernort Kirche statt. Daraus ergibt sich folgendes Modell, das nach Unterrichtsfach, Trägerschaft, Zielgruppe und Fachprofil unterscheidet (vgl. Jakobs/Ebel/Schmid, 2022, 21):

 

Dieses Modell bildet nicht überall die real existierende Unterrichtswirklichkeit ab, denn an manchen Orten sind die politischen oder finanziellen Rahmenbedingungen nicht gegeben oder es fehlt eine der Säulen. Das idealtypisch zu verstehende Dreisäulenmodell hat jedoch eine hermeneutische Funktion für das Verständnis einer Vielzahl konzeptioneller Modelle an der Basis, die sich bei aller unterschiedlichen Ausprägung in der Regel einer der drei Säulen zuordnen lassen (vgl. Jakobs/ Ebel/Schmid, 2022, 22).

Als Beispiel für die im Modell gezeigte dritte Säule am Lernort Kirche sei der „Lehrplan für die Katholische Kirche der Deutschschweiz (LeRUKa) genannt. Denn der LeRUKa unternimmt das interessante Experiment, am Lernort Kirche in ähnlicher Weise zu lernen wie am Lernort Schule, denn er lehnt sich an das Kompetenzverständnis des Lehrplans 21 an. Dieses Experiment ist in die religionspädagogischen Entwicklungen in der Deutschschweiz einzuordnen, zu denen auch die Tatsache gehört, dass die Trennung der Lernorte Schule und Kirche konzeptionell nie deutlich vollzogen wurde. Das liegt zum einen an der häufig guten Zusammen­arbeit der Kantone mit den Religionsgemeinschaften. Zum anderen nehmen die demokratisch legitimierten kantonalen staatskirchenrechtlichen Körperschaf­ten eine vergleichsweise starke Rolle ein, indem sie den kirchlich verantworteten Religionsunterricht zwar in juristischer Hinsicht mit den Kantonen absprechen, dieser aber unabhängig vom Staat in materieller und personeller Hinsicht gere­gelt wird. Für die inhaltliche Gestaltung und die Ausbildung des Personals sind die Bischöfe zuständig, die den Ausbildungsorten und den Pfarreien großen Ge­staltungsspielraum belassen. Der LeRUKa nimmt auf diese Rahmenbe­dingungen und die daraus folgenden Gestaltungsmöglichkeiten Rücksicht. Dabei ist er aufgrund der verschiedenen kantonalen Kontexte von einer historisch und politisch bedingten Verschiedenheit gekennzeichnet. Während er in Kantonen, in denen der schulische Religionsunterricht in kirchlicher Verantwortung keine Tradition hat, nur für die Katechese maßgeblich sein wird, soll er auch für die­jenigen Kantone eine Hilfe sein, in denen der konfessionelle Religionsunterricht weiterhin am Lernort Schule stattfindet und gemeinsam mit der Katechese in der Pfarrei einen Teil der kirchlichen religionspädagogischen Arbeit bildet (vgl. LeRuKa, 2017, 6). Evaluationen müssen zu gegebener Zeit zeigen, wie gut die Umsetzung der Kompetenzorientierung in konkrete Lernarrangements am Lernort Kirche bisher gelungen ist, um sie zukunftsfähig zu gestalten und weiterzuentwickeln.

3 Religion im Lehrplan 21

In der Schweiz liegt das Schulwesen in der Hoheit der Kantone. Da auf gesamtschweizerischer Ebene lediglich die schulischen Rahmenbedingungen geregelt sind, ergibt sich daraus ein bunter eidgenössischer Variantenreichtum. Für Familien hatte diese Vielfalt allerdings den Nachteil, dass sich die Kinder beim Umzug in einen anderen Kanton oft nicht ganz leicht in der neuen Schule zurechtfanden. Auch der Übertritt in eine Berufsschule oder ein Gymnasium in einem anderen Kanton war mit Schwierigkeiten verbunden. Im Jahr 2006 nahmen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger daher mit großer Mehrheit den Art. 62 Abs. 4 der Bundesverfassung an, der die Kantone verpflichtet, die Ziele der Bildungsstufen zu harmonisieren (vgl. www.lehrplan21.ch). Um diesen Auftrag zu realisieren, mussten alle Kantone ihre Lehrpläne überarbeiten: Ein gemeinsamer Lehrplan von 21 Kantonen für das 21. Jahrhundert: Unter diesem Leitgedanken wurde der Lehrplan 21 dann in den Jahren 2010-2014 von der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) erarbeitet.

Neben der Harmonisierung ist die Kompetenzorientierung der zweite wesentliche Faktor, welcher die Reform der Schweizer Volksschule prägt. Fächerübergreifend wird im Lehrplan 21 eine vierfache Kompetenzperspektive eingenommen:

1.Die Welt wahrnehmen: Die Schülerinnen und Schüler sollen wahrnehmen, was sie umgibt und wie Dinge auf sie wirken. Sie sollen dazu in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erfahrungen auszudrücken und dabei Neugier und Interesse an der Welt zu entwickeln.

2. Sich die Welt erschließen: Die Schülerinnen und Schüler sollen soziale, kulturelle und natürliche Situationen und Phänomene erschließen. In diesem Zusammenhang sollen sie Fragen stellen, recherchieren und die Welt aus verschiedenen Perspektiven erkunden. Dadurch sollen sie schrittweise ihre Kenntnisse und Erkenntnisse erweitern.

3. Sich in der Welt orientieren: Die Schülerinnen und Schüler sollen Phänomene, Sachen und Situationen sowie Eindrücke und Einsichten in Zusammenhänge einordnen können. Zudem sollen sie dazu befähigt werden, aktuelle und vergangene Situationen analysieren, beurteilen und reflektieren zu können. Zugleich sollen sie ihre Erkenntnisse strukturieren und vertiefen sowie sachbezogene Konzepte entwickeln können. Von dort aus sollen sie zunehmend Orientierung in der Welt gewinnen, um so mit den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen umgehen zu können.

4. In der Welt handeln: Die Schülerinnen und Schüler sollen reflektiert Entscheidungen treffen und handeln können. Sie sollen Erkenntnisse kreativ und konstruktiv umsetzen, an der Gestaltung ihrer Umwelt mitwirken und Mitverantwortung für sich selbst, für die Gemeinschaft und für die Gesellschaft übernehmen können. Zugleich werden deren Eigenständigkeit, Dialogfähigkeit und Zusammenarbeit mit Blick auf ein kompetentes und zukunftsorientiertes Handeln in der Welt gefördert. Damit ist unschwer zu erkennen, dass für die einzelnen Fächer ein breiter, wertbezogener sowie subjekt- und persönlichkeitsorientierter pädagogischer Rahmen vorgegeben ist, der interessante Möglichkeiten für die Ausgestaltung eben auch des religionsbezogenen Unterrichts im Fach ERG eröffnet.

Dieser religionsbezogene Unterricht im Lehrplan 21 hat ein dreifaches Profil: Er ist religionskundlich konzipiert, wird bekenntnisunabhängig unterrichtet und ist didaktisch im Sachunterricht beheimatet. Dieses Schweizer Experiment sieht vor, dass der Religionsunterricht sich innerhalb des Integrationsfaches Sachunterricht neu positioniert (vgl. Cebulj 2020, 275). Zusammen mit verschiedenen Fächern wie Geschichte, Geographie, Biologie, Physik, Chemie oder politische Bildung wird Religion auf allen Schulstufen als Lernbereich „Ethik-Religionen-Gemeinschaft“ (ERG) im Rahmen des Fachs „Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG)“ unterrichtet. Ein solches Integrationsfach wird in den meisten europäischen Staaten für die unteren Stufen der Volksschule vorgesehen, wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Während ERG auf der Primarstufe (1.-6. Klasse) in Form einer Bereichsdidaktik erteilt wird, sind auf der Sekundarstufe (7.-9. Klasse) eigene Lektionen in ERG vorgesehen. Innerhalb des Faches ERG ist ein gestufter Kompetenzaufbau vorgesehen, der allerdings da an seine Grenzen stoßen wird, wo relativ kleine ERG-Zeitfenster auf der Primarstufe die relativ großen Zeitfenster in der Sekundarstufe inhaltlich grundlegen sollen.

Ein wesentlicher Verdienst des neuen Fachs ERG im Lernbereich NMG liegt darin, dass auch mit einem nicht mehr konfessionell gebundenen Unterricht nicht gezwungenermaßen die Bedeutung und Wertschätzung für Religion als Bildungsgegenstand schwindet. Die Chance der aktuellen Unterrichtsreform besteht vielmehr darin, dass diese Situation zu einer positiven Herausforderung für die beiden großen Kirchen werden kann, wenn beispielsweise dadurch die Auseinandersetzung um die Zuständigkeiten der verschiedenen Lernorte aufgeworfen wird und eine profilierte Katechese bzw. Gemeindepädagogik gestärkt wird (vgl. Cebulj/Schlag, 2014, 188). Die Begründung für die Einführung von ERG als einem bekenntnisunabhängigen und obligatorischen Fach für alle Schülerinnen und Schüler liegt in der deutlich veränderten religiösen Landschaft der Schweiz, in der die reformierte und katholische Kirche immer weniger die dominanten Konfessionen sind (vgl. Stolz/Bünker u.a., 2022). Vielmehr hat die wachsende Pluralität der in der Schweiz praktizierten Religionen und Weltanschauungen zu der Überzeugung geführt, dass ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht als einzige Lernform nicht mehr länger zu rechtfertigen ist, zumal das Fach ERG eher der weltanschaulichen Neutralität der Schule verpflichtet ist und weniger religionsgemeinschaftlichen Interessen dient.

4 Religionsdidaktische Herausforderungen am Beispiel Graubünden

Im Kanton Graubünden ist der Lehrplan 21 seit dem Schuljahr 2018/19 für den Kindergarten bis zur 2. Klasse der Sekundarstufe I und seit 2019/20 auch für die 3. Klasse der Sekundarstufe I in Kraft gesetzt. Damit wurden die alten Lehrpläne aus den Jahren 2002 (Kindergarten), 1984 (Primarstufe) und 1993 (Sekundarstufe I) abgelöst.

Die aktuelle bildungspolitische Situation im Kanton Graubünden stellt sich folgendermaßen dar: Im Jahr 2009 wurde in Graubünden per Volksabstimmung die Ethik-Initiative der Jungsozialisten abgelehnt, die eine generelle Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts und anstelle dessen die Einführung eines obligatorischen Ethikunterrichts für alle gefordert hatte. Die Bündner Regierung und die beiden Landeskirchen empfahlen demgegenüber das Modell 1+1, welches neben einer Wochenlektion Religionsunterricht, die weiterhin durch die Landeskirchen erteilt wird, eine Stunde ‚Religionskunde und Ethik‘ durch kantonal ausgebildete Lehrpersonen vorsieht. Ohne Schönfärberei zu betreiben, ist festzustellen, dass die Einführung des Modells 1+1 in Graubünden etwas Nötiges und Wichtiges erreicht hat: Der Religionsunterricht, der in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein Schattendasein führte, der in den Schulen oft genug an den Rand der Stundentafeln gerückt wurde und auch in den Lehrerkollegien an Terrain verlor, wurde seit der Diskussion um das Modell 1+1 wieder ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt.

Fünf Jahre nach der Einführung des Lehrplans 21 haben sich die Diskussionen einerseits beruhigt. Andererseits treten die negativen Begleiterscheinungen für die Kirchen deutlicher zutage: Da die Einführung des Modells 1+1 für die beiden Kirchen bedeutete, dass sie durch die Einführung des ERG-Unterrichts 50% ihrer Stunden im schulischen Religionsunterricht verloren (1+1 = 1 Wochenlektion RU + 1 Wochenlektion ERG) war das ein gravierender Einschnitt. Die Kirchen hätten darauf so reagieren können, dass sie ihre Zusammenarbeit im Rahmen der verbleibenden 50% Präsenz an den Schulen weiter intensivieren. Leider ist seitdem aber oft genug das Gegenteil festzustellen: Als Reaktion auf das Modell 1+1 wurden häufig Formen des Ökumenischen Religionsunterrichts ganz aufgegeben oder in Blockzeiten organisiert, die nur noch monokonfessionell unterrichtet wurden. Obwohl an manchen Orten noch immer bewährte Formen der Konfessionellen Kooperation fortgeführt werden, ist eine anfangs heimliche, inzwischen offen zutage tretende Rekonfessionalisierung festzustellen, die vor allem auch aus dem Interesse entstanden, die ohnehin gesunkene Pensen der Religions-Lehrpersonen nicht noch weiter abzusenken. Bereits vor zehn Jahren haben wir in dieser Zeitschrift eine Gefahr beschrieben (Cebulj/Schlag, 2014), die sich leider inzwischen zu einer weiteren anti-ökumenischen Tendenz entwickelt hat. Dass da, wo der konfessionelle bzw. ökumenische Religionsunterricht noch am Lernort Schule erteilt wird, auch die Gefahr einer Rekatechetisierung hinzukommt, ist leider zur Realität und damit weiterhin zu einer religionsdidaktischen Herausforderung geworden (vgl. Mette, 2012).

5 Sprachsensibilität im ERG-Unterricht

Im Folgenden wird das Dissertationsprojekt „Religion und Sprachsensibilität“ vorgestellt, das an der Theologischen Hochschule Chur in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Graubünden durchgeführt wird. Es hat die Unterrichtsqualität im neu eingeführten Unterrichtsfach „Ethik-Religionen-Gemeinschaft (ERG)“ im Blick und erforscht Dimensionen der Sprachsensibilität im Unterrichtsprozess. Das Projekt wurde im Rahmen eines Workshops auf der GwR-Tagung „Religionspädagogik und Ethik/Philosophiedidaktik im Gespräch“ in Halle präsentiert und geht von der religionspädagogischen Wahrnehmung aus, dass seit längerer Zeit in den verschiedenen Fachdidaktiken das Schlagwort von der Sprachsensibilität im Unterricht diskutiert wird. Ausgehend von einzelnen Pilotprojekten und vorangetrieben von bildungspolitischen Initiativen ist es inzwischen in der Breite der schulischen Praxis angekommen. Der Begriff der Sprachsensibilität steht dabei in einer Reihe mit anderen Querschnittsthemen wie Kompetenzorientierung, Inklusion oder Digitalisierung, mit denen der Anspruch erhoben wird, fächerübergreifend zur Qualitätsentwicklung des Schulunterrichts beizutragen (vgl. Gogolin, 2021, 42ff.).

Auf der Seite der Lehrpersonen und Fachverantwortlichen ist festzustellen, dass die Vielzahl an didaktischen Innovationen der vergangenen Jahre häufig ein Gefühl der Überforderung zurücklässt. Das fällt umso stärker aus, je größer die Einsicht in die Notwendigkeit der jeweils angezielten Veränderungen ist. Die betroffenen Lehrpersonen fragen sich, wie es sein kann, dass ihr Unterricht, den sie gerade erst auf Kompetenzorientierung umgestellt haben, nun auch noch sprachsensibel sein soll. Angesichts dieser Herausforderungen wirkt es plausibel, dass das Thema Sprachsensibilität in einem kleinen Fach wie dem Religionsunterricht bisher vergleichsweise zurückhaltend rezipiert wurde (vgl. Altmeyer, 2021, 14). Das hier vorgestellte Projekt stützt sich auf die Erkenntnis, dass Sprache prinzipiell in jedem Unterrichtsfach einen Schlüsselfaktor darstellt, wobei der ERG-Unterricht mit seinen philosophischen und religionsbezogenen Fragestellungen vor besonderen sprachlichen Herausforderungen steht. Denn oft sind es gerade sprachliche Hürden, die das Erreichen von fachlichen Lernzielen erschweren oder gar verunmöglichen. Dabei bietet sich wie in anderen Fächern besonders in der Fachdidaktik ERG die Gelegenheit, über Sprache zu reflektieren, sprachliche Phänomene zu analysieren, Fachbegriffe und sprachliche Strukturen zu verdeutlichen oder Schreib- und Lesestrategien zu entwickeln.

5.1 Religion und Sprachsensibilität

In Theologie und Religionspädagogik ist die Bedeutung der Sprache unbestritten. Den Rahmen dieser ebenso bedeutsamen wie banal erscheinenden Feststellung bildet die anthropologisch-theologische Frage nach der Sagbarkeit Gottes in Geschichte und Gegenwart. Dabei zeigt sich das Sprachproblem der Gottesrede zum einen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Transformationen von Religion in Kultur und Gesellschaft. Zum anderen besteht je neu die hermeneutische wie didaktische Notwendigkeit, die Möglichkeiten menschlicher Gottesrede und religiöser Sprache in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft immer wieder neu zu entfalten. Religionspädagogisch geht es darum, die Bildungspotenziale und Lernmöglichkeiten des Sprechens von Gott, zu Gott und über Gott aufzuzeigen (vgl. Schulte, 2020). Bereits vor über 50 Jahren hat Hubertus Halbfas aus seinen Grundsatzüberlegungen zur Symboldidaktik die Schlussfolgerung gezogen, dass Religionsunterricht als Sprachunterricht anzulegen sei und legte später als Zusammenfassung seiner religionspädagogischen Reflexionen zur Bedeutung der Sprache eine ‚Religiöse Sprachlehre‘ vor (Halbfas, 2012). Obwohl seine markanten Forderungen sich später in kinder- und jugendtheologischen Ansätzen wiederfinden, wurde die eigentlich äußerst fruchtbare Debatte um Religion und Sprache nicht intensiv fortgeführt. Jedenfalls ist die Schnittstelle zwischen den fachübergreifenden Debatten um sprachsensiblen Unterricht in der Religionspädagogik erst vor kurzem im Jahrbuch der Religionspädagogik 37 (2021) aufgenommen worden.

5.2 Von der Alltags- zur Bildungssprache

Das Dissertationsprojekt ‚Religion und Sprachsensibilität‘ hat eine wesentliche Einsicht zutage gefördert: So überzeugend und im Grunde einfach das Anliegen des sprachsensiblen Unterrichts auch im Hinblick auf das religiöse Lernen zu sein scheint, so herausfordernd ist seine unterrichtspraktische Umsetzung. Im Rahmen dieses empirischen Forschungsprojekts wurde in einer 6. Primarklasse der Stadtschule Chur eine ERG-Lektionsreihe zum Thema „Religiöse Spuren im Alltag erkennen und erschließen“ (NMG-Kompetenz 12.1) mit Hilfe sprachsensibler Methoden durchgeführt und mit den Instrumenten der empirischen Unterrichtsforschung dokumentiert und analysiert. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entwicklung von der Alltags- zur Bildungssprache. Während die Alltagssprache für die Kinder der 6. Klasse eher eine ‚Sprache der Nähe‘ ist, stellt die Bildungssprache durch ihre Verdichtung und Formalisierung eher eine ‚Sprache der Distanz‘ dar. Es war interessant zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler während der Durchführung der empirisch dokumentierten Unterrichtsreihe dazu angeleitet wurden, einen doppelten Perspektivenwechsel zu erlernen (zum Begriff vgl. Dressler, 2012): Einmal von der Alltags- zur Bildungssprache, dann von der Fachsprache zur persönlich angeeigneten Sprache. Die besondere Kompetenz, die dabei im ERG-Unterricht erworben wird, ist der Wechsel zwischen der Innen- und Außenperspektive auf Religion. Die eigene Religion mit der Religion anderer ins Gespräch zu bringen und dabei verschiedene Standpunkte kennen zu lernen, kann bei den Schülerinnen und Schülern etwas sehr Wichtiges in Gang setzen: Respekt und Toleranz im Umgang miteinander (Cebulj/Petrini, 2023, 3).

5.3 Von der Fachsprache zur Schulsprache

Eine zweite leitende Unterscheidung im Rahmen des sprachsensiblen Unterrichts verläuft zwischen Fachsprache und Schulsprache. Dabei bezeichnet der Begriff Fachsprache „sprachliche Mittel und Formen, mit denen sich Fachexperten über ein Fachgebiet optimal verständigen können“ (Michalak/Lemke/Goeke, 2015, 55). Die Fachsprache nutzt eigene, fachspezifische sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten, um das Erlernte möglichst dicht und kompakt wiederzugeben. Es ist diejenige Dimension der Bildungssprache, die eine widerspruchsfreie und eindeutige Kommunikation in einem bestimmten Fachgebiet ermöglicht und durch eine klar festgelegte Terminologie definiert ist. Die Fachsprache dient in erster Linie der eindeutigen Informationsvermittlung und besitzt analytischen und deskriptiven Charakter (vgl. Leisen, 2022, 34). Die für den religionsbezogenen Unterricht typische Schulsprache ist am ehesten als vielfältiger Mix aus elementarisierten sprachlichen Formen zu konzipieren. Da religiöse Texte, Zeugnisse und Traditionen ohnehin von einer ganz eigenen Fachsprache geprägt sind, braucht es einen kreativen Variantenreichtum, mit dessen Hilfe religionsbezogene Themen im Unterricht modelliert werden. Neben dem erläuternden Zugang ist es sicher wichtig, Religion zu erfinden, zu entdecken und zu erörtern (vgl. Englert/Hennecke/Kämmerling, 2014, 51).

5.4 Unterrichtsbeispiel: „Ich finde, dass die Toten etwas Licht brauchen“

In einer Lektion der Unterrichtsreihe „Religiöse Spuren im Alltag“ geht es u.a. um Grabsteine. Die Schülerinnen und Schüler (SuS) berichten über Anknüpfungspunkte zu Alltagserfahrungen. Durch das Formulieren eines prägnanten, fachsprachlichen Merksatzes wechseln sie in die Kategorie der Bildungssprache und verknüpfen diese in einem zweiten Perspektivenwechsel mit ihrer individuellen Lebenswelt. Das wird an der folgenden Schüleräußerung sichtbar: «Ich finde, dass auch die Toten etwas Licht brauchen und für mich ist es ein Zeichen für die Hoffnung. Ich kann so auch an die schöne Zeit mit meiner Familie zurückblicken. Ich freue mich ebenfalls neue Kerzen anzuzünden. Ich finde das ist immer schön: ein Grab mit Kerzen.» (Nino, 6. Klasse).

Methodisch wird die Lektionsreihe durch teilnehmende Beobachtung untersucht, die strukturiert, offen und videobasiert angelegt ist (Rothgangel, 2018, 59). Mittels einer Sequenzanalyse werden einzelne Segmente des Unterrichtsgesprächs codiert und interpretiert:

Die Interpretation dieser Passage aus der Transkription (nach Kuckartz/Rädiker, 2022) zeigt, dass Nino sich unmittelbar mit einer fiktiven Person identifiziert, die verstorben ist und eine Innenperspektive einnimmt (Kategorien: IP=Innenperspektive, LB=Lebensweltbezug, EL=Eigenleistung). Mit den ersten beiden Worten signalisiert er, dass die folgende Erläuterung seine Meinung und Haltung widerspiegelt. Die erste Haltung, die wiedergegeben wird, lässt auf einen lebensweltlichen Bezug schließen, wobei sich sprachlich zwei inhaltliche Denkrichtungen zeigen: Der Schüler ist der Meinung, dass die Toten auch etwas Licht brauchen. Hier liegt ein mythisch-wörtliches Verstehen der Tatsache vor, dass die Verstorbenen im Jenseits weiterleben und die brennende Kerze diesen Verstorbenen in einer nicht genau definierten Form dient. In dieser Vorstellung wird die Kerze für die Verstorbenen entzündet, was im allgemeinen Sprachgebrauch eine übliche Redeweise ist. Die Interpretation lässt auf lebensweltliche Bezüge schließen, die möglicherweise biographisch verankert sind. Der persönliche Lebensbezug wird auch in der Anwendung von Hintergrundinformationen aus dem zuvor im Unterricht behandelten Fachtext deutlich, da zum einen die Hoffnungssymbolik verwendet wird und der Schüler zum anderen das Motiv der Verbundenheit mit persönlichen Erinnerungen entwirft.

6 Sprachsensibler Perspektivenwechsel als didaktische Chance

Das Forschungsprojekt zeigt, dass religionsbezogene Bildungsprozesse im Rahmen des Modells 1+1, wie es im Schweizer Kanton Graubünden praktiziert wird, zu einem doppelten Ziel führen: Einerseits erlernen Schülerinnen und Schüler im bekenntnisgebundenen Religionsunterricht Religion von innen kennen, andererseits üben sie im bekenntnisunabhängigen ERG-Unterricht ein, sich kritisch-reflexiv zu ihr zu verhalten. Sie lernen, wie sie an der Praxis einer Religion teilnehmen können, indem sie sich ihre Grundlagen aneignen. Gleichzeitig gilt es, dieser Praxis in kritischer Beobachtung gegenüberzustehen und die Haltung reflexiver Distanz einzunehmen. Der religionsbezogene Unterricht im Fach ERG besteht also im Wechsel zwischen Teilnahme und Beobachtung der Teilnahme, womit er einerseits ein intradisziplinärer Perspektivenwechsel ist. Andererseits kann im Kanton Graubünden, wo das komplementäre Miteinander von kirchlichem und bekenntnisunabhängigem Religionsunterricht im Rahmen des Modells 1+1 praktiziert wird, auch von einem interdisziplinären Perspektivenwechsel gesprochen werden. Die aktuell laufenden Evaluationen zeigen, dass sowohl der kirchliche Religionsunterricht wie auch der ERG-Unterricht einen wichtigen Beitrag zur Allgemeinbildung der Kinder und Jugendlichen leistet.

Die Didaktik des Perspektivenwechsels ist zwar kein Spezifikum des religionsbezogenen Unterrichts, denn sie gilt in modifizierter Art und Weise für alle schulischen Unterrichtsfächer. In Bezug auf die Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern mit religionsbezogenen Themen ist diese Didaktik jedoch als besondere Errungenschaft zu werten, denn Perspektivenwechsel bedeutet einerseits, dass sie religiös kommunizieren lernen und damit als Religion die Welt beobachten. Andererseits lernen sie über Religion zu kommunizieren und beobachten damit, wie Religion die Welt wahrnimmt und deutet (Cebulj, 2020, 280). Damit wird sowohl in die fachliche Binnenperspektive von Religion als auch in deren Außenperspektiveeingeführt. Darüber hinaus wird durch diese doppelte Perspektive versucht, einem szientistischen Fundamentalismus entgegenzuwirken, der behauptet, die Welt könne erschöpfend durch empirisches Tatsachenwissen erklärt werden: „In einem szientistisch reduzierten Lernhorizont hätte Religion keinen Ort“ (Dressler, 2014, 69).

Religionsbezogene Bildungsprozesse führen demnach zu dem doppelten Ziel, dass Schülerinnen und Schüler sowohl die Rationalitätsmuster von Religion erlernen, als auch einüben, sich kritisch-reflexiv zu ihr zu verhalten. Sie müssen an der Praxis einer Religion teilnehmen können, indem sie ihre Regeln beherrschen. Gleichzeitig gilt es, dieser Praxis in kritischer Beobachtung gegenüberzustehen und die Haltung reflexiver Distanz einzunehmen. Religionsunterricht besteht also im Wechsel zwischen Teilnahme und Beobachtung der Teilnahme, womit er primär ein intradisziplinärer Perspektivenwechsel ist. In denjenigen Schweizer Kantonen, die das komplementäre Miteinander von konfessionellem und bekenntnisunabhängigem Religionsunterricht praktizieren, kann daneben auch von einem interdisziplinären Perspektivenwechsel gesprochen werden. Beide Modelle zeigen, dass der Religionsunterricht durch kein anderes Unterrichtsfach ersetzt werden kann, sondern seinen spezifischen Modus der Welterschließung ins Konzert des schulischen Fächerspektrums einbringt.

Diese didaktischen Beobachtungen werden im Forschungsprojekt durch die Methode der Sprachsensibilität ergänzt: Da religionsbezogenes Lernen sich grundsätzlich an diskursiven, kommunikativen, textlichen oder symbolischen Elementen orientiert, ist im Kontext des religionsbezogenen Sprechens im Anschluss an Stefan Altmeyer auf folgende Unterscheidungen zu verweisen: Er differenziert zwischen der objektivierenden Sprache der Religion und der subjektivierenden Sprache für Religiöses. Beide Dimensionen spiegeln auf unterschiedliche Weise die fachsprachlichen Zugänge zum Lerninhalt. Zum anderen ist es die Förderung der Sprachkompetenzen, die die Lernenden als Sprechende im Verhältnis zum religionsbezogenen Inhalt in den Blick nimmt. Hier ist zwischen der Außenperspektivie des Sprechens über Religion und der Innenperspektive des religiösen Sprechens zu unterscheiden (vgl. Altmeyer 2021, 24)

 

Sprachsensibler ERG-Unterricht, der die Schüler:innen zum verantwortungsvollen und mündigen Umgang mit religionsbezogenen Inhalten anleitet, erschließt elementare Formen der überlieferten religionsbezogenen Konventionen (Sprache der Religion), beschäftigt sich mit individuellen Ausdrucksformen dieser angeeigneten Konventionen (Sprache für Religiöses), bemüht sich um eine Förderung der religionsbezogenen Urteils- und Dialogfähigkeit (Sprechen über Religion) und thematisiert die lebensrelevante Verankerung der religionsbezogenen Inhalte in den lebensweltlichen Netzwerken der Lernenden (Religiöses Sprechen). Zwischen diesen Sprachebenen gilt es nun durch einen mehrfachen Perspektivenwechsel vermittelnde Wege im Lehr-Lern-Prozess zu modellieren (vgl. Altmeyer 2021, 24f.).

7 Entwicklungsaufgaben für die Religions- und ERG-Didaktik

Die Entwicklung sprachsensibler Unterrichtsmethoden ist eine Entwicklungsaufgabe, die sowohl die Religionsdidaktik als auch die ERG-Didaktik betrifft. Dazu ist grundsätzlich zu sagen, dass es aufgrund der – im Vergleich zu Deutschland – geringen institutionellen Verflechtung zwischen Kirchen und Theologischen Fakultäten weder Garantien noch Verpflichtungen hinsichtlich einer universitären Ausbildung für Religionslehrpersonen gibt. Durch die mit dem Lehrplan 21 einhergehende Verlagerung der Verantwortung für den religionsbezogenen Unterricht auf Pädagogischen Hochschulen eröffnen sich für die universitäre Religionspädagogik neue Aspekte in Forschung und Lehre. Didaktisch tritt mit der Einführung des bekenntnisunabhängigen Religionsunterrichts im Rahmen des Lehrplans 21 die didaktische Einsicht zutage, dass durch das Einüben des Perspektivenwechsels zwischen der Innensicht und der Außensicht auf Religion Kinder und Jugendliche ein neues Lernfeld für gegenseitigen Respekt und Toleranz hinzugewinnen. Das sind Fähigkeiten, die für das friedliche Miteinander in unserer religionspluralen Gegenwart von großer Wichtigkeit sind. Der sprachsensible Unterricht im Fach „Ethik-Religionen-Gemeinschaft“ leistet damit einen bescheidenen, aber nicht weniger aussichtsreichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der religionsbezogenen Bildung am Lernort Schule, der zahlreiche Schnittstellen zur Ethik- und Philosophiedidaktik bietet.

Auch wenn die bildungspolitischen Weichenstellungen mit dem Schweizer Lehrplan 21 von den Kirchen mit Recht als Verlust beklagt wurden, machen sie doch eines deutlich: Der Bildungsgegenstand Religion nimmt in der Schweiz auch in Zukunft einen so wichtigen Platz in der Gesellschaft ein, dass er mit einem eigenen verpflichtenden Schulfach für alle Schülerinnen und Schüler im Bildungskanon der Volksschulen verankert wurde. Das heißt auch, dass Religion nicht privatisiert oder für bedeutungslos erklärt wird. Sie wird auch nicht funktionalisiert, in dem sie im Ethikunterricht aufgeht. Vielmehr bietet die Reform der religionsbezogenen Bildung in der Schweiz im Rahmen des Lehrplans 21 interessante Ansatzpunkte für die Frage nach der Zukunft religiöser Bildung auch in ihren europäischen Nachbarländern.

Literaturverzeichnis

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Cebulj, C./Petrini, E. (2023). Sprache schafft Respekt. Zum Forschungsprojekt “Religion und Sprachsensibilität“. In: Südostschweiz vom 19.10.2023, Beilage Bilden & Forschen in Graubünden, 3.

Dressler, B. (2012). „Religiös reden“ und „über Religion reden“ lernen – Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels (S. 68-78). In: Grümme, Bernhard u.a. (Hg.): Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik (Religionspädagogik innovativ, Bd. 1), Stuttgart: Kohlhammer.

Englert, R./Hennecke, E./Kämmerling, M. (2014). Innenansichten des Religionsunterrichts. Fallbeispiele – Analysen – Konsequenzen, München: Kösel.

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Prof. Dr. Christian Cebulj ist Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Hochschule Chur (CH).

Lic. theol. Eric Petrini ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Theologischen Hochschule Chur (CH).