Die diesjährige GwR-Jahrestagung stand unter dem Titel „… hier sollte eigentlich ein Titel stehen. Wissenschaftskommunikation in der Religionspädagogik“ und fand zum ersten Mal in der Wein- und Mainstadt Würzburg statt. Das Spiel mit der Titelverweigerung führt direkt in unser Thema oder, um zu präzisieren, in das Desiderat, das mit dieser Thematik in unserer Disziplin verbunden ist.
Seit der Corona-Pandemie sind nicht nur durch die mediale Präsenz des Virologen Christian Drosten Fragen nach der angemessenen Wissenschaftskommunikation im Wechselspiel von Wissenschaft, Medien, Politik und auch Kirche neu ins Bewusstsein gerückt. Es stimmt jedoch nicht, dass Wissenschaftskommunikation erst im Zuge der Corona-Pandemie entstanden ist, obwohl diese – so der Sozialwissenschaftler Peer Pasternack – eine Art Schnellkurs in „Wissenschaftstheorie für alle“ (Pasternack & Beer, 2022, S. 9) war. Gleichwohl hat gerade die Corona-Zeit die Chancen wie Herausforderungen von Wissenschaftskommunikation deutlich vor Augen geführt.
Bereits 2019 forderte die damalige Wissenschaftsministerin Anja Karliczek Wissenschaftler*innen dazu auf, in den Dialog mit der Gesellschaft zu treten (Karliczek, 2019). Im gleichen Jahr entstand ein Grundsatzpapier des BMBF zur Wissenschaftskommunikation (BMBF, 2019), und mittlerweile gibt es eine Förderrichtlinie des BMBF (BMBF, 2024), mit der seit 2024 elf Projekte zur Wissenschaftskommunikation unterstützt werden.
Auch ein Blick auf die Aktivitäten und Ausrichtung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften offenbart ein stärkeres Augenmerk auf Wissenschaftskommunikation, z.B. in einem neuen Format, in dem Wissenschaftler*innen vom „Elfenbeinturm auf den Marktplatz“ gehen und im direkten Gespräch mit Bürger*innen Wissenschaft kommunizieren.1 Fast parallel zu unserer Tagung fand außerdem die Wisskomm connected statt, die von der Transfer Unit2 verantwortet wurde. Im Zentrum stehen dort auch Fragen nach dem Verhältnis von Wissenschaftskommunikation und Fachdidaktiken.3
Außerdem wird an den Hochschulen im Rahmen der Third Mission für transdisziplinäre Forschung und transformative Wissenschaft geworben. Der Interdisziplinarität wird hier die Transdisziplinarität an die Seite gestellt. Damit ist bereits markiert, dass mit Wissenschaftskommunikation zunächst vor allem jene zwischen Wissenschaft und Umfeld gemeint ist. Dabei geht es um die Überbrückung, nicht aber die Entgrenzung zwischen wissenschaftlichen Wissensformen einerseits und praktischen Wissensformen andererseits.
Diese hier kursorisch skizzierten Bewegungen hin zur aktiveren, bewussten und reflektierten Wissenschaftskommunikation sind nicht zufällig, sondern hängen zusammen mit zunehmender Komplexität, aber auch mit der Akzeptanzfrage von Wissenschaft und Faktizität in der Gesellschaft im analogen wie im digitalen Raum. Insbesondere bei aktuellen Fragen und Nachrichten ist wissenschaftliche Expertise gefragt.
Auch hochschuldidaktisch braucht es gute Wissenschaftskommunikation, um Forschungskomplexität zu elementarisieren und zu plausibilisieren – darauf verweisen auch die nachträglichen Einschätzungen von Religionslehrkräften hinsichtlich der beruflichen Relevanz ihres Studiums. In Anbetracht des Lehrkräftemangels und der Konkurrenzsituation zwischen Universität und Schule ist diese Aufgabe nicht kleiner geworden.
Allen Wissenschaftssdisziplinen ist in der Kommunikation mit der (medialen) Öffentlichkeit die Herausforderung eigen, die unterschiedlichen Logiken zwischen Fachdisziplin und Medien in Zusammenhang zu bringen (vgl. hierzu den Beitrag von Julia Metag). Der Wissenschaftslogik mit ihrer Differenzierung, ihren multikausalen Erklärungen, der Einbeziehung von Paradoxien etc. steht das öffentliche Interesse nach schnellem Verständnis und Handlungsrelevanz gegenüber. Medienschaffende wünschen häufig knappe, eindeutige Botschaften, während Wissenschaftler*innen dazu verpflichtet sind, differenziert zu arbeiten und konkurrierende Deutungen in ihrer Komplexität darzustellen.
Hier wird bereits deutlich, dass Pädagogik und Fachdidaktiken im Blick auf diese Fragen einen Kompetenzvorschuss mitbringen. So formulierte auch David Käbisch in unseren Vorüberlegungen zur Tagung, dass Wissenschaftskommunikation nicht nur, aber auch eine didaktische Aufgabe sei, weil es im Kern ebenfalls darum gehe, einen komplexen Sachverhalt didaktisch zu reduzieren und die klassischen W-Fragen dafür heranzuziehen. Darüber hinaus ist die Religionspädagogik mit Um- und Handlungsfeldern wie Schule, Gemeinde, Medien etc. reflexiv verbunden.
Die vielfältigen Bewegungen hin zur verstärkten Wissenschaftskommunikation gehen mit Fragen guter Wissenschaftskommunikation einher (vgl. dazu den Beitrag von Tanja Gojny und Mirjam Zimmermann), werfen aber auch Fragen nach dem Stellenwert gelingender externer Kontaktpflege als Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Prozesse auf, zumal dann, wenn diese mit Legitimitätsfragen verknüpft wird. Insbesondere letzte Frage stellt sich im Blick auf die Geisteswissenschaften und noch einmal verstärkt im Blick auf Theologie und Religionspädagogik besonders. Wolfgang Ilg systematisiert in seinem Beitrag aus empirischer Perspektive die Ausgangslage in Religions- und Gemeindepädagogik.
Geisteswissenschaftler*innen, so konstatiert Viola van Melis – die Wissenschaftskommunikatorin des Excellenzclusters Politik und Religion an der Universität Münster – schon 2015, sind Nachzügler*innen auf dem Feld der Wissenschaftskommunikation (van Melis, 2015). Wissenschaftliche Theologien geben ihre Expertise kaum außerhalb der Wissenschaft und kirchlicher Milieus weiter. Van Melis vermutet, dass die säkulare und plurale Gesellschaft als Gefahrenzone empfunden wird. Demgegenüber identifiziert sie aber ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Aufklärung und Vermittlung bei Fragen religiös-weltanschaulicher Pluralität. Weiteren Bedarf sieht van Melis außerdem auf redaktioneller Seite, weil z.B. die Mitarbeitenden in unterbesetzten Redaktionen nicht nur keine Expert*innen seien, sondern Mühe beim Verstehen der Universitätswebseiten hätten, sodass eher auf Copy & Paste gesetzt würde. Deshalb plädiert van Melis dafür, nicht zu warten, von Journalist*innen angeschrieben zu werden, sondern die Erkenntnisse aus Forschungen proaktiv zu verbreiten (van Melis, 2015). Offen ist hier die Frage nach den Adressat*innen, denn diese bestimmen, was wie rezipiert wird.
David Käbisch hatte demgegenüber in unseren Vorüberlegungen wahrgenommen, dass die Ergebnisse der Religionspädagogik nicht zur Kenntnis genommen werden. Auch der Beitrag von Bernhard Grümme in diesem Heft deutet eher in diese Richtung.
2018 konstatierte Bernhard Grümme auch für die Religionspädagogik einen public turn, einen Drang der Wissenschaften in die Öffentlichkeit (Grümme, 2018). Die hermeneutische Frage lautet für den Autor hierbei: „Wie kann die Expertise der Wissenschaften ohne Substanzverlust durch Übersetzung Relevanz gewinnen?“ (Grümme, 2020). Kann man den Ansatz der Öffentlichen Theologie und Religionspädagogik, die ja auch als Ausdruck des public turn zu verstehen sind, als wissenschaftskommunikatives Programm der Theologie und Religionspädagogik beschreiben? Bei dieser Frage geht es schließlich auch um die Zielperspektive von Wissenschaftskommunikation und öffentlicher Religionspädagogik.
Mit dem public turn der Wissenschaften sind nicht zuletzt auch die open science-Initiativen wie – eng damit verknüpft – auch die Internationalisierung der Religionspädagogik verbunden. Im Blick auf open science kann die Religionspädagogik mit Open-Access-Formaten wie WiReLex, der KMU, relithek, rpi-virtuell und öffentlichen Bildungsangeboten einiges vorweisen. Hinzu kommt, dass nicht nur in der Religions- und Bildungsforschung, sondern auch im kirchlichen Bereich neue Formate der Glaubenskommunikation und des Transfers theologischen Wissens entwickelt werden. Ilona Nord analysiert hierzu die digitale Seite der Wissenschaftskommunikation in ihrem Beitrag. Henrik Simojoki und Benjamin Ahme reflektieren die internationalen Dimensionen der Wissenschaftskommunikation innerhalb der Religionspädagogik.
Die Frage nach der Kommunikabilität der Theologie und Religionspädagogik ist als transdisziplinäre im Zusammenhang mit Fragen der Wissenschaftskommunikation neu gestellt. Gibt es hierbei ein Theorie- oder ein Kommunikationsproblem? Sicherlich kann ein theoretisches Desiderat im Blick auf Wissenschaftskommunikation beobachtet werden. Nicht abzustreiten ist aber, dass Kirche und Theologie als Ganzes ein Kommunikationsproblem haben. Insbesondere in der Kommunikation zwischen Theologie und Öffentlichkeit treten nicht nur die unterschiedlichen Logiken von Wissenschaft und Medien erkennbar zutage, sondern diese konfligieren zudem mit kirchenbezogener Öffentlichkeitswahrnehmung bzw. werden auch davon gerahmt: Kann die Religionspädagogik hier mit ihrer didaktischen Expertise zur adressat*innengerechten Kommunikation einen spezifischen Beitrag dazu leisten, dieser Aufgabe zu begegnen? Wissenschaftskommunikation ist schließlich ein notwendiger und lohnender Beitrag zur Teilhabe, zur Partizipation an einer demokratischen Gesellschaft und im Sinne einer Öffentlichen Religionspädagogik profilierbar.
Offen war bislang aus religionspädagogischer Sicht, wie sich das Fach zur Wissenschaftskommunikation verhält und wie sich die Aufgabe der Wissenschaftskommunikation bislang im Fach darstellt bzw. darstellen sollte oder könnte. Von daher war es an der Zeit, diese Dimension der wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit, diesen spezifischen Kommunikationsmodus, genauer in den Blick zu nehmen.
Susanne Schwarz, Ulrike Witten, Laura Weidlich
Quellen:
BMBF (2024). Wissenschaftskommunikation in der Projektförderung. URL: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/1/668936_Wissenschaftskommunikation_in_der_Projektfoerderung.pdf?__blob=publicationFile&v=6.
BMBF (2019). Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Wissenschaftskommunikation. URL: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/1/24784_Grundsatzpapier_zur_Wissenschaftskommunikation.pdf?__blob=publicationFile&v=4.
Grümme, B. (2020). Öffentlichkeit. URL: https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/9-politische-und-rechtliche-dimensionen-religioeser-bildung/oeffentlichkeit [Zugriff: 6.12.2024].
Grümme, B. (2018). Aufbruch in die Öffentlichkeit? Reflexionen zum "public turn" in der Religionspädagogik. transcript: Bielefeld.
Karliczek, A. (2019). „Wissen verpflichtet auch zu seiner Vermittlung“. URL: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/wissen-verpflichtet-auch-zu-seiner-vermittlung.html [Zugriff: 6.12.2024].
Pasternack, P. & Beer, A. (2022). Die externe Kommunikation der Wissenschaft in der bisherigen Corona- Krise (2020/2021). Eine kommentierte Rekonstruktion (HoF-Arbeitsbericht 118), unt. Mitarb. von Justus Henke, Sophie Korthase und Philipp Rediger, Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther- Universität, Halle-Wittenberg 2022. URL: https:// www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/ab_118.pdf [Zugriff: 6.12.2024].
Van Melis, V. (2015). Die Theologie sollte mehr Wissenschaftskommunikation betreiben: Religion in der Öffentlichkeit. Herder Korrespondenz, 9, S. 453–457.