Credition kommt vom lateinischen credere (glauben). Das Wort stammt aus einem Forschungsgebiet, das mit dem vorliegenden Beitrag bekannt gemacht werden soll. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob sich daraus für die Religionspädagogik relevante Einsichten ableiten lassen. Credition ist analog zu Wörtern wie Kognition, Emotion, Motivation oder Volition gebildet, die in Psychologie oder Kognitionswissenschaft zum terminologischen Standardrepertoire gehören. In den auf Englisch stattfindenden Forschungen findet sich anstelle von Credition auch process of belief oder processes of believing. Im Deutschen könnte man Credition am ehesten mit im Inneren ablaufender Glaubensvorgang übersetzen.
1 Hintergrund
Die Forschungen unter dem Namen Credition Research Project wurden im Jahre 2011 an der Karl-Franzens-Universität etabliert[1]. Seither fanden zu dieser Thematik jährlich einer oder mehrere Kongresse statt (Angel, 2023b), und es entfaltete sich eine dynamischen Publikationstätigkeit (Angel, Oviedo, Paloutzian, Runehov & Seitz, 2017; Angel, 2023a). Bei dem Projekt handelt es sich um eine global vernetzte Forschung, die mit etlichen weiteren Universitätsstandorten (insbesondere Atlanta, Delhi, Madrid, München, Peking, Rom, Santa Barbara, Sendai, Thessaloniki) verbunden ist. Von Beginn an wurde das Forschungsprojekt – quasi als Doppelpass – aber vor allem in enger Kooperation mit der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf betrieben. Der wissenschaftliche Austausch ist hochgradig inter- und transdisziplinär; beteiligt sind so unterschiedliche Disziplinen wie Philosophie, Psychologie, Neurowissenschaft, Pharmakologie, Medizin, Kognitionswissenschaft, aber auch Rechts-, Wirtschafts- und Technikwissenschaft.
An der TU Graz wurde 2018, an der MedUni Graz 2023 ein CreditionLab eröffnet[2]. Im vorliegenden Beitrag soll nun überlegt werden, ob sich aus diesen Forschungen Erträge für die Religionspädagogik gewinnen lassen.
1.1 Eigenartige Formulierung
Die Formulierung der Überschrift mag sonderbar klingen: Zunächst kommt das vermutlich unbekannte Wort Credition, dieses wird anscheinend mit dem englischen process of belief erläutert, dann folgt das deutsche Wort Glaubensvorgang. Doch auch darunter kann man sich kaum etwas vorstellen. Der Ausdruck ist eine Übersetzung, die Forschungen, denen er entstammt, finden in Englisch statt. Dementsprechend gibt es bislang auch so gut wie ausschließlich englischsprachige Publikationen. Darin wird man den Ausdruck Glaubensvorgang nicht finden. Man hört ihn allenfalls bisweilen auf Konferenzen, wenn Teilnehmer:innen sich miteinander auf Deutsch unterhalten. Früher wurde anstelle von Glaubensvorgang häufiger der Ausdruck Glaubensprozess verwendet. Mit diesem Wort Glaubensprozess kann sich jedoch – sofern kein näherer Bezug zu den genannten Forschungen besteht – leicht die problematische Assoziation verbinden, dass es dabei um Gerichtsprozesse in Sachen 'Glaube' gehe. Recherchiert man im Internet nach „Glaubensprozess“, stößt man tatsächlich auf Websites, die man besser nicht hätte anklicken sollen. Das heißt: Die Assoziation Gerichtsprozess in Sachen 'Glaube' ist durchaus möglich, doch sie führt in die Irre. Beim englischen Stichwort process of belief ist diese Gefahr nicht gegeben, da für 'Gerichtsprozess' trial verwendet würde. Process of belief oder processes of believing ist in englischsprachigen Publikationen weiterhin eine verbreitete Terminologie. Sie transportiert Probleme anderer Art, doch sie alle sind – zumindest auf terminologischer Ebene – ausgeräumt, sobald man das Wort Credition[3] verwendet.
1.2 Credition und Religionspädagogik
Die Überlegungen des vorliegenden Beitrags sind auf die deutschsprachige Religionspädagogik ausgerichtet. Deswegen wird im weiteren Verlauf des Beitrags von Glaubensvorgang die Rede sein. Auch im ersten deutschsprachigen Einführungswerk, das mittlerweile für das Forschungsgebiet vorliegt (Angel, 2022a), wird diese Sprachregelung favorisiert. Allerdings müsste man dennoch etwas präzisieren und explizit von inneren (also körperlichen) Glaubensvorgängen sprechen. Credition meint genau dieses: Im Innern ablaufender körperlicher Glaubensvorgang.
Bislang hat das Credition Research Project fast nichts mit Religionspädagogik zu tun, obwohl es in seiner frühen Vorphase gerade auf religionspädagogischem Mutterboden entstand. Zwischen 1998 und 2005 fand eine Serie von Kongressen statt (bekannt als Regensburger Symposien). Dort ging es um Sondierungen zum Verständnis von Religiosität. Die Erträge dieser religionspädagogisch motivierten Religiositätsforschung wurden publiziert (Angel, Bröking-Bortfeldt, Hemel, Jacobs, Kunstmann, Pirner & Rothgangel, 2006); in einem der Beiträge wurde erstmals der Terminus Credition ins Spiel gebracht:
„Wäre denkbar, dass die Ursache für die scheinbar unvereinbaren Positionen in unartikulierten Implikationen der zugrunde liegenden Grundannahmen gesucht werden muss? Und könnte es sinnvoll sein, eben diese Grundannahmen einer psychologischen Anthropologie zu hinterfragen? Wäre es hilfreich, neben 'Kognitionen' und 'Emotionen' noch eine dritte Größe zu platzieren, die man – so möchte ich vorschlagen – als 'Creditionen'bezeichnen könnte?“ (Angel, 2006, S. 71).
Ich habe die Formulierung dieses Satzes als „die Geburtsstunde von Credition“ bezeichnet (Angel, 2022a, S. 504). Dass es dann ab 2011, also über ein halbes Jahrzehnt nach dem Ende der Regensburger Symposien, zur Etablierung der Creditionenforschung kam, ist somit unvorhersehbare Spätfolge eines ursprünglich explizit religionspädagogisch motivierten Interesses (Angel, 2022b). Doch diese Anfangsgründe der Creditionenforschung liegen mittlerweile im Dunkeln. Bei einem „Blick hinter den Vorhang der Forschungsgeschichte“ (Angel, 2022a, S. 488−525) wurden die damals diskutierten theoretischen Implikationen sowie deren religionspädagogische Bedeutung nochmals ins Licht gerückt. In den letzten zwanzig Jahren, also seit dem Ende der Regensburger Symposien, gab es dann allerdings zwischen Creditionenthematik und Religionspädagogik so gut wie keine weitere Berührung mehr. Mit dem vorliegenden Themenheft von theo-web wird nun der erste Versuch unternommen, Creditionen wieder mit ihren Ursprüngen in Beziehung zu bringen. Das ermöglicht somit nochmals – bzw. genaugenommen erstmals – deren Bedeutung für die Religionspädagogik zu reflektieren.
2 Credition: Grundlagen
Es gehört zu meinen Erfahrungen, dass es – nicht nur, aber gerade auch innerhalb der Scientific Community der Religionspädagogik – bei einem Erstkontakt schwer verständlich zu machen ist, um was es bei Credition geht und womit sich das Credition Research Project beschäftigt. Es stellt tatsächlich eine gewisse Herausforderung dar, wenn man beginnen möchte (Madzarevic, 2022), sich der Creditionenthematik anzunähern. Mittlerweile sind allerdings viele der zu überwindenden Hürden identifiziert und zusammengestellt (Angel, 2022a). In direktem Zusammenhang mit dieser Ausgabe von theo-web geschah dies auch nochmals explizit mit einem auf die Religionspädagogik ausgerichtetem Interesse (Angel, 2023c). Die Zusammenhänge können also in detaillierter Weise nachgelesen werden. Deswegen soll hier lediglich anhand einiger ausgewählter Aspekte stichwortartig – und keineswegs vollständig – skizziert werden, worum es im Credition Research Project geht, und was es mit Credition auf sich hat. Credition in a Nutshell gewissermaßen[4].
2.1 Ausgangssituation
In den für die Creditionenforschung besonders relevanten Bezugswissenschaften wie Psychologie (Angel, 2022a, S. 467−473) und Religionspsychologie (Angel, 2022a, S. 473−476) gehört 'Glaube' nicht zu den markanten Themen. Das gleiche gilt für die Neurowissenschaft, für die von neuroposychiatrischer Seite noch vor kurzem geradezu ein neglect of belief konstatiert wurde (Connors & Halligan, 2015). Demgegenüber ist Glaube traditionell ein zentrales Thema der Epistemologie und Bewusstseinsphilosophie.
Das Credition Research Project beschäftigt sich mit Struktur und Funktion von Creditionen. Die vielfach verzweigte Analyse erfolgt sowohl in Bottom-up (from Genes to Culture) als auchin Top-down-Verfahren. Zu den theoretisch relevanten Problemlagen der Creditionenforschung gehört, dass Glaube in Epistemologie und philosophy of mind meist im Sinne eines inhaltlichen (propositional belief) und stabilen Glaubens (state of mind) verstanden wird. Solch statisch konzipierten Ansätzen steht die Creditionenforschung diametral gegenüber: Statisch verstandener Glaube ist nicht das gleiche wie Glaubensvorgang (Credition[5]) und ein Verständnis von Glauben trägt zu einem Verständnis von Glaubensvorgängen so gut wie nichts bei. Deswegen gehört die Klärung des Verhältnisses eines statischen und eines prozessualen Glaubensverständnisses zum Kern des Forschungsprojekts. Dieses hat drei unterschiedliche Forschungszweige: Credition basic research (Grundlagenforschung), credition applied research (Anwendungsforschung) und credition implementation research (Implementierungsforschung).
2.2 Wichtige Unterscheidungen
Es ist von vornherein und permanent eine wichtige Unterscheidung von Ebenen im Blick zu behalten. Werden sie nicht auseinandergehalten, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Dies zu betonen ist wichtig, weil die Unterschiede durch sprachliche Formulierungen leicht verwischt werden können.
Glaubensvorgänge selbst sind nicht fassbar.
Fassbar sind theoretische und konzeptionelle Vorstellungen, die auf der Basis empirischer (bes. neurophysiologischer) Befunde entwickelt werden. Das Herausarbeiten eines solch konzeptionellen Verständnisses von Glaubensvorgängen ist das Anliegen der Grundlagenforschung[6]. Die folgenden Darstellungen beziehen sich auf das konzeptionelle Verständnis.
Von den konzeptionellen Befunden der Grundlagenforschung ist das model of credition zu unterscheiden. Bei ihm handelt es sich um ein funktionales Prozessmodell, das als Referenzgröße in Kommunikations- und Entscheidungssituationen dienen kann. Entwicklung und Erprobung des Modells sind Gegenstand von Anwendungsforschung (credition applied research)und Implementierungsforschung (credition implementation research).
Schließlich generieren wissenschaftliche Forschung kontinuierlich neue empirische Befunde. Deswegen ist auch das theoretische Zueineinander von concept of credition und model of credition einer permanenten Analyse zu unterziehen, um dieses ggfls. optimieren zu können. Diese Herausforderung ist für die Forschung zentral, für die Religionspädagogik allerdings gegenwärtig irrelevant – obwohl sie hierzu grundsätzlich Impulse liefern könnte.
2.3 Wissenschaftliche Verortung
Die Entwicklung einer Creditionentheorie bedarf zunächst vielfacher Begriffsklärungen. Eine Klarstellung des Verhältnisses von begrifflicher Arbeit und empirischer Forschung ist essenziel. Nach meiner Auffassung ist Credition wissenschaftlich in der Kognitionswissenschaft anzusiedeln, wobei Glaubensvorgänge nur als embedded and embodied zu verstehen sind. Glaubensvorgänge laufen 'in der Zeit'ab. Demzufolge muss Credition ein transformiertes Glaubensverständnis zugrunde gelegt werden, in dem Glaube und Zeit theoretisch verschmolzen sind. Damit wird die Creditionentheorie eine angewandte Prozesstheorie bzw. präziser formuliert a cognitive theory of mind in process. Nun wird die Frage nach dem Charakter von Zeit dominant. Auch wenn dies im Blick auf ein umfassendes zeitbasierts Creditionenverständnis reduktionistisch ist, beschränkt sich der empirische Ansatz der Creditionenforschung auf messbare Zeit.
2.4 Evolutionäre Entwicklung der Glaubensfähigkeit
Die Fähigkeit 'glaubenzu können' (Glaubensfähigkeit:capacity of believing) hat sich im Zusammenhang mit der Hirnentwicklung ausgeprägt. Insbesondere scheint es im Parietallappen zu einer signifikanten Entwicklung gekommen zu sein, die eine sogenannte „triadische Nischenkonstruktion“ (triadic niche construction) ermöglichte (Iriki & Takoa, 2012). Auf dieser Basis kann man vermuten, dass „the neural processes underlying formation and maintenance of beliefs” zu den treibenden Faktoren der Gehirnentwicklung gehörten (Seitz & Angel, 2020). Dabei wird die Glaubensfähigkeit aus evolutionsbiologischer Sicht sogar als die „most prominent, promising, and dangerous capacity that humanity has evolved“ angesehen (Fuentes, 2019, S. IX).
2.5 Credition als Gehirnfunktion
Mit dieser Gehirnentwicklung (brain evolution) hängt zusammen, dass man Creditionen als Ausdruck von Gehirnfunktion (brain function) ansehen kann (Angel & Seitz, 2016). Sie ermöglicht eine spezifische Art von higher cognitive[7] abilities. Deswegen kann man nicht 'nicht glauben': „Humans are hardwired for creditions“ (Angel, 2022a, S. 486). Der Ablauf von Creditionen ist auch empirisch (z.B. neurophysiologisch) nachweisbar und analysierbar; er spielt sogar bei enttäuschten Erwartungen eine Rolle (Angel & Seitz, 2017).
2.6 Pathologie von Creditionen
Allerdings können Glaubensvorgänge genau wie alle anderen biologischen Prozesse – in klinischem Sinne – gestört sein. Die Störungen können unterschiedlicher Art sein und mit verschiedenen klinischen Krankheitsbildern zusammenhängen (Paloutzian, Seitz & Angel, 2018; Seitz, 2021; 2023). Bewusstseins- oder Persönlichkeitsstörungen können dementsprechend genauso Folge eines gestörten Ablaufs von Creditionen sein, wie eine pathologische Ausprägung von Religiosität (Angel, 2022a, S. 694−711).
3 Charakteristika von Creditionen
In aller Kürze und ohne erforderliche Differenzierung sollen nun schlagwortartig einige Charaktistiken von Creditionen aufgezählt werden.
3.1 Merging
Creditionen sind Vorgänge, die innere Erfahrungen (z.B. körperliche Befindlichkeit, Interoception, u.a.) mit der äußeren Wirklichkeit in Verbindung bringen und zu einer einheitlichen mentalen Repräsentation verschmelzen: credition is a process of merging internal and external reality (Angel, 2021).
3.2 Emotionen
Creditionen sind immer emotional gefärbt: no believing without emotion (Angel, 2016). Glaubensvorgänge ohne Beteiligung von Emotionen sind generell nicht möglich. Dies dürfte einer der wichtigen Anknüfpungspunkte für einen Zugang der Religionspädagogik sein (Emotionen. Sonderausgabe theo-web, 21. Jahrgang 2022).
3.3 Bedeutungsproduktion
Creditionen spielen eine zentrale Rolle, wenn Gegenständen, Ereignissen oder Narrativen subjektive Bedeutung zuerkannt wird (meaning-making). Bildlich gesprochen geben Creditionen Auskunft darüber: Was bedeutet dieses oder jenes für mich? (Seitz, Paloutzian & Angel, 2016; Paloutzian & Mukai, 2017). Creditionen sind damit ein wesentlicher Faktor für die Generierung von Weltsichten (worldviews) und die Übernahme von Narrativen.
3.4 Konstitution des Selbst
Infolge der dabei vonstattengehenden hochkomplexen physiologischen und neuronalen Prozesse spielen Creditionen eine wichtige Rolle beim Aufbau des eigenen Selbst-Verständnisses. Aus neurophysiologischer Sicht werden Creditionen allerdings auf Basis eines multi-layerd self generiert (Sugiura, Seitz & Angel, 2015).
3.5 Partielle Subliminalität
Subliminale Vorgänge sind solche, die dem Bewusstsein nicht zugänglich werden. Die ihm zugänglichen werden als supraliminal bezeichnet. Neurophysiologisch sind Creditionen mit subliminalen Bewertungsprozessen (valuations) verbunden. Hierfür spielt eine Hirnregion mit der Bezeichnung Pre-SMA (pre-supplimentary motor areas) eine besondere Rolle (Ruan, Bludau, Palomero‑Gallagher, Caspers, Mohlberg, Eickhoff, Seitz & Amunts, 2008). Auch insgesamt erfolgen die mit Creditionen einhergehenden Prozesse zu einem erheblichen Teil subliminal (Seitz, Paloutzian, & Angel, 2018). Obwohl sie nicht sprachlich fassbar sind und somit nicht mit einem propositionalen Gehalt verbunden sind, generieren subliminale Vorgänge Wirkung.
3.6 Kategorien des Glaubensvorgangs
Es konnten drei Typen von Glaubensvorgängen identifiziert werden, die neurophysiologisch unterscheidbar sind. Analytisch lassen sie sich trennen, obwohl sie während realer Vorgänge häufig interdependent ablaufen (Seitz & Angel, 2020, S. 2).
Empirical beliefs sind das Resultat einer Wahrnehmung von festen Gegenständen.
Relational beliefs sind dann das Ergebnis von Creditionen, wenn es um die Wahrnehmung von Ereignissen und Bewegungen (events) geht.
Conceptualbeliefs entstehen, wenn Glaube mithilfe von Wörtern, Sätzen oder Narrativen sprachlich artikuliert werden kann.
Während des merging of internal and external reality kann es zur „Herstellung“ von festem Glauben (belief formation) kommen (Langdon & Connaughton, 2013) Eine solche Stabilisierung geschieht nicht auf einen Schlag, sondern erfolgt allmählich: Auf dem Weg über eine Art 'Primärglaube' (primal beliefs) kommt es infolge von Lernvorgängen – insbesondere über die als Verstärkungslernen bekannten Mechanismen (reinforcement learning) – zu einer allmählichen Stabilisierung. Während dieser Vorgänge tragen Creditionen dazu bei, mentale Repräsentationen (mental representations) herzustellen. Diese sind es, die dann als fester Glaube (belief bzw. beliefs bzw. faith) sprachlich formulierbar werden.
3.7 Funktion(en) von Creditionen
Die Emergenz von Creditionen wurde infolge evolutionärer Bedingungen ermöglicht, weil die damit einhergehende funktionalen Möglichkeiten für das System Mensch bzw. für Lebewesen Vorteile für das Überleben bot.
3.7.1. Energieverbrauch
Creditionen erfüllen somit eine Aufgabe, weil sie überlebenswichtige Funktionen für einen Organismus übernehmen können. Dementsprechend ist auch bei homo sapiens sapiens diese Funktionalität von Creditionen gegeben. Doch das macht auch verständlich, dass Creditionen nicht l`art pour l`art ablaufen, weil sie – wie alle biologischen Prozesse – energieverbrauchend sind. Will man Creditionen verstehen, muss man auch deren Funktionen (zu Funktion s.u. 5) verstehen. Ihr konkreter Ablauf geschieht sehr häufig in enger Verbindung mit anderen inneren Vorgängen (z.B. Lernen, Wollen, Denken usw.). Wie man etwa die für die Religionspädagogik wichtige Abgrenzung von believing and learning[7] theoretisch formulieren und empirisch überprüfen kann, ist gegenwärtig Gegenstand der Grundlagenforschung (credition basic research).
3.7.2 Grundfunktion(en)
In einem umfassenderen Sinn wurden für Creditionen vier Grundfunkitionen identifiziert (Angel, 2022a, S. 634−641). Sie sind interdependent und laufen 'ineinander verwoben' ab. Drei Funktionen werden als universal (bzw. supramodal) angesehen:
Enclosure function: Sie hat mit Wahrnehmung zu tun und wird durch eine Irritation in Gang gesetzt: 'Kann ich das glauben?'
Converter function: Sie hat mit der Übersetzung von 'Wahrnehmung' in 'Handlung' zu tun, denn Glaubensvorgänge „drängen“ zum Handeln.
Stabilizer function: Sie hat mit der Stabilisierung von Glaubensvorgängen in Richtung 'fester Glaube' zu tun.
Daneben gibt es eine vierte Funktion, die auf die drei eben genannten modulierend Einfluss nimmt.
Die modulator function hat mit der Individualität des Glaubensvorgangs zu tun. Auch wenn Wahrnehmung oder Handlungsvorbereitung generelle creditive Funktionen sind, beeinflusst eben die jeweilige Individualität, auf welche Weise Wahrnehmung oder Handlungsvorbereitung bei den je konkreten Akteur:innen vonstatten gehen. Aufgrund dieser Funktion gibt es wohl keine zwei Glaubensvorgänge, die identisch ablaufen.
3.8 Fazit
Die Ausprägung von festem Glauben unterliegt also sowohl in nicht pathologischem wie in pathologischem Zusammenhang einer Vielzahl von distinkten Bedingungen. Dies gilt auch für die Ausprägung von (stabilem) religiösen Glauben. Die Religionspädagogik hat nicht zuletzt in entwicklungs- und lernpsychologischer Hinsicht ein besonderes Interesse an der Entstehung von religiösem Glauben, weil sie die Subjekte des Unterrichtsgeschehens darin unterstützen möchte, sich zwangfrei zu religiösem Glauben zu positionieren. Deswegen sollte eigentlich erwartet werden, dass sie der Creditionenthematik mit großer Offenheit gegenübersteht. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, dürfte in erster Linie davon abhängen, welche Rezeptionsbedingungen im Fach gegenwärtig gegeben sind.
4 Religionspädagogische Rezeptionsbedingungen
Im Folgenden soll ein kurzer Blick auf einige der Gegebenheiten des Faches gerichtet werden, die unter Rezeptionsgesichtspunkten relevant sein könnten. Dabei soll für jeden Aspekt angegeben werden, ob er hinsichtlich eines Zugangs zu Creditionen eher pro oder eher contra wirksam wird. Dass es sich bei dieser Sondierung nicht um eine detailliertere Analyse handeln kann, ist selbstverständlich. Im Gegenteil: Für jeden der Gesichtspunkte wäre empirisch abzuklären, ob und wie er sich auf das Rezeptionsverhalten tatsächlich auswirkt. Zudem gibt es vermutlich noch weitere Gesichtspunkte, die für eine Rezeption positive bzw. negative Voraussetzungen bieten.
4.1 Theologische Bedeutung der Glaubensthematik
Das Selbstverständnis der Religionspädagogik ist in Wellen, aber dennoch mehr oder weniger kontinuierlich Gegenstand der fachlichen Selbstvergewisserung. Weitgehend unstrittig ist, dass das Fach im Schnittfeld unterschiedlicher Disziplinen angesiedelt ist. Theologie und Pädagogik (bzw. davon abgeleitet Didaktik und Schultheorie) spielen dabei eine zentrale Rolle. Aufgrund der theologischen Verankerung dürfte ein weitestgehender Konsens darin bestehen, dass theologische Themen unverzichtbar sind. Zu solchen gehört 'Glaube'. Weil damit die Glaubensthematik ohne weitere Begründung Relevanz besitzt, spricht dies pro Creditionenrezeption.
4.2 Religionspädagogische Beschäftigung mit der Glaubensthematik
Wenn man den Blick auf die tatsächliche Beschäftigung der RP mit der Glaubensthematik richtet ergibt sich ein hiervon abweichendes Bild. Diese Auffassung legt sich auf der Basis verschiedener Parameter nahe − etwa das statistische Auftreten der Glaubensthematik in Fachzeitschriften oder die Zahl der hierzu in den letzten Jahren erschienen Monographien (Madzarevic, 2024). Ohne einer genaueren Analyse vorgreifen zu wollen, scheint alles darauf hinzudeuten, dass die Glaubensthematik in der Religionspädagogik ein eher randständiges Schattendasein führt und das Verhältnis der Religionspädagogik zur Glaubensthematik vor allem durch Distanz gekennzeichnet ist. Es mögen sich hierfür unterschiedliche Gründe ins Feld führen lassen: Glaube als unverfügbares Werk des Heiligen Geistes, pädagogisches 'Überwältigungsverbots', Interesse von Schüler:innen an Glaubensthemen, o.ä. Ob und inwieweit solche Mutmaßungen sachlich begründet werden können, mag hier offen bleiben. Aus einer Creditionenperspektive bedüfte jedenfalls das Verhältnis der Religionspädagogik zur Glaubensthematik empirischer Klärung. Aus meiner gegenwärtigen (empirisch nicht im Detail überprüften) Beobachtung spricht die gegenwärtige Situation eher contra Creditionenrezeption[8].
4.3 Epistemologie und Bewusstseinsphilosophie: ausgeblendeten Debatten
Die Glaubensthematik, inbesondere das Verhältnis von Glaube und Wissen, ist prominenter Gegenstand der Epistemologie. Die klassische Standarddefinition von 'Wissen' beruht geradezu auf 'Glaube': Wissen ist gerechtfertigter wahrer Glaube (Schwitzgebel, 2021). Etwas überzogen formuliert: Selbst Wissenschaft basiert in einer sehr spezifischen Weise auf Glauben. Auch für die Bewusstseinsphilosophie (philosophy of mind) hat das Verhältnis von Glaube und Wissen prominente Bedeutung. Themenkreise wären z.B. belief and beliefs, belief and knowledge, belief(s) and faith, belief as attitude, belief as state of mind, dispositional beliefs, propositional beliefs, justification of belief(s) und andere mehr. Es wäre einer breiteren Untersuchung wert, inwieweit von Seiten der RP Interesse und Offenheit für jene dort geführten breitgefächerten Glaubensdiskurse besteht. Auch ohne nähere Analyse scheint die Religionspädagogik sowohl von einer fehlenden Affinität zu jenen Wissensgebieten wie auch durch eine mangelnde Rezeption von deren Diskursen gekennzeichnet zu sein. Sollte sich diese Einschätzung bestätigen, entspräche dies einem contra Creditionenrezeption (Angel, 2023c). Sollte die Einschätzung empirisch zugunsten einer Offenheit für Epistemologie und Bewusstseinsphilosophie revidiert werden, würde das contra zugunsten einem pro Creditionenrezeption abgemildet.
4.4 Kognitionswissenschaft: Fehlender Zugang
Creditionen gehören zu den kogntitiven Fähigkeiten und die Creditionenforschung hat einen engen Konnex zur Kognitionswissenschaft. Aus diesem Grund ist die religionspädagogische Offenheit für die Kognitionswissenschaft ein starker Indikator für eine Rezeption von Ergebnissen aus der Creditionenforschung. Deswegen wären hinsichtlich der Kognitionswissenschaft analoge Überlegungen wie im Blick auf Epistemologie und Bewusstseinsforschung anzustellen. Nach meiner – nicht empirisch untermauerten – Einschätzung, fehlt der gegenwärtigen Religionspädagogik weitestgehend eine Affinität zu kognitionswissenschaftlichen Forschungen (Angel, 2023c). Sollte diese Einschätzung zutreffen, wäre hier ein wohl entscheidungsrelevanter Grund für ein contra Creditionenrezeption gegeben. Im Falle einer empirischen Revision zugunsten größerer Offenheit für die Kognitionswissenschaft würde auch hier das contra zugunsten einer pro Creditionenrezeption abgebildet.
4.5 Fehlidentifikation: Glaube als religiöser Glaube
Das Interesse der Regensburger Symposien (s.o. 1.2) zielte auf ein besseres Verständnis von Religiosität. Dabei wurde einsichtig, welch gewaltiger Drall sich in das alltägliche wie in das wissenschaftliche Sprachverhalten eingeschlichen hat. Das Adjektiv religiös wird fast ausschließlich mit Religion, kaum aber mit Religiosität in Verbindung gebracht. Etwas übertrieben formuliert, kann man sagen: Die Gleichsetzung lautet immer religiös = Religion, sie lautet so gut wie nie religiös = Religiosität. Als Paradebeispiel kann das Adjektiv interreligiös angesehen werden: dort geht es fast ausschließlich um das Verhältnis von Religionen (Christentum, Islam, Judentum), so gut wie nie um das Verhältnis von Religiositäten (fundamentalistisch, kämpferisch, engstirnig, friedfertig, mildtätig usw.). Die auch in der Religionspädagogik überbordende Verwendung des Adjektivs religiös, wie sie etwa auch in der Formulierung religiöser Glaube zum Ausdruck kommt, begünstigt und stabilisiert diese enge Anbindung an Religion (Angel, 2020). Dies unterstützt ein doppeltes Missverständnis:
(a) Glaube ist immer religiöser Glaube[9]. Dies ist ein schwer zu behebender Kollateralschaden einer fehlgeleiteten „Verschmelzung von 'Glaube' und 'religiös'“ (Angel, 2022a, S. 406−446).
(b) Religiöser Glaube hat mit Religion zu tun. Nun sind allerdings Creditionen innere Prozesse, die weder mit Religion zu tun haben noch eo ipso religiös sein können. Hingegen hat religiöser Glaubeauch mitReligiosität zu tun. Wenn Creditionen irgendetwas mit 'religiösem Glauben' im engeren Sinn zu tun haben, dann lediglich deswegen, weil sie eine Grundlage für das Verständnis von Religiosität bereitstellen. Mit Religion haben Creditionen jedenfalls nichts zu tun! Die von religionspädagogischer Seite verinnerlichte Assoziationskette Glaube = religiöser Glaube = Religion dürfte der aus meiner Sicht wohl entscheidende Faktor für eine contra Creditionenrezeption sein[10]. Um daraus eine pro Creditionenrezeption werden zu lassen, wäre ein fachwissenschaftliches Interesse an der Entwicklung von Theorien der Religiosität unabdingbare Voraussetzung.
4.6 Fehlender Ausgangspunkt 'Glaube'
Ein Zugang zu einem Verständnis von Creditionen setzt einen Paradigmenwechsel voraus, der das Paradigma 'Glaube' zugunsten des Paradigmas 'Glaubensvorgang' relativiert. Ein Paradigmenwechsel erfolgt nich auf Knopfdruck, sondern setzt das Beschreiten eines (meist steinigen) Weges voraus. Der Weg führt von 'Glaube' zu 'Glaubensvorgang'. Es ist ein Wayfrom the question of belief to the question of believing (Angel, 2017).
Allerdings ist 'Glaube' ein schlecht definiertes Phänomen (ill-defined phenomenon), welches die unterschiedlichsten Konnotationen beinhalten kann. Solche können etwa aus Epistemologie, Bewusstseinsphilosophie, Kognitionswissenschaft, Theologie, Religions-, Wirtschafts- oder Rechtswissenschaft stammen. Damit gibt es keinen allgemein voraussetzbaren Ausgangspunkt 'Glaube', von dem aus der Weg des Paradigmenwechsels beschritten werden könnte. Dazu kommt, dass in den für die Creditionenforschung besonders relevanten Bezugswissenschaften wie Psychologie, Religionspsychologie und Neurowissenschaft (s.o. 2.1) 'Glaube' gerade nicht zu den zentralen Interessensschwerpunkten gehört(e).
Um den Paradigmenwechsel von Glaube zu Creditionen nachvollziehbar machen zu können, bedarf es eines 'Ausgangspunktes Glaube'. „Wovon sollte man sonst ausgehen, wenn nicht von 'Glaube'?“ (Angel, 2022a, S. 455). Eine fehlende Einstiegsmöglichkeit gehört mit zu den stärksten Indikatoren, die contra Creditionenrezeption sprechen. Deswegen erschwert gerade die Symbiose Glaube ist religiöser Glaube einen religionspädagogischen Zugang zum 'Ausgangspunkt Glaube'.
4.7 Vorurteile
Nach meinen Erfahrungen scheint der religionspädagogische Blick auf die Creditionenforschung auch mit Vorurteilen behaftet zu sein, die allesamt contra Creditionenrezeption sprechen dürften.
4.7.1 Neurotheologie
Das erste hat mit einer vermeintlichen Verbindung von Creditionenforschung und Neurotheologie zu tun. Dieser Ausdruck scheint wie mit zählebigem Pech an der Creditionenforschung zu kleben. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ich in den Jahren der Regensburger Symposien den Blick auf einen Denkansatz gerichtet habe, der damals etwas en vogue war und eben unter dem Label Neurotheologie firmierte. Doch für das Anliegen der Neurotheologie wäre die adäquate Bezeichnung neurobiologische Grundlagen der Religiosität. Meine These war damals: „Der Blick auf die ‚neurotheologischen‘ Perspektiven zeigt nämlich unabweislich, welch dringendes Desiderat ein tragfähiges Modell menschlicher Religiosität ist“ (Angel, 2002, S. 116). Jede Beschreibung religiöser Erfahrungen impliziert ein Konzept menschlicher Religiosität. Somit „zeigt sich gerade am Terminus Neurotheologie eklatant, welch negative Folge die Quasi-Nichtexistenz des Ausdrucks Religiosität nach sich zieht. Der lange Schatten einer fehlenden Terminologie führte dazu, dass eine falsche Etikettierung auch den richtigen Kern der Forschung desavouierte (Angel, 2022a, S. 480). In Folge desavouiert die immer wieder angeführte Nähe zur Neurotheologie auch die Creditionenforschung.
4.7.2 Überbordende Komplexität
Zu den häufig gehörten Einwänden gegen eine religionspädagogische Beschäftigung mit der Creditionenthematik gehört deren unterstellte Komplexität. Diese Einschätzung mag für die beiden Ebenen [2] Konzept und [4] Verhältnis von Konzept und Modell (s.o. 2.2) nachvollziehbar sein. Die Sorge ist unbegründet, sobald es um ein Verständnis des model of credition geht. Mit diesem kann man sich auch ohne die geringsten Kenntnisse von irgendwelchen konzeptionellen Zusammenhängen beschäftigen (Feichtinger, 2016). Es gibt lediglich zehn Grundbegriffe. Kennt man sie und weiß, welcher Sachverhalt mit ihrer Hilfe darstellbar ist, kann man unmittelbar beginnen, sinnvoll mit dem Modell zu arbeiten (s.u. 5.2).
4.7.3 Nischenkultur
Ein weiterer Gesichtspunkt zielt in eine ganz andere Richtung. Offensichtlich konnte innerhalb der Religionspädagogik der Eindruck entstehen, die Forschungen zu Struktur und Funktion von Creditionen seien so etwas wie das Kultivieren eines vielleicht interessanten, religionspädagogisch aber bedeutungslosen Nischenwissens. Dieser Fehleinschätzung steht als diametral entgegengesetzte Auffassung gegenüber, dass eine Integration der Creditionenforschung tiefgreifende Auswirkungen auf das Fach hätte bzw. haben könnte[11].
4.8 Allgegenwart von Creditionen im Unterrichtsalltag
Humans are hardwired for credition und deswegen ist es unmöglich, nicht zu glauben. Angesichts ihrer oben genannten Charakteristika ist nicht überraschend, dass sie im Unterrichtsalltag permanent auftreten, auch wenn diese Tatsache bislang jenseits des allgemeinen didaktischen Bewusstseins liegt. Angesichts des grundlegenden religionspädagogischen Ansatzes einer Subjektorientierung müsste dieser Sachverhalt aber geradezu zentrale Bedeutung für jegliche pädagogische wie didaktische Konzeptbildung bekommen. Dabei kann der Blick zum einen auf Schüler:innen als Akteur:innen des Unterrichtsgeschehen gerichtet werden, doch zum anderen sind auch bei Lehrkräften permanent Glaubensvorgänge im Spiel. Teachers beliefs sind in den letzten Jahren überdies als Gegenstand pädagogischer Reflexion zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Diese Gegebenheiten dürften zu den stärksten Triggern gehören, die für ein pädagogisches Aufgreifen von Ergebnissen der Creditionenforschung sprechen. Daraus ergibt sich auch eine sehr deutliche pro Creditionenrezeption.
4.9 Fazit
Der Blick auf mögliche religionspädagogische Rezeptionsbedingungen für die Ergebnisse der Creditionenforschung führt zu einem durchwachsenen Befund. Auf der einen Seite lassen sich starke, aus dem eigenen Fachverständnis erwachsende Motive, erkennen, die deutlich pro Creditionenrezeption sprechen. Ihnen stehen allerdings unübersehbar verfestigte Barrieren gegenüber, die nicht ohne weiteres abzubauen sind. Sie stellen ein eindeutiges contra Creditionenrezeption dar. In Summe zeigt der rudimentäre Analyseversuch wohl mehr Barrieren für ein mögliches pro Creditionenrezeption als günstige Voraussetzungen.
Allerdings muss ausdrücklich herausgestellt werden, dass die Analyse primär mit Blick auf das konzeptionelle Grundverständnis von Creditionen, also auf die Ebene[2] der Creditionenforschung (s.o. 2.2), ausgerichtet war. Möglicherweise verändert sich der Befund, wenn nicht der Kontext von Credition Basic Research, sondern jener von Credition Applied Research zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht wird.
5 Model of credition
Diese Veränderung der Ausgangsbedingung erfordert bzw. erlaubt dann nämlich, das model of credition (Ebene [3] der Creditionenforschung) ins Zentrum der Überlegungen zu stellen. Bevor dies unternommen wird, ist zunächst auf eine wichtige begriffliche Differenzierung hinzuweisen
5.1 Funktion versus Prozess:
Funktionen sind mentale Konstrukte, die einem Gegenstand oder einem Prozess zugeschrieben werden[12]. Demgegenüber beruhen Prozesse auf physikalischen Grundlagen. Sie sind dementsprechend materieller Art und können gemessen werden.
Das model of credition ist ein funktionales Prozessmodell. Das bedeutet, dass es den Zusammenhang darstellt, der zwischen (Grund-)Funktionen des Glaubensvorgangs (s.o. 3.7.2) sowie den dabei ablaufenden Prozessen gegeben ist bzw. unterstellt wird. Zu diesem Zweck werden innere Glaubensvorgänge in eine Modellsprache übersetzt. Sie erlaubt, die inneren Abläufe überindividuell und damit generell kommunizierbar zu machen. Das model of credition kann somit als (weitgehend sprachunabhängige) Referenzgröße in Kommunikations- und Entscheidungssituationen dienen.
Das Modell benötigt funktionsbezogene und prozessbezogene Komponenten sowie entsprechende Bezeichnungen für dieselben. Weder die Komponenten noch die Termini waren ursprünglich gegegeben. Sie wurde im Rahmen des Credition-Applied-Forschungsstranges entwickelt („erfunden“) und erprobt. Das Modell musste zudem ein animiertes werden, weil es Prozesse (und eben keine statischen Gegebenheiten) darstellt. In seiner visualisierbaren animierten Form ist es als model of credition bekannt. Es lässt sich ohne Animation und in der hier gewünschten Kürze weder ausreichend erläutern noch adäquat darstellen. Im Folgenden kann lediglich versucht werden, ansatzweise den einen oder anderen Aspekt einsichtig zu machen.
5.2 Terminologie und deren theoretischer Hintergrund
Jede einzelne der Modellkomponenten sowie deren jeweilige prozessuale bzw. funktionale Bedeutung basiert auf konzeptionellen Hintergründen. Wenn z.B. die enclosure function (s.o. 3.7.2) mit Wahrnehmung zu tun hat, dann muss erörtert werden, was unter 'Wahrnehmung' verstanden werden soll. So ist es ein Unterschied, ob es sich um akustische oder optische Wahrnehmung handelt – also etwa den Tonfall einer Stimme oder einen Gesichtsausdruck. Die konzeptionellen Hintergründe sowie deren Implikationen für die Modellbildung sind relativ ausführlich dargestellt (Angel, 2022a, S. 658−693). Sie können hier nicht wiederholt, sondern lediglich ansatzweise skizziert werden.
5.2.1 Bab
Zu Beginn der 2000er Jahre kam es zu einer revolutionären neurowissenschaftlichen Entdeckung: Kognitionen und Emotionen werden im lateral-präfrontalen Kortex in einem integrierten Prozess generiert (Gray, Braver & Raichle, 2002; Schaefer & Gray, 2007). Dies beendete nicht nur einen psychologischen Richtungsstreit, sondern beeinflusste auch die Psychologie in tiefgreifender Weise. So war nun etwa von hot cognition die Rede, um die emotionale Grundierung kognitiver Prozesse zu bezeichnen. Diese Erkenntnisse haben allerdings bislang keine Auswirkung auf linguistischer Ebene. Es gibt keinen Ausdruck, der die Simultaneität von Emotionen und propositionalem Gehalt eines Wortes ausdrücken könnte. Um einer der zentralen Einsichten für das Verständnis von Credition – no believing without emotion (s.o. 3.2) – modelltheoretisch gerecht zu werden, musste nun aber ein solcher Ausdruck geschaffen werden. Dieser wird als Bab [bæb] bezeichnet. Es ist ein Kunstwort, bei dessen kommunikativer Verwendung die unaufgebbare Gleichzeitigkeit von Proposition und Emotion ausgedrückt werden soll:
Bab = proposition + emotion.
Diese Formulierung ist nicht im mathematischen Sinne einer Addition zu verstehen, sondern sie ist sprachpragmatisch gemeint. Das heißt: wann immer Bab verwendet wird, muss sofort doppelt Auskunft gegeben werden, um von welchem propositionalen Gehalt und (das ist mit „+“ gemeint) von welcher Emotion die Rede ist.
Diese Konstruktion erlaubt für jeden Bab eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten: der gleiche Sachverhalt kann mit unterschiedlichen Emotionen besetzt sein, gleiche oder ähnliche Emotionen können mit unterschiedlichen Propositionen verbunden sein, usw. Da sich Emotionen auch in ihrer Intensität unterscheiden, muss auch diese Variabilität (sehr wenig bis sehr heftig) zum Ausdruck gebracht werden. Damit man dies zum Ausdruck bringen kann, wurde eine Metapher verwendet: Der Ausdruck Bab ist nämlich die Abkürzung von Babuschka, dem russischen Holzpüppchen. Mit dem selben Sachverhalt können unterschiedlich starke Emotionen verbunden werden: stark = große, schwach = kleine Babuschka.
5.2.2 Modellkomponenten
Die Interdependenz von Kognition und Emotion im Sinne dessen, was man als hot cognition bezeichnet, ist ein zentraler Kern von Credition (Angel, 2022a, S. 513−515). Deswegen musste der Terminus 'Bab', der diese Verschränkung der inhaltlichen mit der emotionalen Komponenterepräsentiert (Angel, 2022a, S. 644−646), für das Modell grundlegend werden. Doch daneben spielen weitere Termini eine Rolle.
Blob: Da Creditionen teilweise subliminal ablaufen (s.o. 3.5), muss auch im Modell darstellbar sein, dass nicht alle Prozesse das Bewusstsein erreichen. Dies geschieht mithilfe des Terminus Blob. Dieser bezeichnet einen subliminalen Bab. Als solcher hat er keinen propositionalen Gehalt, wohl aber emotionale Wirksamkeit.
Clum: Das model of credition stellt Prozesse und Funktionen dar. Es ist eine prozessuale Frage, ob ein Sachverhalt, mit dem man es zu tun bekommt, geglaubt werden kann. Für 'Sachverhalt' steht nun Clum; dies ermöglicht die Formulierung: 'Kann ein Clum in die bestehende mentale Struktur von Akteur:innen eingeschlossen werden?'
Enclosure function: Die Formulierung 'eingeschlossen' werden ist kein prozesstheoretischer, sondern ein funktionstheoretischer Terminus. Er verweist auf jene Grundfunktion des Glaubensvorgangs, die mit der Frage zu tun hat, ob etwas Wahrgenommenes geglaubt werden kann. Wird diese Funktionalität in der Modellsprache ausgedrückt, so formuliert man anstelle von 'kann geglaubt werden' nun 'kann eingeschlossen werden'. Dies erlaubt, den Fokus darauf zu richten, 'wohin eingeschlossen?'
Bab-Blob-Konfiguration: Dieses Wohin ist die 'bestehende mentale Struktur von Akteur:innen'. Sie wird nun durch den Ausdruck Bab-Blob-Konfiguration ersetzt. Damit kommt sowohl die Beweglichkeit (fluidity) jedes einzelnen Babs (und Blobs) sowie auch die geringe Stabilität der gesamten Blab-Blob-Konfiguration zum Ausdruck.
Mega-Bab und Mini-Bab: Auch wenn Bab-Blob-Konfiguration grundsätzlich hochgradig fluide sind, können sie relativ hohe Stabilität erlangen. Dies ist Folge der stabilizer function. Modelltheoretisch mussten deswegen die Ausdrücke Mega-Bab und Mini-Bab kreiiert werden. Damit wird darstellbar, dass sich die emotionale Bedeutung (und damit die subjektive Stabilität) eines Bab verändern kann (sliding).
Es ist desweiteren zu vermerken, dass auch die im Zusammenhang der Funktionalität von Creditionen weiter oben schon vorgestellten Termini enclosure function, converter function, stabilizer function und modulator function Bestandteile der Modellkomponenten sind.
5.3 Visualisierung und Animation
Wird das Modell mithilfe dieser Ausdrücke skizziert, mag es relativ kompliziert und unübersichtlich erscheinen. Dies lässt sich in der Aneignungsphase kaum vermeiden. Zunächst müsssen nämlich die prozessrelevanten und funktionsrelevanten Termini einzeln und hintereinander bekanntgemacht werden, obwohl ihre Bedeutung nur gleichzeitig dargestellt werden kann – schließlich will das Modell ja gerade den Zusammenhang von Prozessen und Funktionen zum Ausdruck bringen[13]. Sind die Zusammenhänge einmal verstanden, wird das Modell meiner Erfahrung nach nicht mehr als allzu kompliziert empfunden. Dies ist auch der Fall, wenn man das Modell live und in animierter Form kennenlernt.
Babs etwa werden als Kreise (zweidimensional), als Kugeln (dreidimensional) oder als Kugeln, die sich auf Trajektorien bewegen (vierdimensional) dargestellt. In einer dreidimensionalen Darstellung kann man sich dann die 'Kugel Bab' wie eine Schokokugel mit unterschiedlichen Füllungen vorstellen – also als eine Art „emotional gefülltes Gedankenbällchen“ (Angel, 2022a, S. 648).
Enclosure function: Der 'Vorgang des Einschließens' kann sowohl als Prozess wie auch als Funktion ohne Schwierigkeiten einsichtig werden, weil sich das Einschließen eines Clums in eine bestehende Bab-Blob-Konfiguration leicht in einer Animation visualisieren lässt.
Während der Erarbeitungsphase war es immer hilfreich, wenn die Vorstellung des Modells während einer Lehrveranstaltung erfolgte. Dies erlaubte problemlos „auf etwas“ hinzudeuten. Damit wurde auch erleichtert, bei den Erläuterungen schnell zwischen prozessualen und funktionalen Aspekten hin- und herzuwechseln.
5.4 Beispiel für die Anwendung der Modellsprache
Auf Basis dieser rudimentären Hintergrundinformationen lässt sich nicht wirklich aufzeigen, wie man mit dem model of credition tatsächlich arbeiten kann. Im Kern besteht die Aufgabe immer darin[14] subjektives Sprachverhalten mithilfe der Modellkomponenten-Terminologie in eine transsubjektiv-formalisierte Modellsprache zu übersetzen. Dies lässt sich dadurch bewerkstelligen, dass man die Ausdrücke verwendet, mit denen die einzelnen Modellkomponenten bezeichnet sind.
Nehmen wir, an es geht (im RU) darum, bestimmte Inhalte aus dem Depositum Fidei des christlichen Glaubens zu thematisieren. Dann könnte eine in einer katholischen Spielart gestellte Frage z.B. lauten: Glaubst Du, dass nur Männer zum Priester geweiht werden sollen?
Bei einer Übersetzung in die Modellsprache wäre folgendermaßen vorzugehen:
1.Formulierung des Clum: „Nur Männer sollen zum Priester geweiht werden“.
2. Umformulierung der Frage „Glaubst du, dass …“ in die Enclosure-Formulierung: „Kannst Du den Clum“ einschließen?
Es gibt drei Reaktionsmöglichkeiten:
3a. Einschluss (identisch mit: „ich glaube dies“)
3b. Ausschluss (identisch mit: „ich glaube dies nicht“)
3c. Oszillation (identisch mit: „mir ist nicht klar, ob ich dies glaube“)
Ob ein Clum eingeschlossen werden kann oder nicht, liegt nicht am Clum selbst, sondern an der Zusammensetzung der Bab-Blob-Konfiguration, in die hinein er zu integrieren ist. Den gegebenen Antworten liegen offensichtlich ganz unterschiedliche Voraussetzungen (= Bab-Blob-Konfigurationen) zugrunde. Diese enthalten definitionsgemäß mehrere Babs. Für jeden der Babs können unterschiedliche propositionale Inhalte im Spiel sein (z.B. „das ist frauenfeindlich“, oder „das ist unsere Tradition“, u.v.a.m.). Doch, was noch wichtiger ist, jeder der Babs enthält auch eine emotionale Ladung. Diese kann für den gleichen Sachverhalt unterschiedlich sein. So kann etwa der propositionale Gehalt 'das ist frauenfeindlich' emotional mit Stolz einhergehen (= positive Emotion im Sinne von „wir halten gegen den destruktiven Mainstream“), er kann aber auch mit Wut unterlegt sein (= negative Emotion im Sinne von „wir lassen uns das nicht mehr bieten“).
Es ist unschwer erkennbar, dass die zugrundeliegenden Emotionen wohl nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen sind. Während man für die verschiedenen porpositionalen Gehalte womöglich noch 'Gründe' anführen kann, ist dies nur sehr schwer möglich, sobald man sich mit der den Sehweisen zugrundeliegenden emotionalen Basis beschäftigt. In einem ersten Feldversuch an der Universität Thessaloniki wurde aber z.B. immerhin erkennbar, dass sich die jeweilige Sicht auf die eigenen Babs [hinsichtlich ihrer subjektiven Bedeutung] revidierte, wenn man den Fokus vom propositionalen Gehalt abzog und auf die emotionale Dynamik richtete (Mitropoulou, 2017).
Für die Frage, wie man mit dem model of credition arbeiten kann, müssen diese wenigen Hinweise genügen. In meiner Einführung finden sich Umsetzungsbeispiele aus unterschiedlichen Zusammenhängen (Angel, 2022a, S. 722−740).
6 Mögliche Ziele und Anliegen für die Religionspädagogik
Vor dem Hintergrund der dargestellten konzeptionellen wie der modellhaften Zusammenhänge sollen abschließend Überlegungen dazu angestellt werden, welche Ziele und Anliegen die Religionspädagogik mit dem Aufgreifen von Ergebnissen aus der Creditionenforschung verfolgen könnte.
6.1 Religionspädagogische Anthropologie
Was ist in Menschen los, wenn es in ihnen zur Ausprägung von Glauben kommt? Das seit der subjektiven Wende der 1970er Jahre vorherrschende religionspädagogische Interesse an den Akteur:innen in religiösen Lernprozessen und den Subjekten des Unterrichtsgeschehens erfordert den Rekurs auf eine entsprechende Anthropologie. Glaubensvorgänge sind Bestandteil menschlicher Existenz und stellen daher von Haus aus eine wesentliche Komponente der Anthropologie dar. Überlegungen dazu, wie Glaube im Menschen entsteht oder wie es dazu kommt, dass jemand einen bestimmten Glauben ausgeprägt hat, sind somit integraler Bestandteil einer aus religionspädagogischem Interesse entworfenen Anthropologie. Zu den Anliegen, die die RP beim Zugriff aus Erkenntnissen aus der Creditionenforschung verfolgen könnte, könnte man die Ausarbeitung einer elaborierten religionspädagogischen Anthropologie zählen.
6.2 Religionspädagogische Kontextualität
Fester und stabiler Glaube entsteht immer auch im Kontext umgebender soziokultureller Wirklichkeiten. Diese stellen jene Rahmenbedingungen bereit, innerhalb derer sich die individuelle Ausprägung jeweiligen Glaubens vollzieht. Doch gerade auch im Zusammenhang mit Religion(en) sind kontextuelle Veränderungen an der Tagungsordnung. Damit sind auch die Rahmenbedingungen, die bei der Herstellung mentaler Repräsentationen religiöser Inhalte wirksam werden, kontinuierlichen Veränderungen unterworfen. Stichworte wie Gender, Diversität, Säkularisierung, neue religiöse Bewegung oder Religionspluralität mögen als Stichworte genügen. Deswegen könnte eine kontextuell orientierte RP ein weitgefächtertes Forschungsgebiet entwerfen, in dem der Zusammenhang zwischen religionspluralen Alltagswirklichkeiten und der Entfaltung individuellen Glaubens (Ausprägung individueller Religiosität) analysiert wird.
6.3 Bildung
Die Ausblendung von Glauben (neglect of belief) aus der öffentlichen Wahrnehmung führte zu einer generellen Unterschätzung von Creditionen, sowohl in der allgemeinen Wahrnehmung wie in der Wissenschaftskommunikation. Damit gerieten auch Creditionen in einen blinden Fleck. Zu Unrecht: Humans are hardwired for credition (s.o. 2.5).
6.3.1 Allgemeinbildung
Die Hilflosigkeit angesichts der Lügenproduktion von Trollfabriken sowie das blinde Vertrauen in Fakenews dürften bis zu einem gewissen Grad auch mit der Ahnlosigkeit zu tun haben, die hinsichtlich der Bedeutung von Creditionen vorherrscht. Da zudem auch Wissenschaft insgesamt in einer sehr spezifischen Weise auf Glauben basiert (s.o. 4.3), beruht auch die Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft in sublimer Weise auf Creditionen. Hinter der umsichgreifenden Wissenschaftsfeindlichkeit – so meine Vermutung – steckt wohl auch eine Ahnung davon, dass der Zusammenhang zwischen tatsächlich gegebenem Wissen, und den in Wisssen eingewobenen Glaubensanteilen, in der öffentlichen Wissenschaftkommunikation unterschlagen wird. Damit wird tatsächliches Wissen desavouiert. In Summe führte der neglect of credition zu gefährlichen gesellschaftlich-kulturellen Schräglagen. Angesichts dessen gehört es zu den vordringlichen Bildungsaufgaben der Zukunft, (1) die Aufmerksamkeit auf die Existenz von Creditionen zur richten, (2) ihr unvermeidliches Auftreten als Folge einer zugrundeliegenden Gehirnfunktion bekannt zu machen und (3) die Diskrepanz zwischen Credition als blindem Fleck und ihrer tatsächlichen eminenten Bedeutung offenzulegen.
6.3.2 Religionsunterrichtliche Bildung
Diese Bildungsaufgabe wäre insbesondere für den Religionsunterricht zu reklamieren, zumal die Existenz von Creditionen ein wichtiges Argument für die Notwendigkeit des immer wieder in Frage gestellten Religionsunterrichts wäre. Damit eine diesbezügliche Argumentation stichhaltig wird, setzt sie allerdings ein Wissen um das Verhältnis von Creditionen und religiösem Glauben voraus: Religious—And Other Beliefs: How Much Specificity? (Oviedo & Szocik, 2020).Aus einem Wissen über die spezifische Beziehung von Creditionen und religiösem Glauben ergäben sich auch Chancen, die Rolle von Glaubensvorgängen im Schnittfeld von säkularen Gesellschaften und Kirche(n) bzw. Religionsgemeinschaften zu thematisieren.
6.3 Kooperativer RU
Die menschliche Ausstattung mit einer capacity of believing könnte als religionenunabhängige gemeinsame Basis für einen kooperativen Religionsunterricht fruchtbar gemacht werden. Gerade dass Creditionen unabhängig von Religionen zu verstehen sind – dass wir in dieser Hinsicht also alle im gleichen Boot sitzen –, prädestiniert das Thema capacity of believing als Grundlagenwissen für einen kooperativen Religionsunterricht. Die Betonung des Gemeinsamen könnte hinsichtlich kooperativer Konzepte sowohl von Religion- und Ethikunterricht als auch von christlichem und islamischem Religionsunterricht befruchtend sein. Die inhaltlich-emotionalen Differenzen zwischen verschiedenen Religionen und Ethiken würden dabei nicht verwischt, vielmehr ließen sie sich über die individuelle modulator function zur Sprache bringen.
6.4 Fächerübergreifender Unterricht
Die Creditionenthematik bietet erhebliches Potential für fächerübergreifenden Unterricht, in dem der RU einer der Partner sein könnte.
6.4.1 Basis: Konzeptionelles Wissen um Creditionen
Rekurriert man auf das konzeptuelle Verständnis von Creditionen könnte hervorgehoben werden, dass ein Wissen über Creditionen auch biologische und psychologische Komponenten umfasst. Somit könnte eruiert werden, in welchen Zusammenhängen etwa Themen Emotionen, Wahrnehmung, Gedächtnis, Entwicklung usw. im Biologie- oder Psychologieunterricht behandelt werden. Oder: Da die Forschungen im Credition Research Project in Englisch stattfinden und die entsprechenden Publikationen auf Englisch verfasst sind, wäre auch eine Kooperation mit dem Englischunterricht denkbar.
6.4.2 Basis: model of credition
Rekurriert man anstelle eines konzeptuellen Verständnisses von Creditionen auf das model of credition könnte man etwa in Kooperation mit dem Geschichtsunterricht Mutmaßungen darüber anstellen, welche Bab-Blob-Konfigurationen oder welche Mega-Babs in den handelnden Personen und Herrschenden früherer Epochen wirksam waren. Eine solche spekulative Analyse ließe sich auch für kirchen- und theologiegeschichtlich bedeutsame Persönlichkeiten durchführen und ermöglicht, eine Verbindung zu geschichtlichen Persepktiven im Religionsunterricht herzustellen. Parallel zu einem diachronen Fokus lassen sich auch in synchroner Perspektive gegenwärtige theologische (rechte, linke, liberale, relativistische, fundamentalistische)[15] Positionierungen als Folge vorgängiger Creditionen analysieren.
7 Ein creditive turn in der RP?
In der Öffentlichkeit besteht häufig der Eindruck, Wissenschaft sei ein Unternehmen, das glasklare Ergebnisse liefert. Dies ist nicht einmal in der Naturwissenschaft der Fall. Auf der Müllhalde des veralteten Wissens liegt vieles, was infolge von tiefgreifenden Umbrüchen ausgelagert wurde.
7.1 Paradigmatische Wenden in der Wissenschaft
In der jüngeren Wissenschaftsgeschichte wurden solche Paradigmenwechsel nicht selten mit dem Wort Wende (turn) belegt. So spricht man in der Religionspädagogik von der subjektiven Wende, in der Philosophie vom lingistic turn, in der Psychologie vom cognitive turn oder in der Kulturwissenschaft von einem iconic turn oder imagic turn. Bisweilen sind solche turns eher von zeitlich begrenzter Dauer, oft aber sind sie nachhaltig. Sie führen dann zu Sehweisen, die zwar auch weiterhin modifiziert und optimiert werden können, aber sich kaum noch rückgängig machen lassen. Gemeinsam ist allen derartigen 'turns', dass sie darauf drängen, den Fokus auf bis dahin übersehene, nicht artikulierbare oder nicht adäquat zu bearbeitende Problemstellungen zu richten. In Folge verändern sich die fachinternen Diskurse, bis dahin wichtige Fragestellungen verlieren an Bedeutung, andere kommen hinzu und neue Forschungsinteressen werden generiert.
7.2Creditive turn in der Religionspädagogik
Der Unterschied zwischen 'Glaube' und 'Glaubensvorgang' ist tiefgreifend. Beide, bzw. die Konzepte, die sich jeweils auf darauf beziehen, lassen sich nicht miteinander vergleichen.
7.2.1 Weiterführung der subjektiven Wende
Deswegen kann man zumindest die Überlegung anstellen, ob es sinnvoll wäre, in der Religionspädagogik einen creditive turn anzudenken. Einer solcher wäre eine Weiterführung der subjektiven Wende der 1970er Jahre. Neu wäre der Aspekt, dass es mit Creditionen eine theoretische Basis gibt, die man mit Subjekt verbinden und modellhaft darstellen kann. Das könnte auch bestehende Forschungsrichtungen beflügeln, da sich 'Credition' als higher cognitive ability als eine 'übergeordnete' Fähigkeit verstehen lässt, die mit vielen der anderen inneren Vorgänge etwa Lernen, Motivation, Entwicklung usw. 'in Verbindung steht'.
7.2.2 Subjektivität und Normativität
Mit der subjektiven Wende gingen fachliche Diskursverschiebungen einher. Die zurückliegenden Jahre lassen erkennen, dass sich nun auf der Basis der Subjektorientierung auch manche Fragestellungen neu stellen. Etliche von ihnen erscheinen nun notwendigerweise als alte Fragen in neuem Gewand. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der AKRK-Kongress von 2022 brachte zum Beispiel erneut die Frage nach dem „Verhältnis von Deskriptivität und Normativität“ ins Spiel. Da Creditionen am Verschmelzen (merging) von äußerer und innerer Realität beteiligt sind (s.o. 3.1), kann man in ihnen eine der zentralen theoretischen Grundlagen sehen, auf deren Basis man die Analysen und Bestimmungen des Zueinanders von Individualität und Normativität theoretisch verankern könnte.
7.2.3 Concept of credition oder model of credition?
Abschließend mag die Frage gestellt werden, ob einem creditive turn in der RP eher das Creditionenkonzept oder eher das Creditionenmodell zugrundegelegt werden sollte. Nach meiner Auffassung ist beides sinnvoll, wenngleich sich aus der Wahl unterschiedliche Handlungsfelder eröffnen.
(a) Der Rekurs auf die konzeptionellen Grundlagen ermöglicht – sowohl innerhalb unserer Disziplin als auch im Rahmen des Religionsunterrichts – eher grundsätzliche Diskurse und eröffnet damit Verbindungen zu philosophischen, insbesondere auch epistemologischen Diskursen sowie zu solchen, die im Kontext der Debatten zur Bewusstseinsthematik geführt werden.
(b) Bei einem Rekurs auf das model of credition müsste dieses logischerweise zuerst bekannt gemacht werden, bevor damit gearbeitet werden kann. Eine Erstbegegnung und Erarbeitung bräuchte allerdings nicht im RU erfolgen, sie wäre etwa auch im Philosophie-, Ethik- oder Biologieunterricht denkbar. Ab dem Moment, wo dann aber das model of credition als Referenztool zur Verfügung steht, könnte es einen wichtigen Beitrag zum creditive turn leisten. Nun ließen sich nämlich auf seiner Basis emotionale, propositionale, entwicklungs- oder kulturspezifische Einflüsse auf die Herausbildung von Bab-Blob-Konfigurationen thematisieren. Der Bezug auf das Modell würde erlauben, die jeweiligen – in der Regel divergierenden, wenn nicht widersprüchlichen – Gegebenheiten der Schüler:innnen und Lehrer:innen (d.h. hier in erster Linie deren Bab-Blob-Konfigurationen) zu versprachlichen.
7.2.4 Ist ein creditiv turn für die RP sinnvoll?
Das mag offen bleiben, genauso wie der Erfolg von Überlegungen, eine Credition based applied theology zu entwickeln (Angel, 2022c). Die Verwendung des model of credition bietet jedoch eine mögliche Voraussetzung dafür, subjektive und innere Gegebenheiten von Schüler:innen und Lehrer:innen formalisiert (das heißt nicht subjektiv überwältigend) zur Sprache zu bringen. Damit ist eine Voraussetzung geschaffen, deren je persönlichen Erfahrungen kommunikativ in wertschätzender Weise verarbeiten zu können.
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Sugiura, M., Seitz, R. & Angel, H.-F. (2015). Models and Neural Bases of the Believing Process. Journal of Behavioral Brain Science, 2015/5, S. 12–23. DOI 10.4236/jbbs.2015.51002
O.Univ.-Prof. Dr. Hans-Ferdinand Angel ist Professor für Katechetik und Religionspädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz und Scientific Director des Credition Research Project
Die Etablierung des Credition Research Project und der Ausbau der von der Steirischen Landesregierung ins Leben gerufenen Initiative Gehirnforschung Steiermark (INGE St.) standen in engem Zusammenhang. Deswegen ist das Credition Research Project seit Beginn in dieser Initiative verankert. Zum 10-Jahresjubiläum wurde von INGE St. eine bebilderte Broschüre herausgegeben: https://gehirnforschung.at/wp-content/uploads/Jubilaeum-10-Jahre-CRP-Web.pdf. Im Zusammenhang mit dem von der Universität Düsseldorf organisierten Jubiläumskongress entstand ein Special Issue der Zeitschrift Frontiers mit knapp 50 Beiträgen (Seitz, Angel, Paloutzian, Taves 2022).
Da der wissenschaftliche Austausch so gut wie ausschließlich englischsprachig stattfindet, hört man das Wort 'Credition' bislang nur in englischer Aussprache: im Singular als Credition [kreˈdɪʃn̩]bzw. im Plural als Creditions [kreˈdɪʃn̩s].
Sowohl die im Buch Credition. Fluides Glauben vorfindliche Hinführung, in der das Anliegen des Buches kurz skizziert wird (S. 1−18) als auch das nicht in das Buch aufgenommene Literaturverzeichnis kann auf der Forschungswebsite des Credition Research Project kostenlos herabgeladen werden: https://credition.uni-graz.at/de/.
Im Singular dient credition als Gattungsname, im Plural verweist creditions auf die Vielzahl innerer Prozesse.
Die seit 2011 jährlich stattfindenden Grundlagenkongresse laufen unter dem Titel The Structure of Credition.
Kognition darf man nicht, wie dies auch in der Religionspädagogik bisweilen geschieht, als Gegenbegriff zu Emotion verstehen (s.u. 5.2.1).
Die in diesem Zusammenhang auf Englisch geführten Diskussionen lassen sich im Deutschen nicht ohne weiteres wiedergeben. Im Englischen gibt es nämlich das Gerundiv believing, das die gleiche grammatikalische Wirkung wie das Gerundiv learning hat. Eine solche sprachpragmatische Nähe von believing und learning ist im Deutschen nicht herstellbar.
Am Rande sei aus Creditionenperspektive darauf aufmerksam gemacht, dass Theologie und Religionspädagogik fast ausschließlich auf conceptual belief (s.o. 3.6) und damit auf sprachgebundene Glaubensnarrative fokussieren.
Hier mag ein tieferliegender Zusammenhang mit dem fehlenden Zugang zu epistemologischen und bewusstseinsphilosophischen Debatten gegeben sein. Diese thematisieren nämlich Glaube gerade nicht als religiöses Phänomen.
Diese Problemlage war seinerzeit allerdings gerade schon die Motivation, die Regensburger Symposien zu veranstalten.
Auf einem der Grundlagenforschungskongresse wurde die „Entdeckung“ von Creditionen von neurowissenschaftlicher Seite mit der „Entdeckung der Gene“ verglichen. Gemeint war damit, dass die Verbreitung eines Wissens über Creditionen nachhaltige Auswirkungen in den unterschiedlichsten Bereichen haben werde.
Ein Stein kann zum Bauen ebenso verwendet werden wie als Angriffswaffe.
Nach meiner Erfahrung sind 3−5 Einheiten einer universitären Seminarveranstaltung oder zwei Halbtage eines Weiterbildungskurses bzw. eines Workshops im CreditionLab erforderlich, um das Modell soweit zu verstehen, dass erste Gehversuche bei der Arbeit mit dem Modell erfolgreich zu bewältigen sind.
Dies ist allerdings kein Spezifikum für Credition. Auch die Anwendung des Vier-Ohren-Modells oder von Modellen wie Themenzentrierte Interaktion (TZI) oder Transaktionsanalyse (TA) beruht auf diesem Verfahren.
Diese plakativen 'Zuordnungen' sind wenig angemessen. Sie sollen lediglich Entfaltungsmöglichkeiten des Unterrichtsgeschehens erkennbar werden lassen.