1 Einleitung
In den letzten Jahren haben sich verstärkt Debatten an der Frage entzündet, wie das Verhältnis menschlicher Zivilisationen zur Natur zu denken und zu gestalten sei. Die Umweltfrage, insbesondere die aktuelle Klimakrise, stellt auch die Religionsgemeinschaften vor neue Herausforderungen. Sie spielen für diesen Themenkomplex eine wichtige Rolle, weil sie einerseits Möglichkeiten bieten, Krisenerfahrungen und das Verhältnis des Menschen zur Welt zu deuten, und andererseits über den Glauben und ethische Leitlinien Einfluss auf Wahrnehmung und Verhalten von Menschen ausüben können. Zudem sind sie auch gewichtige Stimmen in der öffentlichen Debatte. In seiner Enzyklika Laudato siʼ hat Papst Franziskus an diese gemeinsame Verantwortung der Religionen appelliert:
„Der größte Teil der Bewohner des Planeten bezeichnet sich als Glaubende, und das müsste die Religionen veranlassen, einen Dialog miteinander aufzunehmen, der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist.“ (Franziskus, 2015, S. 201)
Zugleich bieten Fragen nachhaltiger Entwicklung in ihrer Verbindung mit wirtschaftlichen, ethischen, politischen und sozialen Fragen ausgezeichnete religionspädagogische Lernanlässe für die Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Tradition wie auch für konfessionell-kooperatives sowie interreligiöses Begegnungslernen (Tacke, 2020, S. 122). Der hier gewählte Ausgangspunkt eines solchen dialogischen Ansatzes einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist eine Auseinandersetzung mit religiösen Menschenbildern. Ein Fokus auf Menschenbilder erscheint dabei sowohl aus christlicher als auch aus islamisch-theologischer Tradition legitim, da dem Menschen hier wie dort eine spezifische Erkenntnisfähigkeit und damit Verantwortung zugesprochen wird und auch jede religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung „emanzipatorisch auf Freiheit und Verantwortung des Menschen ausgerichtet [ist]“ (Gärtner, 2020, S. 57).
Durch den gemeinsamen, religionsübergreifenden Bezug auf die aktuelle Klimakrise lässt sich einer so genannten „Überschneidungssituation“ sprechen, die Willems (2011) als besonders bedeutsam für die Effektivität von interreligiösen und interkulturellen Lernprozessen definiert hat: Anstatt die Frage Was ist der Mensch? bzw. allgemeiner Menschenbilder einfach vergleichend in einen kooperativen Unterricht einzuspielen, werden diese Fragen mit Blick auf das konkrete Problem der Klimakrise erörtert, um auf diese Weise eine gegenwartsbezogene und gemeinsame Grundlage für den interreligiösen Austausch zu schaffen. Es kann miteinander erkundet werden, was sich aus den religiösen Traditionen als konkrete Aufgabe und Verantwortung des Menschen – aller Menschen – für die Mitwelt ergibt. Dies kann mit eigenen Menschenbildern in Beziehung gesetzt werden. Damit wird bei der Lebenssituation und den Interessen der Lernenden angesetzt, was dem interreligiösen Lernen zusätzliche Relevanz und Sinnhaftigkeit verleiht (Gmoser, Kramer, Mešanović, Weirer, Wenig & Yağdı, 2024, S. 206). Die Religionen und ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen werden nicht ins Zentrum gerückt, sondern in Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Klima und Schöpfungsverantwortung erarbeitet und reflektiert. Es wird dabei keine eindeutige begriffliche Abgrenzung zwischen interreligiösem Lernen und interreligiösem Dialog vorgenommen, da interreligiöses Lernen breitenwirksam vor allem in interreligiösen Lernarrangements stattfindet, deren dialogischer Charakter durch die Professionalität der Religionslehrkräfte ermöglicht wird, womit ein gleichberechtigter Dialog unterschiedlicher Religionsvertreter:innen zumindest in der Leitung gegeben ist und vorbildhaft erlebt wird.
Die Überlegungen sind daher von der Frage geleitet, welchen Mehrwert eine solche interreligiös-dialogische Auseinandersetzung mit Menschenbildern für religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung haben kann. Im Artikel sollen zunächst einige Facetten christlicher und islamischer Menschenbilder mit Bezug zu Schöpfung und Umwelt skizziert werden, um Lesenden aus den jeweiligen Religionen eine Grundinformation zu ermöglichen und Zusammenhänge und Differenzen sichtbar zu machen. Anschließend sollen Stärken und Möglichkeiten einer Auseinandersetzung mit Menschenbildern im Kontext religiöser Bildung für nachhaltige Entwicklung aufgezeigt werden.
2 Nachhaltige Entwicklung als (interreligiöses) religionspädagogisches Thema
Die religionspädagogischen Aufmerksamkeiten zum Thema Natur und Schöpfung haben sich in den letzten Jahren verschoben: Vor allem im Kontext des New Atheism stand eine Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften und vor allem mit naturalistischen Weltsichten im Vordergrund (Hunze, 2007; Schweitzer, 2012; Rothgangel, 2014) – und damit die Frage nach dem Ursprung der Welt. Nun liegt der Fokus auf dem Thema der Bewahrung der Schöpfung (Bederna, 2020; Gärtner, 2020) und damit auf der Frage nach ihrer Zukunft, wobei dieser religionspädagogische Diskurs an die Umweltthematik der 1980er Jahre anknüpfen kann, sich von dieser aber auch abgrenzt. Dies wird nicht zuletzt erreicht durch eine Anbindung an den Diskurs zur Nachhaltigkeit (sustainability), der einen schonenden Umgang mit Ressourcen anstrebt, um deren rasche Ausbeutung und Zerstörung zu verhindern. Der Begriff Nachhaltigkeit wurde in den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung 2015 (auch bekannt als Sustainable Development Goals, SDS) genauer definiert und mit konkreten Zielen verknüpft. Als Gegenpol eines religiösen Diskurses zu Natur und Schöpfung erscheint nun nicht ein erkenntnistheoretischer Naturalismus, sondern der gegenwärtige Kapitalismus und die mit ihm verbundene nutzenorientierte Sicht auf Umwelt als bloße Ressource (Horkheimer & Adorno, 1969). Papst Franziskus (2015, S. 101) nennt dies eine „Globalisierung des technokratischen Paradigmas“.
Nicht selten wurde die Ausbeutung der Natur kausal mit einem christlichen Menschenbild verknüpft. Eine direkte Beziehung eines traditionellen christlichen Anthropozentrismus zur modernen Ausbeutung der Natur, wie er wiederholt argumentiert wurde (vgl. etwa Drewermann, 1983; anklingend auch bei Gärtner, 2020) greift dabei aber zu kurz: Zum einen weist Irrgang (1992, S. 277) darauf hin, dass die Durchsetzung des technokratisch-kapitalistischen Anthropozentrismus gerade zu einer Zeit geschieht, in der die Evolutionstheorie den traditionellen christlichen Anthropozentrismus in die Krise stürzt. Zum anderen zeigen jüngere Statistiken, dass der weltweit höchste CO2-Ausstoß keine signifikanten Zusammenhänge mit der religiösen, konfessionellen oder kulturellen Prägung der jeweiligen Länder aufweist: Zu den zehn größten Klimasündern gehören die konfuzianisch-buddhistisch geprägten Staaten China, Japan und Südkorea ebenso wie christlich geprägte Staaten jedweder Konfession (USA, Russland, Deutschland, Kanada), das mehrheitlich hinduistische Indien ebenso wie die muslimischen Staaten Iran und Saudi-Arabien. Beim Pro-Kopf-Ausstoß dominieren muslimische Staaten, vor allem in der Golfregion (Europäische Kommission, 2019).
Eine monokausale Rückführung auf einen christlichen Anthropozentrismus erweist sich daher als wenig erhellend – vielmehr scheint es, als hätte keine religiös-spirituelle Tradition der Welt sich dem technokratischen Zugriff auf die Welt bislang entscheidend zu widersetzen vermocht. Umso mehr erscheinen daher gemeinsame dialogische und interreligiöse Aktivitäten notwendig. Im vorliegenden Beitrag soll dieser Dialog durch die Auseinandersetzung mit Menschenbildern geführt werden. Zunächst sollen zentrale Facetten einiger christliche und islamischer Menschenbilder dialogisch skizziert und dabei ihre Ausrichtung auf eine gemeinsame Verantwortung für Schöpfung im Kontext der Klimakrise aufgezeigt werden.
3 Christliche Anthropologien als Schöpfungsverantwortung
Als biblische Bezugspunkte gegenwärtiger umweltethischer Debatten zu Menschenbildern im Christentum werden vor allem die beiden Schöpfungserzählungen im Buch Genesis herangezogen. In Gen 2, dem vermutlich älteren der beiden Texte, steht dabei die Erschaffung des Menschen im Vordergrund, mit seiner Geschlechtlichkeit und Erkenntnisfähigkeit (Reinert, 2014, S. 87). Bedeutsam für die Frage des Menschenbilds sind hier vor allem die essenzielle Verbindung des Menschen (ādām) mit dem Erdboden (adāmāh) und die harmonische Einbettung dieses Erdlings in den von Gott angelegten Garten Eden, mit dem Auftrag, diesen zu bewahren, aber auch zu bebauen:
„[D]a bildete der HERR, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebende Seele. Und der HERR, Gott, pflanzte einen Garten in Eden im Osten, und er setzte dorthin den Menschen, den er gebildet hatte“ (Gen 2:7–8, ELB).
„[…] Und der HERR, Gott, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, ihn zu bebauen und zu bewahren.“ (Gen 2:15, ELB)
Der Mensch ist dadurch relational in die Schöpfung eingebettet, allerdings bleibt er durch seine personale (Willens-)Freiheit nicht vollständig durch die natürliche Umgebung bestimmt: „[I]m menschlichen Bewusstsein tritt die Natur fühlend und denkend ein Stück weit sich selbst gegenüber“, weshalb der Mensch „das grundsätzlich unbestimmbare Wesen“ bleibe, so Gruber (2003, S. 86, 140). Dieser stark individualisierte und an Vernunftfähigkeit und Freiheit orientierte Blick auf den Menschen ist für viele heutige christliche Menschenbilder prägend.
Noch einflussreicher als Gen 2 ist die erste (zugleich jüngere) Schöpfungserzählung in Gen 1, welche die Schöpfung des gesamten Kosmos in den Blick nimmt und die Rolle des Menschen in dieser Kosmogonie offenlegt. Hier heißt es schließlich:
„Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen!“ (Gen 1:29, ELB)
Der Mensch in der biblischen Schöpfungserzählung wird von Gott gebraucht – „als sein Ebenbild, d. h. als sein Stellvertreter auf Erden“ (Reinert, 2014, S. 97). Die Existenz des Menschen ist somit keine zufällige, sondern sinnhaft und gewollt. Zugleich verliert hier die Natur ihren magischen und mythischen Charakter und wird zu einer anthropologischen Wirklichkeit: Der freie, personale Mensch wird in die Verantwortung gerufen als Partner Gottes, der an der schöpferischen Tätigkeit Gottes teilhat (Korff, 1993, S. 201).
Dreh- und Angelpunkt dieser Bestimmung ist die Interpretation der Weisungen „mache sie dir untertan“ und „herrsche“, die dem Menschen von Gott als Auftrag mitgegeben werden. Es besteht kaum ein Zweifel, dass die Bibel dem Menschen eine besondere Rolle innerhalb der Schöpfung zuspricht, wovon auch die Psalmen (islam. zabūr) Zeugnis geben:
„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst. Denn du hast ihn [den Menschen] wenig geringer gemacht als Engel, mit Herrlichkeit und Pracht krönst du ihn. Du machst ihn zum Herrscher über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt.“ (Ps 8:5–7, ELB)
Herrschaft über die Schöpfung zugesprochen zu bekommen, sagt in der Praxis jedoch weniger über Gott aus, sondern darüber, wie Menschen politisch Herrschaft und ihr Verhältnis zu Untertanen definieren – ob absolutistisch, ausbeuterisch, fürsorglich oder kooperativ. Es wäre dabei aber vermessen, den biblischen Text allzu harmonisierend zu übertragen: Die Bibel in gerechter Sprache (2006) übersetzt etwa nicht mit „untertan machen“ und „herrschen“, sondern mit „bemächtigen“ und „niederzwingen“, um die durchaus gewaltsamen Konnotationen der hebräischen Begriffe sichtbar zu machen. Entscheidend ist also vielmehr der historische Kontext: Der biblische Text zeigt den eisenzeitlichen Menschen in der Anstrengung, einer oft übermächtig erlebten Natur bewohnbare Ordnung abzuringen. Doch die Machtverhältnisse haben sich geändert; nun ist es der Mensch, der technisch und organisatorisch übermächtig geworden ist. Der biblische Text gibt also nur bedingt etwas vor, sondern regt an, mit Blick auf das Menschenbild das Verständnis von Herrschaft immer neu zu diskutieren.
Dennoch liegen hier die Wurzeln einer historisch prägenden menschlichen Selbstüberhöhung in der christlichen Tradition, die mit dem Terminus christlicher Anthropozentrismus bezeichnet wird. Die autoritative Rolle, welche die Bibel dem Menschen zuspricht, braucht dabei nicht relativiert und geleugnet werden. Ein romantisch-verklärendes Zurück zur Natur, das die Differenz von Mensch und Natur einebnet, ist unangemessen – schließlich soll er auch „bebauen“ (Gen 2:15). Es negiert die Realität des Menschen, der sein Leben auch von der Natur und bisweilen gegen die Natur – die auch gefahrvoll und tödlich ist – bestreiten muss. Als vernunftbegabtes Lebewesen kann und muss der Mensch Verantwortung für sein Handeln tragen und kann sich dieser Rolle nicht entziehen. Der Mensch bleibt daher der Mittelpunkt jeder Umweltethik, jedoch: „Der Nerv einer christlichen Umweltethik ist eine geläuterte Anthropozentrik“ (Irrgang, 1992, S. 30), der es gelingt, das Verhältnis zur Natur positiver zu bestimmen. Es gilt vielmehr offenzulegen, was aus einer Ebenbildlichkeit Gottes als Auftrag für die Gestaltung der Beziehung des Menschen zur Natur abzuleiten ist: eine Relationalität, die sich Gott als Maßstab auferlegt und von Gerechtigkeit, Fürsorge, Schutz, Barmherzigkeit und Kreativität bestimmt ist, von „Verbundenheit“, wie Werner (2020, S. 16) mit Verweis auf Johnson betont. Bederna und Vogt (2018) schlagen hier den Begriff „anthroporelational“ vor. Relationalität bleibt daher das maßgebliche Element, welches jede christliche Perspektivierung des Menschen wesentlich prägt. Der Schöpfungsbericht, so Platow (2020, S. 18),
„verweist darauf, dass der Mensch nicht als vereinzeltes Wesen leben kann, sondern auf Sozialität angewiesen ist. Der Mensch ist – schöpfungstheologisch gesehen – ein soziales Wesen; er braucht Kommunikation Interaktion, Geselligkeit und Zuwendung und lebt in Beziehungen. Er muss über die eigene Grenze – qua Bildung – dazu qualifiziert werden, über sich hinauszureichen.“
Hier wird hervorgehoben, dass der Mensch ein zutiefst soziales Wesen ist, das auf Gemeinschaft, Interaktion und Fürsorge angewiesen ist, um sich voll zu entfalten. Bildung ist ein Mittel, das den Menschen dazu befähigt, seine eigene Individualität zu überschreiten und sich aktiv und verantwortungsbewusst in die Gesellschaft einzubringen. Im vorliegenden Artikel wird diese Idee genutzt, um aufzuzeigen, wie interreligiöse Bildung zur Förderung von Dialog und Zusammenarbeit in gesellschaftlichen und globalen Fragen beitragen kann.
4 Islamische Anthropologien als Schöpfungsverantwortung
Ausgangs- und Referenzpunkt der Darlegungen aus islamischer Sicht ist die Offenbarung im Koran, wobei diese allerdings keine systematische Anthropologie beinhaltet (El Maaroufi, 2021, S. 45). Daher gilt es auf der gegebenen Textbasis stets zu fragen, „wie der Mensch koranisch gedacht werden könnte“ (ebd.).
Gott ist als ḫāliq nicht nur der Erschaffer aller Welten, sondern er steht mit seiner Schöpfung in einer interaktiven Beziehung. Sämtliche Geschöpfe finden ihre Bestimmung von ihm ausgehend und zu ihm hin, da Gott sie erschaffen hat und sie wieder zu ihm zurückkehren. Damit hat die Schöpfung als Ganzes ein gemeinsames Ziel, nämlich Gott (Koran, 41:11; El Maaroufi, 2021; S. 47 f.). Außerdem fungiert die Schöpfung als Zeichen (āya) Gottes auf Erden zum Zweck der Offenbarung Gottes gegenüber den Menschen. Ebenso wie andere Zeichen muss die Schöpfung jedoch erst entziffert werden, um überhaupt als Offenbarung begreifbar zu sein. Die Schöpfung ist neben den Versen des Koran als zweite Quelle der göttlichen Botschaft zu verstehen, die beide gleichermaßen ergründet werden sollten (ebd.).
Damit der Mensch dieser Aufgabe der Zeichendeutung nachkommen kann, hat ihn Gott mit besonderen Eigenschaften ausgestattet; man könnte auch sagen, Gott hat ihm seinen eigenen Geist eingehaucht:
„Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: ‚Ich werde einen Menschen (baschar) aus trockenem, tönendem Lehm, aus schwarzem, zu Gestalt gebildetem Schlamm schaffen. Wenn ich ihn dann geformt und ihm Geist von mir eingeblasen habe, dann fallt (voller Ehrfurcht) vor ihm nieder!‘“ (Koran, 15:28–29)
Der qualitative Unterschied zwischen dem Menschen und der restlichen Schöpfung besteht genau in dem ihm eingehauchten göttlichen Geist bzw. Lebensodem (tanfīḫ bzw. rūḥ), durch den sich der Mensch von einem Mängelwesen zu einem verständigen und moralischen Wesen weiterentwickelt.
Bezüglich des eingehauchten göttlichen Atems ist außerdem zu erwähnen, dass im Koran dennoch nirgendwo von einer Ebenbildlichkeit mit Gott die Rede ist. Die Grenze zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf ist eine strikte, und sie darf auch durch die Außergewöhnlichkeit des Menschen nicht infrage gestellt werden (Tautz, 2007, S. 178). Doch der Mensch verfügt in exklusiver Weise über „Erkenntnisfähigkeit (maʿrifa), Urteilsfähigkeit (tašrīʿ) und Willen (irāda wāʿiyya)“ (El Maaroufi, 2021, S. 55). Dies ist insofern wichtig, als er hierdurch überhaupt erst der Aufgabe gewachsen ist, die Rolle eines Statthalters (ḫalīfa) zu übernehmen.
Der Islam versteht die Veranlagung des Menschen nicht als eine verdorbene, sondern im Gegenteil als eine, die grundsätzlich auf Gott ausgerichtet ist. Dieser wesentliche Aspekt wird ausgedrückt im koranischen Begriff der fiṭra, der eine Art und Weise des Erschaffens oder des Erschaffenseins beschreibt. Gemäß seiner Natur wird der Mensch, dem koranischen Sprachgebrauch entsprechend, als muslim geboren und ist somit dem einzigen Gott ergebener Mensch. Es liegt jedoch in der Verantwortung des Menschen, die in ihm „angelegte Gottverbundenheit und Gottessehnsucht zu pflegen und zu gestalten“ (ebd.). In ihm ruht bereits alles hierfür notwendige Wissen; seine Pflicht besteht darin, es wiederzuentdecken (Tautz, 2007, S. 174). Diese ursprüngliche Verbindung mit Gott beschreibt der Koran wie einen Ur-Pakt oder eine Ur-Bejahung (El Maaroufi, 2021, S. 58):
„Und (damals) als dein Herr aus der Lende der Kinder Adams deren Nachkommenschaft nahm und sie gegen sich selber zeugen ließ! (Er sagte:) ‚Bin ich nicht euer Herr?‘ Sie sagten: ‚Jawohl, wir bezeugen es.‘ (Dies tat er), damit ihr (nicht etwa) am Tag der Auferstehung sagt: ‚Wir hatten davon keine Ahnung‘“ (Koran, 7:172).
Trotz dieser ursprünglichen Hinwendung zu Gott weist der Koran auch auf die zahlreichen Schwächen des Menschen hin, die er ohne göttliche Hilfe nicht zu überwinden vermag. Es ist daher aus der Sicht Gottes „erforderlich, ihn zu erziehen und ihn in diesem Prozess zu begleiten, damit seine fiṭra (Naturanlage) nicht zerstört wird“ (Aslan, Modler-El Abdaoui & Charkasi, 2015, S. 94). Essenziell für dieses Ur-Bündnis ist nämlich, dass es durch den freien Willen des Menschen auch gebrochen werden kann. Eben hierin besteht die innere Ambivalenz des menschlichen Wesens, das sich gegen seine innere Natur entscheiden kann (El Maaroufi, 2021, S. 58–59; Mohagheghi, 2008, S. 83–84). Diese Freiheit erlaubt es dem Menschen, sich auch gegen Gott zu stellen.
Im Koran wird die Ernennung des Menschen als ḫalīfa wie folgt beschrieben:
„Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: ‚Ich werde auf der Erde einen Nachfolger (ḫalīfa) einsetzen!‘ Sie sagten: ‚Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen) einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen?‘ Er sagte: ‚Ich weiß (vieles), was ihr nicht wißt‘“ (Koran, 2:30).
Welche Aufgaben Gott seinem ḫalīfa auferlegt hat, geht aus dem Koran nicht genau hervor. Deshalb gibt es auch Uneinigkeit betreffend die Übersetzung des arabischen Begriffs – am prominentesten sind jene als „Sachwalter“, „Stellvertreter Gottes“, „Nachfolger“ oder „Statthalter“ (El Maaroufi, 2021, S. 64). Fasst man ḫalīfa als Nachfolgerschaft auf, so stellt sich die Frage, wessen Nachfolger hier gemeint ist: Hierfür könnten zum einen „frühere, inzwischen auf der Erde nicht mehr existierende Lebewesen anderer Art“ infrage kommen, etwa „Lebewesen nach der Art der ǧinn (kleine, aus Feuer geschaffene Zwischengeister)“ (Tautz, 2007, S. 178), die von Gott wegen ihrer Sünden ersetzt wurden (ebd.; El Maaroufi, 2021, S. 64–65). Zum anderen kann mit Nachfolgerschaft schlicht das Folgen einer menschlichen Generation auf eine andere gemeint sein (Sievers, 2021, S. 115). Aber auch die Bezeichnung Stellvertreter Gottes ist nicht unproblematisch, da der Mensch niemals die Stellung Gottes einnehmen kann. Gleiches gilt für den Begriff Statthalter, denn ein solcher wird für gewöhnlich eingesetzt, um jemanden zu vertreten, der Mensch kann aber niemals in die Rolle Gottes schlüpfen (El Maaroufi, 2021, S. 65).
Der Mensch hat somit die Verantwortung, dem göttlichen Willen gemäß gerecht zu handeln, und er fungiert dabei als „Fürsprecher und Verteidiger seiner Mitschöpfung“ (ebd.), ohne aber jemals Gottes Rang einnehmen zu können. Das ihm von Gott anvertraute Gut, die amāna, ist daher niemals im Besitz des Menschen, er agiert „in Form einer delegierten Autorität“ (ebd., S. 66), da er gleichzeitig immer auch der Diener Gottes (ʿabd Allāh) bleibt (Ebrahim, 2020, S. 67; Polat, 2010, S. 291). Die Rolle des Menschen als ḫalīfa ist eine zweifache: Einerseits wird er Herr über sich selbst, andererseits erweist sich hierin auch seine Dienerschaft Gott gegenüber (Hajatpour, 2014, S. 86). Daher ist es nicht verwunderlich, dass im Koran das Wort ʿabd (Diener, Knecht) „geradezu synonym für das Wort Mensch benutzt wurde und auch heute noch benutzt wird“ (Tautz, 2007, S. 179).
Die Vervollkommnung des Menschen äußert sich „in guten Ansichten, guten Taten, gutem Charakter und Erkenntnissen“ (Hajatpour, 2013, S. 151), woraus ersichtlich wird, dass die Gotteserkenntnis sich erst in der gelebten Haltung eines Menschen manifestiert. Eine tatsächliche volle Verwirklichung seines Seins gelingt dem Menschen auf Erden jedoch nie, er muss sich stets aufs Neue „geistig bzw. ethisch unter Beweis stellen“ (El Maaroufi, 2021, S. 63). Will man die Rolle des Menschen auf Erden begreifen, so ist eine Auseinandersetzung mit dem islamischen Umweltverständnis unabdingbar. Hierfür ist die von Gott als Ausdruck seiner Barmherzigkeit und Liebe geschaffene und darum auch gewollte Ordnung in der Natur zentral (Takim, 2016, S. 8).
5 Chancen einer dialogischen Umweltethik mit Blick auf Menschenbilder
Aus christlicher wie islamischer Sicht können religiöse Texte und religiöse Anthropologien eine Gegenerzählung zu materialistischen, funktionalistischen und selbstbezogenen Erzählungen über die Menschheit bieten. Sie definieren die Welt positiv als Schöpfung und geben der menschlichen Existenz einen Sinn: Daher gilt es religiöse Texte und auf sie gründende Menschenbilder auf die Verantwortung, die damit einhergeht, zu lesen. Der Religionsunterricht kann so einen Ort bieten, an dem die Lernenden eingeladen werden, über ihr Leben, den Sinn des Lebens und ihre Rolle in der Welt nachzudenken und zugleich die Sichtweisen anderer kennenzulernen. Religiöse Bildung im klassischen Sinne des Bildungsbegriffs darf jedoch nicht in die Falle tappen, aus Schülerinnen und Schülern so genannte „eco-certified children“ (Ideland, 2018) machen zu wollen, indem er ihnen einfach Normen auferlegt. Bildung ist wesentlich mit Freiheit und Verantwortung verbunden: Sie fordert Schüler:innen auf, ihre eigenen Positionen zu reflektieren und ihre eigenen Überzeugungen sowie Annahmen zu hinterfragen, indem sie sie mit religiösen Texten und Konzepten konfrontiert, mit dem Ziel der Einsicht, des Verstehens und der freien Zustimmung. Ein solcher Diskurs erlaubt aus unserer Sicht mindestens fünf wertvolle Zugewinne sowohl zur Überschneidungssituation Klimakrise als auch zum Nachdenken über Menschenbilder.
5.1 Mehrwert gegenüber einem Skriptizismus
Die Auseinandersetzung mit Menschenbildern als Konzept anstelle allein der Heranziehung biblischer und koranischer Textpassagen im dialogischen Unterricht vermeidet einen vorschnellen Skriptizismus und eine funktionale Gleichstellung von Bibel und Koran. Religiöse Menschenbilder sind zwar von den Texten her geprägt bzw. bilden diese auch ein Korrektiv zu verschiedenen religiösen Vorstellungen – es wäre jedoch eine Verkürzung, sich allein über das biblische oder koranische Menschenbild auszutauschen. Wie schon oben angeführt, ist es auch eine Frage der Auslegung, was unter Herrschaft, Ebenbildlichkeit oder Stellvertretung genau zu verstehen ist und ob diese Begriffe als Selbstüberhöhung oder In-Dienst-Nahme interpretiert werden. Es geht zentral darum, die Lernenden mit der Frage zu konfrontieren, ob ihnen allein durch ihr Menschsein schon eine gewisse Verantwortung für die Welt zukommt und wie sich diese genauer bestimmt. Dies findet in Auseinandersetzung mit den Schrifttexten statt, doch nicht von diesen determiniert: Lernende sollen durch religiös-dialogische Arbeit angeregt werden, in Rückbindung an Textinterpretationen selbst darüber nachzudenken, wie sie sich selbst als Mensch verstehen und was damit an Fähigkeiten und Verantwortung verbunden ist – vor allem in Bezug auf die Mitwelt. Dabei gewinnen sie sowohl mehr Klarheit über ihr eigenes Menschenbild und setzen sich zugleich mit christlichen und islamischen Perspektiven auf den Menschen auseinander, auch lernen sie darin Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den religiösen Traditionen kennen.
Stehen die umweltethischen Überzeugungen hingegen schon fest und werden lediglich Schrifttexte selektiv herangezogen, so stellt dies eine Funktionalisierung dar, die der Eigenständigkeit des Textes nicht gerecht wird. Zweifelsohne gibt es immer ein gewisses Erkenntnisinteresse, mit dem Heilige Schriften gelesen werden. Schriftlektüre, gerade zu einem spezifischen Thema oder wenn darin Trost oder Erbauung gesucht werden, besitzt auch eine funktionale Implikation. Dem kann begegnet werden, wenn in der Auswahl der Texte nicht nur die eigenen Ansichten und Absichten gestützt werden, sondern wenn man sich in einer entsicherten Position auch vom Text in Frage stellen lässt. So ist das Thema Umwelt nicht das zentrale Thema der Bibel und des Koran, und es gilt daher das Umweltthema auch in Relation zu anderen (religiösen oder sozialen) Fragen zu setzen. Ebenso werden sich sowohl der biblische als auch der koranische Text einer völligen Aufgabe eines Anthropozentrismus zu Gunsten einer holistischen Weltsicht widersetzen. Und heilige Texte können auch ein kritisches Korrektiv gegenüber den eigenen Anliegen bieten: So wie die Texte Aussagen zum pfleglichen Umgang mit der Umwelt machen, fordern sie auch einen respektvollen Umgang mit der älteren Generation ein (biblisch etwa Ex 20,12 und Lev 19,32, im Koran etwa 17:23–24; 29:8; 4:36). Dies stellt eine Anfrage an bestimmte Ausprägungen von Klimaschutzbewegungen dar, die auf übertriebene Weise einen Generationenkonflikt inszenieren, wo es sich primär um soziale und politische Konflikte handelt.1
Ein Arbeiten an einer solch spezifischen Frage – dem Selbstverständnis als Mensch in Auseinandersetzung mit religiöser Überlieferung – setzt voraus, dass zuvor schon grundlegend zwischen der christlichen und der islamischen Lerngruppe zu Schriftverständnis und Interpretation gearbeitet worden ist. Ebenso sollten sich die Lehrpersonen im Vorfeld über das gemeinsame Anliegen der Schöpfungsbewahrung grundsätzlich einig sein, denn ein „besonderes Kennzeichen des religionskooperativen Teamteachings ist die Vorbildfunktion, die den Religionslehrer*innen dabei zukommt“ (Gmoser u. a., 2024, S. 207).
5.2 Mehrwert durch einen Macht- und Herrschaftsdiskurs
Christentum wie Islam weisen dem Menschen eine spezifische Rolle zu und bringen dessen hervorgehobene Position als Ebenbild bzw. ḫalīfa zum Ausdruck. Ebenso begrenzen beide diese Sonderstellung durch eine doppelte Relationalität: Zum einen wird eine Verantwortung gegenüber der Schöpfung eingefordert, die diese in ihrem Eigenwert anerkennt und damit das menschliche Schaffen mit Bewahrung und Schutz in eine Spannung setzt. Zum anderen erlegen beide Menschenbilder dem menschlichen Handeln den Maßstab des göttlichen Wirkens auf. Eine gemeinsame Auseinandersetzung mit religiösen Ursprungstexten im Unterricht regt daher nicht nur eine Reflexion zu umweltethischen Fragen an, sondern hält auch Vorstellungen von Herrschaft und Macht einen Spiegel vor. Der menschliche Umgang mit der Schöpfung zeigt zudem, wie eine autoritative Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt interpretiert wird: unterdrückerisch, selbstbezogen, rücksichtlos oder eben nach Maßgabe des göttlichen Wirkens. Die religiösen Anthropologien bieten daher ein Potenzial, über die menschliche Beziehung zur Natur hinaus Fragen von Autorität und Verantwortung generell zu erläutern. Von dieser Thematik berührt sind dabei auch Fragen des Gottesbildes.
Die Auseinandersetzung mit religiösen Menschenbildern mit Blick auf BNE kann zudem als Korrektiv sowohl zu abwertender Sprache im Klimadiskurs als auch zu fragwürdigen Überhöhungen betrachtet werden. Ausgehend von den biblischen und koranischen Texten vertreten beide Traditionen ein durchaus hohes Bild vom Menschen und weisen auf dessen besondere Stellung und Beziehung zu Gott hin. Dieses Unterstreichen der Würde des Menschen lässt sich schwer mit einer bisweilen dehumanisierenden Sprache vereinbaren, wenn etwa die Menschheit als eine Art zerstörerische Krebserkrankung der Erde betrachtet wird, zu Verzicht auf Nachkommen aufgerufen wird und Kinder nur als zukünftige Klimaschädlinge gelten oder ältere Generationen als „Umweltsau“ oder Ähnliches diffamiert werden. Umgekehrt mahnt die Einbettung des Menschen in die Schöpfung eine gewisse Demut und Bescheidenheit an, die dem Menschenbild auch Grenzen setzt: So ist zu fragen, ob es der moralische Selbstanspruch an das Individuum sein kann, mit allen möglichen Handlungen die Welt retten zu wollen, oder ob sich in diesem Ausdruck nicht wiederum eine Überhöhung menschlicher Macht mit anderem Vorzeichen zeigt. Dies soll freilich keine Entschuldigung sein: „Weil der derzeitige Prozess menschengemacht und willentlich ist, ist er zugleich doch veränderbar, er ist nämlich wenigstens zu verlangsamen“ (Werner, 2020, S. 17). Es geht jedoch darum, in welcher Sprache vom Menschen und von sich selbst die Rede ist.
5.3 Mehrwert für einen Austausch zu ontologischen Fragen zur Schöpfung
Das Thema Menschenbilder verbindet die ethischen Ansprüche des Klimaschutzes auch enger mit grundsätzlichen Fragestellungen zu Natur und Schöpfung: Wie eingangs in diesem Beitrag angemerkt, hat sich die religionspädagogische Aufmerksamkeit beim Thema Schöpfung wieder von ontologischen zu ethischen Fragestellungen verschoben. Aus der Frage nach dem Ursprung wurde die Frage nach Zukunftsverantwortung. Dennoch lassen sich diese beiden Aspekte nicht vollständig voneinander trennen: Die von den Religionen eingeforderte Schöpfungsverantwortung des Menschen ist essenziell mit seinem Status als Geschöpf verknüpft: Inwiefern müssen Schülerinnen und Schüler die ontologischen Prämissen (Existenz Gottes, Schöpfung der Welt durch Gott, Bedeutung der Schrift als Offenbarung) akzeptieren, damit die Aussagen zur Schöpfungsverantwortung und Umweltethik für sie bedeutsam werden? – Hier wird es je nach Schüler:in und Lerngruppe unterschiedliche Lernvoraussetzungen geben, die es in der Konzeption des Unterrichts zu berücksichtigen gilt.
Das Selbstverständnis als Mensch berührt daher auch Fragen der Schöpfungstheologie und des Verhältnisses von Religion und Naturwissenschaften und besitzt nicht nur ethische Dimensionen. Ein umweltethisches interreligiöses Lernarrangement muss damit rechnen, dass Fragen nach den zugrundeliegenden Weltbildern (vor dem Hintergrund naturalistischer Weltdeutungen) auftauchen und es hier durchaus zu kontroversen Positionen kommen kann. Werden etwa nur Heilige Texte funktional und harmonisiert mit Blick auf eine gemeinsame Schöpfungsverantwortung vorbereitet und dabei ontologische Fragen ausgeklammert, kann dies zu einem unvorbereiteten Einbruch grundsätzlicherer Fragen führen. Zugleich bietet die qualitative Verhältnisbestimmung, die der Begriff Schöpfung zwischen Mensch und Umwelt etabliert, einen pragmatischen Mehrwert gegenüber einer objektivierenden naturalistischen Sichtweise (Hunze, 2007, S. 173). Über das Thema Umweltethik lassen sich daher auch neue Impulse für ein Schöpfungsverständnis gewinnen, die bisherigen Auseinandersetzungen zu diesem Thema gefehlt haben.
5.4 Mehrwert für die religiöse Subjektwerdung
Die Entdeckung muslimischer und christlicher Ansichten über die Menschheit in einem interreligiösen Umfeld kann den Schülern zudem helfen, sich in einer gemeinsamen Rolle und in einer gemeinsamen Aufgabe als Menschen wiederzufinden, wozu auch Lernprozesse zu Empathie und Mitleidenschaft beitragen können (Domsel/Steffens, 2024). Ungeachtet der Unterschiede zwischen den Religionen, die auch in einem solchen Lernprozess sichtbar werden und nicht harmonisiert oder vernachlässigt werden sollten, können sich christliche und muslimische Schüler:innen als Partner:innen Gottes und des jeweils anderen mit einer klaren Rolle und Verantwortung wiederfinden. Hier sind jedoch bei christlichen und muslimischen Lernenden unterschiedlich starke Identifikationen mit der religiösen Tradition zu erwarten (Gmoser, 2023, S. 228–231). Für viele Lernende wird dabei das Befassen mit dem Thema Menschenbilder überhaupt eine neue Herausforderung darstellen: Begreifen Sie sich überhaupt als Mensch mit bestimmten Aufgaben und Verantwortungsbereichen? Betrachteten sie sich selbst als ein (geschaffenes) Wesen, dem eine Bestimmung – ein telos – innewohnt? Sehen sie sich in einer wie auch immer gestalteten Beziehung zu Gott?
Für andere Schüler:innen werden diese Fragen klarer sein; für sie ist die Frage nach dem Missverhältnis von (religiösem) Menschenbild und dem tatsächlichen menschlichen Verhalten stärker von Interesse: Im Islam werden als möglicher Grund für dieses Missverhältnis unter anderem die mangelhafte ökonomische Sicherheit und Stabilität in vielen islamischen Ländern angeführt (Dziri, 2019, S. 63 f.). Die Vereinnahmung religiöser Themen durch den juristischen Diskurs des Erlaubten und Verbotenen (ḥalāl/ḥaram) wird als weitere mögliche Ursache genannt, denn dies würde opportunistisches Handeln fördern und die Bedeutung der moralischen Einstellung verdrängen (Khorchide, 2019, S. 39 f.). Für eine grundlegende Veränderung des aktuellen muslimischen Selbstverständnisses braucht es daher eine Rückbesinnung auf das islamische Menschenbild, dessen Komplexität sich insbesondere im Sein als ḫalīfa auf Erden ausdrückt, der die Umwelt als schützenswertes Zeichen Gottes begreift (El Maaroufi, 2019, S. 69, 72–75).
5.5 Mehrwert gegenüber der Anbindung allein an säkulare Klimabewegungen
Eine interreligiös angeleitete Auseinandersetzung mit menschlicher Schöpfungsverantwortung kann zudem sprachlich, metaphorisch und konzeptionell mehr Lernende erreichen als säkulare Bewegungen. So sind Ursprung, Kommunikation und Anliegen etwa von Fridays for Future äußerst stark von einer jungen bürgerlichen Mittelschicht und ihren säkularen, post-materialistischen Wertorientierungen geprägt. Dies wird von ähnlich sozialisierten engagierten Pädagog:innen auch in die Schulen getragen, stößt dort aber auf entscheidende soziale Grenzen: Sommer, Rucht, Haunss und Zajak (2019) konnten etwa zeigen, dass bei den Freitagsdemonstrationen Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie aus ärmeren und prekarisierten Familien im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung weit unterrepräsentiert sind. Jugendliche aus diesen Milieus streben meist nach (materieller) Partizipation an der gegenwärtigen bürgerlichen Gesellschaft und nicht nach einem „ideologiekritischen Gegenentwurf zur leitenden Weltordnung“ (Gärtner 2017, S. 95).
Hier und in anderen normativen Fragen kann eine Auseinandersetzung mit religiösen Menschenbildern dazu beitragen, breiter zu denken und zu kommunizieren und dadurch möglichst viele Jugendliche anzusprechen. Hier schließt sich die Überlegung an, wie das eigene Engagement mit religiösen Grundlagen vereinbar ist, auch losgelöst oder alternativ zu bereits bestehenden Bewegungen. Gerade Fridays for Future hat durch eine schon zuvor bestehende Nähe zur Organisation BDS (Boycott, Divestment & Sanctions) sowie durch einzelne Positionierungen nicht zuletzt von Greta Thunberg selbst zum Gaza-Konflikt 2023/24 eine zusätzliche politische Aufladung erhalten, die gerade in einem interreligiösen Setting erschwerend ist. Insofern kann die Auseinandersetzung mit religiösen Menschenbildern hier auch alternative Wege des Engagements aufzeigen und begründen.
Abschließend lässt sich der Zusammenhang zwischen Anthropologie und Überschneidungssituationen didaktisch nutzen, indem die religiösen Menschenbilder als zentrale Ankerpunkte für interreligiöse Lernprozesse in den Fokus gerückt werden. Im Kontext der Klimakrise können Lernende eine gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung entdecken und reflektieren, was ein vertieftes Verständnis eigener und anderer religiöser Traditionen ermöglicht. Der Ansatz, Menschenbilder aus christlicher und islamischer Sicht zu betrachten, eröffnet vielfältige Möglichkeiten für eine Bildung, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt. Die Anthropologien beider Traditionen bieten nicht nur ethische Leitlinien, sondern auch eine tiefere Reflexion über den Ursprung des Menschen in der Schöpfung. Das interreligiöse Lernen ist somit mehrdimensional, indem es Wissenserwerb und Verantwortungsbewusstsein fördert. Durch die konkrete Auseinandersetzung mit religiösen Texten und Konzepten lässt sich die theologische Tiefe der Anthropologie erschließen, während durch die Klimakrise die Dringlichkeit einer gemeinsamen ethischen Praxis in den Vordergrund rückt.
In einer Situation der Verzweiflung und Hilflosigkeit sollen die Religionen Hoffnung geben, aber zugleich auch zu Sinn und Verantwortung ermutigen (Bederna, 2021, S. 62). Wir sind überzeugt, dass der Religionsunterricht daher einen entscheidenden Beitrag zur Umweltethik und -erziehung leisten kann; und dass er dies noch besser kann, wenn dies mit einem interreligiösen Ansatz geschieht, der sowohl der Umweltbildung als auch dem Lernen vom und dem Verstehen des anderen dient.
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DDr. Christian Feichtinger, Universität Graz, Institut für Katechetik und Religionspädagogik
Dr. Şenol Yağdı, PhD, Universität Wien, Institut für Islamisch-Theologische Studien
So zeigte jüngst eine Umfrage der Europäischen Investmentbank, dass sich die Zustimmung jüngerer und älterer Befragter zu Klimaschutzmaßnahmen kaum unterscheidet und diese im Einzelfall sogar von älteren Befragten stärker befürwortet wurden (European Investment Bank, 2021).