Ich danke den Kollegen Dr. Guido Hunze, Dr. Ahmet Kilic (Münster) für viele kollegiale Beratungen sowie Prof. Dr. Fahima Ulfat (Tübingen) für ihre hilfreichen kritischen Kommentare.

Vorüberlegungen

Die Befähigung zu religionssensibler Aktivität zählt zu den großen Herausforderungen gegenwärtiger Ausbildung von (Religions-)Lehrkräften. Dies hat seine Ursachen in gesellschaftlichen Veränderungen. Die sich unter dem Eindruck der Zuwanderung seit den 1950er Jahren stetig vollziehenden Entwicklungen hin zu einer multioptionalen Gesellschaft tragen ein erhebliches Spannungspotential in sich. Die Verschiebung hergebrachter religiöser Strukturen stellt für eine nicht geringe Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Menschen eine erhebliche Herausforderung dar (Willems, 2011; Bertelsmann Sonder-Monitor, 2015; Stricker, 2016).

Die religiösen Gemeinschaften thematisieren die gesellschaftlichen Strukturverschiebungen zumeist am Rande. In den letzten Jahrzehnten haben sie sich überwiegend mit dem christlich-jüdischen, in den letzten Jahren verstärkt mit dem christlich-muslimischen Dialog befasst (Lähnemann, 2016; Wrogemann, 2019). Neuere Vorschläge zur Ausbildung von Lehrkräften greifen pragmatisch auf Konzepte zurück, die seit längerem ausgearbeitet sind, so etwa auf die Verlautbarungen des päpstlichen Rats von 1991 (Vött, 2002), aber auch auf die Denkschrift der EKD von 1994 (Boehme & Brodhäcker, 2013). Zwar sehen die Empfehlungen und Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch der Kultusministerkonferenz die Ausbildung einer interreligiösen Dialog- und Diskurs- bzw. Kooperationskompetenz als Teilkompetenz vor (KMK, 2008; DBK, 2010; EKD, 2015). Als zentrales Thema ist die interreligiöse Dimension in der konfessionellen Lehrerinnen- und Lehrerbildung bislang nicht in den Fokus getreten. Dies mag auf politische Interessenskonflikte zurückzuführen sein (Willems, 2011). Es kann aber auch damit zusammenhängen, dass das Problem überwiegend in einzelnen Initiativen in Angriff genommen wird: Interreligiöse Begegnungen zwischen angehenden Lehrkräften werden an Standorten, an denen dies wie etwa in Erlangen, Heidelberg, Münster, Osnabrück, Paderborn und Tübingen durch die gleichzeitige Präsenz verschiedener konfessionell bezogener Lehramtsstudiengänge möglich ist, durchgeführt, gelegentlich auch standortübergreifend (Boehme, 2019).

1 Zum Forschungsstand

1.1 Interreligiöse Begegnungen als interreligiöse Dialoge

Im deutschsprachigen Raum werden interreligiöse Begegnungen – Stricker zufolge – zumeist als interreligiöse Dialoge aufgefasst. Dies könnte zwar darauf zurückzuführen sein, dass nur solche Formen der Begegnung in den Fokus genommen werden, die potentielle Konfliktpotentiale kriteriologisch ausklammern. Eine nähere Sichtung der einschlägigen Literatur zeigt aber, dass um die Abgrenzung von Begegnungen und Dialogen gerungen wird (Stricker, 2016).

Während der Sprachwissenschaftler Vött neben dem Zusammenleben im Alltag Expertendialoge über theologisch-fachliche Aspekte, aber auch Dialoge der Glaubenserfahrung identifiziert, die sich mit der persönlichen Religiosität befassen (Vött, 2002, S. 83–85), hebt der interkulturelle Theologe Henning Wrogemann pragmatische, außerhalb Europas stattfindende von innereuropäischen theologischen Dialogen ab (Wrogemann, 2019). Der Hamburger Missionswissenschaftler Ulrich Dehn unterscheidet niedrigschwellige Gespräche und Begegnungen, Informationsdialoge zum einseitigen oder gegenseitigen Kennenlernen in religiösen Zentren, Projektdialoge zur Planung gemeinsamer Aktivitäten vor Ort (Stadtteilfest, kulturelle Veranstaltungen), themenbezogene Expertendialoge (u.a. Akademietagungen), Dialoge zur Mediation/Vermittlung in Konfliktfällen, Lehrkonsensdialoge sowie offizielle Dialoge von Repräsentanten (Dehn, 2016). Thematisch angeleitete, auf fachlichen und persönlichen Austausch abhebende Begegnungen zwischen Studierenden verschiedener Religionen sind bislang kategorial weder sprach- noch religions- oder missionswissenschaftlich im Blick. Um ihre formale Rahmung von informellen Begegnungen zu unterscheiden wird im Folgenden für angeleitete interreligiöse Begegnungen in theologischen und religionspädagogischen Ausbildungsstätten die Bezeichnung interreligiöser Dialog gewählt.

1.2 Kriteriologische Darstellung interreligiöser Dialoge

Für die theoretische Auseinandersetzung mit interreligiösen Dialogen werden Disziplinen übergreifend ähnliche Modelle diskutiert. Neben Säkularisierungsmodellen, die auch die Konfessionsfreien berücksichtigen, stehen Ansätze, die den Umgang mit Religion(en) in der Multioptionsgesellschaft beschreiben. Es handelt sich um religionstheologische Positionen, aber auch um Formen der Komparativen Theologie (Freise, 2016; vgl. auch von Stosch, 2009; Halík, 2011; Dehn, 2016; Schmidt-Leukel, 2019).

1.2.1 Religionstheologische Ansätze

Der religionstheologische Ansatz beschreibt Zugänge zur eigenen Religion im Vergleich mit einer oder mehreren anderen Religionen. Er unterscheidet drei verschiedene Strömungen, die in allen Religionen vertreten sind. Eine exklusivistische Position fokussiert die eigene Religion. Ansätze oder Glaubensgehalte anderer Religionen können nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten in ihren religiösen bzw. Transzendenz bezogenen Anliegen wahrgenommen werden. Eine inklusivistische Position betrachtet den „heilshaften Transzendenzbezug“ (Schmidt-Leukel, 2019) der eigenen Religion als gegeben. Sie hält es aber für möglich, dass auch andere Religionen einen ähnlichen Anspruch erheben. Die Positionen und Perspektiven anderer Religionen werden als strukturell gleichwertig anerkannt, aber gegenüber dem Geltungsanspruch der eigenen Religion relativiert. Der pluralistische Ansatz nimmt alle Religionen als gleichwertig in den Blick und bedenkt den religiösen Pluralismus als spezifisches Anliegen der eigenen Religion. Er vertritt einen Dialog auf Augenhöhe und denkt das jeweilige transzendente Anliegen der anderen Religionen mit (Schmidt-Leukel, 2019). Die Konturen der eigenen Religion geraten gelegentlich etwas aus dem Blick (Freise, 2016).

1.2.2 Ansätze der Komparativen Theologie

Komparative Theologie bezieht sich auf konkrete Religionen. Sie arbeitet an spezifisch ausgewählten Fällen zentrale Bedeutungen religiöser Überzeugungen heraus, ohne deren besondere Zugänge einzuebnen. Komparativer Theologie geht es wie der Religionstheologie um den Umgang mit religiösen Wahrheitsansprüchen. Das Unterscheidende ist aber, dass sie sich nicht auf den Wahrheitsanspruch einer bestimmten religiösen Tradition bezieht, sondern „den Blick auf unterschiedliche Dimensionen und Aspekte der Geheimnisse des Lebens und der letzten Wirklichkeit“ (Woppowa, 2015, S. 17) richtet. Die Anderen werden in ihrer Andersheit verstanden, sie behalten als Andere ihre Würde. Ihre Andersheit wird nicht abgewertet, ihren Reflexionen wird Raum gegeben. Komparative Theologie geht davon aus, dass es über der Auseinandersetzung mit dem Glauben der Anderen zu einem Neuverstehen der eigenen Traditionen kommt. Sie weist darauf hin, dass die Anderen nicht für die Ausbildung einer eigenen Position zu instrumentalisieren sind (von Stosch, 2009).

1.2.3 Zum religionspädagogischen Einsatz von religionstheologischen und Zugängen der Komparativen Theologie

Beide Ansätze werden auch in religionspädagogischer Perspektive aufgenommen. In der Regel bilden sie komplementäre Organisationsmodelle oder didaktische Modelle von Religionsunterricht ab (Lähnemann, 2016; Bauer, 2019; Wolst, 2020). Gelegentlich wird eine Verbindung des religionstheologischen Modells mit dem Ansatz des Perspektivenwechsels empfohlen (Wolst, 2020, S. 86–87).

Die Ansätze eignen sich auch für die Darstellung des interreligiösen Dialogs. Die religionstheologische Position entwickelt Kriterien, mit denen Einstellungen und Haltungen aus einer Außensicht beschrieben werden. Die Komparative Theologie beschäftigt sich mit Perspektivenwechseln und ist geeignet, das Innere von komplexen Diskursbewegungen darzustellen (Lähnemann, 2016; ähnlich Meyer, 2019).

Eine Verbindung von Religionstheologie und Komparativer Theologie lässt sich auch unter praxeologischen Aspekten für die Religionspädagogik fruchtbar machen. Die Ansätze erschließen aus dieser Perspektive empirische Zugänge, die ihrerseits auf die Theorie zurückwirken. Dabei entsteht eine Form von „reflexiver Empirie“ (Kalthoff, 2008, S. 19). Die Theorie wird nicht der Empirie gegenüberstellt, sondern mit ihr verschränkt (Neumann, 2019).

2 Ansatz, Fragestellung und Auswertung

Im deutschsprachigen Raum haben sich Theologie und Religionspädagogik überwiegend auf „die theoretischen Fragestellungen und Ausführungen zum interreligiösen Dialog“ (Stricker, 2016, S. 7) bezogen. Erste Initiativen zu einer Verschränkung mit der Empirie sind von Martin Jäggle in Wien ausgegangen. Im Rahmen der Kultur der Anerkennung wurden theoretische Überlegungen auf praktische Impulse der Schulpädagogik, Kindheits- und Migrationsforschung (Jäggle, Krobath, Stockinger & Schelander, 2013), aber auch der Hochschuldidaktik bezogen (Abuzahra & Garcia Sobreira-Majer, 2014). Empirische Studien thematisieren in jüngster Zeit die Wirksamkeit interreligiöser Begegnungen (Kürzinger & Schneider, 2018), Fragen der Konvivenz in Kindertagesstätten (Stockinger, 2017), aber auch Kooperationen zwischen evangelischem und islamischem Religionsunterricht aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern (Wolst, 2020).

Evaluationen von Hochschulprojekten zum Interreligiösen Begegnungslernen in Heidelberg und Wien/Krems machen darauf aufmerksam, dass Vorurteile abgebaut, ein Bewusstsein für das eigene religiöse Bekenntnis geschärft, die Verschiedenheit als Bereicherung empfunden, das Interesse für andere Religionen gesteigert und Wissensdefizite deutlicher erkannt werden konnten (Boehme & Brodhäcker, 2013; Kraml & Sejdini, 2018; Boehme, 2019). Studierende aus Wien und Krems, die zu „wichtigen Themen“ (Abuzahra & Garcia Sobreira-Majer, 2014, S. 56) des interreligiösen Dialogs befragt wurden, äußerten darüber hinaus ein erhebliches Interesse an Fragen der Heiligen Schriften, aber auch der Glaubenslehre. Thematisiert wurde insbesondere der größere Komplex der Trinität, die besondere Stellung Jesu im Islam, aber auch die Rolle, die die Kreuzigung im Christentum spielt (Abuzahra & Garcia Sobreira-Majer, 2014).

Die Ausrichtung des interreligiösen Dialogs auf strittige Fragen wird auch von religionswissenschaftlicher Seite bestätigt. Wüstefeld extrahiert aus einer kritischen Sichtung der weitläufigen Literatur zum Thema Jesus im Islam folgende Schwerpunkte: die Frage nach seinem Verhältnis zum Geist als Problem der Trinität, die Thematisierung seiner Sündlosigkeit als Frage nach der Prophetie sowie die Frage nach der Heilsbedeutung des Kreuzes als Problem der Soteriologie (Wüstefeld, 2019). Die Themen bilden Problemstellungen ab, die sich auch im gesellschaftlichen Miteinander als Hemmnisse erweisen, sofern sie keine entsprechende Bearbeitung erfahren.

Die folgenden Ausführungen gehen mit Abuzahra und Garcia Sobreira-Majer (2014) davon aus, dass dem Umgang angehender Lehrkräfte mit strittigen Themen des interreligiösen Dialogs spezifische Orientierungen zugrunde liegen, mit denen sie Veränderungen eigener Verhaltensweisen anzeigen (Abuzahra & Garcia Sobreira-Majer, 2014). Deren präzise Beschreibung setzt eine Einordnung vorgängiger Einstellungen und Haltungen voraus. Die Studierenden sind zudem nicht als fachliche Expertinnen und Experten, sondern als Expertinnen und Experten des Umgangs mit ihrer eigenen Religion anzusehen. Die weitergehenden Überlegungen nehmen die angeleitete interreligiöse Begegnung in den Fokus, um mögliche Perspektiven für eine Institutionalisierung des interreligiösen Dialogs in der Ausbildung von Lehrkräften aufzuzeigen. Insofern lauten die im Folgenden zu erörternden Forschungsfragen: Über welche Haltungen und Einstellungen verfügen angehende Lehrkräfte im interreligiösen Dialog? Inwieweit zeigen sich im exemplarischen Umgang mit strittigen Themen spezifische Orientierungen?

Die Dokumentarische Methode bietet sich für die Analyse von unbewussten Einstellungen und Haltungen an. Die grundsätzliche Unterscheidung von kommunikativem und konjunktivem Wissen arbeitet bewusst artikuliertes sowie unbewusst atheoretisches Wissen heraus. Die formulierende Interpretation beschreibt das als gewusst Bezeichnete sprachlich möglichst präzise. Sie stellt dar, was über einen Gegenstand an Vorwissen mitgebracht wird bzw. an Kenntnissen erworben ist. Das kommunikative Wissen wird auch mit dem Begriff des Orientierungsschemas bezeichnet (Asbrand & Martens, 2018, S. 21–22). Die reflektierende Interpretation erschließt „das konjunktive bzw. implizite Wissen, das der Handlungspraxis unterlegt ist.“ (Asbrand & Martens, 2018, S. 22). Es umfasst die habituelle Ebene und wird auch mit dem Begriff des Orientierungsrahmens umschrieben. Die Ergebnisse von formulierender und reflektierender Interpretation dienen dem Nachweis entsprechender Diskursbewegungen. Sie können allerdings die Frage nach Einstellungen und Haltungen (noch) nicht klären. Dies leisten grundsätzlich die Orientierungsmuster. Sie vergleichen kommunikatives und konjunktives Wissen und schaffen die Voraussetzungen dafür, mögliche Besonderheiten im Verhalten einzelner Personen zu identifizieren (Asbrand & Martens, 2018; vgl. auch Bohnsack, 2013). Die typenbildende Fallanalyse beschreibt individuelle Orientierungsmuster und verankert sie fallintern. Indem sie ihr Material neu ordnet, profiliert sie gemeinsame Einstellungen und Haltungen (Bohnsack 2013; Nohl 2013; kritisch vgl. Kuckartz 2020). Der kontrastive Fallvergleich fragt fallübergreifend nach Veränderungen, die sich aus dem Material ergeben, und zeigt den Zusammenhang von Perspektivenwechseln in Abhängigkeit von kontextuellen Bedingungen auf. Er rekonstruiert die Verhaltensstrategien. Um Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zu erkennen, werden die zu vergleichenden Fälle möglichst kontrastiv ausgewählt (Bohnsack 2013; Asbrand & Martins 2018). Dies ist schon bei der Anlage des Samplings zu beachten.

3 Durchführung

3.1 Sampling und Vorgehen

Zu Beginn des WS 2017/18 kamen muslimische und christliche Studierenden aus drei religionspädagogischen Seminaren an zwei Nachmittagen für jeweils 4 Stunden zusammen. Die Studierenden befanden sich am Ende des Bachelorstudiums. In gemischten Gruppen tauschten sie sich über einzelne Elemente der je eigenen Traditionen aus.

Die Diskussionen in verschiedenen Kleingruppen wurden videographiert. Die Gespräche wurden anonymisiert,[1] mit dem Programm F4-Transkript transkribiert[2] und mit der dokumentarischen Methode ausgewertet.

Im Folgenden werden einzelne Sequenzen exemplarisch im Rahmen der formulierenden (Unterthema (UT))[3] und reflektierenden Interpretation (kursiv dargestellt)[4] analysiert und nach Maßgabe der reflexiven Empirie verdichtet ausgewertet. Die Sequenzen wurden mit Hilfe von Fokussierungsmetaphern unter kontrastiven Gesichtspunkten (s.o.) ausgewählt. Der den Diskussionen zu Grunde liegende Impuls wurde von den Dozierenden schriftlich fixiert und lautete: „Was verbinden Sie mit Jesus/Isa[5]? Treten Sie in einen Austausch ein!“

3.2 Fallbeispiele

3.2.1 Gruppe London

In einer längeren Passage stehen sich ineinander verschlungene Diskurse gegenüber. Sie befassen sich mit der Bedeutung der Gestalt Jesu aus der Sicht der verschiedenen Religionen. Die erste längere Sequenz thematisiert die Frage nach der Wiederkunft Jesu.

Passage 5, 8-21

Wfm: Also wir glauben auch daran, dass Jesus wieder zurückkommen wird, äh (.) wenn die (.) Erde untergehen wird. Ich weiß nicht, ob ihr daran glaubt? Ich- 00.09.21

Hfe: ((schüttelt den Kopf)) 00.09.21

Wfm: Nein ne? 00.09.22

Vfm: Doch. (   ) 00.09.23

Hfe?: Nein. 00.09.25

Dfk: Ich hab das grad nicht verstanden. 00.09.27

Wfm: Also glaubt ihr daran, dass Jesus zurückkehren wird? Also wir glauben daran, dass Jesus wieder zurückkehren wird. 00.09.31

Hfe?: Ne. Also nicht so explizit. Er wird-└ 00.09.33

Efe?: └Wir glauben ja auch an die Auferstehung. 00.09.34

Gfe: └Weizen von Dingsbums trennen. 00.09.35

Ffe: └Ja aber wir glauben nicht, dass er körperlich oder? 00.09.38

Hfe: └Nein. Sondern mehr so, dass sein Geist immer noch da ist 00.09.37

UT 8-21: Jesus wird zurückkommen, aber sein Geist ist immer noch da. Themenfindung und Proposition Wfm, validierende Interaktion Hfe, Elaboration Wfm, Opposition Vfm, Antithese Hfe, rituelle Zwischenkonklusion Dfk, Anschlussproposition Wfm, Elaboration im Modus der Divergenz Hfe, Antithese Efe, Elaboration im Modus der Präzisierung Gfe, Elaboration im Modus der Divergenz Ffe, Konklusion Hfe. Wfm gibt die Wiederkunft Jesu am Weltende als ihr Thema vor. Die sich anschließende Proposition besteht in einer mit „ja“ oder „nein“ zu beantwortenden, indirekten (Entscheidungs-)Frage (Z. 9: „Ich weiß nicht, ob ihr daran glaubt“). Wfm vermutet, dass ihre Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner ihren Horizont nicht teilen. Sie zeigt ein Interesse an klaren Abgrenzungen, allerdings verdeutlicht ihre indirekte Formulierung, dass sie sich nicht ganz sicher ist. Hfe interagiert durch eine Geste (Kopfschütteln). Sie realisiert Wfms Erwartungserwartung zeitweilig (Z. 10, 13). Vfm widerspricht ohne Angabe von Gründen. Es kommt ein sicheres Wissen zum Ausdruck. Auch in der Art des Widerspruchs (Z. 12: „Doch.“) bringt sie Sicherheit zum Ausdruck. Dfk unternimmt eine rituelle Zwischenkonklusion (Z. 14: „Ich hab das gerade nicht verstanden“). Sie reagiert auf die sich wechselseitig ausschließenden Aussagen von Hfe, Wfm und Vfm. Wfm etabliert eine Anschlussproposition, in der sie ihre Proposition durch Umstellung homolog repetiert. Hfe elaboriert leicht divergent. Ihr Bemühen um Differenzierung (Z. 17, 21) wird durch eine leicht antithetische Elaboration von Efe (Z. 18: „Wir glauben ja auch an die Auferstehung“), die Wfms Anschlussproposition bestätigt, sowie eine erläuternde Elaboration von Gfe (Z. 19: „Weizen von Dingsbums trennen“) unterbrochen. Während Efe eine Voraussetzung nennt, die die Rückkehr Jesu ermöglicht, bezieht sich Gfe auf sein Handeln. Ffe elaboriert wie Hfe leicht divergent („nicht“), indem sie erstmals die Möglichkeit einer nicht-physischen Dimension der Rückkehr anspricht, ohne allerdings ganz sicher zu sein. Hfe validiert (Z. 21: „Nein.“). Indem sie die Aussage über die geistmäßige Anwesenheit Jesu nicht auf die Rückkehr Jesu, sondern auf seine Gegenwart insgesamt bezieht (Z. 21: „Sondern mehr so, dass sein Geist immer noch da ist“), fasst sie das Thema des Gesprächs leicht transponierend zusammen.

Das sich in Wfms Proposition als Möglichkeit abzeichnende komplementäre Orientierungsschema wird nicht – bzw. nur kurzfristig von Hfe – geteilt. Mit verschiedenen Argumenten und Ergänzungen weisen Vfm, Efe und GfeWfms Vorstellung zurück, dass einige ihrer Gesprächspartnerinnen nicht von der Rückkehr Jesu ausgehen. Die Gruppe bekräftigt einen gemeinsamen Horizont. Allerdings werden nicht alle Aspekte dieser Vorstellung geteilt. Ffe und Hfe stellen eine körperliche Rückkehr in Frage, da Jesu Geist immer noch anwesend ist. Der Orientierungsrahmen hebt auf die wechselseitige Vergewisserung einer religiösen Deutung von Wirklichkeit ab. Dies gilt unbeschadet des Orientierungsschemas, das einerseits die Zukunft religiös qualifiziert, anderseits auch die Gegenwart entsprechend beschreibt. Das Orientierungsmuster greift die Spannung zwischen den sich auf Zukunft und Gegenwart beziehenden Orientierungsschemata und der religiösen Deutung von Wirklichkeit als Orientierungsrahmen auf. Es zeichnet sich zwischen einer sicheren Sicht auf die eigene Deutung (Z. 8, 12, 15) und dem Zugang zu einer möglichen Deutung (Z. 18, 20, 21) ein.

Das Thema der Rückkehr Jesu wird nach einer zwischenzeitlichen Wiederholung der einschlägigen Argumente in einer Folgesequenz aufgenommen. Sie wirft das Problem auf, wie man eigentlich zu einer Einschätzung der Frage nach der Art und Weise, in der Jesus wiederkehrt, gelangen kann.

Passage 5, 40-64

Dfk: └Wie weiß ich nicht. 00.10.12

Hfe: Also das so. Oder? 00.10.14

Ffe: └Ich kann ja mal ((nimmt Handy in die Hand)) 00.10.14

Vfm: └Also eine Italienerin, Katholikin hat mir gesagt, dass sie daran glauben, dass er (.) wirklich wiederkommt. 00.10.18

Gfe: Also ich glaub, dass das ne Interpretationssache jetzt ist. Ob der Körper └(steht da nicht explizit) 00.10.24

Efe?: (       ) Kann man sich vorstellen. 00.10.25

Gfe: Ich glaube nämlich eher auch an die geistige Rückkehr. Weil da sprechen die ja in einer Tour von. Dass er (.) nicht körperlich zurückkehrt, sondern- ja, 00.10.33

Ffe: Ich guck mal. 00.10.35

Gfe: @ Erstmal eigene Religion googeln. Wie siehts aus@ ((Allgemeines leises Murmeln, unverständlich)) Wieso sind wir jetzt bei Punkt vier? 00.10.49

Hfe: Ne. Sie bespricht da was mit denen. (...) 00.10.54

Gfe: Das war nur eine sachliche Frage. Ich war verwirrt. 00.11.14

((Diskussion über Teilnahme etc. nicht transkribiert)) 00.11.37

Gfe: Und? 00.11.38

Ffe: Ich finds noch nicht so ganz. (5) 00.11.43

Gfe: Ich fänd das jetzt auch peinlich, wenn wir Lf1 fragen müssen ne? (..) Aber eigentlich dürften wir uns ja nicht groß von der Interpretation s- äh unterscheiden. 00.11.56

Efe?: Tun wir auch nicht, glaube ich. 00.11.57

Hfe?: Glaube ich auch nicht. 00.11.59

?: Bibel kurz. 00.12.00

Gfe: Aber ich find das interessant, dass der bei euch körperlich zurückkommt. (.) 00.12.05

Vfm: Um wieder so Ordnung auf die Welt zu bringen. (..) 00.12.09

UT 40-64: Wie Jesus zurückkommt, lässt sich nicht eindeutig ermitteln, aber er bringt der Welt Ordnung zurück. Anschlussproposition Dfk, Elaboration Hfe, Elaboration im Modus der Interaktion Ffe, Elaboration im Modus der Alternative Vfm, Elaboration im Modus der Alternative Gfe, Elaboration im Modus der Divergenz Efe, antithetische Elaboration Gfe, Fortsetzung Interaktion Ffe, Elaboration Gfe, interaktive Dichte, Ratifizierung durch Hfe und Gfe, Fortsetzung der Elaboration Gfe, Fortsetzung der Interaktion Ffe, Elaboration im Modus der Alternative und Zwischenkonklusion Gfe, Validierungen durch Efe und Hfe, Elaboration ?,  Transformation durch Gfe, Konklusion Vfm.

Die Anschlussproposition dient der Etablierung eines veränderten Themas. Dfk bringt ein Nichtwissen zur Sprache. Sie weiß nicht, wie sie sich die Rückkehr Jesu vorstellen soll (Z. 40). Ihre Rahmung zeigt an, dass sie sich über die Frage keine Gedanken gemacht hat. Hfe bringt ihren früheren Lösungsvorschlag ins Spiel, der von einer Präsenz des Geistes Jesu ausgeht (Z. 21). Sie ist sich aber nicht ganz sicher (Z. 41: „Oder?“). Ffe schlägt eine konkrete Handlungsoption vor, die darauf basiert, dass sie es nicht sicher weiß, aber eine Vorstellung davon hat, wo sie suchen kann (Z. 42: „nimmt Handy in die Hand“). Vfm beruft sich („Also“) auf eine Zeugin, die sie der christlichen Religion zuordnet. Die von ihr angeführte Aussage der Zeugin verschiebt den Fokus leicht auf die Umstände der Realisierung (Z. 43f: „dass er wirklich wiederkommt“). Gfe hält eine weitere Alternative („Also“) bereit. Sie sistiert die konkrete Entscheidung, indem sie für eine standortbezogene Zugangsweise plädiert (Z. 45: „Interpretationssache“). Ihr Vorgehen basiert auf der Annahme (Z. 45: „Ob“), dass sich entsprechende Quellen einer eindeutigen Aussage entziehen (Z. 45: „steht da nicht explizit.“). Efe elaboriert leicht divergent, dass man sich das (aber) vorstellen kann. Gfe tendiert zu dem Vorschlag von Hfe (Z. 48: „Ich glaube nämlich eher auch an die geistige Rückkehr“). Sie begründet dies erneut mit den Quellen, die sie jetzt als spezifische Zeugenaussagen enthaltend (Z. 48: „die ja“) qualifiziert. Ffe elaboriert homolog, sie bietet an, in ihrem Handy zu suchen. Gfe kommentiert lachend (Z. 51: „Erstmal eigene Religion googlen“), ist aber am Ergebnis interessiert (Z. 51: „Wie siehts aus?“) Das anhebende Gemurmel bringt nicht Interesse an der Internetrecherche, sondern Gleichgültigkeit oder Langeweile zum Ausdruck, insofern sich die Beteiligten in rituellen Ratifizierungen über Verfahrensfragen austauschen (Z. 53-55). Gfe adressiert homolog Ffe (Z. 56: „Und?“), die weiterhin sucht (Z. 57). Gfe gibt zu erkennen, dass ihr die Adressierung einer anwesenden Expertin unangenehm wäre (Z. 58: „peinlich“). Sie schlägt noch einmal homolog ihre Alternative der standortgebundenen Perspektive vor, die sie ausdrücklich als Möglichkeit eines Konsenses in Auge fasst (Z. 58 f: „Aber eigentlich dürften wir uns ja nicht groß von der Interpretation s-äh unterscheiden.“). Efe und Hfe validieren Gfes Zwischenkonklusion, sie elaborieren im Modus einer nicht gänzlich ausgeräumten Unsicherheit. Jemand erwägt, noch einmal eine Quelle zu befragen (Z. 59: „Bibel kurz“). Gfe elaboriert transformierend. Sie bekundet ein Interesse an der Rahmung eines Orientierungsmusters, das von dem eigenen leicht abweicht („aber“). Vfm erläutert den Sinn der Vorstellung von der Rückkehr Jesu (Z. 64: „Um wieder so Ordnung auf die Welt zu bringen“) und zeigt damit eine gemeinsame Rahmung (Z. 19) an.

Die Orientierungsschemata der Gruppe divergieren. Während Dfk die Frage, ob Jesus körperlich oder als Geist zurückkehrt, unentschieden lässt, optieren Vfm und Efe für die Möglichkeit seiner körperlichen Rückkehr. Ffe ist noch nicht entschieden, Gfe und Hfe favorisieren die geistmäßige Lösung. Die Rahmenorientierung wird gleichwohl geteilt, nicht die Sorge um einzelne Wissensbestände oder -details, sondern die Suche nach Auswirkungen der Diskussion steht im Zentrum. Die Gruppe hält sich mit Blick auf die religiöse Deutung von Wirklichkeit alternative Möglichkeiten offen. Das Orientierungsmuster bewegt sich mit Blick auf die als Alternativen qualifizierten (Deutungs-) Möglichkeiten von religiöser Wirklichkeit (u.a. das Heranziehen von Zeugenaussagen, (potentiellen) Quellen und der Möglichkeit einer Expertinnenauskunft) zwischen weitgehender Gewissheit und tendenzieller Unsicherheit.

Die folgende Sequenz schließt direkt an. Sie thematisiert die Bedeutung Jesu.

Passage 5, 65-72

Gfe: Ich dachte, dass der für euch eigentlich eher nur so einer von vielen ist. 00.12.15

Vfm: └Einer der Wichtigsten (                                 ) 00.12.15

Wfm: └(                                          ) Jaja. Also einer der gehört z-└ 00.12.22

Hfe: └(                 ) 00.12.27

((Mehrere reden unverständlich durcheinander)) 00.12.27

 Wfm: Doch doch. Das ist einer der Wichtigsten. Also im Koran ist- gibts extra ne (Sure) also über die Mutter. Also der Name wird erwähnt. 00.12.35

Vfm: └Sogar über ihre Familie gibt es eine. 00.12.35

UT 65-72: Jesus ist nicht „einer von vielen“, sondern „einer der Wichtigsten“ (Z. 65-72). Anschlussproposition Gfe, Elaboration im Modus der Präzisierung Vfm, Elaboration im Modus der Präzisierung Wfm, interaktive Dichte, Antithese und Elaboration im Modus der Begründung Wfm, Konklusion Vfm. Gfe proponiert im Anschluss eine Veränderung ihrer eigenen Annahmen (Z. 65: „ich dachte“). Da Jesus bei seiner Rückkehr eine besondere Aufgabe übernimmt, kann man seine Stellung nicht ausschließlich relativeren (Z. 64 f). Vfm elaboriert präzisierend. Sie nimmt die Relativierung auf, steigert sie aber antithetisch (Z. 66: „Einer der Wichtigsten“). Wfm elaboriert validierend, sie wird aber durch „unverständliches Durcheinanderreden“ (Z. 69) unterbrochen. Die interaktive Dichte zeigt ein erhöhtes Interesse der Gruppe an, es ist kein desinteressiertes Gemurmel (Z. 51 f). Ein Teil der Gruppe stellt das Orientierungsmuster in Frage, denn Wfm fährt mit „Doch, doch“ fort und bekräftigt die Aussage von Vfm unter Verweis auf eine Quelle homolog („Also“). Vfm konkludiert im Modus der Steigerung (Z. 72: „sogar“) , indem sie ihrerseits auf eine Quelle Bezug nimmt, der sie Hinweise auf weitere familiale Relationen entnimmt.  

Die Orientierungsschemata divergieren, was sich auch in dem Interesse der Gruppe (interaktive Dichte) an der Frage nach Stellung und Bedeutung Jesu zeigt. Die Rahmenorientierung ist geteilt, die Gruppe lässt erkennen, dass ihr an den spezifischen Beziehungen seiner religiösen Gestalt und damit an der Deutung von religiöser Wirklichkeit gelegen ist. Dies wird dadurch unterstrichen, dass die anschließende Transposition von Gfe einem Perspektivenwechsel in situ entspringt. Das Orientierungsmuster bewegt sich zwischen wichtigeren und unwichtigeren religiösen Beziehungen.

Antithetische oder oppositionelle, d.h. ein Gegenüber von Horizont und Gegenhorizont erfragende oder vermutende Orientierungsschemata (Rückkehr Jesu, Art der Rückkehr Jesu, Bedeutung der Person Jesu) stehen nebeneinander. Sie werden leicht divergent moduliert. In der ersten Sequenz wird dies durch eine alternative Formulierung („sein Geist“) erreicht, in der zweiten durch Artikulation eines spezifischen Interesses an einer leicht divergenten Auffassung („interessant“), in der dritten durch explizites Ansprechen einer veränderten Perspektive („einer der Wichtigsten“).

Die Rahmenorientierungen werden offensichtlich geteilt, insofern die Gruppe nicht am religiösen Wissen, sondern an den Veränderungen interessiert ist, die eine Ausrichtung auf eine religiöse Deutung von Wirklichkeit mit sich bringt. Die konkreten Personalpronomina („für uns“ oder „für euch“) werden zwischenzeitlich durch distanzierendere Bezeichnungen ersetzt (Z. 43: „sie“ (Vfm), Z. 48: „die“ (Gfe)). Entsprechenden Äußerungen liegen verschiedene Formen von Gewissheit bzw. Unsicherheit zugrunde, die sich nicht nur graduell unterscheiden, sondern in der Regel im Rückgriff auf externe Quellen (Personen, schriftlich fixierte Traditionen) gebildet werden. Sie geben Hinweise auf die Orientierungsmuster.

3.2.2 Gruppe Bologna

In dieser Gruppe wird über die Elternschaft Jesu kontrovers diskutiert. Rückt zunächst die Frage ins Zentrum, ob Jesus einen Vater hat, so wird anschließend diskutiert, wie man sich die Mutterschaft von Maria vorzustellen hat.

Passage 23, 16-34

Ofk: Ach so, und wer wird als Vater von Jesus benannt? Wird da einer benannt? 00:11:59-9

Zf1: Ähm, nein. 00:12.00-6

Ofk: Gar nicht. 00.12.01-2

Jfe: Ich glaube, bei uns ist er ja auch bei uns ist auch nicht immer wird nicht in allen Evangelien Gott als Vater benannt, ne? 00.12.08-5 Oder? Zumindest Joseph wird nicht immer als Vater benannt und es gibt auch nicht immer eine Jungfrauengeburt. Im Grunde (  ). Ich glaub schon. Bei manchen wird es auch gar nicht erwähnt. Bei Markus gibt=es gar keine äh gar keine äh Geburtsgeschichte oder sonst was. Da ist Jesus dann einfach, der wird dann getauft. 00.12.29-3

Zf2: Ich habe hier noch so aus dem Kinderschulbuch ähm halt das war viel (  ). Da steht aber auch, dass die Eltern Joseph und Maria sind aus Nazareth. Ich weiß jetzt aber nicht, ob das aus der muslimischen Sicht oder aus dem Koran so die Sicht ist oder interreligiös eher gedacht ist hier. 00.12.58-3

Zf1: Also, so wie ich das weiß, steht im Koran auch ähm in mehreren Versen, dass Jesus nicht Sohn Gottes ist. 00.13.08-3

Jfe: Mhm. 00.13.08-4

UT 16b-34: Ob Jesus einen Vater hat, lässt sich nicht durch Quellen belegen Proposition Ofk, Opposition Zf1, Validierung Ofk, divergente Elaboration durch Jfe, divergente Elaboration Zf2, Zwischenkonklusion Zf1, Validierung Jfe. Ofk spricht ein neues Thema an. Sie erkundigt sich danach, wer bzw. ob jemand als Jesu Vater benannt wird. Zf1 verneint, Ofk rückvergewissert sich, indem sie die Aussage im Modus der Steigerung wiederholt (Z. 19: „Gar nicht.“). Jfe relativiert Ofks Entscheidungsfrage, indem sie im Modus der Vermittlung elaboriert: „auch bei uns“ bestehen verschiedene Auffassungen über die Frage der spezifischen Vaterschaft. Sie prüft verschiedene Quellen und diskutiert perspektivische Varianten. Sie ist an einem begründeten Standpunkt interessiert. Auf diese Weise verschiebt sie das Orientierungsschema bzw. das Thema des Gesprächs auf die Quellenfrage. Zf2 bringt eine konkrete Quelle ins Gespräch, die die Frage der Vaterschaft auf Joseph fokussiert. Zf2 elaboriert divergent, indem sie die Frage, aus welcher Perspektive das Schulbuch geschrieben ist, ihrerseits prüft. Zf1 setzt zu einer Zwischenkonklusion (Z. 32: „Also“) an. Zwar ist auch sie nicht ganz sicher (Z. 32: „so wie ich das weiß“). Indem sie Jesu Gottessohnschaft unter Rückgriff auf eine autoritative Quelle (Z. 32 f: „in mehreren Versen“) verneint, vereindeutigt sie die Frage der Vaterschaft, lässt aber ebenfalls ein Interesse an einem begründeten Standpunkt erkennen. Jfe validiert.

Mit Blick auf die Frage, ob es einen Vater Jesu gibt, divergieren die Orientierungsschemata. Während Ofk und Zf1 von einer Verneinung der Frage, d.h. einem komplementären Horizont ausgehen, diskutiert Jfe verschiedene Vatergestalten, wohingegen Zf2 die Frage nach Josef und Maria als Eltern Jesu ins Gespräch bringt und Zf1 die Gottessohnschaft Jesu bestreitet. Auf der Ebene der Rahmenorientierung ist eine geteilte Orientierung zu erkennen, die sich von der Suche nach einer Positionierung hin zu ihrer Begründung verschiebt. Dabei geht es weniger um eine Relativierung von Standpunkten als vielmehr um die Orientierung an verlässlichen Positionierungen. Das Orientierungsmuster schwankt zwischen einer spezifischen Belastbarkeit der verschiedenen Quellen (Evangelien, Markusevangelium, Schulbuch, Koran) und der Herleitung einer eigenen Positionierung.

Die Frage danach, wie Marias Mutterschaft zu verstehen ist, schließt direkt an

Passage 23, 35-56

Ofk: Das heißt Maria war (Jungfrau)? 00.13.12-1

Zf1: Also das ist wie ein Wunder sozusagen, dass ähm Gott die Seele von Jesus und der Mutter eingehaucht hat und ähm es ermöglicht hat, weil er ja allmächtig ist, dass sie als Jungfrau ein Kind zur Welt bringt. 00.13.29-39 3

Jfe: Aber er ist dann nur der Schöpfer, nicht der Vater? 00.13.32-6

Zf1: Genau, er ist der Schöpfer. 00.13.33-2

Jfe: Ok. 00.13.34-7 (4) Das mit der Jungfrauengeburt gar nicht so wichtig, wie im ähm, also es wird gar nicht so viel betont so stark betont, wie im ähm wie halt es heutzutage gedacht wird. Ist glaube ich, nur in einem Evangelium drin. 00.13.53-7

Ofk: Ja, bei uns schon eher. Wir haben ja auch das Dogma der unbefleckten Empfängnis. 00.13.59-5

Jfe: Ja, aber ich meine, einfach nur vom allgemeinen was drin steht in der Bibel. Ich weiß gar nicht, wie wichtig das bei uns ist. 00.14.06-1

Zf1: Also ich habe hier auch einen Vers ähm 00.14.08-4

Jfe: Aber das schreibe ich auch mal auf "Dogma der unbefleckten Empfängnis" 00.14.11-7

Zf1: Da sagt Maria, nachdem Gott ihr verkündet hat, dass sie einen Sohn bekommen wird. Da sagt Maria: Herr, wie sollt ich ein Kind bekommen, wo mich noch kein Mann berührt hat? Dann sagte äh Gott daraufhin: Das ist die Art von Gott äh zu Handeln. Er schafft, was er will. 00.14.30-6

UT 35-56: Maria und Jesus sind von Gott geschaffen, ihr Mutterschaft kommt auf besondere Art zustande Anschlussproposition Ofk, Elaboration im Modus der Explikation Zf1, Zwischenkonklusion als Passung Jfe, Validierung Zf1, Validierung und divergente Elaboration Jfe, modifizierende Elaboration Ofk, modifizierende Elaboration Jfe, modifizierende Interaktion Zf1, divergente Interaktion (Aufgabenerledigung) Jfe, Konklusion Zf1 Ofk setzt mit der Erwähnung Marias einen leicht veränderten Impuls. Sie formuliert eine Einsicht und vergewissert sich fragend. Zf1 elaboriert im Modus der Explikation (Z. 35: „Also“). Sie trägt ihre Auffassung erläuternd vor, ist sich aber nicht ganz sicher, wie sie den Vorgang erklären soll („wie ein Wunder sozusagen“ Z. 36). Indem Gott beiden die Seele „einhaucht“, ermöglicht er Maria, „als Jungfrau ein Kind zur Welt“ zu bringen. Er kann dies tun, weil er allmächtig ist. Ihre Rahmung ist leicht didaktisierend. Jfe vergewissert sich, ob sie den Gedanken verstanden hat (Z. 40: „nur der Schöpfer“, nicht der Vater“) ist. Jfe vollzieht einen Perspektivenwechsel in situ und lässt sich auf das Didaktisieren ein. Zf1 zeigt durch ihre Validierung an, dass ihre Erklärungen verstanden worden sind. Jfe validiert und kommt noch einmal auf die Jungfrauengeburt zu sprechen, deren aktuelle Betonung (Z. 43: „heutzutage gedacht“) sie relativiert und von den Quellen her begründet (Z. 43–44). Jfe beginnt ihrerseits zu didaktisieren, ist sich aber nicht ganz sicher. Ofk validiert und elaboriert modifizierend unter Verweis auf die Tradition (Z. 45: „Dogma“). Jfe validiert und elaboriert ihrerseits modifizierend, indem sie allgemein auf die Bibel verweist, zugleich aber einräumt, dass sie nicht genau weiß, wie bedeutsam („wichtig“) das (Dogma) „bei uns“ ist. Zf1 setzt im Modus einer begründenden Interaktion zu einer Konklusion an. Sie hat eine Textstelle („Vers“) gefunden. Jfe schließt mit einer weiteren Interaktion („auch“) an ihre modifizierende Elaboration an. Sie notiert die Aussage von Ofk und zeigt damit eine Art von Aufgabenerledigung an. Zf1 konkludiert, indem sie den Vers verliest.

Die Orientierungsschemata sprechen konkrete Fragen von Leben und Wirken Marias an, beantworten sie aber hinsichtlich ihrer Mutterschaft unterschiedlich. Geht es einerseits um das kontrovers traktierte Problem, ob Maria als Jungfrau zur Mutter Jesu wurde (Ofk, Zf1, Jfe), so steht andererseits die Belastbarkeit der Quellen im Raum (Jfe,Ofk, Zf1). Die Rahmenorientierung wird wiederum geteilt. Die Gruppe didaktisiert wechselseitig, in dem sie versucht, unter Rückgriff auf religiöse Quellen der Wahrheit über die Mutterschaft näher zu kommen. Dies gilt ungeachtet des Befundes, dass die Vorstellungen über konkrete Handlungen (eine versuchsweise Erläuterung, der mit Anpassung begegnet wird, die Befragung der biblischen Tradition, der Hinweis auf das Dogma, die Aufgabenerledigung, das Auffinden und Verlesen eines Verses aus dem Koran) divergieren. Das Orientierungsmuster bezieht sich auf den didaktisierenden Umgang mit religiösen Quellen, der zwischen gesetzter Sicherheit und deren Infragestellung schwankt.

Die Gruppe interessiert sich für einzelne Etappen von Zeugung und Geburt Jesu, die die Orientierungsschemata verschieden thematisieren. Den verschiedenen Horizonten stehen gleichwohl geteilte Rahmenorientierungen gegenüber, die auf die spezifische Perspektiven legitimierenden Umgangsweisen mit religiösen Quellen verweisen. Die Orientierungsmuster fokussieren einen spezifischen Umgang mit den Quellen, der sich zwischen autoritativer Bezugnahme und einer gewissen Deutungspluralität bewegt.

3.2.3 Gruppe Paris

In dieser Passage geht es um die Rekonstruktion der Umstände von Tod und Auferstehung Jesu. Im Vordergrund steht zunächst die Frage, wie es sich mit dem chronologischen Ablauf der Ereignisse verhält.

Passage 21, Z. 1-12

Umm: Dann Jesus starb nach dem Willen seines Vaters am Kreuz.

Afe:                                                                                                                      ∟Mhm.

Umm: Er wurde ins Grab gelegt und stand am dritten Tag auf von den, achso er kam aus dem

Cfk :                                                       ∟Ja, das weiß man nicht so genau wie das abgelaufen ist.

Umm: Ich dachte halt er wurde gekreuzigt.

Xmm: (    )

Umm: Glaub ich. War das Karfreitag?

Afe: Ja genau und Ostern steht er dann auf.

Umm: Also Karfreitag stirbt er und wird dann begraben.

Afe: mhm.

Umm: und Ostermontag, Sonntag, Montag?

Afe:Ja, Ja so genau nimmt man das nicht so um Ostern rum.

UT Jesus stirbt Karfreitag am Kreuz, aber was findet Ostern statt. Anschlussproposition Umm, Ratifizierung Afe, Elaboration im Modus der Aufzählung Umm, divergente Elaboration (distanzierende Infragestellung) Cfk, divergente Elaboration (Korrektur und Rückfrage) Umm, Validierung und Fortsetzung der Elaboration im Modus der Aufzählung Afe, Elaboration im Modus der Repetition und der chronologischen Rückvergewisserung Umm, Ratifizierung Afe, Elaboration im Modus der Rückvergewisserung Umm, Zwischenkonklusion (Sistierung) AfeUmm formuliert eine Anschlussproposition, in der sich eine zeitliche („Dann“) und eine intentionale („nach dem Wilen seines Vaters“) Dimension miteinander verbinden. Afe ratifiziert, Umm elaboriert, indem er die weiteren Ereignisse aufzählt, sich unterbricht und anschließend korrigiert. Er zeigt ein investigatives Interesse. Cfk erläutert, dass „man“ die chronologische Dimension nicht genau kenne. Das „man“ kann die Tradition, aber auch aktuell lebende Personen umfassen. Es bringt eine gewisse Distanzierung zum Ausdruck. Umm fährt fort, dass er sich den Tod Jesu in einer bestimmten Weise vorgestellt habe („gekreuzigt“) und diese Ansicht noch immer vertritt. Er vergewissert sich aber noch einmal mit Blick auf die chronologische Dimension. Afe validiert und erläutert didaktisierend die chronologische Abfolge. Umm elaboriert im Modus der Repetition – Afe ratifiziert – sowie der präzisierenden Rückvergewisserung (Z 11: „Sonntag, Montag?“). Afe formuliert eine Zwischenkonklusion, in der sie ausführt, dass die exakte chronologische Dimension nicht so wichtig ist. Auch sie verwendet wie Cfk ein distanzierendes „man“. Sie deutet an, dass etwas Anderes (Z. 12: „um Ostern rum“) bedeutsam ist.

Auf der Ebene des Orientierungsschemas geht es um die Frage, was zwischen Kreuzigung und Ostern geschah. Das Interesse an der Grablegung steht dem Wissen um die Auferstehung gegenüber. Der Orientierungsrahmen lässt eine überwiegend geteilte Orientierung erkennen, die sich weniger als rekonstruktiv als vielmehr als investigativ beschreiben lässt. Die Rahmungen gehen über ein bloßes Didaktisieren hinaus. Das Orientierungsmuster schwankt zwischen der Suche nach größtmöglicher Exaktheit und der Betonung einer gewissen Freizügigkeit im Umgang mit traditionalen Vorgaben.

Im Folgenden verschiebt sich das Thema des Gesprächs von der konkreten Abfolge der Ereignisse hin auf die Frage, welche Maßnahmen nach Jesu Tod ergriffen werden.

Passage 21, 13-21

Umm: Kommt er dann quasi aus dem Grab. Guck mal das find ich ganz interessant.

Bfe: Er wird vom Kreuz abgenommen in ein Tuch gewickelt und in ein Grab gelegt.

Umm: Das find ich ganz interessant.

Xmm:                                      ∟(                                         )

Umm: Ich dachte wirklich der hängt da drei Tage und wird auf einmal wach. Dachte ich jetzt.

Bfe: Nee, nee, nee die Frauen nehmen ihn runter und die Frauen bringen ihn dahin.

Afe: Der Herodes und so der lässt ja extra das Grab bewachen, damit sichergestellt wird. […], dass keiner den Leichnam von Jesus klaut und sagt ähm Jesus ist auferstanden.[6]UT Wird Jesus wieder wach oder ist er wirklich tot? Anschlussproposition Umm, Elaboration im Modus der Deskription Bfe, Elaboration im Modus der Kommentierung und der Präsentation Umm, antithetische Elaboration Bfe, divergente Elaboration und Konklusion durch Afe.

Umm formuliert eine Anschlussproposition. Er findet die Frage interessant, wie man sich die Auferstehung vorstellen und denkt sie „quasi“ (Z. 13) als aktives Herauskommen aus dem Grab. Bfe erläutert im Modus der Deskription, sie akzentuiert das passive Moment. Umm wiederholt seine Kommentierung (Z. 13: „interessant“) und entwickelt eine eigene Vorstellung von der Auferstehung (Z. 17: „wird auf einmal wach“). Er kommentiert seine Vorstellung als individuell hergestellt, dass er das so „dachte“ (Z. 17). Bfe elaboriert antithetisch, dass nicht Jesus aktiv wird, sondern „die Frauen“ (Z. 18). Sie deutet mit ihrem (zweimaligen) Insistieren auf den Frauen an, dass deren (fürsorgliches) Handeln bedeutsam ist. Die Wiederholung zeigt, dass sie sich ihrer Sache sicher ist. Afe führt konkludierend aus, dass „Herodes und so“ sicherstellen, dass niemand zu unlauteren Mitteln greift. Sie hebt wiederum auf die Vorstellung hinter den beschriebenen Ereignissen ab: Nicht die Vorsorge, sondern der Vorgang der Auferstehung ist bedeutsam.

Die Orientierungsschemata sind komplementär. Setzt sich der gekreuzigte Jesus auf der einen Seite aktiv mit seiner Situation auseinander, so erfährt er auf der anderen Seite Handlungen der Für- und Vorsorge. Der Orientierungsrahmen avisiert ein gemeinsames Bemühen um die interpretative Aneignung von Deutungsvorgängen. Das Orientierungsmuster, das Schemata und Rahmen verbindet, avisiert den Zwischenraum jenseits des Kreuzes und diesseits der Auferstehung und spannt sich zwischen investigativer Vorstellung und rekonstruktiver Schilderung auf.

Das Orientierungsschema ist insgesamt divergent. Während einerseits auf der chronologischen bzw. logischen Abfolge von Ereignissen zwischen Tod und Auferstehung bestanden wird, geht es andererseits um die Zurückweisung der Frage nach Ereignissen, die sich nicht exakt rekonstruieren lassen. Die Rahmenorientierung bleibt gleichwohl geteilt. Sie zeichnet sich durch ein Suchen nach dem Dazwischen aus, dessen Chancen und Grenzen zwar auch didaktisierend, vor allem aber investigativ ausgelotet werden. Die Orientierungsmuster lassen Formen kreativer Imagination sowie modifizierender Rekonstruktion erkennen.

3.2.4 Beobachtungen

Die verschiedenen strittigen Themen (Art und Weise seiner Wiederkehr, Herkunft Jesu, Kreuzigung) profilieren sich unter den spezifischen Bedingungen einer ortsgebundenen Lehrkräftebildung in spezifischer Weise. Thematisch wird der wechselseitige Umgang mit der Rückkehr Jesu. Die Frage seiner physischen Beschaffenheit tritt hinter seiner faktischen Bedeutsamkeit zurück. Die Herkunft Jesu wird als Frage nach der Elternschaft verhandelt. Während die Vaterschaft Jesu strittig ist, entbirgt die Jungfrauenschaft seiner Mutter weniger kontroverses Diskussionspotential. Die Kreuzigung ist als Frage nach der Spanne jenseits des Todes und diesseits der Auferstehung aufgenommen.

Von ausgesprochenem Interesse für einen thematisch angeleiteten christlich-islamischen Dialog ist der Umstand, dass die religiöse Verankerung eines strittigen Problems zwar durchaus auf der Ebene des sicher Gewussten, d.h. des kommunikativen Wissens, Einfluss hat. Hier kommt es in allen Fällen zu komplementären Orientierungsschemata. Auf der Ebene des konjunktiven Wissens bzw. der entsprechenden Rahmenorientierung finden sich aber (fast) überall geteilte Rahmungen, die sich als gemeinsame Suche, wechselseitiges Didaktisieren oder investigatives Erforschen ausweisen lassen. Ein Befund, der irritiert.

Um dieses Phänomen besser zu verstehen, sind im Folgenden die Orientierungsmuster der einzelnen Gesprächsteilnehmerinnen präziser zu betrachten. Diese stellen sich als gemeinsame Suche nach der religiösen Deutung von künftiger bzw. gegenwärtiger Wirklichkeit, bei dem islamisch perspektivierten Thema als wechselseitige Didaktisierung der Orientierung an religiösen Zeugnissen (Koran, Bibel, Dogma), im Falle der christlichen Kontextualisierung der Kreuzigung als Interesse (bzw. Desinteresse) an der investigativen Erforschung des Todes Jesu dar.

3.3 Typisierende Fallinterpretationen

Die typisierende Fallinterpretation arbeitet fallintern unterschiedliche Einstellungen und Haltungen heraus. Eine genaue Beschreibung der individuellen Orientierungsmuster nimmt die Frage nach Haltungen und Einstellungen von angehenden Lehrkräften im interreligiösen Dialog auf. Die einzelnen Orientierungsmuster werden im Folgenden vergleichend beschrieben und auf repetierende, modifizierende sowie distanzierende Aspekte hin verdichtet interpretiert. Zur Darstellung werden Kategorien des religionstheologischen Ansatzes herangezogen. Die fallinterne Typisierung wird an den religionstheologischen Kategorien gespiegelt und vom Material her präzisiert.

3.3.1 Erster Fall: Rückkehr Jesu (Passage 5)

Die Orientierungsmuster beziehen sich auf den Umgang mit der religiösen Deutung von Wirklichkeit, mit qualifizierten (Deutungs-)Möglichkeiten von religiöser Wirklichkeit, aber auch mit dem Zugang zu religiöser Wirklichkeit. Den Äußerungen liegen verschiedene Formen von Gewissheit bzw. Unsicherheit zugrunde, die sich nicht nur graduell unterscheiden, sondern auch im Rückgriff auf externe Quellen (Personen, schriftlich fixierte Traditionen) gebildet werden. Im Einzelnen zeichnen sich individuelle Varianten ab, die sich im weitesten Sinne als religionstheologische Typen – die Adjektive repetierend, modifizierend und distanzierend präzisieren die zugrundeliegende religiöse Orientierung – beschreiben lassen:

Wfm verfolgt eine Argumentationsstrategie, die die Gewissheit der eigenen Position gegenüber dem religiösen Zugriff auf Wirklichkeit festhält. Die von ihr in den Fokus gerückte Zugehörigkeit zu einer nicht näher bezeichneten spezifischen Gruppe (Z. 8, 15: „wir“) geht mit konkreten Abgrenzungen (Z. 8, 15: „ihr“) einher. Die Gruppenzugehörigkeit wird geradezu formelhaft etabliert. In ihrem Zugang auf religiöse Wirklichkeit stützt sie sich ausschließlich auf religiös qualifizierte Quellen (Z. 70 f). Ffe stellt demgegenüber zwar eine spezifische Form religiöser Deutung von Wirklichkeit für ein nicht näher bestimmtes „wir“ in Frage. Sie ist sich aber nicht ganz sicher, sondern bedarf des unterstützenden Zuspruchs u.a. durch Hfe (Z.20). Ein ähnliches Muster deutet sich in ihrer Internetrecherche an. Solange sie erfolglos nach religiösen Quellen sucht, praktiziert Hfe eine spezifische Form der Urteilsenthaltung (Z. 50, 52, 57). Wfm und Ffe zeigen ähnliche Einstellungen im Umgang mit religiöser Wirklichkeit. Sie orientieren sich wiederholt an religiösen Quellen, die für sie autoritativen Charakter haben, sie haben eine Neigung, sich auf  das Eigene zu konzentrieren und grenzen sich von den Ansätzen der Anderen ab. Diese habitualisierten Handlungsweisen machen das Vorliegen eines exklusivistisch-repetierenden Typs wahrscheinlich.

Hfes religiöse Deutung von Wirklichkeit orientiert sich zunächst im Gegenüber zu dem von Wfm aufgespannten Rahmen, auf den sie mit einer sicheren Interaktion reagiert (Z. 10, 17). Hfe verändert ihre Deutung in Reaktion auf Einsprüche (Vfm, Dfk) und Anfragen (Wfm, Ffe). Ihre Äußerungen lassen eine zunehmend verhaltene Einstellung erkennen. Sie greift entsprechend auf ihre ursprünglich geäußerte Anschauung zurück (Z. 21). Vfm ist zwar von der eigenen religiösen Deutung überzeugt (Z. 12). Sie macht sich aber Perspektiven zu eigen, die nicht unbedingt ihrer eigenen Rahmung entsprechen. Ihre anfänglichen Bezugnahmen auf Gruppen, die einander gegenüberstehen (wir/ihr), werden zumindest zwischenzeitlich durch die indirekte Adressierung einer konkreten Person ersetzt (Z. 43: „eine Italienerin, Katholikin“). Mit Blick auf die eigene Positionierung ist sie auskunftsfähig (Z. 64). Sie übersetzt Perspektiven, die nicht ihre eigenen sind, und bringt sie mit der eigenen Tradition ins Gespräch (Z. 66, 72). Gfe ergänzt zunächst von Anderen artikulierte Positionen (Z. 19), so dass sich eine eigene Einstellung erst allmählich identifizieren lässt: Sie reklamiert auch für die Gruppe Interpretationsspielräume (Z. 45), ist aber zugleich an der Abklärung religiös qualifizierter Deutungsmöglichkeiten (Z. 48: „die“; Z. 51, 56) interessiert. In dem sie den Gedanken, sich Hilfe zu suchen, verwirft (Z. 58 f), unterstreicht sie ihren Anspruch, religiös mündig zu sein. Sie interessiert sich für Rahmungen, die der eigenen nicht entsprechen (Z. 63) und ist in der Lage aus dieser anderen Perspektive heraus zu argumentieren. Sie relativiert ihre Sicht auf eigene Positionen, die sie nicht unbedingt (selbst-)kritisch artikuliert, wohl aber als distanzierte Sicht auf (Vor-)Einstellungen der eigenen Position schildert. (Z. 65). Hfe, Vfm und Gfe weisen auf die Möglichkeit der Einnahme veränderter Perspektiven hin. Sie stützen sich auf Freiräume oder grundsätzliche Perspektivenwechsel. Zwar orientieren sie sich grundsätzlich an dem, was aus ihrer Sicht zum Kern der eigenen Religion gehört. Sie insistieren aber auf der Bedeutung religiöser Mündigkeit und nehmen zur eigenen Positionierung Distanz ein. Dieser Typ deckt sich in etwa mit einer inklusivistisch-modifizierenden Einstellung.

In welcher Beziehung Dfk zur religiösen Deutung von Wirklichkeit steht, lässt sich nicht entscheiden. Ihre Haltung ist durch Unbestimmtheit geprägt (Z. 14), die sich auch in einem Nichtwissen bzw. einer sich darin Ausdruck verschaffenden Haltung der Unterinteressiertheit (Z. 40) äußert. Efe zeigt Unsicherheiten, die sich in der Formulierung religiöser Aussagen etwa als Einschränkung äußern (Z. 18: „auch“). Dies ist insofern auffällig als sie ihre Überlegungen zumeist auf ein „wir“ bezieht. Sie denkt über Deutungsmöglichkeiten nach, die nicht zu ihrem eigenen Vorstellungskreis gehören, unternimmt dies aber aus distanzierter Perspektive (Z. 47: „man“). Dfk und Efe zeigen leicht distanzierte Einstellungen zur religiösen Deutung von Wirklichkeit. Ihre religiösen Einstellungen sind überwiegend von Unkenntnis sowie Unsicherheit geprägt. Dies deutet auf eine gewisse Langweile, ggf. auch ein Desinteresse an der Ausformulierung einer eigenen Position hin. Es handelt sich um einen pluralistisch-distanzierenden Typ.

3.3.2 Zweiter Fall: Jesus – Gottes Sohn? (Passage 23)

Die Orientierungsmuster zeigen einerseits ein wechselseitiges Didaktisieren im Umgang mit verschiedenen religiösen Quellen (Evangelien, Markusevangelium, Schulbuch, Koran). Sie fokussieren andererseits einen Umgang mit den Quellen, der sich zwischen einer autoritativen Bezugnahme sowie einer gewissen Deutungspluralität bewegt. Im Einzelnen lassen sich wiederum religionstheologisch beschreibbare Typen rekonstruieren:

Zf1 zögert etwas als sie eine verneinende Antwort auf Ofks Suche nach familialen Beziehungen Jesu gibt (Z. 18). Die religiöse Quelle ist für sie eine hohe Autorität. Einzelne Verse formulieren spezifische Aussagen zur Gottes Sohnschaft Jesu (Z. 32 f). Zf1 etabliert Jesu Zeugung als Teil einer gemeinsamen Schöpfungsgeschichte (Z. 36-39, 41). Dabei weist sie auf eine weitere Belegstelle hin, die sie auch zitiert (Z. 50, 53-56). Der Umgang mit religiösen Quellen arbeitet der Formierung eines exklusivistisch-repetierenden Typus zu.

Jfe versucht, den sie irritierenden Fragestellungen auf den Grund zu gehen. Sie überprüft einzelne Aussagen an religiösen Quellen und kommt zum Ergebnis, dass die Quellen selbst verschiedene, zum Teil komplementäre Positionen einnehmen (Z. 20-26). Vor diesem Hintergrund kann sie auch andere religiöse Quellen wertschätzen (Z. 34). Jfe versetzt sich nicht nur in die Position der anderen Religion hinein (Z. 41), sie thematisiert auch die Befragung von religiösen Quellen (Z. 42-45), die zu Relativierungen Anlass geben (Z. 48 f). Zf2 hält familiale Beziehungen Jesu für denkbar, zumal eine Quelle die Eltern von Jesus erwähnt (Z. 27-29). Mit Blick auf die Herkunft von deren Autorität ist sie mindestens unentschieden (Z. 29-31). Beide Studierende kennen ihre religiösen Traditionen genau, sehen aber davon ab, sie zu repetieren. Sie übernehmen zeitweilig andere Positionen, um sich von ihnen her zu den eigenen zu verhalten. Die entsprechenden Perspektivenwechsel entstammen eigener Auseinandersetzung oder beziehen sich auf (verfremdete) Quellen. Der Typus kann als inklusivistisch-modifizierend beschrieben werden.

Ofk ist weder an der Frage autoritativer Gültigkeit noch an einer zu erforschenden Belastbarkeit der religiösen Quellen interessiert, sondern fragt nach familialen Beziehungen, die Jesus zu anderen Personen unterhält (Z. 16, 35). Deren Absenz nimmt sie zur Kenntnis. Drückt die Partikel „gar“ (Z. 19) eine gewisse Verwunderung aus, so zeigt der Hinweis auf das Dogma ein gewisses Abblenden von nicht unbedingt nachvollziehbaren Argumentationsketten innerhalb der eigenen Religion und bringt darin eine Distanz zu autoritativen Vorgaben zum Ausdruck (Z. 46–47). Die spezifische Form des Abstandsnehmens legt die Einordnung dieses Typus als pluralistisch-distanzierend nahe.

3.3.3 Dritter Fall: Jesus zwischen Kreuz und Auferstehung (Passage 21)

Die Orientierungsmuster schwanken zwischen größtmöglicher Exaktheit und der Anerkennung eigener Freiheit im Umgang mit traditionalen Vorgaben. Sie zeigen auch ein investigatives Interesse an kreativer Vorstellung und explizierender Rekonstruktion. Folgender religionstheologische Typen lassen sich rekonstruieren:

Bfe lässt sich auf Umms Vorschlag nicht ein. Sie beschreibt den Vorgang der Grablege detailliert (Z. 14, 18), weist Umms zweite Auferstehungsvorstellung explizit ab und insistiert wiederholt auf dem Tun der Akteurinnen, das sich offensichtlich in den ihr bekannten Quellen bezeugt (Z. 18). Bfes Äußerungen legen eine exklusivistisch-repetierende Einstellung nahe.

Umm zeigt ein spezifisches Interesse am Übergang vom Tod zur Auferstehung Jesu. Tod und Grablegung führt er auf äußere Einflüsse zurück (Z. 1, 3), bei genauen zeitlichen Angaben ist er unsicher (Z. 7, 11). Religiöse Quellen nennt er nicht. Umm hat eigene Vorstellungen entwickelt. Als Todesart nimmt er eine Kreuzigung an (Z. 5: „Ich dachte halt“). Die Auferstehung ist ihm nicht recht vorstellbar. Er beschreibt ein aus dem Grab Kommen (Z. 3, 13), schließt aber auch ein Wachwerden am Kreuz (Z. 17) nicht grundsätzlich aus. Die gleichzeitige Präsenz in Grab und am Kreuz erweist sich als leicht irritierend (Z. 17: „Ich dachte wirklich […] dachte ich jetzt“). Afe lässt ein ähnliches Muster erkennen. Sie gibt die Vorgänge präzise wieder (Z. 8), lehnt aber ein allzu genaues Bescheidwissen ab (Z. 11). Sie hält sich Interpretationsspielräume offen (Z. 11). Auf konkrete Quellen nimmt sie nicht direkt Bezug, sie stellt die Vorgänge aus dem Gedächtnis dar und bemüht sich um relativ (!) exakte Wiedergabe (Z. 19: „Herodes und so“). Ihre spezifischen Intentionen einbeziehende Schilderung der Grablegung zeigt ein Interesse an dem Vorgang der Auferstehung als Ereignis sui generis. Die Verbindung von möglichst sicherem Wissen und der Nutzung interpretativer Freiräume spricht für das Vorliegen eines inklusivistisch-modifizierenden Typs.

Cfk äußert sich distanziert über den Vorgang der Auferstehung, ein genaues Wissen gibt es nicht (Z. 4). Sie bringt zwar keine grundsätzliche Skepsis zum Ausdruck, wohl aber eine gewisse Distanz zur gemeinten Vorstellung. Es liegt nahe, ihre Haltung dem pluralistisch-distanzierenden Typ zuzuordnen.

3.4 Bemerkungen

Die angehenden Lehrkräfte weisen ein ganzes Spektrum an religiösen Einstellungen und Haltungen auf: Während der exklusivistisch-repetierende Typ eine herausgehobene Gewissheit zeigt, zur Verfestigung eigener Positionen tendiert, sie gegenüber anderen Positionen abgrenzt und religiöse Schriften in der Regel autoritativ verwendet, stehen beim pluralistisch-distanzierenden Typ Zugänge im Zentrum, die eine Distanzierung erkennen lassen. Diese erfolgt nicht nur mit Blick auf die zugrundeliegenden Quellen, sondern auch durch ein gewisses thematisches Desinteresse. Der inklusivistisch-modifizierende Typ zeigt sowohl eine Orientierung an religiösen Quellen als auch Wiederholungen, die nicht stereotyp erfolgen, sondern traditionelle Vorstellungen rekonstruieren und eigene Vorstellungen entwickeln. Er geht auf die anderen Religionen ein und kann deren Perspektiven übernehmen. Auffällig ist, dass insbesondere der inklusivistisch-modifizierende Typ konkretere Veränderungen erkennen lässt. Dies zeigt etwa die Übernahme von anderen Perspektiven, die Argumentation von einem anderen Standpunkt her, aber auch die (selbst-)kritische Haltung gegenüber eigenen Traditionen an.

Eine Untersuchung der individuellen Orientierungsmuster zeigt das Vorliegen verschiedener Typen an. Sie beziehen sich auf das religionstheologische Raster, dessen Kategorien sie auf ihre eigene Weise füllen. Vergleicht man die Einstellungen derer, die sich am Gespräch beteiligen, mit ihrer konkreten Religionszugehörigkeit,[7] so wird deutlich, dass ein direktes Korrelieren nicht zu eindeutigen Zuschreibungen führt. Innerhalb der konkreten Religionen gibt es Streuungen.

3.5 Kontrastiver Fallvergleich

Die spezifischen Strategien sind Gegenstand der kontrastiven Fallanalyse. Es geht um die Frage, welche Zugänge zum interreligiösen Dialog das Entstehen eines kritischen Resonanzbodens „für die je eigene Positionalität“ (Von Stosch, 2020, S. 285) eröffnen. Fälle, die eine Veränderung der Sicht auf die eigene oder die andere Religion – in Folge des wechselseitigen Kontakts – erkennen lassen, werden auf einer leicht abstrahierenden Ebene verdichtet beschrieben. Zur Darstellung werden Kategorien der Komparativen Theologie herangezogen.

3.5.1 Modulationen

Während die Komparative Theologie nach Dimensionen und Aspekten „der Geheimnisse des Lebens und der letzten Wirklichkeit“ (Woppowa 2015, S. 16–17) fragt, zeigen die Diskursstrategien der Studierenden, dass sie die eigenen Traditionen überwiegend modulieren:

Gegenüber traditionellen Vorstellungen, die binäre Alternativen von richtig und falsch zu zementieren scheinen, weist Gfe mehrfach auf ein anderes Denkmodell hin. Die „Interpretationsansätze“ (Z. 45, 58–59) erlauben ihr, eingefahrene Denkbewegungen zu sistieren. Gfe stellt ihre eigene Tradition nicht ganz unkritisch dar (Z. 48–49: „Weil da sprechen die ja in einer Tour von. Dass er (.) nicht körperlich zurückkehrt, sondern- ja“). Auch auf diese Weise stellt sie heraus, dass ein sachgerechter Umgang weiter ausgreifen muss als es eine perspektivische Sicht auf die Dinge nahelegt. Vfm adaptiert eine Sure, die sie nicht auf den Buchstaben, sondern auf ihre Bedeutung hin interpretiert (Z. 72). Ihr spezifisches Wissen über die eigene Religion befähigt sie gegenüber Dritten, traditionelle Vorstellungen zu modulieren.

3.5.2 Perspektivenwechsel

Zwar nehmen die Äußerungen der Studierenden Anliegen der Komparativen Theologie insofern auf, als sie der Andersheit der Anderen wertschätzend Raumgeben. Die Gespräche geben aber auch Anlass, weitergehende Aspekte zu präzisieren. Ansichten werden übersetzt, veränderte Einsichten markiert:

Obwohl sich Jfe in verschiedener Hinsicht mit der Vorstellung von der Jungfrauengeburtauseinandersetzt – sie sei „nicht so wichtig“ und ohnehin „nur in einem Evangelium drin“ (Bologna, Passage 23, Z. 43 ff.) – verweigert sie sich der Anerkennung der für sie andersartigen Vorstellung nicht. Sie notiert die andere Position wertschätzend: „Dogma der unbefleckten Empfängnis“. In seinem Versuch, einzelne Konzepte der anderen Religion zu erforschen, entwickelt Umm mehrfach ein wertschätzendes Interesse. Er lässt sich auf die anderen Vorstellungen ein und denkt sie solange weiter, bis er an ihre räumlichen Grenzen stößt (Bologna, Passage 21, Z. 13, 15, 17). Vfm gelingen mehrfach zeitlich begrenzte Perspektivenwechsel. Sie tritt gegenüber Hfe für deren eigene Religion (London, Passage 5, Z. 12) ein, so dass dieser die Möglichkeit eröffnet ist, ihre eigene Position zu überdenken. In die Diskussionen um die Rückkehr Jesu trägt sie an anderer Stelle die Sichtweise einer italienischen Katholikin ein. Ihre zeitlich begrenzten Übernahmen anderer Sichtweisen, die u.a. das Wirkliche an der Zukunftsvorstellung (Z. 43 f) betonen, führen zu einer Übersetzung der Ansichten der anderen Religion. Nachdem verschiedene pragmatische Zugänge vorgebracht sind, die den Modus der Rückkehr Jesu aus sehr unterschiedlichen Perspektiven darstellen, entwickelt Gfe einen Zugang, der ihr nicht nur ein Interesse an der anderen Religion eröffnet, sondern auch zu einer Übernahme der anderen Perspektive führt: ihre Sicht auf Jesus im Islam ändert sich  (London, Passage 5, Z. 63; 65).

3.5.3 Neuverstehen

Gegenüber Annahmen der Komparativen Theologie, die ein Neuverstehen eigener Traditionen als Folge der Auseinandersetzung mit dem Glauben der anderen begreift, zeigen sich in dem Material noch weitere Tendenzen. Formen des Bescheidwissen werden zugunsten alternativer Deutungen sistiert, pluriforme Denkbewegungen werden in Auseinandersetzung mit den eigenen Schriften entwickelt:

Hfe differenziert nach Einspruch und wiederholter Frage (London, Passage 5, Z. 17). Sie rechnet mit der Möglichkeit verschiedener Lesarten, insofern sie frühzeitig alternative Denkfiguren für den Umgang mit der eigenen Religion vorschlägt (Z. 21: „dass sein Geist immer noch da ist“). Für sich selbst hat sie ein Modell gefunden, das Jesu Rückkehr aus seiner gegenwartsbezogenen Präsenz erklärt. Afe entwickelt - in Auseinandersetzung mit Umms spezifischen Interesse an Abfolgeketten der (vor-)österlichen Chronologie - Alternativen zu korrekten Dimensionen des Bescheidwissen (Bologna, Passage 21, Z. 12). Sie geht dabei über einen rekonstruktiven Ansatz hinaus, insofern die Auferstehung als Ereignis sui generis begriffen ist. Vfm lässt sich zwar auf andere Denkbewegungen ein, bringt aber vor allem Eigenes ins Gespräch (Z. 64). Indem sie eine Lösung anbietet, die über ein bloßes Bescheidwissen hinausgeht, eröffnet sie auch Anderen die Möglichkeit in ihre Vorstellungen einzustimmen: Jesus ist nicht nur einer von vielen. Er ist einer der wichtigsten im Koran (Z. 66).

Jfe diskutiert mit Vertreterinnen anderer Konfessionen und Religionen das Problem der Elternschaft Jesu. Sie entwickelt in der Auseinandersetzung hermeneutische Kategorien, die die Frage von Vater- und Mutterschaft präzisieren (London, Passage 5, Z. 20–22). Eine Pointe setzt ihr Hinweis darauf, dass es auch Evangelien ohne entsprechenden Anfang gibt. Im Markusevangelium komme eine „Geburtsgeschichte oder sonst was“ (Z. 25) nicht vor. Jesu werde „einfach“ getauft. Zf2 nimmt Stellung zu einem Schulbuch, in dem Josef und Maria als Eltern Jesu ausgewiesen sind. Zf2 diskutiert diese Frage in dreifacher, muslimischer, koranischer und interreligiöser Hinsicht. Ihre Perspektiven entwickelt sie in Anknüpfung an eine andere Tradition: Die biblische Sicht auf die Dinge wirkt katalytisch  (Bologna, Passage 23, Z. 29–30: „ob das aus der muslimischen Sicht oder aus dem Koran so die Sicht ist oder interreligiös eher gedacht ist hier“). Gfe schlägt vor, von einem weiteren Explorieren des Internets abzusehen. Sie plädiert nicht für liebloses Außerachtlassen, sondern optiert für eine Haltung, die auf eigene Mündigkeit setzt (London, Passage 5, Z. 58–59: „Aber eigentlich dürften wir uns ja nicht groß von der Interpretation s-äh unterscheiden.“) Die Vorstellung, keine eigene Lösung zu finden, ist ihr unangenehm (Z. 58: „peinlich“). Gfe nimmt Denkbewegungen Anderer nicht nur zur Kenntnis, sondern übersetzt sie auf eine Weise, dass eine erneute Diskussion mit den Vertreterinnen der anderen Religion in Gang kommen kann.

3.5.4 Bemerkungen      

Die Beobachtungen bestätigen einerseits Erkenntnisse, die in Wien/Krems gewonnen wurden. Interreligiöse Lernerfahrungen der Studierenden wurden als eine Vermehrung des Wissens, als Steigerung des Interesses, aber auch als implizit „natürlicher“ Perspektivenwechsel beschrieben und von den Beteiligten implementiert (Abuzahra & Garcia Sobreira-Majer, 2014). Andererseits decken sie unbewusste Strategien auf und verweisen in einigen Aspekten präzisierend über die Befunde in Wien/Krems hinaus:

Denkmodelle werden etabliert, die eingefahrene Denkbewegungen der eigenen Religion überwinden können. Dies gilt für binäre Alternativen von richtig und falsch, aber auch für Umgangsweisen, die ein bloßes Bescheidwissen akklamieren (1).

Die Anwesenheit der Anderen wird aus christlicher wie aus muslimischer Perspektive wertgeschätzt. Dies gilt etwa für den Umgang mit der Jungfrauengeburt, aber auch für Tod und Auferstehung Jesu. Ansichten der Anderen werden auf eine Weise ins Spiel gebracht, dass sie zum kritischen Überdenken von Positionierungen, aber auch zur Übersetzungsarbeit führen, gelegentlich arbeitet  die Übernahme einer anderen Perspektive der Veränderung der eigenen Sichtweise zu (2).

Nicht selten kommt es zum Neuverstehen eigener Tradition. Alternative Denkmodelle werden entwickelt, aber auch Möglichkeiten offeriert, sich zur eigenen Tradition auf neue Weise zu verhalten. Hermeneutische Kategorien werden präzisiert, biblische Sichtweisen stoßen interreligiöse Reflexionen an. Die eigene Mündigkeit wird als wichtige Umgangsweise mit Tradition etabliert (3).

Auffällig ist zudem, dass sich veränderte Strategien insbesondere für solche Situationen identifizieren lassen, in denen inklusivistisch-modifizierende Positionierungen markiert worden waren (4).

3.6 Weiterführende Überlegungen

Einen gemeinsamen Horizont im Sinne eindeutiger oder definitiver Klärungen gibt es mit Blick auf strittige Fragen nicht, wohl aber das gemeinsame Ringen darum, dass eigene Differenzierungen entwickelt und verschiedene Perspektiven vortragen werden. Die Fähigkeit zum Dialog setzt die Perspektivierung von Alternativen voraus, aber auch die Übersetzung von Denkbewegungen. Sie avisiert ein Bewusstwerden eigener religiöser Bedürfnisse, aber auch die Eröffnung gemeinsamen Weiterdenkens. Klaus von Stosch hat jüngst mit Blick auf den Dialog zwischen Muslimen und Christen ausgeführt, dass es weniger darum geht, wie man sich positioniert, als vielmehr wie diese Positionierungen vollzogen und diskursiv begründet werden (Von Stosch, 2020).

Das Zusammenspiel von religionstheologischen Ansätzen und der Komparativen Theologie macht deutlich, dass sich die Ansätze auch jenseits der Auseinandersetzung um organisatorische und/oder religionsdidaktische Modelle für religionspädagogisches Arbeiten eignen. Sie befördern interpretative Zugänge und bringen Theorie und Empirie miteinander ins Gespräch. Im Ergebnis betrifft dies etwa die Einsicht, dass der interreligiöse Dialog nicht nur an Verfahrensvoraussetzungen gebunden ist (anders Schröder, 2005).

Das Feld des Interreligiösen ist ein genuiner Ort für die Entwicklung von Positionalität und sollte durch Bildungsprozesse zu einem Ort reflektierter und begründeter Positionalität werden (Von Stosch, 2020). Die unterschiedlichen Einstellungen und Haltungen sind nicht als Hemmnis zu konservieren, sondern durch präzise Beschreibung bewusst zu machen. Es besteht Grund zu der Annahme, dass gerade im Umgang mit der Person Jesu auf beiden Seiten weitergehende Einsichten zu erwarten sind (von Stosch & Khorchide, 2016). Interreligiöse Lehrerinnen- und Lehrerbildung wird sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, sofern sie sich im Rahmen theologischer und religionspädagogischer Ausbildungsstätten institutionell etablieren (Schweitzer, 2014).

Eine interreligiöse Ausbildung leistet ihren Beitrag auf dem Weg zu einer friedlicheren und in ihrem Umgang mit Religion entspannteren Gemeinschaft, indem sie vor Augen führt, mit welchen Strategien Perspektivenwechsel erreicht werden können. Oder noch einmal anders formuliert: es geht nicht länger um die Frage, ob, sondern wie es möglich ist, voneinander zu lernen: „Is it possible for us to integrate elements of the theologies of other religions in our own without succumbing to the superficialities of syncretism or abandoning essential elements of our own faith? This question can be put to both parties of a number of disputes”. (Legenhausen, 2016, S. 61)

Literatuverzeichnis

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Prof. Dr. Antje Roggenkamp, Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik der Ev.-Theol. Fakultät Münster.  

  1. Der erste Buchstabe bezeichnet die Person, der zweite das Geschlecht, der dritte eine an anderer Stelle auszuweisende Unterscheidung. Vgl. dazu Anm. 8. Die Gruppenzeichnungen sind – wie beim Arbeiten mit der Dokumentarischen Methode üblich – frei gewählt.

  2. Die Transkriptionsnotationsregeln (TiQ) folgen der Vorlage von Bohnsack, 2014, 235 f.

  3. Das jeweilige Oberthema der Passage findet sich in den entsprechenden Einleitungen.

  4. Ein Glossar für Gruppendiskussionen, das den reflektierenden Interpretationen zugrunde liegt, findet sich bei Asbrand & Martens, 2018, 335-348.

  5. In den hier ausgewerteten Gesprächssequenzen wurde von der Möglichkeit, die muslimische Bezeichnung Isa zu verwenden, kein Gebrauch gemacht.

  6. Es handelt sich um Pilatus in Mt 27, 62-66.

  7. Die Zugehörigkeit zu einzelnen Religionen ist einerseits expliziten Bezugnahmen auf heilige Schriften zu entnehmen, sie ergibt sich andererseits durch Auflösung des dritten anonymisierten Signums: Im Einzelnen bedeutet „e“ evangelisch, „k“ katholisch und „m“ muslimisch.