Einleitung
In diesem Aufsatz werden die wichtigsten Ergebnisse des ersten als Pilotprojekt konzipierten Durchgangs des SpiRiTex-Projekts ‚Heilige Orte, Rituale und Texte in der europäischen Lehrerbildung’ vorgestellt, welcher vom 21.-25. Mai 2018 in Belgien (Flandern) stattfand. Das grundlegende Ziel des SpiRiTex-Projekts besteht darin, zukünftigen Religionslehrer*innen einen interkulturell geprägten Zugang zu powerful learning environments zu bieten, in denen sie sich theorie-geleitet, hermeneutisch-entdeckend und didaktisch-konstruierend mit dem spirituellen Kapital Europas auseinandersetzen können. Im Rahmen dieser Lernumgebungen sind die Studierenden eingeladen – ausgehend von direkten Erfahrungen und zugleich in der unmittelbaren Gegenwart von Lehramtsstudierenden aus anderen europäischen Ländern – ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie spirituelle Quellen in Gestalt von Orten, Ritualen und Texten (auf Englisch: Sacred Spaces, Rituals, Texts, darum: SpiRiTex) wahrgenommen, verstanden und vermittelt werden können. Dem Projekt liegt hierbei die Annahme zugrunde, dass die drei oben genannten spirituellen Quellen (sources) zu entscheidenden re-sources für die persönliche und berufliche Entwicklung werden können, insofern die Teilnehmer*innen sie im Rahmen internationaler Studierendenmobilität in kreativen Lernprozessen gemeinsam neu definieren, konstruieren, aneignen und reflektieren. Hierbei soll die Konfrontation mit bedeutungsvollen Quellen sowie die weiterführende dialogische Reflexion dieser Erfahrung möglichst die Ausprägung einer religiösen Identität der Studierenden begünstigen und ihnen zugleich Einblicke in das Potential des religionsdidaktischen Prinzips des performativen Lernens eröffnen. Um einen Einblick in das Pilotprojekt, in dessen Fokus das Element sacred spaces stand, sowie resultierend in erste Ergebnisse zu gewähren, ist die folgende Ausführung in fünf Abschnitte gegliedert: Basierend auf einer zusammenfassenden Darstellung des theoretischen Rahmens, des Forschungskontextes und der Forschungsfrage sowie des Forschungsdesigns und der Durchführung, erfolgt eine Präsentation und Diskussion erster wegweisender Ergebnisse. Abschließend sollen einige Ideen bezüglich der perspektivischen Weiterentwicklung des Projektes aufgezeigt werden.
1 Theoretischer Rahmen des Forschungsprojekts: Pilgern und Begegnungen an heiligen Orten
Der bereits einem früher veröffentlichten Aufsatz dargelegte Grundgedanke des SpiRiTex-Projektes (vgl. Roebben, 2018), definiert sich im Verständnis von Raum, Ritual und Text als hermeneutische Quellen, die im Klassenzimmer zu didaktischen Quellen werden können – vorausgesetzt die Lehramtskandidat*innen machen sie sich auf persönliche und professionelle Weise zu eigen. Etwas expliziter formuliert versucht das Projekt, die hermeneutische Kommunikation zwischen zukünftigen Religionslehrer*innen, der reichen europäischen „Traditionen der Offenheit“ (Erik Borgman) und den an dem Projekt beteiligten Personen aus den Lehrerbildungseinrichtungen zu intensivieren. Hierbei verfolgen die Verantwortlichen das Ziel, in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten ein didaktisches Konzept zu entwickeln, das eine Vielzahl unterschiedlicher Weltanschauungen, Disziplinen und Kontexte berücksichtigt (Roebben, 2018, S. 13-14).
Im Rahmen des Projektes wird das Pilgern – verstanden als ein prozessorientiertes spirituelles Wandern, bei dem die Suche nach innerem Frieden und Stille und das bewusste Lösen vom schnelllebigen Alltag Raum schafft für neue Erlebnisse und die Verarbeitung von früheren Erlebnissen – kombiniert mit dem Aufsuchen von heiligen Stätten (vgl. Gamper, Reuter, 2012, S. 5). Dabei weisen die gewählten heiligen Stätten bewusst einen „hermeneutisch-irritierenden“ Charakter auf (Roebben, 2018, S. 14), indem sie Komplexität nicht reduzieren, sondern provozieren. So ist eine Irritation im erstem Moment ebenso möglich wie der Impuls im zweiten Schritt, im inneren Dialog mit sich selbst sowie in der Begegnung mit anderen und möglicherweise auch mit Gott, Lösungen und Erklärungen zu finden (vgl. Jensen, 2018, S. 89). Es geht folglich darum, neue Wege des Glaubens zu betreten oder einen bereits vorhandenen Glauben auf neue Art wiederzuentdecken. Sich selbst zu positionieren („Wo befinde ich mich gerade auf meiner Reise durchs Leben?“) ist die paradoxe Erfahrung, die der/die Pilgernde macht, wenn er/sie das Tempo verlangsamt, anhält und eine heilige Stätte besucht. Oder, um es mit den Worten von Victor und Edith Turner, die wegweisend in der Theoriebildung zum Thema Rituale sind, zu sagen: Pilgern ist extroverted mysticism und Mystik ist introverted pilgrimage (zitiert in Thralls, 2018, S. 228).
Auf theoretischer Ebene soll sich das Projekt auf drei Begegnungsdimensionen konzentrieren: inter-disziplinär, ‚inter-weltanschaulich‘ und inter-kontextuell. Die inter-disziplinäre Dimension bezieht sich auf das Zusammentreffen der religiösen Narrative zukünftiger Lehrer*innen mit bedeutungsvollen architektonischen Orten, die als heilige Stätten wahrgenommen werden. ‚Inter-weltanschaulich’ betrifft den Prozess des „Lernens in der Gegenwart des Anderen“ (Roebben, 2016a, S. 13-18), bei dem Menschen aufeinandertreffen und sich auf zwischenmenschlicher Ebene darüber austauschen, was sie wahrgenommen, worüber sie nachgedacht und was sie internalisiert haben. Inter-kontextuell bezieht sich auf die Art und Weise, wie die Teilnehmer*innen die heiligen Stätten im Rahmen ihres eigenen Lebensprojekts und ihrer persönlichen Glaubensreise rekontextualisieren. Drei Arten des Lernens korrelieren mit den zuvor genannten drei Arten der Begegnung: dynamisch-kreatives, transformatives und exploratives Lernen (Roebben, 2018, S. 16). Die drei Arten der Begegnung werden im vierten Teil des Aufsatzes anhand von empirischen Ergebnissen diskutiert.
2 Forschungskontext und Fragestellung: Pilgern als Weg, um religiöse Identität zu festigen?
Die bewusste Entscheidung für den Glauben, das Bedürfnis nach einer stimmigen und unterstützenden Gemeinschaft, in der man wachsen und diese Entscheidung in überzeugender Weise ausleben kann, das komplexe Umfeld, in dem sich solche Gemeinschaften heute befinden und in dem sie die zukünftigen Generationen im Spannungsfeld von Tradition und Anpassung erziehen müssen, die Vielfältigkeit von religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen bei der Gestaltung dieses Umfelds und das zunehmende Fehlen von angemessener religiöser Sprache und theologischem Diskurs – all diese Aspekte markieren Herausforderungen, die es heute erschweren, tragfähige Einrichtungen zur Ausbildung von angehenden Religionslehrer*innen so zu gestalten, dass Lehramtskandidaten im Horizont einer globalisierten Welt angemessen auf ihre Aufgabe im Kontext religiöser Bildung vorbereitet werden (vgl. Huyn-Sook, Osmer & Schweitzer, 2018).
In der Annahme, dass die zukünftigen Religionslehrer*innen selbst am besten wissen, wie ihre life orientation (vgl. van der Zande, 2018) aussieht, wie diese geformt wird und wie sie im zukünftigen Unterrichtsalltag funktionieren kann, reagiert das SpiRiTex-Projekt auf die dargelegten Herausforderungen, indem es Lehramtsstudierende dazu aufruft, Veränderungen selbst aktiv zu gestalten und sich ein Urteil zu bilden.
Anders gesagt: Im Religionsunterricht brauchen junge Menschen mehr als nur handfeste Information. Sie wollen unterschiedliche Optionen und Ausrichtungen in der Lebensführung „live“ erleben, sie wollen darüber sprechen und sie erfahren. Religionsunterricht muss deswegen einen allumfassenden Charakter haben und „narrativ, kommunikativ und spirituell“ sein (Roebben, 2016a, S. 25). In Europa trägt der Religionsunterricht die fundamentale Verantwortung dafür, Jugendlichen Raum für Begegnungen und Zeit für Reflexion der eigenen Weltanschauung zu gewähren. Religionslehrer*innen müssen dieser komplexen Handlungssituation gerecht werden, eine ausgeprägte religiöse Identität scheint dabei unabkömmlich.
Unter den genannten Gesichtspunkten sind die Teilnehmer*innen im Rahmen des SpiRiTex-Projektes eingeladen, die folgenden Fragen auf persönlicher und professioneller Ebene zu reflektieren: Was bedeutet die dargelegte Komplexität für mich und wie wirkt sie sich auf meine Vorstellung von meiner zukünftigen Aufgabe als Religionslehrer*in aus? Wie finde ich Wege, meine eigene religiöse Identität zu festigen, so dass ich authentisch und professionell innerhalb des von mir gewählten Bezugsrahmens Zeugnis ablegen kann, wenn Schüler*innen zu mir kommen und mich um Rat und Orientierung bitten?
Das Projekt will einen safe space (vgl. Ivkovitz, 2018, S. 69) schaffen, um mit diesen Fragen ins Reine zu kommen. In der Pilotphase haben wir uns dafür entschieden, nicht zu viele Weltanschauungen zu involvieren oder zumindest mit einer angemessenen Anzahl von Studierenden anzufangen, die einen mehr oder weniger ausgeprägten christlichen Hintergrund haben und sich gerade in der Ausbildung zum/zur Religionslehrer*in befinden. Auf diesem Weg soll die Komplexität in der ersten Erprobungsphase im überschaubaren Rahmen bleiben.
Es resultiert die zentrale Forschungsfrage, inwiefern die Praxis des Pilgerns zum Aufbau einer gefestigteren religiösen Identität der zukünftigen Religionslehrer*innen beitragen kann.
Das Identitätskonzept dieses Projekts befindet sich im Einklang mit dem zeitgenössischen Begriffsverständnis von persönlicher Identität, welches die Ausprägung der Identität des Einzelnen als dynamischen Prozess zwischen der Wahrnehmung des eigenen Selbst und des Anderen – eingebettet in einen ständigen Zustand von Austausch und Aushandlung –, definiert (vgl. Altmeyer, 2016). Neben dem übergeordneten Erkenntnisinteresse, welches sich in der oben formulierten zentralen Forschungsfrage konkretisiert, geht es im Rahmen des Pilotprojekts darum, das Potential einer Praxis des Pilgerns explizit für die Lehramtsausbildung und somit mit Perspektive auf ein fruchtbares Handeln im Klassenzimmer herauszustellen, sowie Anknüpfungspunkte für die mögliche Umsetzung eines ‚inter-weltanschaulich‘ angelegten Pilgerns zu generieren. Anhand der Forschungsergebnisse, die im weiteren Verlauf des Aufsatzes vorgestellt werden, wird ersichtlich werden, dass das erhobene Datenmaterial vor allem Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der zentralen Forschungsfrage impliziert.
3 Forschungsdesign und -durchführung: Ethnographische Forschung „on tour“ in Flandern
Das Pilotprojekt, das im Mai 2018 in Flandern (Belgien) stattfand, war ein erster Versuch, Eindrücke zu sammeln, wie sich die Erfahrung des Pilgerns in der Ausbildung von Religionslehrer*innen möglicherweise auswirken könnte. Die Daten wurden im Rahmen einer qualitativen empirischen Studie erhoben, die in der Tradition ethnographischer Feldforschung anzusiedeln ist (vgl. Flick, 2017, S. 281-303). Die Autor*innen dieses Aufsatzes bilden das an der Universität Bonn beheimatete Forschungsteam. Bei den Teilnehmer*innen handelte es sich um Theologiestudent*innen, zukünftige Religionslehrer*innen sowie Universitätsangehörige in internationaler Zusammensetzung aus Bonn und Dortmund (Deutschland), Dublin (Irland), Prag (Tschechien), Riga (Litauen), Tielt (Belgien), Utrecht (Niederlande) und Wien (Österreich). Innerhalb von fünf Tagen wurden verschiedene in religiöser Hinsicht bedeutungsvolle Stätten besucht, die sich aktuell in einem Transformationsprozess befinden. Die anschließende Reflexion erfolgte im Rahmen einer intensiven Diskussion bezüglich der Frage, inwiefern diese Orte als spirituelle, religiöse oder sogar heilige Stätten angesehen werden können.[1]
Die Mitglieder des Forschungsteams nahmen als teilnehmende Beobachter*innen und somit im Sinne einer ethnographischen Feldforschung an der Pilgerreise teil (vgl. Flick, 2017, S. 281-303). Als Erhebungsinstrumente fungierten Feldnotizen, Pilgertagebücher und ein Fragebogen (vgl. de Wildt, 2018). Die Einträge der Tagebücher sind anhand „qualitativer Inhaltsanalyse“ (vgl. Mayring, 2016) ausgewertet sowie durch den interkollegialen Austausch innerhalb des Forschungsteams analysiert worden. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es sich um research in progress handelt. Die im Folgenden dargelegten Ergebnisse sind folglich als Tendenzen zu verstehen, weiterführende Analysen stehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch aus.
Zum Kontext der Forschungserhebung ist Folgendes zu sagen: Die Reise verlief von West-Flandern nach Ost-Flandern. Während der beiden ersten Tage wohnten wir in der „Oude Abdij“ in Drongen (nahe Gent) und besuchten Ziele in Brügge. Die beiden folgenden Tage verbrachten wir in Leuven im Zentrum von Flandern und suchten Orte in Groot-Bijgaarden (nahe Brüssel), Leuven und Borgloon auf (in Ost-Flandern).
Den Höhepunkt des ersten Tages stellte die Magdalena-Kirche und das im Kontext dieser Kirchengemeinde umgesetzte ‚Yot-Projekt’ in Brügge dar.[2] Im Rahmen des Projekts ist die Kirche zu einem gastfreundlichen Ort für Besucher*innen aller erdenklicher Weltanschauungen gestaltet worden und wird dabei vor allem von künstlerischen Impulsen geprägt. Sie versteht sich nicht als Kirche „zum Anschauen“, sondern als Kirche „zum Erfahren“ – ein Ort an dem betende Menschen performativ neue Rituale, Kunst und Wort entdecken können, wenn auch immer im Einklang mit der christlichen Tradition. In Brügge besuchte die Pilgergruppe zudem einen vom Architekten Tom Callebaut entworfenen Generous Space, der einen offenen Ort spirituellen Austausches darstellt und sich zugleich in der Privatsphäre des Wohnhauses von Toms Familie und der Öffentlichkeit des umliegenden Wohnviertels befindet.[3]
Den nächsten Halt machten wir in der Chapel of Disclosure.[4] Diese stellt ein interessantes Beispiel dafür dar, wie eine religiöse Institution (nämlich der De La Salle Orden in Groot-Bijgaarden) ihrer Tradition ein neues Kleid gegeben hat: Der radikale Umbau (ebenfalls unter der Anleitung des Architekten Tom Callebauts) der aus dem Jahr 1924 stammenden Ordenskirche liefert soul food für spirituell Suchende, die vorbeikommen und die Gemeinschaft besuchen. Die beabsichtigte Ambivalenz dieses Ortes (weiße, geschlossene Paneele, die Ruhe vermitteln, gegenüber offenen Paneelen, die Tradition und Narrativ zeigen) trägt dazu bei, seine Spiritualität zu offenbaren.
Weiter ging es zur Park Abdij in Leuven, einer im Jahr 1129 gegründeten Abtei der Prämonstratenser. Inmitten der Natur liegend, umgeben von Seen stellt sie einen ruhigen und spirituellen Ort für Menschen dar, die Abstand von der lauten und geschäftigen Universitätsstadt Leuven suchen.
Als letztes Ziel steuerten wir ein im Jahr 2012 von Archdaily (einer bedeutenden Architektur-Website) als weltweit bester Sakralbau ausgezeichnetes Kunstwerk an. Dieses trägt den Titel Reading Between the Lines und befindet sich in den Hügeln von Borgloon.[5]Indem die Pilgernden hier selbst Faszination in Gemeinschaft erlebten und dabei das Kunstwerk neu interpretierten, stellte der Besuch dieses besonderen Ortes für die Pilgernden einen weiteren Impuls dar, ihr Verständnis von einem heiligen Ort zu konkretisieren.
Besondere Aufmerksamkeit soll im Folgenden exemplarisch einem Ort gewidmet werden, der großen Eindruck auf die Teilnehmer*innen machte: die Chapel of Disclosure in Groot-Bijgaarden. An diesem Ort hat der Architekt eine traditionelle Kapelle in einen völlig neuen, offenen und undefinierten Ort verwandelt, der sich für die Besucher*innen wir folgt darstellt:
Nach dem Ablegen der Schuhe in einem dem Narthex ähnlichen Übergangsbereich (vgl. Roebben, 2016a, S. 25-42), scheint es beim Eintritt in die Kapelle, zunächst kein Zentrum zu geben: keinen Orientierungspunkt, keine Bilder, alle traditionellen Symbole und Artefakte sind hinter weißen Holzpaneelen verborgen. Die Stille, die hier herrscht, scheint vollkommen. Optional lassen sich die Wände öffnen und die traditionelle Atmosphäre der Kapelle wiederherstellen, damit die Tradition (symbolisch repräsentiert in den Glasfenstern) wieder offenbar wird. Auch der Chor der Kapelle ist verborgen, kann aber ebenfalls geöffnet werden. Mit der Öffnung enthüllt sich das zentrale Mysterium des Christentums: das leere Grab des auferstandenen Christus und der weggerollte Stein des Ostermorgens (Mk 16, 1-7). In der kleinen Broschüre, die die Hauptmerkmale der Kapelle erklärt (Lombaerts, s.d.; unsere Übersetzung) ist zu lesen:
„Das radikal neue Design der aus dem Jahr 1924 stammenden Kapelle ist ein erster Schritt, um die gegenwärtige religiöse Entfremdung zu überwinden (…). ‚Traditionelle‘ Erkennungsmerkmale sind hinter Sichtblockaden verschwunden, um eine völlig neue Umgebung zu schaffen. Der Besucher betritt einen offenen und anscheinend undefinierten Raum: kein Zentrum, keine Orientierung, keine Bilder. Es gibt keine Artefakte, keine gewohnten liturgischen Elemente, nichts, was ein gewohntes rituelles Verhalten stimuliert. Eine weiße Decke, Wände mit weißen Paneelen, die von schmalen, roten, vertikalen Linien durchzogen sind, ein Teppich aus weißem Sand. Das Ambiente vermittelt dem Besucher und seiner inneren Realität ein Gefühl von strenger und heiterer Gelassenheit.“
Und weiter:
„In dieser neuen Form spricht der leere Raum seine eigene Sprache und folgt seiner eigenen Grammatik: nicht figurativ, sondern abstrakt. Es ist die Sprache der inneren Stille, des befreiten Geistes, die Sprache unseres Bewusstseins oder des Wahrnehmens einer persönlichen Berufung. Als ob eine Möglichkeit eröffnet wird, das Leben neu zu umarmen und aufzuatmen. Menschen, die an diesem Ort aufeinandertreffen, erkennen den Mehrwert ihrer Teilnahme an etwas Neuem, an etwas, das sie auf unerwartete und unvorhergesehene Weise fordert.“
4 Erste Ergebnisdarstellung und -diskussion: auf die Stimmen der Teilnehmenden hören
Einem ersten Einblick in Ergebnisse des Pilotprojekts vorweggreifend, kann an dieser Stelle bereits folgender zentraler Aspekt genannt werden, welcher die Pilgerreise in Flandern prägte. Bei allen Stationen entlang des Weges spielte folgendes Element eine zentrale Rolle: Der zunächst objektiv wahrgenommene ‚Ort‘ (place) wird von den Teilnehmenden in dem Moment als ‚Raum‘ (space) empfunden, in dem sie diesen mit ihren persönlichen Absichten, Ängsten und Sehnsüchten füllen.
Obwohl die empirische Forschungsarbeit noch lange nicht abgeschlossen ist, deuten erste Ergebnisse eindeutig auf den Wert der Praxis des Pilgerns hin. Hierbei geht es nicht nur um das instrumentelle Vorgehen, welches den Besuch der ausgewählten Orte ermöglicht. Von besonderer Tragweite ist vielmehr die resultierende mentale Disposition der teilnehmenden Lehramtsstudenten*innen, die es ihnen ermöglicht (1) eine bewusste Zensur im Alltag zu machen und Raum zu schaffen für neue und unmittelbare Erfahrungen, (2) in der Gegenwart anderer zu lernen und diese Erfahrungen zu verarbeiten sowie (3) sich auf neue Art mit der eigenen religiösen Biographie und persönlichen Glaubensfragen zu konfrontieren und diese Erfahrung als Meilenstein in der Festigung der eigenen religiösen Identität zu begreifen. Das Pilotprojekt offenbarte das hohe Potential eines performativ angelegten religiösen Lernens, das sich während der Pilgerreise in Form der Spannung zwischen dem Weg des/der Pilgernden und den besuchten heiligen Orten konkretisierte und uns darin bestärkte, diese Formen als Schritte auf eine Pädagogik des Pilgerns hin zu betrachten.
Basierend auf weiteren ersten Forschungsergebnissen lassen sich die im Folgenden genauer dargelegten Tendenzen ableiten, welche grundsätzlich das angenommene Potential der Praxis des Pilgerns als Reflexionsrahmen zur Ausprägung der (religiösen) Identität angehender Religionslehrer*innen fundieren. Entsprechend der drei theoretischen Begegnungsdimensionen (interdisziplinär, inter-weltanschaulich und interkontextuell) haben wir basierend auf den zur Verfügung stehenden Datensätzen drei Schwerpunkte herausarbeiten können, die im Folgenden anhand entsprechender O-Töne beschrieben werden.[6]
4.1. Wie zuvor bereits dargelegt, liegt das Potential von Begegnungen mit und an spirituellen und heiligen Orten im Kontext einer Pilgerreise in der Intention der Teilnehmer*innen, die in der bewussten Entscheidung für eine Unterbrechung des Alltags und für eine Auseinandersetzung mit dem Glauben zum Ausdruck kommt. Hierbei erfahren sie heilige Stätten als Auslöser neuer Assoziationen und unmittelbarer Erfahrungen, als religiöse Bindeglieder, die eindeutige Anschlusspunkte schaffen, um Erfahrungen interpretieren zu können, die im Horizont der eigenen Religion gemacht werden. Sich für einen gewissen Zeitraum at home on the road zu fühlenund den Weg immer wieder an heiligen Stätten zu unterbrechen, löst bei vielen Teilnehmer*innen sensorische Eindrücke aus, die über alltägliche Erfahrungen hinausgehen.
Dass die Teilnehmer*innen mit offenem Geist kommen und empfänglich für neue Erfahrungen sind, zeigen etwa die folgenden Zitate:
“I am not sure what to expect, but I am going to encounter it with an open mind. And take it as a new opportunity to define into something deeper. My idea of ‚sacred places‘ before this trip was a traditional one e.g. churches, holy mountains, holy wells etc. However just by yesterday’s encounter. I see me boundaries of sacred places has been pushed beyond the limits that I had known! So I am excited, nervous and open to the next few days” (Saz, weiblich, 22).
„Durch das Pilgern zu einem sakralen Gebäude kann man sich im Vorhinein schon auf den Ort einstimmen. Für sich alleine laufen auf dem Pfad, stimmt einen ein, in Ruhe und Verbindung mit der Natur“ (Heiner, männlich, 24).
Sie interpretieren und rekonstruieren ferner ihre neu gemachten Erfahrungen entlang der Linien ihrer bisherigen religiösen Biographien. So deutet die im Folgenden zitierte Teilnehmerin das Konzept der Chapel of Disclosure als Symbol ihrer Beziehung zur Kirche:
„Die Idee der Konstruktion der Chapel of Disclosure, große Teile des Baus quasi auszuklammern und nur manchmal, ganz spezifisch und gesteuert, speziell freizulegen und zu inszenieren, hat mir sehr imponiert. Ich denke, das könnte ein Bild für eine kritisch-loyale Kirchenbeziehung sein, denn neue Wege, kritische Wege, bedeuten für mich niemals eine vollständige Abkehr von der Tradition“ (Franzi, weiblich, 27).
In der Wahrnehmung der Teilnehmer*innen können die unmittelbaren Erfahrungen und Assoziationen durchaus ambivalenter Natur sein: zugleich reizvoll und beunruhigend. So zeigt die Aussage eines Studenten, dass die neuen Eindrücke mitunter so überwältigend bzw. reizüberflutend wirken können, dass die Angesprochenen den Fokus verlieren:
„Natürlich ist die Magdalenakirche [= YOT-Projekt] etwas Besonderes. Ein Kirchenraum, der so zur Verfügung steht, ist selten. Es ist eben entscheidend, dass, nachdem sich jede Generation in Kirchräumen verewigen darf, unsere auch eine Chance bekommt – und natürlich muss man da ein wenig experimentieren (…).Die Kirche ermöglicht Begegnung aber meine Augen stören sich irgendwie daran. Es muss anders sein. Schlichter, unauffälliger, sodass der Kirchenraum lebendig bleibt (…). Auch verließ mich die ganze Zeit auch nicht das Gefühl, dass die Kirche wie ein Museum wirkt“ (Heiner, männlich, 24).
4.2. Durch Begegnungen und Austausch untereinander lernen die Pilger*innen in der Gegenwart des religiös Anderen. Die Pilgerreise bietet Zeit und Raum, das gemeinsam Erfahrene ebenso wie die individuelle Komponente dieser Erfahrung zu verarbeiten. Der direkte Austausch mit dem religiös Anderen eröffnet die Möglichkeit, resultierende Fragen und Gedanken zu formulieren, zu vertiefen und zu durchdenken. Solche Fragen sind z. B.: Welche Art von religiösen/spirituellen Stätten sprechen mich an? Was löst die Konfrontation mit den unterschiedlichen spirituellen und ästhetischen Impulsen in mir aus? Was macht einen religiösen oder spirituellen Ort für mich persönlich zu einem heiligen Ort?[7]
Auch die Teilnehmer*innen verweisen explizit auf das Interesse, diese Art von Fragen zu reflektieren sowie auf den Stellenwert von Gesprächen innerhalb der Gruppe über gemeinsame, wenn auch verschiedenartige Erfahrungen:
„Die Reflexion, die wir in der Gruppe haben, sehe ich ebenfalls als große Bereicherung. Es ist spannend zu hören, aus welchen Perspektiven die verschiedenen Teilnehmer*innen unsere gemeinsamen Erfahrungen betrachten“ (Franzi, weiblich, 27).
“I expect to be challenged. To have other people shale my world view and to get to know new people on a deeper level. It seems to me that if what constitutes my view of the world isn’t sufficiently altered, or at least its flows made explicit, that my world stops to spin. I’m also very unfamiliar with topics like the sacred, pilgrimage, spirituality etc. and I’d love to get some views on that” (Jonas, männlich, 24).
„Trotz unserer studentischen Interessen, konnte sich jeder von dem Zauber anstecken lassen. Dabei spielt der Fakt, dass wir eine Pilgerfahrt zu heiligen Orten machen eine wichtige Rolle. Dadurch ist unsere Gruppe besonders sensibel für solche Orte. Es wäre vielleicht ein Unterschied, wenn wir diese Orte besuchen würden, wenn wir nicht dieses übergeordnete Interesse haben“ (Heiner, männlich, 25).
Mehrfach gehen die Pilger*innen auf die positive Gruppendynamik und die damit einhergehende positive Atmosphäre sowie deren Einfluss auf tiefgreifende Erfahrungen und offene Gespräche ein. So etwa in folgenden Zitaten:
“So I am very grateful for that meeting all the new people and listening to their very honest reflections was quite empowering for me. I will take this spirit of openness and engagement and honesty home with me” (Katie, weiblich, 22).
„Es war eine tolle Erfahrung wie unsere Gruppe durch ihre persönliche Erfahrung zusammen gewachsen ist. Besonders spürbar war dies (…) bei der Abschlussreflektion. Es war einer dieser Momente von der man sagt es gehe ein Engel durch den Raum“ (Heiner, männlich, 24).
“[We were] coming together as strangers and leaving as friends” (Eddie, weiblich, 22).
4.3. Die Aufforderung, sich auf spezifische Konfrontation mit der eigenen Religiosität sowie auf persönliche Glaubensfragen einzulassen, im Zusammenspiel mit der Erfahrungen, heilige Stätten zu besuchen, und diese sowohl alleine als auch im Dialog zu interpretieren, markiert das identitätsformende Potential einer Pilgerreise, welches im Rahmen des SpiRiTex-Projekts insbesondere angehenden Religionslehrer*innen zugutekommen soll. So bekommen die Studierenden, die das schulische Lehramt anstreben, im Rahmen der Pilgerreise, die Gelegenheit, ihre eigene religiöse Identität zu erforschen, was vor allem für diejenigen von großer Bedeutung ist, in deren Alltagsleben derartige Erfahrungen bislang keinen Platz gefunden haben. Dass sich im Verlauf der Woche diesbezüglich ein Reflexionsprozess vollzogen hat, beschreiben zwei Studierende wie folgt:
“I did not know what to expect from this week. I arrived with an open mind. I come from a background that was half strict and half liberal catholic. As a teenager I identified as atheist. When I came to the end of my final year in school, I realized that this was not true. When I started in college, I adopted a very agnostic view. After the first day, I began to think more of what I expect from this week. I believe that I expect to become more aware of my own insights and look for something that might spark a belief in me” (Eddie, weiblich, 22).
“I have really enjoyed the pilgrimage so far. I have enjoyed not only meeting new people, but meeting myself. Over the last few days I have begun to glimpse who I might be and what I am looking for in life. Each sacred space has shown me something different. I have felt and experienced different things in each space. The most evocative space personally was the Magdalena Church, and in particular, the swing. When I sat on the swing I felt something I have never felt before, and I do not know how to describe it” (Katie, weiblich, 22).
Die Teilnehmer*innen reflektierten ferner ihre persönliche religiöse Position auf sehr spezifische und persönliche Art mit Bezug auf ihre eigene Biographie sowie die Rolle, die Tradition in diesem Zusammenhang spielt:
„Hier [= generous space] war zunächst mein Gedanke, der absoluten Begeisterung und der Blick auf mich - könnte ich so leben? Meine Antwort war ein zögerliches Nein und ein gleichzeitiges leichtes schlechtes Gewissen. Doch in einem nächsten Schritt sah ich gottseidank, dass mein Charisma wohl ein anderes ist und das die Welt bunt macht“ (Franzi, weiblich, 27).
„Es ist offen, bereit zur Anknüpfung und für den zweiten Blick. Tradition ist nicht das Einzige. Sie steht bereit, um dem Suchenden/Fragenden die Hand zu reichen, ihm Erklärungsansätze bieten. Aber sie darf nichts überpinseln oder nicht festgesetzte Antworten ersticken. Deshalb genieße ich die Orte, die wir besuchen als Realisierungen/Darstellungen von Wahrnehmungen und Fragen ohne den Anspruch Antwort sein zu wollen. Es sind Plätze, an denen „hungry hearts“ kommunizieren können und sich sicher/ geborgen fühlen können, weil sie nicht alleine und vor allem nicht unfähig sind!“ (Max, männlich, 24).
Die Reise durch Flandern hat zu einer klareren Positionierung der Teilnehmer*innen hinsichtlich ihrer religiösen Identität beigetragen. Für die Konsolidierung der eigenen Identität – verstanden als fortlaufender Prozess – bietet das dynamische Format des Pilgerns einen wertvollen Rahmen: in der Konfrontation mit heiligen Stätten aus der Vergangenheit, in der Erfahrung des Wanderns in der Gegenwart unter der Voraussetzung einer konstanten direkten Gegenwart der Anderen sowie in der Auseinandersetzung mit der eigenen professionellen Zukunft als Religionslehrer*in – kurz gesagt, indem man sich fortbewegt zwischen „now, then and maybe“ (Charles Melchert, zitiert in Roebben, 2016a, S. 114).
5 Künftige Entwicklung des Forschungsvorhabens: Schritte in Richtung einer Pädagogik des Pilgerns
In diesem letzten Teil sollen unsere Erkenntnisse kurz in evaluativer Form diskutiert werden sowie die Idee einer „Pilgerdidaktik“ auf den Weg gebracht werden. Aufgrund der obigen Analyse sollte deutlich geworden sein, dass die Kombination aus Pilgern und heiligen Orten höchst relevant sein kann, wenn die Lehreramtsbildung innerhalb der Religionspädagogik innovativ verändert werden soll. Resultierend aus den Forschungsergebnissen in Flandern sollte das Potential „performativer Lernprozesse“ (vgl. Mendl, 2018, S. 208-212), wie hier im Pilgern und im Besuch heiliger Orte umgesetzt, in der Lehramtsbildung mehr als bisher ausgeschöpft werden. Resultierend aus den Ergebnissen des Pilotprojektes ergeben sich für weitere Durchgänge folgende Verbesserungsvorschläge: Es muss mehr Zeit eingeplant werden für persönliche Reflexion und Stille während des Wanderns, für den Austausch von Gedanken und Emotionen nach den Besuchen der heiligen Stätten und um die Auswirkung der gemachten Erfahrungen auf die persönliche Biographie zu reflektieren (sowohl als Glaubende*r als auch als zukünftige*r Religionslehrer*in). Es bietet sich an, weniger Orte aufzusuchen und anstatt dessen die Reflexion bezüglich der Erfahrung einzelner heiliger Stätte wie folgt zu vertiefen: indem traditionelle und zeitgenössische Formen der Raumgestaltung einander gegenüberstellt werden, durch den Einsatz von expliziteren, religiös-performativen Formen der Beschäftigung mit den besuchten Orten, wie durch Bibellesungen oder durch die Teilnahme an einem religiösen Ritual vor Ort (z.B. Andachten, Abendgebet, Messe etc.), kurz gesagt, indem die beiden anderen Elemente des SpiRiTex-Projekts, nämlich Ritual und Text, explizit als Impulse in die Erfahrung des Pilgerns eingebracht werden. Inwiefern der Einzelne sich auf seinem persönlichen „Lernweg“ von den Heiligen Orten, Ritualen und Texten als Impulse berühren lässt, bleibt auch in diesem performativ ausgerichteten didaktischen Modell in letzter Konsequenz von außen unvorhersehbar.[8]
Was sind nun die möglichen Schritte in Richtung einer „Pilgerdidaktik“? Hier müssen drei Elemente berücksichtigt werden: das dahinterstehende didaktische Konzept, die professionelle Rolle des*der Lehrenden und die theologische Vision, die sich daraus ergibt. Das didaktische Konzept könnte folgendermaßen aussehen:[9]
Erfahrung | Interpretation der Erfahrung | Konzeptualisierung der Interpretation der Erfahrung |
Performance (Wandern und Umgehen mit räumlichen, rituellen und textbasierten Impulsen) | Dichte Beschreibung der Performance | Meta-Reflexion über die dichte Beschreibung der Performance |
Learning by doing (Hören auf die eigene Stimme in der 1. Person) | Lernen durch Storytelling (durch die Stimme des Gegenübers, dem Weggefährten in der 2. Person) | Lernen durch Diskurs (durch Austausch und Reflexion, und im Konfrontation mit der 3. Person) |
Was von den Lernenden im Religionsunterricht erwartet wird, nämlich Engagement und reflektierte Haltung auf der Suche nach einer gefestigten religiösen Identität, sollte auch Teil des professionellen Habitus der zukünftigen Religionslehrer*innen sein. Das höchst interessante Ergebnis des Projekts besteht darin, dass sich angehende Religionslehrer*innen ebenso wie ihre zukünftigen Schüler*innen nach mehr Orientierung auf ihrer Lebensreise sehnen und dass subjektorientierte, narrative und vor allem performative „Wege“ dorthin dringend gebraucht werden, um „in Bewegung“ zu bleiben. Der*die (zukünftige) Lehrende ist als „Hoffnungsgenerator*in“ derjenige*diejenige, der*die in Bewegung bleibt und andere dazu einlädt, ebenfalls in Bewegung zu bleiben (vgl. Roebben, 2017).
Und zuletzt beinhaltet diese Pädagogik auch eine Einladung, die theologische Relevanz von Religionspädagogik neu zu überdenken. An den „Kreuzungen“ zwischen Innen und Außen, wo die Reise unterbrochen und im „inneren Frieden“ des Pilgerns reflektiert wird, befindet sich der Begegnungspunkt von zwei traditionellen Formen der Theologie: spirituelle Theologie und öffentliche Theologie. Wir sind davon überzeugt, dass die Lehramtsanwärter*innen auf ihrer Reise in die Lage versetzt werden, neue und bewundernswerte theologische Kreuzungspunkte zu entwickeln. Dies wird auch dann deutlich, wenn die im vierten Teil dieses Aufsatzes zitierte Aussagen durch die doppelte theologische Linse betrachtet werden.
Dennoch erscheint es für uns als an der Feldforschung beteiligte Autor*innen herausfordernd, die individuellen Erfahrungen, die im Zusammenspiel von Wandern, Gemeinschaft und dem Besuch heiliger Orte gesammelt worden sind, in all ihrer Intensität theoretisch greifbar zu beschreiben. Deshalb laden wir die Leser*innen abschließend ein, sich selbst auf eine Pilgerreise zu begeben und die genannten Orte zu besuchen.
Schlussfolgerung
Das Gesamtpotential des SpiRiTex-Projekts bleibt noch zu entdecken. Viele Fragen sind noch unbeantwortet. Es gilt Wege zu finden, wie die Projektarbeit in den beteiligten Ländern lokal am besten umgesetzt werden kann. Die langfristige Bedeutung für die Lehramtsbildung muss in den kommenden Jahren herausgearbeitet werden. Selbstverständlich wird dieser Ansatz die traditionellen und bewährten Formen der Lehramtsbildung nicht ersetzen. Doch für den Moment kann festgehalten werden, dass das Projekt bei den Teilnehmer*innen viele Eindrücke und Gedanken auslöste und das große Bedürfnis für narrative und performative Wege bei der religionspädagogischen Ausbildung in der Zukunft widerspiegelt.
Im Juni 2019 hat die zweite SpiRiTex-Runde in Prag (Tschechien) und Umgebung stattgefunden und ist ebenso forschungsbasiert dokumentiert worden. Hierbei erfolgte der Besuch heiliger Stätte in einem Land im Herzen Europas, das statistisch gesehen über den höchsten Prozentsatz an Nichtgläubigen verfügt und in dem Religionsunterricht nicht als ordentliches Schulfach vorgesehen ist (vgl. Štěch & Muchová 2009). Die Einladung an die Teilnehmer*innen lautete damals provokativ: „Und wer weiß? Vielleicht entdeckst du Gott, wo Gott abwesend zu sein scheint...“
Literaturverzeichnis
Altmeyer, S. (2016). Art. Religiöse Identität. URL: https://www.bibelwissenschaft.de/wirelex/ [Zugriff: 07.07.2019].
Bocken, I. (2017). Spirituality as critique. Michel de Certeau and Ignatian spirituality. In H. Westerlink (ed.), Critical spirituality. Spirituality as critical practice in the global modern age (S. 7-24). Leuven: Peeters.
De Wildt, K. (2018). Postmodernes Pilgern. Gottesdienst, 52, S. 182-183.
Flick, U. (20178). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
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Dr. Bert Roebben, Professor für Religionspädagogik, religiöse Erwachsenenbildung und Homiletik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Katharina Welling, M. Ed., Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin am Lehrstuhl für Religionspädagogik, religiöse Erwachsenenbildung und Homiletik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Laura Wiemer, B. A., Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Religionspädagogik religiöse Erwachsenenbildung und Homiletik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
Place is the category that is entwined with strategy as involving a fixed structure. A place is always static and identity-forming, referring to a fixed order that is imposed from above: place belongs the dimension of the engineer-urbanite who draws a town plan on his drawing board. Space, on the other hand, refers to people’s concrete dealings with place, the cluttered mish-mash of actions taking place amongst fixed places and structures and inevitably escaping any kind of control” (Bocken, 2017, S. 16, unsere Hervorhebung).
www.yot.be [Zugriff: 07.07.2019].
www.tc-plus.be/nl/projecten/de-genereuze-ruimte [Zugriff: 07.07.2019].
vimeo.com/297505367 [Zugriff: 07.07.2019].
www.archdaily.com/298693/reading-between-the-lines-gijs-van-vaerenbergh
[Zugriff: 07.07.2019].Die Originaltöne werden im Folgenden in der Originalsprache (Deutsch oder Englisch) wiedergegeben.
Hinsichtlich der Option einer ‚inter-weltanschaulichen‘ Form des Pilgerns sind die Teilnehmer*innen überzeugt, dass das Pilgern einen angemessenen Rahmen für interreligiösen Austausch darstellt und der Besuch von heiligen Orten als Dialogbasis geeignet ist. Doch selbst wenn ein großes Interesse an heiligen Stätten anderer Religionen besteht, sind sie sich der Schwierigkeit bewusst, diese Stätten aus einer Außenseiterperspektive heraus zu erfahren. Zusätzlich verweisen sie mit Bezug auf den partikularen Hintergrund der fremden Religionen, auf die Notwendigkeit einer angemessenen Vorbereitung, die ein ‚inter-weltanschaulich‘ ausgerichtetes Pilgern ihrer Meinung nach erfordern würde.
In seiner kritischen Bewertung des Narthex-Modells (Roebben, 2016a, S. 25-42) argumentiert der norwegische Religionspädagoge Sturla Sagberg, „that the notion of a pilgrimage is more open in terms of religious interpretation than the image of the narthex” (zitiert in Roebben, 2016a, S. 41), weil dort dem/der Lernenden eine breite Auswahl an Impulsen angeboten wird und er/sie selbst entscheiden kann, was gelernt wird.
Diese Abbildung ist eine Erweiterung des didaktischen Konzepts von Roebben (2016b, S. 188).