Die Gesellschaft ist im Wandel, der Religionsunterricht bleibt wie er ist. So scheint es zumindest in den meisten Bundesländern, neuere Varianten wie der Islamunterricht fügen sich letztlich in das Bild. Doch diese administrative Feststellung entspricht nicht ganz der Realität. Denn unter der Hand wird in vielen Grundschulen, zum Teil in Sekundarschulen, offiziell auch in vielen Berufsschulen ein gemeinsamer Religionsunterricht erteilt. Zur Diskussion steht also durchaus auch auf der politischen Ebene, wie die Zukunft des Religionsunterrichts aussehen könnte. Zu dieser Frage wurde auf einem Podium während der Jahrestagung der GwR am 6. September 2019 in der Evangelischen Akademie mit namhaften Politikern und einer Politikerin diskutiert. Nach einem Eingangsstatement bildeten vier Themenblöcke den Rahmen, anschließend wurden Fragen aus dem Publikum aufgenommen.

In der vorliegenden Dokumentation finden sich zunächst die Frageblöcke (1). Unter den folgenden Gliederungspunkten 2 bis 6 kommen dann die verschiedenen Parteien zu Wort. Dabei werden jeweils in einer ersten Passage allgemeine politische Verlautbarungen aufgenommen. Ein kurzer Kommentar hilft sie einzuordnen, der einem Aufsatz von Christian Kern entnommen ist.[1] Ein anschließender größerer Abschnitt fasst dann die Aussagen aus dem Podium zusammen. Die einzelnen Abschnitte wurden von den jeweiligen Vertretern bzw. Vertreterinnen der Parteien gegengelesen und freigegeben.

1 Frageblöcke der Podiumsdiskussion

1) Eingangsfrage: Braucht man überhaupt Religion und Religionsunterricht in der Schule? Welche Formen könnten auch in Zukunft tragen? 

2) Der Religionsunterricht stützt sich auf das spezifisch deutsche Verhältnis Staat-Kirche. Andere Religionsgemeinschaften treten hinzu.

Grundsätzlich gefragt: Ist das Verhältnis Staat-Religionsgemeinschaften insgesamt in Deutschland neu zu justieren?

Spezifisch für unseren Kontext: Die Regelungen unseres Religionsunterrichts beruhen auf der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Wie könnten sie zukunftsfähig gemacht werden?

3) Der Staat unterstützt derzeit die Religionsgemeinschaften und den konfessionellen RU. Die Frage lässt sich umdrehen: Was sollte RU für die Gesellschaft bzw. den Staat leisten?

4) Welche Rolle könnte Spiritualität in der Schule der Zukunft spielen? Gehört sie in die Schule? Wie sieht es mit Schulandachten und Schulfeiern aus?

5) (Hier war Raum für Fragen aus dem Publikum. Geäußert wurden unter anderem Fragen zu religiöser Symbolik in der Schule und Fridays for Future)

6) Was nehmen Sie aus diesem Podiumsgespräch mit?

Abbildung 1.

2 Die CDU

2.1 Programmatische Aussagen der CDU und deren Einordnung

Für die CDU ist das „christlich-jüdische[] Erbe“ ein „wichtiges Fundament“ Deutschlands (CDU, 2017, S. 73). Sie ermutigt aber ebenso zum „interreligiösen Dialog“ (ebd.) und betont neben dem besagten Fundament, dass deutsche Muslime „zu unserer Gesellschaft“ (ebd.) gehören. Kirchen haben demnach genau wie andere Religionsgemeinschaften einen festen Platz in der Gesellschaft. Daneben wird auch gefordert, dass „Moscheen, in denen Hass und Gewalt gepredigt werden“ (CDU, 2017, S. 74) geschlossen werden;„Einflussnahme aus dem Ausland“ wird bei religiösen Institutionen abgelehnt (ebd.).

Die Partei betont entsprechend, dass „Religionsunterricht [...] in den Fächerkanon“ gehört (CDU, 2013, S. 22). Eine „Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts“ käme einer „Aushöhlung der für unsere Gesellschaft prägenden christlichen Werte“ gleich (ebd.). In diesem Sinne wird auch der islamische Religionsunterricht befürwortet (ebd.). Demgegenüber sind Philosophie und Ethik nicht als gleichrangig, sondern als Ersatzfächer zu bezeichnen (ebd.).

Christian Kern, Theologe in Würzburg, ordnet den religionspolitischen Subtext der CDU/CSU folgendermaßen ein: „Das ‚christliche Menschenbild‘ liefere wichtige Elemente für ‚ein gemeinsames Wertefundament‘“;„Religion gilt als Faktor für stabile gesellschaftliche Identität und Orientierung“ (Kern, 2017).

2.2 TOBIAS UTTER (CDU): „Deutschland gehört auch zum Islam“

Tobias Utter studierte Geschichte und Politik und ist seit 11 Jahren Mitglied im Hessischen Landtag. Unter anderem ist er Sprecher der CDU-Fraktion für Religionsangelegenheiten. Er hat eine Prädikantenausbildung und ist im Dekanat Wetterau als Präses tätig.

1. Einstiegsstatement (zur Zukunft des RU)

Schülerinnen und Schüler haben einen Anspruch auf Bildung, nicht zuletzt in religiösen Fragen. Der deutsche Religionsunterricht ist gut darin – so wie er ist –, diese Bildung zu ermöglichen. Neben der schlichten Wissensvermittlung in den einzelnen Fächern, die gut und wichtig ist, gibt es ein Mehr, das man nicht erzwingen kann, das aber jedes Schulfach erst erschließt. Das gilt für den Musikunterricht ebenso wie für den Religionsunterricht. Es braucht Zugänge in Sachen Religion, die Horizonte erweitern, eigene Positionierungen und Erprobungen ermöglichen. Das sind auch die Gründe dafür, warum es gut ist, dass es in Hessen einen konfessionellen Islamischen RU und keine Religionskunde gibt. Damit wurden durchweg positive Erfahrungen gemacht, auch wenn es gegenwärtig aufgrund der Situation mit dem türkisch-muslimischen Verband DİTİB Probleme gibt. Es zeigt sich auf Schulebene, dass sich gerade die Einführung eines IRU positiv auswirkt.

2. Staats-Kirchen-Verhältnis

Es besteht kein Bedarf, etwas an der bestehenden rechtlichen Situation im Verhältnis von Staat und Kirchen zu verändern. Der RU funktioniert so, wie er eingeführt wurde und wie er von GG und beispielsweise hessischer Verfassung garantiert wird. Das zeigt sich auch mit Blick auf einen Islamischen RU, an dessen fachlicher Einführung und Durchführung es keine Kritik gibt und der, so wie er konzipiert wurde, sehr gut funktioniert. Mit Blick auf die konkrete Situation in Hessen wird geprüft, ob die juristischen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass DİTİB weiter Partner sein kann. Kritik, die derzeit aufkommt, richtet sich nicht gegen den IRU. Daher sollte der IRU selbst dann beibehalten werden, wenn die gegenwärtigen Probleme mit DİTİB nicht gelöst werden können.

3. Relevanz des RU für den Staat

Die Schule ist Teil der Gesellschaft, sie ist zudem in besonderer Weise Begegnungsort für verschiedene Wert- und Glaubensvorstellungen. Sie bietet dadurch wichtige Kontakt- und Berührungsmöglichkeiten, die sich außerhalb ihrer selbst so nicht finden lassen.

Die vielbeachtete und durchaus umstrittene Äußerung des Bundespräsidenten, dass der Islam zu Deutschland gehört, wird erst richtig spannend, wenn man sie umdreht: Deutschland gehört auch zum Islam. In dem Moment, wo es auf Deutsch einen Islamunterricht gibt, wo man in der Schule über diese Religion miteinander reden muss und unterschiedliche Standpunkte einnimmt, wo auch in der Familie auf Deutsch über das gesprochen wird, was der Lehrer vielleicht Falsches gesagt hat, da gehört das, was hier in Deutschland stattfindet, das, was der deutsche Staat mit islamischen Verbänden verabredet, zu Prozessen und Entwicklungen des Islams; es entsteht eine deutsche Islamdiskussion und nicht etwa eine marokkanische. Dann kommt die Diskussion in der Gesellschaft an und dann ist Integration da.

4. Spiritualität im schulischen Kontext (wie z.B. Schulgottesdienste, Andachtsräume)

Spiritualität und religiöse Zugehörigkeit sollten auch im schulischen Kontext ihren Raum haben, dazu gehört ein Rahmen mit klaren Regeln, aber eben auch Freiraum für die religiöse Dimension. Fehlt dieser Aspekt, wird eine zentrale Dimension des Menschseins vernachlässigt. Die Bedeutung des RU zeigt sich beispielsweise besonders beim Umgang der Schulgemeinschaft mit Sterbe- und Katastrophenfällen im schulischen Nahraum. Hier braucht es angemessene Formen und Möglichkeiten des Umgangs, die helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Die Religionen können hier rituelle Angebote machen, die angenommen werden können. Darüber hinaus muss auch in der Schule gewährleistet sein, dass jeder einzelne seine Religion in einem angemessenen Kontext ausüben kann.

5. Offener Teil mit Fragen aus dem Publikum (religiöse Symbolik in der Schule, Fridays for Future etc.)

Gerade bezogen auf Räumlichkeiten und ihre Ausstattung würde an mancher Stelle etwas Gelassenheit guttun. Im Fraktionsraum der CDU im Hessischen Landtag, der auch von den Ausschüssen genutzt wird, soll auf Forderung der Grünen, immer das Kreuz abgenommen werden. Dem wird auch Folge geleistet und das ist so in Ordnung. Es geht nur um einen Raum und einen Gegenstand. Beim Verbot des Tragens eines Kopftuches für Lehrerinnen in der Schule liegt die Sache anders. Dies führt zumindest in die Nähe eines Berufsverbotes, da in das religiöse Gewissen der Lehrkraft eingegriffen wird.

Zu den FFF-Demonstrationen: Wenn sich Schülerinnen und Schüler für die Teilnahme an diesen Demonstrationen entscheiden und die Schule schwänzen, ist es richtig, dass sie auch die Konsequenzen für ihr Handeln tragen, die die entsprechenden Ordnungen vorsehen. Es gibt gute Gründe, unter bestimmten Bedingungen gegen Regeln zu verstoßen. Aber zu behaupten, dass die eigenen Motive so gut sind, dass das Verletzen der Regeln egal ist und es keiner Konsequenzen bedarf, das halte ich persönlich für schwierig. Hier lernen Schülerinnen und Schüler, dass das eigene Handeln auch Folgen hat. Eine Teilnahme trotz Konsequenzen dürfte die Position der Jugendlichen eher noch stärken. Sie setzen für die Sache auch etwas ein.          

6. Schlussrunde (zu wesentlichen Impulsen der Diskussion)

Ich konnte für mich persönlich viel lernen, da Runden wie diese heute weniger häufig vorkommen. Ich fühle mich vor allem in meiner Einschätzung bestätigt, dass der RU ein sehr wichtiger Teil unserer Schule ist und bleibt und dass es sich lohnt, ihn vor dem Hintergrund gegenwärtiger Veränderungen weiterzuentwickeln, ohne die Tradition und die positiven Aspekte aufzugeben. Ich möchte mich daher zukünftig verstärkt für den RU in Hessen einsetzen.

3 FDP

3.1 Programmatische Aussagen der FDP und deren Einordnung

Die FDP kritisiert in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 zunächst „jegliche religiöse Begründung von Terror und Gewalt“ (FDP, 2017, S. 82) und bekennt sich „zum Respekt und zur Toleranz gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen“. (ebd.) Der FDP zufolge umfasst Religionsfreiheit auch die satirische Auseinandersetzung mit Religion. Daher wird auch die Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen (§166 StGb) befürwortet (ebd.). Die Partei möchte sich generell „für die Religionsfreiheit und die Gleichbehandlung von Kirchen-, Religions-, und Weltanschauungsgemeinschaften“ (ebd.) einsetzen, wobei die Bindung der Religionsausübung an das Grundgesetz betont wird (FDP, 2017, S. 83).

Kern fasst den religionspolitischen Subtext im Wahlprogramm der FDP wie folgt zusammen: „Das FDP-Programm verbindet die individuelle Selbstbestimmung und freie Handlungsfähigkeit mit dem Religionsthema.“ (Kern, 2017) „Zur Freiheit der Einzelnen gehöre die Suche nach Sinn für die eigene Existenz, was sich konkret in Religionszugehörigkeit und Glauben äußern könne“ (ebd.).

Konkrete Aussagen der FDP zur zukünftigen Gestaltung von Religionsunterricht finden sich im Wahlprogramm von 2017 nicht. Es lassen sich jedoch länderspezifische Differenzen erkennen: Während auf dem Landesparteitag der FDP Bayern 2016 „die Einführung eines gemeinsamen Religionsunterrichts … über alle Religionen“ (Landesparteitag FDP Bayern, 2016) gefordert wurde, sehen die Freien Demokraten im Rahmen der Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen „auch zukünftig das Angebot eines konfessionsgebundenen Religionsunterrichts als einen festen Bestandteil des … Fächerkanons“ (LKRG, 2017) an. Dies gilt auch für den Bund: „Zwar habe es Zeiten gegeben, in denen die FDP für eine Abschaffung gewesen sei; inzwischen aber habe die Partei erkannt, dass ein Staat ohne Werteorientierung nicht existieren könne.“ (Zimmermann, 2018)

3.2 PASCAL KOBER (FDP): „Ein freiheitlicher Staat braucht die weltanschaulichen, religiösen Gemeinschaften, um neutral sein zu können“

Pascal Kober ist Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretender Vorsitzender der FDP in Baden-Württemberg und Mitglied des Bundesvorstandes. Er ist ausgebildeter Pfarrer.

1. Einstiegsstatement (zur Zukunft des RU)

Trotz vereinzelter Diskussionen um die Stellung des RU innerhalb der FDP ist diese Partei historisch im Protestantismus verwurzelt und hat im Regierungshandeln nie etwas gegen den konfessionellen RU unternommen.

Zwei Ebenen gilt es aus meiner Sicht grundlegend zu unterscheiden. Die Sicht des Bürgers, der aus persönlichen, religiösen Gründen an Religion interessiert ist, einerseits, und die des Politikers und sein spezifisches Interesse an einem liberalen, freiheitlichen Staat andererseits. Der freiheitliche Staat braucht Religionsgemeinschaften und einen mit diesen verbundenen Religionsunterricht, der Werte setzt und vor allem hilft, sie zu begründen und auf einer tieferen Ebene als die bloßer Moral zu verstehen. Erst so kann er das sein, was er sein will: ein freiheitlicher Staat, der nicht aus sich heraus eine Ideologie und Wertefundamte für alle vorgibt. Unser Staat ist auf den Trümmern einer Diktatur entstanden, die Formulierungen des GG sind wohlüberlegt. Es darf kein staatliches Monopol über Weltanschauungen in der Schule geben. Der Blick auf andere Länder und die deutsche Geschichte zeigt, dass die mitunter durchaus gesellschafts- und staatskritischen Impulse, die von einer religiösen Weltsicht ausgehen können, bedeutsam und eben auch hilfreich für gesellschaftliche Entwicklungen und einen freiheitlichen Staat im Besonderen sind. Ein liberaler freiheitlicher Staat muss Weltanschauungen den Raum öffnen, gerade weil er nicht selbst eine Weltanschauung setzen will.

2. Staats-Kirchen-Verhältnis

Daraus ergibt sich für das Verhältnis zwischen Kirche und Staat, dass das deutsche System als wesentlich liberaler einzuschätzen ist als beispielsweise das französische oder das amerikanische. Ein freiheitlich demokratischer Staat braucht konstitutiv, um liberal zu sein, die Öffnung für andere Weltanschauungen. Sonst besteht die Gefahr, dass der Staat seine Macht missbraucht und z.B. seinerseits einem quasireligiösen Nationalismus Vorschub leistet.

3. Relevanz des RU für den Staat.

Als Mensch der Kirche nehme ich eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft wahr, die Menschen sehnen sich nach Eindeutigkeiten, die es auf der Welt nicht gibt. Die vielfältigen Spannungen, die konstitutiv sind für die christliche Theologie – etwa zwischen dem ‚schon jetzt‘ und ‚noch nicht‘ und Sünder und Gerechter zugleich zu sein – können dazu beitragen, ein Denken in Schwarz und Weiß zu verhindern oder zumindest infrage zu stellen und Ambiguitätstoleranz zu fördern. Das kann als ein zentrales Ziel religionspädagogischer Bildungsbemühungen in der Schule angesehen werden, das nicht minder zentral für das Fortbestehen eines liberalen Staates ist. Als Christ wünsche ich mir, dass unsere Kirche auch zu weltoffenen Staatsbürgern erzieht, unabhängig von einer parteilichen Verortung. Als Politiker hingegen habe ich aus guten Gründen keinen Anspruch darauf, dass die Kirchen oder Glaubensgemeinschaften zu guten Staatsbürgern erziehen. Ich bin froh darüber, dass staatliche Behörden – wenn ich an die wachsende Bedeutung der AfD denke – gerade nicht über die Inhalte des RU bestimmen können. Der RU leistet so einen wichtigen Beitrag zu einer pluralen Schule und einem liberalen freiheitlichen Staat.

4. Spiritualität im schulischen Kontext (wie z.B. Schulgottesdienste, Andachtsräume)

 Grundsätzlich muss zwischen dem RU, der benotet wird, und gottesdienstlichen Angeboten in der Schule unterschieden werden. Der individuell gestaltbare Andachtsraum im deutschen Bundestag steht beispielsweise all seinen Mitgliedern offen. Dort gibt es auch gottesdienstliche Angebote der einzelnen Glaubensgemeinschaften. Entsprechend sind auch Räume innerhalb der Schule sinnvoll und wünschenswert, wenn sie allen Schülerinnen und Schülern mit ihren individuellen Weltsichten zur Verfügung stehen. An Schulen in freier Trägerschaft darf es ein eigenes Profil geben, ohne dass jemand etwa zur Teilnahme gezwungen werden kann. Hier sollte man sich bei der Anmeldung aber auch den Spezifika bewusst sein.

5. Offener Teil mit Fragen aus dem Publikum (religiöse Symbolik in der Schule,Fridays for Future (FFF), etc.)

Auch mit Blick auf die FFF-Bewegung gilt es grundsätzlich zwei Perspektiven zu unterscheiden: Von staatlicher bzw. schulischer Seite darf es keinen Unterschied geben, ob Schülerinnen und Schüler montags gegen Flüchtlingspolitik oder freitags für das Klima auf die Straße gehen. Hier gilt die Schulpflicht und diese wird bei Montagsdemonstrationen ebenso verletzt wie bei Freitagsdemonstrationen. Selbst wenn es hier andere Stimmen geben mag, die Freitagsdemos den Montagsmärschen vorziehen, darf die inhaltliche Frage für den freiheitlichen Staat nicht ausschlaggebend sein, sonst hätten wir eine Bevormundung in politischen Fragen. Das Argument der besseren Begründung ist bei dieser Frage, gerade um der politisch freien Meinungsbildung willen, nicht stichhaltig. Die Montagsdemonstranten führen formal gesehen ganz ähnliche Gründe für ihre Demonstrationen an, auch sie sehen Rechtsverstöße (Grenzfrage) und ihre Zukunft und Identität gefährdet. Hier darf der Staat nicht mit zweierlei Maß messen. Wenn die Religionsgemeinschaften für den Unterricht nun festlegen, dass FFF eine gute Sache ist, dann muss ich das als Politiker hinnehmen. Meine Haltung als Christ kann sich von der des Politikers natürlich grundlegend unterscheiden.

6. Schlussrunde (zu wesentlichen Impulsen der Diskussion)

Auf manche Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten, an mancher Stelle würde uns ein bisschen mehr Gelassenheit guttun. Vor allem wünsche ich mir, dass sich muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger sichtbarer in die Diskussionen einbringen und zukünftig der Kommunikation mit den Betroffenen selbst eine größere Rolle zukommt.

4 BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN

4.1 Programmatische Aussagen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und deren Einordnung

Die GRÜNEN beschreiben in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 „Religionsfreiheit inklusive Religionskritik“ als „Fundamente unserer Demokratie“ (Die GRÜNEN, 2017, S. 117). Zur Religionskritik wird ausgeführt: „Religiöse Lehren, Praktiken und Traditionen dürfen kritisiert werden, auch in der Kunst.“ (ebd. S. 121) Das soziale Engagement der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wird zugleich auch als wichtiger „Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ (ebd.) gewürdigt. Zu einem zentralen religionspolitischen Ziel haben die GRÜNEN die Förderung des Dialogs „zwischen den Religionen und auch denen, die religionsfrei sind“ (ebd.) erklärt. Im Bereich der Kirchenfinanzen nimmt die Partei einen eher kritischen Standpunkt ein. In Bezug auf den Islam wird unter Betonung der Neutralität des säkularen Staates der Standpunkt vertreten, der Islam gehöre zu Deutschland (ebd. S. 122).

Den religionspolitischen Subtext im Wahlprogramm 2017 der GRÜNEN analysiert Kern folgendermaßen: Es geht „um die Förderung und Gestaltung von Pluralität“ (Kern, 2017). Pluralität wird dabei als „Motor von Entwicklung“ (ebd.), Religion, aber auch die Weltanschauungen, „als gesellschaftlicher Kreativitätsfaktor“ (ebd.) angesehen.

Auf der 40. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz 2016 sprechen sich die GRÜNEN für ein Festhalten an einem bekenntnisorientierten Religionsunterricht aus, dem auch im Wahlprogramm von 2017 nicht widersprochen wird. In diesem fordern die GRÜNEN noch die Ausbildung muslimischer Religionslehrer*innen an deutschen Hochschulen (Die GRÜNEN, 2017, S. 122). 2018 macht die Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen weitergehenden Vorstoß. Darin wird darauf hingewiesen, dass „unterschiedliche Optionen innerhalb des Regelungsbereichs von Art. 7 II GG denkbar sind“ (BAG Christ*innen, 2018, S. 46). Im Gespräch mit den Religionsgemeinschaften und im Anschluss an Erfahrungen wie im Hamburger Modell „könnte sich auf lange Sicht ein ‚RU für alle‘ [flächendeckend] entwickeln.“ (ebd. S. 48). Dabei sollen Lehrpersonen mit religiösem Hintergrund eingebunden werden. Neutrale „Religionskunde“ mache gegenüber solch einem „RU keinen Sinn“ (ebd., S. 49). Es wird gefordert, begründeten Anträgen auf einen „Religionsunterricht für alle“ schon jetzt stattzugeben (ebd., S. 50).

4.2 FRIEDRICH BATTENBERG (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir brauchen ein Hamburger Modell 2.0“

Friedrich Battenberg entstammt einer in der „Bekennenden Kirche“ aktiven Theologenfamilie. Er ist promovierter Jurist, habilitierter Historiker und hat das Hessische Staatsarchiv Darmstadt geleitet. Er ist apl. Professor für mittelalterliche und neuere Geschichte an der TU Darmstadt mit Forschungsschwerpunkten u.a. zur Geschichte sozialer Minderheiten und der Juden. Bis 2018 war er Sprecher der BAG Christinnen und Christen bei BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN.

1. Einstiegsstatement (zur Zukunft des RU)

Der traditionelle, Konfessionen trennende RU ist angesichts der gegenwärtigen sowie der zu erwartenden Entwicklungen einer religiös vielfältigen Bevölkerung nicht länger der richtige Weg. So sind in der Zukunft auch religiöse Randgruppen und nicht religiöse Weltanschauungen angemessen zu berücksichtigen. Ein „Hamburger Modell 2.0“ wird vor diesem Hintergrund den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen besser gerecht. Der RU bleibt so Teil des staatlichen Bildungsauftrages, der im GG garantiert ist, bekommt aber auch die Chance, authentische Begegnung mit unterschiedlichen Glaubenslehren zu ermöglichen. Er beschäftigt sich im Gegensatz zu anderen Fächern mit zentralen existenziellen Fragen des Menschen und mit Fragen nach dem Lebenssinn, die Schüler*innen im Inneren bewegen können und angesichts derer Jugendliche wie auch Kinder mögliche Antworten erwägen sollten. Dabei sind m.E. – über das derzeitige Hamburger Modell hinaus– auch nicht-christliche Weltanschauungen einzubeziehen, wofür bspw. der Humanistische Verband ein nicht zuletzt rechtlich geeigneter Partner im Sinne des GG wäre. In jedem Fall braucht es authentische Vertreter*innen der jeweiligen Religion, die entweder allein oder in Zusammenarbeit mit anderen (z.B. in Form von „team-teaching“) mitteilen können, was sie selbst als Glaubenswahrheit erfahren haben. Den Schüler*innen soll dadurch ermöglicht werden, religiös sprachfähig, aber auch pluralitätsfähig zu werden, sich ein eigenes Bild zu machen, Perspektiven zu wechseln, zu vergleichen, zu entscheiden, an Identität zu gewinnen und letztlich zu eigenen tragfähigen Positionen zu kommen.

2. Staats-Kirchen-Verhältnis

Das Modell der „ausbalancierten“ Trennung zwischen Staat und Kirche hat sich im Großen und Ganzen bewährt, muss allerdings an die veränderten Bedingungen einer multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft angepasst werden. Nicht ohne Grund sprechen Rechtshistoriker*innen inzwischen nicht mehr von einem Staatskirchenrecht, sondern von einem Religionsverfassungsrecht, weil wir es mit einer Vielzahl von Religionen und Konfessionen zu tun haben. Eine Änderung des Art. 7.3 des GG ist dafür nicht erforderlich, unter dem Terminus „Religionsgemeinschaften“ (in der Weimarer Reichsverfassung war noch im Singular von „Religionsgesellschaft“ die Rede) können die nach dem GG ihnen gleichgestellten „Weltanschauungsgemeinschaften“ in einem kooperativen Modell mit einbezogen werden.

3. Relevanz des RU für den Staat sowie 4. Spiritualität im schulischen Kontext (wie z.B. Schulgottesdienste und Andachtsräume)

Der RU ist Teil des staatlichen Bildungsauftrages und im GG garantiert. Er macht als einziges Schulfach existenzielle Fragen bzw. Fragen nach dem Lebenssinn zum Thema. Es ist von großer Bedeutung, dass Schüler*innen religiös sprachfähig und zu Perspektivenwechseln befähigt werden. Durch den RU wird zudem die Zivilgesellschaft gestärkt, indem der Dialog mit anderen Positionen gelehrt und eingeübt wird. Folglich besteht sein zentraler Beitrag darin, gegen Fundamentalismus und Radikalisierung immunisieren zu können und bei Schüler*innen zur Entwicklung von demokratischen, freiheitlichen Haltungen beizutragen. Das gelingt vor allem durch authentische Vertreter*innen der jeweiligen Religionen und Weltanschauungen. Schulgottesdienste und Andachten neben dem eigentlichen Schulbetrieb können auch dazu beitragen; sie sollten aber nach Möglichkeit von den Schüler*innen selbst initiiert und organisiert werden. Falls die Möglichkeiten vor Ort es zulassen, können dabei auch verschiedene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine gemeinsame Form für Feiern (bei frohen und traurigen Anlässen) entwickeln.

5. Offener Teil mit Fragen aus dem Publikum (religiöse Symbolik in der Schule, Fridays for Future [FFF], etc.)

In der Schule ist das Tragen religiöser Symbole und als Ausdruck religiöser Einstellungen verstandener Kleidungsstücke durch das Lehrpersonal abzulehnen, sofern es sich nicht um Schmuckstücke vorwiegend modischen Charakters handelt (z.B. Kreuze, Anch-Zeichen, Yad-Symbole); eine Ausnahme könnten Kippot sein, die als Kopfbedeckungen gläubiger Juden alten Traditionen entsprechen. Wenn es von den Schüler*innen einstimmig gewünscht wird, sind auch religiöse Symbole in Klassenräumen in begrenztem Umfang und um des Schulfriedens willen zu akzeptieren.

Im Zusammenhang mit der FFF-Bewegung ist zu betonen, dass die Schule, nicht zuletzt über den RU, auch die Aufgabe hat, Schüler*innen zu Menschen zu erziehen, die die Zivilgesellschaft stärken. Das geschieht auch durch Demonstrationen, um auf staatliche Defizite hinzuweisen. Es geht bei der FFF-Bewegung entgegen der Montagsdemonstrationen nicht um persönliche oder regionale Interessen, sondern um Themen existenziellen, globalen Ausmaßes, die nicht einzelne Menschen, Regionen und Nationen, sondern alle Menschen betreffen. Entsprechend sind die Freitagsdemonstrationen deutlich anders zu bewerten als Montagsdemonstrationen wie Pegida etc. Der RU speziell gewinnt – bezogen auf den Aspekt der Bewahrung der Schöpfung – an theologischem Profil, wenn er sich auch mit einem Thema wie FFF auseinandersetzt. Es kann auch als eine Aufgabe des RU verstanden werden, Hilfen an die Hand zu geben und zu der Teilnahme an den FFF-Demonstrationen zu ermutigen.

6. Schlussrunde (zu wesentlichen Impulsen der Diskussion)

Zur Zukunft des Religionsunterrichts gehören viele Klärungsprozesse. Wir setzen uns für ein Hamburger Modell für alle „RUfa 2.0“ ein. Doch dies muss gemeinsam und in einem breiten Konsens entwickelt werden. Allerdings sind die Positionen der GRÜNEN dazu nicht einheitlich, da es innerhalb der Partei auch eine radikal-säkulare Strömung gibt. Das anfangs zitierte Thesenpapier der Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird zurzeit intensiv diskutiert und soll in seinen Kernaussagen, sofern ein entsprechender Parteibeschluss erreicht wird, zu einem Eckpfeiler GRÜNER Religionspolitik werden.

5 Die Linke

5.1 Programmatische Aussagen der Linken und deren Einordnung

Die Linke vertritt in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 klar „die institutionelle Trennung von Staat und Kirche“ (Die Linke, 2017, S. 125). Damit einhergehend fordert sie auch die „Ablösung der Staatsleistungen an die Kirche“ (ebd.): „Die Kirchen sollen ihre Mitgliedsbeiträge selbständig und selbstverantwortlich erheben“ (ebd.). Zudem plädiert die Linke für eine „rechtliche Gleichstellung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ (ebd.). Dieser Linie folgend werden auch die Anerkennung und der staatliche Schutz jüdischer und muslimischer Feiertage gefordert. Christine Buchholz, aktuelle religionspolitische Sprecherin der Linkspartei, fasst das Verhältnis ihrer Partei zu Religion folgendermaßen zusammen: „‚Die Linke ist traditionell nicht religiös, wobei mir wichtig ist zu sagen: Wir sind keine antireligiöse Partei.‘“ (Die Tagespost, 2018)

Zum religionspolitischen Subtext im Wahlprogramm 2017 der Linken stellt Christian Kern fest, dass die Linke „Religion als gesellschaftliche Größe, die Machtgefälle fördere oder stütze“ (Kern, 2017), ansieht. Darüber hinaus äußert die Linke „Kritik am Unterdrückungspotential von Religionen… Die Freiheit der Religionsausübung sei [jedoch] schützenswert“. (ebd.)

In ihrem Wahlprogramm 2017 nimmt die Linke explizit Abstand von dem in Deutschland weitgehend etablierten konfessionsgebundenen Unterrichtsmodell. Stattdessen befürwortet sie „einen Ethikunterricht, in dem alle Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Hintergründen gemeinsam über ethische Fragen diskutieren können.“ (Die Linke, 2017, S. 125) Innerhalb von diesem sollen im „Rahmen des Bildungsauftrages … Schulen auch weiterhin Wissen über Religionen vermitteln.“ (ebd.) Der Unterricht ist der Linkspartei zufolge „unabhängig von kirchlicher oder religionspolitischer Einflussnahme [zu leisten]. Schulgebet, Schulgottesdienst und religiöse Symbole wie das Kruzifix sind in staatlichen Schulen zu entfernen.“ (Die Linke, 2013)

5.2 SEVIM DAGDELEN (DIE LINKE): „Ethik für alle zur Stärkung von gesellschaftlichem Frieden“

Sevim Dagdelen ist von Beruf Journalistin. Sie ist seit 2005 Mitglied im Deutschen Bundestag und seit 2017 stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

1. Einstiegsstatement (zur Zukunft des RU)

Gegen Religionsunterricht habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden, allerdings hat er an staatlichen Schulen nichts zu suchen. In der Schule geht es zuvorderst um die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen, nicht aber um die Vermittlung religiöser Werte. Religion ist Privatsache. Ich plädiere für einen Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, bei dem neben Religion auch das Demokratieverständnis ein wichtiges Thema ist. Dabei spielen selbstverständlich auch christliche Inhalte eine zentrale Rolle. Alle sollten gleichermaßen lernen, was Christen, Hindus, Muslime und andere mit ihrem Glauben und ihrer Religion verbinden. Gemeinsam sollten hierzu Diskussionen und Gespräche auch mit nicht-religiösen Schülerinnen und Schülern auf einer ethischen Grundlage stattfinden. Das trägt gegenüber einer Separation von Schülerinnen und Schülern in einzelne Glaubensgemeinschaften stärker zu gesellschaftlichem Frieden und Zusammenhalt bei.

2. Staats-Kirchen-Verhältnis sowie 3. Relevanz des RU für den Staat

Ein Blick auf die USA zeigt gegenüber der Sichtweise von Herrn Kober (oben unter Abschnitt 3.2), dass trotz eines staatlichen Verbots von RU an öffentlichen Schulen und trotz der verfassungsrechtlich fixierten Trennung zwischen Kirche und Staat, eine gemeinsame freiheitliche demokratische Basis möglich ist, ohne dass der Staat dadurch totalitär wird und eine Weltanschauung setzt. Als das Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde, war die Ausgangslage, was die Mitgliederzahlen der Religionsgemeinschaften angeht, eine gänzlich andere, aber noch immer gibt es z.B. Staatsleistungen an die Kirche, noch immer werden einzelne Religionsgemeinschaften durch den RU bevorzugt. Die gesellschaftliche Tendenz zur verstärkten Säkularisierung muss zur Kenntnis genommen und im Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften berücksichtigt werden. Inzwischen gibt es in Deutschland über 30 Millionen Konfessionslose, womit diese die größte Gruppe ausmachen; doch diese wird immer wieder diskriminiert, da alle anderen gefördert werden, diese aber nicht in vergleichbarem Maße.

Dies bedeutet keine Verhinderung der Arbeit von Religionsgemeinschaften. Es bedarf aber einer klaren Aufgabentrennung zwischen Staat und Kirche. In seiner jetzigen Form ist das GG von 1949 mit Blick auf den Religionsunterricht nicht mehr zeitgemäß. Die Absätze zwei und drei des Art. 7 sollten auf einen Ethikunterricht hin neu gefasst werden. Allenfalls kann es RU als nicht-versetzungsrelevantes Wahlfach geben, neben einem verpflichtenden Fach Ethik gemeinsam für alle Schülerinnen und Schüler.

4. Spiritualität im schulischen Kontext (wie z.B. Schulgottesdienste, Andachtsräume)

Gottesdienste gehören ebenso wenig in die staatliche Schule wie Gebete. Die Schule ist nicht Ort der Spiritualität, dafür gibt es geeignetere Stätten. Außerhalb der Unterrichtszeit ist dafür ausreichend Zeit, daher sollten je nach Glauben nötige Gebete in die entsprechenden Orte und Zeiten außerhalb der Schule gelegt werden.

5. Offener Teil mit Fragen aus dem Publikum (religiöse Symbolik in der Schule, Fridays for Future (FFF), etc.)

Wie zuvor schon gesagt, gehört Religiöses nicht in die Schule. Lehrpersonen sollten daher aus Gründen der Neutralitätspflicht anders als Schülerinnen und Schüler keine religiös konnotierte Kleidung tragen dürfen. Das Berliner Neutralitätsgesetz ist hier beispielgebend. Bei der Essensauswahl, die Schulen selbst anbieten, sollten nicht aus falscher Rücksichtnahme bestimmte Speisen verboten werden. Jeder soll das essen können, was er möchte. Dabei ist natürlich vorhandenen Wünschen Rechnung zu tragen.

Im Übrigen hat der Staat bezogen auf den Unterricht darauf zu achten, was konkret im Klassenzimmer durch Lehrerinnen und Lehrer weltanschaulich vermittelt wird, um Repressionen welcher Art auch immer vorzubeugen und freie Meinungsbildung zu fördern. Dazu kann die universitäre Ausbildung in islamischer Theologie oder in den Islamwissenschaften ein wichtiger Baustein sein.

Die FFF-Bewegung hat mit Religionsunterricht nichts zu tun. Sie ist keine religiöse, sondern eine ethische Bewegung im Blick auf den nachhaltigen Schutz unserer Umwelt, letztlich der ganzen Erde. Inhaltlich dient sie allen, formal kann durch sie politisches Engagement zu Tage treten. Schülerinnen und Schüler sollten auch von schulischer Seite unterstützt werden, sich bei der FFF-Bewegung zu engagieren. Das ist dann aber keine Frage eines wie auch immer konstituierten Religionsunterrichtes, sondern der Schule sowie der Gesellschaft insgesamt und sicherlich nicht Aufgabe speziell des Religionslehrers bzw. der Religionslehrerin.

6. Schlussrunde (zu wesentlichen Impulsen der Diskussion)

Ich nehme vor allem mit, dass man mit Religion auch Klimaschutz begründen kann. Ethische Prozesse sind in der Schule ein wichtiger Baustein. Wenn dies bei einzelnen mit Religion begründet wird, hat das sicherlich seinen Wert. Aufgabe von Staat und Schule bleibt dennoch die Vermittlung ethischer Werte, nicht der Religion und des Glaubens.

6 Die SPD

6.1 Programmatische Aussagen der SPD und deren Einordnung

In ihrem Regierungsprogramm 2017 – 2021 betont die SPD zunächst die Bedeutsamkeit des interreligiösen Dialogs und des Wissens über Religionen und Kulturen als Basis „für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt“ (SPD, 2017, S. 88). Muslime und der Islam werden explizit als Teil Deutschlands anerkannt (ebd.), was sich auch in der Zusage von Unterstützung der organisatorischen „Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen, wenn sie sich in Deutschland nach deutschem Recht gründen und wenn sie die freiheitliche demokratische Grundordnung achten“ (ebd.), äußert.

Christian Kern fasst den religionspolitischen Subtext im Wahlprogramm 2017 der SPD folgendermaßen zusammen: Zum einen stellten Kirchen und Religionen „Orte von gesellschaftlichem Engagement dar“ (Kern, 2017), zum anderen unterstrichen „die Sozialdemokratinnen und -demokraten stärker eine Dynamisierungsfunktion von Religion, nämlich deren Fähigkeit, gesellschaftliches Engagement und Teilnahme zu begleiten und zu fördern.“ (ebd.) „In religionspolitischer Hinsicht zeigt sich so ein versteckter, markanter Unterschied zwischen den Positionen der Union und der SPD: Während jene die Stabilisierungs- und Fundierungsfunktion von Religion im Rahmen einer Leitkultur heraushebt, unterstreichen die Sozialdemokratinnen und -demokraten stärker eine Dynamisierungsfunktion von Religion ...“ (ebd.).

Daran lassen sich Aussagen zum Religionsunterricht anschließen, denen zu Folge, „aufgeklärtes Wissen über die eigene und andere Religionen“ die Anfälligkeit für Extremismus verringere (SPD, 2017, S. 88). Daher solle auch weiterhin allen Kindern Religions- und Ethikunterricht ermöglicht werden (ebd.). Islamischer Religionsunterricht wird unterstützt, sofern er „an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache“ (ebd.) abgehalten wird.

6.2 ULRICH COMMERçON (SPD): „Konstruktive, regionenbewusste Gestaltung der derzeitigen Form des RU“

Ulrich Commerçon ist seit 2012 saarländischer Minister für Bildung und Kultur. 2015 führte er im Saarland den Ethikunterricht als Ersatzfach zum konfessionellen RU ein sowie den Islamischen RU. Er ist Synodaler der Rheinischen Landeskirche und in der Bildungskammer der EKD tätig.

1. Einstiegsstatement (zur Zukunft des RU)

Zunächst gilt es zu betonen, dass Religion für mich keine Privatsache ist, meine christliche Glaubensüberzeugung gibt mir vielmehr den Auftrag, mich in die Gesellschaft einzumischen und im Dialog mit dieser Gesellschaft zu sein.

Ziel schulischer Bildung ist es, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, sich in die Gesellschaft einbringen und einmischen zu können, dazu zählt auch das Eintreten für eigene Überzeugungen. Es gibt gute Gründe, die Schule als besonderen Schutzraum für Kinder und Jugendliche dafür zu nutzen, ihnen die authentische Gelegenheit zu bieten, sich mit ihrer eigenen Religionszugehörigkeit auseinander zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel ein bekenntnisgebundener, konfessioneller Islamischer RU von zentraler Bedeutung. Die Frage nach der Zukunft und einer eventuellen Neugestaltung des RU scheint mir wenig lohnend, vielmehr steht für mich im Fokus, die gegenwärtige Situation zu verstehen und dann auch mit Blick auf die jeweiligen konkreten Verhältnisse vor Ort konstruktiv zu gestalten.

2. Staats-Kirchen-Verhältnis

Das GG in seiner jetzigen Form eröffnet alle Möglichkeiten, angesichts der derzeitigen Herausforderungen angemessen zu handeln und auf Veränderungen und veränderte Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern zu reagieren. Das gegenwärtige Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften bewährt sich vielerorts auch im Blick auf den Religionsunterricht. Etwaige Probleme können auf der konkreten Landes-, Schul- und Klassenebene gelöst werden. Der Bildungsföderalismus trägt entscheidend dazu bei, lokal sinnvolle Arrangements zu treffen. Er ermöglicht das Lernen voneinander, etwa mit Blick auf die Einführung eines Islamischen RU. Für das Saarland konnte so eine gut funktionierende Lösung gefunden werden.

3. Relevanz des RU für den Staat sowie 4. Spiritualität im schulischen Kontext (Schulgottesdienste)

Der Blick ist stets auf die konkrete Situation im jeweiligen Bundesland und insbesondere an der jeweiligen Schule sowie in der jeweiligen Klasse zu richten. Im Saarland konnte durch die Einführung eines flächendeckenden Ethikunterrichtes nicht nur eine Alternative angeboten, sondern auch die Position des RU gestärkt werden. Vorher kam es oftmals vor, dass Freistunden oder Ausländerförderung die Alternativen zum Besuch des RU waren. Dies hat sich wesentlich verbessert. Der RU kann Kindern Angebote zu dem machen, was im sonstigen Fächerkanon nicht abgedeckt werden kann, Angebote zu Fragen, die die Kinder an sich, an ihr Leben und an die Welt stellen. Die Schule und speziell der RU hat die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, sich mit ihren eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, was auch eine spirituelle Ebene betreffen kann. Wenn es entsprechend gewünscht ist, kann es auch in der Schule Schulgottesdienste geben. Das soll aber aus der jeweiligen Schulgemeinschaft und den konkreten Bedürfnissen vor Ort heraus entwickelt werden. Hier ist den lokalen Möglichkeiten und Kooperationschancen gegenüber landesweiten Festlegungen der Vorzug zu geben.

5. Offener Teil mit Fragen aus dem Publikum (religiöse Symbolik in der Schule, Fridays for Future (FFF), etc.)

Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass die konkrete Gefährdung des Schulfriedens der einzig rechtmäßige Grund dafür ist, die Religionsfreiheit einzuschränken; das betrifft auch das Tragen des Kopftuches.

Bei der FFF-Bewegung weisen junge Menschen die Staats- und Regierungschefs völlig zu Recht darauf hin, dass diese und ihre Regierungen die Zukunft kommender Generationen verspielen. Erschreckend ist, wie diese ständig die selbst gesteckten Klimaziele verfehlen und oft weit davon entfernt sind, sie einzuhalten. Ein Vergleich von FFF mit den Antiausländerdemonstrationen verbietet sich vor diesem Hintergrund völlig. Dass daraus Konsequenzen für Schülerinnen und Schüler, wie etwa eingetragene Fehlstunden folgen, finde ich richtig. Es sollten jedoch keine weitergehenden Sanktionen sein. Zudem halte ich es für empfehlenswert – und eine Schule in katholischer Trägerschaft in Saarbrücken kann hier als Vorbild dienen –, wenn Schulen das Interesse der Schülerinnen und Schüler auf- und ernstnehmen und im Rahmen von Unterrichtsgängen an den Demonstrationen teilnehmen. Sie sollten sich dann aber auch mit der dort vertretenen Position im Unterricht auseinandersetzen und konkrete Maßnahmen innerhalb der Schulgemeinschaft erarbeiten.

Die Schülerinnen und Schüler sind sich zudem – so wie ich die meisten wahrnehme – der rechtlichen Lage durchaus bewusst. Wir befinden uns hier in einer sehr konkreten Rechtsgüterabwägung zwischen der Durchsetzung eines Demonstrationsrechts mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung einerseits und der Schulpflicht andererseits. Letztlich ist der Gegensatz aber nicht zu stark zu bewerten, wenn auch mit den Demonstrationen Bildung im Sinne staatsbürgerlichen Engagements einhergeht. Schulpflicht und Bildungsangebot richten sich nicht gegen die Schülerinnen und Schüler, sondern dienen ihnen.

6. Schlussrunde (zu wesentlichen Impulsen der Diskussion)

Es hat sich vor allem bestätigt, dass Politik immer sehr konkret ist, was bereits die Unterschiede zwischen dem Saarland und Hessen, bzw. Frankfurt zeigen. Ich nehme eine Reihe von Anstößen auf. Betonen möchte ich dabei aber die Notwendigkeit von regionalen Klärungen in den Bundesländern und die guten Erfahrungen mit dem gegenwärtigen Religionsunterricht, gerade angesichts der Vielfalt unseres Landes.

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Moderator/Redakteur

Dr. theol. Karlo Meyer ist Universitätsprofessor für Religionspädagogik an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken.