Der Beutelsbacher Konsens (BK) ist der derzeit zentrale normative Bezugshorizont für politische Bildung, auch wenn dessen Auslegung nicht unumstritten ist.[1] Seine Bedeutung und Hintergründe werden im weiteren Verlauf des Textes näher ausgeführt. Der BK taucht derzeit in den medialen Debatten häufiger auf. Grund dafür sind die sogenannten Meldeportale der AfD, die parteipolitische Aktion „Neutrale Schule“. Lehrpersonen, die sich nicht an den BK halten, sollen dort gemeldet werden. Zentrale Hintergrundannahme ist dabei, dass sich aus diesem ein politisches Neutralitätsgebot ergibt und Lehrpersonen nicht einseitig kritisch zur AfD Stellung beziehen dürfen. Bei möglichen „Neutralitätsverstößen“ droht beispielsweise die Hamburger Fraktion, dass „ggf. disziplinarische oder arbeitsrechtliche Maßnahmen“ (AfD Hamburg, 2018) gegen Lehrkräfte ergriffen werden können. Weil seitdem eine größere Unsicherheit – auch unter Religionslehrer*innen – darüber vorherrscht, wie Lehrpersonen sich nun in der Schule verhalten dürfen, gab es eine breite gesellschaftliche Debatte, in der gerade von politikdidaktischer Seite wichtige Impulse gesetzt wurden.[2] Eine repräsentative Äußerung stellt die „Gemeinsame Stellungnahme von GPJE, DVPB und DVPW-Sektion zur AfD-Meldeplattform ‚Neutrale Schulen‘“ dar, hinter der die großen politikdidaktischen Verbände Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE), Deutsche Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) und die Sektion Politikwissenschaft und Politische Bildung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) stehen. Von diesen wird in der Stellungnahme konzediert, dass der BK keineswegs „eine ‚Neutralität‘ oder gar Toleranz gegenüber demokratieverachtenden Parolen oder menschenfeindlichen Äußerungen“ (GPJE, DVPB, DVPW 2018) fordert. Dies ließe sich mit keinem der drei gleichrangigen Grundsätze begründen. „Damit missbraucht die AfD die Grundsätze [...] des Beutelsbacher Konsens.“ (ebd.) Ziemlich eindeutig urteilen die Verbände: „Solange Lehrkräfte andere Positionen im Unterricht zulassen, dürfen sie weiterhin ihre eigene Position artikulieren.“ (ebd.) Darüber hinaus seien Lehrpersonen sogar „dazu verpflichtet, gegen antipluralistische, diskriminierende und geschichtsrevisionistische Tendenzen einzutreten.“ (ebd.)
Auch wenn sich hinsichtlich der „neutralen Schule“ so eine klare Deutung ergibt und die Haltung der AfD als „unhaltbare Fehlinterpretation“ (ebd.) des BK bezeichnet wird, deutet dieser Konflikt bereits darauf hin, dass der BK in gesellschaftlichen Konflikten zur Legitimation unterschiedlicher, gar entgegengesetzter Positionen herangezogen wird. Ein anderes Beispiel dafür stellt eine Debatte über die Reihe „Themen und Materialien: Ökonomie und Gesellschaft“ der Bundeszentrale für politische Bildung dar. Von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wurde sich einerseits auf den BK bezogen, um das Material zu kritisieren, weil es zu ökonomiekritisch sei. Andererseits rechtfertigte die IG Metall das Material mit dem BK (vgl. Geßner et al., 2016, S. 28-29). In diesen Beispielen wird der BK gerade zu einem Mittel zur statt einem „Bollwerk gegen eine Instrumentalisierung der politischen Bildung“ (Schiele, 2017, S. 21).
Diese Beispiele weisen darauf hin, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem BK notwendig ist. Sie unterstreichen, dass man sich auch in der Religionspädagogik näher mit dem BK beschäftigen sollte. Für diese ist er relevant, weil politische Bildung auch ein Prinzip des Religionsunterrichts und außerschulischer religiöser Bildung darstellt. Die Überlegungen sind an dieser Stelle jedoch nicht unmittelbar auf außerschulische Bildung zu beziehen, weil die Sachlage in diesem Feld aufgrund der weltanschaulichen Pluralität der unterschiedlichen Träger noch einmal anders gelagert ist (vgl. Pohl, 2015). Notwendiges Hintergrundwissen in Bezug auf den BK soll der folgende Artikel bieten, auch um problematische Bezugnahmen zu vermeiden und die Komplexität der Debatte angemessen nachvollziehen zu können. Dabei werden die politikdidaktischen Grundlagen ausführlich geklärt, wobei die genaue Formulierung des BK betrachtet, die historischen Hintergründe beleuchtet und fachdidaktisch relevante Deutungskontroversen dargestellt werden. Abschließend werden derzeitige religionspädagogische Bezugnahmen auf den BK kritisch reflektiert, Desiderate aufgezeigt und Grundsätze für die religionspädagogische Arbeit mit dem BK formuliert.
1 Der Beutelsbacher Konsens: Was ist das überhaupt?
Die drei Grundsätze des BK bestimmen das zentrale Ziel politischer Bildung, politische Mündigkeit. Sie sind einem Text von Hans-Georg Wehling entnommen, der als „Nachlese zu einem Expertengespräch“ (Widmaier & Zorn, 2016, S. 17) dokumentiert wurde. Das „Expertengespräch“ wurde von Siegfried Schiele, dem damaligen Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württemberg organisiert. Es ging darum, dass intradisziplinäre Konflikte die politische Bildung in den 1960er-Jahren intensiv beschäftigten und ein konstruktiver Umgang mit ihnen gefunden werden sollte. Dabei ist der „heute als ‚Beutelsbacher Konsens‘ bekannte Text ‚nur‘ eine Passage aus einem längeren Aufsatz“ (ebd.). In diesem werden drei Grundprinzipien politischer Bildung entfaltet: das Überwältigungsverbot, das Kontroversitätsgebot und der Schülerinteressenbezug.
Das Überwältigungsverbot meint, dass es nicht erlaubt sei, „den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbständigen Urteils‘ zu hindern“ (Wehling, 2016, 24). Als positive Zielbestimmung politischer Bildung wird hier Mündigkeit von Indoktrination abgegrenzt und mit „der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft“ (ebd.) begründet.
Unter dem Kontroversitätsgebot wird gefasst, dass das, was „in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, […] auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ (ebd.) muss. Unter Umständen sollten die Lehrpersonen sogar eine „Korrekturfunktion“ (ebd.) übernehmen und in der Klasse marginalisierte Positionen „besonders herausarbeiten“ (ebd.). In diesem Prinzip geht es also darum, dass hegemoniale Standpunkte in ihrer Bedeutung relativiert werden.
Schülerinteressenbezug meint, dass der oder die Schüler*in „in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine [bzw. ihre] eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner [bzw. ihrer] Interessen zu beeinflussen“ (ebd.). An dieser Stelle geht es also um „operationale Fähigkeiten“ (ebd.), die es den Einzelnen ermöglichen, ihr Leben und dessen Umfeld mit den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in ein Verhältnis zu setzen. Im Zentrum steht hier das Lernen politischer Urteilsbildung und Kritikfähigkeit.
Zentral ist, dass es bei diesen drei Prinzipien nicht um „die Suche nach einem Maximal- , sondern nach einem Minimalkonsens geht“ (ebd.). Die drei Forderungen stehen dabei in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis untereinander. Dies wird beispielsweise deutlich daran, dass das Überwältigungsverbot nur durch das Kontroversitätsgebot umgesetzt werden kann, „denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten“ (ebd.).
2 Historische Hintergründe: Eine erstaunliche Erfolgsgeschichte
Der BK gilt in der Politikdidaktik als eine „von allen anerkannten Lehrmeinung“ (Widmaier & Zorn, 2016, S. 11), und als eine „Art informelles Grundgesetz der politischen Bildung“ (Grammes, 2016, S. 165). Seine Bedeutung für die etablierte Politikdidaktik darf also nicht unterschätzt werden, er steht als „Metastandard“ oder „ethischer Kern“ (Geßner et al., 2016, S. 30; vgl. Sander, 2016) im Zentrum der fachdidaktischen Identität. Wie es dazu kam, dass einer Art Protokollabschnitt (vgl. Schiele, 2017, S. 23), eine solche normative Relevanz zukommt, lässt sich nur historisch verstehen.
Der Tagung in Beutelsbach ging eine „existenzielle Krise“ (Mambour, 2014, S. 97) des Faches Politikdidaktik voraus, die eng mit der Chiffre „1968“ verbunden ist. In dieser Zeit stand die Politikdidaktik – so die Darstellung aus heutiger Perspektive – durch interessengeleitete Instrumentalisierungen, parteipolitische Inszenierungen und parteiische Positionierungen kurz vor ihrem Zerfall (vgl. ebd., S. 94–95). Die Situation kam einem „‚Super-Gau‘ gleich“ (ebd., S. 95). Bedroht wurde die Politikdidaktik sowohl durch konservative als auch durch progressive Strömungen. Sie diente „ganz überwiegend politischen Zwecken von Interessengruppen, sei es zur Absicherung von demokratisch nicht legitimierter Herrschaft oder als Instrument im Kampf um gesellschaftliche Veränderung“ (Sander, 2013, S. 161). Exemplarisch dafür kann der Streit um die Rahmenrichtlinien für das Fach Gesellschaftslehre in Hessen angeführt werden (vgl. Mambour, 2014, S. 88).
Die damalige Krise der Politikdidaktik wurde auch deshalb so zugespitzt wahrgenommen, weil die Fachautonomie gerade erst errungen und noch prekär war (vgl. Widmaier & Zorn 2016, S. 9). Nachdem in den 1950er- und 1960er-Jahren ein Unterrichtsfach für politische Bildung etabliert wurde, entstanden auch erste Professuren und die DVPB. Es entwickelten sich „die ersten Theorien politischer Bildung, die sich als fachdidaktische Konzeptionen in einem wissenschaftlichen Sinne verstanden“ (Sander, 2014, S. 20). Diese erste Welle der Professionalisierung wird auch als „didaktische Wende“ bezeichnet, weil sie die Grundlage dafür darstellt, eine eigene wissenschaftliche Disziplin zu sein (vgl. ebd., S. 19-20). Im Spiegel dieser Entwicklungen zeigt sich noch deutlicher die Gefahr, die für die Politikdidaktik von den politischen Vereinnahmungen in dieser Situation ausging. Im Kontrast zu dieser Krisensituation erscheint der BK in seiner Bedeutung immens wichtig, weil er „als Ausweg aus der (partei-)politischen Vereinnahmungsfalle“ (Mambour, 2014, S. 98) angesehen wurde.
Vor dem Hintergrund der Negativfolie einer solchen Krisenerfahrung wird der BK in der politikdidaktischen Geschichtsschreibung zum Wendepunkt deklariert, mit dem eine Modernisierung einsetzte (vgl. Sander, 2013, S. 151). Die Disziplin spezialisierte und professionalisierte sich zunehmend und konnte sich dadurch von den politischen Konflikten und Vereinnahmungen befreien (vgl. ebd., S. 127). Im gängigen politikdidaktischen Narrativ stellt der BK eine Art Ursprungsmythos, den Anfang einer „Erfolgsgeschichte“ (ebd., S. 161) dar. „Besser als je zuvor in der deutschen Geschichte kann die politische Bildung heute eine demokratische Grundorientierung mit fachlicher und pädagogischer Professionalität verbinden, besser als je zuvor kann sie sich dabei auf ein wissenschaftliches Fundament stützen“ (ebd., S. 162).
3 Deutungsstreitigkeiten in der Fachdisziplin: Religiöse Überhöhung des BK?
Der BK kann in seiner historischen und aktuellen Bedeutung kaum unterschätzt werden. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich auch heute noch Grundsatzdebatten in der Politikdidaktik an diesem entzünden. Moniert wird die „nahezu religiös verehrte Rettung“ (Steffens, 2010, S. 27), der BK werde sakralisiert als wäre er eine Offenbarung aus einem „brennenden Dornbusch im Schwarzwald“ (ebd.). Es wird also vor der Gefahr gewarnt, „in die Nähe einer zivilreligiösen Setzung zu geraten“ (Geßner et al., 2016, S. 30) oder als „Schließung hegemonialer Diskurse“ (ebd., S. 31) zu fungieren. Die scheinbare Eindeutigkeit der drei Grundsätze wird dabei angefragt und auf ihre grundlegende Offenheit verwiesen.
Zwei miteinander zusammenhängende Ansatzpunkte der Kritik lassen sich dabei analytisch voneinander unterscheiden. Zum einen wird der hier kurz skizzierten Geschichtsschreibung entgegengehalten, dass es „widerstreitende Geschichtsnarrative“ (Geßner et al., 2016, S. 30) gebe. Beispielsweise weisen neuere Forschungsergebnisse daraufhin, dass es historisch bedeutsame Zusammenhänge gibt, die nicht beachtet wurden. Z.B. hätte der sogenannte „Radikalenerlass“ durch staatliche Repressionsmaßnahmen wie Berufsverbote einen starken Einfluss auf den politikdidaktischen Diskurs gewonnen und den BK überhaupt erst ermöglicht (vgl. Studt, 2016, S. 92-94). Historisch gesehen ist es zudem zentral, den formalen Status des BK genauer zu bestimmen. Zu seiner Entstehungszeit wurde der BK gar nicht als Konsens wahrgenommen (vgl. Widmaier & Zorn, 2016, S. 18). Er wurde „damals und auch später nicht beschlossen. Er wurde auch nicht als eine Art Manifest veröffentlicht“ (ebd., S. 10).
Zweitens geht es darum, die gängige Deutung der Prinzipien, nicht ihre Formulierung infrage zu stellen. Dabei wird auf die „normative Unterbestimmtheit“ (Geßner et al. 2016, S. 28) verwiesen, die bereits exemplarisch zu Beginn des Artikels verdeutlicht wurde. Diese Offenheit wird dahingehend positiv gewertet, dass sie den BK eben davor bewahre einen quasireligiösen Absolutheitsstatus zu erlangen (vgl. ebd.). Die dargelegte historisch fundierte Kritik wendet sich gegen eine „Überhöhung“ (Widmaier & Zorn, 2016, S. 10-11), die den BK „zu einem zentralen didaktischen Prinzip in jedem Fachunterricht“ (Sander, nach ebd., S. 11) stilisiert.
Besonders in jüngerer Zeit taucht die Auslegung der im BK vorgestellten didaktischen Prinzipien als Streitfrage auf. Dies wird beispielhaft deutlich an zwei diskurspolitischen Interventionen, dem demokratiepädagogischen „Magdeburger Manifest“ (2005) und der „Frankfurter Erklärung für eine kritisch-emanzipatorische politische Bildung“ (2015). Beide Texte stehen nicht nur exemplarisch für zwei zentrale Kontroversen in der Politikdidaktik des 21. Jahrhunderts (vgl. Himmelmann, 2013), sie lassen sich auch als je eigene Interpretation der drei Prinzipien deuten.
3.1 Das Magdeburger Manifest: Eine erste Deutungsalternative der drei Prinzipien
Demokratiepädagogik bezeichnet eine bestimmte Strömung im Rahmen der politischen Bildung, die durch gemeinsame Organisationsformen, z.B. die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe), Förderprojekte und -preise sowie ein bestimmtes Verständnis von politischer Bildung identifiziert werden kann. Politische Bildung wird im Rückgriff auf den Pragmatismus, besonders auf John Dewey, erfahrungsbezogen und handlungsorientiert gedacht. Ein programmatisches Grundlagendokument, in dem diese Vorstellung verschriftlicht ist, stellt das erwähnte Magdeburger Manifest dar (vgl. Beutel & Fauser, 2007, S. 200-202; Edelstein und Beutel, 2014). Das Manifest wurde im Rahmen der „Halbzeitkonferenz“ des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ verabschiedet. Es handelt sich um das Gründungsdokument der DeGeDe, das von den Gründungsmitgliedern unterzeichnet wurde.
Im Manifest, das zehn Grundsätze (GS) enthält, geht es in erster Linie darum, einer vermeintlichen Neutralität eine dezidierte Normativität entgegenzuhalten, die sich am Begriff der Demokratie orientiert. Politische Mündigkeit ist material positiv durch diese bestimmt, sie impliziert, dass man „einen demokratischen Habitus“ (Edelstein 2009, S. 8) besitzt. Der Erhalt der Demokratie und ihre Erweiterung wird als „eine zentrale Aufgabe für Schule und Jugendbildung" (GS 1) betrachtet. Dabei lässt die Demokratiepädagogik sich leiten von einem spezifischen, weiten Demokratiebegriff, der nicht nur „Verfassungsanspruch und Regierungsform“ umfasst, sondern auch „als Gesellschaftsform und als Lebensform“ (GS 2) verstanden werden muss. Sie betrifft damit auch die zivilgesellschaftliche Ebene (GS 3) und den zwischenmenschlichen Umgang im Alltag (GS 4). Politische Bildung ist demnach also ein normativ bestimmter Prozess, der sich an demokratischen Prinzipien orientiert (GS 5) und auch reichhaltige Erfahrung mit Demokratie beinhaltet (GS 6), zum Beispiel Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstwirksamkeit (GS 8). Didaktisch lässt sich dies durch bestimmte Arrangements ermöglichen, z.B. durch Projektlernen (GS 9). Das Lernen von Demokratie stellt sich dabei als situationsabhängige und lebenslange Herausforderung (GS 7) dar, die im gegenwärtigen Gesellschaftskontext besonders dringlich erscheint (GS 10).
Demokratiepädagog*innen legen also besonderen Wert darauf, dass es sich beim Überwältigungsverbot nicht um ein Neutralitätsgebot handelt. Sie explizieren den „implizite[n] Wertebezug“ (Oberle, 2017, S. 120) des BK. Politikverdrossenheit, „Neutralität und politische Lethargie [werden] als Gefahr für politisches Leben“ (Geßner et al., 2016, S. 31) angesehen. Diese Vorstellung basiert auf dem Politikbegriff, der nicht formal verstanden wird, sondern durch Orientierung an der „Demokratie [als] ein normativ richtungsweisender Begriff“ (Himmelmann, 2001, S. 24) aufzufassen ist. Weil die Demokratiepädagogik im religionspädagogischen Diskurs bereits sichtbar vertreten ist (vgl. z.B. Schlag, 2010, S. 425–495), ist diese Perspektive auf den BK bereits präsent, an sie lässt sich anknüpfen.
3.2 Die Frankfurter Erklärung: Eine zweite Deutungsalternative der drei Prinzipien
Im Vergleich zur Demokratiepädagogik wird die Debatte um eine kritische politische Bildung in der Religionspädagogik derzeit noch eher selten zur Kenntnis genommen (vgl. z.B. Grümme, 2018, S. 209, Gärtner & Herbst, 2020), auch wenn bescheinigt wird, dass man von einer „gesellschaftskritischen Pädagogik nach wie vor erheblich lernen“ (Schlag, 2016) könne. Ebenso wie der Demokratiepädagogik geht es dieser Richtung darum, die etablierte Politikdidaktik um den BK ergänzend zu korrigieren bzw. zu erweitern (vgl. Lösch, 2010, S. 120; 123). Ein zentraler Kristallisationspunkt dieser Strömung stellt das Handbuch für kritische politische Bildung dar (vgl. Lösch & Thimmel, 2010). Im Nachgang zur Publikation des Handbuchs gab es vielfältige Diskussionsbeiträge und Kontroversen (vgl. z.B. Görtler, Lotz, Partetzke, Poma Poma & Winckler 2017). Wichtig ist wahrzunehmen, dass die kritische politische Bildung ein heterogenes Feld darstellt.
Ein weiterer grundlegender Aufschlag der kritischen politischen Bildung stellt die Frankfurter Erklärung dar. Diese enthält sechs Grundsätze (GS), sie expliziert eine gesellschaftskritische Perspektive und weist daraufhin, dass es gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse gibt, die politische Mündigkeit verhindern. Mündigkeit ist hier demnach negativ bestimmt über die Kritik an sozialen Verhältnissen: „Letztbegründete Bildungsziele werden […] abgelehnt. Wichtig ist es vielmehr, in der Bildungspraxis die Schließungen, die durch die aktuelle politische Ordnung gesetzt sind, zu thematisieren und die Möglichkeit der politischen Veränderung aufzuzeigen, die in Kollektiven erfolgen muss“ (Lotz, 2017, S. 34). Das in beiden Erklärungen geteilte Ziel der Demokratisierung bestimmt sich in diesem Fall jedoch von „den Umbrüchen und vielfältigen Krisen unserer Zeit“ (GS 1). Die Orientierung an Demokratie wird dabei weniger stark material ausbuchstabiert, sondern als eine Positionierung verstanden, der es darum gehe „Konflikte und Dissens sichtbar zu machen und um Alternativen zu streiten“ (GS 2). Um jedoch einen fairen Konflikt zu ermöglichen, ist „Machtkritik“ nötig, denn „[s]elbstbestimmtes Denken und Handeln wird durch Abhängigkeiten und sich überlagernde soziale Ungleichheiten beschränkt“ (GS 3). Dabei wird selbstverständlich vorausgesetzt, dass politische Bildung selbst „Teil“ dieser Machtverhältnisse ist, die es zu kritisieren gilt und die Kritik darum auch reflexiv zu wenden ist. „Lernverhältnisse sind nicht herrschaftsfrei, Politische Bildung legt diese Einbindung offen" (GS 4). Zugleich gilt es jedoch auch, „eine ermutigende Lernumgebung" zu schaffen, „in der Macht- und Ohnmachtserfahrungen thematisiert und hinterfragt werden“ (GS 5) können. Damit eröffnet politische Bildung eben auch „Wege, die Gesellschaft individuell und kollektiv handelnd zu verändern“ (GS 6).
Die Deutung des BK, die von Seiten der kritischen politischen Bildung vorgelegt wird, unterscheidet sich nun deutlich von gängigen Interpretationen. Erstens werden auch Strukturen oder bestimmte diskursive Handlungen als überwältigend kategorisiert. Zum Beispiel wird die Implementierung eines „unternehmerischen Selbst“ oder die subtile Steuerung der Schüler*innen durch Lernverträge mit dem ersten Prinzip kritisiert (vgl. Hammermeister, 2013, S. 104). In der kritischen politischen Bildung bietet nur eine Reflexion auf gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse und die eigene Einbindung in diese „Schutz vor Überwältigung“ (GS 4). Aus diesem Grund wird der Begriff der Emanzipation verwendet, um darauf hinzuweisen, dass es Verhinderungsbedingungen von politischer Mündigkeit gibt, die es zu überwinden gilt. Diese Position wird in anderen Teilen der Politikdidaktik abgelehnt, weil die Forderung nach „Emanzipation als Überwältigung“ (Geßner et al., 2016, S. 33) angesehen wird. Denn Emanzipation beinhalte „bereits eine politische Position […], die eine Gesellschaftsanalyse voraussetze“ (ebd.).
Das Kontroversitätsgebot wird in der kritischen politischen Bildung häufig im Rahmen von Demokratietheorien gedeutet, die die Existenz und Bedeutung gesellschaftlicher Konflikte hervorheben. Diese dürfen nicht verborgen bleiben, auch weil sie mit ungeklärten Machtfragen und der Möglichkeit zusammenhängen, Alternativen zu sehen. Nur in einer Wissenschaft, die nicht über vermeintliche Konsense versucht Hegemonie herzustellen, kann das Kontroversitätsprinzip funktionieren. Sie müsste garantieren, dass die pluralen Perspektiven, die im Unterricht vorzukommen haben, bereits in der Wissenschaft debattiert werden. Zudem wird darauf aufmerksam gemacht, dass es eine falsche Kontroversität geben kann, die einfach nur den Status Quo reproduziert, da sie die mediale Stimmenverteilung äquivalent im Unterricht abbildet (GS 2). Politische Mündigkeit könne nur dadurch gewonnen werden, dass auch ein Blick für die Leerstellen und Offenheiten von Debatten eröffnet wird, zum Beispiel durch Fragen wie: „Wer ist betroffen, wird aber nicht gehört?“ (Westphal, 2018, S. 15)
Drittens wird unterstrichen, dass die Grundsätze in ihrer Einheit zu betrachten sind und gerade das dritte Prinzip der Schüler*inneninteressen nicht vergessen werden dürfe, gerade weil kritische Politikdidaktiker wie Rolf Schmiederer sich für dieses Prinzip eingesetzt haben (vgl. Hedtke, 2011). In der kritischen politischen Bildung wird sich zudem gegen eine Entschärfung des Prinzips ausgesprochen, das als „Adressatenorientierung oder Schülerorientierung zu einer Motivierungs- und Verständnishilfe ‚geschrumpft‘ […] zu sein scheint“ (May & Schattschneider, 2014, S. 37).
4 Perspektiven für den Religionsunterricht: Politische Bildung als Unterrichtsprinzip
In den jüngeren Debatten um eine neue politische Religionspädagogik findet sich ein starkes Bewusstsein dafür, dass auch religiöse Bildung eine politische Dimension besitzt. Von politikdidaktischer Seite aus wird dies für die schulische Bildung so benannt, dass auch in anderen Unterrichtsfächern politische Bildung ein Unterrichtsprinzip darstellt (vgl. Lechner-Amante, 2014). Hintergrund dafür ist die Annahme, „dass die Themenfelder des Politikunterrichts Überschneidungen mit nahezu allen anderen schulischen Fächern aufweisen“ (ebd., 2014, S. 203). Diese Überschneidungen seien jedoch „nicht zufällig, sondern resultieren aus dem Umstand, dass das Politische ‚ein Konstituens, ein Definitionsmoment‘ jeder ‚Sache‘ und damit der Bildungsinhalte sämtlicher Fächer darstellt“ (ebd.). Ein Verzicht darauf, diese Dimension der verschiedenen Lerngegenstände deutlich zu machen, sei aufgrund einer „Gefahr […] der Affirmation“ (ebd.) problematisch. „Das Politische einer Sache werde dann ‚hingenommen, wie es vorgefunden wird, [die Sache] erscheint als selbstverständlich, womöglich als ‚überzeitlich‘, als prinzipiell, als kategorial, und es bleibt verborgen, was umständegebunden ist.‘“ (Fischer, nach ebd., S. 204) Mit der Vorstellung von politischer Bildung als Unterrichtsprinzip wird vorausgesetzt, dass der BK auch für andere Schulfächer gilt.
Vor diesem Hintergrund ist auch ein Dialog auf wissenschaftlicher Ebene zwischen den Fachdisziplinen der Politikdidaktik und der Religionspädagogik naheliegend. Diesen gibt es zwar auch, doch gerade im historischen Überblick überrascht doch der geringe Austausch und die seltene Kooperation. Tendenziell lassen sich zwei Phasen intensiverer Reflexion auffinden: Einerseits finden sich Bezugnahmen in den 1970er und Anfang der 1980er-Jahre (vgl. z.B. Sander, 1980), andererseits in jüngerer Zeit seit ca. zehn Jahren (vgl. Juchler, 2009, vgl. Grümme & Sander, 2008, vgl. Sander, 2018). Die politische Bedeutung religiöser Bildung wird deutlich, wenn z.B. Bildungsgerechtigkeit religionspädagogisch reflektiert wird (vgl. Grümme, 2014, vgl. Grümme & Schlag, 2016, vgl. Unser, 2019). Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich derzeit aber auch in der Politikdidaktik ab. Dabei ist auch die gewachsene Relevanz fächerübergreifender Kooperationen nicht von der Hand zu weisen. Die interdisziplinäre Selbstvergewisserung der Religionspädagogik geschieht dabei auch unter der Bezugnahme auf den BK, wie eine erste Sichtung verdeutlicht.
5 Exemplarische Sichtung: Probleme, Potenziale und Perspektiven einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens
Im Folgenden sollen Probleme, Potenziale und Perspektiven einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den BK herausgearbeitet werden. Dieser stellt einen gängigen Topos des Dialogs zwischen Politikdidaktik und Religionspädagogik dar. Vor dem Hintergrund des skizzierten Dialogs überrascht es nicht, dass der BK in der Religionspädagogik wahrgenommen wird – auch der islamischen (vgl. Bağraç, 2016, S. 147, FN 88). So wird dieser beispielsweise herangezogen, um performative Ansätze als überwältigend zu kritisieren (vgl. Rupp, 2016, S. 211), Grundlinien eines Umgangs mit religiösem Fundamentalismus anzuzeigen (Schweitzer, 2015, S. 15) oder das Verhältnis von Theologie und Religionspädagogik mithilfe des Kontroversitätsgebots näher zu bestimmen (vgl. z.B. Schluß, 2017, S. 111-112). Im Rückgriff auf die erarbeiteten Grundlagen werden nun Orientierungen einer religionspädagogischen Rezeption des BK diskutiert.
5.1 Probleme einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens
Ein erstes grundlegendes Problem, das den Großteil der Bezugnahmen betrifft, ist die Rezeption in eine Richtung. In vielen Fällen lässt sich feststellen, dass die drei Grundsätze als politikdidaktisches Gedankengut äquivalent in religionspädagogische Debatten übersetzt werden, weil „[d]ie Parallelen zwischen religiöser und politischer Bildung […] auf der Hand“ (Willems, 2010, S. 291, vgl. Grammes, 2016, S. 165) zu liegen scheinen. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass sich formal und inhaltlich relevante Unterschiede zwischen Politik- und Religionsunterricht feststellen lassen. So verweist der Politikdidaktiker Thomas Goll mit dem Pädagogen Dietrich Benner darauf, dass beiden Fächern zwei unterschiedliche soziale Praxisformen zugrunde liegen. „Der Mensch muss […] seine gesellschaftliche Zukunft entwerfen und gestalten [Politik] [...] und ist konfrontiert mit dem Problem der Endlichkeit seiner Mitmenschen und seines eigenen Todes [Religion]“ (Benner, nach Goll, 2009, S. 207-208). Zudem besteht eine Eigenheit des Religionsunterrichts gerade in seiner Konfessionalität, die auch normative Konsequenzen und ein eigenes Fachprofil impliziert (vgl. Willems, 2010, S. 290-291). Inwiefern die ungebrochene Rezeption des BK jedoch diese Eigenlogik religiöser Bildung und die spezifischen Bedingungen des Religionsunterrichts adäquat berücksichtigt, wird nicht explizit reflektiert, obwohl gilt: „Der Beutelsbacher Konsens betrifft in der Schule vornehmlich die Fächer Politik, Geschichte oder Sozialwissenschaften. Ein Vergleich mit dem Religionsunterricht ist deshalb zunächst neben der Sache“ (Holze & Pfister, 2019, S. 32).
Zweitens ergeben sich Verkürzungen bei der inhaltlichen Bezugnahme auf den BK. Als besonders problematisch muss dabei gelten, dass das dritte Prinzip des BK religionspädagogisch ein Randdasein fristet und häufig übergangen, bewusst ausgeklammert oder einseitig außer Acht gelassen wird (vgl. z.B. Riegel, 2018, S. 72, Schweitzer, 2015, S. 15, Willems, 2010, S. 291, Schluß, 2017, S. 112). Zudem wird der Status des BK bzw. des Überwältigungsverbots fälschlicherweise als „rechtlich bindend[…]“ (Pohl-Patalong, 2018, S. 22) deklariert. Außerdem muss festgestellt werden, dass die internen Debatten in der Politikdidaktik nicht adäquat wiedergeben werden, wenn sich beispielsweise der Sache nach vornehmlich auf einzelne Politikdidaktiker wie Wolfgang Sander bezogen wird (vgl. Grümme, 2009, S. 37-40).[3] Deren Position mag zwar fraglos wirkmächtig sein, sie kann jedoch vor dem dargestellten Hintergrund der politikdidaktischen Kontroversen keine Exklusivität auf die Deutung des BK beanspruchen. Religionspädagogisch wäre dementgegen die Vielschichtigkeit und Deutungsoffenheit angemessener wahrzunehmen. Darüber hinaus scheinen zum Teil inhaltliche Interpretationen durch, die in der großen Mehrheit der Politikdidaktik abgelehnt werden. Einerseits impliziert der BK keine Neutralität der Lehrperson, weil dies weder möglich noch sinnvoll sei (vgl. Geßner et al., 2016, 31; Frech & Richter, 2017, 15; Schiele, 2017, 29). Daher kann das Neutralitätsgebot als „Missverständnis“ (Oberle, 2017, 124) und „Fehlinterpretation“ (Geßner et al., 2016, 31) bezeichnet werden, vielmehr ist die „Lehrperson […] nicht neutral und nicht überwältigend“ (ebd.). Als nicht tragfähig kann somit die Interpretation des zweiten Prinzips bezeichnet werden, wonach mit Max Weber „Pluralität Neutralität gewährleisten könne“ (Schluß, 2017, 111). Stattdessen gehe es erst einmal darum, dass die Lehrpersonen ihre Position „nicht zum Evangelium erheben“ (Schiele, 2017, 29).
Andererseits wird das Überwältigungsverbot möglicherweise zu generalisierend verwendet, beispielsweise im Zusammenhang mit dem performativen Religionsunterricht (vgl. Rupp, 2016, 211). Vielmehr können ähnliche Standards für diesen gelten wie für politische Aktionen, die aus dem Politikunterricht entstehen. Diese werden von einer Mehrzahl der Politikdidaktiker*innen dann als legitim erachtet, wenn kein Zwang besteht und das Handeln reflektiert wird (vgl. Geßner et al., 2016, 32). Damit ist es einseitig, einem performativen Religionsunterricht prinzipiell Überwältigung vorzuwerfen, wenn er Möglichkeiten der Distanzierung, Reflexion und Abgrenzung lässt. Von einer simplen Anwendung des Verbots im Sinne eines Automatismus, der bei bestimmten Methoden greift, ist damit abzusehen. Vielmehr steht jedes didaktische Arrangement in der Gefahr, überwältigend zu wirken. Lehrpersonen treffen immer schon und zum Teil unbewusst normative Vorentscheidungen, die für die Lernenden uneinsichtig bleiben.[4] Diese Gefahr kann letztlich immer nur durch begründungsfähige Selbstreflexivität und adäquate Transparenz gebannt werden. Eine Methode ist damit niemals an sich überwältigend, sondern ausschließlich im Zusammenspiel mit der jeweiligen didaktischen Einbettung ins Unterrichtgeschehen.
5.2 Potenziale einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens
Neben den dargelegten Problemen zeigen Beispiele, dass der religionspädagogische Bezug auf den BK relevant und produktiv sein kann. Dies lässt sich am Kontroversitätsprinzip verdeutlichen.[5] Dieses bietet womöglich eine Orientierung dafür, die Theologizität der Religionspädagogik auszubuchstabieren (vgl. besonders Schluß, 2017, 111; Grammes, 2016, Willems, 2010). Der Religionspädagoge Joachim Willems reformuliert es für den RU so, „dass das, was im Blick auf Religion in Kirche und Gesellschaft umstritten ist, auch im Unterricht als kontrovers erscheinen muss“ (Willems, 2010, 291). Willems schließt daraus unter anderem, „dass bei ethischen Fragen in den Widerstreit kirchenamtlicher, theologischer und außertheologischer Argumente eingeführt werden müsste“ (ebd.). Auch der Politikdidaktiker Tilmann Grammes exemplifiziert diese Position: Weil Martin Luther im RU nicht divinisiert gehörte, müssten beispielsweise auch kritische Positionen zu ihm thematisiert werden. So plädiert Grammes dafür, gleichrangig Luther und Thomas Müntzer und ihre jeweilige Position zu den Bauernkriegen gegenüberzustellen (vgl. Grammes, 2016, 166).
Auch Henning Schluß plädiert für eine Übernahme des Kontroversitätsprinzips. Dabei gehe es darum, die Vielfalt theologischer Positionen und Perspektiven auch im Religionsunterricht abzubilden (vgl. Schluß, 2017, 111-112). Dazu gehöre auch „die Konfrontation mit nichtfunktionalen Theologien“ (ebd., 111). Deren Fremdheitscharakter, so klingt überzeugend durch, bietet gerade in Zeiten von Filterblasen und Echokammern produktive Potenziale der Irritation.
Der besondere Blick auf die Kontroversität von Positionen schärft möglicherweise auch das Bewusstsein für bestimmte Entwicklungen, beispielsweise dafür, dass die Akzeptanz der Menschenrechte auf katholischer Seite erst seit etwa fünfzig Jahren dominant geworden ist. Diese interne Vielfalt der Positionen wahrzunehmen, könnte beispielsweise den Topos der Unvereinbarkeit zwischen Islam und Demokratie unterlaufen (vgl. Achour, 2014), weil die Debatte allgemeiner auf die Konflikte, aber auch Potenziale von Religionen und Demokratie verwiesen wäre.
5.3 Perspektiven einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens
Der Blick auf die religionspädagogische Rezeption des BK hat gezeigt, dass es Probleme, aber auch Potenziale einer Bezugnahme gibt. Als ein entscheidendes Desiderat erscheint mir die Entwicklung eines dezidiert religionspädagogischen, durchaus kontrovers zu diskutierenden Interpretations- und Rezeptionsprofils. Exemplarisch lassen sich zwei Punkte benennen.
Erstens müssten die Prinzipien noch stärker von einem theologischen Standpunkt aus gedeutet werden. Dabei ließe sich an die politikdidaktischen Deutungsstreitigkeiten anknüpfen und eine spezifisch konfessionelle Positionalität einspeisen. Ein Kontroversitätsprinzip, das die gegebenen Debatten einfach nur abbildet und damit den Status Quo diskursiv reproduziert, ließe sich biblisch von einer spezifischen Perspektive anfragen, die theologisch unter Begriffen wie „Option für die Armen“ oder „Option für die leidenden Anderen“ (Grümme, 2009, 246) firmiert. Eine solche ergebe sich, dem Religionspädagogen Bernhard Grümme zufolge, aus dem biblisch fundierten Glauben an einen Gott, der sich „den Kleinen und Ausgestoßenen“ (ebd., 245) zuwendet. Die aus der Botschaft des Reich Gottes sich speisende „Parteilichkeit“ (ebd., 246) steht in einem Spannungsverhältnis zum BK (oder zumindest einer bestimmten Deutung davon). Gleichzeitig findet sich jedoch auch politikdidaktische Anschlusspunkte, wenn zum Beispiel neue Theorien des Politischen aufgegriffen und didaktisch fruchtbar gemacht werden, um die Schüler*innen dazu zu befähigen, „die Ausschlüsse selbst zu erkennen und kritisch zu betrachten“ (Westphal, 2018, 15, vgl. Nonnenmacher, 2010, 464).[6]
Zweitens betrifft die Standpunktgebundenheit des RUs besonders die Rolle der Lehrperson (vgl. ebd., S. 241), die kirchlich als personales Angebot bestimmt wird. „Die Religionslehrkraft […] selbst steht in gewisser Weise für das Christentum ein, bringt es durch ihr Auftreten, durch ihre Sprache, Haltung, Gestik, durch ihr Verhalten und durch das, was sie sagt, in den Horizont der Schülerinnen und Schüler“ (Grümme, 2009, S. 243). Diese Vorstellung stellt für den BK „eine Provokation ersten Rangs“ (ebd.) dar, da „berufliche Professionalität mit persönlicher Haltung aufs engste verbunden“ (ebd.) werden. Während aus politikdidaktischer Perspektive darin „ideologieverdächtige […] Vorannahmen der Religionsdidaktik“ (ebd., S. 93) liegen, scheint in dieser Situation möglicherweise auch ein ideologiekritisches Potenzial durch. Die Lehrperson ist sich von Anfang an bewusst darüber, dass sie einen normativen Standpunkt einnimmt, den sie zu reflektieren und transparent zu machen hat. Sie muss sich von Beginn ihres Studiums an damit beschäftigen, wie sie mit den „systemischen Beanspruchungen und Verwurzelungen in Kirche, Biographie, Kultur, Gesellschaft und Politik“ (ebd., S. 244) konstruktiv-gestalterisch umgehen kann.
6 Resümee: Mögliche Grundlinien einer religionspädagogischen Bezugnahme auf den Beutelsbacher Konsens
Es hat sich herausgestellt, dass die religionspädagogische Auseinandersetzung mit dem BK eigene Herausforderungen, aber nichtsdestoweniger produktive Potenziale bietet. Um die erwähnten Fehlvorstellungen zu vermeiden und zugleich eine Debatte darüber anzustoßen, wie das spezifisch religionspädagogische Profil einer Rezeption des BK aussehen könnte, werden im Folgenden einige Grundlinien formuliert, die als Diskussionsvorschlag und Anfangspunkt einer religionspädagogischen Debatte zu verstehen sind.
Der formale Status des BK ist zu berücksichtigen. Dieser ist nicht mit dem Grundgesetz, den Menschenrechten oder der UN-Kinderrechtskonvention zu vergleichen, da er nicht rechtlich bindend ist. Seine Legitimität speist sich vielmehr aus einer historisch gewonnen Zustimmung gegenüber seinen Prinzipien, die keine zeitlose Universalität impliziert.[7] Er beruht historisch gesehen auf keinem formalen Konsens und kann prinzipiell verändert werden.
Es gilt die Einheit der drei Grundsätze zu beachten. Eine Fokussierung auf die ersten beiden Prinzipien stellt eine Reduktion des inhaltlichen Gehalts dar. Ohne den dritten Grundsatz hätte der BK historisch gesehen nicht die Zustimmung erhalten, die er mittlerweile besitzt. Gerade die Verbindung der drei Grundsätze erfordert ein tieferes Nachdenken, dass sich nicht auf die beiden Schlagwörter „Überwältigungsverbot“ und „Kontroversitätsgebot“ beschränken darf.
Der BK sollte in seiner normativen Unterbestimmtheit wahrgenommen werden. Dazu gehört es, die politikdidaktischen Kontroversen ebenso einzubeziehen, wie konkrete Konfliktfälle, an denen sich die Deutungsoffenheit der Prinzipien verdeutlicht. Ein solches Problembewusstsein über die zugrundeliegenden Deutungsstreitigkeiten gilt es auch religionspädagogisch zu bewahren.
Der BK besitzt eine Deutungsoffenheit, kann jedoch nicht beliebig interpretiert werden. Es besteht dahingehend ein Minimalkonsens, dass politische „Bildnerinnen und Bildner […] nicht nur eine einzige Position zum Gegenstand ihres Unterrichts bzw. Projekts machen, nicht indoktrinieren oder überwältigen und […] die Lernenden nicht an der Entwicklung eines eigenen Urteils und bei der Findung ihrer gesellschaftlichen Interessen hindern“ (Geßner et al., 2016, S. 34). Zugleich impliziert der BK keine Neutralität, sondern das positive Engagement für Demokratie und Menschenrechte (vgl. Schweitzer, 2015, S. 15).[8]
Das Maximalverdikt der Überwältigung impliziert einen adäquaten Rechtfertigungsnachweis derjenigen, die es aussprechen, da es auch als ein politischer Kampfbegriff missbraucht werden kann. Das bedeutet, dass das Verständnis von Überwältigung genau zu explizieren und an konkreten Beispielen zu verdeutlichen wäre. Aufgrund seiner Mächtigkeit ist dieser Vorwurf vorsichtig zu verwenden und bestenfalls in Stufen zu differenzieren, wie beispielsweise in einer Formulierung wie ‚erhöht die Gefahr der Überwältigung‘ sichtbar werden könnte. Vielmehr wären Qualitätsstandards für Reflexivität, mögliche Distanzierung und Transparenz zu entwickeln, um Überwältigung zu verhindern. In Fällen offensichtlicher Manipulation oder expliziter Indoktrination sollte dieses Verbot natürlich namhaft gemacht werden können.
Die Gemeinsamkeiten und Differenzen von Politik- und Religionsunterricht sind zu beachten. Besonders hilfreich wäre die Ausformulierung von Kriterien, was bei einer religionspädagogischen Rezeption zu berücksichtigen wäre. Eine ungebrochene Rezeption des BK erscheint mir wegen des differenten Status der Fächer unplausibel.
Literaturverzeichnis
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Jan-Hendrik Herbst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am katholisch-theologischen Institut der TU Dortmund.
Für hilfreiche Rückmeldungen danke ich Robert Kläsener, Madeline Stratmann und Paulina Szymankiewicz.
Anja Besand (2018), Professorin für Politikdidaktik in Dresden, hat eine übersichtliche Darstellung wichtiger Stellungnahmen zu den Meldeportalen auf ihrer Universitätshomepage veröffentlicht.
Daraus ergeben sich zum Teil auch inhaltliche Missverständnisse. So hält Bernhard Grümme mit dem BK fest: „Wer mit seinen Äußerungen nicht gegen das Grundgesetz verstößt, wird mit seinen Ansichten respektiert“ (Grümme, 2009, S. 241). Diese scheinbar so naheliegende Interpretation lehnt die Politikdidaktikerin Kerstin Pohl jedoch ab: „Aber nicht jede Kritik am Grundgesetz ist unzulässig. Viele Artikel sind umstritten, viele wurden schon geändert und für viele werden Änderungen gefordert. Plädiert ein Schüler beispielsweise dafür, das Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 um ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu ergänzen, ist diese Position genauso legitim, wie die Forderung, die Wehrpflicht in Art. 12a aus dem Grundgesetz zu streichen“ (Pohl, 2015).
Dies verdeutlicht Dietrich Zilleßen beispielsweise am Elementarisierungsprinzip (vgl. Zilleßen, 2001).
Offen bleiben muss an dieser Stelle noch, wie konkrete didaktische Schwierigkeiten zu bearbeiten wären, zum Beispiel eine Verhältnisbestimmung von Kontroversitätsprinzip und didaktischer Reduktion (vgl. Pohl, 2015, Willems, 2010, 291).
Wie sich dies didaktisch umsetzen lässt, deutet Westphal (2018) selbst an. Eine solche Position darf natürlich nicht dahingehend missverstanden werden, dass Inhalt selektiv ausgewählt oder gar verschwiegen werden dürften (vgl. Schluß, 2017, S. 112).
Gerade theologisch gesehen gilt es gegenüber menschengemachten Verabsolutierungen eine götzenkritische Skepsis an den Tag zu legen.
Vielmehr bestehe Einigkeit darüber, dass „[v]or allem menschenverachtende Meinungen […] nicht gleichberechtigt neben anderen stehen“ (Pohl 2015) dürfen. Daraus resultiert eine „Position für die Menschenwürde“ (ebd.), die natürlich konkrete didaktische Fragen evoziert.