Die Hochhäuser von Mainhatten, in deren Schatten wir uns auf unserer Tagung bewegen[1], machen deutlich, dass wir uns an einem besonderen Ort befinden. Denn so wie Berlin für politische Macht steht und Hamburg als ‚Tor zur Welt‘ Sehnsüchte nach fernen Orten weckt, verweist Frankfurt auf Mäuse und Kröten, Kohle und Zaster, Kies und Moneten, kurz: auf Geld. In Frankfurt, welches bereits im Spätmittelalter einen europäisch bedeutenden Messestandort darstellte, haben über 200 Geschäftsbanken Niederlassungen, hier befindet sich das Deutsche Geldmuseum, hier sitzt die weltweit wichtige Frankfurter Wertpapierbörse (einleitend zur jüngeren Stadtgeschichte unter Beachtung zahlreicher wirtschaftsgeschichtlicher Aspekte Balser, 1995). In der Mainmetropole hat die Europäische Zentralbank ihren Amtssitz, eine suprastaatliche Einrichtung mit autonomer Rechtsordnung, ‚Chefin‘ des Euro und des europäischen Leitzinses (einleitend Emmelmann, 2016). Last but not least spielen finanzielle Themen auch im Selbstverständnis der heimischen Goethe-Universität eine ausgeprägte Rolle. Um dies zu erkennen, müssen nur unsere Tagungsmappen aufgeschlagen werden: In der hier abgedruckten, kurzen Eigendarstellung der Universität wird immerhin sechsmal auf monetäre Sachverhalte eingegangen. So wird erwähnt, dass sich die Universität in der „europäischen Finanzmetropole Frankfurt“ befindet, dass es sich um eine „Stiftungsuniversität“ handelt, welche 1914 „mit rein privaten Mitteln“ gegründet wurde, sowie dass die Hochschule „eine der zehn drittmittelstärksten“ Universitäten Deutschlands ist. Dennoch haben wir auf unserer Tagung bislang nur wenig über Geld gesprochen, am meisten noch, soweit ich sehen kann, eher gestern an der Peripherie bei unserem politisch-ökonomischen Stadtspaziergang.
Nun ließe sich einwenden, dass das seine guten Gründe hat. Denn unsere Tagung widmet sich ja dem Thema „Politische Dimensionen religiöser Bildung“ – und Politik und Religion haben ja, um die beiden ersten Schlagworte aus diesem Titel herauszugreifen, mit den ‚niedrigen Sphären‘ der Wirtschaft, mit dem ‚banalen Geld‘, doch wenig gemein. Beispielsweise Religion, egal ob sie mit Friedrich Schleiermacher als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ (Schleiermacher, 1984, S. 212) oder mit Herrmann Lübbe als „Kontingenzbewältigungspraxis“ (Lübbe, 1986, S. 149) verstanden wird, ist vom Geld doch kaum tangiert. Denn den benannten Sinn und Geschmack fürs Unendliche können arme Menschen ja wohl ebenso haben wie reiche – und kaufen lässt sich dies schon gar nicht, ebenso wenig wie Sicherheit oder Zusammenhalt, um noch zwei Schlagworte aus dem politischen Bereich aufzugreifen. Und auch bei Kontingenzerfahrungen ist Geld wenig hilfreich: Wenn ein geliebter Mensch stirbt, wenn Schuldgefühle plagen oder wenn die Endlichkeit des Daseins in das Bewusstsein rückt, dann ist es ziemlich egal, wie viele Nullen das Bankkonto aufweist. Ob wir nachts gut schlafen können oder nicht, lässt sich nicht per Internetbanking und Einnahmenüberschussrechnung regeln. In diesem Sinne kann dann wohl auch Matthias Claudius verstanden werden, wenn er dichtet: „Und all das Geld und all das Gut Gewährt zwar viele Sachen; Gesundheit, Schlaf und guten Mut Kann's aber doch nicht machen“ (Claudius, 1996, S. 150, hier ohne Zeilenformatierungen).
1 Systemtheoretische Grundlegungen
Wer zwischen Religion und Politik auf der einen und dem Geld auf der anderen Seite gut befestigte Grenzziehungen sieht, darf sich dabei nicht nur auf Matthias Claudius stützen, sondern hat auch die Systemtheorie Niklas Luhmanns auf seiner Seite (einleitend Luhmann, 1991). Luhmann führt in seinem umfangreichen Werk bekanntermaßen aus, dass sich moderne Gesellschaften durch einen hohen Grad an funktionaler Differenzierung auszeichnen. Genauer: Ihre Modernität liegt geradezu in dieser Differenzierung begründet. Luhmann unterscheidet dabei zwischen verschiedenen sog. sozialen Systemen: dem System des Rechts, dem System der Politik, dem System der Wirtschaft, dem System der Kunst, dem System der Wissenschaft usw. Jedes dieser Systeme ist einer eigenen Aufgabe, einem eigenen Problem verpflichtet und versucht dieses mittels eines originären sog. Mediums und damit transportierten sog. Codes zu bearbeiten. So geht es im System der Wirtschaft (grundlegend Luhmann, 1999) um die „Regulierung von Knappheiten zur Entproblematisierung künftiger Bedürfnisbefriedigung“ (ebd., S. 65). Vollzogen wird dies mittels des Mediums „Geld“ und des damit transportierten Codes „Zahlung“/„Nichtzahlung“ (ebd., S. 249). Entsprechend existiert Wirtschaft mit Luhmann nicht nur dort, wo, etwas bildlich gesprochen, Schornsteine rauchen, Förderbänder laufen und Container verladen werden, sondern überall da, wo es um Bedürfnisbefriedigung mittels zumindest angedachter Geldzahlungen geht. Ein Beispiel: Auch wenn ich nur überlege, mir ein neues Auto zu kaufen, es dann aber schnell unterlasse, weil diese zu teuer sind, weil diese nach wie vor zu viele Abgase in die Atmosphäre blasen, oder weil mir das Design der neuen Modelle nicht gefällt, dann ist auch dies ein „Elementarereignis im Wirtschaftssystem“ (ebd., S. 53). Angemerkt sei dabei, dass die Gründe für dieses Ereignis, so die ästhetische Beurteilung der neuen Modelle, auch durchaus außerhalb des Wirtschaftssystems liegen können, als sog. inferiore Gründe in der sog. Umwelt (mit Blick auf Geldzahlungen ebd., S. 245; einführend zur System-Umwelt-Dichotomie an sich u.a. Luhmann, 2017, S. 16–17). Das Politiksystem hingegen (grundlegend Luhmann, 2000a) zielt darauf ab, mittels des Mediums „Macht“ eine „Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden“ (ebd., S. 84, im Original kursiv) bereitzuhalten. Etwas verkürzt: In der Politik geht es also darum, Interessen zu vertreten, Entscheidungen durchzusetzen, und dies möglichst weitreichend, wobei die Interessen erneut auch durchaus in der Umwelt des Systems generiert werden können. Entsprechend ist jedes Gespräch, jedes Graffiti, jede Straftat dann politisch, wenn hier daran gearbeitet wird, dass ein Interesse – sei es die Einführung einer Lebensmittelampel, sei es die Befestigung der EU-Außengrenzen, sei es die Abschaffung der Erbschaftssteuer – für möglichst viele Menschen verbindlich wird. Und im System der Religion wiederum (grundlegend Luhmann, 1992; Luhmann, 2000b), um noch ein drittes Beispiel anzuführen, ist zentral, mittels des Mediums „Glauben“ eine „Transformation von unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität“ (Luhmann, 1992, S. 20) zu erzielen. Bzw. nochmals etwas verkürzt: Religion hat zur bereits benannten Kontingenzbewältigung beizutragen. Entsprechend ist Religion überall dort präsent, wo etwas entsprechende Leistungen erbringt, so dass wir sie in den Synagogen, Kirchen und Moscheen finden, aber auch, das hat beispielsweise die kulturhermeneutische Religionsdidaktik in den beiden letzten Jahrzehnten umfangreich herausgearbeitet, in den Fußballstadien, Kinos oder Konzerthallen.
Wird nun Luhmann gefolgt, dann hat das eine System mit dem anderen wenig zu tun. Gelegentlich „irritieren“ (Hörisch, 2010, S. 347) sie sich, so beim Spenden. Denn dieses kann einerseits im Religionssystem, wie wir am Beispiel der Bibel noch sehen werden, normativen Charakter haben – während hingegen im System der Wirtschaft das Geld „sich selbst keineswegs daran [hindert], für karitative Zwecke ausgegeben zu werden“ (Luhmann, 1999, S. 245), wobei jedoch wichtig ist, „daß diese Operation als eine ökonomische orientiert wird an der Möglichkeit, das Geld für karitative Zwecke nicht auszugeben, sondern es für andere Verwendungszwecke bereitzuhalten“ (ebd.). Eher gilt aber, wenn Systeme schon Berührungspunkte aufweisen, dass sie sich gegenseitig im Rahmen von „Interpénétration“ (grundlegend Luhmann, 1991, S. 286–345) oder mittels sog. struktureller Koppelungen (am Beispiel des Politiksystems Luhmann, 2000a, S. 372–406) unterstützen. Ersteres wäre u.a. mit Blick auf die sog. Drittmittelforschung der Fall, so wenn aus der Wirtschaft heraus Gelder bereitgestellt werden, um im System der Wissenschaft (grundlegend Luhmann, 1994) „neues Wissen zu produzieren“ (ebd., S. 298) – Wissen, das dann wiederum von der Wirtschaft zur Entwicklung neuer Güter und Dienstleistungen genutzt werden kann. Das Zweitgenannte wäre u.a. mit Blick auf Verträge gegeben: Diese sind einerseits hilfreich für die Wirtschaft, um ihrer Aufgabe der Knappheitsregulierung nachzugehen. Anderseits spielen sie eine zentrale Rolle im Rechtssystem (grundlegend Luhmann, 1993), das wiederum mittels der Unterscheidung von Recht und Unrecht, die durch das Medium „Gesetz“ kommuniziert wird, einer „gewaltsame[n] Austragung von Konflikten“ (Luhmann, 1991, S. 511) entgegenzuwirken sucht. Dies sind dann allerdings jeweils ‚Zufallseffekte‘, weil sich die Zielstellungen der Systeme in diesen Punkten treffen. Gesetzt den Fall, dass die Wissenschaft auch bei der drittmittelgeförderten Forschung weiterhin nur an der Produktion neuen Wissens interessiert ist, funktionieren die Systeme hier nach wie vor autonom, ‚in sich geschlossen‘. Sie sind ‚selbstreferentiell‘, wie Luhmann sagt (u.a. Luhmann, 1991, S. 11).
Wird hingegen die Zielstellung des einen Systems durch die Zielstellung des anderen kontaminiert, dann stellt dies aus systemtheoretischer Sicht für die Funktionalität und, etwas größer gefasst, für das Weiterbestehen des jeweiligen Systems durchaus ein Problem dar. Ein Beispiel hierfür ist Korruption im Rechtswesen. Wenn eine Richterin ein parteiisches Urteil fällt, weil sie ‚unter der Hand‘ Geldzahlungen angenommen hat, um so ganz im Sinne des Wirtschaftssystems ihre zukünftige Bedürfnisbefriedigung zu erleichtern, dann geht das soziale System des Rechts hier nicht mehr seiner Aufgabe der Vermeidung einer gewaltsamen Konfliktaustragung nach, sondern hat sich vom Wirtschaftssystem kontaminieren lassen. Geschieht dies öfter, dann ist das System selbst in Gefahr: Das Rechtssystem ist dann zur ‚Magd der Wirtschaft‘ degradiert worden. Systemtheoretisch erfolgreich reagieren kann dann auf solche Kontaminationen nur das System selbst: Die durch die Korruption erzeugte sog. Codevermischung, wie im Gefolge Luhmanns oft formuliert wird (u.a. Hörisch, 1996, S. 17), kann nur bereinigt werden, wenn Anzeige gegen die Richterin erstattet und dieser stattgegeben wird, nicht aber, wenn die Richterin zur Strafe aus ihrer Kirchengemeinde ausgestoßen wird – oder aber wenn eine Kunstzeitschrift zu dem Urteil kommt, sie sehe schon auf den ersten Blick korrupt aus, ja geradezu „häßlich“ (so der negative Codewert Luhmanns im Kunstsystem; u.a. Luhmann, 1995, S. 317; ähnlich Hörisch, 2010, S. 347). Das System muss sich also selbst ‚heilen‘, die erfolgreiche Anzeige stellt dann gleichsam eine Immunreaktion dar, mit der sich das Rechtssystem gegen den Übergriff der Wirtschaft wehrt. Damit reproduziert es sich zugleich selbst, bringt sich aus sich selbst hervor: Es ist ‚autopoietisch‘, wie alle sozialen Systeme Luhmanns (u.a. Luhmann, 1991, S. 11). Und wenn die Systeme gut funktionieren, dann gilt eben mit Niklas Luhmann: Rechtssprüche lassen sich nicht kaufen, ebenso wenig wie Gesundheit und Wahrheit; Gewinne lassen sich nicht einklagen, ebenso wenig wie Liebe und Bildung; Erkenntnisse sind weder schön noch hässlich, weder gerecht noch ungerecht, sondern wahr oder unwahr; weil die Wissenschaft sich dieser Unterscheidung widmet, hat die Religion freie Hand, sich um die Bewältigung von Kontingenzen zu kümmern (populärwissenschaftlich mit ähnlichen Überlegungen Werber, 2000) – und falls es doch zu Codevermischungen kommt, so werden diese in den selbstreferentiellen, autopoietischen Systemen immer wieder per Immunreaktion geheilt.
Wo immer Luhmann auch aufgeschlagen wird, leuchtet zwischen den Buchstaben das große Erstaunen des Bielefelder Soziologen hervor, wie reibungslos eigentlich alles abläuft, wie gut die Welt der gegenwärtigen sozialen Systeme bestellt ist. Luhmann will die Welt nicht verändern, insofern hat er, auch wenn er mit seiner funktionalen Ausdifferenzierung gern als großer Theoretiker der Moderne adressiert wird, eine konservative Grundhaltung. Luhmann unternimmt also nicht mehr und nicht weniger, als die Welt zu beschreiben – und kommt dabei ‚zwischen den Zeilen‘ immer wieder ins Staunen (populärwissenschaftlich Mangold, 2012). Hier ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die von Luhmann beschriebenen sozialen Systeme ja keinen Selbstzweck darstellen, sondern, wie schon benannt, zur Lösung von Problemen, zur „Komplexitätsreduktion“ (u.a. Luhmann, 1991, S. 154), zur Transformation von „Unwahrscheinliche[m] in Wahrscheinliches“ (ebd., S. 219), beitragen. Und genau dies tun sie in einem derart weitreichenden Sinne, dass sich wirklich staunen lässt: Denn es ist, fokussiert auf das Wirtschaftssystem, ja doch ziemlich unwahrscheinlich, dass Menschen einen Großteil des Tages am Schreibtisch, am Lenkrad, am Tresen, hinter der Kasse oder vor der Klasse verbringen und insgesamt munter Güter und Dienstleistungen hergeben. Sie tun dies aber, weil es das Wirtschaftssystem mit seinem Medium „Geld“ gibt, weil sie für ihre Güter und Dienstleistungen Geld erhalten, welches sie sparen und mit dem sie wiederum an anderer Stelle Güter und Dienstleistungen erwerben können. Der bekannte Aufklärer und Ökonom Adam Smith hält bereits im 18. Jahrhundert fest: „Niemand hat je erlebt, daß ein Hund mit einem anderen einen Knochen […] gegen einen anderen Knochen ausgetauscht hätte, und niemand hat auch je beobachtet, daß ein Tier durch sein Verhalten einem anderen bedeutet hätte: Das gehört mir und das gehört dir, ich bin bereit, dieses für jenes zu geben“ (Smith, 1977, S. 58). Wir aber können uns schon morgen tausend Knochen kaufen und noch heute Abend im Flugzeug Richtung Osterinsel sitzen – und dies alles nur, indem wir ein paar Münzen springen lassen oder ein paar digitale Informationen von einem Speicherplatz an einen anderen verschieben.
Luhmanns Systemtheorie ist dabei nicht nur im soziologischen Diskurs prominent, sondern, oft ohne dass hier an Luhmann gedacht wird, auch im Alltag, in anderen Wissenschaftsdisziplinen und in vielen weiteren Bereichen. Wir haben uns – woran die prominente erziehungswissenschaftliche Theorie von den sog. vier Modi der Welterschließung von Jürgen Baumert (einleitend Baumert, 2002, S. 106–115) sowie die performative Religionsdidaktik keinen geringen Anteil haben dürften – daran gewöhnt, dass sich die Welt im Kunstunterricht anders erschließt als in Politik, Religion, Wirtschaft und Chemie, dass wir bei Depressionen mit der Ärztin, bei Fragen zur Berufswahl mit dem Coach und bei Überlegungen zur Geldanlage mit der Bankberaterin sprechen sowie dass der Mensch, so resümiert der ZEIT-Korrespondent Ijoma Mangold, als Folge „der funktionalen Differenzierung […] in verschiedene Rollen [zerfällt:] Als Familienvater agiert er anders denn als Wähler, in seinem Beruf als Kaufmann folgt er einem anderen Code als in seiner Rolle als Liebhaber“ (Mangold, 2012). Das hätte, nebenbei bemerkt, auch Martin Luther gefallen, der im Rahmen seiner Zwei-Regimente-Lehre ja zwischen Amt und Person differenziert (insbesondere Luther, 1900, S. 255–260) und derart als einer der Urväter der Systemtheorie gelten kann. Und wenn ebenfalls in der Zeitung „Die ZEIT“ der überregional bekannte, in Zwickau arbeitende Tätowierer Randy Engelhardt in einem kürzlich veröffentlichten Sammelinterview (Laskus & Betancur, 2019) bemerkt, dass er „nichts Politisches“ (ebd.) macht, „weder rechts noch links“ (ebd.), denn „Kunst hat nichts mit Politik zu tun“ (ebd.), dann stößt auch dies in der Interviewrunde auf keine nennenswerte Gegenrede (ebd.).
Gleichfalls dürfte die damit artikulierte Systemdifferenzierung auch eine weitreichende Überzeugung in der aktuellen evangelischen Theologie darstellen. Dazu noch zwei Beispiele: So hat sich erstens der Thüringer Historiker und CDU-Pressesprecher Karl-Ekkehard Hahn in seiner aktuellen Kolumne „Mit Tempo 130 wird die EKM manches treue Kirchenmitglied auf 180 bringen“ (Hahn, 2019) u.a. unter Bezug auf die Zwei-Regimente-Lehre Luthers gegen die von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland gestartete Unterschriftenaktion für ein generelles Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf deutschen Autobahnen ausgesprochen. Denn zwar sei er „mit dem Inhalt der Petition durchaus einverstanden“ (ebd., S. 11), allerdings sei dies eine „rein politische Aktion“ (ebd.), so dass er als Christ der Bitte seiner Landeskirche um Unterstützung nicht nachkommen könne: „Freies Denken für freie Christen eben“ (ebd., S. 15). Als Aufgabe seiner Kirchenleitung hält Hahn dabei fest: „Sie sollte sich […] darauf konzentrieren, Glauben zu wecken, Menschen seelsorgerlich zu begleiten, die leeren Kirchen zu füllen und lebendige Gemeinden zu organisieren“ (ebd.) – wenig weiterführend wären hingegen „Verlautbarung[en]“ (ebd.) und „politische Aktion[en]“ (ebd.). Und als zweites Beispiel sei hier noch eine Stelle aus der 2008 veröffentlichten EKD-Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ (Rat, 2008) erwähnt. Dort wird auf den Seiten 40f. in Mt 6,25–27, der Forderung Jesu, so zu sein wie „die Vögel unter dem Himmel“ (V. 26), womit sowohl wortwörtlich wie auch im Kontext der Verse der Verzicht auf Besitz angesprochen ist, paradoxerweise eine Aufforderung gesehen, nun umso befreiter wirtschaften zu können. Den mit Besitzverzicht hat Mt 6,25–27 im Sinne der Denkschrift nicht mehr viel zu tun. Vielmehr ist hier „ein Ruf zur Freiheit von der Sorge“ (Rat, 2008, S. 40) artikuliert; und das heißt dann für die Unternehmerinnen und Unternehmer dieser Welt: „Falsches Sicherheitsdenken, eine Ängstlichkeit, die jede Entscheidung um möglicher Fehler willen fürchtet, und rückwärtsgewandtes Festhalten am einmal Erreichten kann sich nicht auf den christlichen Glauben berufen. Wer weiß, dass er nie tiefer fallen kann als in Gottes Hand, wird auch in schwierigen Situationen gelassen bleiben und mutig entscheiden können“ (ebd., S. 41). Recht frei und ziemlich frech in meinem Sinne paraphrasiert: „Wir funken euch nicht allzu sehr in eure wirtschaftlichen Abläufe hinein (lasst also bitte auch uns mit unserer Kontingenzbewältigungsarbeit in Ruhe) – wir wünschen allzeit gutes Gelingen!“ Ein wenig erinnert die Denkschrift damit nicht nur u.a. an Luthers Zwei-Regimente-Lehre, sondern auch an Schleiermacher, dem bekanntermaßen mit der Verortung von Religion im Gefühl eine wirkmächtige Immunisierung der Religion insbesondere gegenüber den Angriffen der aufklärerischen Rationalität gelang (einleitend Schöndorf, 2016, S. 176–177) – womit dann freilich auch eine selbstgewählte Isolierung stattfand, ein selbstgewählter Rückzug in eben diese Sphären des Gefühls befördert wurde.
2 Monetäre Herausforderungen
Hier ließe sich nun der Vortrag beenden, denn es scheint ja doch so, als müsse der eingangs vorgestellten Überlegung Recht gegeben werden, der zufolge Politik und Religion auf der einen und Wirtschaft auf der anderen Seite nur wenig miteinander zu tun haben – und dann stellt die Macht des Geldes natürlich auch keine Herausforderung für Politik und Religion, Politik- und Religionsunterricht dar. Wird genauer hingesehen, zeigt sich freilich, und hier findet sich meine im wissenschaftlichen Diskurs keinesfalls neue Hauptthese, dass diese eben benannte Grenze nicht so gut befestigt ist, wie es ausgehend von Luhmann scheint.
Hierfür möchte ich zwei Gründe anführen. Der erste besteht darin, dass die Macht des Geldes die Macht anderer systemspezifischer Medien deutlich übersteigt. Um dies zu plausibilisieren, ist ein Blick auf die vielfältigen Funktionen des Geldes nötig. Hier zeigt sich: Geld vermag ja nicht nur, was seine Bedeutung im Wirtschaftssystem manifestiert, als Bewertungs-, Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel zu dienen (einleitend Weimer, 1994, S. 7) sowie damit arbeitsteilige Gesellschaften zu ermöglichen (einleitend Ernst, 2006, S. 18). Sondern es vermag, darauf aufbauend, zahlreiche weitere Funktionen zu verwirklichen. Es kann, das wurde in psychologischen und soziologischen Auseinandersetzungen mit dem Geld umfangreich ausgeführt (einleitend Jonas, Maier & Frey, 2007; Hedtke, 2014, S. 128–140), u.a. zum Frieden beitragen und Konflikte schüren, die Gleichheit aller Menschen begünstigen und zugleich ihre Ungleichheit. Geld kann Defizite mannigfacher Art ausgleichen, ein rationaleres Verhalten bedingen und zu zahlreichen Irrationalitäten führen, gegensätzliche Menschen vereinen und Unterschiede zwischen Menschen etablieren. Es kann ein attraktives sog. Paarungsmerkmal darstellen und bis hin zu einer gewissen Sättigungsgrenze glücklich machen. Schlussendlich wirkt es suchtfördernd und -stillend: Es fördert die Sucht nach immer mehr Geld und vermag diese zugleich (vorläufig) zu stillen. Insofern ist es dann auch nur konsequent, wenn Geld ständig über das System, in dem es mit Luhmann ‚heimisch‘ ist, hinausgreift und den Ablauf anderer Systeme korrumpiert. Denn Geld kann „fast alles […] schmieren. Eine Liebesbeteuerung kann teuer werden und z. B. durch ein sündhaft teures Schmuckstück gedeckt werden; ein wissenschaftliches Gutachten und der Wissenschaftsbetrieb überhaupt kosten Geld; ebenso das Recht, das einem zusteht; Kirchen brauchen Geld und erheben deshalb Kirchensteuer. […] Geld spielt in alle Bereiche hinein, oder, um es systemtheoretisch zu formulieren: auch Liebe, Wissenschaft, Recht und Religion partizipieren am Wirtschaftssystem und seinem Code“ (Hörisch, 1996, S. 17–18). Im Politiksystem dürfte diese Bedeutung des Geldes dabei nochmals besonders stark ausfallen, denn wenn die Zielstellung der Politik darin besteht, möglichst weitreichend Interessen vertreten zu können, dann ist Geld nicht nur ein Faktor in der Systemumwelt, der zur Interessengenerierung beiträgt, sondern auch ein Faktor im System selbst: Mit Geld lässt sich Wahlkampf betreiben, Geld ermöglicht Lobbyarbeit, Geld bezahlt Politikberaterinnen und -berater und in etlichen Ländern auch Bestechungen, Propaganda und Söldnerarmeen. Oder kurz: Geld und Macht sind wohl kaum zwei voneinander nicht tangierte, systemimmanente Medien, sondern fallen, das weiß bereits der Volksmund, geradezu ineinander. Denn Geld ist Macht (weiterführend u.a. Wiswede, 2007, S. 160) – und diese ohne Geld schwer vorstellbar. Doch auch das Religionssystem, das im eben genutzten Zitat von Jochen Hörisch bereits mit angesprochen war, dürfte dem Zugriff des Geldes gegenüber kaum immun sein. Denn auch die institutionalisierten Religionen benötigen Geld, beispielsweise Pfarrerinnen und Pfarrer möchten und müssen für ihre Arbeit bezahlt werden – und vielleicht lassen sich Sinn und Geschmack fürs Unendliche zwar nicht kaufen, in der Erfahrung vieler Zeitgenossinnen und -genossen mit Konzertbesuchen, Abenteuerreisen und Yoga-Retreats, die allesamt ohne ‚klingende Münze‘ nur schwer zu haben sind, allerdings durchaus anbahnen[2]. Und wer sagt eigentlich, dass Geld nicht auch bei der Bewältigung von Kontingenzen hilfreich sein kann? Hierzu muss nicht etwa auf den Gelderwerb als Kontingenzbewältigungspraxis verwiesen werden oder auf Menschen, die ihr ‚Seelenheil‘ im Erwerb immer neuer Dinge suchen. Sondern Geld kann ja, was nicht selten auch in populären Filmen thematisiert wird, so in „Sieben Leben“ (2008) und in der sog. The-Dark-Knight-Trilogie (2005–2012), auch für sprichwörtlich gute Zwecke verwendet werden und damit Kontingenzbewältigung bieten. Passend dazu, dass wir uns hier auf unserer wissenschaftlichen Tagung im Schatten der Frankfurter Bankentürme bewegen, kann derart also auch die Wirtschaft als ein ‚Supersystem‘ angesehen werden, welches mittels seines Mediums „Geld“ alle anderen Systeme ‚in den Schatten stellt‘ und mit seiner Zielstellung beeinflusst (analog u.a. Hedtke, 2014, S. 132; Schimank, 2010, S. 44–45; auf die Lebenswelt des Alltages fokussiert Rost, 2008, S. 50).
Während dieser erste Grund so noch mit den Begrifflichkeiten Luhmanns arbeiten kann und ‚nur‘ auf die Dominanz eines Systems abhebt, setzt mein zweiter an einer anderen Stelle an und bringt eine noch weitreichendere Kritik an der systemtheoretischen Trennung von Politik, Religion und Wirtschaft vor. Dieser Grund lautet: Die Bibel bewertet das Geld als „Adiaphoron und Konkurrent Gottes zugleich“ (Heller, 2020a) und formuliert eine in Widerspruch zur Systemtheorie stehende monistische Anthropologie. Plausibilisiert werden kann dies mit zahlreichen Belegstellen. Denn zwar ist Geld in den Schriften der Bibel zunächst ‚nur‘ eine ‚Nebensächlichkeit‘, ein Adiaphoron, dessen Nutzung den Menschen freigestellt ist. Mit ihm können sie sich Essen kaufen (u.a. Mt 10,29 par.), Handwerker bezahlen (u.a. 2 Kön 22,4–9) oder Immobilien erwerben (u.a. Gen 23,15–16). An vielen Stellen – zu denken wäre hier u.a. an die Perikopen „Vom Schätzesammeln und Sorgen“ (Mt 6,19–34), „Der reiche Jüngling“ (Mt 19,16–26 par.), „Der reiche Kornbauer“ (Lk 12,16–21) und „Vom reichen Mann und armen Lazarus“ (Lk 16,19–31) sowie an die Verse vom freigiebigen Spenden (Mt 6,1–4) und vom sog. Scherflein der Witwe (Mk 12,41–44 par.) – wird allerdings zugleich artikuliert, dass sich der Mensch nicht auf diese Nebensächlichkeit hin orientieren soll. Vielmehr stellt das Geld ein Werkzeug dar, das es zu nutzen gilt: alttestamentlich vorrangig, um armen Israelitinnen und Israeliten (u.a. Lev 25; Dtn 15; 24,6–22), neutestamentlich vorrangig, um allen armen Menschen beizustehen (u.a. Lk 12,33; Gal 2,10; auch nochmals Mt 19,16–26 par.). Dies geht dann gar soweit, dass im Neuen Testament Besitz selbst zum Problem wird: Denn dort, wo Menschen diesen horten, sind sie auch weiterhin dem Geld, nicht aber Gott verpflichtet. In unmissverständlichen Worten verlangt Jesus in Mt 6,19–34, im Zentrum der Bergpredigt, das „Herz“ (V. 21), das, was den Menschen vor Gott ausmacht, den ‚ganzen Menschen‘ mit all seinem Denken, Fühlen und Handeln, einzig und allein auf Gott, nicht aber, und das ist der explizit benannte Gegenspieler, auf den Mammon, auf Besitz, Geld, Hab und Gut, auszurichten (V. 24; auch V. 19f.), und fordert dann im Weiteren mit den Bildern von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Feld nichts weniger als Besitzlosigkeit (V. 26–29). Die bettelarme Jerusalemer Witwe zeigt, wie es geht: Selbst auf die letzten Münzen muss noch verzichtet werden (nochmals Mk 12,41–44 par.) – und wie schwer dies fällt, hat u.a. neben Hananias und Saphira (Apg 5,1–11) insbesondere der sog. reiche Jüngling verdeutlicht (abermals Mt 19,16–26 par.). Gerade diese geldbezogene Perikope zeigt besonders klar auf, dass der Bibel die systemtheoretischen Differenzierungen Luhmanns fremd sind. Denn der der Jüngling versucht es ja mit einer solchen Trennung. Frei paraphrasiert: „In allen meine Bedürfnisbefriedigung nicht betreffenden Fragen bin ich ja ganz Gott verpflichtet – nur brauche ich, davon ganz unabhängig, etwas Geld, um auch wirtschaftlich bestehen zu können.“ Dafür hat Jesus Verständnis, bei Markus heißt es sogar, dass er ihn ‚lieb gewann‘ (Mk 10,21), jedoch wird sein Urteil davon nicht tangiert: Das „ewige Leben“ (Mt 19,16 par.) bleibt dem Jüngling vorenthalten und der Mammon, gerade weil er eine so große Macht hat und der Verzicht auf ihn so schwerfällt, der eine große Kontrahent Gottes (Mt 19,22f. par.). Entsprechend ist dann auch Habgier, das findet sich in den Deuteropaulinen, nichts anders als „Götzendienst“ (Eph 5,5; Kol 3,5). Und wenn man sich nicht in interimsethische, zweistufenethische, christologische, Amt und Person trennende oder gesinnungsethische Interpretationen flüchtet und gleichfalls die Rechtfertigungstheologie nicht als Freischein versteht, um sich ‚geistgewirkt‘ über die Buchstaben der Bibel hinwegsetzen zu können, dann sind die alt- und neutestamentlichen Forderungen nach Verachtung des Mammons, nach Armenfürsorge und Besitzverzicht auch nicht wegzudiskutieren. Der ‚gute Baum‘, so sagt Jesus am Ende der Bergpredigt mit all ihrer geldbezogenen Radikalität, wird an ‚seinen Früchten erkannt‘ (Mt 7,17–18), nicht zum Beispiel an guten Absichten.
In summa ist die Systemtheorie Luhmanns damit m.E. kritisch zu hinterfragen: einmal in soziologischer und psychologischer Perspektive, weil sich gezeigt hat, dass die Wirtschaft ein ‚Supersystem‘ ist, das alle anderen Systeme prägt; einmal in theologischer Hinsicht, weil sich gezeigt hat, dass die Bibel eine monistische Anthropologie vertritt und vom Menschen ein Handeln fordert, das in Widerspruch zur Wirtschaft nach Luhmann steht, bei der „in hinreichend vielen und typischen Situationen die Wahl zwischen Zahlung und Nichtzahlung möglich sein“ (Luhmann, 1999, S. 245) muss, damit das Geld seine Funktion als Knappheitsregulativ erfüllen kann.
3 Fachdidaktische Konkretionen
Was ergibt sich aus all dem nun für den Politik- und Religionsunterricht? Hier wird zu unterscheiden sein, wobei ich zunächst kurz auf den Politik-, dann etwas ausführlicher auf den Religionsunterricht eingehen möchte. Zunächst zum Politikunterricht. Dieser hat es hier gewissermaßen leichter: Aufgrund der Kongruenz zwischen Geld und Macht, Wirtschaft und Politik ist er nicht gefordert, so wie wir es gleich vom Religionsunterricht hören werden, eine Opposition zum Geld einzunehmen. Wohl aber sollte er, wenn er zu einer Reflexion der politischen Vorgänge in Deutschland und weltweit befähigen möchte, deutlich machen, dass Politik nicht so funktioniert, dass, anknüpfend an die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls, hinter einem ‚Schleier des Nichtwissens‘ (insbesondere Rawls, 1979) in einem freundlichen Diskurs Wunschvorstellungen miteinander abgewogen werden. Sondern Politik dürfte vielmehr einen durchaus ‚rabiaten‘, ‚knallharten‘, auf Erfolg hinarbeitenden Versuch darstellen, Interessen durchzusetzen – Interessen, die sich besser durchsetzen lassen, wenn Geld zur Verfügung steht, und die oftmals auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus motiviert sind. Werden hier allerdings aktuelle Curricula und Lehrwerke für den Politikunterricht eingesehen, so zeigt sich, dass dies bislang kaum bedacht ist. So finden sich beispielsweise, was sich ähnlich in vielen weiteren Lehrplänen und Schulbüchern erkennen lässt, im aktuellen „Gesamtkonzept für die Politische Bildung an bayerischen Schulen“ (Bayerisches Staatsministerium, 2019) auf sämtlichen 42 Seiten die Begriffe „Geld“, „Besitz“ und „Reichtum“ kein einziges Mal (ebd.). Aufgrund der dargestellten Nähe von Geld und Macht, Politik und Wirtschaft ist dies ein problematischer Befund und m.E. eine Herausforderung für den Politikunterricht, der mit dem Beutelsbacher Konsens ja beispielsweise verpflichtet ist, wissenschaftlich kontroverse Positionen auch unterrichtlich abzubilden. Dabei möchte ich an dieser Stelle nochmals betonen, dass der Übergriff des Geldes auf andere Systeme inklusive des Politiksystems ja keine neue These darstellt, sondern spätestens seit Jochen Hörisch im wissenschaftlichen Diskurs artikuliert wird.
Ein Religionsunterricht, der mit Artikel 7.3 des Grundgesetzes „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ zu erteilen ist, wird über solche Ziele nochmals hinausgehen müssen. Denn wenn die Bibel fordert, der Macht des Geldes kritisch gegenüberzustehen, den Mammon gar als Konkurrenten Gottes anzusehen sowie Besitz bis hin zur Besitzlosigkeit wegzugeben, dann sollte diese „Kontrafaktizität“ (Mokrosch, 1991, S. 38, mit spezifischem Blick auf die Bergpredigt) der biblischen Schriften auch einen angemessenen Platz im Religionsunterricht erhalten. Bislang dürfte dies freilich eher nicht umgesetzt sein. Dies ließe sich ausführlich darlegen; aus Zeitgründen möchte ich hier nur nochmals exemplarisch auf einen Lehrplan verweisen, und zwar auf den „Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Evangelische Religionslehre“ (Ministerium, 2014), wo, Sie ahnen es bereits, auf sämtlichen 66 Seiten die Begriffe „Geld“, „Besitz“ und „Reichtum“ ebenfalls an keiner Stelle Erwähnung finden (ebd.). Diese Leerstelle ist dabei umso problematischer, als dass auch hier entsprechende Überlegungen nicht neu sind. So hat Peter Biehl bereits 2001 gefordert, dass im Religionsunterricht Kinder und Jugendliche „vor den Zumutungen und Ansprüchen schon bestehender, geldbestimmter Wirklichkeit zu schützen“ (Biehl, 2001, S. 169) sind, und Folkert Rickers hat im gleichen Band mit Blick auf die stetig fortschreitende Geldwirtschaft verlangt, sich religionsunterrichtlich „einer Entwicklung entgegenzustellen, an deren Ende die Vernichtung von Mensch und Natur steht“ (Rickers, 2001, S. 196). Umgesetzt werden können solche grundsätzlichen Überlegungen, die etwas verstärkt um die Jahrtausendwende geäußert wurden (auch u.a. Rickers, 2002; Ruster, 2000) und bei denen Falk Wagners Publikation „Geld oder Gott“ eine wichtige Rolle spielt (Wagner, 1984), dabei m.E. auf vielfältige Weise, wobei sich kaum eine religionsdidaktische Konzeption finden lässt, auf deren Basis Geld keine Bedeutsamkeit aufweist, so dass es dann auch religionsunterrichtlich in den Blick zu nehmen ist. So kann, um nur ein paar wenige Aspekte zu benennen, im Rahmen kerygmatischer Konzeptionen der biblische Gott-Geld-Dualismus zum Gegenstand der Verkündigung gemacht oder ausgehend vom Ersten Gebot Geld als das, „was in unserer Zeit als alles bestimmende Wirklichkeit erfahren wird“ (Ruster, 2000, S. 191), hinterfragt werden; im Rahmen thematisch-problemorientier Konzeptionen kann erörtert werden, ob und inwiefern die biblische Beurteilung des Geldes einen Beitrag zu leisten vermag, um die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen besser zu verstehen und um hier vorhandene Probleme zu lösen; im Rahmen interreligiöser Konzeptionen kann die in vielen Religionen vorhandene kritische Positionierung zum Geld herangezogen werden, um ein besseres wechselseitiges Verständnis zu erzielen, um Empathie zu generieren oder um den eigenen religiösen Standpunkt zu reflektieren; im Rahmen medienweltorientier Konzeptionen kann der Beitrag, welchen populäre Medien zur Macht des Geldes leisten, aus Perspektive der auf das Geld bezogenen biblischen Texte heraus kritisch in den Blick genommen werden; im Rahmen performativer Konzeptionen kann die hier probeweise einzunehmende religiöse Innenperspektive u.a. darin bestehen, dass in diakonischen Projekten mitgearbeitet wird; und im Rahmen jugendtheologischer Konzeptionen schließlich kann die Positionierung der Bibel zum Geld ‚jugendgemäß‘ artikuliert werden, um dann derart das hier angestrebte Theologisieren mit Jugendlichen anzubahnen. In der Sprache der sog. Volxbibel würde das dann so klingen: „Niemand kann in zwei Mannschaften gleichzeitig spielen. Wenn er für die eine kämpft, kann er nicht auch noch für die andere ein Tor schießen. Genauso wenig könnt ihr für Gott und für das Geld kämpfen. Es geht nur eins von beiden. Also lasst keine Panik aufkommen, wenn ihr nichts zu essen habt oder zu trinken oder auch keine Kleidung. Das Leben besteht aus mehr, als nur zu essen und supercool auszusehen. Guckt euch doch mal die Vögel an! Die gehen auch nicht jeden Tag arbeiten oder sparen, was das Zeug hält, und trotzdem werden sie von ihrem Papi aus dem Himmel gut versorgt. Glaubt ihr nicht auch, dass ihr viel mehr wert seid als Vögel? Und selbst wenn du vor lauter Panik einen roten Kopf kriegst: Länger leben kannst du dadurch auch nicht“ (Mt 6,24–27).
Auch wenn wir derart also einiges darüber sagen können, wie Geld religionsunterrichtlich aufgegriffen werden sollte und kann – wobei die finale Antwort davon abhängt, wie die eben genannten Konzeptionen beurteilt werden –, so lässt sich doch wenig darüber sagen, welchen Ertrag ein solcher Unterricht hat und wohin er führen wird. Das mag u.a. darin begründet liegen, dass wir uns eine Welt, die von der Macht des Geldes nicht durchdrungen ist, nicht vorstellen können. Warum sollte in dieser Welt jemand frühmorgens aufstehen, um für andere Kaffee zu kochen oder um noch schnell die letzten Halbjahreseinschätzungen zu schreiben? Es ist eine im wortwörtlichen Sinne utopische Welt, sie hat keinen Platz, keinen Ort, keinen Topos in unserer Imagination, was sich nicht zuletzt auch daran zeigt, dass selbst in den fantastischen Welten der populären Kultur – beispielsweise in den filmischen Universen von „Harry Potter“ (2001–2011), „Herr der Ringe“ (2001–2003), „Matrix“ (1999–2003), „Star Wars“ (ab 1977) oder „Valerian“ (2017) – ganz selbstverständlich Geld zum Einsatz kommt (mit Ausnahme, nebenbei bemerkt, von „Star Trek“, ab 1966, wo zumindest die sog. Föderation der Planeten als geldfreier Raum gezeichnet wird). Geld, das wird hier deutlich, stellt genau wie beispielsweise die Annahme eines kontinuierlichen Verlaufes der Zeit ein gedankliches Ordnungsprinzip der Wirklichkeit dar, hinter das wir, einmal etabliert – und zwar mit den ersten Vorformen des heutigen Geldes bereits in der Jungsteinzeit (einleitend zur Geschichte des Geldes Born, 1981) – nicht mehr zurückkönnen und zumeist auch nicht wollen. Dennoch möchte ich für einen derart utopischen, der Macht des Geldes grundsätzlich kritisch gegenüberstehenden, uns zu einem noch unbekannten Ort führenden Religionsunterricht plädieren, und zwar aus dem schlichten Grund heraus, dass er den biblischen Schriften nachzukommen sucht. Das scheint mir auch schulpädagogisch gut anschlussfähig zu sein an die weithin akzeptierten Überlegungen John Deweys zu Schulen als sog. embryonic societies: kleinen, sich quasi noch im Embryonalstadium befindenden Gesellschaften, welche in einem geschützten Raum ausprobieren dürfen, wie zukünftige Gesellschaften zu gestalten sind, und die dann zu diesen Gesellschaften auch heranwachsen können (einleitend Knoll, 2007). Und last but not least dürfte ein solcher Religionsunterricht dann auch ein klar erkennbares, streitbares Profil aufweisen und derart für mehr Interesse bei den Schülerinnen und Schülern sorgen als ein dem Status quo verpflichtetes Fach, das sich hinter die wenig verlässlichen Grenzanlagen einer systemtheoretischen Trennung von Politik, Religion und Wirtschaft geflüchtet hat.
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Dr. Thomas Heller ist Leiter der Geschäftsstelle für zentrale Gremien der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Bei diesem Text handelt es sich um einen der Vorträge, die auf der Jahrestagung 2019 der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik zum Thema „Politische Dimensionen religiöser Bildung“ gehalten wurden. Für die Veröffentlichung wurde der Vortragsduktus weitgehend beibehalten. Vgl. zu vielen der folgenden Punkte, so zur Bedeutsamkeit und Thematisierung des Geldes im Rahmen verschiedener religionsdidaktischer Ansätze, ausführlich Heller, 2020a; lexikalisch konzentriert auch Heller, 2020b. Ein herzlicher Dank geht an Jan Hendrik Herbst, Dortmund, für sein Interesse am Thema und die Diskussionen im Umfeld der Tagung.
Diesen Hinweis verdanke ich Manuel Vogel, Jena.