Mit dem Begriff des intergenerationellen Lernens verhält es sich ähnlich wie mit dem Begriff der Religionspädagogik: Beide Termini lassen sich als Reflex auf eine als problematisch wahrgenommene Praxis verstehen. So wie man von Religionspädagogik als „Programmbegriff für eine Krisenwissenschaft“ (Grethlein, 1998, S. 68) spricht, könnte man beim intergenerationellen Lernen von einem Leitbegriff für einen Aspekt religiöser Bildung sprechen, der bisher irgendwie selbstverständlich dazugehörte, sich nun aber in einer Krise zu befinden scheint.

Schon deswegen lohnt es sich, etwas genauer auf die Beweggründe zu schauen, die dazu führten, das intergenerationelle Lernen auf das Tableau der Religionspädagogik zu heben. Das wird in einem ersten Schritt geschehen.Daran anschließend sollen in religionspädagogischer Perspektive sowohl die impliziten als auch die expliziten Lernprozesse zwischen den Generationen in den Blick genommen werden, um abschließend einige Anmerkungen zu Chancen und Grenzen intergenerationellen Lernens zu machen. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf das Feld christlichen Lehrens und Lernens, wohl wissend, dass die intergenerationelle Komponente darauf nicht zu beschränken ist.

1 Zu Begriff und Sache des intergenerationellen Lernens

Die Sache intergenerationellen Lernens ist so alt wie das Christentum selbst. Ein eigener Begriff ist dafür allerdings nicht geprägt worden. Schon der Terminus der Generation ist deutlich jüngeren Datums. Er taucht erstmalig im 16. Jahrhundert auf (Franz, 2010, S.24). Vom intergenerationellen Lernen wiederum ist erst in jüngster Zeit die Rede. Um die Jahrtausendwende kam dieser Begriff in Gebrauch, zuerst bei der Initiierung entsprechender Praxisprojekte, später dann in der Theorie der Erwachsenenbildung. Er steht für eine Didaktik, bei der Junge und Alte von-, mit- und übereinander lernen (Franz, 2010, S.> 31­–­34), wobei dies in unterschiedlicher Weise geschieht. Da sind zum einen die impliziten Lernprozesse. Julia Franz spricht hier vom funktionalen intergenerationellen Lernen als implizites und unreflektiertes Lernen beispielsweise im Familienverbund. Zum anderen gibt es explizite Lernprozesse, die in extensionalen und expliziten Lernformen stattfinden. Ersteres steht für bewusst gestaltete Lernarrangements, mit denen implizite Lernprozesse zwischen den Generationen wahrscheinlich gemacht werden sollen, und Letzteres für ein Lernen zwischen den Generationen, das nicht nur beiläufig geschieht, sondern explizit angeregt wird.

Dass solche Lernprozesse ausdrücklich reflektiert und angeregt werden sollen, hat mit bestimmten Entwicklungen zu tun, die als defizitär oder doch zumindest irritierend wahrgenommen werden. Das soll im Folgenden etwas näher bedacht werden. Dabei spreche ich von ‚Generation‘ hauptsächlich im Sinne des genealogischen und pädagogischen Generationenbegriffs, also mit Blick auf familiale Konstellationen und auf die Rollen, die die ins Leben Setzenden und ins Leben Gesetzten im Vermittlungsprozess einnehmen. Der historisch-gesellschaftliche Generationenbegriff, mit dem die prägenden Erfahrungen der Jugendzeit einer Alterskohorte sowie deren Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge beschrieben werden, wird erst im 20. Jahrhundert wichtig (Franz, 2010, S.25) und spielt in meinen Ausführungen dann eine Rolle, wenn ich im dritten Schritt religionspädagogische Anmerkungen zu Chancen und Grenzen intergenerationeller Lernprozesse im Rahmen religiöser Bildung machen werde.

1.1 Intergenerationelles Lernen in einer hierarchischen Generationenzuordnung mit einzelnen Rückkoppelungen

Innerhalb der Christentumsgeschichte war das intergenerationelle Lernen die längste Zeit über vom Verständnis einer hierarchischen Generationenzuordnung geprägt. Verbunden war das mit einer mehr oder weniger eindeutigen und einseitigen Vermittlungsrichtung.

Schon sehr bald gab es innerhalb der Sozialform des Hauses, also dem Vorläufer der heutigen Familien, das Bestreben, den eigenen Glauben an die nächste Generation weiterzugeben. Kinder partizipierten hier an der Entscheidung ihrer Eltern, indem sie in einem vom Christsein geprägten Miteinander aufwuchsen.

Das generative Miteinander und damit verbunden auch der Blick auf die nachfolgende Generation nimmt eine Linie auf, die bereits im Alten Testament sehr deutlich zur Sprache kommt. Von Anfang an werden „Fortsetzung und Ausbereitung des menschlichen Geschlechts … im Horizont des göttlichen Segens gesehen“ (Schweitzer, 2006, S. 21). Auch im Abrahamsbund finden die nachfolgenden Generationen ausdrücklich Erwähnung (Gen 12,2).

Auffällig dabei ist eine positive und wertschätzende Sicht auf die Heranwachsenden. Sie geht im Christentum sogar so weit, dass Kinder in bestimmter Hinsicht als vorbildlich beschrieben werden (Mk 10,14). Wer sich ihnen zuwendet, dient Gott selbst (Mk 9,37).

Wie sich die Zuwendung zur nachfolgenden Generation innerhalb des Hauses im Einzelnen gestaltete, bleibt weitgehend im Dunkeln. Allerdings ist damit zu rechnen, dass dem Hineinwachsen in das Christsein durch Miterleben und Mitvollzug bald eine am Verstehen orientierte Vermittlung folgte (Finsterbusch, 2002). Mit Friedrich Schweitzer lässt sich hier von der „Grundsituation religiöser Erziehung“ (Schweitzer, 2006, S. 22) sprechen. Aus dem Mitvollzug erwächst das Nachfragen des Kindes, dem nicht nur auf der Informationsebene nachzukommen ist.

Die „Überlieferung der geschichtlichen Erinnerung“ soll „zu einem verständigen Einbezug führen“ (Schweitzer, 2006, S. 22) (Dtn 6,21). Dazu gehört nicht nur der wissende, sondern auch der zustimmende, d.h. sich in den Glauben der Väter stellende Vollzug.

Als dann im 2. und 3. Jahrhundert im Zuge der Selbstvergewisserung und der Auseinandersetzung mit den (Bildungs-)Inhalten der heidnischen Umwelt in den christlichen Gemeinden das explizit lehrende Moment an Bedeutung gewann, spielten die Heranwachsenden keine Rolle. Der Katechumenat richtete sich nur an Erwachsene. Zwar wird davon berichtet, dass auch Kinder getauft werden, von einer eigens für sie vorgenommenen Unterweisung, also von einer Generationendifferenzierung beim katechetischen Handeln, das dann als intergenerationelles Lernen verstanden werden könnte, ist allerdings nichts bekannt. An dieser grundsätzlichen Perspektive ändert sich auch nichts, nachdem die Kindertaufe im 5. und 6. Jahrhundert „zur Regel“ (Paul, 1993, S.114) wurde.

Explizit angestoßene Lernprozesse im Horizont intergenerationellen Lernens außerhalb der Häuser fanden erstmals an den Klosterschulen statt, die ab dem 9. Jahrhundert entstanden und freilich nur von wenigen besucht wurden. Im Zentrum stand dabei die Vermittlung einer schon vorab feststehenden Wahrheit.[1] Das wiederum geht mit einer klaren Hierarchisierung im Verhältnis der Generationen Hand in Hand.

Vom Grundsatz her ändert sich daran auch im Zuge der Reformation nichts. Hier kam es zu einer Intensivierung expliziter Lernprozesse, weil ein vermehrter Plausibilisierungsbedarf bestand. Er schlug sich zum einen in der Intensivierung institutionalisierter Bildung nieder und zum anderen in einem auf die Sozialform des Hauses bezogenen Bildungsimpuls. Luthers Kleiner Katechismus richtete sich an die Hausväter. Sie sollten einerseits ihre Kinder zur Schule schicken und andererseits in ihren Häusern in einen am Evangelium orientierten Lebensstil einführen. Für die hier interessierende Thematik ist das in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll. Zunächst rückt das Haus, also das familiale Zusammenleben, in den Blick. Auf diese Weise wird die familiale Interaktion in den Horizont der religiösen Entwicklung gestellt, für die gilt, dass sie sich nicht von selbst ergibt, sondern formierend unterstützt werden muss. Dass dabei die selbst erlebten Erziehungspraktiken eine wesentliche Rolle spielen, war beispielsweise Luther auch bewusst und „wurde von ihm auch wohlwollend selbst vermerkt“ (Leppin, 2006, S. 44).

Dabei wird auch hier die Grundrichtung in der Generationenzuordnung nicht ausdrücklich problematisiert. Eltern konnten in ihrem Erziehungshandeln auf göttliche Autorität pochen. Segen ist den „gehorsamen Kindern verheißen“ (Leppin, 2006, S. 41), so Luther an seinen zehn- oder fünfzehnjährigen Sohn Hans, den anderen aber hat Gott selbst den Fluch angedroht.

Der reformatorische Impuls zur Intensivierung von intergenerationellen Lernprozessen in den Häusern und Schulen geht selbstverständlich davon aus, dass die jüngere Generation von der älteren zu lernen und, was nicht minder wichtig ist, ihr zu gehorchen habe. Dass es dabei sicher auch immer wieder Rückkoppelungen gegeben haben mag, mit denen die jüngere Generation sich Gehör verschafft hat, ist anzunehmen. Aber hinsichtlich der Zuordnung der Generationen bewegt man sich ganz im Strom der Tradition. Letztlich wird das bis in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts weitgehend fraglos akzeptiert. Schleiermachers pädagogisch orientierte Sicht auf die Generationen und die von ihm gestellte Frage „Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?“ (Schleiermacher, 1966, S. 9) lässt sich klar beantworten: Sie will das von ihr als wahr erkannte an die nachfolgende Generation weitergeben, so dass auch sie es als wahr erkennt und so erwachsen, also zur älteren Generation werden kann.[2] Hier zeigt sich eine klare Hierarchisierung: Die ältere Generation nimmt die Rolle der Vermittelnden ein, die jüngere, die der Lernenden. Das gilt nicht nur, aber auch und erst recht in rebus religionis sowie für alle Orte, an denen gelernt wird, von der Familie (also dem Haus) über die Gemeinde bis zur Schule.

1.2 Intergenerationelles Lernen in einer sich verändernden Generationenzuordnung mit dem Versuch eines Perspektivenwechsels

Vor dem Hintergrund des eben Skizzierten verwundert es nicht, dass die erste ausdrückliche Thematisierung der Sache intergenerationellen Lernens mit der Erfahrung einhergeht, dass diese Zuordnung im Miteinander der Generationen nicht mehr fraglos funktioniert. Im Zusammenhang stand das mit der Ausbildung bisher so nicht gekannter Lebensphasen. Nicht zufällig ergaben sich zunächst in der Jugendphase deutliche Probleme in der herkömmlichen Zuordnung der Generationen. So war es denn auch die Jugendkammer der EKD, die genau das zum Thema machte und dabei auf die Notwendigkeit eines neuen Miteinanders im Gespräch der Generationen hinwies. Denn in den „Jugendprotesten“ der 1960er, 70er und 80er Jahre kamen nicht nur „unterschiedliche Grunderfahrungen der Generationen“ (Jugendkammer, 1985, S. 19) zum Vorschein, sondern zeigte sich auch „eine innere Distanz, teilweise sogar eine offene Ablehnung gegenüber allem Institutionellen“ (Jugendkammer, 1985 S. 20). Letztlich wurde hier der bisher geltende Grundkonsens aufgekündigt, dass die jüngere per se von der älteren Generation zu lernen hätte, indem sie deren Lebensweisheiten und -einstellungen übernimmt. Was bisher nur den Erwachsenen erlaubt war, sich von den Altvorderen abzusetzen, nahmen nun die Jugendlichen für sich in Anspruch, weil sie sahen, dass „ihre … gegenwärtige Lebenswelt radikal von der Zukunft her in Frage gestellt“ (Jugendkammer, 1985, S. 25) wurde. Die Antworten der Alten konnten angesichts der vor Augen stehenden Herausforderungen nicht mehr überzeugen. Oder genauer: Der Anspruch der Alten, eine Wahrheit zu besitzen, die auch für die nachfolgenden Generationen bedeutungsvoll sei, wurde kritisch hinterfragt.

Die Kirchengemeinden waren davon nicht ausgenommen. Auch hier zeigte sich eine tiefe Distanz zu den Jugendlichen. Die Kommunikation zwischen den Generationen in der Volkskirche galt als „gestört“ (Bäumler & Krusche, 1985, S. 85). „Sucht euch doch besser zu verstehen“ (Scarbath, 1985, S. 73), hieß deshalb die Devise. Dazu gehörten die „Anerkenntnis der Fremdheit“ (Scarbath, 1985, S. 74) ebenso wie das Bemühen „um einen Perspektivenwechsel“ (Scarbath, 1985, S.75).

Begrifflich wurde das mit der Kurzformel vom „Gespräch zwischen den Generationen in Kirche und Gesellschaft“ (Jugendkammer, 1985) gefasst. Im Miteinander der Generationen sollte es nicht lediglich darum gehen, die Anfragen der Jungen zuzulassen. Diese Erkenntnis war bereits in den 1960er Jahren gereift. Vielmehr wurde unter dem Stichwort eines „neuen Generationenvertrages“ die „Wechselseitigkeit des Generationenverhältnisses“ (Bäumler & Krusche, 1985, S. 85) in den Blick genommen. Nur Fragen zuzulassen und darauf zu antworten, griffe zu kurz. Vielmehr sollte darüber hinausgegangen werden, weil „auch Erwachsene von den Jungen lernen können, nicht nur umgekehrt.“ (Bäumler & Krusche, 1985, S. 85)

Was hier mit Blick auf die Jugendlichen formuliert wird, wurde später auf die Phase der Kindheit ausgedehnt. Das führte zu einer generationenübergreifenden Perspektive gemeindepädagogischer Zielbestimmung, ging es doch nicht um Belehrung, sondern um „Begleitung“ und „Begegnung“, also darum, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zu lernen (Doyé, 1989).

Besonders stark wurde das in der gemeindepädagogischen Diskussion in der DDR betont. Bereits seit Ende der 1960er Jahre wurde die Gesamtaufgabe gemeindepädagogischer Aktivitäten unter dem Leitbegriff „Begleiten“ gefasst. Wesentlich dafür war auch ein genuin theologisches Anliegen. So resultierte Götz Doyés Plädoyer für eine „konstitutive“ Berücksichtigung der „Begegnungssituation mit Kindern und Jugendlichen“ (Doyé, 1986, S. 152) aus einem bestimmten Verständnis des biblischen Imperativs „Geht hin“ (Mt 28,18-20). „In welcher Weise der Glaube uns hilft, die Welt zu verstehen, Lebenssituationen zu bestehen und mit der Gemeinde zu leben’“, so Doyé unter Bezug auf den Rahmenplan für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, „werden wir gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen zu lernen haben.“ (Doyé, 1986, S. 154) Eine solche Ausgangslage lässt Erziehungsvorstellungen und überhaupt explizit pädagogische Settings stärker in den Hintergrund treten, weil es kein festes Konzept gibt, in dem die jüngere von der älteren Generation unterwiesen werden könnte.

Das jedoch konnte nur geschehen, wenn deren Lebenswelten deutlich vor Augen standen. Dem folgend wurde Schritt für Schritt die Perspektive geweitet. Nach den Jugendlichen traten die Kinder als Gruppe mit eigenen Fragen, Aufgaben und Herausforderungen in das Blickfeld (Kirchenamt der EKD, 1995). Zudem entwickelte sich nach und nach ein neues Bewusstsein für die prägende Kraft der Familie und die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung der primären Sozialisationsinstanzen (Domsgen & Spenn, 2012). Insgesamt wuchs die Sensibilität für die Herausforderungen der verschiedenen Lebensphasen. „Selbst die Senioren sind nicht mehr die alten“ (Fürst, Wittrahm, Feeser-Lichterfeld & Kläden 2003), ließe sich in Anlehnung an einen Sammelband mit praktisch-theologischen Beitragen zur Kultur des Alterns programmatisch sagen. Dafür ist das Verständnis enorm gewachsen. Vergleichbares trifft auch auf die Differenzierung innerhalb der Jugendphase zu (Hurrelmann & Albrecht, 2014). Weniger stark im Fokus ist allerdings, wie mit diesen Differenzierungen umgegangen werden kann. Dafür könnten Impulse aus der Erwachsenenbildung hilfreich sein.

1.3 Intergenerationelles Lernen in einer aus der Balance geratenen Generationenzuordnung mit dem Versuch, den Dialog der Generationen zu fördern

Einen neuen Impuls erhielt das intergenerationelle Lernen durch eine von Julia Franz im Feld der Erwachsenenbildung vorgelegten Dissertation. Franz diagnostiziert ein „neue(s) gesellschaftliche(s) Problem einer aus der Balance geratenen Ordnung der Generationen“ (Franz, 2010, S. 9). Einerseits würden „Drei-Generationen-Familien durch die verlängerte Lebenserwartung zur Normalität“ (Franz, 2010, S. 14). Andererseits führe die Arbeitsmigration zur Multilokalität von Familie (Bertram, 2000), wodurch das „beiläufige Lernen der Generationen im alltäglichen Miteinander weniger selbstverständlich“ (Franz, 2010, S. 14) werde. Aus diesem „Problembewusstsein um den demografischen Wandel“ (Franz, 2010, S. 31) entstanden seit Beginn der 1990er Jahre eine Reihe von Projekten mit intergenerationeller Ausrichtung, die grundlegend didaktisch und methodisch reflektiert wurden (Franz, Frieters, Scheunpflug, Tolksdorf & Antz, 2009).

Letztlich geht es dabei darum, „die Generationen in Bildungseinrichtungen unter Perspektive des Lernens“ (Franz, 2010, S. 34) zusammenzuführen. Die Arbeit von Julia Franz bietet dafür wichtige Anregungen, die auch religionspädagogisch anregend sind. Vor allem die von ihr entworfene Matrix intergenerationellen Lernens vermag das Feld in seiner Komplexität gut zu kartographieren. Dazu setzt sie die intergenerationellen Lernmöglichkeiten des Von-, Mit- und Übereinander-Lernens in Beziehung zu den eingangs kurz benannten Generationenbegriffen, im Sinne eines genealogischen, pädagogischen und historisch-soziologischen Generationenbegriffes (Franz, 2014, S. 51). Auf diese Weise kann sie unterschiedliche Schwerpunkte beschreiben und gleichzeitig vor Augen führen, welche Potenziale im intergenerationellen Lernen liegen.

Voneinander-Lernen

Miteinander-Lernen

Übereinander-Lernen

Genealogischer Generationenbegriff

Pädagogischer Generationenbegriff

Historisch-soziologischer Generationenbegriff

Zu beachten ist dabei, dass intergenerationelles Lernen im Ineinander von impliziten und expliziten Lernprozessen vonstattengeht. Beides ist aufeinander zu beziehen, wobei von vornherein das Wissen um die Begrenztheit des in diesem Rahmen zu Initiierenden im Blick sein muss. Der Gedanke einer „Kompensationsfunktion“ (Franz, 2014, S. 22), der einigen Projekten intergenerationellen Lernens zugrunde liegt, steht in der Gefahr der Selbstüberschätzung. Einerseits lässt sich aufzeigen, dass keineswegs pauschal von einer Kluft zwischen den Generationen gesprochen werden kann. Andererseits kann man nur sehr begrenzt Lernprozesse in den Familien selbst anstoßen, weil sie als soziales System relativ autonom agieren. Zudem scheinen die Bedürfnislagen innerhalb der Generationen sehr unterschiedlich verteilt zu sein. Die Älteren haben grundsätzlich ein größeres Interesse an intergenerationellen Lernprozessen als die Jüngeren. Deshalb ist sehr genau nach möglichen intergenerationellen Aktionen zu suchen, um auf diese Weise komplementäre Lebens- und Entwicklungsphasen zu finden (Franz, 2010,S. 16). Ich werde dies am Beispiel der Großeltern-Enkel-Beziehung zu vertiefen versuchen.

2 Zum intergenerationellen Lernen in religionspädagogischer Perspektive

Bereits vorab ist festzuhalten, dass es eine elaborierte Theorie intergenerationellen Lernens in der Religionspädagogik derzeit nicht gibt. Die Thematik wird nirgends grundlegend entfaltet, taucht aber in unterschiedlichen Diskursen immer wieder auf.

2.1 Zu impliziten intergenerationellen Lernprozessen

Implizites intergenerationelles Lernen ist maßgeblich im familiären Feld verortet, kann aber nicht darauf beschränkt werden. Auch in traditionellen Lernformen wie dem Verhältnis zwischen Meister und Gesellen findet es statt. In modifizierter Form findet es sich auch im Lehrer-Schüler-, Trainer-Sportler- oder Pfarrer-Konfirmanden-Verhältnis. Intergenerationelles Lernen geschieht hier nicht in erster Linie explizit, sondern „stets beiläufig und bleibt unthematisiert“ (Franz, 2006, S. 2).

Dabei spielen familiäre Beziehungsmuster offensichtlich eine besondere Rolle (Franz 2010, S. 16). Das Profil der Interaktion in intergenerationellen Lernprozessen wird maßgeblich mit bestimmt von der eigenen familialen Sozialisation. Die hier eingeübten Muster und erworbenen Einstellungen bilden eine starke Vorstrukturierung für den Umgang mit späteren Lernimpulsen. Das gilt auch in Sachen Religion. Deshalb soll darauf im Folgenden auch der Schwerpunkt liegen.

Empirisch untersucht wird das unter dem Stichwort der intergenerationalen Transmission. Die wichtigsten Befunde sollen im Folgenden benannt werden. Die meisten der intergenerationell zu beobachtenden Effekte sind „nicht das Ergebnis gezielter Anstrengungen der älteren Generation, sondern die Folge der elterlichen Lebensform, ihres ‚Vor‘-Bildes, ihrer Art und Weise, das Leben zu gestalten und zu bewältigen.“ (Fend, 2009, S. 84)

Religiöse Einstellungen und Verhaltensweisen werden also zum großen Teil implizit erlernt. Als „besonders erfolgreich“ (Becker, Lois & Steinbach, 2014, S. 422) kann dabei die intergenerationale Transmission kirchlich-religiöser Orientierungen gelten. Empirisch ist ein „sehr hoher intergenerationaler Vererbungsgrad in Bezug auf religiöse Praktiken und Überzeugungen“ (Becker et al., 2014, S. 422) aufweisbar.

Zu beachten ist dabei jedoch, dass dies in hohem Maße kontextuell bestimmt ist. Transmissionsprozesse werden nicht nur innerfamilial bestimmt, sondern hängen auch mit einer gesamtgesellschaftlich-kulturellen Prägung zusammen, durch die entsprechende Inhalte und Praktiken angefordert werden. Fallen diese Prägungen weg oder relativieren sich zumindest, wie das momentan deutlich zu beobachten ist, fällt ein wichtiger Motivationsfaktor weg und sinkt die Wahrscheinlichkeit einer religiös geprägten kulturellen Alltagspraxis. Dies wiederum ist hoch bedeutsam, weil sich Stabilität in der Weitergabe religiöser Einstellungen und Verhaltensweisen nur dort findet, „wo Eltern artikuliert kirchen- und religionsnah sind und Religion eine kulturelle Selbstverständlichkeit ist“ (Fend, 2009, S. 101).

Grundsätzlich gilt, dass der intensivste Austausch zwischen den Generationen dort erfolgt, „wo die größten familiären Investitionen getätigt werden.“ (Fend, 2009, S. 100) Nur das, was für wichtig erachtet wird, kann in Transmissionsprozessen in seiner prägenden Kraft hervortreten. Dazu kommt, dass es sich dabei nie um eine passive Übertragung von Wissen und Verhalten auf jüngere Generationen handelt, sondern vielmehr deren aktive Aneignung, wozu auch eine Veränderung des Überlieferten gehört (Lüscher, 2005,S. 53–78; Schwab, 1995). Insgesamt ist eher von einer „Transmission zum Äquivalenten“ als von einer „Transmission zum Identischen“ (Berteaux & Berteaux-Wiame, 1991, S. 38) auszugehen, wobei in der Summe eine „außerordentliche Konstanz bei der Weitergabe der familialen Bezugsrahmen“ (Kraul & Radicke, 2012, S. 161) konstatiert werden kann (was im Kern auch für die religiösen Orientierungen gilt).

Eine große Rolle in diesen Prozessen spielen Verknüpfungen, beispielsweise von Religion und Bildung. Sie können als „Unterstützungspotenzial“ bezeichnet werden, mit dem die „familiale Habitusmetamorphose“ (Krah & Büchner, 2006, S. 137) über die Generationen hinweg gelingen kann. Insgesamt lässt sich dabei eher eine Generationenkontinuität als ein Generationenkonflikt beobachten. Eltern und Kinder verarbeiten die Erfahrungen, auch diejenigen mit Religion, gemeinsam. Je stärker der Austausch ist und je besser die emotionalen Bindungen sind, umso stärker ist die Gemeinsamkeit zwischen den Generationen (Fend, 2006, S. 95).[3]

Dabei spielen sowohl das Geschlecht der Eltern als auch das Geschlecht der Kinder eine Rolle für den Ausgang des Transmissionsprozesses. Mütter sind bei der Transmission religiöser Einstellungen und Verhaltensweisen besonders wichtig. Die Übernahme von religiösen Überzeugungen ist bei Töchtern stärker ausgeprägt als bei Söhnen (Klein, 2007, S. 70­–73). Wahrscheinlich resultiert beides aus einem bestimmten Rollenverständnis. Insofern wäre zu prüfen, ob sich bei einer anderen Rollenkonstellation auch andere Akzente ergeben.

Wichtig für erfolgreiche Transmissionsprozesse sind auch Synergieeffekte, die sich durch die Auswahl kulturell adäquater Institutionen (wie beispielsweise einer evangelischen Kita oder Schule) und den Aufenthalt in einem religiös geprägten sozialen Netzwerk (hier spielen auch die Großeltern eine wichtige Rolle) ergeben. Überhaupt wird die „soziale Vererbung“ (Becker et al., 2014, S. 420) von Religiosität durch eine hohe Qualität sowohl der Paar- als auch der Eltern-Kind-Beziehung gefördert. In der Kindheit spielt hier insbesondere ein gutes Familienklima innerhalb eines unterstützenden und zugewandten Erziehungsstils eine wichtige Rolle. Eine „enge, durch emotionale Nähe und häufige Kontakte geprägte, intergenerationale Beziehung“ macht „die nachhaltige Transmission religiöser Orientierungen wahrscheinlicher“ (Becker et al., 2014, S. 436).

Vergleichbares gilt übrigens auch für die Transmission nichtreligiöser Orientierungen. Insofern verwundert es nicht, dass dort, wo eine religiös geprägte kulturelle Alltagspraxis nicht anzutreffen und eine elterliche Religiosität für Kinder nicht erkennbar ist, sich auch im Erwachsenenalter der Kinder kaum Spuren einer auf Konturierung hin ausgerichteten Religiosität finden.[4] Zwar können dann in der sogenannten Zielfamilie neue Impulse in dieser Richtung gegeben werden, indem beispielsweise die Kinder entsprechende Fragen eintragen, doch ist festzuhalten, dass hinsichtlich der Profilierung von Religiosität „der Einfluss der Sozialisation im Elternhaus augenscheinlich deutlich stärker als spätere Partnereinflüsse“ (Becker et al., 2014, S. 438­–439) ist.

Dazu kommt, dass die Neigung zu religiöser Anpassung durch Konvertierung im Laufe der Zeit zurückgegangen ist (Lois, 2013, S. 54). Es gibt heute keinen gesellschaftlichen Druck mehr, religiöse Positionen in einer Partnerschaft zu vereinheitlichen. Letztlich findet hier ein „generationelle(r) Wandel“ statt. „In jeder nachwachsenden Generation finden sich in geringer Stärke Kirchenmitglieder und in größerer Zahl Konfessionslose.“ (Pickel, 2013, S. 16) Um dennoch einvernehmlich Kinder erziehen zu können, unterbleibt in den meisten Fällen eine explizit religiöse Erziehung im Sinne einer Einweisung in eine als richtig erachtete Form von Religion. Bestenfalls kommt es zur Ermöglichung einer hinweisenden Erziehung im Sinne der Partizipation an schulischen oder kirchlichen Bildungsangeboten. Allerdings haben die dort gegebenen Impulse dann einen schweren Stand, weil sie sich im Kontext einer faktischen Abwesenheit von Religion innerhalb des familialen Nahbereichs zu bewähren haben. Zugleich bedeutet der Bruch der Tradierung der Kirchenbindung nicht automatisch ein Buch mit der Tradierung des Religiösen im Sinne einer „Kraftquelle und Lebenshilfe“ (Klein, 2007, S. 77). Bei aller Distanz gegenüber der Institution Kirche kann dann die Weitergabe von Religiosität als bedeutsam angesehen werden (Schwab, 1995, S. 280) und auch dann als erfolgreich verstanden werden, wenn ein Bruch mit der Kirche erfolgt.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Religiöse Bildung ist nicht voraussetzungslos, sondern wird maßgeblich durch intergenerationelle Lernprozesse innerhalb der primären Sozialisationsinstanz Familie vorstrukturiert. Deren Bedeutung ist ungebrochen hoch. Niemand wird nicht sozialisiert. Die vorherigen Generationen hinterlassen immer ihre Spuren.[5] Richtig ist, dass explizit religiöse Erziehung tendenziell in den Familien abnimmt. Das heißt aber nicht, dass Familie als religiöser Lernort bedeutungslos würde. Vielmehr kommt es zu anderen Prägungen. Was sich in der Familie auf der Ebene impliziten Lernens aufzeigen lässt, gilt auch für andere Lernarrangements. Auch im Religions- und Konfirmandenunterricht spielt die Beziehungsebene eine maßgebliche Rolle und auf diese Weise werden Einstellungen geprägt und Inhalte in einer bestimmten Richtung gewichtet. Empirisch ist das allerdings bisher kaum erforscht worden.

2.2 Zu expliziten intergenerationellen Lernprozessen

Religionspädagogisch wird die Sache intergenerationellen Lernens in verschiedenen Feldern thematisiert und initiiert, ohne dass dabei ausdrücklich auf diesen Begriff rekurriert werden würde. Bisher fehlt auch eine explizite religionsdidaktische Theorie, die klare Kriterien und Zielformulierungen dafür formuliert, um „verschiedene Generationen über Bildungsangebote in Austauschprozesse“ zu bringen, so dass sie „gemeinsam lernen“ (Franz, 2014, S. 13).

Schaut man auf die Praxis, lässt sich – vor allem im gemeindepädagogischen Feld – ein deutliches Bemühen erkennen, Handlungsfelder miteinander zu vernetzen. Auf diese Weise geraten auch intergenerationelle Potenziale in den Blick, ohne dass das dann auch ausdrücklich thematisiert werden würde. Deutlich kommt das beispielsweise in der Konfirmandenarbeit zum Vorschein. Die Bemühungen um eine Konfirmandenelternarbeit seit den 1980er Jahren hatten einerseits eine didaktische Ausrichtung – die Konfirmandenarbeit sollte durch die Mitarbeit und Mitverantwortung von Eltern lebendiger gestaltet werden – und zielten andererseits auf einen erwachsenbildnerischen Aspekt, insofern die Eltern Möglichkeiten zum Gespräch, zur Beratung sowie zu neuen Erfahrungen für ihr Glaubensleben erhalten sollten (Strunk, 1985, S.247; Henning, 1982). Zum einen sollten also die Jugendlichen und zum anderen deren Eltern profitieren. Allerdings machte sich bald eine gewisse Ernüchterung breit. In der Praxis vor Ort wurden Eltern eher als Störfaktor denn als Unterstützung wahrgenommen. Konfirmandenelternarbeit wurde zur Chiffre für ein Aufgabenfeld, das sehr wichtig ist und sich zweifelsohne lohnt, das allerdings die meisten zu überfordern scheint (Domsgen, 2018, S. 340).

Deutlich ermutigendere Erfahrungen wurden im Rahmen des Hoyaer Modells gesammelt. Ursprünglich in einer konkreten Problemsituation entstanden – der Religionsunterricht in Hoya konnte nur sporadisch erteilt werden – stellte sich der auf die Klassenstufen 3 und 4 (deswegen „KU3“ und „KU4“) vorgezogene Vorkonfirmandenunterricht unter Einbeziehung der Eltern als sehr gewinnbringend für alle Beteiligten heraus (Meyer-Blanck & Kuhl, 1994). Offensichtlich erwies sich – sowohl entwicklungspsychologisch wie lebensgeschichtlich – die Interaktion dieser beiden Generationen als äußerst passend (Grethlein, 1993, S.>109). Zumindest wurden durchweg positive Erfahrungen berichtet. Alle Beteiligten zeigten „sich überzeugt, dass solche Angebote für die Kinder, aber auch für deren Eltern, für die Pfarrerinnen und Pfarrer sowie für die Gemeinden attraktiv sind.“ (Schweitzer, Maaß, Lißmann, Hardecker & Ilg, 2015, S. 249)

Vergleichbar positive Erfahrungen wurden auch in der Neuausrichtung des Kindergottesdienstes bzw. der sog. Kirche mit Kindern gesammelt. Unter dem Stichwort der Familienkirche (Maschwitz & Evang, 2008) wird bewusst der Blick – über das einzelne Kind hinaus auf sein familiales Nahumfeld – geweitet und ein gemeinsames Agieren, vorwiegend im Sinne des Mit- und Voneinander-Lernens angestrebt. Eine Weiterentwicklung stellen Projekte zur Generationenkirche dar, die bewusst auch die Großelterngeneration mit einbezieht und neben dem Von- und Miteinander auch das Übereinander des intergenerationellen Lernens stark macht (Familien- und Generationenkirche, 2010).[6] Auf diese Weise können viele Impulse, die beispielsweise im Feld der kirchlichen Altenbildung gegeben wurden (Mulia, 2011), in neuer Weise fruchtbar gemacht werden.

Eine Reihe von Impulsen wurde auch im Elementarbereich gegeben. Hier zeigt sich die Notwendigkeit zur Vernetzung von Kita und Familie besonders deutlich (Domsgen, 2015). Allerdings spielen Aspekte expliziten intergenerationellen Lernens keine zentrale Rolle. Vielmehr geht es um extensionale Angebote, die Situationen mit Erziehungspotenzial schaffen wollen, um so Lernprozesse zwischen den Generationen wahrscheinlich zu machen, ohne sie allerdings im Einzelnen steuern zu wollen.

Auch im schulischen Bereich gibt es Bemühungen, den Blick über die einzelnen Schülerinnen und Schüler hinaus zu weiten. Es waren nicht zuletzt die PISA-Studien, die deutlich auf den Zusammenhang zwischen erreichten Kompetenzen und sozialer Herkunft verwiesen. Allerdings wird hier über eine Problembeschreibung nur wenig hinausgegangen. Zwar gilt die Elternperspektive als unverzichtbarer didaktischer Bezugspunkt (Domsgen, 2017,S.225­–228), allerdings gibt es bisher nur wenige Überlegungen zu einer religionspädagogischen Elternarbeit im schulischen Kontext. Erste Impulse dazu hat Sieglinde Spuller gegeben (Spuller, 2016), wobei sie deutlich zeigen kann, wie komplex diese Aufgabe ist und welcher Anstrengungen es bedarf, sie umzusetzen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass intergenerationelles Lernen in seiner expliziten Ausprägung durchaus als wichtige Dimension religiöser Bildung gelten kann. Sie ergibt sich jedoch in der Regel nicht von selbst. Zudem scheint sie in bestimmten Lebensphasen leichter anzuregen zu sein als in anderen. Das lässt abschließend nach den Chancen und Grenzen fragen, die sich hier ergeben.

3 Zu Chancen und Grenzen in der Ermöglichung intergenerationeller Lernprozesse

Wie der historische Rückblick zeigte, war es lange Zeit die Regel, dass die ältere Generation ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die jüngere weitergab, damit diese von dem darin angehäuften Erfahrungsschatz profitieren konnte. „Damit verbunden war die Perspektive auf stetiges Wohlstandswachstum und bessere individuelle Entfaltungsmöglichkeiten.“ (Scheunpflug & Franz, 2012, S. 30) Etwas salopp ausgedrückt könnte man sagen: Solange beide Seiten davon profitierten, indem es zu einer Weiterentwicklung kam, funktionierte auch diese Art der Generationenzuordnung und das daraus resultierende Profil intergenerationellen Lernens. „Heute ist aufgrund von rasanten Modernisierungs- und Globalisierungsprozessen erstmals die Situation gegeben, dass ältere Generationen nicht hauptsächlich mehr Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Wohlstand für die jüngere hinterlassen, sondern auch zahlreiche (Umwelt-)Risiken, Unsicherheiten und Bedrohungspotenziale.“ (Scheunpflug & Franz, 2012, S. 30­–31) Nicht zuletzt daraus resultiert, dass die jüngere Generation geradezu gezwungen ist, das Überlieferte kritisch zu beleuchten und auf seine Gegenwarts- und Zukunftsfähigkeit hin abzuklopfen.

Religion ist davon nicht ausgenommen. Das zeigt der Blick auf die familialen Transmissionsprozesse in aller Deutlichkeit. Die jüngere Generation übernimmt nicht einfach nur das Vorgegebene, sondern modifiziert es, passt es an und gibt dadurch wiederum Impulse an die ältere Generation. Besonders deutlich wird das in der Gestaltung von Ritualen. Das Weihnachtsfest beispielsweise verdankt seine „Flexibilität und Lebendigkeit zum grossen Teil der Kreativität, dem Erfindergeist, der Forschungs- und Kontaktfreude der Kinder“ (Baumann, 2010, S. 160). „Oft sind es die Kinder, deren religiöse Kompetenz die Eltern herausfordert, das Leben neu zu erkunden und ungewohnte Zugänge zur eigenen Spiritualität zu entdecken.“ (Hauri & Morgenthaler, 2010, S. 136). In der Interaktion der Generationen liegt also auch in religionspädagogischer Perspektive ein großes Potenzial. Um es zu heben, braucht es einerseits einen klareren Blick auf die intergenerationellen Lernprozesse, die vornehmlich in den Familien, aber auch darüber hinaus stattfinden. Hier gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die dieses Desiderat nach und nach in Angriff nehmen, allerdings ohne es in Gänze bearbeiten zu können.[7] Bisher weitgehend ausgeblendet bleiben dabei jedoch mediale Kommunikationen zwischen den Generationen. Dem wird zukünftig deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen.

Sehr deutlich tritt allerdings schon jetzt vor Augen, dass die Kontinuität der in der Adoleszenz aufgebauten Grundorientierungen „verblüffend groß“ (Fend, 2009, S. 101) ist. Über diese „Stabilität hinterlässt das Elternhaus intergenerationale Spuren“ (Fend, 2009, S. 101). Die Befunde sind hier so eindeutig, dass der Familie – bei aller Nicht-Instrumentalisierbarkeit – religionspädagogisch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Das kann auch durch explizit arrangierte intergenerationelle Lernprozesse geschehen, ist aber nicht darauf beschränkt.

Das intergenerationelle Lernen ist eine bedeutsame Dimension religiöser Bildung neben anderen wichtigen Dimensionen (wie beispielsweise der in 1.3 angesprochenen Biographieorientierung und der Lebensbegleitung). Bei der Initiierung expliziter intergenerationeller Lernprozesse muss sehr genau darauf geachtet werden, dass die Entwicklungsaufgaben der jeweiligen Lebensphasen miteinander ins Verhältnis gesetzt werden können. Je besser hier die Passförmigkeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit gelingender Bildungsprozesse. Ein wichtiges Aufgabenfeld intergenerationellen Lernens liegt in der Großeltern-Enkel-Beziehung. Das Bedürfnis der Älteren, „Lebenserfahrungen weiterzugeben“ korreliert hier beispielsweise mit dem Bedürfnis von Jugendlichen, „Informationen über sich und die Welt zu sammeln und in die eigene Identität zu integrieren“ (Franz, 2010, S. 16). Dazu kommt, dass die Großelternrolle im historischen Vergleich sehr jung und damit auch noch nicht festgelegt ist. Großeltern sind deshalb nicht selten auf der Suche danach, wie sie diese Rolle für sich selbst sinnvoll und gleichzeitig gewinnbringend für ihre Enkel ausfüllen können (Domsgen, 2009). Hier ergäbe sich in religionspädagogischer Perspektive ein wichtiges Aufgabenfeld.

Bei aller Betonung intergenerationeller Lernprozesse ist jedoch vom Grundsatz her Christoph Bizer Recht zu geben, wenn er ausführt, dass es „keine vorgängige familiale Sozialisation“ brauche, um „Religion zu finden“ (Bizer, 1988, S. 84). Es handelt sich also beim intergenerationellen Lernen nicht um eine conditio sine qua non.

Allerdings hatte die Transmission im Rahmen der Familie über eine lange Zeit hinweg für eine mehr oder weniger zuverlässige religiöse Grundorientierung gesorgt, auch wenn Theologen und Pädagogen über die Jahrhunderte hinweg viel daran zu kritisieren und auszusetzen hatten. Dass diese familial tradierte grundlegende Offenheit oder doch zumindest unaufgeregte Gewöhnung an religiöse Themen und Praktiken nun nicht mehr einfach vorausgesetzt werden kann, irritiert.

Wenn jetzt intergenerationelle Lernprozesse religionspädagogisch reflektiert und initiiert werden, kann es nicht einfach um kompensatorische Impulse gehen. Vielmehr ist einerseits intensiv danach zu suchen, „ob mit der Lockerung des sozialisatorischen Korsetts nicht auch Chancen gegeben sind“ (Fraas, 1999, S. 50), die zu würdigen sind. Andererseits tritt nun deutlich vor Augen, dass eine religiöse Entwicklung nicht einfach nur geschieht, sondern immer auch anregende Impulse braucht, die irritierend, aber auch unterstützend sind für die Menschwerdung „unter Inanspruchnahme des Christlichen“ (Schröder, 2014, S. 157) insgesamt. Dieses Potenzial tragen intergenerationelle Lernprozesse zweifelsohne in sich. Deshalb sind sie gesondert in den Blick zu nehmen und (auch) didaktisch anzuregen. Wenn Entwicklungsphasen mit ihren je eigenen Aufgaben „komplementär“ (Franz, 2010, S. 16) aufeinander bezogen werden können, indem Menschen verschiedener Generationen aufeinander zugehen und auf diese Weise mit-, von- und übereinander lernen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die dabei gegebenen Impulse Resonanzen auslösen, anders formuliert, dass sie bildend wirken. Menschen „suchen Resonanz“ (Rosa & Enders, 2016, S. 31). Eine Aufgabe der Religionspädagogik besteht darin, dieses Suchen ernst- und aufzunehmen und Lernprozesse so zu gestalten, dass sie die Lernenden in ihrem Menschwerden unterstützen. Was also unverzichtbar ist – und zwar für intergenerationelle wie alle anderen Aspekte religiöser Bildung auch – ist eine Verständigung über Zielrichtung und Profil der anzustoßenden Prozesse.[8]

Literaturverzeichnis

Antz, E.-M., Franz, J., Frieters, N. & Scheunpflug, A., (2009). Generationen lernen gemeinsam. Methoden für die intergenerationelle Bildungsarbeit. Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

Baumann, M. (2010). Weihnachtsfeier. Kindheitskultur des kreativen Konformismus. In C. Morgenthaler & R. Hauri (Hrsg.), Rituale im Familienleben. Inhalte, Formen und Funktionen im Verhältnis der Generationen (S. 137–­160). Weinheim, München: Juventa Verlag.

Bäumler, C. & Krusche P. (1985). Zum Generationenvertrag in der Kirche. In M. Affolderbach & H.-U. Kirchhoff (Hrsg.), Miteinander leben lernen. Zum Gespräch der Generationen in der christlichen Gemeinde (S. 83­–89). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Becker, O. A., Lois, D. & Steinbach, A. (2014). Kontexteffekte in Familien – Angleichung von Paaren und intergenerationale Transmission am Beispiel Religiosität. KZfSS, 66(4), S. 417­–444.

Berteaux, D. & Berteaux-Wiame, I. (1991). „Was du ererbt von deinen Vätern ...“. Transmissionen und soziale Mobilität für fünf Generationen. BIOS,4(1), S. 13–­40.

Bertram, H. (2000). Die verborgenen familiären Beziehungen in Deutschland. Die multilokale Mehrgenerationenfamilie. In M. Kohli & M. Szydlik (Hrsg.), Generationen in Familie und Gesellschaft (S. 97–­121). Opladen: Leske und Budrich.

Bizer, C. (1988), Liturgik und Didaktik. JRP 5, S. 83­–111.

Bucher, G. & Domsgen, M. (2016). Empowerment in religionspädagogischer Perspektive –  Überlegungen zu einem Konzept mit theologischem und pädagogischem Potenzial vor dem Hintergrund gegenwärtiger Herausforderungen. ZThK, 113(4), S. 407–­439.

Cottier, D. & Zogg Hohn, L. (2010). Netzwerk Familien- und Generationenkirche. URL: http://m.refbejuso.ch/fileadmin/user_upload/Downloads/Katechetik/KA_Publikationen__Modelle/KA_Pub_Modell_familien_Generationenkirche.pdf [Zugriff 06.09.2018]

Domsgen, M. (2006). Familie und Religion. Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Domsgen, M. (2009). Generation: Familie und Lebenserwartungen. In T. Klie, M. Kumlehn & R. Kunz (Hrsg.), Praktische Theologie des Alterns (S. 257–­281). Berlin, New York: Walter de Gruyter Verlag.

Domsgen, M. & Lütze, F. M. (2010). Schülerperspektiven zum Religionsunterricht. Eine empirische Untersuchung in Sachsen-Anhalt. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Domsgen, M. & Spenn, M. (Hrsg.) (2012). Kirche und Familie. Perspektiven für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Domsgen, M. (2014). Religiöse Bildung in der Familie. In P. Schreiner & F. Schweitzer (Hrsg.), Religiöse Bildung erforschen. Empirische Befunde und Perspektiven (S. 53–­65). Münster, New York: Waxmann Verlag.

Domsgen, M. (2015). Kita und Familie. Chancen und Grenzen einer familienorientierten religionspädagogischen Arbeit. PTh, 104(2), S. 87–92.

Domsgen, M. (2016). Kirche auf dem Prüfstand. Perspektiven von Konfirmandinnen und Konfirmanden sowie deren Familien in Ost und West. In M. Domsgen. & E. Handke (Hrsg.), Lebensübergänge begleiten. Was sich von religiösen Jugendfeiern lernen lässt (S. 122­–139). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

Domsgen, M. (2017). Religiöse Bildung und Elternarbeit im schulischen Kontext. ZPT,69(3), S. 219–­230.

Domsgen, M. (2018). Konfi-Arbeit und Familie: Von der Konfi-Elternarbeit zur Familienorientierung. In T. Ebinger, T. Böhme, M. Hempel, H. Kolb & A. Plagentz (Hrsg.), Handbuch Konfi-Arbeit (S. 338–­­345). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Domsgen, M. (2019). Religionspädagogik (Lehrwerk Evangelische Theologie 8). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.

 

Dr. Michael Domsgen, Professor für Evangelische Religionspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

  1. Sehr deutlich kommt das beispielsweise bei Alkuin (gest. 804) zum Ausdruck. Im Mittelpunkt des von ihm formulierten Bildungsideals stand der Begriff des erudire (= aufklären, unterrichten, lehren, ausbilden), also die Erziehungs- und Bildungsaufgabe der seniores, der die Pflicht zum „discere“ (lernen) bei den pueri bzw. iuniores entspricht. Dabei geht es nicht um die „bloße Weitergabe von Wissen“, sondern um die „Einweisung in die christliche, in der Liebe gegründete Lebensform“ (Paul, 1993, S. 24), die maßgeblich durch gute Beispiele geschieht.

  2. Schleiermacher selbst ging dabei nicht von einer bloßen Übernahme des Überlieferten aus. Vielmehr soll auf dem Bestehenden, das sich in der Vergangenheit bewährt hat, aufgebaut und so die Erwartung auf eine bessere Zukunft einbezogen werden.

  3. Mit Blick auf die politischen Einstellungen, wobei es zwischen der politischen und religiösen Transmission ähnliche Merkmale gibt.

  4. Wie hier durch eine sensible religionspädagogische Arbeit Impulse zur religiösen Entwicklung gegeben werden können, lässt sich aus der Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen, ersehen (Szagun, 2006).<insofern></insofern>

  5. Eine Zusammenstellung von Projekten aus der Deutschschweiz findet sich unter: www.generationenwelten.ch/site/de/home2.php (Zugriff: 06.09.2018).

  6. Zu empirischen Perspektiven: z.B. Domsgen, 2014; Kleint, 2014; zu den Grundlagen einer religionspädagogischen Theorie der Familie: Domsgen, 2016.

  7. Erste Überlegungen dazu in Aufnahme von Impulsen aus den Diskursen um Empowerment finden sich bei Domsgen, 2016 und Bucher & Domsgen, 2016. Ausführlicher entfaltet wird es in einem Lehrbuch, das 2019 erscheinen wird (Domsgen, 2019).