Drei Beiträge befassten sich mit dem Verhältnis von Weimarer Verfassung und Religionsunterricht. Hein Retter (Braunschweig) referierte in seinem Vortrag zum Thema „Reichsverfassung, Demokratie und Religionsunterricht in der Weimarer Republik. Rezeptionsgeschichtliche Anmerkungen“. Dabei stellte er unterschiedliche methodologische Zugänge in den Fokus: Während sich das historische Verstehen einerseits auf den spezifischen Kontext richten kann, ist es ebenso möglich, gerade die neuere (Zeit-)Geschichte aus einer spezifisch urteilenden Fortschrittsperspektive heraus zu untersuchen. Diese Ansätze spiegelte er auf den Komplex von Schule und Religionsunterricht in der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Während die gesellschaftlich einflussreichen Parteien ihre Interessen im Gebrauch spezifischer Begriffe wie Volk, Volksstaat, Gemeinschaft, Volksgemeinschaft, konfessionelle und weltliche Schule artikulierten und deren Untersuchung zumeist den historisch-kontextuellen Typ bedient, werden schul- und religionspolitische einflussreiche Begriffe wie Religion, Bildung, Lehrerbildung und Religionsunterricht aktuell aus der Sicht sozialistischer Schulreformkonzeptionen betrachtet und bedienen dabei einen zweiten Typ, der zu moralischer (Vor-)Urteilsbildung neigt.
Andreas Kubik (Osnabrück) äußerte sich unter dem Titel „Zu einer Neubewertung der sozialdemokratischer Argumente in Sachen Religionsunterricht im Umkreis der Weimarer Verfassung“ zu Grundfragen sozialdemokratischen Engagements für und gegen den Religionsunterricht. Dabei befasste er sich mit der „Kirchenfeindlichkeit“ der SPD vor 1919 sowie insbesondere mit der Frage, aus welchem Grund die SPD dem gegen ihre eigenen Interessen gerichteten Weimarer Schulkompromiss (§§ 146.2, 149) zustimmen konnte: die Kirchen waren zwar politische Gegner, wurden aber im öffentlichen Diskurs seitens der SPD, die im Übrigen eine liberale Schulpolitik verfolgte, nicht thematisiert.
Michael Dreyer (Jena), befasste sich in seinem öffentlichen Abendvortrag mit dem Thema „Kirche, Konstitution, Kompromiss. Zur Religionsdebatte in der Weimarer Nationalversammlung“. Dabei ging er von dem Befund aus, dass die Weimarer Republik zwar die erste säkulare Staatsform in Deutschland darstellt. Die 1918 ursprünglich intendierte Trennung von Staat und Kirche sei aber nicht in allen Bereichen vollzogen worden – mit durchaus einschneidenden Konsequenzen. Die später sogenannte „Hinkende Trennung von Kirche und Staat“ (Stutz) äußere sich u.a. in den an ein (im Übrigen bis zum Ende der Republik nicht zustande gekommenes) Reichsschulgesetz gebundenen Bestimmungen zu öffentlicher Schule und Religionsunterricht. In den am 15.7. bzw. 30.7.1919 erfolgten Kompromissen habe man sich auf Grundrechte bezogen, die Hugo Preuß als führender Staatsrechtler unter Hinweis auf eine mögliche „Diktatur der Parteien“ ursprünglich abgelehnt hatte. Insofern erwiesen sich die Debatten um den Weimarer Schulkompromiss als ein zentrales Beispiel für die in der WRV angelegte Spannung in Religionsfragen.
Die Perspektive der Medien brachten die Vorträge von Werner Simon und Viktoria Gräbe ins Gespräch.
Werner Simon (Mainz) thematisierte „Diskussionen über die Zukunft des schulischen Religionsunterrichts in katholischen katechetischen und pädagogischen Zeitschriften der Jahre 1918 bis 1920“. Unter Rückgriff auf Artikel 149 der WRV erläuterte er die spezifische Differenz von Leitung (Kirche) und Aufsicht (Staat). Ins Zentrum seiner Überlegungen stellte er Überlegungen einzelner Autoren aus katechetischen sowie pädagogischen Zeitschriften des deutschsprachigen katholischen Diskursraums. Vor diesem Hintergrund arbeitete er den Umgang mit Fragen religiöser Erziehung heraus, die sowohl als sittliches Erziehungsziel als auch als Aufgabe der Charakterbildung z.T. kontrovers diskutiert wurden.
Viktoria Gräbe (Berlin) stellte in ihrem Referat zum Thema „Neue Bildungsmedien für eine neue Zeit? Eine historisch-kritische Analyse von Unterrichtsbüchern für den Lebenskunde- und Religionsunterricht in der Weimarer Republik“ das Fach Lebenskunde ins Zentrum. Dabei ging sie von der Frage aus, welche Demokratisierungs- und Bildungspotentiale in den für das in der Weimarer Republik neu eingeführte Fach Lebenskunde zugelassenen Schulbüchern erkennbar sind. Im Hintergrund ihrer Überlegungen stand die Beobachtung eines bereits im Kaiserreich einsetzenden Säkularisierungsprozesses, dessen Folgen für potentielle Demokratisierungsprozesse aufgezeigt werden konnten.
Die religiöse Bildung im 18. und 19. Jahrhundert wurde von Richard Janus und Manfred Heinemann in den Fokus gerückt.
Richard Janus (Paderborn) setzte sich in „Populäre Theologie als Religionspädagogik bei August Hermann Niemeyer (1754–1828)“ mit dessen populärer Theologie auseinander. Dabei stellte er sattelzeitliche Bemühungen zur Überwindung der Transformationskrise des Christentums vor. Die Orientierung an den Lernenden ebenso wie die Würdigung der Alltagskultur begünstigten einen Perspektivenwechsel, der erst von Schleiermacher in andere Bahnen gelenkt wurde.
Manfred Heinemann (Hannover) befasst sich mit Heinrich von Mühler (1813–1874), dessen Schulpolitik er vor dem Hintergrund reichen Archivmaterials entfaltete.
Mit religiöser Bildung im Kontext der (Post-)Säkularität beschäftigen sich Matthias Roser und Amandine Barb.
Matthias Roser (Dortmund) öffnete mit seinem Vortrag „Schulischer Religionsunterricht in alleiniger Verantwortung der Evangelischen Kirche: Der ‚Berliner Weg‘ des Religionsunterrichts 1948–1989“ den Blick für spezifische Formen der Demokratiekritik, der sich die Einführung eines Religionsunterrichts in kirchlicher Trägerschaft verdanke. Eine entsprechende, durch spezifische Rezeption barthianischer Theologie begründete Kritik habe sich konkret in der Gründung paralleler kirchlicher Aus- und Fortbildungseinrichtungen, der Implementierung von politischerseits teilweise inkriminierten Rahmenplänen, der Entwicklung einer demokratiekritischen Fachdidaktik sowie einer fachtheologisch begründeten Orientierung des Religionsunterrichts geäußert. Der Vortrag sensibilisierte für den Berliner Weg eines kirchlich verantworteten, demokratiekritischen Religionsunterrichts.
Amadine Barb (Berlin) weitete in ihrer Präsentation „Religious Education and Democratic Citizenship in a Post-Secular Society: The Case of the United States“ den Rahmen auf die spezifische Form religiöser Erziehung in den Vereinigten Staaten aus. Obwohl die Vereinigten Staaten seit spätestens 1940 als streng säkularisiert gelten, gibt es seit den 1980er Jahren im schulischen Kontext eine zunehmende Sensibilität für Fragen der Religion. Das Erscheinen von Religion in Schulbüchern des Geschichts- und Sozialkundeunterrichts interpretierte sie vor dem Hintergrund der Habermasschen Überlegungen zum postmodernen Bewusstsein.
Regionale Perspektiven thematisierten Martin Jemelka und Gregor Reimann.
Martin Jemelka (Prag) berichtete in „Religionsunterricht quer durch Klassen und Ethnien in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit am Beispiel des Ostrauer Industriegebietes“ aus seinem Projekt „Religiöses Leben der Industriearbeiterschaft: Institutionen, Religiosität, soziale Frage (1918–1938)“. Dabei stand der Religionsunterricht an tschechoslowakischen Schulen der Zwischenkriegszeit im Vordergrund. Er untersuchte exemplarisch für die Industrieregion Ostrava die katechetische Praxis, das Verhalten von Akteuren sowie seine kontextuellen Bedingungen in den 1920er und 1930er Jahren. Besaß die Region einen hohen Anteil konfessionsloser Kinder, so wäre dies mit auf Auseinandersetzungen um freie Schule und Laienmoral erklärbar. Schulchroniken, Visitationsprotokolle, aber auch staatliches und kirchliches Archivmaterial ergeben ein anderes Bild: von einem mangelnden Interesse der konfessionslosen Eltern kann nicht gesprochen werden.
Gregor Reimann (Jena) befasste sich unter dem Titel „Die Auseinandersetzungen um den evangelischen Religionsunterricht und die Schulfrage im Land Thüringen nach dem Ersten Weltkrieg“ mit dem Verhältnis zwischen evangelischer Kirche und politischen Parteien. Hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine Mehrheit von USPD und SPD die evangelische Kirche in Aufruhr versetzt, so wurden die religionspolitischen Maßnahmen der ersten Thüringer Landesregierung (SPD, DDP, USPD) als explizit kirchenfeindlich rezipiert. In den Diskussionen um Schulform und Stellung des Religionsunterrichts spielte der Heimatbegriff eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Transnationale Perspektiven kamen in den Vorträgen von David Käbisch, Laura Weidlich und Antje Roggenkamp zur Sprache.
David Käbisch (Frankfurt am Main) eröffnete die Jahrestagung mit Überlegungen zu „Is Religious Education compatible with Democracy? Transatlantische Wahrnehmungs- und Transferprozesse nach den beiden Weltkriegen“. Während er sich in einem ersten Teil mit den Schwierigkeiten und vor allem Grenzen eines transnationalen Vergleichs von religionspädagogischen Beziehungen dies- und jenseits des Atlantiks auseinandersetzte, fokussierte er in einem zweiten Teil Fallbeispiele, die einem deutsch-amerikanischen Kulturaustausch zuarbeiten: William E. McManus stand ebenso in einer spezifischen Beziehung transatlantischen Wissenstransfer zum Münchner Katechetenverein wie Hermann Werdermann und Oskar Hammelsbeck durch Studienreisen in die USA entsprechende Prägungen erhielten. Johann Michael Reu und Paul Tillich gelten in dieser Perspektive als Beispiele freiwilliger bzw. erzwungener Migration.
Laura Weidlich (Frankfurt am Main) referierte in „Das Ausland als Argument?! Frankreichbezüge im (religions-) pädagogischen Zeitschriftendiskurs um die Neugestaltung des Religionsunterrichts nach dem Ersten Weltkrieg“. Sie bezog Fragen nach dem Ausland als Argument bzw. Gegenargument (Zymek / Waldow) auf die Beobachtung einer Annäherung deutscher und französischer Positionen zum Religionsunterricht bzw. den faits religieux. Dies erstaune insofern, als beide Nationen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts unterschiedliche Wege gehen. Erklärungen für dieses Phänomen liegen in religionspädagogischen Texten der Zwischenkriegszeit vor.
Antje Roggenkamp (Münster) befasste sich in ihrem Vortrag „Debatten um Laizität und Religionsfreiheit im transnationalen Setting von Dritter und Weimarer Republik“ ebenfalls mit dem deutsch-französischen Verhältnis. Im Fokus stand die Frage nach einer wechselseitigen Wahrnehmung von Laizität und den verschiedenen Formen von Religionsfreiheit. Am Beispiel des französischen bzw. deutschen Schul- und Unterrichtswesens wurden die Beziehungen zwischen Dritter Republik und Kaiserreich bzw. Weimarer Republik untersucht. Wirkten die Maßnahmen zur Laizisierung von Unterricht (1882) und Personal (1886) katalysatorisch auf die deutsche (Schul-)Öffentlichkeit, so lässt sich mit dem Modell der negativen bzw. positiven Religionsfreiheit die Ausbildung unterschiedlicher Strukturen von Laizität, einer substantial-moralphilosophischen sowie einer prozedural-ordnungsbildenden, erklären. Spezifika des französischen wie auch des deutschen Schulsystems, die Unterschiede zwischen freien, privaten und öffentlichen Schulen, können konkreter in den Blick genommen werden.
Die einzelnen Beiträge, die den Einfluss von Religion auf Demokratisierungsprozesse, aber auch deren gesellschaftliche Auswirkungen in den Fokus stellten, zeigt die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und einem sich verstetigenden Umgang mit Religion auf. Auffällig ist die zentrale Stellung, die aus historischer, soziologischer, politischer und religionspädagogischer Sicht den Schulkompromissen für die Frage nach der Demokratisierung des Schulsystems bis in die Gegenwart hinein eingeräumt wird. Die Beiträge erscheinen in der Reihe „Studien zur religiösen Bildungsforschung“.
Am Rande der Tagung trug Elisabeth Hohensee (Göttingen) aus ihrer Dissertation zum Thema „Die Rezeption des altkirchlichen Katechumenats in der neuzeitlichen Katechetik“ vor. Das Format ist seit 2017 auf den Tagungen des Arbeitskreises neu eingeführt. Es eröffnet Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Thesen auch dann zu diskutieren, wenn das eigentliche Projekt jenseits des Tagungsthemas liegt.
Im Anschluss an die Tagung fanden Mitgliederversammlung und Wahl des Sprecherrates statt. Zum geschäftsführenden Sprecher wurde David Käbisch (Frankfurt) gewählt. Außerdem gehören Antje Roggenkamp (Münster), Werner Simon (Mainz), Michael Wermke (Jena), Johannes Wischmeyer (Mainz) sowie – für die nächstjährige Tagung zur Religionspädagogik im Umfeld von 1968 kooptiert – die Nachsuchwissenschaftlerin Jana Mautz dem Sprecherrat an.
Der Arbeitskreis, der die Nachwuchsförderung als eine seiner zentralen Aufgaben versteht, bietet jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, ihre Thesen und Themen öffentlich zu diskutieren. Dabei hat er inzwischen ein klareres Forschungsprofil entwickelt, das sich insbesondere auch durch Methoden und Themen der historischen Erforschung von Religionspädagogik (Transformationsforschung, transnationale Ansätze) auszeichnet.