1 Einleitende Beobachtung

Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer fluiden Gesellschaft (Baumann, 2008) auf. Vielgestaltigkeit der Lebensstile, Uneinheitlichkeit hinsichtlich der gültigen Werteorientierungen und eine unüberschaubare Vielfalt an Möglichkeiten sind für die meisten jungen Menschen heute selbstverständlich.

„Das Aufwachsen unter den Bedingungen dieser spätmodernen Gesellschaft ist ein Aufwachsen in eine globalisierte, hochgradig vernetzte und beschleunigte Welt hinein mit einer deutlichen Zunahme der lingualen und kulturellen Diversität [...].“ (Aichinger, 2011)

Dies kann zu Verunsicherung und Orientierungslosigkeit führen. Der überwiegende Teil der Kinder und Jugendlichen scheint aber die Herausforderungen ohne besondere Auffälligkeiten zu bewältigen, wie die Ergebnisse der 17. Shell Jugendstudie (2015) und der 3. World Vision Kinderstudie (2013) zeigen. Die AWO-ISS Studie (Holz & Laubstein, 2012) und die unlängst veröffentlichten Ergebnisse der 4. World Vision Kinderstudie (Greiner, 2018) zeichnen ein etwas anderes Bild und geben Anlass zur Besorgnis: jedes fünfte Kind im Grundschulalter empfindet sich als arm, klagt über zu wenig Zuwendung durch die Eltern und hat geringes Vertrauen in die eigenen schulischen Leistungen. Dies ist häufig gepaart mit exzessivem Medienkonsum, wenig Freundschaften sowie kaum Vereinsaktivitäten und/oder Zugang zu Spielplätzen und Natur. Bei den Betroffenen ist die Angst vor Aggression oder Konflikten ausgeprägter, und sie sind häufiger Opfer von Mobbing oder Diskriminierung. Zander (2011) fordert zu Recht, dass es dringend erforderlich ist, hier politische Lösungen zu finden.

Dass viele Kinder und Jugendliche in gesicherten Verhältnissen aufwachsen, bedeutet wiederum nicht, dass sie die vorhandenen Chancen und Möglichkeiten zu nutzen verstehen. Viele Heranwachsende sind nicht in der Lage, Selbstwirksamkeit und Handlungsmächtigkeit zu erfahren, da sie kaum über die dafür nötigen Ressourcen verfügen (Aichinger, 2011, S. 18). Das Thema Resilienz oder Resilienzförderung ist somit im Hinblick auf pädagogisches Arbeiten in Bildungseinrichtungen durchaus aktuell.

2 Resilienzforschung

Der Begriff Resilienz (engl. „resilience“) bedeutet so viel wie Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität und wurde ursprünglich u.a. auch in der werkstofflichen Physik zur Bezeichnung hochelastischer Materialien oder für Stoffe, die nach Verformungen ihre ursprüngliche Form wieder annehmen, verwendet. Im Deutschen wird der Begriff im anderen Kontext inzwischen als Fachterminus (Wieland, 2011, S. 183) verwendet.

2.1 Initiale Forschungslage

Emmy Werner und Ruth Smith (1982; 2001) entdeckten im Verlauf ihrer Pionierarbeit zur Resilienzforschung ein konkretes Phänomen, welches sie mit „resilient child“ umschrieben: 1955 erfassten sie den gesamten Geburtsjahrgang der hawaiianischen Insel Kauai, um die Langzeitfolgen von prä- und perinatalen Risikobedingungen im Kontext ungünstiger Sozialisation zu untersuchen (Werner & Smith, 1982). Sie begleiteten, beobachteten und befragten 698 Kinder über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten hinweg. Ein Drittel dieser Stichprobe wuchs unter äußerst ungünstigen Voraussetzungen (Armut, familiäre Disharmonie, etc.) auf, was als erhöhte Risikobelastung für eine gesunde Entwicklung eingeschätzt werden musste. Es zeigte sich, dass etwa ein Drittel dieser Risikogruppe entgegen allen Erwartungen eine positive Entwicklung nahm. Durch Aufmerksamkeit, erhöhte Kommunikationsbereitschaft, Fröhlichkeit, Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit waren diese Kinder in der Lage, sich Hilfe zu suchen oder eigenständig Lösungen für Probleme zu finden. Die Kauai-Studie lieferte bereits in den 1980er-Jahren erste wichtige Ergebnisse zu „resilienten“ Entwicklungsverläufen und bot verschiedene Anknüpfungspunkte für weitere Forschung (Diers, 2016). Es schlossen sich Studien in Großbritannien und Nordamerika an, und gegen Ende der 1980er-Jahre wurde auch in Deutschland mit der Mannheimer Risikokinderstudie (Laucht u.a., 2000) und der Bielefelder Invulnerabilitätsstudie (Lösel & Bedner, 2008) Resilienz zu einem festen Bestandteil der Forschung (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 13). In der ersten Phase wurden primär Risiko- und Schutzfaktoren basierend auf empirischen Befunden identifiziert, und es wurde davon ausgehend nach passenden Definitionen gesucht. Die sich hierbei abzeichnenden dynamischen Resilienzprozesse, Kontextfaktoren und Wirkmechanismen sowie das Zusammenwirken von Risiko- und Schutzfaktoren wurden daran anschließend differenzierter beforscht, um davon ausgehend passende Maßnahmen zur Förderung von Resilienz entwickeln zu können (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011). Inzwischen gibt es diverse Ansätze und (Forschungs-)Projekte, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit den umfassenden Herausforderungen im Kontext der Förderung von Resilienz auseinandersetzen (z.B. Siefert, 2011; Diers, 2016; Aichinger, 2011). 

2.2 Neuausrichtung der Forschungsperspektiv

Neben der vorab skizzierten Pionierstudie von Werner und Smith (1982) zeigten auch Untersuchungen aus den 1970er-Jahren im Bereich Medizin und Psychopathologie, die zu einem besseren Verständnis schwerwiegender psychischer Krankheiten führen sollten, dass sich einzelne Probanden trotz hoher Belastung positiv entwickelten (Seifert, 2011, S. 81). Ergebnis der unterschiedlichen Studien im Bereich der Human- und Sozialwissenschaften war eine veränderte Sicht auf die kindliche Entwicklung – weg von einem defizitorientierten (pathogenetischen) hin zu einem ressourcenorientierten (salutogenetischen) Ansatz (Diers, 2016, S. 32). Man untersuchte nun weniger die Ursachen für Fehlentwicklung, sondern erforschte vermehrt, wodurch es Betroffenen gelingt, eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressfaktoren und ungünstigen Bedingungen zu entwickeln (Seifert, 2011, S. 82).

Nach Wieland (2011) lassen sich drei Erscheinungsformen von Resilienz aufzeigen. Erstens: Kinder, die entgegen aller Wahrscheinlichkeit ungünstige Lebensbedingungen meistern und sich trotz eines deutlich erhöhten Risikostatus gesund und positiv entwickeln. Zweitens: Kinder und Jugendliche, die auch unter anhaltend hohen Stressbedingungen die beständige Fähigkeit besitzen, mit den vorhandenen Stressoren umzugehen. Drittens: Einzelne Kinder oder Jugendliche, die sich selbst nach plötzlich auftretenden traumatischen Erlebnissen wie dem Tod eines Elternteils, Naturkatastrophen, Kriegs- und Terrorerlebnissen sehr schnell erholen und sich insgesamt gesehen positiv weiterentwickeln.

2.3 Resilienz als dynamischer Prozess

Entgegen den früheren Ansätzen geht man heute davon aus, dass es sich bei Resilienz nicht um ein angeborenes, stabiles generelles Persönlichkeitsmerkmal handelt, sondern eher um eine Kompetenz, die prozessorientiert im Zusammenspiel zwischen Kind und Umwelt erworben und ausgebaut werden kann (Aichinger, 2011, S. 27). Resilienz wird heute auch nicht mehr ausschließlich im Kontext kindlicher Entwicklung beschrieben; je nach Forschungsansatz oder -konzept finden sich unterschiedliche Akzentuierungen, die auch das Erwachsenenalter betreffen.

Die Definitionen weichen teilweise deutlich voneinander ab, und ihnen liegen entweder externale und/oder internale Kriterien zugrunde (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011). Synonym werden in Fachdiskussionen auch Begriffe wie Widerstandskraft, Stressresistenz, psychische Robustheit oder Elastizität verwendet. Resilienz wird einerseits als wahrgenommene Anpassungsleistung eines Individuums an entwicklungshemmende, ungünstige Umweltbedingungen und andererseits als erkennbar positive innere Haltung der herausfordernden Anforderungssituation gegenüber beschrieben. Nach Welter-Enderlin (2006, S. 13) ist Resilienz die Fähigkeit von Menschen, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und diese als Anlass für die individuelle Entwicklung zu nutzen, während Oerter & Montada (2002) darunter die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des früheren psychischen Anpassungs- und Funktionsniveaus nach einem Trauma bei bestehenden Einschränkungen und Verlusten verstehen. Stein (2006, S. 18) wiederrum sieht Resilienz als Prozess oder Phänomen, das eine positive Anpassung des Individuums trotz vorhandener Risikofaktoren widerspiegelt, und für Wustmann (2004, S. 18) ist Resilienz „die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“.

Die Bandbreite an Definitionen macht deutlich: Resilienz kann derzeit nicht zufriedenstellend und umfänglich definiert werden und sollte eher als theoretisches Konstrukt verstanden werden. Die Verwendung des Terminus erscheint dennoch passend, um das in unterschiedlichen empirischen Kontexten aufgetretene Phänomen eines dynamisch-kompensatorischen Prozesses positiver Anpassung bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen z.B. durch Belastungsfaktoren oder Stressoren nachvollziehbar beschreiben zu können (Wieland, 2011). Resilienz resultiert so gesehen aus einem multifaktoriellen, dynamischen Interaktionsgeschehen zwischen Risiko- und Schutzfaktoren und kann lebenslang erworben und/oder weiterentwickelt werden. Charakteristisch sind dabei variable Größe, situationsspezifisches Auftreten und Multidimensionalität (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011). Aus der Vielzahl von Wirkfaktoren und der Beobachtung, dass sich Resilienz teilweise nur bereichsspezifisch zeigt (Petermann & Schmidt, 2006, S. 121) und als Fähigkeit oder Kompetenz nicht zwangsläufig über den gesamten Lebenslauf hinweg stabil bleibt (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 11), ergibt sich die besondere Schwierigkeit einer angemessenen Eingrenzung.

3 Risikofaktoren vs. Schutzfaktoren

Im Zusammenhang mit der Frage nach den Möglichkeiten der Resilienzförderung muss vor allem das Wechsel- oder Interaktionsgeschehen zwischen empirisch abgeleiteten spezifischen Risiko- und Schutzfaktoren differenzierter betrachtet werden.

3.1 Risikofaktoren

Im Fokus des Risikofaktorenkonzepts stehen diejenigen Komponenten und Lebensbedingungen, die eine kindliche Entwicklung gefährden, beeinträchtigen und zu seelischen Störungen und Erkrankungen führen können. Alles, was die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Störung erhöht, wird als Risikofaktor identifiziert. Krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und entwicklungshemmende Merkmale werden auch als Stressoren oder Vulnerabilitätsfaktoren (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011) bezeichnet. Unterschieden wird zwischen primären, kindbezogenen, genetisch, prä-, peri- und postnatalen Merkmalen (z.B. geringe kognitive Fähigkeiten, Geschlecht, Komplikationen bei der Geburt u.a.) sowie sekundären Vulnerabilitätsfaktoren (z.B. unsichere Bindungsorganisation, Armut, anhaltende innerfamiliäre Spannungen, ungünstiges Wohnumfeld, Alkohol- und Drogenmissbrauch, geringes Bildungsniveau der Eltern sowie Erziehungsdefizite).

Holmes und Rahe (1967) ermittelten in anderem Kontext, inwieweit lebensverändernde, kritische oder traumatische Lebensereignisse als Stressoren wirken und zu psycho-physiologischen Störungen beitragen können. In der Social Readjustment Rating Scale (SRRS) wurden 45 einschneidende Vorfälle nach dem Grad der Belastung gelistet (Berndt, 2015, S. 219). Tod, Scheidung und Trennung der Eltern werden hier eindeutig als stärkste Risikofaktoren beschrieben. Nicht jedes dieser Ereignisse führt zwangsläufig zu einer Entwicklungsstörung, ausschlaggebend sind Häufung, Kumulation und/oder das Zusammenfallen von Ereignissen mit anfälligen Entwicklungs- oder Umbruchsphasen. Als Phasen erhöhter Vulnerabilität gelten u.a. der Übergang vom Kindergarten in die Schule oder die Adoleszenz. Unterschiedliche Lebens- oder Entwicklungsphasen sowie die damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben (Diers, 2016, S. 25) bringen für Betroffene neue Herausforderungen mit sich, sowie Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2011, S. 22) weisen darauf hin, dass entscheidend für die Wirkkraft von Stressoren neben geschlechtsspezifischen Aspekten auch Alter und Entwicklungsstand des Kindes, Dauer und Kontinuität der Belastung sowie die Abfolge der Ereignisse sind. Während in der Kindheit eher familiäre Risiken negative Stoßkraft entfalten, liegen im Jugendalter die Risikopotentiale vorwiegend im Bereich der Peers (Diers, 2016; Laucht u.a., 2000).

3.2 Schutzfaktoren

Dem beschriebenen Risikofaktorenkonzept steht das sogenannte Schutzfaktorenkonzeptgegenüber. Leider wird in der Literatur der Begriff Schutzfaktor uneinheitlich verwendet (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 28), und diese Heterogenität spiegelt die vorherrschende Unklarheit und kontrovers diskutierte Frage wider (Bengel u.a., zitiert in Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 29). Es besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei Schutzfaktoren um Merkmale handelt, welche das Auftreten einer psychischen Störung oder einer unangepassten Entwicklung verhindern, abmildern und die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung erhöhen (Rutter, 1990). Luthar u.a. (2000) unterscheiden risikomildernde Bedingungen in generell-protektive, stabilisierend-protektive, ermutigend-protektive und protektiv-reaktive Faktoren. Diers (2016, S. 35) sowie Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2011, S. 32) stellen dar, wie die Wirkweise der jeweiligen Faktoren einzuordnen ist. Verkürzt lässt sich sagen, dass innerhalb des Schutzfaktorenkonzepts zwischen kind- und umweltbezogenen sowie Resilienzfaktoren unterschieden werden kann. Zu den kindbezogenen, individuell-personalen Ressourcen zählen positive Temperamenteigenschaften, Intellekt, Geschwisterkonstellation und Geschlecht; sie werden als stabil, konstant und kaum veränderbar angesehen. Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbststeuerung, soziale Kompetenz, positives Selbstkonzept und Problemlösefähigkeit gehören ebenfalls in den Bereich der personalen Resilienzfaktoren, sind im Gegensatz zu den erstgenannten jedoch veränderbar und können durch Training, Beratung und spezielle Förderprogramme (weiter-)entwickelt werden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 29).

Als protektiv-wirksame, soziale Ressourcen gelten familiärer Zusammenhalt, Stabilität der Elternbeziehung und eine enge Geschwisterkonstellation, das Vorhandensein mindestens einer stabilen Bezugsperson, Wertschätzung und Respekt, die Förderung von Autonomie, ein autoritativ-demokratischer Erziehungsstil, die Übernahme von Aufgaben im Haushalt und ein hohes Bildungsniveau der Eltern (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 29). Auch positive Beziehungen außerhalb der Kernfamilien und im Rahmen von Bildungseinrichtungen mit klaren, transparenten und konsistenten Regeln, einem wertschätzenden Klima, Wärme, Respekt und Akzeptanz, angemessenen Leistungsanforderungen, positiver Verstärkung, förderlichen Peergroups sowie der Förderung von Basiskompetenzen können Resilienz fördern und eine stabilisierend-protektive Wirkung entfalten (Diers, 2016).

4 Förderung von Resilienz

Kinder und Jugendliche können akuten oder anhaltenden Risikosituationen ausgesetzt sein. Im Idealfall gelingt es unter Rückgriff auf personale oder soziale Ressourcen, die jeweilige Krise zu bewältigen. Brooks und Goldstein (2011) weisen ergänzend darauf hin, dass Resilienz nicht nur ein Thema für Kinder und Jugendliche ist, sondern auch für Erwachsene bedeutsam werden kann. Für die Autoren ist die Förderung von Resilienz elementarer Bestandteil jeden Erziehungsprozesses; eine positive Welt- und Lebensorientierung der Eltern und/oder Pädagogen ist für sie unerlässlich (ebd., S. 27–39). Sie empfehlen Erziehungsberechtigten, Empathie und aktives Zuhören zu trainieren und ermutigen dazu, negative Scripts der Kinder zu verändern, Zuwendung zu geben, Selbstwert und Akzeptanz zu vermitteln. Der konstruktive Umgang mit Scheitern und das Lernen aus Fehlern sind als Fähigkeiten anzusehen, die von Anfang an gefördert und entwickelt werden sollten. Will man Kinder dabei unterstützen, eigene Ressourcen zu nutzen, bedarf es eines langfristig angelegten erzieherischen Prozesses, innerhalb dessen das Kind lernt wahrzunehmen, dass Aufgaben und Anforderungen eigenständig und erfolgreich bewältigt werden können und dass aktiv-direktiv auf Situationen und Ereignissen Einfluss genommen werden kann.

Wie spielerisch dies möglich ist, zeigt De Bono (1973) in seinem Buch „Kinderlogik löst Probleme“. Es ist beeindruckend, wie einfallsreich Kinder unterschiedlichen Alters eigene Strategien zur Bewältigung von höchst komplexen Problemen zeichnerisch entwickeln und wie kreativ und individuell sie denken. Die Aufgabenstellungen wurden anhand eines bestimmten Merkmals ausgewählt und stehen sinnbildlich für unterschiedliche komplexe Anforderungssituationen. „Zeige, wie du einen Kampf zwischen Hund und Katze verhindern würdest“ (ebd., S. 15) greift beispielsweise ein gleichermaßen politisches wie psychologisches Thema auf (ebd., S. 12) und fragt gezielt nach einer individuellen Lösungsstrategie. Durch Formulierungen wie: „mit der Situation fertig werden“, „Hindernisse überwinden“, „ein gewünschtes Ergebnis erzielen“ oder „etwas geschehen machen“ wird spielerisch und ressourcenorientiert (ebd.) ein in die Zukunft gerichteter Blick auf die Verbesserung einer Ausgangssituation geschult.

Corinne Wustmann (2004, S. 192) grenzt Resilienzförderung auf der individuellen Ebene (direkt beim Kind ansetzende Förderung von Basiskompetenzen und Resilienzfaktoren) von Resilienzförderung auf der Beziehungsebene (indirekt/ mittelbar über Erziehungspersonen) ab. Das erscheint sinnvoll, wenngleich im konkreten Vollzug beide Bereiche ineinandergreifen und nicht unabhängig voneinander denkbar sind. Hinsichtlich der Förderung auf individueller Ebene muss möglichst präzise diagnostiziert werden, in welchen Bereichen sich ein sinnvoller Ansatz überhaupt ergibt. Denn in der Regel liegt eine hochkomplexe Kind-Umfeld-Interaktion vor, welche durch Kumulation und die Abfolge der Wirkfaktoren gerade in Kombination mit Phasen erhöhter Vulnerabilität eine unerwartete Entwicklung nehmen kann.

Eine Studie in elf Ländern unter Jugendlichen (Ungar u.a., 2008) zeigte, dass im Zusammenhang mit einer positiven Entwicklung der Zugang zu materiellen Ressourcen, kultureller Zusammenhalt, Identität, Einfluss und Kontrolle, zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Gerechtigkeit, soziale Kohärenz und religiöse Zugehörigkeit (Sinnstiftung) in Verbindung gebracht werden. Es lässt sich aber kaum prognostizieren, welche der aufgezeigten Faktoren in Einzelfall wie wirksam werden können, denn von außen betrachtet lassen sich Risikosituationen nicht einschätzen, und innerhalb unterschiedlicher Kulturen kommen gleiche Faktoren unterschiedlich stark zur Geltung (Steinebach & Gharabaghi, 2013, S. 7). Nur wenn man weiß, unter welchen Bedingungen Kinder in der Lage sind, Resilienz auszubilden, kann man diese Faktoren im pädagogischen Kontext herzustellen versuchen (Wieland, 2011, S. 182). Ein signifikant wirkender Schutzfaktor ist – und das wurde empirisch eindeutig belegt (Seifert, 2011) – eine kontinuierliche, sicher-emotionale Bindung zu einer relevanten Person; darüber hinaus gelten nach Daniel & Wassel (2002) auch ein positives Selbstwertgefühl und das Gefühl der Selbstwirksamkeit als wichtige Schutzfaktoren.

5 Präventionsmaßnahmen und -projekte

Einen vollständigen Überblick über die vorhandenen Präventions- und Förderprojekte zu geben ist kaum möglich. Die im Folgenden aufgezeigten Ansätze sind lediglich eine exemplarische Auswahl und vermögen das weite Feld nicht umfänglich abzubilden. Je nach Bildungseinrichtung und Entwicklungshase werden in den jeweiligen Programmen die individuellen Eigenschaften des Kindes (Persönlichkeitsfaktoren), mikrosoziale Faktoren des familiären Umfeldes oder Faktoren des Makrosystems miteinander vernetzend gefördert (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 28).

5.1 Förderung von Kindern in akuten Gefährdungs- oder Traumasituationen

Berg (2014) bietet mit ihrem Übungsbuch Resilienz Methoden und praktische Übungen zur Traumabewältigung an und konzentriert sich dabei auf die Förderung bestimmter Haltungen einer Bedrohungssituation gegenüber. Konkret bietet das Buch Übungen zur Stärkung von Optimismus, Akzeptanz, Verantwortung, Lösungsorientierung, Loslassen, Neuorientierung, Einbindung in soziale Netze sowie Übungen zu Glauben und Spiritualität an. Hier finden sich Ansätze, die primär zur spezifischen Bewältigung von traumatischen Erlebnissen entwickelt wurden. Kinder und Jugendliche, die Opfer traumatischer Erfahrungen sind, brauchen professionelle Hilfe und Begleitung. Von einer Förderung Betroffener in Bildungseinrichtungen sollte daher eher Abstand genommen werden, es sei denn, es erfolgt eine Anleitung durch Fachpersonal. Hopf (2017) skizziert die aktuelle Situation von geflüchteten Kindern und Jugendlichen und macht deutlich, wie komplex die damit einhergehenden Herausforderungen sein können. Innerhalb von Bildungseinrichtungen kann dies jedoch kaum aufgefangen werden. Im Sinne der betroffenen Kinder wäre es dringend erforderlich, kurzfristig sinnvolle Handlungsstrategien zu entwickeln.

5.2 Präventionsprojekte im Kontext von Bildungseinrichtungen

(I) Programme für Kinder im Vorschulalter

Förderprogramme für Kindergartenkinder gibt es noch nicht lange. Im Vorschulalter haben sich vor allem Konzepte bewährt, die auf kindspezifische Faktoren ausgerichtet sind. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2011, S. 64–72) verweisen in einer differenzierten Darstellung auf die Programme Papilio, EFFEKT und Kinder stärken! Prävention und Resilienzförderung in der Kindertagesstätte. Alle Programme arbeiten mit unterschiedlichen Tools und verknüpfen dabei die Ebenen des Kindes, der Eltern, der Erziehenden und vereinzelt auch das soziale Umfeld miteinander. Aichinger (2011) betont wie wichtig es ist, möglichst frühzeitig freiwillige, niederschwellige und zielgruppenspezifisch ausgerichtete (Förder-)Angebote zur potentiellen Resilienzförderung anzubieten. In dieser Phase eröffnet ein narrativer Ansatz (z.B. über Bilderbücher) umfassende Möglichkeiten, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und sie herauszufordern, individuelle oder gruppenspezifische Lösungsansätze zu bedenken. Parallel dazu kann die allgemeine Spielkompetenz gefördert werden. Kinder trainieren dabei motorische Fähigkeiten, Rollenverhalten, entfalten kreatives Potential und lernen eigene Emotionen auszudrücken – ein wichtiges Prinzip gelingender Kommunikation. Konflikte erfordern die Bereitschaft Probleme zu lösen, was dabei hilft, soziale Kooperationskompetenz zu erlangen. Initiierte „Spielsequenzen“ können gezielt zur Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten eingesetzt werden. Aichinger (2011) führt dazu unterschiedliche Ansätze wie z.B. die entwicklungsorientierte Prävention aggressiven Verhaltens an (ebd., S. 39–78).

(II) Programme für Grundschulen

Der Wechsel vom Kindergarten in die Schule gilt, wie bereits erwähnt, als Phase erhöhter Vulnerabilität und darf nicht unterschätzt werden. Dies verlangt von den Lehrkräften ein hohes Maß an Sensibilität, denn der Übergang birgt einerseits gewisse Risiken, kann sich aber auch förderlich auswirken. Lehrerinnen und Lehrer können zu wichtigen Bezugspersonen für Kinder aus Risikofamilien werden, sichere Beziehungen und das Entstehen von Freundschaften, gelten als wichtige Entwicklungsressource (Aichinger, 2011, S. 79). Im Bereich der Präventionsprogramme für Grundschulen gibt es inzwischen zahlreiche unterschiedliche Projekte. Es ist zu hoffen, dass angesichts der gestiegenen Zahl geflüchteter Kinder neue spezifische Programme zur Förderung von Resilienz, möglicherweise in Verbindung mit Traumabewältigung, entstehen.

Exemplarisch soll hier auf Alfons Aichinger (2011) hingewiesen werden. Er stellt vier Bausteine dar, die im Laufe der Arbeit mit Schulklassen entwickelt wurden. Obwohl die Lerngruppenzusammensetzung je nach Einzugsgebiet und Risikokontext variiert, besteht eine statistisch hohe Wahrscheinlichkeit, dass in jeder Klasse erstens Kinder unterrichtet werden, die von elterlicher Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit oder zweitens von familiären Trennungs- oder Scheidungssituationen betroffen sind. Bei ersteren besteht ein deutlich erhöhtes Entwicklungsrisiko hinsichtlich Depression, psychischer Störung, Angst- oder Persönlichkeitsstörung (ebd., S. 145). Sie erleben mehr Streit, konflikthafte Auseinandersetzungen und Disharmonie zwischen den Eltern, sind starken Stimmungsschwankungen und Unberechenbarkeiten ausgesetzt, geraten in Loyalitätskonflikte und erfahren weniger Verlässlichkeit und Klarheit im familiären Ablauf. Bei Kindern aus familiärer Trennungs- oder Scheidungssituation hingegen verändert sich ihr Vertrauen in die Beständigkeit und Verlässlichkeit von Beziehungen so grundlegend (ebd., S. 177), dass die Beziehungsfähigkeit in anderem Kontext bewusst gefördert werden sollte.

Das Präventionsprojekt arbeitet mit der Methode des Kinderpsychodramas, um Kindern im Prozess des Spielens die Aneignung und Gestaltung von Wirklichkeit zu ermöglichen. Aichinger sieht darin die wichtigste Form der Realität- und Daseinsbewältigung (ebd., S. 86); Konfliktsituationen werden anhand von Geschichten spielerisch-kreativ bearbeitet, es eröffnen sich imaginäre Handlungsfelder, innerhalb derer Selbstsicherheit trainiert oder soziale Interaktion und Kooperation erprobt werden. Im Klassenverband können die einzelnen Bausteine separat oder in Abfolge bearbeitet werden (ebd., S. 89–120). Beginnend mit einer psychodramatischen Inszenierung von Idealselbstfantasien zur Stärkung des Selbstwertgefühls wird im zweiten Baustein anhand psycho-dramatischer Symbolspiele die Förderung prosozialer Beziehungen angeregt. Der dritte Baustein fokussiert eine symbolische Konfliktverarbeitung mit Konfliktgruppen, um abschließend in eine symbolische Konfliktbearbeitung mit einzelnen Tischgruppen überzugehen. Insgesamt bietet dieses zeitaufwändige Programm hilfreiche Ansätze: auf individueller Ebene erfolgt eine direkt beim Kind ansetzende Förderung von Basiskompetenzen, während parallel dazu Kompetenzen auf der Beziehungsebene trainiert werden (Wustmann, 2004).

(III) Programme für Jugendliche

Das Jugendalter gilt als Lebensphase mit starker Änderungsdynamik, der Aufbau einer eigenen stabilen Identität spielt dabei eine zentrale Rolle (Grob & Jaschinski, 2003, S. 41), und verschiedene Lebens- und Erfahrungswelten müssen neu miteinander vernetzt werden. Diese Entwicklungsräume sind fragil, wirken mit unterschiedlicher Dynamik aufeinander ein, nehmen Einfluss auf emotionale Befindlichkeiten, wodurch u.a. die Selbstwahrnehmung der Betroffenen gesteuert wird. In dieser Lebensphase können scheinbar unbedeutende Ereignisse massiv auf Selbstkonzept, Selbstwahrnehmung und Selbstregulation einwirken und Stressoren zu unberechenbaren Wirkfaktoren werden. Nicht selten werden die eigenen Grenzen und Möglichkeiten ausgetestet, woraus neue Krisen und Risiken entstehen können. Resiliente Jugendliche sind in der Lage, schwierige Lebensereignisse, Belastungen und Krisen dennoch zu bewältigen, und ihnen gelingt es, die eigene (Weiter-)Entwicklung selbstständig zu gestalten (Steinebach, 2013, S. 53).

Präventionsprogramme stehen häufig im Kontext einer umfassenden Suchtprävention; der Umgang mit Nikotin, Alkohol und Drogen wird dabei primär thematisiert. Vorrangiges Ziel ist es, allgemeine Lebenskompetenzen, insbesondere soziale und emotional-kognitive Fähigkeiten zu fördern. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2011, S. 76) nennen zwölf Bereiche oder Module, innerhalb derer eine Förderung sinnvoll erscheint: Motivation, Gesundheit, Selbstsicherheit, Körpersprache, Kommunikation, Konfliktlösung, Freizeit, Gefühle, Einfühlungsvermögen, Lebensplanung, Beruf und Zukunft, Lob und Kritik. Jugendlichen sollen sich mit ihren Stärken und Ressourcen auseinandersetzen und diese hinsichtlich künftiger Ziele präzisieren und weiterentwickeln. Auch Steinebach und Gharabaghi (2013) zeigen Möglichkeiten auf, wie Jugendliche begleitet und gefördert werden können. Gharabaghi (2013, S. 14) ermutigt Pädagogen, Schulen in anregende Lernumgebungen zu verwandeln und darauf zu verzichten Jugendliche permanent zurechtzuweisen. Resilienz wird hier primär als Qualität der Umwelt verstanden und erst an zweiter Stelle als Qualität des Individuums, welches versucht, das Beste aus dieser Umwelt herauszuholen (ebd., S. 17) und dafür auf Unterstützung von weiteren Personen angewiesen ist.

Auch die Familie ist in dieser Lebensphase einem Veränderungsprozess unterworfen. Eltern sollten Heranwachsenden vielfältige neue Erfahrungen ermöglichen, um sie bei der Rollen- und Identitätsfindung zu unterstützen (Steinebach & Gharabaghi, 2013, S. 69). Diers (2014) hingegen sieht gerade in der Lehrer-Schülerbeziehung eine spezifische, durch bestimmte Interaktionsmuster gekennzeichnete Beziehung, die sich von Eltern-, Kind- und Freundschaftsbeziehungen grundsätzlich unterscheidet (ebd., S. 121) und als Wechselspiel zwischen Lehrer- und Schülerverhalten gestaltet wird. Das Erwartungssystem der Lernenden hat dabei maßgeblichen Einfluss auf den Aufbau von Vertrauen/Nichtvertrauen, wobei die Haltung oder Vorbildfunktion des Lehrenden ausschlaggebend für das Entstehen von Beziehung überhaupt ist. Werden Wertschätzung und gegenseitiger Respekt zum Ausdruck gebracht, erzeugt dies ein sicheres Gruppenklima, und unter diesen Bedingungen fällt es leichter, persönliche Erfahrungen einzubringen (ebd., S. 130) und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Einen ähnlichen Fokus hat Seifert (2011), die mit ihrem Projekt Resilienzförderung an der Schule eine Kombination von Service-Learning und Resilienzförderung vorstellt und Strategien des Lehrerhandelns eröffnet. Auch sie sieht im Beziehungsgeflecht zwischen Lehrkräften und Schülern den zentralen Marker (S. 155) und ermutigt dazu, ein angemessenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zu schaffen, individuelles Feedback zu geben, um gegenseitiges Vertrauen, Respekt und Wertschätzung zu ermöglichen (ebd., S. 162). Davon ausgehend können dann fachbezogene und überfachliche Kompetenzen gefördert und Zukunftsperspektiven für Jugendliche aufgezeigt werden. Daran anschließend sehen Petermann und Schultheiß (2013) im Berufseinstieg einen wichtigen Entwicklungsschritt, der mit herausfordernden Entwicklungsaufgaben verbunden ist. Sie plädieren ebenfalls dafür, diese Umbruchsphase durch schulische Präventionsmaßnahmen zu begleiten und zu stabilisieren.

Es wird deutlich, dass es im schulischen Kontext in dieser Entwicklungsphase weniger um fachinhaltliche Themen als vielmehr um den Aufbau eines sicheren Beziehungssystems geht, innerhalb dessen eine Förderung von relevanten Eigenschaften gelingen kann. „Die Erfahrung der Jugend entwickelt sich hauptsächlich in der Beziehung des Jugendlichen zu anderen. Dabei können Peers, die Familie und die Mitglieder der Gemeinschaft unterschiedlich wichtig sein.“ (Gharabaghi, 2013, S. 23) Schule kann protektiv wirksam werden, wenn die Betroffenen hier einen Schutzraum wahrnehmen, innerhalb dessen Freundschaften aufgebaut und stabile Beziehungen erfahrbar gemacht werden. Das erfordert von den pädagogisch Tätigen jedoch, dass sie sich mit der Lebenswelt der Jugendlichen beschäftigen (ebd.).

5.3 Resilienz im Kontext religionspädagogischen Handelns

Rupp (2010) führt in einem Beitrag im Jahrbuch für Kindertheologie zum Thema Resilienz und Theologie aus, dass nachdenkliche Gespräche einen kognitiven Charakter entwickeln können und plädiert dafür, im Religionsunterricht biblische Geschichten zum Gegenstand theologischer Gespräche zu machen. Dieser Ansatz erweist sich als äußerst spannend, denn einzelne Konzepte zur Förderung von Resilienz ermutigen dazu, sich den religiösen Fragen nach dem Sinn des Lebens zu stellen (Diers, 2016, S. 65) und halten es für sinnvoll, sich der eigenen Spiritualität zu widmen (Berg, 2014, S. 109–117). Siegrist und Luitjens (2013) bezeichnen dies als Suchprozess nach dem, was dem Leben Sinn gibt (ebd., S. 82). Auch Wustmann (2004, S. 130) merkt an, dass Geschichten eine resilienzfördernde Wirkung haben können, wenn im Mittelpunkt die Bewältigung eines Problems steht, welches der Protagonist löst, indem er an seine Fähigkeit, die Anforderungen bewältigen zu können, glaubt, sich durch Rückschläge nicht entmutigen lässt und auf dem Weg ein positives Selbstbild entwickelt. Rupp kommt nach seinen empirischen Erkundungen zu dem Schluss, dass Theologisieren in Auseinandersetzung mit resilienzbildenden biblischen Erzählungen das Repertoire von widerstandsfähigen Modellen erweitert. Wenn Problem- und Konfliktlösungsstrategien angeregt werden, können gleichzeitig Perspektivübernahmen geübt und individuelle Erfahrung abgearbeitet werden. Die Frage nach Gott, dem eigenen Leben und der Welt kann anvisiert und als Auslöser für nachdenkliche Gespräche genutzt werden. Theologische Gespräche zu biblischen Resilienzbiografien (z.B. Mose, Josef, David) bieten vielfältige Gesprächsanlässe. Es lohnt sich, dies im Kontext religionspädagogischen Handelns zu bedenken und als Chance zu nutzen.

5.4 Zusammenfassung

Die vorgestellten Programme konzentrieren sich primär auf die Möglichkeiten innerhalb von Bildungseinrichtungen, sie sind dort sinnvoll lokalisiert und können durch pädagogisch geschultes Personal umgesetzt werden. Die Realität zeigt jedoch, dass im Schulalltag kaum Kapazität zur Durchführung solcher Projekte vorhanden ist. Umso wichtiger sind Gespräche zwischen Tür und Angel, kleine Gesten und ermutigende Zusprüche. Neben den allgemeinbildenden Institutionen sind Sportvereine, Kunst- und Musikschulen sowie kirchliche Einrichtungen bestens geeignet, um Kinder und Jugendliche ressourcenorientiert zu fördern und sie zu ermutigen vorhandenes Potential zu nutzen. Wie bereits mehrfach erwähnt, wirkt ein stabiles Beziehungsgeflecht in Verbindung mit konsistenten Regeln und Strukturen protektiv; und da Kinder und Jugendliche sich an signifikanten Vorbildern orientieren, braucht es vor allem zugewandt und bewusst handelnde Akteure, denen an einer positiven Weiterentwicklung der Betroffenen gelegen ist. Gelingt es, Selbstwahrnehmung und Selbstwertgefühl zu fördern, den Umgang mit Stress und negativen Emotionen zu lernen sowie Problemlösungskompetenz und gelungene Kommunikation positiv zu verstärken, ist für betroffene Kinder bereits viel gewonnen. Letztlich bleibt das Phänomen „Resilienz“ das Ergebnis eines komplexen Ineinandergreifens multipler Faktoren, die sich nur bedingt von außen steuern lassen.

Im Wesentlichen lassen sich aus pädagogischer Sicht drei Handlungsfelder aufzeigen: Kinder und Jugendliche müssen erstens als Individuen wahrgenommen werden. Davon ausgehend kann eine Förderung der individuellen Stärken, Ressourcen und risikominimierenden Persönlichkeitsfaktoren gelingen. Zweitens kann u.U. in begleitend beratender Funktion auf die mikrosozialen Faktoren des familiären Umfeldes Einfluss genommen werden. Dafür brauchen Pädagoginnen und Pädagogen besondere Sensibilität, und dies ist nicht in jeder Entwicklungsphase empfehlenswert, angemessen oder zielfördernd. Drittens besteht die Möglichkeit, durch gezieltes pädagogisches Handeln in Kontext von Bildungseinrichtungen die Faktoren des Makrosystems für Betroffene günstig zu gestalten.

6 Fazit

Die gesamte Lebensspanne eines Menschen betreffend stellt sich nicht die Frage, ob Stressmomente, Risikophasen oder Krisensituationen auftreten, es ist lediglich offen, wann und wie dieses geschieht und ob zum entsprechenden Zeitpunkt ein Rückgriff auf persönliche Ressourcen zur Bewältigung der Krise möglich ist. Jede Stress-, Anforderungs- oder Belastungssituation kann daher entwicklungsstörend-destruktiv oder entwicklungsförderlich-konstruktiv genutzt werden.

Wie eingangs aufgezeigt treffen Pädagoginnen und Pädagogen in Bildungs-einrichtungen auf Kinder aus unterschiedlichen Risikogruppen oder -situationen: Kinder und Jugendliche, die im Kontext von Fluchterfahrung traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben, die in entwicklungsanfälligen Phasen eine als Bedrohung empfundene Stresssituation akut bewältigen müssen, die unter ungünstigen intrapersonalen oder anhaltend schlechten, externen Bedingungen aufwachsen oder auf Kinder, die in scheinbar sicheren Verhältnissen aufwachsen, jedoch in Anbetracht eines „Rundum-sorglos-Pakets“ der Eltern nicht gelernt haben, mit Scheitern umzugehen. Steinebach und Gharabaghi (2013) gehen davon aus, dass für die meisten Betroffenen eine positive Entwicklung wahrscheinlich ist, wenn entwicklungsförderliche Bedingungen vorliegen. Wenn Resilienz aus der Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt, aus einem multidimensionalen, mehrperspektivischen Ineinandergreifen unterschiedlicher Faktoren resultiert, ist es sinnvoll und empfehlenswert alle Möglichkeiten und Chancen im Sinne der Betroffenen zu nutzen. Selbst wenn personale Eigenschaften eines Menschen als Risikofaktoren angesehen werden müssen, so können günstige Bedingungen dazu beitragen, dass diese Person sich allen Widrigkeiten zum Trotz erfolgreich entwickelt. Eine frühe Förderung der Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbststeuerung, Problemlösefähigkeit, sozialen Kompetenz sowie ein positives Selbstkonzept sind effektiv und nachhaltig; sie schaffen wichtige Entwicklungsvoraussetzungen, die sich langfristig gesundheits- und persönlichkeitsstabilisierend auswirken.

Nicht nur Lehrende, aber sie sicher in besonderen Maß, können durch ihre Haltung und ein reflektiertes Handeln dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich selber als wertvoll anzusehen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Es wäre eine gesunde (Weiter-)Entwicklung, wenn möglichst viele Schülerinnen und Schüler irgendwann Albert Camus‘ Aussage zustimmen: „Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.“

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Dr. Nina Rothenbusch, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Ev. Theologie/Religionspädagogik, Leibniz Universität Hannover.