1 Die Fragestellung
Literarische Texte haben unbestritten ihren Platz im schulischen Religionsunterricht. Das belegt nicht zuletzt das jüngst erschienene Buch von Christian Butt und Mirjam Zimmermann. Das Schulbuch „SpurenLesen“ expliziert im Werkbuch zum 5/6er Band der ersten Auflage ein ästhetisch profiliertes Programm zur Frage, wie literarische Texte im Religionsunterricht eingesetzt werden sollten. Dort heißt es:
Das Religionsbuch soll ein „Schmökerbuch“ (Büttner u.a., 1997, S. 7) sein, das neben biblischen auch literarische Texte enthält, „die mit keiner anderen Absicht geschrieben wurden als mit der zu erzählen. Sie verfolgen ursprünglich kein pädagogisches oder didaktisches Ziel, sie sind keine Sachtexte im üblichen Sinne. Weil sie nicht festlegen, sondern einen Freiraum eröffnen, sind sie für einen Religionsunterricht, der Texte nicht nur verwerten, sondern selbst sprechen lassen will, in besonderer Weise geeignet.“ (Büttner u.a., 1997, S. 8–9)
Mit der Formulierung „sie verfolgen ursprünglich kein pädagogisches oder didaktisches Ziel“ ist eine Spannung markiert, der dieser Beitrag nachgehen möchte: Was passiert und was soll idealerweise geschehen, wenn literarische Texte in den Religionsunterricht einrücken – und damit zwangsläufig pädagogischen und didaktischen Zielen unterworfen werden? Wie kann ihre Verwendung im Unterricht als einem grundsätzlich intentionalen Geschehen gerechtfertigt werden, ohne die literarischen Texte „nur [zu] verwerten“? Reicht es im Kontext von Religionsunterricht tatsächlich, Texte „selbst sprechen [zu] lassen“, und wie sehen die Bedingungen für solch ein „Sprechen-Lassen“ aus?
In der Literaturdidaktik gibt es seit einigen Jahren für den Deutschunterricht intensive Überlegungen zu diesen Fragen, die hier vorgestellt und anhand eines exemplarischen Vorlesegesprächs aus dem Religionsunterricht in ihrer möglichen Relevanz für die Religionsdidaktik beleuchtet werden sollen.
2 Literarische Texte im Deutschunterricht – eine Skizze
Welchen Stellenwert literarische Texte im Deutschunterricht haben sollen, ist in der Literaturdidaktik durchaus umstritten. Ich konzentriere mich im Folgenden auf einen aktuellen Arbeitszusammenhang in der Literaturdidaktik, der es sich in besonderem Maße zur Aufgabe macht, literarische Texte so zum Sprechen zu bringen, dass sie „Freiräume eröffnen“. Seit etwa 15 Jahren wird in der (deutsch-sprachigen) Literaturdidaktik das literarische (Vorlese-) Gespräch diskutiert und erforscht (Roose, 2017). Das literarische (Vorlese-)Gespräch zielt darauf, „sich mit anderen über literarische Erfahrungen und Textdeutungen auszutauschen und sich über das Verstehen zu verständigen“ (Pieper, 2016, S. 76). Es geht um Teilhabe an literarischer Kultur. Dabei entsteht eine Spannung:
„Literaturdidaktisch gewendet, ist das Verhältnis zwischen der Teilhabe an literarischer Kultur und dem Teilnehmen an Unterrichtsgesprächen durchaus spannungsvoll: Bei letzteren fungiert vor allem das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch als Gegenpol zum Literarischen Gespräch. Idealiter hat hier die Lehrperson einen Pfad entworfen, der in Verständnis und Interpretation führen soll und der leicht in der Weise realisiert wird, dass die Schüler/innen vor allem die lehrerseitig angezielte Interpretation erschließen – oder erraten.“ (Pieper, 2016, S. 76)
Schülerorientierung zeigt sich dann am ehesten in der Textauswahl: Angestrebt wird eine möglichst genaue Passung zwischen literarischem Text und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Demgegenüber präferiert das literarische (Vorlese-) Gespräch anspruchsvolle literarästhetische Texte (Garbe, 2011, S. 82–83). Literaturtheoretisch steht beim literarischen Gespräch das Modell einer nicht-intentionalen, polyvalenten Bedeutungsvielfalt literarischer Texte im Hintergrund (Pieper, 2016, S. 76–77). Insofern kann es im Unterricht nicht darum gehen, abschließende Interpretationen zu generieren. Die Schülerinnen und Schüler sind vielmehr aufgefordert, ihre Fragen und Beobachtungen an den Text heranzutragen.
„Die Vieldeutigkeit lyrischer oder besonders ‚dichter‘ epischer Texte wird artikuliert durch die beteiligten Lernenden, die eingeladen sind, ihre Fragen an den Text zu artikulieren (statt ‚endgültige‘ Antworten zu finden). Das Gespräch vermittelt daher zwischen Subjekt und Gegenstand, es ist das eigentliche Medium der Bedeutungsgenerierung.“ (Garbe, 2011, S. 83)
Der ausgewählte literarische Text muss also a) ambivalent sein und den Verstehenshorizont der auswählenden (Lehr-)Person übersteigen und b) für sie subjektiv bedeutsam sein. Das literarische Gespräch stützt sich dabei weniger auf die Verfahren der handlungs- und produktionsorientierten Literaturdidaktik als vielmehr auf „gesprächsförmige Prozesse, die die Verbindung zwischen den sinnverbürgenden Erwachsenen […], dem über seine Verstehensgrenzen hinausgeführten Kind und dem […] literarischen Text herstellen und mit Leben, Nähe und Affekt füllen“ (Härle, 2004, S. 149).
Eine Vorstufe des literarischen Gesprächs ist das Vorlesegespräch. Das Verhältnis zwischen beiden lässt sich tabellarisch folgendermaßen darstellen:[1]
Vorlesegespräch | Literarisches Gespräch | |
Akzente: | ||
-partizipative Textbegegnung -Literarisches Lernen -Unterstützung der literarischen Sinnbildung | Verständigung über Verstehen | |
Übergänge |
Der wesentliche methodische Unterschied zwischen dem Vorlesegespräch und dem literarischen Gespräch besteht darin, dass das Vorlesegespräch den Prozess der Textbegegnung begleitet, während er beim literarischen Gespräch an die (Erst-)Lektüre anschließt. Inhaltlich geht es beim Vorlesegespräch um die Unterstützung literarischer Sinnbildung, während das literarische Gespräch auf eine Meta-Ebene zielt, indem es Verständigung über Verstehen herbeiführen will (Spinner, 2001, S. 57–72). Die Übergänge sind hier allerdings fließend. Daher gilt: „Gerade die genauere Betrachtung des Vorlesegesprächs zeigt, dass Gespräche zur Literatur im Unterricht in allen Jahrgangsstufen Anlässe für eine lernförderliche literaturbezogene Verständigung bieten und zum literarischen Lernen beitragen können.“ (Pieper, 2016, S. 78)
Was kennzeichnet ein „gutes“ (Vorlese-)Gespräch? Iris Kruse (2014, S. 102–121) hat hierzu folgende Kriterien vorgelegt:
Die Vorlesesituation soll sich vom übrigen Unterrichtsgeschehen abheben, die Kinder sollen sich wohlfühlen (Kruse, 2014, S. 104).
Die Inhalte des Buches dürfen nicht für andere Belange instrumentalisiert werden (Kruse, 2014, S. 104).
Die Anschlussaufgabe soll imaginationsorientiert ausgerichtet sein und Spielräume für individuelle Zugriffe lassen (Kruse, 2014, S. 107).
Nele Ohlsen hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass literarische (Vorlese-)Gespräche institutionalisierte schulische Normen bewusst für eine begrenzte Zeit außer Kraft setzen wollen (2011, S. 337–360). So sollen sich die Kinder nicht melden und das Gespräch folgt nicht einem „Aufgabe-Lösungs-Muster“.
Als problematisch erweisen sich umgekehrt folgende Aspekte (Kruse, 2014, S. 116–117):
Das Besondere der Vorlesesituation wird nicht deutlich.
Weitschweifige Überbetonung thematischer Aspekte
Kleinschrittiges Zerpflücken des Buches
Zurückdrängen spontaner Rezeptionsreaktionen der Kinder
Zu wenig Anregungen zur Perspektivübernahme
Hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung eines literarischen (Vor-)Lesegesprächs unterscheidet Kaspar Spinner mehrere Impulstypen:[2]
Aktivierung eigener Erfahrungen. Dieser Impulstyp erlaubt es, eine Verknüpfung zwischen Kind und Text herzustellen. Es geht um die „Verstrickung“ des Subjekts in den Text, die für das literarische Verstehen konstitutiv ist (Kreft, 1977, S. 379). In der Praxis führt dieser Impulstyp allerdings gerade bei wenig geübten Lehrkräften eher vom Text weg: „Gerade diese Gestaltungslinie umzusetzen, fällt jüngeren Lehrkräften oder Studierenden im Fachpraktikum erfahrungsgemäß schwer: Gesprächsimpulse, die die Aktivierung eigener Erfahrungen im Zusammenhang der Erzählung anzielen, können die Textbegegnung leicht in die Ferne rücken lassen.“ (Pieper, 2016, S. 81) Die Kinder „verlieren“ sich in ihren eigenen Erfahrungen.
Entwickeln von Antizipationen. Die Kinder überlegen, wie die Geschichte weitergehen könnte. Dadurch kann die narrative Struktur der Erzählung vergegenwärtigt werden.
Perspektivenübernahme. Die Kinder denken und fühlen sich in die Geschichte hinein, indem sie sich mit einer Figur identifizieren.
Reflexion des Verhaltens einer Figur. Dieser Impuls bietet sich insbesondere an, wenn die Figur etwas Überraschendes tut.
Herstellung von deutenden Bezügen im Text. Hier geht es darum, inwiefern eine bestimmte Textstelle durch andere erhellt (oder in Frage gestellt) wird.
Ein „gutes“ (Vorlese-)Gespräch hängt natürlich auch von der Auswahl eines geeigneten literarischen Textes ab. Literarische Texte eröffnen Interpretationsspielräume, sie lassen sich nicht eindeutig „entschlüsseln“. In der Literaturdidaktik greift zusätzlich das Kriterium der „Einfachheit“: Damit ist ein „literarisches Verfahren [gemeint], das unter dem Aspekt des Literaturerwerbs von zentraler Bedeutung ist. Einfach wird ein Text genannt, der durch eine begrenzte Zahl elementar-poetischer Mittel strukturiert ist und auf diesem Weg Themen und Gegenstände von hoher Komplexität in vereinfachter Form darbietet.“ (Lypp, 2006, S. 93)
Ich werde im Folgenden ein Vorlesegespräch aus dem Deutschunterricht vorstellen[3] und es anschließend mit einem ähnlichen „Vorlesegespräch“ aus dem Religionsunterricht vergleichen, um auszuloten, inwiefern die literaturdidaktischen Überlegungen zum Vorlesegespräch auch für den Religionsunterricht fruchtbar gemacht werden können und wo (z.B. durch die unterschiedlichen Fachkulturen) möglicherweise Grenzen gesetzt sind.
3 Ein exemplarisches Vorlesegespräch aus dem Deutschunterricht
Wir befinden uns in einer ersten Grundschulklasse im städtischen Umfeld von Frankfurt am Main. Die Kinder stehen im Halbkreis vor der Tafel. Dort hat die Lehrerin das Buch abgelegt. Die Lehrkraft liest den Kindern das Bilderbuch „Steinsuppe“ von Anaïs Vaugelade vor. Es geht darin um einen Wolf, der – beladen mit einem Sack, in dem sich ein großer Stein befindet – zur Henne kommt und um Einlass bittet. Er möchte eine Steinsuppe kochen. Die Henne ist erschrocken, aber auch neugierig und lässt den Wolf herein. Nach und nach kommen weitere Tiere hinzu, die gesehen haben, dass der Wolf bei der Henne ist. Sie sind besorgt, bringen aber Gemüse für die Suppe mit. Da der Stein nicht weich wird, nimmt der Wolf ihn schließlich aus der Suppe. Alle Tiere essen gemeinsam. Schließlich zieht der Wolf – mit seinem Stein – weiter.
Der Text erfüllt das Kriterium der Einfachheit. Die Erzählung arbeitet mit dem für Märchen typischen Muster von Wiederholung und Variation: Dreimal kommen Tiere dazu, dreimal gibt der Wolf Suppe aus. Das Bilderbuch spielt mit dem Märchenmotiv des bösen Wolfes. Die Darstellung des Wolfes bleibt in der Erzählung rätselhaft. Diese Rätselhaftigkeit bleibt auch in der Illustration gewahrt: „Gerade die überzeichnete Kopfform mit der langen spitzen und stets geschlossenen Schnauze sowie seine Augen, die durchweg als Schlitze erscheinen, tragen dazu bei, dass man über seine Gemütslage und Motive nur spekulieren mag.“ (Pieper, 2016, S. 83)
Die folgende Gesprächssequenz thematisiert diese Ambivalenz.[4]
313 | LP | (3,8) guckt euch mal die bilder an wie die da sitzen |
314 | Sunb | cool (Gemurmel) |
315 | LP | wie sehen die aus was meint ihr (.) wie geht’s denen (-) jetzt (.) haben die angst |
316 | SuS | ((lachen)) nein (.) ja |
317 | LP | Ron |
318 | Ron | nein haben die nicht |
319 | LP | die (.) wie sehen die denn dann aus |
320 | Ron | die [sehen] fröhlich aus |
321 | Sunb | [fröhlich] |
322 | LP | fröhlich [ja] finde ich auch (.) aha |
323 | Sunb1 | [glücklich] |
324 | LP | was (.) zeig mal was meinst du |
325 | Sunb1 | n pferd der lacht |
326 | LP | der (.) der lacht richtig der esel ja ganz genau (.) [und guckt euch mal hier die ente an] |
327 | Sunb3 | [((lacht)) gog gog gog] |
328 | SuS | [gog gog gog] |
329 | SuS | [((lachen))] |
330 | LP | [denen gehts gut] |
331 | Sunb | aber der wolf guckt auch so [komisch] |
332 | Sunb1 | [nein] |
333 | LP | der wolf guckt noch komisch ne (.) woran siehst du das |
334 | Sunb | weil er so guckt |
335 | Sunb1 | man kann nur [seine augen erkennen] |
336 | Sunb2 | [guck doch (-) die tiere] |
337 | LP | [<<flüsternd> (unverständlich)>] |
338 | Sunb3 | [vielleicht ist er müde] |
339 | LP | [ganz komische augen] |
340 | Sunb1 | [vielleicht guckt er (unverständlich) er als esel] |
341 | Sunb2 | [müde (.)] |
342 | LP | er guckt auf die tiere jawoll |
343 | Sunb1 | vielleicht ist er auch müde (2) |
Betrachten wir das Agieren der Lehrkraft. Sie setzt mit einem offenen Impuls ein (313), den sie anschließend präzisiert (315). Die Frage „haben die angst“ ruft bei den Kindern spontan (sie melden sich nicht) sowohl zustimmende als auch ablehnende Reaktionen hervor (316). Die Frage wird damit von der Klasse als eine offene Frage rezipiert. Die Lehrerin sanktioniert das Hineinrufen nicht. Sie nimmt nun gezielt Ron dran (317), der eine eindeutige Einschätzung abgibt: „nein haben die nicht“. Daraufhin greift die Lehrerin ihren Impuls aus 315 nochmals auf: „wie sehen die denn dann aus“ (319). Ein Kind sagt: „fröhlich“, was die Lehrkraft bestätigt (322). Allerdings präzisiert sie, dass es sich dabei um ihre Meinung handelt, nicht um ein „objektives Richtig“. Sie schließt sich mit den Kindern so zu einer Interpretationsgemeinschaft zusammen, die auf der Suche nach möglichen Deutungen ist. Sunb1 amplifiziert „fröhlich“ durch „glücklich“ (323). Die Lehrerin hält das Kind nun dazu an, zu zeigen, was es meine (324). Sie gibt damit einen text- bzw. bildbezogenen Impuls und verstärkt anschließend die Antwort von Sunb1 (326). Auf ihre Aufforderung hin, sich die Ente einmal anzugucken, lachen mehrere Kinder (327; 329) und machen das typische Geräusch einer Ente nach (327–328). Die Lehrerin fasst nun zusammen: „denen geht’s gut“ (330).
Der folgende Impuls kommt nicht von der Lehrkraft, sondern von einem Kind und beginnt mit „aber“ (331). Die Eindeutigkeit der vorherigen Aussage ist damit in Frage gestellt. Den Tieren geht es gut, aber der Wolf bildet vielleicht eine Ausnahme. Er „guckt auch so [komisch]“. Die Lehrerin greift das bestätigend auf und fragt nach: „woran siehst du das“ (333). Mehrere Kinder äußern die Vermutung („vielleicht“ 338; 340; 343), der Wolf sei „müde“ (338; 341; 343). Diese Vermutung liegt jenseits des typischen Motivs vom „bösen Wolf“, über das die Kinder zu Beginn des Vorlesegesprächs gesprochen haben. Sie stoßen hier zu einer eigenen Deutung vor, die die Lehrerin so stehen lässt.
Gemessen an den oben skizzierten Kriterien für „gute“ Vorlesegespräche ist die Sequenz als gelungen zu bezeichnen. Durch das Stehen im Halbkreis um die Tafel ist die Situation ist als eine besondere charakterisiert. Die Kinder fühlen sich offensichtlich wohl, sie lachen und sind engagiert bei der Sache. Die Lehrerin lässt spontane Reaktionen zu, sie gibt Impulse, sich in die Tiere hineinzuversetzen und führt die Kinder immer wieder zu dem Bild und der Erzählung zurück. Sie gibt sich als Teil der Interpretationsgemeinschaft und strukturiert gleichzeitig das Gespräch, indem sie Impulse setzt und zusammenfasst. Die Erzählung wird nicht instrumentalisiert. Denkbar wäre ja eine Moralisierung bzw. eine Thematisierung ethischer Themen wie „Vorurteile“, „Gastfreundschaft“, „Teilen“ etc. Diese Richtung wird aber weder von der Lehrkraft noch von den Kindern eingeschlagen.
Betrachten wir nun eine Sequenz aus einem Vorlesegespräch, das im Religionsunterricht stattfindet.
4 Ein Vorlesegespräch aus dem Religionsunterricht
Wir befinden uns in einer dritten Klasse einer Grundschule im ländlichen Umfeld von Lüneburg. Die Klasse sitzt auf Sitzkissen im Sitzkreis hinten im Klassenzimmer. Räumlich ist es recht eng. Die Lehrerin sitzt mit im Kreis und liest vor. Zwischendurch zeigt sie das Bilderbuch im Kreis herum.
Die Erzählung „Die vier Lichter des Hirten Simon“ von Gerda-Marie Scheidl ist von Marcus Pfister illustriert und wurde 1986 erstmals veröffentlicht. In Kirche und Religionsunterricht wird sie relativ breit rezipiert. Die Geschichte spielt vor 2000 Jahren in Galiläa. Simon, ein 9-jähriger Junge, geht auf die Suche nach einem Lamm, das unter seiner Obhut verloren gegangen ist. Da er sich alleine fürchtet, bekommt er vier Lichter mit auf den Weg und trifft nacheinander einen Dieb, einen Wolf und einen Bettler, denen er jeweils ein Licht gibt. Die Erzählung spielt also ebenfalls mit Wiederholung und Variation. Mit dem vierten Licht erreicht er einen Stall. Dort findet er sein Lamm und ein Kind, dem er das verlöschende letzte Licht schenkt. Daraufhin „flammte das Licht auf“. „Am Himmel strahlten die Sterne heller und heller, und der frohe Gesang klang weit hinaus zu den Hirten auf dem Feld.“
Die Erzählung spielt mit zahlreichen intertextuellen Verweisen innerhalb des biblischen Kanons. Offensichtlich ist der Bezug zur Weihnachtsgeschichte nach Lk 2: Die erzählte Zeit, der Ort (wenn auch nicht Bethlehem), die „Hirten auf dem Feld“, das Kind im Stall, die hellen Sterne, der „frohe Gesang“. Die vier Lichter erinnern an die vier Kerzen der Adventszeit. Daneben stellt jede Figur, auf die Simon trifft, eigene biblische Bezüge her. Der Dieb erinnert an Jesu Zuwendung zu den Ausgeschlossenen, z.B. zu dem Zöllner Zachäus, der betrogen hat (Lk 19). Der Wolf lässt die jesajanische Vision vom kommenden Friedensreich anklingen, in dem der Wolf zu Gast sein wird bei dem Lamm (Jes 11,6). Der Bettler schließlich ruft Jesu Zuwendung zu den Armen auf. Die gesamte Erzählung spielt mit der Metaphorik von Dunkelheit und Licht (vgl. Armbruster, 2009). Simon erhält den Auftrag, „den vier Lichtern Sorge zu tragen“. Diese Formulierung fällt stilistisch heraus und verleiht ihr besonderes Gewicht. Das Licht erhellt den Weg des Diebes, es wärmt den Wolf und den Bettler. Das vierte Licht schließlich „erfüllte den ärmlichen Raum [= den Stall] mit festlichem Glanz“. Die Erzählung spielt nicht nur mit intertextuellen Bezügen aus der Bibel, sondern auch mit Stereotypen, die durchbrochen werden. Der Dieb und der Wolf erscheinen zunächst als bedrohlich und gefährlich, sie entpuppen sich dann aber als harmlos und hilfsbedürftig. Gerade die Figur des Wolfes lässt – wie die Erzählung „Steinsuppe“ – außerbiblische Textbezüge aus Märchen anklingen (der Wolf und die sieben Geißlein, Rotkäppchen). Die Figur des „bösen Wolfes“ dürfte den Kindern eher vertraut sein als die Vision aus Jesaja 11 (in deren Hintergrund ja auch die Feindschaft zwischen Wolf und Lamm steht). Die Bilder von Marcus Pfister sind aquarellartig gestaltet und haben überwiegend illustrierende Funktion. An einigen Stellen gehen sie aber über die Erzählung hinaus. So wird z.B. dargestellt, dass Simon den Wolf streichelt – was in der Erzählung nicht vorkommt.
Die Erzählung erfüllt Kriterien der Einfachheit. Sie arbeitet mit einer begrenzten Anzahl an Figuren, die Handlung ist durch die vier Lichter und die mit ihnen verbundenen Treffen klar strukturiert. Komplexe Lichtsymbolik wird hier narrativ-konkret ausbuchstabiert. Während die ersten drei Figuren, auf die Simon trifft, Licht benötigen, kann das Kind von sich aus alles zum Leuchten bringen. Außerdem arbeitet die Erzählung mit Erwartungsbrüchen (beim Dieb und beim Wolf). Ambivalent ist die Erzählung v.a. im Zusammenhang mit der Rede von einem „wundersame[n] Duft …, ein[em] Duft von Rosen, Lilien und Mandelblüten“. Dieser Duft taucht an zwei zentralen Punkten der Erzählung auf: Er führt einerseits dazu, dass Simon einschläft und sein Lamm weglaufen kann. Er führt andererseits dazu, dass Simon den Weg in den Stall – zu seinem Lamm und dem Kind – findet. In einer Buchbeschreibung heißt es dazu: „Ein Hirtenjunge erlebt auf der Suche nach einem verlorenen Lämmchen das Wirken einer höheren Macht und nimmt teil an den wunderbaren Ereignissen der Weihnachtsnacht. Ein Weihnachtsbuch, in dem die Lichter als Symbol für Hoffnung und Hilfsbereitschaft stehen.“[5] In Frage stehen also theologisch die Wirksamkeit einer „höheren Macht“ bzw. Gottes, ethisch die Hilfsbereitschaft. Insbesondere mit der Frage nach einer „höheren Macht“ ist eine zentrale religiös-theologische Dimension der Erzählung berührt, ohne eindeutig entschieden zu sein – der Duft lässt sich auch rein innerweltlich deuten. Insgesamt führt die Erzählung als ein Stück „narrativer Christologie“ zum weihnachtlichen Stall. Didaktische Absicht zeigt sich in der Einführung des 9-jährigen Simon, der etwa dasselbe Alter hat wie die Schülerinnen und Schüler. Diese Strategie zielt auf Identifikation mit dem Protagonisten. Andererseits rückt die Erzählung das Geschehen in das „ferne Land Galiläa“. So spielt die Geschichte mit Nähe und Distanz, sie zielt darauf, Weihnachten narrativ über die Lichtsymbolik eine theologische und ethische Bedeutung zuzuschreiben.
Der folgende Gesprächsausschnitt bezieht sich auf das Treffen zwischen Simon und dem Wolf.[6]
[1] L (liest vor): „Aber von seinem Lamm war nichts zu sehen. Hatte es sich versteckt? Dort in der Höhle regte sich etwas. Simon rannte hin. WAR ES SEIN LAMM? NEIN, ES WAR EIN WOLF. SCHON schnappte er nach seinem Mantel. Simon zitterte. Er versuchte sich loszureißen. Sofort gab der Wolf ihn frei. Er winselte und leckte seine Pfote.“ (Dreht das aufgeschlagene Buch zu den Schülerinnen und Schülern um und zeigt ihnen die Illustration des Buches zu der vorgelesenen Seite). In der Hoffnung sein Lamm zu finden trifft er auf einen Wolf in einer Höhle. #00:00:36-4#
[2] Die Schülerinnen und Schüler sehen sich das Bild an. #00:00:38-2#
[3] L: Und ihr seht, Simon hat auch ganz viel Angst und zittert. Und der Wolf schnappt nach seinem Mantel aber er lässt ihn sofort frei. (Dreht das Buch wieder zu sich und liest weiter). „Er winselte und leckte seine Pfote. DA ERST sah Simon die blutende Wunde an seiner Pfote. Alle Angst war verflogen. Schnell riss er ein Stück Stoff von seinem Mantel ab und verband vorsichtig die Wunde. Nun bleib brav liegen, sagte er, damit die Wunde heilen kann. Simon stand auf, um weiterzugehen und sein Lamm zu suchen. Doch der Wolf zerrte wieder an seinem Mantel und sah ihn an. Ich soll bei dir bleiben? Ist es das, was du sagen möchtest? Simon streichelte den Wolf. Das kann ich nicht. ICH MUSS DAS LAMM SUCHEN. Vielleicht braucht es meine Hilfe, wie du. Nach kurzem Überlegen stellte er eines der Lichter neben den Wolf. Hier Wolf, hast du ein Licht. Es wird dich wärmen. ZWEI LICHTER sind genug für mich. Jakob wir das begreifen. Dankbar blickte der Wolf ihm nach.“ (...) Guck mal. (Dreht das aufgeschlagene Buch zu den Schülerinnen und Schülern um und zeigt ihnen die Illustration zu der vorgelesenen Passage im Buch). #00:01:49-9#
[Das anschließende Gespräch dreht sich um die Frage, was der Wolf denkt, als er Simon sieht. Dann setzt die Lehrkraft einen neuen Impuls.]
[32] L: Sehr schön. So. Jetzt brauche ich mal jemand, der es schafft, so zu gucken wie der Wolf. (Dreht das aufgeschlagene Buch zu den Schülerinnen und Schülern um und zeigt ihnen die Illustration der Begegnung von Simon und dem Wolf im Buch). Und Simon, der ihn da einfach mal tröstet und verbindet. Traut ihr euch? Caro. Wen willst du spielen? #00:04:21-5#
[33] Caro: Den Wolf. #00:04:23-7#
[34] L: Gut. Ok. Wer ist Simon? (Wendet sich Lukas zu). Dich hatte ich ja schon. Du hast ja schon so gut gespielt, ne. Jetzt muss ich nur noch gucken, ob sich jemand anders traut. #00:04:30-7#
[35] Hannes: Ching, Chang, Chong. #00:04:31-1#
[36] L: Ne. So machen wir es nicht. Wer traut sich? Na los, komm. #00:04:37-9#
[37] Mehrere Kinder aus der Klasse: Mhm (verneinend). #00:04:41-1#
[38] L: Dann, dann nehm ich Lukas. Super Lukas. Find ich toll, dass du/ ich glaube, ich muss die Kerze ändern. #00:04:51-1#
[39] Schüler: Die kann doch auch aus bleiben. #00:04:54-4#
[40] L: Ja, aber das ist schade. Ich finde das mit dem Licht so wunderschön und sie brennt nur noch ganz wenig. #00:04:58-4#
[41] Lukas steht auf und geht auf die Lehrkraft zu. #00:04:59-9#
[42] L: (Überreicht Lukas die Laterne mit dem Teelicht). Nimm sie mal ganz vor/ ganz vorsichtig in die Hand. Genau. #00:05:03-4#
[43] Lukas hält die Laterne in der rechten Hand und steht seitlich vor Caroline mit Blick Richtung Lehrkraft. #00:05:03-5#
[44] L: (Wendet sich Caroline zu). So, du bist der Wolf. #00:05:04-7#
[45] Caroline kniet sich mit Blick Richtung Lehrkraft auf den Boden und lächelt. #00:05:06-9#
[46] L: Lukas du bist Simon. #00:05:09-4#
[47] Lukas: (Wendet sich Caroline zu). (Hi?). #00:05:09-4#
[48] L: Was machst du mit dem Wolf? Guck nochmal hier. Du hast ihn ja schon verbunden (zeigt Lukas die Illustration im Buch). Was macht Simon mit dem Wolf? (….) Er lässt ihm in der Höhle ein Licht. #00:05:24-4#
[49] Lukas: Mhm (bejahend). #00:05:24-7#
[50] L: Genau. Stell das Licht da mal hin. #00:05:26-6#
[51] Lukas stellt die Laterne vor Caroline auf den Boden. #00:05:27-5#
[52] L: Und dann. Was macht er mit dem Wolf noch? #00:05:30-0#
[53] Lukas: Er streichelt ihn (fragend). #00:05:32-0#
[54] L: Ja. Streichel ihn mal über die Schulter. #00:05:33-9#
[55] Lukas kniet sich seitlich, mit Blick Richtung Lehrkraft, neben Caroline und streichelt ihr über den Rücken. Lukas lächelt. #00:05:35-9#
[56] Caroline lächelt. #00:05:37-0#
[57] L: Ja, gut. Genau. Super. Sehr gut. #00:05:40-6#
[58] Lukas setzt sich zurück auf seinen Platz. #00:05:39-4#
[59] L: Und der Wolf schmunzelt vor sich hin, genau. Ne. #00:05:41-9#
[60] Caroline setzt sich lächelnd zurück auf ihren Platz. #00:05:41-9#
[61] L: Der Wolf schmunzelt vor sich hin und guckt ihn/ wie guckt er ihn an? (Dreht das aufgeschlagene Buch zu den Schülerinnen und Schülern um und zeigt ihnen die Illustration im Buch). #00:05:46-6#
[62] Lukas steht auf und geht auf die Laterne zu. #00:05:47-7#
[63] L: (Wendet sich Lukas zu). Lass sie ruhig da stehen, ich glaub das ist besser wenn wir sie gleich/ danke. //Wie guckt der Wolf ihn an?// #00:05:52-6#
[64] //Jasper jault wie ein Wolf.// #00:05:53-6#
[65] L: Janosch. #00:05:54-9#
[66] Janosch: Erstaunt. #00:05:56-0#
[67] L: Erstaunt. Und. (…) Der guckt nicht nur erstaunt. Der guckt auch, Nike. #00:06:01-6#
[68] Nike: Fröhlich. #00:06:02-5#
[69] L: Guckt der Fröhlich? Der empfindet bestimmt so etwas wie Freude. Das glaube ich auch. Aber wie guckt er ihn an, Jasper. #00:06:11-3#
[70] Jasper: Traurig. #00:06:12-2#
[71] L: DAS würde ich jetzt sagen tut er NICHT, denn das würde auch nicht ganz passen zu dem was wir gerade besprochen haben. Hannes. #00:06:19-8#
[72] Hannes: Grimmig. Der guckt ihn grimmig an. //Oder böse //.#00:06:21-5#
[73] L: // NA GUCKST DU MAL// HIER DRAUF. WO IST DAS GRIMMIG? #00:06:25-1#
[74] Hannes: Oder so böse. #00:06:26-3#
[75] L: Hanna. #00:06:27-3#
[76] Hanna: (Unv.). #00:06:28-9#
[77] L: Soll ich euch das sagen, wie er guckt? So ein bisschen so woa. Fast ein bisschen unterwürfig, fast. So normalerweise würde man denken ein Wolf guckt grimmig. Weil wir alle vor einem Wolf Respekt haben. Aber dieser Wolf guckt ganz dankbar, Hannes. Ich möchte nicht, dass du dazwischenredest, ne.
Die Lehrerin unterbricht das Vorlesen, um eine zentrale Szene nachspielen zu lassen. Sie fragt nicht nur, wie der Wolf guckt, sondern sie sucht jemanden, „der es schafft, so zu gucken wie der Wolf“ (32). Außerdem soll jemand Simon spielen. Das erfordert Mut („traut ihr euch“ 32). Caro meldet sich spontan und möchte den Wolf spielen. Lukas meldet sich, um Simon zu spielen. Die Lehrerin zögert aber, denn Lukas hat schon in einer vorherigen Szene mitgespielt. Sie fragt, ob sich „jemand anders traut“ (34). Damit spricht sie die Klasse als Gemeinschaft an, in der jede und jeder aufgefordert ist mitzumachen. Hannes deutet das so, dass der Zufall entscheiden kann („ching, chang, chong“ 35). Hier interveniert die Lehrkraft. Niemand soll zum Spielen gezwungen werden. Sie wiederholt ihre Frage „Wer traut sich?“ und schiebt ein aufmunterndes „na los komm“ hinterher (36). Damit ist klar: Man darf sich weigern. Mehrere Kinder aus der Klasse äußern denn auch explizit ihre Weigerung (37). Die Lehrerin befindet sich nun in einem Regelkonflikt: Einerseits sollen möglichst viele SuS sich einbringen, andererseits soll niemand gezwungen werden. Sie entscheidet sich, nun doch Lukas zu nehmen (38). Damit ist markiert, dass es sich insofern um eine besondere Situation handelt, als niemand gegen seinen Willen dran kommt – was im Unterrichtsalltag durchaus geschieht. Die Situation ist eine „Wohlfühlsituation“, in der die Kinder zu nichts gezwungen werden sollen. Das verdeutlicht die anschließende Sequenz: Die Kerze droht auszugehen, woraufhin ein Schüler sagt: „Die kann doch auch aus bleiben.“ (39) Der Lehrerin ist das nicht recht: „ Ja, aber das ist schade. Ich finde das mit dem Licht so wunderschön.“ (40) Die Lehrkraft bringt sich hier mit einer persönlichen Einschätzung ein („ich finde“) und sie betont die ästhetische Qualität der Situation. Es soll „wunderschön“ sein. Die Lichtsymbolik spielt in der gesamten Unterrichtseinheit eine zentrale Rolle. Diesen thematischen Fokus macht die Lehrkraft an dieser Stelle aber nicht explizit.
Anschließend spielen die beiden Kinder die Szene nach, angeleitet durch die Lehrkraft (41–58). Sowohl Lukas als auch Caroline sind in der Sequenz ganz auf die Lehrkraft ausgerichtet (45; 55). Sie stellt zunächst noch einmal klar, wer wer ist (44; 46). Lukas wendet sich Caroline dann mit einem unsicheren „Hi?“ zu (47). Die Lehrkraft greift daraufhin unterstützend ein (48). Sie verweist dazu auf die Illustration im Buch und erinnert daran, dass Simon dem Wolf in der Höhle ein Licht lässt. Anschließend gibt sie eine konkrete Handlungsanweisung: „Stell das Licht mal da hin.“ (50) Dann fragt sie weiter: „Was macht er mit dem Wolf noch?“ (52) Die Antwort von Lukas kommt unsicher-fragend (53) und wird von der Lehrkraft bestätigt sowie mit einer weiteren konkreten Handlungsaufforderung versehen (54): „Streichel ihn mal über die Schulter.“ Lukas kommt der Aufforderung nach und kniet sich dazu hin (55). Beide Kinder lächeln. Die Lehrerin greift das auf, indem sie sagt: „Der Wolf schmunzelt vor sich hin, genau.“ (59). Diese Aussage bildet dann die Überleitung zur nächsten Sequenz (61). Lukas und Caroline werden von der Lehrerin aber zunächst nachdrücklich gelobt (57). Die Kinder gehen zurück auf ihre Plätze und markieren damit das Ende des „Schauspiels“ (58; 60).
Die Lehrerin kommt jetzt auf ihren Eingangsimpuls zurück (vgl. 32). Es geht um die Frage, wie der Wolf guckt (61). Diese Frage hat in dem Spiel von Lukas und Caroline keine erkennbare Rolle gespielt und wird nun von der Lehrkraft explizit erneut eingebracht. Lukas ist noch mit dem Spiel beschäftigt und geht zur Laterne (62). Jasper jault wie ein Wolf (64). Er spielt nun seinerseits den Wolf und bringt ihn als Wolf (nicht als quasi-Menschen) zur Darstellung. Die Lehrerin geht nicht darauf ein, sanktioniert Jaspers Verhalten aber auch nicht, sondern nimmt Janosch dran (65). Janoschs Antwort („erstaunt“ 66) wiederholt und relativiert sie („der guckt nicht nur erstaunt“), so dass die Frage unabgeschlossen bleibt (67). Nike bringt „fröhlich“ ein (68). Die Lehrerin stimmt zu („der empfindet bestimmt so etwas wie Freude“ 69), erkennt Nikes Beitrag aber nicht als Antwort auf ihre Frage an, indem sie – mit adversativem Anschluss – erneut fragt: „Aber wie guckt er ihn an, Jasper.“ (69) Jasper charakterisiert den Blick des Wolfes nun als traurig (70). Damit bietet er das Gegenteil von fröhlich an. Seine Antwort schließt auch an das „Gejaule“ (64) des (traurigen) Wolfes an. Hier reagiert die Lehrerin nun klar verneinend, markiert ihre Ablehnung aber als ihre persönliche Einschätzung („DAS würde ich jetzt sagen tut er NICHT“ 71). Sie begründet ihre Einschätzung mit dem, „was wir gerade besprochen haben“ (71). Hannes bietet dann „grimmig“ und „böse“ an (72; 74) und hält an dieser Einschätzung auch gegen den recht scharfen Einwurf der Lehrkraft fest, die als Argument für ihre Ablehnung nun auf die Illustration verweist: „// NA GUCKST DU MAL// HIER DRAUF, WO IST DAS GRIMMIG?“ (73) Hannes nennt damit Charaktereigenschaften, die dem „bösen“ Wolf aus dem Märchen entsprechen. Die Lehrerin gibt nun selbst die Antwort und markiert diese nicht (mehr) als persönliche Einschätzung, die auch anders ausfallen könnte (77): „Fast ein bisschen unterwürfig, fast.“ Sie geht nun insofern auf Hannes Beiträge ein, als sie auf das Cliché vom bösen Wolf verweist („So normalerweise würde man denken ein Wolf guckt grimmig. Weil wir alle vor einem Wolf Respekt haben.“). Dagegen setzt sie die Interpretation: „Aber dieser Wolf guckt ganz dankbar, Hannes.“ Damit thematisiert sie den Erwartungsbruch, mit dem die Erzählung arbeitet. Eine disziplinarische Bemerkung schließt die Sequenz ab („Ich möchte nicht, dass du dazwischenredest, ne.“).
(Inwiefern) Können wir bei dieser Gesprächssequenz von einem gelungenen Vorlesegespräch sprechen? Zunächst geht es auch hier um eine Wohlfühlsituation, die dem „normalen“ Unterrichtsalltag enthoben ist. Die Kinder sitzen nicht auf ihren Stühlen an ihren Tischen, sondern „gemütlich“ in der Sitzecke. Das Prinzip der Freiwilligkeit herrscht (32; 34; 38) und es gibt ein „wunderschönes“ Licht (40). Die meisten Kinder machen von ihrem „Verweigerungsrecht“ Gebrauch, beteiligen sich aber durchaus und verfolgen die Geschichte. Die Lehrerin gibt Impulse zur Perspektivübernahme. Als Qualitätskriterien gelten Text- und Bildbezogenheit (32; 48; 61; 73) sowie die Stimmigkeit mit dem, was vorher besprochen wurde (71). Die Aufgabe zum Nachspielen ist imaginationsorientiert.
Im Vergleich zu dem oben besprochenen Vorlesegespräch aus dem Deutschunterricht fällt Folgendes auf:
Disziplinarische Regeln werden weitgehend nicht außer Kraft gesetzt (vgl. Ohlsen, 2011). Die Kinder müssen sich melden, werden einzeln drangenommen und dürfen nicht dazwischenreden (77). Die Lehrerin hat die Klasse zu jeder Zeit „im Griff“.
Die Lehrkraft tritt dominanter auf. Sie leitet das Spiel an, Lukas und Caroline sind auch körperlich ganz auf sie ausgerichtet – und besprechen z.B. nicht untereinander, wie sie die Szene gestalten wollen. Außerdem bewertet die Lehrkraft stärker – sowohl positiv wie auch negativ.
Inhaltlich wird das Vorlesegespräch sehr viel weniger offen gestaltet. Das Spiel orientiert sich eng an der Buchillustration. Es entsteht nur andeutungsweise der Eindruck, dass die Lehrerin und die SuS eine Interpretationsgemeinschaft bilden, die gemeinsam auf der Suche ist. Gegen Ende der Sequenz gerät das Vorlesegespräch immer stärker zu einem fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch, bei dem die Kinder versuchen, die von der Lehrkraft anvisierte Interpretation zu erraten – und die Lehrkraft schließlich die „richtige“ Interpretation vorgibt.
Insofern ist dieses Beispiel – gemessen an den literaturdidaktischen Kriterien „guter“ Vorlesegespräche – als weniger gelungen anzusehen. Es verdeutlicht gerade dadurch das spannungsvolle Verhältnis zwischen der Teilhabe an literarischer Kultur und dem Teilnehmen an Unterrichtsgesprächen.
Aber ist es überhaupt legitim, ein Vorlesegespräch aus dem Religionsunterricht an literaturdidaktischen Kriterien zu messen, die auf die Teilhabe an literarischer Kultur zielen? Denn grundsätzlich gilt: „Selbstverständlich ist das beobachtbare Lehrerverhalten beim Vorlesen darüber hinaus auch auf die Implikationen des dem Unterricht zugrunde gelegten Gegenstands zurückzuführen.“ (Kruse, 2014, S. 109) Insofern wäre gesondert zu fragen, welche Implikationen dies in unserem Fall sind. Unter diesem Aspekt werfen wir nochmals einen Blick auf die Erzählung von Simon und den vier Lichtern. Im Vergleich mit der Erzählung „Steinsuppe“ fällt auf, dass die Erzählung von Simon weniger Bedeutungsspielräume eröffnet als „Steinsuppe“. Das gilt insbesondere für die Darstellung des Wolfes. Während diese Figur in „Steinsuppe“ ambivalent bleibt, gibt es in der Erzählung von „Simon und den vier Lichtern“ einen klar konturierten Erwartungsbruch: Der Wolf ist nicht „böse“ und gefährlich, sondern hilfsbereit, unterwürfig und dankbar. Insofern entspricht das Vorgehen der Lehrerin durchaus der literarischen Vorlage.
Die Mehrdeutigkeit zeigt sich in dieser Erzählung an anderer Stelle, v.a. in der Lichtsymbolik und in dem Duft, der an narrativen Knotenpunkten auftaucht (s.o.). Die Lichtsymbolik wird in der Unterrichtseinheit, aus dem das Vorlesegespräch entnommen ist, in den beiden Unterrichtsstunden thematisiert, die dem Vorlesen der Erzählung vorausgehen. Über den Kontrast von Dunkelheit und Licht kommen Wärme und Helligkeit des Lichts zur Sprache, dann aber auch der metaphorische Zusammenhang von Licht und Trost. Damit sind thematische Schwerpunkte gesetzt, die die Lehrkraft im Laufe des Vorlesegesprächs aufgreift und verstärkt. Von hierher versteht sich einerseits ihre Äußerung: „Ich finde das mit dem Licht so wunderschön und sie [die Laterne] brennt nur noch ganz wenig.“ (40) Andererseits wird einsichtig, warum sie dem Motiv des Streichelns, das seinen Anhalt nicht im Text, sondern in der Illustration hat, einen so hohen Stellenwert beimisst (53–57). Das heißt: Die Ambiguität der Lichtsymbolik wird gerade nicht für das Vorlesegespräch fruchtbar gemacht, sondern im Vorfeld von der Lehrkraft didaktisch aufbereitet und vereindeutigt. Von daher überrascht es nicht, dass in der dokumentierten Unterrichtseinheit an den Stellen, an denen es zentral um die Lichtsymbolik geht, nicht zu einem offenen literarischen Gespräch kommt. Aus literaturdidaktischer, aber auch aus religionsdidaktischer Sicht lässt sich von daher als Aufgabe für die Religionslehrkräfte formulieren, dass sie Erzählungen daraufhin befragen, wo ihre Ambiguitäten liegen, worin ihre religiöse Relevanz bestehen könnte und wie sich an diesen Punkten literarische – und damit dann auch theologische – Gespräche inszenieren lassen.
5 Literarische Texte im Religionsunterricht
„Die Reformation stellt einen energischen Imperativ zur Bildung in den basalen Kulturtechniken Lesen und Schreiben auf. Jeder Christ soll selbst die Schrift lesen können, fordert Luther. […] So gesehen gehört eine Mitwirkung an der Förderung des Lesens und Verstehens von Texten, die gegenwärtig vorrangig an den Deutschunterricht delegiert ist, zu den genuinen Pflichten des Religionsunterrichts.“ (Büttner, Dieterich & Roose, 2015, S. 126)
Zielt Religionsunterricht damit ebenfalls auf die Teilhabe an literarischer Kultur? Zu unterscheiden ist hier zunächst zwischen einer Lesekompetenz und einer literarischen Kompetenz. Es gehört zu den Merkmalen literarischer Gespräche, dass sie beides entkoppeln. Die Auswahl geeigneter literarischer Texte orientiert sich nicht (mehr) an der Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler. Dadurch können literarisch anspruchsvollere Texte in den Literaturunterricht eingebracht werden. Dieser neue Zugriff soll dem Habitusverdacht entgegen wirken, der dem Deutschunterricht vorwirft, in bürgerlich-elitärer Selbstbezogenheit zu agieren (vgl. Garbe, 2011, S. 85). Literatur – so die Grundüberzeugung – ist allen zugänglich, unabhängig von der Lesekompetenz.
Für den Religionsunterricht heißt das: Wer der Überzeugung ist, dass es zu den Aufgaben des Religionsunterrichts gehört, Lesekompetenz zu fördern, hat über die Befähigung der Teilhabe an literarischer Kultur noch nicht unbedingt etwas gesagt – Lesen kann man auch mit Gebrauchsanweisungen üben. Die Frage wäre dann vielmehr einerseits, wie sich das Lesen bzw. Sprechen über biblische(r) Texte als Befähigung an literarischer Kultur gestalten lässt, und andererseits, welche Funktion das Einbringen nicht-biblischer literarischer Texte in den Religionsunterricht primär verfolgen soll. Diese Primärfunktion kann allenfalls in einem spezifischen Sinn in der Befähigung zur Teilhabe an literarischer Kultur bestehen, und zwar insofern als das Ausloten und Aushalten von Mehrdeutigkeiten ein wesentlicher Bestandteil nicht nur literarischer (vgl. Härle, 2011), sondern auch religiöser (Dressler, 2012, S. 134) Kompetenz ist. Folgerichtig gilt als ein Auswahlkriterium von Texten für den Religionsunterricht, dass sie „einem ästhetischen Anspruch genügen, der insbesondere auch in der Offenheit für eine mehrschichtige Interpretation besteht, also eine Mehrfachcodierung enthält bzw. zulässt“ (Büttner, Dieterich & Roose, 2015, S. 127).
Im Blick auf die Kompetenzdebatte stoßen wir hier auf die Frage, wodurch sich die Fachspezifik einer formalen Kompetenz auszeichnet, und zwar jenseits ihrer Verknüpfung mit religiösen Inhalten.
„Eine spezifisch religiöse Ausrichtung bekommt diese formale Kompetenz [Literacy] nicht dadurch, dass religiöse Texte gelesen werden, sondern dadurch, dass beim Lesen – auch außerbiblischer – Texte die Differenz von Transzendenz und Immanenz eingezogen wird, also etwa die Frage, inwiefern Texte als Erfahrungswelten das Einbrechen der Transzendenz in die Immanenz thematisieren.“ (Büttner, Dieterich & Roose, 2015, S. 44)
Machen wir also abschließend die Probe aufs Exempel: Was würde sich verändern, wenn „Steinsuppe“ nicht im Deutsch-, sondern im Religionsunterricht besprochen würde? Das Bilderbuch würde in einen thematischen, genauer: religiösen, Kontext einrücken (müssen). Einerseits wäre hier an einen ethischen Horizont zu denken (Angst und Vertrauen, Freundschaft, Teilen, Gemeinschaft etc.). Denkbar wäre auch, ein Speisungswunder gegen zu blenden. Andererseits ließe sich die theologische Frage thematisieren, ob bzw. wie Gott in der Welt wirkt. Diese Thematik ist durch den Anklang an die Weihnachtserzählung und die Lichtsymbolik deutlich avisiert. Wie auch immer die Kontextualisierung aussehen würde, bedeutet sie eine thematische Fokussierung. Der Übergang zur „Verzweckung“ ist dann durchaus fließend. Wichtig scheint mir jedoch, sich jeweils deutlich zu machen, welche Interpretationsspielräume im Rahmen einer bestimmten thematischen Fokussierung bestehen bleiben oder vielleicht sogar besonders wichtig werden, und diese Räume für die SuS erkennbar zu markieren. (Also etwa: Wem kann ich vertrauen, von wem sollte ich mich eher fernhalten? Wie stellt sich in diesem Zusammenhang die biblische Figur des Judas dar? Wo verläuft die Grenze zwischen Teilen und Sich-Ausnutzen-Lassen?) Die Überlegungen zum literarischen (Vorlese-) Gespräch können an genau diesen thematischen Stellen sehr hilfreich sein.
Literaturverzeichnis
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Dr. Hanna Roose, Professorin für Praktische Theologie/Religionspädagogik, Ruhr-Universität Bochum
Tabelle übernommen aus Pieper, 2016, S. 78.
Eine Übersicht zu diesen Gesprächsimpulsen findet sich bei Bredel & Pieper, 2015, S. 155–157.
Die Darstellung folgt dem Beitrag von Irene Pieper, 2016, S. 75–93. Dort finden sich eine ausführliche Dokumentation und Gesprächsanalyse des Vorlesegesprächs.
Das Transkript ist entnommen aus Pieper, 2016, S. 88–89.
Für die Transkription danke ich ganz herzlich Frau Jasmin Eichholtz.