1 Einleitung: Organisationsformen und Zukunftsszenarien des Religionsunterrichts

Auch wenn der konfessionelle Religionsunterricht nach Artikel 7,3 des Grundgesetzes heute der „Normalfall“ in 12 der 16 Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland ist, ist diese Organisationsform des Religionsunterrichts zunehmend Anfragen ausgesetzt. Manche sehen in der verfassungsrechtlichen Regelung eine unzulässige Privilegierung der beiden Großkirchen, andere eine pro­blematische Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche oder eine nicht verant­wortbare Indoktrination von Kindern und Jugendlichen an öffentlichen Schulen. Zudem stellt sich die Frage, wie pluralitätsfähig der konfessionelle Religionsunterricht nach Artikel 7,3 GG sein kann: bezogen auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Inhalte, Ziele und Methoden des Religionsunterrichts, aber auch bezogen auf die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen und die Teilnahme von Kindern und Jugendlichen, die keiner oder einer anderen Konfession als der evangelischen bzw. römisch-katholischen angehören.

Zuletzt hat der Vorschlag der evangelischen Kirchen und katholischen Bistümer in Niedersachsen, den konfessionellen und konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in diesem Bundesland zu einem gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht (CRU) weiterzuentwickeln, die kirchen- und bildungspolitischen Debatten zu diesem Thema ausdifferenziert.[1] Bezogen auf die Organisationsmodelle des Religionsunterrichts und deren Weiterentwicklung lassen sich in diesem Zusammenhang mit Bernd Schröder (2014) vier Zukunftsszenarien unterscheiden:

  • Szenario 1: Beibehaltung, Ausbau und regionale Flexibilisierung bestehender Strukturen (zum Beispiel in Hessen und nahezu allen Bundesländer außer Brandenburg und Hamburg)

  • Szenario 2: Religionsunterricht gegliedert nach Religionen, nicht Konfessionen (so die Initiative zu einem CRU in Niedersachsen)

  • Szenario 3: Umbau in Richtung eines multireligiösen Religionsunterrichts (so der „Religionsunterricht für alle“ in Hamburg)

  • Szenario 4: Grundlegender Neuentwurf eines allgemeinen Religions- und Weltanschauungsunterrichts (so das Fach LER in Brandenburg)

Überzeugend legt Schröder in seiner Beschreibung der vier Szenarien dar, dass die genannten Organisationsmodelle jeweils plausibel auf die bekannten Herausforderungen der Individualisierung, Pluralisierung und Entkirchlichung der Gesellschaft reagieren. Im Unterschied zu zwei weiteren Szenarien bzw. Extrempositionen („Alles bleibt, wie es ist“ bzw. „Abschaffung des Religionsunterrichts“) attestiert er dabei allen Organisationsmodellen ihre Pluralismusfähigkeit:

  • Szenario 1: Pluralismusfähigkeit im Modus der Ausdifferenzierung und Regionalisierung (z.B. durch die Einführung eines jüdischen und orthodoxen Religionsunterricht in einigen Städten Hessens oder den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in Niedersachsen)

  • Szenario 2: Pluralismusfähigkeit im Modus der Elementarisierung (z.B. den Bezug auf elementare Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beteiligten Konfesseionnen im geplanen CRU in Niedersachsen)

  • Szenario 3: Pluralismusfähigkeit im Modus der vereinten Verschiedenheit (so programmatisch das Hamburger Modell)

  • Szenario 4: Pluralismusfähigkeit im Modus der Neutralisierung (so die religionskundlichen Anteile im Fach LER in Brandenburg)

Ausgehend von den aktuellen Debatten um die Zukunft des Religionsunterricht fragt der folgende Beitrag danach, wie die 5.282 befragten Personen der im Herbst 2022 durchgeführten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Religionsunterricht und seine Pluralismusfähigkeit wahrnehmen bzw. erinnern. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei die befragten Probanden in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg, da diese Länder verschiedene Organisationsmodelle bzw. Zukunftsszenarien des Religionsunterrichts repräsentieren.[2]

2 Qualitätskriterien des Religionsunterrichts in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg: Ein Überblick

Die historischen, sozio-religiösen und rechtlichen Hintergründe des Religionsunterrichts in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg müssen an dieser Stelle nicht ausführlich dargestellt werden, da dazu bereits eine Reihe an Überblicksdarstellungen und Detailstudien vorliegen. Diese Einschätzung betrifft auch die Schulpolitik der genannten Länder, die konzeptionellen Besonderheiten des dortigen Religionsunterrichts sowie die Organisationsmodelle der islamischen, alevitischen, jüdischen, orthodoxen u.a. Parrallelfächer (zu diesen Bundesländern siehe ausführlich Doe­dens & Wei­ße, 2009; Sander-Gaiser, 2009;Kraft, 2009; Borck & Schluss, 2009 sowie Bauer, 2020; Schröder, 2020; Käbisch, Kießling & Pruchniewicz, 2020 und Lenz, 2020; einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Organisationsmodelle geben zudem Meyer-Blanck, 2012 und Schröder, 2014).

Im Folgenden soll der Fokus der Darstellung nicht auf den Organisationsmodellen, sondern auf den damit einhergehenden bzw. avisierten Qualitätskriterien des Religionsunterrichts in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg liegen. Denn in den bildungs- und kirchenpolitischen Diskussionen geht die Begründung für ein Organisationsmodell in der Regel mit der Behauptung einher, dass andere Organisationsmodelle bestimmte Qualitätskriterien (zumindest nach Auskunft der jeweiligen Befürworter:innen bzw. Kritiker:innen) nicht erfüllen können. Dies betrifft insbesondere das bereits erwähnte Qualitätskriterium der Pluralismusfähigkeit, aber auch die dialogische Offenheit der Unterrichtsgestaltung oder die Authentizität bzw. transparente Positionalität der Lehrkraft.

Auf konzeptioneller Ebene kann in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass diese und weitere Qualitätskriterien gleichermaßen in den Curricula in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg zum Tragen kommen. Die für eine bestimmte Organisationsform ins Spiel gebrachten Qualitätskriterien sind daher keineswegs zwingende Argumente für ein bestimmtes Organisationsmodell oder gar eine Abschaffung des ‚Normalfalls‘, d.h. eine Revision des konfessionellen Religionsunterrichts nach Art. 7,3. Es scheint, dass die Qualität des Unterrichts auf der Mikroebene nicht von den Organisationsmodellen auf der Makroebene abhängig ist. Gleichwohl wird sich die Leistungsfähigkeit des konfessionellen Religionsunterrichts (und damit auch seine Plausibilität gegenüber Kritiker:innen) in der Zukunft nicht zuletzt dadurch erweisen müssen, dass er die in Hamburg, Niedersachsen und Brandenburg formulierten Qualitätskriterien für alternative Organisationsformen ebenfalls einzulösen vermag.

Hamburg repräsentiert in der vorliegenden Studie das Organisationsmodell eines multireligiösen Religionsunterrichts für alle (RuFa), der heute flächendeckend an allen öffentlichen Schulen in der Hansestadt erteilt wird. Dieser ist „ein bundesweites Unikum“ (Bauer, 2020, S. 153):

„Er wirdfaktisch im Klassenverband und in gemischt-religiösen Lerngruppen erteilt ­– doch ist er weder Religionskunde noch LER. Vielmehr wird er auf Basis vonArt. 7 Abs. 3 GG von der evangelischen Kirche inhaltlich verantwortet, die ihnin den 1990er Jahren dialogisch ausgerichtet und für andere religiöse Perspektivengeöffnet hat. Das verwundert kaum, ist die Hamburger Schülerschaftdoch ausgesprochen multireligiös und multikonfessionell. Seit einigen Jahrenwird der Religionsunterricht für alle [als RuFa 2.0] so weiterentwickelt, dass er zukünftigauch von muslimischen Gemeinschaften, von der alevitischen und der jüdischenGemeinde mitverantwortet werden kann“. (Bauer, 2020, S. 153)

Die religiöse Landschaft in Hamburg ist mit der Situation in anderen Großstädten (z.B. Frankfurt am Main in Hessen oder Hannover in Niedersachsen) vergleichbar, insofern in diesen Städten weniger als die Hälfte, d.h. 47%, 32% bzw. 37% der Bevölkerung einer der beiden großen Kirchen formal angehören (Hamburg: 38% evangelisch und 9% katholisch; Frankfurt am Main: 14% evangelisch und 18% katholisch; Hannover: 26% evangelisch und 11% katholisch).[3] Auch der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und der Anteil an Muslimen in der Bevölkerung ist vergleichsweise hoch. Die Zahlen in diesem Bereich lassen sich allerdings nicht so genau beziffern wie die oben genannten, amtlich erfassten Kirchenmitgliedschaftszahlen.[4] Abbildung 1 gibt mit aktuellen Angaben zur Tauf-, Bestattungs- und Austrittsquote bei Evangelischen und Katholischen zudem einen Eindruck von den religiösen Dynamiken in den drei Städten. So liegt beispielsweise die Austrittsquote aus der Kirche bei den Hamburger Katholischen (5,1%) derzeit deutlich über der der Evangelischen (2,2%).

Abb. 1: Religiöse Dynamiken in Hannover, Frankfurt am Main und Hamburg am Beispiel der Austritts-, Bestattungs- und Taufquote. Amtliche Meldedaten.

Das Hamburger Modell macht bereits seit den 1990er Jahren nicht nur demographische und schulorganisatorische, sondern auch didaktische Gründe für das Ler­nen in einem gemeinsamen Unterrichtsfach geltend. Jochen Bauer (2020, S. 161) verweist in diesem Zusammenhang auf die didaktischen Prinzipien, die bereits Folkert Doedens und Wolfram Weiße (2009) als Argumente für den Hamburger Weg formuliert haben:

  • Schülerorientierung: Bezug zu den lebensweltlichen Erfahrungen und Problemen der Jugendlichen; inhaltliche und intentionale Ausgestaltung des Unterrichts entsprechend der Zusammensetzung der Lerngruppe;

  • Traditionsorientierung: Begegnung und Auseinandersetzung mit wesentlichen Inhalten der Traditionen der Religionen bei besonderer Berücksichtigung christlicher Überlieferungen und Glaubensäußerungen (des Protestantismus, des Katholizismus, der Orthodoxie);

  • Dialogische Offenheit: Dialog als kommunikative Grundform des Unterrichts, Beachtung der Pluralität religiöser Überzeugungen in der Lerngruppe;

  • Perspektivwechsel: Die gleiche Sache aus verschiedenen Perspektiven wahrnehmen – Wechsel von Innen und Außenperspektive [sic];

  • Authentizität: Begegnung und Auseinandersetzung mit den religiösen bzw. weltanschaulichen Traditionen und Überzeugungen entsprechend ihrem Selbstverständnis; originale Begegnung und Erkundung;

  • Wissenschaftsorientierung: Verantwortung der Inhalte und Ziele an Methoden, Einsichten und Ergebnissen ökumenisch ausgerichteter Theologie(n), der Religionspädagogik, der Religionswissenschaft und benachbarter Geistes- und Sozialwissenschaften“(Doedens & Weiße, 2009, S. 137).

Die für den Hamburger Weg in Anschlag gebrachten Qualitätskriterien sind so allgemein formuliert, dass sie auch für den Selbstanspruch des Religionsunterrichts in anderen Bundesländern zutreffen. Im Gegenzug bedeutet diese Einsicht, dass keiner der genannten didaktischen Argumente zwingend für das Hamburger Modell spricht. Auch der evangelische Religionsunterricht in Hessen und Niedersachsen ist seinem Anspruch nach offen „für alle“, arbeitet seinem Selbstverständnis nach schüler-, traditions- und wissenschaftsorientiert und ist den Prinzipien des Dialogs, der Befähigung zum Perspektivenwechsel und der Forderung nach Authentizität verpflichtet.

Da die Einführung eines gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterrichts (CRU) in Niedersachsen noch aussteht, repräsentiert dieses Bundesland in der vorliegenden Studie den konfessionellen Religionsunterricht mit der gesetzlich geregelten Möglichkeit zur Kooperation als Organisationsmodell. Das niedersächsische Kultusministerium erließ bereits 1998 organisatorische Regelungen für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, die 2005 und 2011 modifiziert wurden. Durften anfangs die Schüler:innen nur maximal die Hälfte der Schuljahre gemeinsam von einer (katholischen oder evangelischen) Lehrkraft unterrichtet werden, sind Lehrkräfte beider Konfessionen seit 2005 regelmäßig (im Wechsel) einzusetzen; zudem soll die konfessionelle Kooperation mehr als die die Hälfte der Schuljahre betragen, um genehmigungsfähig zu sein (Schröder, 2020, S. 248). Im Schuljahr 2016/17 nahmen durchschnittlich 23,5 % der Schüler:innen der Sekundarstufe I am konfessionell-kooperativen Religionsunterricht teil; den Spitzenwert erreichten dabei die Schüler:innen an Integrierten Gesamtschulen mit 49,8 % (Schröder, 2020, S. 249). Die Pluralitätsfähigkeit des Religionsunterricht in Niedersachsen kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass sich 82% der daran beteiligten Lehrkräfte ökumenische Schulgottesdienste wünschen, 70% muslimische Schüler:innen in ihrem Unterricht explizit begrüßen und 93% eine Öffnung für Konfessionslose als selbstverständlich ansehen (Gennerich & Mokrosch, 2015, S. 154). Ohne an dieser Stelle auf Details eingehen zu können, lässt sich sagen, dass auch die niedersächsischen Curricula den didaktischen Prinzipien der Schüler-, Traditions-, Dialog-, Authentizitäts- und Wissenschaftsorientierung verpflichtet sind.

Hessenrepräsentiert in der vorliegenden Studie den konfessionellen Religionsunterricht ohne gesetzlich geregelte Möglichkeit zur konfessionellen Kooperation. Gleichwohl hat auch dieses Bundesland mit dem 1999 erstmals verabschiedeten und 2014 aktualisierten „Erlass des Hessischen Kultusministeriums über den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen“ die Bildung von konfessionell gemischten Lerngruppen im evangelischen und katholischen Religionsunterricht geregelt. Auch wenn der Erlass als Ausnahmeregelung gedacht war, sind konfessionell gemischte Lerngruppen vor allem an Grund- und Berufsschulen seit zwei Jahrzehnten der Normalfall. Im Schuljahr 2018/19 haben insgesamt 21,4 % der Kinder und Jugendlichen den katholischen und 47,1 % den evangelischen Religionsunterricht an öffentlichen und privaten Schulen besucht. 30,4 % nahmen am Ethikunterricht teil (Käbisch, Kießling & Pruchniewicz, 2020). Die von Folkert Doedens und Wolfram Weiße (2009, S. 137) sowie Jochen Bauer (2020, S. 161) genannten didaktischen Prinzipien bestimmen auch die Kerncurricula in Hessen. Dies trifft in besonderer Weise für die Leitlinien einer Didaktik des Perspektivenwechsels zu, die kein Spezifikum des Hamburger Wegs sind. Bereits der 1995 verabschiedete Rahmenlehrplan für den evangelischen Religionsunterricht an Grundschulen in Hessen setzte sich zum Ziel, alternatives Denken zu fördern und Religion mehrperspektivisch zu erschließen. Die Fähigkeit zur Perspektivübernahme weist auch das Kerncurriculum für den evangelischen Religionsunterricht an Hauptschulen in Hessen als eine (überfachliche) Sozialkompetenz aus. Ohne an dieser Stelle die Kerncurricula für weitere Schulformen in Hessen darstellen zu können, lässt sich sagen, dass die Grundsätze einer Didaktik des Perspektivenwechsels ebenso wie die Schüler-, Traditions-, Dialog-, Authentizitäts- und Wissenschaftsorientierung des Unterrichts ein Einheitsmoment religiöser Bildung in allen Schulformen in Hessen darstellen (vgl. Käbisch, Kießling & Pruchniewicz, 2020, S. 191f.).

Das Anfang der 1990er Jahre in Brandenburg eingeführte und bis heute umstrittene Fach Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde (LER) trägt insbesondere der religionsdemographischen Tatsache Rechnung, dass nur knapp ein Fünftel der Schüler:innen in diesem Bundesland einer Religionsgemeinschaft angehört. Im Schuljahr 2017/18 nahmen nahezu alle Schüler:innen dieses Bundeslandes am LER-Unterricht teil. Nur 6,7 % der Schüler:innen der Klassen 5/6 und 13,4 % Schüler:innen der Klassen 7-10 nahmen die rechtliche Möglichkeit in Anspruch, sich vom LER-Unterricht befreien zu lassen. Ca. 38.000 Schüler:innen nahmen in diesem Schuljahr am evangelischen und ca. 5.400 am katholischen Religionsunterricht teil (Lenz, 2020, S. 119). Von seinem Anspruch her soll LER insbesondere die Eigen­logik der drei namensgebenden „Basisstrukturen“ herausstellen, konkrete Fragen der Lebensgestaltung im Licht philosophischer und religiöser Theo­rien bzw. Praxen bearbeiten und das dafür notwendige philosophische und reli­gionskundliche Wissen vermitteln. Die Thematisierung der „Pluralität von Lebenswirklichkeit und Lebenswelten“ sowie die zu erlernende Urteilsfähigkeit in der „demokratischen und pluralistischen Gesellschaft“ (Lenz, 2020, S. 102, 115) sind ebenso wie die Dialog- und Wissenschaftsorientierung wichtige didaktische Grundsätze des LER-Unterrichts.

Die vier Organisationsmodelle bzw. Zukunftsszenarien religiöser Bildung an öffentlichen Schulen teilen die Gemeinsamkeit, dass sie auf die wachsende Pluralität religiöser und nichtreligiöser Lebensformen (und damit auch auf die steigende Zahl konfessionsloser Menschen) reagieren. Hamburg, Niedersachsen und Hessen teilen zudem die Gemeinsamkeit, dass sie religionsgeographisch zum protestantischen Norden gehören (vgl. Wunder, 2024) und eigene Wege gehen, den Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG weiterzuentwickeln. Zugleich wurde deutlich, dass die didaktischen Prinzipien der Schüler-, Traditions-, Dialog-, Authentizitäts- und Wissenschaftsorientierung kein Alleinstellungsmerkmal des Hamburger Religionsunterrichts sind, sondern auch die Curricula in Niedersachsen und Hessen prägen.

Da a) der Bevölkerung die historischen, sozio-religiösen, rechtlichen und organisatorischen Unterschiede auf der Makroebene des Religionsunterrichts in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg weitgehend unbekannt sind und b) die didaktischen Prinzipien der Unterrichtsgestaltung in den Curricula der genannten Länder nahe beieinanderliegen, kann davon ausgegangen werden, dass keine Unterschiede in der rückblickenden Wahrnehmung des Religionsunterrichts auf der Mikroebene nachgewiesen werden können. Dies betrifft insbesondere die Pluralismusfähigkeit des Religionsunterrichts, der die vier Organisationsmodelle u.a. in ihren Curricula zu entsprechen suchen (vgl. nochmals Schröder 2014).

Das Hypothesenpaar, das nachfolgend geprüft werden soll, lautet damit:

  • H0: Es bestehen zwischen den Bundesländern keine Unterschiede in der Wahrnehmung der pluralen unterrichtsbezogenen Ausgestaltung des Religionsunterrichts auf der Mikroebene.

  • H1: Es bestehen zwischen den Bundesländern Unterschiede in der Wahrnehmung der pluralen unterrichtsbezogenen Ausgestaltung des Religionsunterrichts auf der Mikroebene.

3 Zur Methode der Untersuchung

Um die Frage nach den Unterschieden infolge der organisatorischen Gestalt des Religionsunterrichts zu beantworten und das oben begründete Hypothesenpaar zu prüfen, werden zunächst die Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung beschrieben und die verwendeten Messinstrumente erläutert. Im Anschluss werden die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert.

3.1 Datengrundlage: Die Zufallsstichprobe der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (2022)

Als Datengrundlage wird in dieser Untersuchung die Zufallsstichprobe der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung genutzt (EKD, 2023, online unter www.kmu.ekd.de). In diesem Rahmen wurden 5.282 Personen befragt. Aus dieser Gesamtstichprobe wird aufgrund der Einführung des Hamburger Modells, des LER-Unterrichts in Brandenburg sowie des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in den 1990 Jahren die Alterskohorte der 14- bis 35-Jährigen isoliert. Eine Verzerrung der Repräsentativität zugunsten religiösen oder kirchlich-interessierten Personen wurde vermieden, indem „Gesellschaft und Werte“ als Thema der von FORSA durchgeführten Umfrage vorgegeben wurde und dabei die EKD als Auftraggeberin verschwiegen wurde (zur Datenerhebung und ihrer Repräsentativität im Detail Wunder, 2024). Es kann folglich auch für diese Teilstichprobe davon ausgegangen werden, dass die gesellschaftliche Pluralität in Bezug auf Religiosität und Milieuzugehörigkeit abgebildet wird. Für die Pluralität der Religionszugehörigkeiten gilt dies eingeschränkt. Während Personen ohne Religionszugehörigkeit, sowie Mitglieder einer evangelischen Landeskirche oder der römisch-katholischen Kirche angemessen vertreten sind, befinden sich Mitglieder einer anderen christlichen Gemeinschaft, des Islams oder anderer nicht-christlicher Gruppen lediglich vereinzelt in der Teilstichprobe. Des Weiteren ist die Anzahl der Befragten in den Bundesländern ungleich. Dies hängt mit der Repräsentativität der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung und den Bevölkerungszahlen in den vier Bundesländern zusammen, die in dieser Studie ausgewählt wurden.

3.2 Instrumente: Items für die Analyse der wahrgenommenen Pluralitätsfähigkeit des Religionsunterrichts

Die Bundesländer stellen in den nachfolgenden Analysen die unabhängige Variable dar. Statt alle Bundesländer in die Berechnung miteinzubeziehen, werden Hessen, Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen in den Blick genommen. Diese vier Bundesländer fungieren, wie eingangs begründet, als Repräsentant für eine Organisationsform des Religionsunterrichts:

  • Hessen bildet im Zuge dessen den exemplarischen Vertreter für das Modell des konfessionellen Religionsunterrichts, der nach Konfessionen getrennt ist und durch den Besuch des Ethikunterrichts ersetzt werden kann. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass der Religionsunterricht vor allem in Grund- und Berufsschulen in konfessionell-gemischten Lerngruppen erteilt wird, ohne dass verlässliche Statistiken dazu vorliegen (Käbisch, Kießling & Pruchniewicz, 2020, S. 209 f.).

  • Brandenburg repräsentiert mit dem Fach ‚Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde‘ den religionskundlichen Unterricht, der im Klassenverband erteilt wird und auf das Konfessionalitätsprinzip verzichtet (Lenz, 2020).

  • Hamburg steht für einen multireligiösen Religionsunterricht, in dem alle Schüler:innen unterschiedlicher Religionen gemeinsam unterrichtet werden, dessen Mitverantwortung jedoch bisher bei der evangelischen Kirche lag (Bauer, 2020).

  • Niedersachsen ist zuletzt der Vertreter für den konfessionellen Religionsunterricht mit der gesetzlich geregelten Möglichkeit zur Kooperation (Schröder, 2020).

Die abhängige Variable besteht in der unterrichtsbezogenen Pluralität. Die unterrichtsbezogene Pluralität wird mit zwei Items gemessen, die faktorenanalytisch gefunden und zu einem Mittelwert verrechnet wurden (Cronbachs’s Alpha = .804)[5]. Der Wertebereich reicht von Eins bis Vier. Der kleinste Wert indiziert einen Religionsunterricht, der aus der Sicht der befragten Personen nicht als plural erlebt wurde. Der höchste Wert spiegelt dagegen einen als plural erinnerten Religionsunterricht wider. Die Items fragen mittels einer vierstufigen Likert-Skala nach der Behandlung anderer Religionen oder Weltanschauungen im Unterricht und der freien Diskussion von unterschiedlichen Meinungen zu religiösen Inhalten. Diese beiden Aspekte erwiesen sich in vorangegangen Analysen bereits als einflussstärkste Prädiktoren für die wahrgenommene Wirksamkeit des Religionsunterrichts (dazu Hock, Käbisch, Kießling & Wunder, 2024; vgl. dazu bereits Hock 2023, Ilg 2023 und Kießling 2023) und sind notwendige Konsequenzen aus den sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts. In diesem Zusammenhang stellen sie grundlegende Bedingungen für den Umgang mit Pluralität respektive das Lernen für Pluralität dar. So ermöglicht die Behandlung anderer Religionen und Weltanschauungen neben dem Ausbilden von interreligiöser Kompetenz ebenso eine Auseinandersetzung mit eigenen religiösen oder nicht-religiösen Glaubensinhalten. Angesichts einer stattfindenden Pluralisierung und Individualisierung von religiösen und nicht-religiösen Überzeugungen und Praktiken stellt ein mehrperspektivischer Unterricht sicher, dass allen Schüler:innen interpretative Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um ihre eigenen Erfahrungen und Weltanschauungen zu verstehen (dazu Strhan & Shillitoe, 2022). Aus diesem Sachverhalt erwächst des Weiteren die Notwendigkeit einer offenen Diskussionskultur innerhalb des Religionsunterrichts, die einen Raum für differierende Ansichten und die Beschäftigung mit diesen schafft (auch Knauth, 2009, S. 354; zur dialogischen Offenheit als didaktischem Prinzip siehe nochmals Bauer, 2020, S. 161; Doedens & Weiße, 2009, S. 137). In ihrer Kombination bilden beide Items in der nachfolgenden Analyse die Pluralitätsfähigkeit des Religionsunterrichts ab, die nicht allein inhaltsbezogen verstanden wird, sondern ebenso als eine Haltung der Lehrenden und Lernenden während des Unterrichts.

4 Organisationsformen und die Wahrnehmung des Religionsunterrichts: Empirische Befunde

Um das Hypothesenpaar zu den Unterschieden in der Wahrnehmung des Religionsunterrichts aufgrund der Organisationsform zu prüfen, wird nach der Darlegung der deskriptiven Ergebnisse eine einfaktorielle Varianzanalyse[6] inklusive Post-Hoc-Test berechnet. Die Wahl dieser inferenzstatistischen Methode ermöglicht statistisch fundierte Schlüsse darüber, ob die beobachteten Unterschiede zwischen den Gruppen signifikant oder ob sie auf zufällige Variation zurückzuführen sind. In diesem Beitrag besteht, wie gezeigt, die unabhängige Variable in den vier Bundesländern. Die abhängige Variable bildet die unterrichtsbezogene Pluralität des Religionsunterrichts. Für die Beurteilung des Einflusses sind insbesondere die Unterschiede in den Mittelwerten, die Standardabweichungen, die Signifikanz der Varianzanalyseund im Falle der Signifikanz das Eta-Quadrat als Maß der Effektstärke von Bedeutung. Ist die Varianzanalyse signifikant (p<.05), ist die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers aufgrund von Zufälligkeit in einem Maße gering, dass die Nullhypothese abgelehnt wird und die Ergebnisse auf die Grundgesamtheit verallgemeinert werden können.

 

 

4.1 Organisationsformen und die Pluralität des Religionsunterrichts: Deskriptive Ergebnisse

Wie das Balkendiagramm in Abbildung 1 veranschaulicht, sind die Unterschiede in den Mittelwerten der wahrgenommenen pluralen Unterrichtsgestaltung zwischen Hamburg (N=24), Niedersachsen (N=109), Hessen (N=114) und Brandenburg (N=36) marginal. Der Mittelwert über alle Bundesländer hinweg beträgt 2.887 und besitzt eine Standardabweichung von .989. Der Mittelwert von 3 indiziert, dass im Durchschnitt eine mäßig ausgeprägte unterrichtsbezogene Pluralität in allen Bundesländern wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung variiert beziehungsweise schwankt in einem moderaten Maße um den Mittelpunkt, sodass die Werte der pluralen Unterrichtsgestaltung relativ nahe beieinander liegen und nur begrenzt voneinander abweichen.

Brandenburg als Repräsentant für einen religionskundlichen Religionsunterricht entgegen Art. 7,3 GG weist mit einem Mittelwert von 3.083 die höchste wahrgenommene Pluralitätsfähigkeit auf. Gleichzeitig ist die Streuung in diesem Bundesland mit einer Standardabweichung von .866 am kleinsten. Mit geringem Abstand ist die Wahrnehmung der pluralen Unterrichtsgestaltung in Hamburg am zweithöchsten. Der Mittelwert beträgt 2.979. Jedoch weist Hamburg als Vertreter eines multireligiösen Religionsunterrichts mit 1.016 die zweithöchste Standardabweichung, das heißt die größte Heterogenität in den Daten, auf. Niedersachsen und Hessen folgen Hamburg ebenfalls mit einem geringen Abstand. So besitzt das Bundesland Niedersachsen, das exemplarisch für den konfessionellen Religionsunterricht mit der Möglichkeit zur konfessionellen Kooperation steht, einen Mittelwert von 2.858 und eine Standardabweichung von 1.030. Mit einem Mittelwert von 2.833 ist die Wahrnehmung der pluralen Unterrichtsgestaltung in Hessen am niedrigsten ausgeprägt. Die Standardabweichung liegt bei .984

Abb. 2: Mittelwerte der empfundenen unterrichtsbezogenen Pluralität in Abhängigkeit vom Bundesland

4.2 Organisationsformen und die Pluralität des Religionsunterrichts: Inferenzstatistische Ergebnisse

Die Durchführung der einfaktoriellen Varianzanalyse ergab keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen, F(3, 279) = 2.013, p = .563. Der Tukey-Honestly-Significant-Difference-Test verdeutlicht dieses Ergebnis in der Post-Hoc-Analyse. Es konnten keine Subsets identifiziert werden, die sich in Bezug auf die unterrichtsbezogene Pluralität signifikant voneinander unterscheiden (Tabelle 1). Diese Befunde indizieren, dass die zuvor deskriptiv dargelegten Unterschiede in der Wahrnehmung der unterrichtsbezogenen Pluralität zwischen Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg auf zufällige Variationen in der Stichprobe zurückzuführen sind. Dem folgend kann keine differierende Wahrnehmung der unterrichtsbezogenen Pluralität in Form von Behandlung anderer Religionen und freier Meinungsdiskussion angenommen werden, vielmehr muss von einer vergleichbaren Wahrnehmung über alle Gruppen hinweg ausgegangen werden. Die oben formulierte Nullhypothese muss folglich beibehalten werden, die Unterschiede in den Bundesländern können nicht auf die Grundgesamtheit verallgemeinert werden.

Tab.1: Einfaktorielle Varianzanalyse mit Post-Hoc-Test (Tukey HSD) – Unterrichtsbezogene Pluralität des Religionsunterrichts nach Bundesland

5 Diskussion: Die Theorie der Organisationsmodelle (auf der Makroebene) und die Praxis des Unterrichts (auf der Mikroebene)

Der Religionsunterricht findet nicht im luftleeren Raum statt, vielmehr bewegt er sich inmitten gesellschaftlicher Prozesse der religiösen Pluralisierung, Individualisierung und Entkirchlichung. Mit diesen Prozessen sind zwangsläufig Veränderungen und Neu-Akzentuierungen verbunden, um dem Recht auf Religion und religiöser Bildung trotz oder gerade wegen dieser Entwicklungen Rechnung tragen zu können. Diese Veränderungen und Neu-Akzentuierungen werden mit Vehemenz und Konkurrenz auf der Meta-Ebene in Form von verschiedenen Organisationsformen des Religionsunterrichts in den Bundesländern diskutiert und praktisch etabliert (dazu nochmals der Überblick bei Meyer-Blanck, 2012 und Schröder, 2014). Dieser Beitrag zeigt gleichsam, dass sich der Religionsunterricht der Bundesländer in der Wahrnehmung der Befragten zum einen marginal und zum andern nicht statistisch signifikant unterscheidet. Mit anderen Worten: Die theoretisch begründeten Organisationsmodelle des Religionsunterrichts und die dafür ins Feld geführten historischen, sozio-religiösen, rechtlichen, organisatorischen und konzeptionellen Argumente in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg scheinen in der Praxis des Unterrichts keinen Unterschied zu machen.

So unterscheiden sich die Bundesländer nicht signifikant in Bezug auf die erlebte unterrichtsbezogene Pluralität. Die unterrichtsbezogene Pluralität in Form von Behandlung anderer Religionen und Weltanschauungen sowie der freien Diskussion unterschiedlicher Ansichten ist in Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg auf einem mittleren Niveau. Das mittlere Niveau stellt in diesem Zusammenhang eine deutliche Steigerung im Vergleich zu älteren Alterskohorten dar, da die 60- bis 69-Jährigen sowie die über 70-Jährigen die plurale Ausgestaltung mehrheitlich negierten (Hock et al.,2024). Ferner wird diese Entwicklung dem Wunsch auf Seiten der Schüler:innen gerecht, die in unterschiedlichen Studien ihr Interesse an anderen Konfessionen und Religionen bekunden (unter den älteren Studien seien erwähnt u.a. Biesinger, Conrad, Gronover & Schweitzer, 2006, S. 59; Jozsa, Knauth & Weisse, 2009, S. 187). Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer Studie von Susanne Schwarz (2019) zu den von bayerischen Schüler:innen positiv erinnerten Themen im eigenen Religionsunterricht. Der „Neuheitseffekt und das entwicklungsgemäße Interesse an alternativen Weltdeutungen“ (Schwarz, 2019, S. 253) scheinen dabei die Rangfolge der positiv erinnerten Themen zu beeinflussen: „Am häufigsten positiv erinnert werden andere Religionen. An zweiter Stelle steht das ethische Thema Liebe/Freundschaft/Partnerschaft, mit dem die Schülerinnen positive Erinnerungen verbinden. An dritter Stelle schließlich ist das konfessionsbezogene Thema Martin Luther/Reformation zu finden, das ebenfalls bei einer Reihe von Schülerinnen in positiver Erinnerung geblieben ist.“ (Schwarz, 2019, S. 228)

Über das Interesse an anderen Religionen hinaus können beide Facetten der unterrichtsbezogenen Pluralität sowohl empirisch-quantitativ als auch empirisch-qualitativ als Voraussetzungen für einen wirksamen Religionsunterricht im Rahmen von pluralen, multireligiösen Gesellschaften gelten, die auf der Mikroebene der Unterrichtsgestaltung erfüllt werden müssen. In empirisch-quantitativer Hinsicht wird diese Forderung bzw. unterrichtspraktische Konsequenz angesichts des Einflusses dieser beiden Facetten auf die wahrgenommene Wirksamkeit des Religionsunterrichts evident. Sowohl die Behandlung anderer Religionen und Weltanschauungen als auch die freie Diskussion von unterschiedlichen Meinungen zu religiösen Fragen tragen im hohen Maße zur Varianzaufklärung der wahrgenommenen Wirksamkeit bei, sodass beiden Facetten eine erhebliche praktische Relevanz zugeschrieben werden kann (Hock et al., 2024). In qualitativ-empirischer Hinsicht können die beiden Komponenten der unterrichtsbezogenen Pluralität ebenfalls als Voraussetzung für einen wirksamen Unterricht benannt werden. So hebt Asbrand (2000) mit Blick auf den Hamburger Religionsunterricht hervor, dass sich interreligiöse Lernprozesse nur in Umgebungen entfalten, in denen religiöse Kontexte sichtbar gemacht und in denen religiöse Phänomene spezifischen Zusammenhängen zugeordnet werden. Wo religiöse Phänomene allgemein und ohne konkrete Zuordnung bleiben, können Kinder keine Verbindung zu ihrer Religiosität herstellen respektive ihre Identifikation nicht zum Ausdruck bringen. Folglich muss die Auseinandersetzung mit anderen Religionen und Weltanschauungen als solche explizit wahrnehmbar erfolgen, um einen Effekt auf die Wirksamkeit des Religionsunterrichts ausüben zu können. Mit anderen Worten: Die wie auch immer qualifizierte Begegnung von evangelischen, katholischen, konfessionslosen, muslimischen oder andere religiösen Kinder und Jugendlichen in einem Religionsunterricht für alle oder gemeinsamen LER-Unterricht ist noch kein Garant dafür, dass die Pluralität religiöser und nichtreligiöser Lebensformen und Lebensorientierungen zum Thema wird und einen Bildungswert für die teilnehmenden Schüler:innen entfaltet. Eine latente Thematisierung, beispielsweise durch die heterogene Zusammensetzung von Religionsklassen im Rahmen einer bestimmten Organisationsform, genügt nicht (Asbrand, 2000, S. 235; in ähnlicher Weise für den konfessionell-kooperativen Unterricht auch Biesinger et al., 2006, S. 37). Umgekehrt kann gesagt werden: Auch der konfessionell getrennt erteilte Religionsunterricht kann sich als pluralitätsfähig erweisen, wenn religiöse und nichtreligiöse Lebensformen und Lebensorientierungen (z.B. im Rahmen einer Didaktik des Perspektivenwechsels wie in den Hessischen Kerncurricula) zum Thema werden. Die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen aus anderen Konfessionen und Religionen im Religionsunterricht ist dafür keine notwendige Voraussetzung. Die Bedeutung einer freien Diskussionskultur für Lernprozesse im Sinne dialogischer Verständigung schildert Knauth (2009), indem er diese als Bedingung für den Wechsel von Perspektiven, die Evaluierung von Ansichten sowie die Positionierung zu religiösen Fragen charakterisiert. Gleichsam ist die freie Meinungsäußerung zu religiösen Fragen kein Nebenprodukt der Organisationsform, vielmehr setzt sie entsprechende Fragestellungen, Ergebnisoffenheit, eine vertrauensvolle Atmosphäre sowie eine Moderationskompetenz der Lehrkraft voraus (Knauth, 2009, S. 353–356).

Zu diskutieren bleibt jedoch die Diskrepanz zwischen dem Selbstanspruch der alternativen Modelle und den berichteten Ergebnissen. Handelt es sich lediglich um ein weiteres Beispiel für die aus anderen pädagogischen Kontexten bekannte Theorie-Praxis-Diskrepanz? Es ist zu vermuten, dass die Organisationsform allein nicht dazu anregt, in einem höheren Maße andere Konfessionen, Religionen oder Weltanschauungen im Unterricht zu behandeln und eine offene Diskussion zu religiösen Fragen zuzulassen. Gestützt wird diese Vermutung von Gennerich und Mokrosch (2016). Ihrer Einschätzung nach entscheiden sich Lehrkräfte im Rahmen des konfessionell-kooperativen Modells nicht bewusst häufiger dazu, ökumenische respektive konfessionelle Themen im Religionsunterricht zu unterrichten (ebd., S. 100). Angesichts der religiösen Vielfalt innerhalb der Klassengemeinschaft ist dies für die Modelle der konfessionellen Kooperation, des multireligiösen Religionsunterrichts sowie dem religionskundlichen Unterricht im besonderen Maße zu problematisieren. Die Spiegelung der religiösen Vielfalt der Klassengemeinschaft in den Unterrichtsinhalten ist eine Grundvoraussetzung für die Anerkennung von Individualität und Differenz und damit für eine offene Artikulation beziehungsweise Diskussion von religiösen Identitäten (Asbrand, 2000, S. 250–251; Wolff, 2018, S. 78, 91, 97, 109). Zu betonen ist im Zuge dessen, dass religiöse Vielfalt nicht allein die Heterogenität an Religionszugehörigkeiten meint, sondern ebenso die Heterogenität an religiösen und nichtreligiösen Lebensformen und Lebensorientierungen. Auch der in sich vielgestaltigen Gruppe der Konfessions- und Religionslosen ist mit Anerkennung ihrer Individualität und Differenz zu begegnen, indem nichtreligiöse Welterschließungsperspektiven nicht ausgeklammert werden, sondern vielmehr selbstverständlich thematisiert werden (Asbrand, 2000, S. 248–249; Käbisch, 2014, S. 173; Strhan & Shillitoe, 2022, S. 270). Diese didaktische Forderung auf der Mikroebene der konkreten Unterrichtsgestaltung betrifft ebenso das Modell des konfessionell getrennten Religionsunterrichts.

Die Diskussion der empirischen Daten der KMU VI verdeutlicht, dass der Mikroebene der konkreten Aufgabenformate und didaktischen Settings eine hohe Bedeutung zukommt. Schließlich müssen Veränderungen und Neu-Akzentuierungen in der konkreten Unterrichtspraxis wirksam und für die Schüler:innen wahrnehmbar werden, sodass der Religionsunterricht unabhängig vom Bundesland den gesellschaftlichen Prozessen der religiösen Pluralisierung, Individualisierung und Entkirchlichung aktiv Rechnung tragen kann. Es reicht nicht aus, Pluralitätsfähigkeit über die organisatorische Gestalt des Religionsunterrichts oder Kerncurricula zu definieren; Lehrer:innen müssen vielmehr auch unterrichts-praktisch dazu befähigt werden, Pluralität zu thematisieren, zuzulassen und damit einhergehend entsprechende Lernaufgaben zu planen. Als Konsequenz lässt sich damit auf der Basis der KMU VI sagen, die kirchen- und bildungspolitischen Debatten um die verschiedenen Organisationsmodelle des Religionsunterrichts in Deutschland (wie derzeit um den CRU in Niedersachsen) sind mit mehr Gelassenheit zu führen.

Auch wenn die empirischen Daten der KMU VI weiterführende Einsichten in die Wahrnehmung des Religionsunterrichts in der Bevölkerung ermöglichen, ist die Aussagekraft und Reichweite der vorliegenden Untersuchung kritisch zu reflektieren. Zunächst ist zu betonen, dass im Rahmen der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung die Wahrnehmung des Religionsunterrichts erfasst wurde, ohne die Qualität bzw. tatsächliche unterrichtsbezogene Pluralität (beispielsweise mittels Videographie) zu messen. Während eine ausgeprägte Korrelation zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Unterrichtsgestaltung unterstellt werden kann, sind sie nicht identisch und können voneinander abweichen. In diesem Zusammenhang ist zu vermuten, dass sich die in der KMU erfasste, rückblickende Wahrnehmung des schulischen Religionsunterrichts vor allem auf die Mikroebene des erlebten Unterrichts bezieht, während die Meso- und Makroebene, das heißt die curricularen Absprachen an den Schulen und die Organisationsformen des Religionsunterrichts auf Landesebene, weitgehend unbekannt und unbeachtet bleiben. Die bewusste Wahrnehmung der Meso- und Makroebene erfolgt erst auf einen äußeren Impuls hin (auch Biesinger et al., 2006, S. 36). Vor diesem Hintergrund lässt sich ebenfalls die Diskrepanz zwischen der direkten Befragung von Schüler:innen zu den Organisationsformen des Religionsunterrichts (u.a. Käbisch & Woppowa, 2022, S. 41; Knauth, 2015, S. 72) und den vorliegenden Ergebnissen erklären. Des Weiteren kann die Skala zur Messung der unterrichtsbezogenen Pluralität dieses komplexe Konstrukt nicht in Gänze abbilden, insbesondere kann sie organisationsspezifische Aspekte nicht im Einzelnen wiedergeben. Schließlich ist die Stichprobengröße zu diskutieren, da diese die statistische Power der Varianzanalyse maßgeblich beeinflusst. Bei einer sehr kleinen Effektstärke von η² = 0.007 und einer Power von .9 müsste der Stichprobenumfang 2016 betragen, um ein signifikantes Ergebnis mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse auf einem Alphaniveau von .05 zu erhalten.

Trotz der genannten Einschränkungen in der Aussagekraft und Reichweite ermöglichen die Daten der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung dennoch einen Vergleich über die Grenzen von Bundesländern hinweg und dokumentieren eine ansteigende Pluralitätsfähigkeit unabhängig von der jeweiligen Organisationsform. Diese Pluralitätsfähigkeit gilt es weiterhin auszuweiten, um dem Recht auf Religion und religiöser Bildung angesichts von Pluralisierung, Individualisierung und Entkirchlichung im Rahmen von unterschiedlichen Organisationsformen Rechnung tragen zu können. Diese Ausweitung der Pluralitätsfähigkeit erfordert eine besondere Berücksichtigung der Mikroeben der konkreten Aufgabenformate und didaktischen Settings.

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Prof. Dr. David Käbisch, Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts, Goethe Universität Frankfurt am Main.

Johanna Hock, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts, Goethe Universität Frankfurt am Main.

 

  1. Zum Konzept des CRU und zum Stand der Diskussion siehe www.religionsunterricht-in-niedersachsen.de/christlicherRU [Zugriff: 21.10.23].

  2. Wir teilen in diesem Zusammenhang nicht die Einschätzung Friedrich Schweitzers, dass in Untersuchungen zur erinnerten bzw. wahrgenommenen Qualität „jede Form eines Rankings des Religionsunterrichts in den verschiedenen Bundesländern ausgeschlossen sein“ müsse (Schweitzer & Schnaufer, 2023, S. 4; dazu bereits Schweitzer 2020). Gerade angesichts „der unterschiedlichen Ausgestaltungen von Religionsunterricht in Abhängigkeit von landeskirchen- und bundeslandspezifisch variierenden Voraussetzungen und Traditionen“ (Schweitzer & Schnaufer, 2023, S. 4) erscheint es uns im folgenden Beitrag als sinnvoll, die wahrgenommene Qualität und Pluralitätsfähigkeit des Unterrichts auf der Mikroebene mit den Organisationsformen auf der Makroebene in Beziehung zu setzen. Dessen ungeachtet teilen wir jedoch mit Nachdruck die evidenzbasierte Einschätzung des Tübinger Religionspädagogen, dass der Qualitätsdiskurs zum Religionsunterricht „gleichsam quer zum Modelldiskurs“ (Schweitzer & Schnaufer, 2023, S. 5) steht.

  3. Wir danken David Gutmann, dem Leiter des Kompetenzzentrums Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer an der Katholischen Hochschule Freiburg, für die Bereitstellung der amtlichen, aktuellen Meldedaten für die drei Städte im Rahmen einer Sonderauswertung für die KMU VI.

  4. Die Voraussetzungen für eine Hauptkomponentenanalyse sind mit einem KMO-Test von .803 und einem hochsignifikanten Bartlett-Test (p<.001) gegeben. Die Faktorenlösung wird hier nicht im Einzelnen dargelegt, es sei jedoch an dieser Stelle auf den Auswertungsband der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung verwiesen.

  5. Die Voraussetzungen für eine Hauptkomponentenanalyse sind mit einem KMO-Test von .803 und einem hochsignifikanten Bartlett-Test (p<.001) gegeben. Die Faktorenlösung wird hier nicht im Einzelnen dargelegt, es sei jedoch an dieser Stelle auf den Auswertungsband der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung verwiesen.

  6. Die Voraussetzungen für eine einfaktorielle Varianzanalyse sind zufriedenstellend erfüllt. Die Überprüfung der Homoskedastizität erfolgt mit dem Levene-Test, demzufolge Varianzgleichheit besteht (p = .405). Des Weiteren befinden sich keine Ausreißer in den vier Gruppen. Die Werte der abhängigen Variable sind nach dem Shapiro-Wilk-Test jedoch für keine der benannten Gruppen normalverteilt. Eine visuelle Inspektion zeigt, dass die Verteilungen linksschief sind. Vorangestellt, dass die ANOVA bereits bei Stichproben dieses Umfangs robust gegen diese Verletzung ist (u.a. Blanca, Alarcón, Arnau, Bono & Bendayan, 2017, S. 556; Schmider, Ziegler, Danay, Beyer & Bühner, 2010, S. 149) und insbesondere schiefe Populationsverteilungen vernachlässigbar sind (Bortz, 2005, S. 287), ist der nachfolgenden Analyse ein nicht-parametrisches Verfahren in Form des Kruskal-Wallis-Tests gegengelaufen. Dieser Test bestätigt das Ergebnis der Varianzanalyse.