Die Begrifflichkeiten Positionen, Positionierungen, Positionalisierungen spiegeln die Vielfalt dessen wider, was auf dieser Tagung bisher besprochen und diskutiert wurde. Anknüpfend an die Beiträge von Stefanie Lorenzen und Martina Kumlehn möchte ich in diesem Workshop den selbstkritischen und selbstreflexiven Zugang noch etwas „unterfüttern“.
Was erwarten Sie jetzt von mir? Welche Rolle geben Sie mir in diesem Kontext? Und vielleicht schreiben Sie mir damit auch schon eine bestimmte Position zu? Sie erwarten vielleicht, dass ich als Mitarbeiterin aus dem Comenius-Institut auch aus der Sicht „der evangelischen Kirchen“ sprechen kann? Oder aus der Sicht des promovierten Mittelbaus? Vielleicht denken Sie auch aufgrund meines Nachnamens, dass ich eine Person mit Migrationsgeschichte sein könnte, und schließen nun, dass ich auf marginalisierte Wirklichkeiten aufmerksam machen und aus dieser Position sprechen werde? Vielleicht kennen Sie mich und wissen, dass ich ursprünglich in diesem schönen, geschichtserfüllten Bundesland aufgewachsen bin, und denken, ich könnte hierfür sprechen und zu bestimmten Positionen Position beziehen? Vermutlich denken Sie, ich habe zu diesem Thema gewissenhaft gearbeitet und erwarten jetzt eine positionierte Expertise?
Was ich mit diesen kurzen einleitenden Fragen anregen wollte, ist Folgendes: Jeder Mensch ist in verschiedenen Settings mit Erwartungen konfrontiert. Erwartungen beruhen auf zugesprochenen und gewissermaßen rahmengebenden Rollen und zu diesen gehören bestimmte Positionen. Erwartungen wiederum werden selten offen geäußert und zugleich entscheiden sie darüber, wie die Person wahrgenommen – regelrecht gesehen werden kann. Aus Sicht des Erwartenden: Würde man die Erwartungen als Bild zeichnen, dann würde die Person, von der etwas erwartet wird, sich innerhalb dieses Bildes gewissermaßen in einem Rahmen bewegen. Sie könnte auch nicht so schnell aus diesem Rahmen fallen, denn ihr Handeln wird diesen Erwartungen entsprechen und innerhalb des Rahmens gedeutet. Entspricht ihr Handeln jedoch nicht den Erwartungen und kann dies von den Erwartenden auch so wahrgenommen werden, dann ist in ihrer Wahrnehmung etwas Außergewöhnliches, Ungewöhnliches und Besonderes geschehen. Es erhält größere Aufmerksamkeit, weil es eine Irritation des Rahmens darstellt. Wenn es jedoch nur um Facetten geht, die vom von außen gesetzten Rahmen abweichen, so können sie unsichtbar, ja ungesehen bleiben.
Die erwartete Position ist also in einen gewissen Rahmen gesetzt, mit anderen Worten: zugeschrieben.
Von einer Lehrperson, die im Auftrag des Staates Kinder und Jugendliche unterrichtet, erzieht, fordert, fördert und berät, wird erwartet, dass sie sich gewissenhaft mit ihren Aufgaben auseinandergesetzt hat und dass sie weiß, was sie warum wie tut. „L. gehen ihrer Tätigkeit im Rahmen der Institution Schule auf der Grundlage staatlich legitimierter Lehrpläne für die Schulformen, Fächer und Jahrgangsstufen sowie unter Anwendung der gesetzlichen und administrativen Regelungen für die Lehrerarbeit nach.“ (Terhart, 2012, S. 458) Sie arbeiten im Einklang mit dem Grundgesetz und der jeweiligen Landesverfassung.
Im Religionsunterricht ist die Sachlage noch etwas komplexer. Die Konfessionalität des evangelischen Religionsunterrichts wird über die inhaltliche Gebundenheit sowie über die konfessionelle Bindung der Lehrperson „gesichert“. In der Konzeption wird Religion als Diskurssystem und als Lebensüberzeugung gedacht. „Religionsunterricht wird also erst zum bekenntnisorientierten Unterricht in Religion, und hebt diesen vom kundigen Unterricht über Religion ab, wenn dieser von einer Lehrperson getragen wird, welche vor allem auch ihre innere konfessionelle Positionalität nach außen trägt – also nicht nur durch ihre äußerliche konfessionelle Positionalität ‚erkennbar‘ ist. Nur dann ist sie eine (für Schülerinnen und Schüler) glaubwürdige Person, deren Aussagen zu einem gewissen Maß als (für die jeweilige Konfession) ‚gültig‘ akzeptiert werden können. Religiosität und Glaube sollen für die Religionslehrperson nicht nur objektive Gegenstände sein, denen man mit Neutralität begegnet, sondern sie repräsentieren auch einen Standpunkt (DBK, 1996, 50f.).“ (Fabricius, 2022) Der Unterricht selbst dient auf diese Weise der Positionierungsfähigkeit der Schüler:innen, die zumindest probeweise auch eine religiöse Position einnehmen können sollen. Ihre Positionsfähigkeit ist jedoch ein Zielfokus – keine Voraussetzung für die Teilnahme am Unterrichtsgeschehen (Lüdtke, 2020, S. 173).
Halten wir fest: Die aus dem Fachdiskurs abzuleitende Erwartung an die Position der Lehrperson wäre: In der Rolle „Religionslehrer:in“ ist sie erkennbar als Mensch, der für sich einen religiösen Horizont in seinem Leben erschlossen hat. Durch ihre transparente Bindung an eine Konfession ist sie erkennbar zugehörig – gerade auch für Schüler:innen und Eltern. Sie kann also diese Perspektiven bei Bedarf in das Unterrichtsgeschehen einbringen und übernimmt die Position einer religiösen Person. In der Theorie ist – mit Stefanie Lorenzens Beitrag gesprochen – mit ihrer Position also eine „Bestimmtheit“ verbunden, die sich unterscheidet und durch „Differenz“ und klare Abgrenzung erkennbar wird.
Aus der Sicht der Lehrpersonen jedoch stellen sich nun Fragen: Wie genau soll das gehen? Wieviel kann und muss ich von mir teilen, ohne dass ich „für die Gemeinschaft“ spreche, aber gleichwohl als Teil von dieser? Wie wirke ich nicht als „verlängerter Arm von Kirche“, aber zugleich erkennbar „im Auftrag – mit dem Segen – der Kirche“? Die Angst vor einer Überwältigung von Schüler:innen, die Sorge, dass einem Missionstätigkeiten vorgeworfen werden könnten oder dass die notwendige Neutralität nicht eingehalten werden kann, sowie der Wunsch, möglichst vielen unterschiedlichen Meinungen Raum zu geben, stellt Lehrer:innen vor enorme Herausforderungen. Es sind die Erwartungen und zum Teil die erwarteten Positionen, die von außen herangetragen werden, die Lehrer:innen herausfordern. Das wiederum drückt sich in Zurückhaltung im Unterrichtsgeschehen aus (Pohl-Patalong et al., 2016, S. 125–152). Die „In-Differenz“, die „Unbestimmtheit“, die Stefanie Lorenzen auf der Grundlage empirischer Studien beschrieb, wird hier greifbar und steht dem oben Genannten kontrastreich gegenüber. Die Schüler:innen dieser Lehrer:innen können letztendlich nicht sagen, ob ihr:e Lehrer:in evangelisch oder überhaupt Christ:in ist (Lüdtke, 2020, S. 338–346). Sie wissen zum Teil nicht einmal, ob ihr Unterricht ein evangelischer ist (Lüdtke, 2020, S. 292–293). Wenn es ihnen jedoch bewusst ist, dann gilt auf der Grundlage der Ergebnisse der ReViKor-Studie aus Schleswig-Holstein: „Wer evangelische Religion unterrichtet, ist im Erwartungshorizont der Schüler*innen auch selbst evangelisch.“ (Lüdtke, 2020, S. 343)
Die Erwartungen an Andere sind zugleich ein Ausdruck des Wunsches des Erwartenden, diese Gegenüber besser greifen zu können, sie zu einer bestimmten Position, ja auf einen Standpunkt verorten zu können. Schüler:innen drücken diesen Wunsch aus, indem sie die Grenzen und Freiräume austesten – des Machbaren und des Sagbaren. Sie suchen und fordern die Lehrpersonen zu einer bestimmten Position heraus und sehen sie immer in einem Rahmen. Wie oft sind Schüler:innen überrascht, wenn sie feststellen, dass die Lehrerin am Samstag auch auf dem Markt einkauft und ein Eis isst? Positionierungen von Lehrpersonen im Religionsunterricht sind nicht losgelöst vom Fach zu denken und von dem, wie sie von den Schüler:innen gesehen und erwartet werden.
An drei Beispielen von Schüler:innenäußerungen zu Religion wurde in der Arbeitsphase des Workshops erörtert, inwiefern diese eine Positionierung der Lehrenden erfordern und was in diesen konkreten Situationen Neutralitätbedeuten würde. Die Schüler:innenäußerungen sind im Rahmen meiner Studie zu den Vorstellungen von Schüler:innen zu Religion entstanden (Ta Van, 2021). Gefragt wurden die Schüler:innen nach (1) einer möglichst anschaulichen Formulierung zu dem, was für sie „Religion“ ist. In einem (2) zweiten Schritt wurden sie gebeten, den Begriff „Religion“ so präzise wie möglich zu definieren. Hier nun die drei Beispiele aus dem Workshop (A–C), ergänzt um ein Viertes (D):
Beispiel A, 10. Klasse, Ev. Religionsunterricht, Erfurt
Religion ist sinnlos und bringt nichts. Dort glauben Menschen an etwas, das nicht existiert und verschwenden wichtige Lebenszeit mit Beten oder anderem Scheiß. Dazu kann man sagen, dass der Staat Geld aus dem Fenster wirft, nur um so ein altes, nutzloses Haus (Kirche) instand zu halten.
Religion bedeutet dumm zu sein und Phantasiegeschichten zu glauben.
Beispiel B, 8. Klasse, Ev. Religionsunterricht, Gotha
Religion ist für mich eine Gemeinschaft, in der man sich geborgen fühlt. Religion ist für mich wie eine Sonne. Sie kommt und geht. Außerdem je mehr man daran glaubt, desto mehr bekommt man sie zu spüren.
Religion ist eine Gemeinschaft, in der man sich zu einem Glauben bekennt.
Beispiel C, 8. Klasse, Ev. Religionsunterricht, Gotha
Religion ist wie ein Kaugummi, denn er ist nervig und bleibt nicht kleben!
Merke: Religion ist der Sinn des Lebens!
Beispiel D, 10. Klasse, Ev. Religionsunterricht, Erfurt
Religion ist wie ein großer Baum, an dem man sich bei einem heftigen Sturm festhalten kann, um nicht wegzufliegen.
Religion ist etwas, an dem man sich festhalten kann, etwas, an das man glauben kann, um sich die Fragen des Lebens, den Sinn des Lebens oder das Leben nach dem Tod zu erklären.
Die Beispiele stammen aus dem nahen Umfeld zum Tagungsort und sind im Rahmen des Evangelischen Religionsunterrichts am Gymnasium formuliert worden. A und D stammen aus einer zehnten Klasse in Erfurt. B und C gehören zu einer achten Klasse aus Gotha. Die Äußerungen der Schüler:innen dieser beiden Klassen waren insgesamt äußerst divergent. Nähe und Distanz, kühle Provokation und warme Vergleiche sowie Zwischentöne innerhalb der Antworten stellten für die Lehrpersonen Herausforderungen dar.
Aber ist hier eine Positionierung der Lehrperson gefordert? Wir können uns der Antwort auf diese Frage unter drei Blickwinkeln annähern:
Es handelt sich erstens bei diesen Beispielen deutlich nicht um ethische Streitfragen, in der die Lehrperson sich modellhaft für oder gegen etwas positionieren müsste. Es ist auch keine Frage zu ihrer persönlichen Verortung im Raum, zu der sie sich verhalten müsste. Vielmehr handelt es sich jeweils bei der ersten Antwort um eine persönliche Äußerung der Schüler:innen und bei der zweiten um eine Definition zum Begriff Religion aus ihrer Sicht. „Religion“ wiederum ist selbst ein Diskursbegriff und eine einfache, klare Definition steht nicht zur Verfügung (Bergunder, 2011; Pollack & Rosta, 2022).
Das heißt zweitens, bei diesen Beispielen könnte zwar eine korrigierende Position der Lehrperson zur sachlichen Richtigkeit gefordert sein, die Äußerungen liegen aber inhaltlich im Rahmen des Erwartbaren.
Positionierungen können zudem im Verlauf des Unterrichtsgeschehens erforderlich sein. In welchen unterrichtlichen Zusammenhängen stehen nun die präsentierten Schüler:innenergebnisse? Geschrieben wurden sie im Rahmen einer rund zehnminütigen Stillarbeit zu Beginn der Unterrichtsreihe „Religion im Alltag“ im Evangelischen Religionsunterricht. In den 23 teilnehmenden Klassen der Studie mit insgesamt 427 Schüler:innen wurde sehr unterschiedlich mit den Ergebnissen weitergearbeitet. In den meisten Klassen wurde vor allem mit der zweiten Antwort, den Definitionen, gearbeitet, um eine gemeinsame Arbeitsdefinition von Religion der Klassen zu generieren. Die erste Aufgabe war dann „nur“ eine Hinführung. In manchen Klassen wurden zunächst die Antworten auf die erste Frage, die Bilder, vorgestellt und in der folgenden Stunde die Antworten auf die zweite Frage, die Definitionen. Und schließlich gab es auch Klassen, in denen diese schriftlichen Antworten unbesprochen blieben. Eine herausfordernde Situation ließe sich also von den Lehrer:innen durch das von ihnen gewählte Setting vermeiden, damit wäre der Kontext drittens beherrschbar.
In Anbetracht dieser drei Annäherungen (keine ethische Streitfrage, inhaltlich im Rahmen des Erwartbaren, Kontext beherrschbar) liegt auf den ersten Blick der Impuls nahe, die gestellte Frage – ob diese Äußerungen eine Positionierung der Lehrpersonen erfordern – mit Nein zu beantworten.
Deutlich wurde in der Diskussion der drei Beispiele (A–C) jedoch, dass die Impulse, die Äußerungen im weiteren Unterrichtsgeschehen entweder aufzunehmen oder sie eher beiseitezulegen, auf den zweiten Blick beide bereits ein Ausdruck einer Entscheidung – einer Position zu diesen Äußerungen – sind. Eine Positionierung ist relational zu etwas anderem, sei es im Raum oder im Diskurs. Eine Position ist ein „Zu-etwas-in-Beziehung-Stehen“. Mit einer Positionierung wird das Gegenüber ebenfalls in eine bestimmte Position gestellt. Und umgekehrt: Ein:e Lehrer:in handelt aus Sicht der Schüler:innen in einem bestimmten Rahmen und kann innerhalb dessen bestimmte Positionen beziehen. Die Schüler:innen haben eine bestimmte Position vor Augen und erwarten eine bestimmte Reaktion zum Beispiel dann, wenn sie sagen „Religion bedeutet dumm zu sein und Phantasiegeschichten zu glauben“ (A2). Reagiert die Lehrperson innerhalb der Erwartung? Bleibt sie greifbar oder wird sie „unscharf“? Welche Reaktion würde den „Rahmen“ irritieren? Deutlich wird: Die Lehrperson kann an dieser Stelle keine neutrale Position einnehmen. Denn sie ist adressiert und involviert als Person, die einen Zugang zu Religion, und zwar auch zu Religion als Lebensüberzeugung eröffnen soll. Sie ist als Lehrer:in gefordert, beide konträr wirkenden Äußerungen A und D oder B und C miteinander ins Gespräch zu bringen. Dabei kann das Gesagte, wenn es verletzend und abwertend ist, nicht als „Meinung“ im Raum stehen bleiben, ohne dass dazu explizit oder implizit eine Position der Lehrperson erkennbar wird. Denn im Sinne der Kontroversität ist es geboten, unterschiedlichen Auffassungen Raum zu ermöglichen, aber die „Bedingung hierfür ist, dass die Positionen weder den Menschenrechten noch wissenschaftlichen Erkenntnissen, die anhand entsprechender Rationalitäts-, Methoden- und Argumentationsstandards gewonnen wurden, widersprechen“ (Schwerter Konsent, 2022). Besonders relevant ist dies in Fächern und bei Themen, in denen es nicht um eine vermeintlich klare Sache geht, sondern um persönliche „weiche“ Annäherungen und um ein gemeinsames Nachdenken, Deuten und Erzählen. Insbesondere da müssen Positionen und Grenzen dieser Positionen ausgehandelt und geklärt werden. Positionen und Positionierungen bilden Orientierungspunkte für Schüler:innen in ihrer je eigenen Entwicklung. Lehrer:innen sind an dieser Stelle ganz besonders gefordert.
Literaturverzeichnis
Bergunder, M. (2011). Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft. Zeitschrift für Religionswissenschaft, 19(1/2), S. 3–55.
Fabricius, S. (2022). Positionalität, Lehrende. URL: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/201013/ [Zugriff: 08.10.2022].
Lüdtke, A. (2020). Confessional Gap: Konfessionalität und Religionsunterricht denken. Stuttgart: Kohlhammer.
Pohl-Patalong, U., Woyke, J., Boll, S. N., Dittrich, T. & Lüdtke, A. (2016). Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt: Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein. Stuttgart: Kohlhammer.
Pollack, D. & Rosta, G. (20222). Religion in der Moderne: Ein internationaler Vergleich. Frankfurt am Main: Campus Verlag.
Schwerter Konsent (2022). Die 3k3p-Prinzipien christlich-religiöser Bildung in der Schule. URL: https://www.kommende-dortmund.de/aktuelles/schwerter-konsent [Zugriff: 08.10.2022].
Ta Van, J. (2021). „Religion“ in der Sicht von Schüler*innen. Eine qualitativ-empirische Untersuchung. Münster: Waxmann.
Terhart, E. (2012). Lehrer. In H.-E. Tenorth & R. Tippelt (Hrsg.), Beltz Lexikon Pädagogik (S. 458–461). Weinheim: Beltz.
Dr. Juliane Ta Van, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Comenius-Institut, Ev. Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft e.V., Münster.