CH: Liebe Tagungsteilnehmer*innen von nah und fern, im Cyberspace sowie im Tagungsraum Triers! Wenn wir uns nun zum Abschluss unserer gemeinsamen Jahrestagung von AKRK und GwR der ehrenvollen und nicht ganz simplen Aufgabe stellen, in einem maximal 30-minütigen Tagungsrückblick 17 Einzelreferate, elf Poster und fünf Workshops in ein überzeugendes Narrativ zu verpacken, dann scheint unser klägliches Scheitern bereits vorprogrammiert zu sein.
VU: Wir flüchten daher zunächst vom Zwang zum Narrativ in das Stammeln von einigen Wortassoziationen, womit wir lediglich einige Textbausteine bereitstellen wollen, um daraus vielleicht einen Plot generieren sowie eine problematische Ausgangslage, Täter*innen, Opfer, Held*innen und Entwicklungen rekonstruieren zu können.
CH: „Wenn die Mitte sich auflöst…“
VU: Was heißt hier Mitte? CH: Bürgerliche Mitte. VU: Mittelstand.
CH: Die Kirchlichen als die Mitte.
VU: Mittelbau.
CH: Der Expressionismus und die kranke Mitte.
VU: Mittelmäßigkeit.
CH: Mittlere Milieus der Sinus-Kartoffeln.
VU: Mittelwert.
CH: Mittagspause!
1 Was ist gemeint mit der Auflösung bzw. dem Verlust der Mitte?
CH: Nach Gottfried Benn (1954) müssen wir uns keine Sorgen um die Mitte machen, die löse sich nicht auf. So haben wir von Clemens Albrecht mit Bezugnahme auf Benn mitgenommen, dass die kultursoziologische Rede von der Mitte ein deutsches Modell ist, das vom Bild einer Zwiebel ausgeht, während Brit*innen und Französ*innen ein anderes Schichtenmodell präferieren. Ergo: Statt der Mitte bitte das Dritte!
VU: Mirjam Schambeck hat uns anhand von Ruth Bader Ginsburg vor Augen geführt, dass sich die Mitte verschieben könne. Zudem wurde uns neben einer neuen 3-G-Regel – „Gesagt wird viel, geglaubt wird, was getan wird“ (Schambeck) – bewusst, dass sogar die Götter umziehen können (Eßbach, 2011, S. 175–190), was von der Religionspädagogik erkannt, aber innerhalb der Theologie noch nicht so richtig begriffen würde. Ebenso auffällig sei, dass in der katholischen Kirche paradoxerweise von Gleichheit die Rede sei, aber Männer, Heterosexuelle und Geweihte gleicher zu sein scheinen als andere.
CH: Nach Manfred Pirner sollten sowohl Soziologie als auch Theologie wieder stärker darauf achten, was der Fall ist (Luhmann, 1993). Notwendig sei eine neue Kultur des Faktischen. Das führe dann dazu, dass Kinder- und Jugendtheologie nicht im wertfreien Moderieren steckenbleiben dürften, sondern Heranwachsende z.B. an die Orte zu führen hätten, an denen Tiere abgeschlachtet werden oder Coronapatient*innen auf der Intensivstation sterben. Im Tagungsverlauf entzündete sich hieran später einmal die Frage: Wie weit darf die Religionspädagogik hierbei gehen, ohne einerseits das Überwältigungsverbot zu übertreten und andererseits, ohne theologisch zu verurteilende Haltungen zu verstärken?
VU: Die folgenden vier Beiträge am Freitagnachmittag zum Verlust der Mitte trafen sich alle mehr oder weniger in der Gegenthese des Tagungsmottos, wonach laut Hans Mendl bei Studierenden doch relativ viel Mitte vorherrsche (Mendl & Riegel, 2011). Und von Susanne Schwarz müsse sich die Religionspädagogik in Bezug auf Schüler*innen jenseits des quantitativen Blicks auf statistische Mittelwerte fragen lassen, ob sie sich auf die kirchliche Mitte konzentriere oder sich gegenläufig dazu auf die gesellschaftliche Mitte zu fokussieren habe.
CH: Auch Bernd Schröder ließ sich im Hinblick auf Lehrer*innen nicht darauf ein, vom Verlust der Mitte geschweige denn vom Narrativ zu sprechen, da er für einen Mitteverlust keine belastbaren Indizien wahrnehmen könne und die Rede vom Narrativ nicht für sonderlich gewinnbringend erachte. Bestenfalls ließen sich einige Veränderungen ausmachen, wie etwa, dass die Vertrautheit dieser Personengruppe mit Feinheiten der theologischen Lehre und kirchlichen Aktivitäten schwinde.
VU: Claudia Gärtners Beitrag zu den Forscher*innen destruierte das Narrativ vom Mitteverlust. Schließlich sei so viel Mitte wie nie zuvor vorhanden, sowohl hinsichtlich der Milieudiversität als auch bezogen auf die Disziplin der Religionspädagogik, die keine Anwendungswissenschaft mehr, sondern in der Mitte der Theologie angekommen sei. Der im Rahmen dieser Tagung und insbesondere in der Nachwuchstagung rund um das Narrativ der gesellschaftlichen Mitte relevante und viel thematisierte Machtaspekt mündete in einer dreifachen Problemanzeige: Die Wissenschaft habe ein Hanna-Problem (vgl. #ichbinhanna), die Gesellschaft ein Wissenschaftsproblem und die römisch-katholische Kirche ein Frauenproblem. Was diesen drei Problemen gemein sei: der Aspekt des Gehörtwerdens, die Problematik der Deutungsmacht und der Kampf gegen (Kontroll-)Verlustängste anderer.
CH: Beim Abend der Begegnung erfuhr das Narrativ zwei hochinteressante persönliche Wendungen, als Anika Loose Norbert Mette und Gerhard Büttner interviewte. Norbert Mette erzählte dabei von seinen Motivationen für das Theologiestudium sowie seinem langjährigen Einsatz für einen Strukturwandel der katholischen Kirche, wobei er heute angesichts der progressiven Hoffnungen der 1970er Jahre keine Lust auf ein „Weiter so“ habe. Hängengeblieben ist bei mir vor allem Mettes Satz: „Wir brauchen Widerstandserzählungen“ – angesichts der verqueren globalen Situation, damit wir uns das alles nicht gefallen lassen (Mette).
VU: Der frisch gekürte VIP der Kindertheologie, Gerhard Büttner, hat ein Anliegen für die Zukunft des Religionsunterrichts: Das christliche Narrativ solle im Diskurs bleiben, eine christliche Semantik sei zu pflegen. Büttner hat sich für eine systemtheoretische Perspektive auf den Religionsunterricht stark gemacht, die dazu dienen könne, diesen besser zu verstehen. Mit Luhmann könne eine professionelle Demut (Hofmann, 2018, S. 249) eingeübt werden, denn Systemtheorie helfe dabei, „wenn man nicht von vornherein recht haben will“ (Büttner).
2 Funktion und Funktionalisierung von Narrativen in der Religionspädagogik
CH: Damit sind wir bei unserer Rückschau am Samstagmorgen angelangt, der mit einer sehr stimmigen Morgenandacht zu Psalm 22 von Bettina Brandstetter, Karin Peter und Robert Schelander eröffnet wurde.
VU: Fast schon unkonventionell für die wissenschaftliche Religionspädagogik begann Joachim Willems seinen Beitrag zur religionspädagogischen Nutzbarmachung von Narrativen in der Forschung mit einem Comic und einem Problem: „What was the question?“ (Willems) zur in dieser Tagung viral gegangenen Frage Was ist ein Narrativ? (ungefähr genauso beliebt wie die Frage Was ist die Mitte?) bat er nicht nur die Peanuts um Rat, sondern auch diverse Charlies und Ha(y)dens (z.B. White, 1973). Für die hausgemachten Probleme der Religionspädagogik, die sonst wohl niemand habe, ließe sich mithilfe der Charlie Hadens erarbeiten, dass ein selbstreflexiver Blick auf die eigenen Narrative, das sonst Unbeobachtete und Unbewusste beobachtbar und bewusst machen könne, was wichtig sei, denn „wir können nicht [nicht] in Narrativen sein“ (Willems).
CH: Kontroverses Leben in die Bude brachte Oliver Reis mit seinem nahezu unheilsprophetisch anmutenden Vortrag, der den harmlos klingenden Titel trug: Narrative – Funktionen, Chancen und Grenzen in der religionspädagogischen Forschung. Dahinter verbarg sich allerdings ein radikales und unbequemes Vorhalten des Spiegels, wonach Reis kurzerhand unser ganzes wissenschaftliches und methodisches Equipment dekonstruierte. Ein Zitat zum allseits beliebten Narrativ der Subjektorientierung mag dies illustrieren: „Wir kümmern uns nicht wirklich um die Subjekte. Sie sind Teil unserer funktionalen Narrative. Uns interessieren die Menschen nicht wirklich.“ (Reis) So kam es bei einigen Zuhörenden zu emotionalen Reaktionen, Widerständen und Enttäuschungen. Im anschließenden Gespräch schienen sich die Wogen allerdings wieder etwas zu glätten.
VU: #dnkgtt – Das ist nicht nur einer der Workshoptitel, sondern auch eine für viele Jugendliche bindende und verbindliche Erzählung. „Ich danke Jesus dafür, dass ich in einem Blumenkleid auf einer Wiese stehen kann und zufällig ein Schnappschuss von mir gemacht wird.“ So könnte das prägende Narrativ einer christlichen Influencerin lauten, die sich in Social Media ihren Einfluss teilen muss mit einem Pfarrer aus Plastik (@pfarrerausplastik), der seine Frau und Autos liebt und eigentlich ein Mensch wie du und ich ist (das will er wohl sagen), und mit christlichen Influencer*innen, die eine vom feministischen Andachtskollektiv (@fak.kollektiv) beeinflusste, queerfeministische, politische Theologie betreiben. Das eine Narrativ von Social Media Christentum gibt es – Gott sei Dank! – nicht. Biblische Narrative überdenken – das ist der Nachklang, der aus dem Workshop zu biblischen Narrationen zu sexualisierter Gewalt deutlich zu vernehmen war. Die anschließenden Gespräche drehten sich u.a. um die nicht leicht zu beantwortende Frage, welche biblischen Erzählungen und somit auch Narrative überhaupt Kindern zugänglich sein sollten.
CH: Gestern durfte ich dann am Workshop Religiöse Bildung und die Narrative des Anthropozän teilnehmen, der von Claudia Gärtner und Alexander Schimmel angeboten wurde. Eine eingängige Fünfertypologie unterschiedlicher Narrative zum Klimawandel war für mich ebenso aufschlussreich wie die Perspektive, dass sich Björn Höcke und die AfD geschickt eines eigenen Naturschutzbegriffs bedienten, den sie mit christlicher Rhetorik unterfütterten und gegenüber einer grünen Umweltschutzkonzeption zu profilieren und medial zu verbreiten versuchten. Bei all dem vielen Input taten die attraktiven Kulturprogrammangebote wahrscheinlich nicht nur mir persönlich gut. Die Domführung habe ich genauso genossen wie die Möglichkeit, untereinander etwas länger als in den kurzen Kaffeepausen an der frischen Luft (und in der Sonne) ins Gespräch kommen zu können.
VU: Das heilende Blut und der nahende Winter – diese beiden Erzählungen sind vielen Jugendlichen bekannt. Nicht aus der Ostererzählung oder der Offenbarung des Johannes, sondern aus den Erfolgsserien The Vampire Diaries und Game of Thrones, die Steffi Fabricius und Johannes Heger als Proberäume (religiöser) Lebensdeutungen hinsichtlich ihres religionsdidaktischen Potenzials untersucht haben. Medien im Religionsunterricht? Das gab es doch schon mal! Und sei es nicht riskant, die lebensweltlichen Schutzräume der Schüler*innen für didaktische Zwecke zu nutzen? Diese rege Diskussion im Anschluss an den Vortrag zeigte, dass das Paradigma der Lebensweltorientierung gar kein so gefestigtes Narrativ zu sein scheint.
CH: Ein Highlight der Tagung war für mich die Postersession, in der acht Promovierende und drei Habilitierende aus der evangelischen und katholischen Religionspädagogik gezeigt haben, an welchen Projekten sie zur Zeit arbeiten: Zu sehen waren somit elf Poster, zwei digital und neun analog, präsentiert von neun Frauen und zwei Männern, drei mit hermeneutischem und acht mit empirischem (meist qualitativem) methodischem Zugriff. Inhaltlich ist in der Regel ein schulischer Verwendungszusammenhang erkennbar, doch auch andere Orte religiöser Bildung, wie die Konfirmand*innenarbeit, Jugendkatechese oder das Theologiestudium werden untersucht.
3 Aktuelle Narrative in der Religionspädagogik auf dem Prüfstand
CH: Am Sonntag ging es weiter mit einer anrührenden Morgenandacht von Tanja Gojny und Jonathan Kühn. Besonders ist mir die eingängige Vorstellung im Gedächtnis geblieben, wonach Gott wie eine liebevolle Großmutter unsere Geschichten in den Büchern der Erinnerung und des Lebens aufbewahrt.
VU: Mit quer gelesenen Narrativen haben wir uns dann inhaltlich an diesem Morgen beschäftigt.
CH: Stefanie Lorenzen hat sich dafür entschieden, die Frage der Entscheidung als Narrativ in der Religionspädagogik zu analysieren, wozu sie Nipkows Elementarisierungsmodell zum Gottesurteil auf dem Karmel (Nipkow, 2005, S. 307–324) genau unter die Lupe genommen hat. Daraus hat sie u.a. für die Religionspädagogik gefolgert, dass diese die „Spannung von (entschiedener) Eindeutigkeit und (unentschiedener) Mehrdeutigkeit explizit“ (Lorenzen), zwischen Niederwerfung und Tanz, zu bearbeiten habe (Lorenzen, 2020, S. 312–320).
VU: Evrim Erşan-Akkılıç referierte zum Umgang mit Migrationsnarrativen und fokussierte die Frage, welche Positionen migrantische Subjekte in der Gestaltung von Narrativen haben können. Der Weg in die Mitte der Gesellschaft, sollte er gewünscht sein, sei geprägt von Otheringprozessen und intersektional wirksamen Hegemonien.
CH: Silvia Arzt ist einem ihrer Forschungsschwerpunkte treu geblieben, indem sie der Anfrage gefolgt ist, Narrative im Kontext der Genderthematik auszuleuchten. Dazu hat sie drei Schlaglichter gesetzt: Feministische Theologie, Doing Gender und den Ansatz der Intersektionalität gekoppelt mit der Rassismusforschung. Als Herausforderungen blieben die Benachteiligung von Frauen und die Frage, was die Männer daran hindere, sich in der Genderforschung mehr zu engagieren.
VU: Unter dem Slogan: Narrative 2030 – Denken in die religionspädagogische Zukunft wagte Andrea Lehner-Hartmann den Blick in die Zukunft anhand von fünf Themen, bei denen Abschied von alten Erzählungen zu nehmen ist:
die Pluralisierung der Gesellschaft und der Abschied vom Homogenitätsnarrativ
die Heterogenität der Schüler*innen und der Abschied vom Narrativ der individuellen Verantwortung für die eigene Situation
Genderfragen und der Abschied von heteronormativen Narrativen in Theologie und Religionspädagogik
Krisen und der Abschied vom Königreich der Angst (Nussbaum, 2019)
die Digitalisierung und der Abschied von der wohligen Wärme der eigenen filter bubble
CH: Martin Rothgangel spielte den Ball weiter und prognostizierte die Zukunft der Religionspädagogik als Wissenschaft sowohl persönlich als auch auf Basis einer aktuellen Delphi-Studie (Riegel & Rothgangel, 2021). Es kristallisierten sich fünf anhaltende Trends heraus, wie beispielsweise die Internationalisierung. Auch würde die Religionspädagogik noch eigenständiger gegenüber der Praktischen Theologie werden. Bei der genannten Studie waren die folgenden drei Dimensionen maßgeblich: bei den Methoden seien praxisorientierte und empirische vorherrschend, hinsichtlich der Gegenstandsbereiche stellten Lehr-Lern-Prozesse sowie Schüler*innen entscheidende Aspekte dar und unter den Bezugstheorien herrschten die Theologie sowie die Bildungswissenschaften vor.
4 Narrative der Tagung und offene (An-)Fragen
VU: Der Bobo in uns: Nachhaltigkeit, Partizipation, Machtbewusstsein – das scheint Konsens zu sein, zumindest auf dieser Tagung. Pirner ist es gelungen, die von Albrecht skizzierten Paradoxien in all ihrer Wirkmächtigkeit auf den religionspädagogischen Kontext zu beziehen. Dabei hob er hervor, dass einerseits Religionspädagog*innen von der Globalisierung profitierten und andererseits zu einem globalisierungskritischen Denken motivieren sollten. Offen bleibt, wie mit Rekurs auf Fritz Oser deutlich wurde, dass es sich hierbei nicht zwangsläufig um dichotome Konzepte handelt. Vielmehr wird der religionspädagogische Bobo (Albrecht, Bechheim, Bell, Hemmerich, Hörter, Jakobs, Lehmann, Rick & Sieverding, 2020) in uns geweckt.
CH: Der Verlust des Narrativs: Neben der Frage, was genau wir eigentlich zu betrauern hätten, würden wir die Mitte verlieren, wurde im Laufe der Tagung ebenso deutlich, dass das Narrativ genauso schwierig zu bestimmen ist wie die Mitte. Die Bedeutung von Narrationen und Narrativen wurde verdeutlicht, auch wenn der Begriff des Narrativs scheinbar als umbrella term in seiner Ambiguität Diskursgegenstand auf mehreren Ebenen bleibt. Bei allen ungelösten Problemen lässt sich als eine Art Ausblick formulieren, dass es durchaus Sinn ergeben könnte, diesen Begriff trotz seiner Mehrdeutigkeit bewusst ins Zentrum (selbstkritischer) religionspädagogischer Diskurse zu rücken, nämlich besonders dort, wo wirkmächtige Narrative diskursbeherrschend sind.
VU: Wissenschaftliche Religionspädagogik als Game of Thrones? Im Nachwuchsworkshop, in dem auch über „die da oben“ geredet wurde, und in der Haupttagung, in der #ichbinhanna zu Wort kam, wurden Narrative der Wissenschaft auf die wissenschaftliche Religionspädagogik bezogen. Ein deutlicher Verlust des Titels war zudem am Fehlen sämtlicher Prof.s und Dr.s auf den Namensschildern zu erkennen und angenehm spürbar. Wie viel Game of Thrones lässt sich dieser Disziplin noch anhaften? Diese Frage möchten wir zum Weiter- und Überdenken in den Raum stellen. Von der Mitte zum Rand: Die von Anita Müller-Friese stark gemachte Erzählung Vom Rand in die Mitte (Müller-Friese, 2001) fokussiert die Schüler*innenperspektive. Aus Perspektive der wissenschaftlichen Religionspädagogik sieht das Ganze anders aus. Von der Mitte zum Rand, das ist der Forschungstrend, der sowohl in der Nachwuchs- als auch in der Haupttagung prominent war und ist. Der Blick auf die in Prozessen religiöser Bildung Marginalisierten ist und bleibt wichtig und wird in diversen Forschungsprojekten aufgenommen (z.B. Knauth & Jochimsen, 2017; Knauth, Möller & Pithan, 2020). Vielleicht ist das ein zukunftsweisendes Forschungsnarrativ: Von der Mitte zum Rand, das bedeutet den Blick von der eigenen, oft privilegierten Position zu denen hinzuwenden, die nicht zu Wort kommen, um ihnen ganz im Sinne der politischen Theologie, die Norbert Mettes religionspädagogisches Handeln wesentlich geprägt hat (Könemann & Mette, 2013), den Raum zu geben, gehört zu werden, Subjekt zu sein, das scheint eine bleibende Aufgabe für uns zu sein.
CH: Abschließend sagen wir beide stellvertretend Dank an alle, die diese gemeinsame Jahrestagung möglich gemacht haben, insbesondere den Vorständen unserer beiden Gesellschaften.
Literaturverzeichnis
Albrecht, C., Bechheim, N., Bell, S., Hemmerich, J., Hörter, A., Jakobs, P., Lehmann, P., Rick, C. & Sieverding, S. (2020). Wir Bobos. Zur Autoethnographie eines Sozialtyps. Soziologiemagazin,Soziologische Fragmente#1.
Benn, G. (1954). Probleme der Lyrik (3. Aufl.). Wiesbaden: Limes Verlag.
Eßbach, W. (2011). Die Gesellschaft der Dinge, Menschen, Götter. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Hofmann, B. (2018). Vom „entdiakonisierten diakonischen Blick“ und seinen Konsequenzen im Inklusionsgeschehen. In M. Geiger & M. Stracke-Bartholmai (Hrsg.), Inklusion denken. Theologisch, biblisch, ökumenisch, praktisch (S. 243–255). Stuttgart: Kohlhammer.
Knauth, T. & Jochimsen, M. A. (Hrsg.) (2017). Einschließungen und Ausgrenzungen. Zur Intersektionalität von Religion, Geschlecht und sozialem Status für religiöse Bildung. Münster: Waxmann.
Knauth, T., Möller, R. & Pithan, A. (Hrsg.) (2020). Inklusive Religionspädagogik der Vielfalt. Konzeptionelle Grundlagen und didaktische Konkretionen. Münster: Waxmann.
Könemann, J. & Mette, N. (Hrsg.) (2013). Bildung und Gerechtigkeit!? Warum religiöse Bildung politisch sein muss. Ostfildern: Grünewald.
Lorenzen, S. (2020). Entscheidung als Zielhorizont des Religionsunterrichts? Religiöse Positionierungsprozesse aus der Perspektive junger Erwachsener. Stuttgart: Kohlhammer.
Luhmann, N. (1993). „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“ Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie. Zeitschrift für Soziologie, 22(4), S. 245–260.
Mendl, H. & Riegel, U. (2011). Studienmotive fürs Lehramt Religion. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 63(4), S. 344–358.
Müller-Friese, A. (2001). Vom Rand in die Mitte. Erfahrungsorientierter Religionsunterricht an der Schule für Lernbehinderte. Stuttgart: Calwer.
Nipkow, K. E. (2005). Bildungsverständnis im Umbruch, Religionspädagogik im Lebenslauf, Elementarisierung, Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert. Band 1. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
Nussbaum, M. C. (2019). Königreich der Angst. Gedanken zur aktuellen politischen Krise. Darmstadt: wbg Theiss.
Riegel, U. & Rothgangel, M. (2021). Formate religionsdidaktischer Forschung. Österreichisches Religionspädagogisches Forum, 29(1), S. 45–60.
White, H. (1973). Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe. Baltimore: John Hopkins University Press.
Dr. Vera Uppenkamp, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Evangelische Theologie, Universität Paderborn.
Dr. Christian Höger, Professor für Religionspädagogik und Katechetik, Theologische Fakultät, Universität Luzern.