1 Erkenntnisinteresse: Der Hinduismus im Schatten der Religionspädagogik und Didaktik
Angesichts der steigenden kulturellen und religiösen Pluralität der Gesellschaft wurde der Themenkomplex des ‚interreligiösen Lernens‘ bzw. der ‚Didaktik der Religionen‘ (Porzelt & Stögbauer-Elsner, 2021, S. 216) in der Religionspädagogik und -didaktik zu einem „Trendthema“ (Sajak, 2018, S. 9). Während jedoch die abrahamitischen Religionen in diesem Kontext intensiver untersucht wurden, trat der Hinduismus[1] in den Schatten der religionspädagogischen und -didaktischen Forschung.
Dieses Phänomen spiegelt sich u.a. in den schulischen Materialien wider. So werden z.B. aufgrund der Lehrpläne dieser ‚sogenannten‘ Weltreligion nur wenige Doppelbuchseiten in Schulbüchern gewidmet. Dabei kann aus gesellschaftlicher Perspektive die schulische Auseinandersetzung mit dem Hinduismus als einer der „weitest verbreiteten Religionen der Welt“ (Malinar, 2009, S. 14) die Schüler*innen unterstützen, in einer religionspluralen Gesellschaft zu leben und diese mitzugestalten (Unser, 2021, S. 470). Ebenfalls ermöglicht die Thematisierung dieser Religion den Schüler*innen, argumentiert man subjektbezogen, die eigene Religiosität zu reflektieren, indem sie z.B. durch das dharmische Modell eine Alternative zu den abrahamitischen Glaubensvorstellungen kennenlernen (u.a. Frisch, 2002, S. 290).
Auch in der deutschsprachigen, religionspädagogischen und religionswissenschaftlichen Landschaft wird der Darstellung des Hinduismus nur „wenig Aufmerksamkeit geschenkt“ (Murken, 1988, S. 9). Festgehalten werden muss daher, dass abgesehen von den Religionswissenschaftler*innen Jürgen Hanneder (2006), Antje Linkenbach (2015) und Sebastian Murken (1988) kaum deutschsprachige Wissenschaftler*innen in den letzten Jahrzehnten die unterschiedlichen Rekonstruktionen des Hinduismus in Lehrmaterialien intensiv erforscht haben. Dabei ermöglicht eine systematische, empirische Auseinandersetzung mit der Darstellung des Hinduismus in Schulbüchern einerseits Einblicke in die Fragen, welches Wissen über den Hinduismus in welcher Form thematisiert, konstruiert und für die zukünftigen Generationen kanonisiert wird. Andererseits zeigt sie, welche religiösen Lernprozesse auf welche Weise gegenwärtig im Blick auf diese Religion angestrebt werden.
2 Ziel des Forschungsprojektes: Eine Analyse von deutsch- und englischsprachigen Schulbüchern
Wenn die schulische Thematisierung des Hinduismus sowohl aus gesellschaftlicher (Vorbereitung, in einer religionspluralen Welt zu leben) wie auch aus subjektbezogener (Orientierungshilfe für die eigene Position) Perspektive konstitutive interreligiöse Lernprozesse auslösen kann, dann sollte die Darstellung dieser Weltreligion in Schulbüchern als Medium der Initiierung und Unterstützung von religiösen Bildungsprozessen systematisch analysiert werden.
Ziel dieses Forschungsprojektes ist es daher, durch den kritischen Vergleich von deutsch- und englischsprachigen Schulbüchern Einblicke in die Themenauswahl, die Darstellung und die didaktischen Annäherungen an den Hinduismus im schulischen Kontext zu gewinnen und ausgehend hiervon Perspektiven für verantwortungsvoll gestaltete religiöse Lernprozesse zum Hinduismus zu entwickeln.
3 Ausblick – Mögliche Fragerichtungen für die Analyse von deutsch- und englischsprachigen Schulbüchern
Diesem analytischen Vergleich von deutsch- und englischsprachigen Schulbüchern liegt die Zuversicht zugrunde, dass einerseits die unterschiedlichen Sichtweisen des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland und des nicht-bekenntnisorientierten Unterrichts in England auf den Hinduismus die Schulbücher prägen und andererseits durch den Vergleich Erkenntnisse über die verschiedenen didaktischen Annäherungen gewonnen werden können.
Analysiert werden soll in den Schulbüchern folglich die Darstellung des Hinduismus als Religion und/oder Kultur, die Thematisierung möglicher Relationen des Hinduismus zu anderen Religionen wie auch die religionsdidaktischen Konzeptionen, die sich in den didaktischen Umsetzungen des Themas widerspiegeln.
3.1 Darstellung
Schulbuchautor*innen müssen auf wenigen Seiten eine „authentische Repräsentation von Glauben und Leben“ (Porzelt, 2021, S. 629) des Hinduismus darlegen. Herausfordernd bei dieser Aufgabe ist, dass unter dem Terminus ‚Hinduismus‘ verschiedene religiöse Strömungen wie auch kulturelle Aspekte gefasst werden. Diese verschiedenen regionalen und überregionalen, teilweise monotheistischen, teilweise eher polytheistischen Ausprägungen (vgl. Meyer, 2019, S. 22) verbinden weder eine Gründerfigur noch allgemein anerkannte Grundsätze, Texte oder religiöse Autoritäten (Jacobs, 2010, S. 24).
Vor diesem Hintergrund werden folgende Fragen leitend sein:
Welche religiösen und kulturellen Aspekte werden ausgewählt, um den Hinduismus darzustellen (z.B. Kastensystem)?
Wird die innere Pluralität des Hinduismus erkennbar?
3.2 Relation
Neben der Herausforderung, diese komplexe Religion auf wenigen Seiten zu rekonstruieren, stellt sich den Schulbuchautor*innen oft die Aufgabe, den Hinduismus im Zusammenhang mit anderen Religionen für die Schüler*innen zu entfalten. So wird z.B. im LehrplanPLUS für die gesamte gymnasiale Schulzeit in Bayern im Fach katholische Religionslehre für die Auseinandersetzung mit dieser Weltreligion ausschließlich der Themenbereich „Fernöstliche Glaubens- und Lebensweisen – Begegnung mit dem Hinduismus und Buddhismus“ (LehrplanPlus, 2020, KR10 LB 5.4) mit insgesamt zwölf Unterrichtsstunden für beide Religionen vorgesehen. Gleichzeitig wird der Hinduismus nicht nur in Relation zum Buddhismus, sondern auch dem Christentum gesetzt. So lautet eine der vier genannten Kompetenzerwartungen in diesem Themenbereich: „Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden christliche Erlösungsvorstellungen von hinduistischen und buddhistischen und beschreiben Dialogmöglichkeiten“ (LehrplanPlus, 2020, KR10 LB 5.4).
Folglich soll bei der Analyse die Frage bedacht werden:
In welcher Weise wird der Hinduismus auf andere Religionen, insbesondere auf den Buddhismus und auf das Christentum bezogen?
3.3. Konzeptionen
Im Gegensatz zu den deutschen Curricula wird in den englischsprachigen Lehrplänen mehrmals das Thema Hinduismus – sowohl in der Primar- wie auch Sekundarstufe –
genannt (Barnes, 2018). In den englischsprachigen Schulbüchern wird dabei der Hinduismus „eher als Religion ,von nebenan‘ eingeführt“ (Hanneder, 2006, S. 236). Diese Perspektive auf den Hinduismus hat ihren Ursprung u.a. im multireligiösen, tendenziell phänomenologischen Ansatz des nicht bekenntnisorientierten Unterrichts in England. Für eine vergleichende Analyse von Schulbüchern müssen die unterschiedlichen Konzeptionen des Unterrichts, die sich z.B. im Lehrplan, in der Zusammensetzung der Schülerschaft wie auch an den didaktischen Umsetzungen der Themen im Unterricht widerspiegeln, ergründet werden.
Vor dieser Hintergrundfolie wird die Frage leitend sein:
Können religionsdidaktische Konzeptionen in den unterschiedlichen Schulbüchern identifiziert werden?
Literaturverzeichnis
Barnes, P. (2018). Britischer Religionsunterricht. URL: https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wirelex/pdf/Britischer_Religionsunterricht__2018-09-20_06_20.pdf [Zugriff: 10.10.2021].
Frisch, H. (2002). Interreligiöses Lernen II: Hinduismus und Buddhismus. In G. Bitter, R. Englert, G. Miller & K. E. Nipkow (Hrsg.), Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe (S. 287–291). München: Kösel.
Hanneder, J. (2006). Zur Darstellung des Hinduismus im Schulbuch. In M. Bergunder (Hrsg.), Westliche Formen des Hinduismus in Deutschland (S. 230–243). Halle: Franckesche Stiftungen zu Halle.
Jacobs, S. (2010). Hinduism today. An introduction. London: Continuum Publishing Corporation.
Linkenbach, A. (2015). Weltreligion Hinduismus. Zur Konstruktion des Indienbildes in deutschen Schulbüchern. In: C. Bultmann & A. Linkenbach (Hrsg.), Religionen übersetzen. Klischees und Vorurteile im Religionsdiskurs (S. 23–43). Münster: Aschendorff.
Malinar, A. (2009). Hinduismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Meyer, K. (2019). Grundlagen interreligiösen Lernens. Göttingen: Vandenhoeck &. Ruprecht.
Murken, S. (1988). Gandhi und die Kuh. Die Darstellung des Hinduismus in deutschen Religionsbüchern. Eine kritische Analyse. Marburg: Diagona.
Porzelt, B. (2021). Schulbuch. In U. Kropač & U. Riegel (Hrsg.), Handbuch der Religionsdidaktik (S. 375–381). Stuttgart: Kohlhammer.
Porzelt, B. & Stögbauer-Elsner, E. (2021). Religionen. In E. Stögbauer-Elsner, K. Lindner & B. Porzelt (Hrsg.), Studienbuch Religionsdidaktik (S. 214–226). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Sajak, C. (2018). Interreligiöses Lernen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Schmitz, B. (2021). Religionswissenschaft. Einführung. Baden-Baden: Textum Verlag.
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) (2020). LehrplanPLUS Gymnasium. Fachlehrplan Katholische Religionslehre. URL:https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachlehrplan/gymnasium/10/katholische-religionslehre[Zugriff: 04.10.2021].
Unser, A. (2021). Interreligiöses Lernen. In U. Kropač & U. Riegel (Hrsg.), Handbuch der Religionsdidaktik (S. 467–485). Stuttgart: Kohlhammer.
Dr. Rebecca Deurer, Akademische Rätin a.Z.; Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik an der Universität Regensburg.
[1] Der Terminus ‚Hinduismus‘ ist eine Fremdbezeichnung, welche unterschiedliche kulturelle und religiöse Aspekte auf dem indischen Subkontinent subsumiert. Umstritten ist einerseits, ob weiterhin der Sammelbegriff ‚Hinduismus‘ oder eher der Terminus ‚Hindu-Religionen‘ verwendet werden sollte. Andererseits wird die Frage aufgeworfen, ob die Vokabel ‚Hinduismus‘ eine Kultur und/oder eine bzw. mehrere Religionen umschreibt (Schmitz, 2021, S. 147). In diesem Forschungsprojekt wird weiterhin die Vokabel ‚Hinduismus‘ verwendet. Für diese Entscheidung spricht insb., dass aus dieser Fremdbezeichnung eine Selbstbeschreibung von Millionen von Menschen in und außerhalb Indiens geworden ist, die, obwohl sie um die Unterschiede innerhalb der hinduistischen Traditionen wissen, den inneren Zusammenhang des Hinduismus fokussieren und sich gemeinsam als ‚Hindus‘ betrachten.