1 Einleitung
Die Bereitschaft und die Fähigkeit von Religionslehrkräften zur religionsbezogenen Positionierung sowie ihre damit zusammenhängenden Vorstellungen von Konfessionalität spielen für die Praxis des konfessionellen bzw. konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts nicht zuletzt aus professionsorientierter Perspektive eine bedeutende Rolle. Die juristische Maßgabe, dass der bekenntnisorientierte Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG in konfessioneller Positivität und Gebundenheit zu erteilen ist, wird im Blick auf die innere Gestalt des Unterrichts schließlich zur offenen Frage nach dessen sichtbaren Praktiken. Diese wiederum entstehen insbesondere durch die Lehrkräfte selbst, ihre Vorstellungen, ihre Intentionalität und ihre didaktisch-methodischen Interventionen. Antworten auf die Frage, wie sich (auch konfessionalitätsbezogene) Positionalität und konfessionelle Gebundenheit des Religionsunterrichts aus Sicht von Lehrkräften in ihrem professionsbezogenen Selbstverständnis spiegeln, versucht die vorliegende explorative Studie auf die Spur zu kommen. Die Ergebnisse basieren auf einer inhaltsanalytischen Auswertung von schriftlichen Statements (N=344), verfasst von katholischen und evangelischen christlichen Religionslehrkräften. Im Folgenden werden zunächst die zentralen Begriffe eingeführt und theoretisch gerahmt (Kap. 2), die Fragestellung der Studie hergeleitet (Kap. 3) sowie die Datenerhebung und die Auswertungsmethode beschrieben (Kap. 4). Der Beitrag setzt nach der Präsentation der Ergebnisse (Kap. 5) mit einer Diskussion der Befunde fort und schließt mit forschungsmethodischen Limitationen sowie der Ableitung von Implikationen (Kap. 6).
2 Professionalität und Konfessionalität
2.1 Konfessionalität als Teil von Professionalität
Nicht losgelöst von den Reformprozessen in der deutschen Lehrerbildung und der damit verbundenen Orientierung an Standards haben sich unter expliziter oder impliziter Bezugnahme auf Angebot-Nutzungs-Modelle (Terhart, 2012) auch Forschungsvorhaben zur Lehrerprofessionalität in den Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken etabliert, die einer kompetenzorientierten Perspektive folgen. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine professionelle Lehrkraft über verschiedene Kompetenzen verfügen sollte, die in der Lehrerausbildung sowie in der Fort- und Weiterbildung sukzessive aufgebaut und in einem lebenslangen Lern- und Entwicklungsprozess erweitert werden (Caruso & Harteis, 2020). Die einzelnen Kompetenzbereiche konstituieren professionelle Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006), von der angenommen wird, dass sie einen wichtigen Ausgangspunkt professionellen Handelns markiert. Auch kirchliche Dokumente thematisieren Kompetenzbereiche und führen diese als Ausgangspunkte für professionelles Religionslehrkräftehandeln ein, die ein Modell professioneller Handlungskompetenz konstituieren (Caruso, 2019, S. 57–67). Auf katholischer Seite wird das als Handlungsfähigkeit (DBK, 2010) bezeichnet, auf evangelischer Seite als theologisch-religionspädagogische Handlungskompetenz (EKD, 2009).
Sowohl in der allgemeineren Lehrerbildungsforschung als auch in fachdidaktischen Diskursen hat sich das COACTIV-Modell professioneller Handlungskompetenz etabliert, das dem Professionswissen (bestehend aus Fachwissen, fachdidaktischem Wissen, pädagogisch-psychologischem Wissen, Organisations- und Beratungswissen) eine besondere Relevanz zuschreibt. Es macht darüber hinaus aber auch deutlich, dass Überzeugungen, Werthaltungen (z.B. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen) und Ziele sowie motivationale Orientierungen und Selbstregulationsfähigkeiten (z.B. Belastungserleben) einer Lehrperson eine wichtige Voraussetzung für Performanz darstellen und dass die einzelnen Kompetenzbereiche nicht unabhängig voneinander sind. Dies zeigen u.a. auch Entwicklungsverläufe von angehenden Religionslehrkräften im Praxissemester (Caruso, 2019, S. 211–220).
Daran anschließend kann als professionstheoretische Grundlage der folgenden Ausführungen zum einen davon ausgegangen werden, dass sowohl kognitive als auch nichtkognitive Kompetenzmerkmale das Handeln von Religionslehrkräften prägen und erklären. Zum anderen ist anzunehmen, dass die Bestimmungen zur Konfessionalität des schulischen Religionsunterrichts – und damit verbunden auch Fragen zur Positionalität resp. Standpunktfähigkeit sowie zur Konfessionalität von Religionslehrkräften – insofern mit den kompetenzorientierten Annahmen zur Lehrerprofessionalisierung in Beziehung gesetzt werden können, als diese mit Fragen zur Wirkung und Entwicklung von verschiedenen Kompetenzmerkmalen verbunden sind (Caruso & Harteis, 2020) und Vorhersagekraft für die unterrichtsbezogene Performanz haben. Darüber hinaus wird im Anschluss an Erkenntnisse aus der Expertiseforschung davon ausgegangen, dass Erfahrungen eine hohe Relevanz für die Entwicklung von Wissen und Vorstellungen haben (ebd.). Im Fall von Religionslehrkräften ist vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass deren spezifische Erfahrungen mit Glauben, Konfessionalität, der Institution Kirche etc. mit der Beschaffenheit professioneller Handlungskompetenz eng verwoben sind, die ihrerseits wiederum den Umgang mit Konfessionalität oder Positionalität im Unterricht beeinflusst.
2.2 Konfessionalität als relationales Prinzip
Die verschiedenen Facetten von Konfessionalität und die aus unterschiedlichen Perspektiven (etymologisch, juristisch, soziologisch, religionspädagogisch, empirisch) resultierenden Lesarten hat kürzlich Lüdtke in ihrer Arbeit über den Zusammenhang von Konfessionalität und Religionsunterricht herausgearbeitet (Lüdtke, 2020). Mit der Metapher des „confessional gap“ markiert die Autorin die Problemanzeige, dass Konfessionalität „im Angesicht der Realität einer hochdynamischen und äußerst plural gewordenen Gesellschaft auf dem Prüfstand“ (ebd., S. 25) stehe und dass sich ein traditionelles Verständnis von Konfessionalität nicht mehr problem- und reibungslos in gegenwärtige Strukturen und Diskurse einfügen lasse. Daher verwundert es nicht, dass aus religionspädagogischer Sicht Konfessionalität nicht statisch und material-dogmatisch bestimmt wird, sondern als „relationales Prinzip“ (ebd., S. 241) vielmehr dynamisch in Erscheinung tritt. Prozessual gedacht kann Konfessionalität als ein „Sich-in-Beziehung-setzen-zu“ (ebd., S. 243) verstanden werden. Das wiederum geschieht praktisch in vielfältigen wechselseitigen Prozessen der Bezugnahme zwischen allen Akteuren des Unterrichts und seinen Kontexten: den Lernenden und Lehrenden, den Lerngegenständen, der Institution Kirche, der pluralen Gesellschaft und nicht zuletzt der individuellen Lebens- und Glaubensbiographie der beteiligten Akteure.
Wenn auch ekklesiologisch enger und konfessionsspezifisch unterschiedlich gerahmt, tritt dieses relationale Verständnis von Konfessionalität auch in den einschlägigen kirchlichen Stellungnahmen zum Religionsunterricht zu Tage. Darauf kann das programmatische Begriffspaar der Denkschrift „Identität und Verständigung“ (EKD, 1994; vgl. auch EKD, 2014) ebenso verweisen wie die im Blick auf die Konfessionalität des schulischen Religionsunterrichts gebrauchte Rede von einer „gesprächsfähige[n] Identität“ (DBK, 1996, S. 48; DBK, 2016, S. 10) bzw. „pluralitätsfähigen Identität“ (ebd., S. 10). Alle Dokumente entfalten Konfessionalität jenseits und entgegen konfessionalistischer Konstrukte wie „Selbstbeharrung, Abgrenzung oder Selbstisolierung“ (ebd., S. 10) und gründen diese auf ökumenischer Öffnung und „Dialogbereitschaft“ (ebd., S. 10; vgl. EKD, 2014, S. 46–47). Die Konfessionalität des Religionsunterrichts wird – auch nach 2016 – bezogen auf „das personale, individuelle wie gemeinschaftliche Bekennen und Bezeugen des Glaubens und damit nichtzuerst auf die institutionelle Gestalt der kirchlichen Gemeinschaft“ (Burrichter, 2015, S. 146). Auch wenn die kirchlichen Dokumente Konfessionalität bzw. Konfession im weiteren Verlauf als institutionelle und ekklesiologische Größe markieren, geraten hier zunächst die sichtbaren Praktiken aller beteiligten Akteure innerhalb einer bildungstheoretisch verankerten „Angebotsstruktur des Religionsunterrichts“ (ebd., S. 147) in den Blick.
Einen ähnlich relationalen Ansatz hat bereits Schlüter verfolgt, indem er – auch unter Rückbezug auf die kirchlichen Stellungnahmen – Konfession als confessio denkt, das heißt als Praxis eines individuellen und kollektiven Bezeugens, das „die Wahrheit des Evangeliums kontextspezifisch und daher perspektivisch – somit auch innovativ – zur Sprache“ (Schlüter, 2001, S. 380) bringt. Nicht nur ihre geschichtliche Eingebundenheit, sondern auch die theologische Voraussetzung eines dialogischen Offenbarungsbegriffs „qualifizieren die Konfessionalität deshalb grundlegend als dialogische“ (ebd., S. 380). Daraus folgt mit notwendiger Konsequenz: „Wird aber Konfessionalität wesensmäßig dialogisch und prozessual gedacht, ist sie – in gewissem Sinn – immer wieder neu zu konstruieren, insofern und weil der kommunikative Rahmen jeweils neu hergestellt werden muss.“ (ebd., S. 381) Schlüter identifiziert den Dialog als „eine konstitutive und der Konfessionalität immanente Größe“ (ebd., S. 381), was konsequenterweise in den hoch angesiedelten Lernzielen einer Fähigkeit zum Perspektivenwechsel bzw. zur Perspektivenübernahme resultiert. Diesem dialogischen und prozessualen Verständnis von Konfessionalität korrespondieren Lernformen, die insbesondere in konfessioneller Kooperation entsprechende Möglichkeiten zum flexiblen Umgang mit unterschiedlichen individuellen und kollektiven Standpunkten und Perspektiven schaffen können und den Unterricht nach dem differenzsensiblen Prinzip der Perspektivenverschränkung einschließlich eines standpunktbefähigenden Lernens formatieren. Das heißt allerdings auch, „dass zur Konfessionalität […] nicht nur der Dialog, sondern auch die Differenz als eine immanente konstitutive Kategorie gehört“ (ebd., S. 381–382).
Die Konfessionalität des Religionsunterrichts lässt sich daher in der Performanz des Unterrichts identifizieren, insofern er in bzw. durch Dialog und Differenz bekenntnisbefähigend wirken soll. Dabei soll er in erster Linie und durchaus ergebnisoffen nicht ein (konfessionelles) Bekenntnis anzielen, sondern ein konfessorisches, das heißt zum eigenen religiös-weltanschaulichen bzw. konfessionellen Standpunkt befähigendes Lernen der Schülerinnen und Schüler verfolgen (Woppowa, 2021, S. 201–202). Auch aus dieser Sicht ist Konfessionalität relational zu verstehen und eng an die Praktiken der handelnden Akteure, insbesondere der Lehrkräfte gebunden.
2.3 Forschungsbefunde: eine Diskrepanz zwischen Soll und Sein?
Vor dem Hintergrund, dass insbesondere in konfessionell-kooperativen Lernumgebungen von den Lehrkräften gefordert wird, „dass sie um ihren eigenen konfessionellen Standpunkt wissen und sich in die Perspektiven der Partnerkonfession hineinversetzen können“ (Zimmermann, Riegel, Totsche & Fabricius, 2021, S. 47), haben kürzlich Zimmermann et al. Ergebnisse einer Studie vorgelegt, in der im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht eingesetzte Lehrkräfte in Gruppeninterviews nach ihrer Beurteilung solcher Anforderungen befragt worden sind. Denn ein in konfessioneller Kooperation erteilter Religionsunterricht, der in konzeptioneller und programmatischer Hinsicht auf konfessionelle Ligaturen, konfessionsbezogene Positionalität und Differenz zurückgreift, fordert die Lehrkräfte noch stärker in ihrer „konfessionellen Rückbindung“ (ebd., S. 49) heraus. Von ihnen wird nicht zuletzt aus Sicht der kirchlichen Verantwortlichen verlangt, dass sie sich nicht nur ihres eigenen konfessionellen Standpunkts bewusst sind, sondern diesen auch sichtbar machen: „Die Religionslehrkräfte unterrichten konfessionsbewusst und differenzsensibel und sind als katholische oder evangelische Lehrkräfte erkennbar.“ (DBK, 2016, S. 33) Allerdings ist mittlerweile vielfach, auch empirisch, festgestellt worden, dass der damit verbundene „Anspruch für die Lehrpersonen in mehrfacher Hinsicht eine Heraus- bis Überforderung“ (Zimmermann et al., 2021, S. 49) darstellt, weshalb zugleich vor einer „konfessionellen Überbeanspruchung“ (Woppowa, 2021, S. 203) zu warnen ist. Denn eine solche Überbeanspruchung kann der Gefahr erliegen, dass eine Repräsentation des Institutionellen die faktische Individualität bzw. individuelle Konfessionalität der Lehrerinnen und Lehrer überdeckt oder schlechterdings sogar unsichtbar werden lässt.
Exemplarisch für entsprechende empirische Befunde können die Erkenntnisse der ReVikoR-Studie stehen, deren Stichprobe (N=1283) als repräsentativ für die Gesamtheit von evangelischen Religionslehrkräften in Schleswig-Holstein angenommen wird (Pohl-Patalong, Woyke, Boll, Dittrich & Lüdtke, 2016, S. 26). Ihr zufolge sieht sich ein hoher Anteil von knapp 75 % der befragten Lehrkräfte nicht als Vertreterin bzw. Vertreter der evangelischen Kirche und fast 58 % der Lehrkräfte verstehen sich im Unterricht nicht als Vermittler des evangelischen Glaubens (ebd.,, S. 125–130, 337). Zudem würden fast 41 % der befragten evangelischen Lehrkräfte den eigenen Unterricht nicht als evangelisch bezeichnen (Lüdtke, 2020, S. 290). Lüdtke hat diesen Befund als eine „Transparenzproblematik“ (ebd., S. 365) bezeichnet, weil Religionslehrkräfte ihre eigene Konfessionalität bzw. Positionalität zu wenig im Unterricht kommunizieren und dieser daher auch für die Lernenden nicht selten konfessionell unsichtbar bleibt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Befragung von Religionslehrkräften, wonach lebenswelt- und subjektorientierten sowie dialogischen Zielvorstellungen der Vorzug vor konfessionsbezogenen Zielen gegeben wird (Rothgangel, Lück & Klutz, 2017, S. 41–42). Während Caspary in ihrer Studie zum konfessionell-kooperativen Unterricht in Baden-Württemberg feststellen kann, dass Konfessionalität bzw. konfessionelle Differenz eher im „Modus der Mitteilung von Religion“ (Caspary, 2016, S. 191) und weniger an eine „Praxis religiöser Weltdeutung oder religiöser Vollzüge“ (ebd., S. 187) rückgebunden sei, verschaffen Daten aus Hessen einen gegenläufigen Eindruck. Während bereits Heimbrock und Kerntke ein konfessorisches Element als „Strukturmoment protestantischer Konfessionalität“ (Heimbrock & Kerntke, 2017, S. 27) bei evangelischen Religionslehrkräften in Hessen identifizieren konnten, stimmt auch eine Mehrheit von befragten Lehrkräften aus dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht an nordhessischen Gesamtschulen dem Selbsteinschätzungsitem zu, den eigenen religiösen resp. konfessionellen Standpunkt sichtbar in den Unterricht einzubringen (Gennerich, Käbisch & Woppowa, 2021, S. 108–109). Allerdings kann eine Wertefeldanalyse zeigen, dass diese Praxis eher von den entwicklungsorientierten sowie interreligiös orientierten Lehrkräften vollzogen wird (ebd., S. 125–126), die konfessionelle Kooperation insgesamt als Chance begreifen (ebd., S. 122, 141–142). Dem Item eher ablehnend gegenüber sind die sicherheitsorientierten Lehrkräfte, die konfessionelle Kooperation als Überforderung empfinden sowie auch diejenigen, die sich ausdrücklich am Stil ökumenischen Lernens und ökumenischer Dialogfähigkeit ausrichten. Letztere stellen möglicherweise das Gemeinsame der Konfessionen bzw. das elementar Christliche in den Vordergrund und legen weniger Wert auf konfessionelle Differenz.
In der Frage nach dem Zusammenspiel von Perspektivenwechsel und Standpunktfähigkeit im professionellen Verständnis von Religionslehrpersonen halten Zimmermann et al. resümierend fest, dass sich „Standpunktfähigkeit entlang dreier Ebenen ausdrücken [lässt], nämlich in den religiösen Einstellungen der Lehrperson, in ihrem Wissen über die beiden Konfessionen und in ihrem Verhalten im Religionsunterricht. Alle drei Ebenen haben die Befragten im Blick. Berücksichtigt man die Befunde zum Perspektivenwechsel, scheint es nur auf der kognitiven Ebene die Möglichkeit zu geben, auch den Standpunkt der jeweils anderen Konfession einzunehmen – und zwar im Modus der Information über konfessionsspezifische Sachverhalte. Sowohl bei den Einstellungen als auch beim Verhalten scheint dagegen die Konfession, in der man aufgewachsen ist, den Rahmen der Möglichkeiten abzustecken“ (Zimmermann et al., 2021, S. 55). Innerhalb dieses Bedingungsrahmens sehen die Lehrkräfte „mit dem individuellen Glauben und der kollektiven Perspektive der eigenen Kirche zwei mögliche Bezugspunkte für den eigenen Standpunkt“ (., S. 55), die aus subjektiver Sicht nicht notwendig miteinander vereinbar sein müssen. Letzteres kann deshalb als individueller Aushandlungsprozess zu einer besonderen Herausforderung und mitunter auch inneren Zerreißprobe werden. Daher stellen die Autoren der Studie insbesondere die seitens der Lehrkräfte geäußerten „kritischen Einlassungen zur Standpunktfähigkeit“ (ebd.,S. 55) heraus. So wird Standpunktfähigkeit mit Re-Ideologisierung assoziiert, was angesichts diverser kirchlicher Stimmen zum rekonfessionalisierenden Potenzial konfessioneller Kooperation durchaus als Problemanzeige ernst zu nehmen ist (Woppowa, 2019). Das sich hier in den Vordergrund drängende „von manchen Kolleginnen und Kollegen erfahren[e] Dilemma, die eigene Religiosität mit der kirchlichen Identität unter einen Hut zu bringen“ (Zimmermann et al., 2021, S. 55), kann sich zum einen insofern relativieren, als „auch eine kirchliche Identität als vielgestaltig – nicht: beliebig – ausgewiesen wird“ (ebd., S. 55).
3 Forschungsfrage und Annahmen
Im Lichte der voranstehenden Ausführungen zeigt sich, dass nichtkognitive Merkmale der Kompetenz von Religionslehrkräften insofern ein Spezifikum darstellen, als eine konfessionsbezogene Positionierung von ihnen und in ihrem professionellen Handeln erwartet wird. Darüber hinaus zeigen die voranstehenden Forschungsergebnisse, dass die Frage bisher unbeantwortet bleibt, ob und wie Lehrkräfte sich durch ihre je individuelle Bestimmung von konfessionsbezogener Positionalität bzw. von damit zusammenhängenden Überzeugungen und Unterrichtspraktiken auch selbst einen individuellen Ausweg aus dem Dilemma zwischen individueller Religiosität und kirchlich-konfessioneller Identität schaffen. Diesem Zusammenhang folgt die Forschungsfrage, die den Ausgangspunkt der im Zentrum dieses Beitrags stehenden Datenerhebung und Datenanalyse markiert: Welche Selbstaussagen treffen Religionslehrkräfte über ihr professionsbezogenes Selbstverständnis als konfessionelle Lehrkraft? Im Folgenden werden die Datenerhebung und Datenauswertung thematisiert, welche die Ausgangspunkte dafür markieren, die Forschungsfrage beantworten zu können. Aus dem theoretischen Hintergrund und den bisherigen Forschungsbefunden lassen sich zudem Annahmen ableiten, die mittels der hier gewählten Auswertungsmethode zwar nicht überprüft werden sollen bzw. können, aber indirekt mitlaufen: (1) Lehrerinnen und Lehrer entwerfen eine Beschreibung ihres Selbstverständnisses stark an einer pädagogischen Intentionalität. (2) Die Beschreibung des Selbstverständnisses von Lehrkräften konstituiert sich aus ihrer individuellen Positionierung zu Glauben, Kirche und Konfession heraus. (3) Konfessionalität wird von Lehrpersonen unterrichtlich durch materiale Inhaltsbezüge anstatt durch personale Handlungsweisen und persönliche Positionalität sichtbar.
4 Methode der Studie
4.1 Erhebungskontext und Sample
Die professionsbezogenen Selbstauskünfte von Religionslehrkräften in Form von Statements, auf die sich die vorgenommenen Analysen beziehen, wurden von katholischen und evangelischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern verfasst (N=344). Die Erhebung der Daten fand im Kontext von konfessionsübergreifenden ein- bis zweitägigen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte aller Schulformen zur Didaktik der konfessionellen Kooperation statt. Die Teilnahme an den jeweiligen Fortbildungsveranstaltungen in Hessen (Schmerlenbach), Niedersachsen (Vechta), Nordrhein-Westfalen (Dortmund, Gemen, Mühlheim) und Rheinland-Pfalz (Trier) war freiwillig. Durchschnittlich haben 57 Lehrkräfte eine Fortbildungsveranstaltung besucht, die in der Regel alle an der Befragung teilgenommen haben. Das Verhältnis der Geschlechter sowie der Konfessionen war ausgewogen. Es handelt sich damit um eine Gelegenheitsstichprobe.
4.2 Datenerhebung und Datenanalyse
Jeweils vor Beginn jeder der zwischen September 2016 und Februar 2018 durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um kurze Statements gebeten, die in Form einer Paper-Pencil-Befragung erhoben wurden. Die Einholung der Erlaubnis zur Datenauswertung erfolgte mündlich. Die Datenerhebung erfolgte anonym, so dass keine Rückschlüsse auf Personen, Orte oder Schulen möglich gewesen sind. Die Befragung erfolgte mit Hilfe von vorgefertigten DIN A5-Zetteln und folgendem Schreibauftrag: „Ein Statement: Dass ich katholische/r Religionslehrer/in bzw. evangelische/r Religionslehrer/in bin, zeigt sich darin, dass …“ Darunter gaben 10 freie Linien den kapazitativen Rahmen vor, in dem das Statement zu verfassen war (durchschnittlich ca. 34 Wörter pro Statement). Die Befragten hatten für das Formulieren der Statements ca. 15 Minuten Zeit. Anschließend wurden die Statements eingesammelt.
Im Anschluss an die Datenerhebung wurden die Statements in Anlehnung an Kuckartz (2016, S. 100) und computergestützt durch die Analysesoftware MAXQDA 2020 inhaltsanalytisch anhand einer induktiven Kategorienbildung von drei Personen analysiert, was der aus der recht offenen Aufforderung zur Anfertigung der Statements resultierenden Varianz der Statements Rechnung trägt. Alle Statements wurden durch die Autorin bzw. den Autor sowie durch eine studentische Projektmitarbeiterin parallel zueinander ausgewertet. Daraus resultierte auf Basis der induktiven Kategorienbildung dieser drei Personen ein gemeinsames Kategoriensystem, in dem sich die voranstehend aufgeführten Annahmen spiegeln (Kap. 3) und mit dem das gesamte Material erneut parallel zueinander kodiert wurde. Dabei wurde das Kategoriensystem erneut geprüft und abschließend Abweichungen in der Kodierung diskutiert und konsensual gelöst. Der nachstehenden Tabelle sind die Kategorien zu entnehmen, mit denen die Statements kodiert wurden: Tab. 1
5 Ergebnisse
Die Liste mit der Anzahl der Kodierungen zeigt nach dem Konsensverfahren bei den insgesamt 344 Statements 1135 Kodierungen. Hinsichtlich der Verteilung dieser kodierten Segmente auf die Hauptkategorien wird allerdings ersichtlich, dass sich die Verteilungslast stark unterscheidet, was im Folgenden prozentual angegeben wird. Fast 34 % und somit die Mehrheit der Kodierungen ist der Hauptkategorie Lehrer-Schüler-Beziehung zuzuordnen. Nur wenige Kodierungen (ca. 6 %) beziehen sich hingegen auf den Umgang mit konfessioneller Differenz. Die Verteilung auf die Haupt- und Subkategorien – jeweils bezogen auf die Gesamtzahl der Kodierungen – ist der nachstehenden Abbildung zu entnehmen: Abb. 1: Prozentuale Verteilung der Haupt- und Subkategorien
5.1 Lehrer-Schüler-Beziehung
In Bezug auf die Lehrer-Schüler-Beziehung zeigt sich im Vergleich mit der allgemeinen pädagogischen Beziehung (11,5 %) eine fast doppelte Anzahl an Kodierungen, die sich auf die unterrichtsbezogene Beziehung fokussiert (22,3 %). Die Aussagen, die die unterrichtsbezogene Beziehung thematisieren, sind oftmals fach- oder religionsbezogener Ausrichtung, während sich solche Bezüge kaum unter solchen Aussagen finden, die genuin die pädagogische Komponente der Beziehung zwischen einer Lehrperson und ihren Schülerinnen und Schülern beschreiben. Sofern Lehrkräfte in ihren Statements die pädagogische Beziehung in den Vordergrund stellen, beziehen sie sich z.B. darauf, dass sie für die Schülerinnen und Schüler da seien, sie auf ihrem Lebens- und Glaubensweg begleiten und dass sie eine emotional-psychische Begleitung bieten wollen: „meinen Stapel an gesammelten Wanderkarten weiterzugeben für das Gehen und Finden eigener Wege“ (V, 1).[1] Zudem finden sich Statements unter jenen zur pädagogischen Beziehung, die die Schülerorientierung im pädagogischen Handeln betonen sowie den achtsamen und empathischen Umgang untereinander oder die herausstellen, dass die Entwicklung der Schülerpersönlichkeit und die Herstellung und Pflege der Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern besonders relevant ist: z.B. „ein gutes persönliches Verhältnis zu den SuS aufbauen“ (S, 38); „gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern dem auf den Grund zu gehen, was uns beschäftigt“ (M, 6). Unterrichtsbezogen kann die Lehrer-Schüler-Beziehung zum einen darauf gestützt sein, Glauben näherzubringen, soziale (oder auch christliche) Werte zu vermitteln, Sach- und Urteilskompetenzen zu vermitteln, oder das Erfahrungslernen zu fokussieren sowie mit den Lernenden über religionsbezogene Fragestellungen ins Gespräch zu kommen: z.B. „Schülerinnen und Schüler auf ihrem eigenen Glaubensweg zu unterstützen“ (V, 33); „Schüler zu einem Leben in einer multikulturellen und -religiösen Gesellschaft zu befähigen“ (V, 43), „über Sinnfragen des Lebens sprechen“ (G, 60) oder einfach „intensive Gespräche“ (V, 5) zu führen.
5.2 Positionierung zu Glauben, Konfession und Institution
In den Statements sind zum einen Herausforderungen identifizierbar (2,6 %), mit denen die Lehrkräfte konfrontiert sind und die den Befragten in ihrer Rolle als Religionslehrkraft begegnen. Dazu zählen der Legitimationszwang des Schulfachs Religion, ein Desinteresse auf Schülerseite an den Inhalten des Fachs oder Ablehnung und Kritik gegenüber der Institution Kirche, z.B. dass „ich von Schülern und Kollegen auf den Papst und Rom angesprochen werde (oftmals mit negativem Hintergrund)“ (T, 27). Zum anderen finden sich Aussagen zur Konfessionsgebundenheit (2,7 %), die u.a. beleuchten, inwiefern sich die Lehrkräfte als christlich bzw. als nicht konfessionsgebunden erleben oder selbst eine Distanz zur eigenen Konfession empfinden oder mit einer solchen Distanz konfrontiert sind, z.B.: „Ich empfinde mich daher zunächst als Christin. Konfessionalität wird zweitrangig.“ (V, 32). Etwas häufiger begegnen Positionierungen zur Institution Kirche (6,9 %), in der man sich durch pfarrgemeindliches Engagement „zu Hause fühle“ (S, 18), „beheimatet“ (T, 66) sei, zu der man sich aber auch in „kritischer Loyalität“ (G, 87) oder „kritischer Solidarität“ (S, 9) bewege. Die deutliche Mehrheit in dieser Hauptkategorie ist allerdings mit der Subkategorie persönlicher Glaube (14,5 %) kodiert. Die Kodierungen beziehen sich auf einen Glauben, der individuell gelebt und auch ausdrücklich bezeugt wird und der von einem authentischen Auftreten im Unterricht begleitet wird, z.B. dass man „im Austausch Zeugnis geben möchte von meinem Glauben“ (G, 85), „Zeuge sein für den Glauben an Gott und als solcher Rede und Antwort zu stehen für die Hoffnung, die in mir ist“ (M, 9) oder „authentische Gesprächspartnerin zu sein“ (V, 13). Darüber hinaus fallen in diese Subkategorie die eigene konfessionelle Sozialisation, die Reflexion des eigenen Glaubens sowie eine persönliche Werteorientierung.
5.3 Sichtbarkeit von Positionalität und Konfessionalität im Unter-richt
Neben der Subkategorie allgemeine Positionalität (2,2 %) – z.B. „redlich Rede und Antwort zu stehen“ (G, 46), „Positionen zu beziehen“ (V, 27) oder „Farbe bekennen“ (V, 5) – weist die konfessionsbezogene Subkategorie Konfessionalität der Inhalte die meisten Kodierungen (9,0 %) auf, während Konfessionalität der Lehrkraft deutlich geringer (4,3 %) und Konfessionalität der Schüler/innen nur marginal (1,0 %) in Erscheinung tritt. Mit der Subkategorie Inhalte wurden z.B. folgende Aussagen kodiert: dass „ich die sieben Sakramente unterrichte und darauf hinweise, dass es in der evangelischen Kirche nur zwei (drei) gibt“ (S, 8), dass „ich [… nach katholischem Curriculum unterrichte“ (G, 75) oder „dass mir die Rechtfertigungslehre sehr wichtig“ (S, 1) ist. Wenn Lehrkräfte betonen, dass sie „Fragen trotz Selbstdistanz aus meiner katholisch-christlich geprägten Perspektive“ (M, 4) einbringen und bearbeiten, von einem eigenen „gefestigten, konfessionellen Standpunkt“ (M, 11) sprechen oder sich „als ‚evangelisch‘ erkennbar“ (D, 7) beschreiben, wurde mit der Subkategorie Lehrkraft kodiert. Die letzte Subkategorie wurde auf Aussagen zur Konfessionalität der Lerngruppe bezogen, z.B. dass man „ausschließlich katholische Lerngruppen im Religionsunterricht unterrichte“ (T, 3) oder dass „auch evangelische [Schülerinnen und Schüler] im kath. Religionsunterricht“ (T, 54) teilnehmen.
5.4 Rollenverständnis
Die Kodierungen zum Rollenverständnis beziehen sich auf das außerunterrichtliche Handlungsfeld (7,2 %), auf fachbezogene Aspekte (6,8 %) sowie auf personale Aspekte (1,1 %). Sofern sich Aussagen auf das Handlungsfeld beziehen, kann zwischen Aktivitäten in der Schulliturgie und Schulseelsorge sowie zwischen dem Engagement im Zusammenhang mit Schulorganisatorischem oder der Elternarbeit unterschieden werden. Sind die Aussagen hingegen als fachbezogene Aspekte kodiert, fallen darunter Aussagen, die die eigene Wahrnehmung als Lehrkraft im Fachunterricht herausstellen sowie auf eine formale und inhaltliche Identifikation mit dem Fach und seinen Inhalten abheben, z.B. dass „ich im Besitz einer Missio Canonica bin“ (G, 69), dass „ich in aller Art von religiösen Fragen als Experte angesehen werde“ (G, 25), dass „ich für mein Fach innerlich brenne“ (G, 20) oder in der Feststellung von „viel Freude, da der RU ein ‚Mehr‘ bietet, das andere Fächer so nicht haben“ (V, 7). Mit personalen Aspekten wurden Aussagen kodiert, die sich ausdrücklich auf die eigene Vorbildrolle beziehen, z.B. „ein Vorbild gelebten Glaubens“ (G, 36) oder „personales Angebot“ (G, 18) zu sein.
5.5 Umgang mit konfessioneller Differenz
Bei den wenigen Aussagen, in denen es um einen unterrichtlichen Umgang mit konfessioneller Differenz geht, zeigt sich überwiegend ein zustimmend-konstruktiver Umgang (5,6 %), das heißt es sind eine wertschätzende Haltung sowie ein konstruktives Bearbeiten konfessioneller Differenzen erkennbar. Als ablehnend-vermeidend konnten nur sehr wenige Aussagen kodiert werden (0,2 %). Diese bringen zum Ausdruck, dass insbesondere auf Inhaltsebene keine Offenheit für andere Traditionen bzw. Konfessionen besteht, wenn z. B. „evangelische/altkatholische Positionen eher randständig“ (D, 4) behandelt werden oder anderskonfessionelle Inhalte „nicht einen so breiten Raum einnehmen“ (D, 19). Konstruktive Zustimmung zeigt sich zum einen vielfach in der Kooperation mit anderskonfessionellen Kolleginnen und Kollegen, z.B. dass „ich selbstverständlich und vertrauensvoll in der gemeinsamen [Fachkonferenz] mit meinen evangelischen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeite, mit ihnen gemeinsam ökumenische spirituelle Angebote in der Schule gestalte“ (T, 52). Zum anderen zeigt sich Zustimmung auch darin, dass „eine Offenheit und ein kritisches Interesse an anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen“ (T, 44) besteht, dass Besonderheiten im Unterricht thematisiert werden und von einer „gleichberechtigten Pluralität von Kirchen und Konfessionen“ (S, 1) ausgegangen wird und dass schließlich – ungefähr gleich häufig – das Bearbeiten von konfessionellen Gemeinsamkeiten bzw. konfessionellen Unterschieden benannt wird. Nicht zuletzt wird insbesondere „pro Ökumene“ (G, 3) votiert und dass man „intensiv Ökumene befürworte“ (G, 31).
5.6 Sonstiges
Mit der Kategorie Sonstiges wurden solche Aussagen kodiert, die singulär auftraten, einen sehr persönlichen und oftmals metaphorischen Charakter haben, so dass diesen eine Deutungsoffenheit inhärent ist. Dazu zählen z.B. die folgenden Aussagen: „mit anderen Schülern zusammen einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, damit unsere Welt eine gute Welt werden kann“ (V, 22); „SchülerInnen zu zeigen, […] dass Kirche … eine Kraft [ist], die sich einmischt, wenn es um Schwache geht“ (V, 36); „an der Front den Himmel offen zu halten“ (M, 16) oder auch „dass ich seit über 30 Jahren genau diese Frage nicht vernünftig beantworten kann“ (T, 6).
6 Diskussion
6.1 Ergebnisse
Zunächst fällt auf, dass sich die Antworten von Lehrkräften auf den oben genannten offenen Impuls mit deutlicher Mehrheit in die Kategorie der pädagogischen bzw. didaktischen Lehrer-Schüler-Beziehung einordnen lassen und deutlich weniger in den Kontext von Konfessionalität oder konfessioneller Identität. Damit lässt sich die oben benannte erste Annahme (s. Kap. 3) bestätigen. Mit dieser Präferenz für das Beziehungshandeln mit Schülerinnen und Schülern mag auch der hohe Anteil an Aussagen in der Subkategorie Persönlicher Glaube in Einklang gebracht werden, in der u.a. die persönliche Praxis des Glauben leben und bezeugen (6,3 %) artikuliert wird. Den Lehrkräften scheint es damit in erster Linie darum zu gehen, im Unterricht die lernenden Subjekte und ihren Lern- und Bildungsprozess ins Zentrum zu stellen, mit ihnen sinnkonstituierende Gespräche zu führen und auf einer personalen Ebene in Kontakt zu kommen. Dabei wird das eigene biographische verankerte Glaubenszeugnis gerade nicht ausgeklammert. Wenn Positionierung stattfindet, geschieht das primär – so zumindest lassen sich die Ergebnisse deuten – aus der eigenen individuellen Erfahrung heraus und erst nachrangig in Bezug auf institutionelle und konfessionelle Bindungen. Auch die erfolgten Nennungen in der Subkategorie der allgemeinen Positionalität weisen insofern in diese Richtung, als den Lehrkräften – mitunter auch entgegen der dritten Annahme – bewusst ist, dass eine transparente persönliche Positionalität für das Unterrichtshandeln relevant ist. Allerdings scheint sich diese – hier die zweite Annahme durchaus bestätigend – weniger an einer konfessionellen Gebundenheit auszurichten als vielmehr an persönlichen Erfahrungen und Deutungen religiöser Situationen und Fragen (Lorenzen, 2021) sowie an einer je individuellen religiösen Erfahrung bzw. Glaubenspraxis (zu ähnlichen Ergebnissen kommen Riegel & Zimmermann, 2021, S. 70).
Wenn Konfessionalität im Sinne einer konfessionsgebundenen Positionalität in Erscheinung tritt, dann geschieht das – wenn auch auf Basis der hier präsentierten Ergebnisse insgesamt recht selten – am ehesten mit Bezug zu den Inhalten des Unterrichts (vgl. auch Lüdtke, 2020, S. 320–321) und weniger im Blick auf die eigene Rolle als konfessionell gebundene Lehrkraft. Das oben angesprochene Dilemma einer Ausrichtung zwischen individueller Religiosität und kirchlicher Identität (Kap. 2) zeigt sich also auch hier und wird möglicherweise in doppelter Richtung aufgelöst: zum einen in die einer Vermittlung und Bearbeitung konfessionell spezifischer Inhalte, hinter die man sich angesichts einer bestehenden Bezugswissenschaft zurückziehen kann und zum anderen in Richtung individueller religiöser Überzeugungen jenseits konfessioneller Identität, wie auch die Aussagen in Kap. 5.6 exemplarisch zeigen können. Die Antwort, „dass ich seit über 30 Jahren genau diese Frage nicht vernünftig beantworten kann“ (T, 6), ist ein ausdrucksstarkes Zeugnis einer erfahrenen Lehrkraft für dieses Dilemma. Die Bekenntnisgebundenheit des konfessionellen Religionsunterrichts bleibt damit aus Sicht der Lehrkräfte weiterhin konflikthaft (Gruehn, 2020, S. 31). Das zeigen auch die Nennungen in der Subkategorie Herausforderungen, die deutlich machen, dass Konfessionsgebundenheit immer auch eine Angriffsfläche für kritische Anfragen von außen darstellt und dass Religionslehrkräfte diese Erfahrungen auch faktisch machen. Auch wenn die in der Kategorie Umgang mit konfessioneller Differenz zusammengefassten Antworten im Vergleich eher gering ausfallen, so scheint ein bewusst vollzogener unterrichtlicher Umgang doch eher konstruktiv auf konfessionelle Differenzen zuzugehen. Das heißt, hier zeigt sich ein didaktisches Potenzial im offenen Umgang mit anderen konfessionellen und religiösen Traditionen, in der Bearbeitung von Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Besonderheiten der Konfessionen sowie in der interkonfessionellen Kooperation von Lehrkräften bis hin zu ausdrücklich an Ökumene orientierten Statements.
Die von nicht wenigen Lehrkräften gebrauchten metaphorischen Aussagenund Sprachbilder (s.o. Kap. 5.6) sind einerseits Beleg für deren je individuellen Zugang zur Frage, der sich nicht zuletzt durch die Verwendung von Metaphern durch eine gewisse Spannung auszeichnet (z.B. „an der Front den Himmel offen zu halten“). Andererseits zeigen sich auch eher diffuse Vorstellungen, möglicherweise durch fehlende (selbst-)reflexive Zugänge zur Frage nach dem eigenen Selbstverständnis. Das wiederum weist zugleich auf erste Limitationen der Untersuchung hin, denn solchen Unschärfen müsste z.B. in Einzelinterviews tiefergehend nachgegangen werden.
6.2 Limitationen
Vor dem Hintergrund, dass die Antworten auf eine sehr offene Fragestellung oftmals eher assoziativer Natur sind und daraus eine große inhaltliche Breite im Antwortverhalten resultiert, ist eine Vergleichbarkeit verwendeter Begriffe und Konstrukte nur schwer möglich. Um präziser die Vorstellungen der Lehrkräfte zu eruieren, müsste auch hier tiefergehend nachgefragt und u.a. mit Narrationen gearbeitet werden. Darüber hinaus wurden auch keine Differenzen hinsichtlich bestimmter Hintergrundmerkmale wie z.B. regionaler Kontext, Schulform, Altersgruppe oder Berufserfahrung untersucht, weil diese schlichtweg (noch) nicht im Fokus der Forschungsfrage standen. Allerdings könnten bestimmte Hintergrundmerkmale einen wichtigen Ausgangspunkt dafür markieren, potenzielle Differenzen zu explorieren, die auf Grundlage der Relevanz von Erfahrungen für die professionelle Entwicklung vermutet werden können (etwa zwischen Berufserfahrung oder regionalem Kontext und konfessioneller Identität). Auch auf eine konfessionsdifferente Analyse der Statements wurde in diesem ersten Zugriff daher bewusst verzichtet.
Schließlich zeigen sich in den Statements Selbstaussagen der Lehrkräfte darüber, wie sie sich selbst, ihre Rolle oder ihr Handeln als konfessionelle Lehrkraft einschätzen. Ob sich dieses Selbstverständnis auch in der Praxis zeigt und wenn ja, auf welche Weise, ist auf Basis dieser Daten nicht zu beantworten. Daher müssten langfristig durch empirische Zugänge im Feld der Unterrichtspraxis (z.B. Ethnographie, Videographie) Zusammenhänge von Selbstverständnis und Performanz in den Blick genommen werden. Darüber hinaus bestehen zum einen im fachspezifischen Diskurs kaum theoretische Annahmen darüber, wie sich nichtkognitive Merkmale von professioneller Handlungskompetenz von Religionslehrkräften in ihrer Struktur konstituieren. Zum anderen finden sich (noch) keine theoretischen Modelle zum Zusammenhang von nichtkognitiven Merkmalen (Selbstverständnis, Konfessionalität), auf deren Grundlage etwa eine deduktive Kategorienbildung möglich gewesen wäre. Daraus ergibt sich abschließend, dass die vorliegenden Kategorien weiter auszudifferenzieren sind, zum einen durch tiefergehende Theoriebildung, zum anderen durch empirische Folgeuntersuchungen.
6.3 Implikationen
Aus forschungsbasierter und methodologischer Perspektive könnte im Anschluss an diese explorativen Befunde eine quantitative Analyse erfolgen, um weitere Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kategorien aufzudecken. Wie oben bereits angedeutet, ist dabei auch die Frage nach konfessionellen Unterschieden oder konfessionsspezifischen Akzentuierungen denkbar, weil die zahlenmäßig durchaus ins Gewicht fallende Nennung von Aussagen zur persönlichen Glaubenspraxis auf (unbewusst) vorausliegende konfessionelle Erfahrungen verweisen kann, die sich wiederum auf professionelles Handeln bzw. Handlungskompetenz auswirken können (vgl. zu konfessionsspezifischen Fragestellungen auch Riegel & Zimmermann, 2021, S. 67–68). Denn die Selbstaussagen der befragten Lehrkräfte lassen an vielen Stellen zumindest ein gewisses Potenzial für ihr Unterrichtshandeln und ihre didaktisch-methodische Praxis vermuten. Nicht zuletzt kann auch darauf das hohe Maß an Zuordnungen zur ersten Kategorie hinweisen, die im Wesentlichen auf das Beziehungshandeln der Lehrkräfte abhebt. Doch auch von einer anderen Seite rücken im Anschluss an diese Untersuchung die unterrichtlichen Praktiken der Religionslehrkräfte stärker ins Zentrum: Die von Lüdtke festgestellte „Transparenzproblematik“ (Lüdtke, 2020, S. 365) ginge auf Basis der hier behandelten Selbstaussagen, in denen sich u.a. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen spiegeln, nicht zwangsläufig auf das Konto einer fehlenden Positionierungsbereitschaft der Lehrkräfte, die hier durchaus in Erscheinung tritt, wenn auch eher vor dem Hintergrund ihrer individuellen Religiosität bzw. Konfessionalität. Vielmehr wäre notwendig danach zu fragen, ob sich solche Selbsteinschätzungen auch im Unterricht zeigen: in der Auswahl von Lerngegenständen oder in den Inszenierungspraktiken konfessioneller Differenz. Die Positionalität bzw. Konfessionalität des konfessionellen Religionsunterrichts ist damit weiter zu fassen als nur in ihrem Bezug auf die Lehrkraft (vgl. auch Schambeck, 2017, S. 37–40, 44). Schließlich müsste in diesem Kontext auch eine Differenzierung der Konstrukte Positionalität bzw. Positionierungsbereitschaft und Standpunktfähigkeit bzw. Standpunktbereitschaft erfolgen. Beide Begriffe werden im Diskurs weitgehend synonym verwendet, so dass auch der vorliegende Beitrag hier noch keine Präzisierung vornehmen konnte. Der Mehrwert dieser Untersuchung liegt vielmehr darin, das Selbstverständnis der Lehrkräfte zu explorieren und dabei eine Mehrdimensionalität aufzuzeigen, auf deren Grundlage potenzielle Zusammenhänge postuliert werden können.
Aus der Perspektive der Praxis zeigt sich einmal mehr, dass Religionslehrkräfte in ihren nicht nur konfessionell gebundenen, sondern vielmehr noch in ihren individuellen Lebens- und Glaubensbiographien und deren Wirkung auf den Unterricht ernst zu nehmen sind (vgl. auch Gennerich et al., 2021, S. 158–165). Das heißt Lehrerinnen- und Lehrerbildung hat über den Aufbau von fachwissenschaftlichem und fachdidaktischem Wissen hinaus möglicherweise noch mehr als bisher an nichtkognitiven Merkmalen sowie an individuellen Erfahrungen anzusetzen, die wiederum Handlungskompetenz beeinflussen. Das gilt insbesondere angesichts einer gegenwärtig wirkmächtigen und auch in den Statements der Lehrkräften in Erscheinung getretenen Glaubwürdigkeitskrise der institutionalisierten Kirchen hierzulande. Darüber hinaus wäre im Sinne einer Verbesserung von Unterrichtsqualität nach der Wirkkette der Lehrerbildung zu fragen, hier allerdings auch rückwärts: Inwiefern lernen (angehende) Lehrkräfte so etwas wie Positionalität seitens der Dozierenden in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung überhaupt kennen, um schließlich selbst positionierungsbereit bzw. standpunktfähig gegenüber ihren Schülerinnen und Schülern zu werden? Schließlich werfen die Mehrheitsverhältnisse in den Aussagen der Lehrkräfte in dieser Befragung einmal mehr die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des konfessionellen Religionsunterrichts auf. Wenn die Religionslehrerinnen und Religionslehrer auch aufgrund von Selbstauskünften immer mehr als Garanten seiner Konfessionsgebundenheit ausfallen, muss seine Konfessionalität an den inhärenten Praktiken verortet werden, weniger an den handelnden Akteurinnen und Akteuren.
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Dr. Jan Woppowa, Professor für Religionsdidaktik am Institut für Katholische Theologie an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn
Dr. Carina Caruso, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn
Hier und im Folgenden werden zur Illustration der Ergebnisse Auszüge aus den Transkripten integriert. Dabei verweist der Buchstabe auf den Erhebungsort (s. Kap. 4.1), die Nummer auf das jeweilige individuelle Statement.